Gaunerinnen

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Sie traf eine Frau mit einem Schild, auf dem geschrieben stand: „Wohnung zu vermieten“, und fragte nach.

„Es ist ein abschließbares Zimmer in einer Zweizimmerwohnung. Im anderen Zimmer wohnt ein Mann aus Moldawien, der hier auf dem Markt als Lastträger arbeitet. Er hat einen engen Zeitplan, geht um 4 Uhr morgens aus dem Haus und kommt spät am Abend wieder. Die Küche wird geteilt. Die Miete ist niedrig.“

„Okay. Ich nehme das Zimmer. Könnten Sie noch einen Augenblick warten, bitte? Meine Freundin kommt in einer Stunde zu dem Café da drüben.“

„Gut. Dann bin ich in einer Stunde wieder da.“

„Abgemacht.“

Natalja wurde wütend, als sie von Mietbedingungen erfuhr.

„In einem Zimmer? Bist du verrückt geworden? So kann ich doch niemanden für die Nacht mitbringen!“

„Wir haben einen Haufen Geld bei uns! Und Wertsachen! Du darfst niemanden mit in die Wohnung bringen! Geh ins Hotel oder zu deinem Freier nach Hause!“

„Die meisten wohnen bei ihren Müttern! Du kennst doch unsere Kundschaft. Penner und Versager sind gut im Bett. Männer, deren Gehirn wenigstens ein bisschen funktioniert, können nicht länger als dreißig Minuten.“

„Hahaha! Danke für die Info. Ich werde mir dümmere Typen aussuchen.“

„Ich sterbe vor Lachen.“

Das Zimmer gefiel den Mädchen. Es war geräumig, mit einem großen Bett und Balkon.

„Wow! Der Fickplatz ist ja riesig!“

„Ein altertümliches Großmutterbett für witzige Leute mit Fantasie…“

Die Tür zum zweiten Zimmer stand halb offen. Stella schaute hinein, um den Nachbar zu begrüßen, aber er war nicht da.

„Seltsam. Wo ist unser Nachbar?“

„Ich glaube nicht, dass er schon zu Hause ist. Gewöhnlich fährt er bis zum späten Abend Waren in die Lager.“

„Schließt er sein Zimmer nicht ab?“

„Wahrscheinlich hat er gedacht, dass er hier allein wohnen könnte, bei der winzigen Miete, die von ihm kassiere“, sagte die Vermieterin sarkastisch. „Moldawier sind eben doof.“

Die Frau schrieb mit kluger Miene die Daten aus den gefälschten Pässen ab, nahm das Geld mit der Geschicklichkeit einer erfahrenen Taschendiebin und verließ die Wohnung.

Ohne zu zögern untersuchten die Mädchen das Zimmer des Moldawiers und fanden einen Safe. Er war natürlich nicht in die Wand eingebaut. Er stand einfach in einem Schränkchen und war so groß, dass die Tür des Schränkchens nicht mehr zuging.

„Hahaha! Er ist wirklich doof!“

„Ja, das kann man nicht anders sagen“, schmunzelte Stella. „Schönes Bild.“

„Wollen wir ihn zersägen? Oder gucken wir den Code mit einem Spiegel um die Ecke ab, wenn er kommt?“

„Abgucken wäre wohl am besten. Wenn es nicht klappt, lassen wir den Safe auf dem Markt zersägen. Das dürfte eine halbe Stunde dauern.“

„Dort, wo er arbeitet. Hahaha! Trinken wir inzwischen einen Kaffee?“

„Schenk ein. Den haben wir von unserem Moldawier.“

Die Mädchen hörten, wie sich das Türschloss öffnete. Sie hatten die Spiegel parat, als ob sie vorausgeahnt hätten, was ihr Nachbar tun würde. Ohne die fremden Menschen in der Wohnung zu bemerken, ging er gleich zum Safe, um das an diesem Tag verdiente Geld hineinzulegen. Laut sagte er die Zahl: „7326.“ Die Mädchen standen versteckt in den Ecken, hielten die Spiegel bereit und versuchten, das Lachen zu unterdrücken. Stella hielt es nicht mehr aus und wieherte los. Der arme Moldawier erschrak fast zu Tode. Er sprang beiseite, die Adern an seinem Hals traten hervor. Erst schrie er wie am Spieß, dann wurden seine Worte klarer:

„Was machen Sie in meiner Wohnung?“

„Ist das Ihre Wohnung? Oh, entschuldigen Sie bitte! Wir brauchen Mehl. Haben Sie eine Prise?“

„Hahahaha!“

„Das ist nicht lustig! Ich wäre fast vor Schreck gestorben!“

„Wir auch.“

„Dürfen wir uns vorstellen? Ich heiße Wassilissa.“

„Die Schöne?“

„Sehe ich etwa nicht so aus?“

„Entschuldigung, aber in der Dunkelheit kommen Sie mir eher wie eine Hexe vor.“

„Ich bin Warwara“, stellte sich Stella mit einem unterdrückten Lächeln vor.

„Sie haben merkwürdige Vornamen. Ich heiße Wadim. Oder einfach Wadik.“

„Das ist uns schon klar, dass es bei Ihnen einfach zugeht. Vielleicht würde Wadja auch passen? Hahaha!“

„Machen Sie sich lustig über mich, junge Frau?“

„Oh nein, gar nicht! Wir sind ernsthafte, gute Studentinnen.“

„Dann bin ich froh, Sie kennenzulernen. Kommen Sie in die Küche? Trinken wir einen Kaffee zusammen? Aber zuerst muss ich in die Dusche und mich umziehen.“

„Hast du gesehen, Stella?“ sagte Natalja in der Küche. „Er ist vielleicht doof, aber er hat einen gescheiten Code für seinen Safe.“

„Hahaha! Ich mache mir in die Hose vor Lachen. So ein Held!“

Eine Stunde lang saßen sie mit Wadim in der Küche bei einer Flasche Wodka. Zu essen gab es von Öl triefende, kalte und zerdrückte tatarische Teigtaschen, die Wadim vom Markt mitgebracht hatte. Dazu servierte er allerlei Geschichten. Er kaute mit so viel Enthusiasmus, dass ihm die Bröckchen aus dem Mund flogen. In diesem Moment schworen sich die Mädchen im Stillen, nie mehr tatarische Teigtaschen zu essen. Ein unsäglicher Gestank begleitete jeden Witz, über den meist nur Wadim lachen musste.

„Bring ihn nicht zum Lachen, Natalja! Sonst ersticke ich.“

Stella unterbrach das Gespräch, als der Nachbar zu erzählen begann, wie er auf dem Markt das Mädchen vom Jeans-Stand geküsst hatte, dem das angeblich sehr gefiel. Sie blickte auf den mit Öl geschmierten Mund des Möchtegern-Verführers und verspürte Brechreiz.

„Ich gehe ins Bett.“

„Warum, Stella? Es ist doch so lustig! Oder wollen wir lieber ausgehen?“

„Wir haben morgen ein Ding zu drehen. Oder beklauen wir ihn doch nicht? Entscheide du.“

„Doch, natürlich tun wir das!“

„Dann gehen wir schlafen.“

„Okay.“

Am Morgen, als das Stinktier zur Arbeit gegangen war, öffneten die Mädchen den Safe.

„Oh! Er hat ganz schön viel zusammengespart. Das dürften fünf volle Monatslöhne für ihn sein. Jetzt lass uns sehen, dass wir die Wohnung weitervermieten.“

„Du packst unsere Sachen und wartest hier auf mich, als ob du die Vermieterin wärst. Ich gehe auf den Markt und suche einen neuen Mieter für die ganze Zweizimmerwohnung. Versteck bitte seine Sachen so, dass es nicht so aussieht, als ob hier jemand wohnt.“

„Okay.“ Warte mal, Stella! Lass uns ein Schild schreiben: „Wohnung für längere Zeit zu vermieten“. Versuch, jemanden gleich für ein Jahr zu finden. Mit ein paar Monatsmieten als Kaution. Und ich mache inzwischen schnell einen Langzeitmietvertrag beim Notar unten. Ich nehme ein leeres Formular, damit es glaubwürdig aussieht.“

„Finde ich toll!“ Dann sehen wir uns in ein paar Stunden.“

„Bitte bring das alles so schnell wie möglich hinter dich. Sonst kommt am Ende unser Nachbar vor dir zurück.“

„Mach dir keine Sorgen, das schaffen wir.“

Auf dem Markt wurde das Mädchen mit dem Schild gleich von einem hochgewachsenen, stattlichen Mann angesprochen.

„Vermieten Sie eine Wohnung?“

„Ja, eine Zweizimmerwohnung.“

„Wie hoch ist die Monatsmiete? Gehört die Wohnung Ihnen?“

„Ich bin eine Freundin der Eigentümerin. Sie muss dringend abreisen und hat mich gebeten, ihr zu helfen.“

„Sie sind also keine Maklerin?“

„Nein.“

„Was für ein Glücksfall!“

„Da haben Sie allerdings Glück. Ich bin wirklich keine Maklerin.“

„Wissen Sie, ich bin heute Morgen in ausgezeichneter Stimmung und mit einem guten Gefühl aufgewacht.“

„Dann wollen wir keine Zeit verlieren und schauen uns die Wohnung an. Die Vermieterin wartet schon auf uns.“

„Seien Sie bitte ehrlich: Verlangen Sie wirklich keine Gebühr für Ihre Dienstleistung?“

„Nein. Wir sind Freundinnen seit Kindertagen. Sie muss heute fort und braucht deswegen meine Hilfe. Es fällt mir nicht schwer, diesen Freundschaftsdienst gratis zu leisten.“

„Das ist sehr selten heutzutage! Ihre Freundin hat Glück mit Ihnen. Sie sind ein guter Mensch.“

„Oh, und was für ein guter Mensch“, dachte Stella. Laut sagte sie zu dem Mann:

„Freundschaft ist auch eine Art Arbeit. Das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ funktioniert hier nicht. Man muss geben können, ohne von den Menschen eine Gegenleistung zu erwarten. Dann kommt auch ein gutes Resultat. Nicht alles ist käuflich. Am wenigsten die Freundschaft!“

„Sie sind eine wahre Philosophin!“

„Nein, ich bin Linguistin.“

„Wie interessant! Welche Sprachen können Sie?“

„Englisch, Deutsch, Russisch, etwas Ukrainisch.“

„Bei uns in Lugansk kann auch fast keiner Ukrainisch, obwohl die Stadt zur Ukraine gehört.“

„Oh! Lugansk? Das ist eine tolle Stadt! Dort war ich auch schon mal.“

„Ich bin ein einfacher Polizist und suche hier einen Job.“

„Merkwürdig, dass Sie auf der Jobsuche gerade nach Charkow gekommen sind. Ich glaube nicht, dass die Löhne hier so hoch sind. Die Gastarbeiter gehen lieber nach Russland.“

Ihr war das Herz in die Hose gerutscht.

„Sie haben recht. Aber ein Freund von mir ist hierher versetzt worden und hat mich und meine Familie hergerufen. Er sagt, hier gäbe es mehr Chancen, befördert zu werden.“

Verdammt! So eine Scheiße! Ein Bulle! Und noch dazu aus meiner Heimatstadt!“

„Ich glaube, die Vermieterin wäre mit so einem zuverlässigen Mieter sehr zufrieden. Ich dachte sogar schon, Ihnen allein würde sie die Wohnung vielleicht gar nicht vermieten. Sie hätte lieber ein Paar oder eine Familie als einen alleinstehenden Mann, weil ledige Männer zu Ausschweifungen neigen, und das kann allerlei Ärger geben.“

„Ach was! Ich bin Ehemann und Vater! Und ein anständiger Bürger! Meine Ehefrau kommt bestimmt mindestens zweimal im Monat zu Besuch.“

„Das ist doch schön. So, wir sind da.“

Natalja stand in der Küche und briet Kartoffeln, als ob ihr die Wohnung wirklich gehörte. Es war ein ausgezeichneter Trick zur Ablenkung. Sie trug eine Schürze und hielt eine geschälte Zwiebel in der Hand.

 

„Genial“, dachte Stella. Nataljas spontane Schlauheit und ihr Improvisationstalent beeindruckten Stella immer wieder.

„Guten Tag!“ Nata lächelte über das ganze Gesicht. Ihr Brustansatz war wie zufällig im Ausschnitt der Schürze zu sehen.

Der Mann ließ diese Tatsache nicht unbeachtet. Seine Haltung wurde aufrecht, als ob er seine Ernsthaftigkeit zeigen wollte.

„Jetzt haben wir dich, Täubchen!“, dachte Stella.

Sie atmete endlich ihre ganze Anspannung mit einer Wolke Zigarettenrauch aus. „Da ist er wieder! Der schreckliche Charakter der Männer! Sie bleiben anständige Familienväter bis zu dem Augenblick, in dem sie schöne Titten zu sehen bekommen. In Wirklichkeit leben alle guten Frauen allein. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis die Frauen einfach allein leben wollen. Sie gehen abends aus dem Haus, um ihre Triebe zu befriedigen, kommen dann entspannt zurück und verbringen den Abend in Ruhe vor dem Fernseher oder bei irgendeinem anderen Hobby. Das Leben mit Mann bringt nur jede Menge zusätzliche Pflichten und raubt einen Haufen wertvolle Zeit und Ruhe. Und zum Dank bekommen wir Frauen nur Vorwürfe und Untreue.“

„Stella! Komm rein! Was stehst du da wie versteinert?“

„Entschuldige, Natalja. Ich habe gerade über Feminismus nachgedacht. Ich rauche noch fertig und komme rein.“

In der Küche herrschte eine lebhafte Unterhaltung. Natalja hatte die Schürze schon ausgezogen und trug nur noch ein kurzes Kleid. Sie beugte sich über den Bullen und zeigte ihm, wo er seine Passdaten eintragen sollte.

„Bitte nicht so schnell“, sagte er höflich.

„Entschuldigen Sie bitte, aber Sie schreiben so langsam, dass ich schon Angst habe, meinen Flug nach Tschita zu verpassen. Können Sie sich bitte beeilen?“

„Ja, natürlich. Sagen Sie, was ist das für ein Formular? Es sieht anders aus als bei uns in Lugansk.“

„Sie sind in jeder Stadt anders. Sie sehen wie ein gebildeter Mensch aus und wussten das nicht?

„Leider nicht. Aber jetzt weiß ich's.“

Er unterzeichnete den Mietvertrag mit einer Kaution für drei Monate. Natalja legte schnell die Bratkartoffeln auf den Teller, schob ihn zu ihm zu und sagte lächelnd:

„Essen Sie bitte. Ich muss noch einige Sachen packen.“ Sie verschwand hinter der Tür des Nebenzimmers. Stella stand an der Tür gerade wie ein Soldat und beobachtete, wie der Mann mit dem Lächeln eines unschuldigen Jünglings die Kartoffeln verputzte.

„Guten Appetit“, sagte Stella laut und störte seine Euphorie. Er wandte ihr schnell das Gesicht zu, aber sein Interesse an ihr schien weniger ausgeprägt zu sein.

„Eine nette Frau, nicht wahr?“

„Ja, sie ist sehr nett. Alle mögen sie, durch die Bank“, erwiderte Stella. In seinen Augen blitzte ein Hoffnungsschimmer auf.

„Sie haben großes Glück, so eine Wohnung und so eine Vermieterin zu finden“, sagte Stella mit einem schelmischen Augenzwinkern zu ihrem Landsmann.

Endlich stand Natalja abreisebereit vor der Tür.

„Verzeihen Sie, ich habe es sehr eilig. Hier haben Sie die Schlüssel. In ein paar Monaten komme ich Sie besuchen. Machen Sie sich bequem.“

„Danke schön.“ Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Bringen Sie den Duft nördlicher Nächte mit“, erwiderte der Mann mit einem Lächeln.

„Sie sind ja auch noch ein Romantiker!“

„Oh ja, das bin ich!“

Die Mädchen verließen die Wohnung. Langsam und laut lachend gingen sie aus dem Haus und bogen um die Ecke.

„Und jetzt… weg hier!“

Sie ließen mehrere Gassen hinter sich und gingen im Passantenstrom auf.

„Danke! Wie bist du nur darauf gekommen, einen Bullen mitzubringen?“

„Er kommt aus meiner Stadt!“

„Hast du ihn etwa absichtlich ausgewählt? Um einen Landsmann auszunehmen? Oder aus Mitleid? Mit einem Obdachlosen?“

„Ahahaha! Ich platze vor Lachen, Natalja! Ich stelle mir das Gesicht des Moldawiers vor, als er einen Bullen in der Wohnung vorfindet.“

„Das würde ich gerne sehen. Eine Kamera installieren und sich die Reality-Show anschauen.

„Bringen Sie den Duft nördlicher Nächte mit!“ Pardon, aber davor müsstest du an vergammelten tatarischen Teigtaschen riechen und ein Gespräch mit dem Moldawier überstehen, was gar nicht so einfach wäre.“

Am Flughafen wimmelte es von Menschen. Etwas sagte Stella, sie sollten nicht nach Moskau fliegen. Wenn der Moldawier nach Hause käme und den Fall der Polizei meldete, würden wohl alle Flughäfen sofort durchsucht werden.

Andererseits wussten sie, dass er ein Date hatte und schon angekündigt hatte, dass er spät zurückkommen würde. Umziehen würde er sich eher nicht, er war ja ein begehrter Bräutigam auf seinem Markt. Das war gewiss komisch, trotzdem war in ihrer Situation besondere Vorsicht geboten.

„Wollen wir lieber mit dem Bus fahren? Vorsichtshalber“, schlug Stella vor. „Wir einigen uns direkt mit dem Busfahrer, dann brauchen wir unsere Pässe nicht an der Kasse zu zeigen. Das wäre sicherer.“

„Ja, du hast recht.“

Zum ersten Mal hörte Stella demütige Worte von ihrer Freundin. Unterwegs zum Busbahnhof wechselten sie bange Blicke und wurden erst ruhiger, als sie im Bus saßen.

„Uh! Moskau glaubt den Tränen nicht. Und uns auch nicht.“

„Nein, Stella. Uns glauben alle.“

„Tja, das sollten sie lieber nicht tun.“

Die Reise war mühsam und schien kein Ende zu nehmen. Im Bus stank es nach Essen. Eine Gruppe Männer trank die ganze Zeit Bier, aß dazu getrockneten Fisch und ließ den anderen Fahrgästen keine Ruhe. Auf ihren Handys lief Musik wie die der Band Leningrad. Der Fahrgastraum war widerlich muffig und dumpf.

In Moskau angekommen gingen die Mädchen gleich, sich die Wohnung anzuschauen, die sie im Voraus reserviert hatten.

Die Bude sah anständig aus. Sie lag in der Nähe der U-Bahnstation Otradnaja. Es gab zwei Zimmer mit Balkon und eine separate Küche. Die Fußbodenheizung stellte in einer so kalten Stadt wie Moskau einen besonderen Vorteil dar.

„Wie lange wollen Sie hier wohnen?“, fragte die Maklerin.

„Mindestens zwei Monate. Das hatte ich Ihnen doch am Telefon gesagt.“

„Gut. Aber ich muss das Datum Ihres Auszugs zehn Tage im Voraus wissen.“

„Wir melden uns, wenn es so weit ist. Danke.“

Als sich die Tür hinter der Maklerin schloss, umarmten sich die Mädchen und hüpften vor Glück herum. Sie redeten überschwänglich von der Zollkontrolle an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland. Unterwegs hatten sie keine Möglichkeit gehabt, dieses empfindliche Thema unter vier Augen zu besprechen.

„Ich war kurz vorm Herzinfarkt, als der Zollbeamte meinen Pass anstarrte wie die Mona Lisa.“

„Mein Herz hat eine Minute ausgesetzt! Ich habe mich schon auf einer kalten Knastpritsche gesehen.“

„Es gab wenig Licht an der Grenze und der Zollbeamte war schläfrig oder ganz betäubt von dem Gestank im Bus.“

„Tja, dieser Gestank hat uns geholfen, ohne böse Überraschung über die Grenze zu kommen.“

„Ich habe echt Angst gehabt. Wir sind ja Verbrecherinnen. Früher oder später finden sie uns auch in Russland.“

„Das wird sie aber schon etwas Mühe kosten“, erwiderte Natalja.

„Weißt du, ich würde inzwischen auch einen Japaner heiraten, wenn ich nur nicht ins Gefängnis muss.“

„Erzähl mir keine Horrorstorys. Ich würde lieber in den Knast gehen, als einen Japaner zu heiraten.“

„Nur gut, dass ich nach Genf gehe. Dort leben wenigstens normal große, weiße Menschen mit richtigen Augen. Schade, dass du nicht mitkommst. Das wirst du eines Tages bereuen.“

„Ich kann nicht so schnell und plötzlich nach Genf. Das wäre für mich der Horror gewesen.“

Bis die Dokumente fertig waren, fickte Natalja die Hälfte der männlichen Bevölkerung Moskaus durch.

Stella kam mit ihr mit, lernte einen sympathischen Jungen kennen und zog mit ihm durch die Klubs oder von einer Party zur anderen. Natalja konnte zuerst kaum glauben, dass Stella nicht mehr so langweilig war und das Klugscheißen aufgegeben hatte. Im Gegenteil, sie gab mit einem Mal ordentlich Gas. Außerdem lernte Stella Japanisch. Sie begann mit ein paar Sätzen, die eine Frau braucht. Ihre Schuhgröße zum Beispiel, siebenunddreißig, hieß auf Japanisch „san ju nana“. Dazu kamen viele andere Wörter, bei denen es meistens um die Bestellung von Speisen und Getränken im Restaurants ging. Sie fand diese Sprache cool, wenn auch ein bisschen ulkig.

Natalja lernte Französisch. Sie plauderte per Skype mit allen möglichen Franzosen rund um den Globus in der Hoffnung, eine der schwierigsten Sprachen der Welt zu erlernen. Das wollte sie so schnell wie möglich erledigen und kam dabei sehr gut voran. Natalja versprach jedem im Chat, gerade ihn bald in Frankreich zu besuchen. Natürlich freuten sich die Männer auf diese Aussichten und übten mit der schönen Gaunerin stundenlang ihre Sprache. Wie immer lief alles unter ihrem Motto: Alle sind Scheiße, und ich bin Königin!

Die Mädchen nutzten ihre Zeit in der russischen Hauptstadt gut. Mehr als fünfzehn Geschäfte nach fast dem gleichen Schema fädelten sie ein. Aber die Maßstäbe in Moskau waren schon um einiges größer. Statt Wohnungen vermieteten sie ganze Arbeiterhostels. Kaum waren die Bewohner zur Arbeit gegangen, brachten sie neue Brigaden auf deren Plätze. Die Unterkünfte wurden schnell bezogen, den Mietern legten sie gefälschte Eigentumsdokumente vor. Gewöhnlich achteten die Leute nicht besonders auf die Echtheit des Notarsiegels oder Stempels. Es wäre aber hilfreich, den Menschen beizubringen, wie man solche Situationen vermeidet, in die sie meist durch ihren eigenen Leichtsinn geraten. Seit damals sind mehr als zwölf Jahre vergangen. Inzwischen sind die Menschen vorsichtiger geworden. Es gibt nun Überwachungssysteme, Kameras, kurzum, Fortschritt.

Der Tag des Abschieds rückte näher. Stella sollte die Reise als erste antreten, weil ihr Platz früher reserviert war. Ihre Nerven wurden allmählich schwächer. Sie war gereizt. Stella hatte den Eindruck, dass alles was sie tat, völliger Unsinn oder jedenfalls ein Fehler war. Außerdem ihre Beziehung zu Nikita sie nicht zur Ruhe kommen. Den Mann, mit dem sie letzte Monate verbracht hatte, konnte sie nicht vergessen. Er war ein gebürtiger Moskauer, höflich, angenehm, still und ruhig. Er beeilte sich nie wirklich, erledigte aber trotzdem alles rechtzeitig. Zu Stella war er zärtlich, umarmte sie, streichelte und küsste ihre Hände. Das Mädchen dachte, sie hätte ihr Glück und ihre Ruhe gefunden. Er war groß, sogar sehr groß, hatte dunkles Haar und braune Augen. Sie hatte sich ihr Glück immer mit solchen braunen Augen vorgestellt. Einen leidenschaftlichen Liebhaber konnte man ihn kaum nennen, aber er war von zärtlicher Ausdauer. In seinen Armen bekam sie am ganzen Körper Gänsehaut vor Lust. Genau so nannte sie ihn in Gedanken: „meine Gänsehautliebe“.

Die Emotionen in dieser Beziehung konnte man natürlich nicht mit elektrischen Ladungen vergleichen, aber Nikita war doch keine schlechte Wahl.

Stella hatte ihn nicht ernst genommen. Sie liebte bewegliche Menschen und Sport. In ihrer Schulzeit hatte sie an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen. und meistens gewonnen. Dafür gab sie hundert Prozent, koste es, was es wolle. Sie hatte sich mit kräftigen, sportlichen Jungen getroffen, die einen starken Charakter hatten und Wort halten konnten. Stella sagte, sie möge echte Männer, keine Schwuchteln. Nikita sah dagegen eher wie ein warmer Bruder als wie ein harter Mann aus. Ein Weichling mit dünnen Ärmchen. Beim Sex mit ihm spielte Stella immer die erste Geige.

Stella verabschiedete sich von ihrem guten Nikita, der mit dem gekränkten Gesicht eines unglücklichen, verlorenen Kindes dastand. Sein Aussehen weckte Stellas mütterliche Gefühle. Sie brach in Tränen aus. Im Gegensatz zu ihm wusste sie sehr gut, dass es ihr letztes Treffen war.

Natalja saß wütend zu Hause und wartete auf Stella.

Sie war sauer auf ihre Freundin, weil diese ins Land der Zwerge reiste und sie im Stich ließ. Dafür fand sie einfach keine Erklärung. Vieles veränderte sich in der Beziehung der Mädchen während dieser letzten Zeit. Natalja hatte sich an ihre „Schlange“ gewöhnt, und vielleicht liebte sie sie sogar ein wenig. Oder war es nur die gewöhnliche Angst, allein zurückzubleiben, die die arme Blonde quälte? Als Stella in die Wohnung kam, sah sie das besorgte Gesicht der Weggefährtin und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. In dieser Minute tat es ihr leid, dass sie diese überstürzte, unbesonnene, auf Emotionen und Ressentiments beruhende Entscheidung getroffen hatte. Der verdammte Job als Notarin und der gemeinsame Arbeitsalltag hatten sie beide restlos aufgefressen. Skandale und andere Probleme brachten sie dazu, den Schritt zu gehen, den sie vor drei Monaten gewagt hatten.

 

Aber heute! Heute ist alles anders! Ganz anders! Ich bin selber schuld! Mein verdammter Charakter! Ich konnte nicht nachgeben! Ich dachte, so wäre es besser! Sie hat mich verrückt gemacht mit ihren Zicken! Aber warum ist das nicht mehr wichtig? Alles ist vor meinen Augen anders geworden! In kurzer Zeit! Ich will in dieses verfluchte Genf! Scheiß auf das Tanzen! Das kann ich lernen! Aber nein, jetzt ist nichts mehr daran zu ändern…

„Ich komme! Du wirst sehen!“

„Ich warte auf dich! Jetzt schon! Du bist noch gar nicht weg, du Schlange! Aber ich warte schon auf dich!“, rief das Mädchen durch ihre Tränen.

Sie gingen hinaus auf die Straße. Das Taxi war bereits da. Natalja knallte die Tür zu, als Stella im Wagen saß. Sie versuchte die Lage zu entspannen, indem sie vor dem Autofenster eine Äffin darstellte, die sich mit einem Finger stieß. Das sollte Sex mit Japanern bedeuten. Stella brach in ein heiseres Gelächter aus, das durch die Tränen aus ihrer Seele brach. Diesen Moment behielten die beiden Mädchen für immer in Erinnerung.

Allmählich kam auch für Natalja die Zeit, sich auf die Abreise vorzubereiten. Sie lief im Galopp durch ganz Moskau, um sich so viele rosa und hellgrüne Striptease-Kleider wie möglich schneidern zu lassen. Sie kaufte Highheels, die so hoch waren, dass sie ihr mindestens zwanzig Zentimeter zusätzliche Körpergröße einbrachten. Sie ließ ihre Haare verlängern, freilich ohne jeden Grund, besorgte sich verschiedene Körpercremes mit Glitzer, weil sie meinte, sie hätte Zellulitis an den Oberschenkeln, die aber nur für sie selbst sichtbar war. Sie nahm noch ein paar Stunden Pole-Dance-Unterricht, um ihre Professionalität zu überprüfen. Sie ließ Begleitmusik für ihre Show aufnehmen. Sie erledigte alles, was sie vor der Abreise noch hatte tun wollen.

Sie vermisste Stella sehr. Die spitzzüngigen Ratschläge und die Kritik der Freundin fehlten ihr. Sie telefonierten meistens nachts. Wenn Stella aufwachte, war in Japan schon heller Tag, aber in Moskau, wo sich Natalja befand, herrschte noch tiefe Nacht, etwa um drei Uhr morgens. Natalja schrie Stella an, weil sie sie immer aufweckte. Aber meistens hielt sich Natalja um diese Zeit in einem der Klubs der Stadt auf, wie immer, mit weiß Gott wem. Mit Vergnügen plauderte sie mit ihrer Freundin über alles. Die Gespräche in angeheiterter Stimmung hatten den Effekt, dass ihre Freundschaft zu einer festen, unzerbrechlichen Verbindung wurde. Beide waren der Meinung, dass sie sich noch nie so prächtig verstanden hätten wie jetzt. Stella erzählte, sie habe sich durch ihre neuen, unglaublichen Erlebnisse völlig verändert und die Angst vor der Tanzstange überwunden. Jetzt tanze sie im Klub in einer Show. Das sehe zwar noch eher wie ein Samurai-Tanz aus, als wie der weibliche Auftritt einer Geisha, aber sie gebe sich große Mühe. Und sie habe sogar gelernt, kopfüber an der Tanzstange zu hängen. Innerhalb eines Monats habe sie ziemlich zugenommen. Alkohol und leckeres Essen hätten noch niemanden zu einer vollkommenen Körperform gebracht. Die Japaner lüden sie jeden Tag in verschiedene Lokale ein, wo vier Meter lange Tische voll mit Leckereien aus Fisch und Meeresfrüchten beladen seien. Gewöhnlich nehme ein Japaner eine ganze Gruppe von Mädchen mit. Anscheinend solle das seine Solidität unterstreichen. Im Klub arbeiteten ungefähr zwanzig Personen. Acht von ihnen seien Rumäninnen. Sie seien heruntergekommen und hämisch wie Zigeunerinnen. Sie hassten Russinnen und Ukrainerinnen, stritten und kämpften um jeden Kunden.

Seltsamerweise höre der Besitzer auf sie und glaube ihnen aufs Wort, als ob er von Voodoo-Puppen verhext wäre. Aber Stella müsse zugeben, dass sie sehr schön und arbeitsam seien und gut tanzten.

Sex mit Kunden sei verboten. Viele Mädchen hätten Verehrer außerhalb des Klubs und ließen sich von ihnen aushalten. Aber im Klub selbst dürften sie nur trinken und tanzen, sonst nichts. Gleich nach ihrer Ankunft habe sie es, wenig überraschend, geschafft, sich mit dem reichsten Klubgast zu zerstreiten. Sie hätte angeblich zu laut geredet. Seitdem lasse man sie nicht mehr mit ihm trinken, was zur Minderung ihres Lohns geführt habe. Aber Stella saufe sich allein in der Klubküche den Mut zum Pole Dance an.

„Braves Mädchen! Scheiße!“, dachte Natalja. „Stille Wasser sind tief…“

Die Schicht dauere von abends um acht bis vier Uhr morgens. Danach gehe sie schleunigst in die Bar und schieße sich dort total ab. Entweder aus Langeweile und Kummer oder aus Freude, der Grund sei ihr selbst unklar.

An den Wochenenden gehe sie in eine Disco, wo Schwarze Breackdance tanzten. Ein Japaner beginne sie anzumachen. Der schöne, hochgewachsene Mann habe sie eingeladen, am Wochenende mit ihm Disneyland zu besuchen. Er heiße Jamoguchi. Natalja fiel fast um, als sie diesen Namen hörte.

„'Ich bin mächtig'? Ernsthaft? Ahahahaha!“

Stella wusste, wie man die Leute zum Lachen bringt. Es war auch interessant, etwas über die Männerprostitution und den Alkoholkonsum zu erfahren. Stella erzählte, wie Männer bei Frauen an der Bar um einen Drink bettelten und versuchten, sie auf verschiedene Art und Weise zu belustigen. Sie tanzten, sangen, machten akrobatische Kunststücke, zog die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich, so gut sie konnten, um auf deren Kosten zu trinken. Dabei ließe sich seltsamerweise nicht gleich erkennen, ob es Japaner waren oder Philippiner.

Die Geschichten über die kleinen Japaner machten Natalja derart Spaß, dass sie mit Ungeduld auf jeden Anruf ihrer Freundin wartete. Alles Neue und Unbekannte lockte sie.

Als sie nach langen Gesprächen in die Disco zurückkam, konnte sie sich oft nicht mehr daran erinnern, mit wem zusammen sie gekommen war. Einmal ging Natalja noch fast nüchtern auf einen Mann im blauen Hemd zu, mit dem sie glaubte, den Abend angenehm verbringen zu können, und begann ihn zu umarmen, ohne sein überraschtes Gesicht zu bemerken. Da tauchte vor ihr ein anderer Typ mit einem ebenso blauen Hemd, fragendem Blick und geballten Fäusten auf und fragte:

„Mit wem bist du denn hierhergekommen?“

Die kuriose Situation endete damit, dass sie, auch als der zweite Mann im blauen Hemd vor ihr stand, diese Frage nicht klar und adäquat beantworten konnte. Frech betrachtete sie die Gesichter der beiden und versuchte, darin bekannte Züge zu erkennen.

Das Warten auf den Vertrag war eine Qual für Natalja. Sie wurde des Herumsitzens in den Bars bald überdrüssig. Die blöden Arschlöcher, die sie dort traf, waren nach ein paar Flaschen sowieso alle gleich. Deshalb beschloss Natalja, in Erwartung eines Wunders, selbst Stella anzurufen und sie nach den neuesten Ereignissen in ihrem Leben zu fragen.

„Moschi, Moschi!“ So meldet man sich in Japan am Telefon.

„Hallöchen, meine Süße! Was machst du gerade?“

„Ich saufe, vor lauter Sehnsucht nach dir.“

„Klasse, ich auch.“

„Na, erzähl mir von deiner Arbeit. Was machst du da alles? Ich brauche schmutzige Details!“

„Es gibt leider keine!“

„Ah so! Also, leider sagst du, trotz allem?“

„Ich würde gerne mal die Sau rauslassen, wenn du das meinst! Aber hier ist tote Hose!“

„Ich bin so traurig ohne dich! Alle kommen mir so einerlei und uninteressant vor.“

„Glaub mir, in der Ukraine sind die Typen top! Hier in Japan sind sie alle gleich. Ich komme auf die Arbeit, gehe in die Umkleide, schminke mich und mache Frisur. Das Haar muss schön frisiert sein, so steht es im Vertrag. Um punkt zwanzig Uhr muss ich mit allen anderen an einem großen Tisch in der Mitte des Klubs sitzen und auf Kunden warten. Wenn der erste Kunde erscheint, stehen alle Mädchen auf und grüßen:

„Konbanwa.“ – Guten Abend auf Japanisch. Der Japaner geht langsam weiter, schaut sich die Mädchen an und nimmt im Saal Platz. In diesem Moment beginnt das Showprogramm mit dem Blumenverkauf.

Erinnerst du dich, wie Darja uns davon erzählt hat?“

„Ja, vage. Und was weiter?“

„Nachdem der Gast sich hingesetzt hat, führt eine Mitarbeiterin des Klubs, sie werden Hostess genannt, die Mädchen zu seinem Tisch. Der wählt aus, oder lädt sie alle ein, sich zu ihm zu setzen. Bei einem Japaner können mehrere Mädchen sitzen, wenn er bereit ist, für sie alle Getränke zu bestellen, die gerade nicht billig sind. Die Auswahl an Drinks ist nicht groß. Saft, Pflaumenwein oder Rum mit Cola. Alle Getränke werden dem Kunden zum gleichen Preis angeboten. Aber nach meiner Ankunft wurde der Rum von der Karte gestrichen. Sie haben dort noch nie gesehen, dass ein Mädchen so viel trinkt.“

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