Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand

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11. Wohnzimmer Strauch

Auf dem Briefkasten klebt ein Zettel mit der Aufschrift Keine Werbung, keine Vertreter. Rechts neben der Haustür weisen zwei Klingelknöpfe auf die Bewohner hin: Katharina Strauch und darüber Lukas Strauch. Dem Läuten folgt Hundegebell. Muckel wendet sich an Staatsanwalt Gruber und seinen neuen Partner Kommissar Brand.

»Das ist ein kleiner Hund. Wahrscheinlich Yorkshire Terrier, also völlig harmlos.«

Katharina Strauch öffnet mit einem strahlenden Lächeln, während sich ein beigebraunes Knäuel auf Muckels linkes Bein stürzt und sich im hinteren Hosenaufschlag verbeißt.

»Herr Kommissar, ich wusste, dass Sie wiederkommen. Haben Sie das perverse Schwein endlich eingebuchtet?« Doch Muckel hat keine Zeit für eine Antwort, da er mit dem Hund beschäftigt ist.

»Guten Tag, Frau Strauch. Ich bin Staatsanwalt Gruber und habe hier einen Durchsuchungsbeschluss. Oberkommissar Muckel kennen Sie ja schon und Kommissar Brand wird uns unterstützen. Zunächst haben die beiden Herren jedoch einige Fragen. Sie brauchen nicht zu antworten, wenn Sie sich damit selbst belasten.«

Sie achtet überhaupt nicht auf seine Worte, sondern verfolgt fasziniert das Spiel ihres Hundes. Auch Muckel ist für einen Moment abgelenkt.

»Anhängliches Kerlchen. Aber sagen Sie mal, was ist das denn für eine Rasse?« Dabei hebt er sein linkes Bein mitsamt dranhängendem Hund in die Höhe, sodass der herumzappelt und deutlich aggressiver knurrt.

»Unser Rasta ist eine Mischung aus Yorkshire und Terrier.«

Die Auskunft scheint Muckel nicht zufriedenzustellen. Er hält den Hund am Hosenbein weiterhin in der Luft.

»Ein Yorkshire ist doch schon ein Terrier.«

»Ja, aber in Rasta steckt zusätzlich ein gefährlicher Jack Russell.«

Muckel sieht sich den am Hosenaufschlag zappelnden Hund genau an.

»Meine Verlobte hat auch eine Yorkshire-Hündin. Sie heißt Daisy. Die ist aber nicht so aggressiv.«

»Rasta, aus! Pfui ist das. Der Herr ist nicht von den Zeugen Jehovas. Wissen Sie, Herr Kommissar, seitdem wir Rasta haben, belästigen uns weder die Vertreter von Vorwerk noch die Spione der GEZ. An die Polizei muss er sich erst gewöhnen.«

Sie fasst den Hund im Nacken, will ihn wegziehen. Als Erfolg zerren nun beide vereint an Muckels Hose und der droht umzukippen. Kommissar Brand eilt hinzu und stützt ihn. Ein von Frau Strauch zur Ablenkung hingehaltenes Leckerli verschmäht Rasta und schüttelt stattdessen den Hosenaufschlag noch kräftiger. Erst als sie ihm mit der Hand die Schnauze öffnet, lässt er ab, nicht ohne ein warnendes Knurren in Richtung Muckel auszustoßen. Der betrachtet besorgt sein Hosenbein, das an der hinteren Bügelfalte vier gleichmäßige Löcher aufweist.

»Frau Strauch, einige Dinge sind noch unklar und deswegen benötigen wir Ihre Hilfe.«

Ihr Lächeln wird breiter. Während sich Brand im Wohnzimmer umsieht, zückt Muckel sein Notizheft und schlägt die vierte Seite auf. Kurzfristig kommt ihm der Gedanke, ob Judit Klamms roter String-Tanga nicht doch hilfreich sein könnte.

»Frau Strauch, würden Sie uns bitte die Postkarten Ihres Mannes aus Berlin zur Verfügung stellen?«

Ihr Lächeln wirkt in der nächsten Sekunde verkniffen.

»Tilmans Postkarten? Was haben die denn mit der verschwundenen Nachbarin zu tun?«

»Eventuell finden wir Ihren Mann damit. Sie wären doch bestimmt froh, wenn er sich melden würde, oder?«

Er bemerkt ihr krampfhaftes Schlucken, bevor sie antworten kann.

»Ja, natürlich. Obwohl? Nein, ich habe mit ihm abgeschlossen. Wenn er eine neue Beziehung hat, soll er damit glücklich werden und mich in Ruhe lassen.«

»Wir haben Ihr gemeinsames Konto überprüft und wollten wissen, ob er noch Geld einzahlt oder abhebt. Die einzigen Einzahlungen kommen jedoch von seinem ehemaligen Verlag, der ihm monatlich etwa dreitausend Euro Honorar für die laufenden Tantiemen überweist. Er selbst hebt kein Geld ab, benutzt weder seine EC-Karte noch die Visa Card. Alle übrigen Abhebungen und Daueraufträge stammen von Ihnen. Finden Sie das nicht merkwürdig?«

Bei dem letzten Satz hat sie ihr Lächeln komplett verloren und ist leicht in sich zusammengesunken.

»Wieso? Ich darf doch über mein Konto verfügen. Das geht Sie überhaupt nichts an. Und was hat das mit der verschwundenen Bettina zu tun?«

»Sehen Sie, da sind wir auch schon bei den Ähnlichkeiten. Ihr Mann wird vermisst und die Nachbarin ebenfalls.«

Sie fuchtelt mit den Armen.

»Nein, Tilman wird nicht vermisst. Niemand hier im Ort oder der Straße will ihn wiederhaben. Er kann meinetwegen da bleiben, wo der Pfeffer wächst.«

Auf Blatt fünf des Notizblocks erscheint ein Herz, das von einem Blitz getroffen wird.

»Sie scheinen aber von seinem Verdienst gut zu leben. Wir finden es jedenfalls merkwürdig, dass Ihr Mann ohne Spuren zu hinterlassen verschwunden ist. Geld scheint er auch nicht zu benötigen. Das kommt Ihnen doch sicher entgegen?«

Der Blitz im Notizbuch wird durch das Gewitter in ihren Augen weit übertroffen.

»Kommen Sie nur nicht auf die Idee, mir die Verwendung meines Geldes vorwerfen zu wollen. Ich darf damit machen, was ich will.«

Neben dem Herz ist eine Dollarnote zu erkennen, die senkrechten Striche sind als Wellenlinien ausgeführt.

»Wir möchten uns gerne einen Überblick über Ihr Haus und den Garten verschaffen.«

Sie zuckt zusammen, als wäre der Blitz direkt neben ihr eingeschlagen.

»Überblick? Sie meinen, Sie wollen hier herumspionieren? Das kann ich auf keinen Fall erlauben. Wozu soll das denn gut sein?«

Sie hält die Fäuste in die Hüften gestemmt. Ihr Blick schwankt zwischen den Nuancen ›Erbost‹ und ›Ängstlich‹. Rasta steht auf dem Sofa neben ihr und sendet ebenfalls ein Knurren in Muckels Richtung.

»Wir erhoffen, Beweismaterial zu finden, das in Verbindung mit mindestens einer der vermissten Personen stehen könnte.«

»Beweismaterial? Nicht in meinem Haus. Hier sind Sie völlig falsch. Suchen Sie besser bei den Rohwinkels, da werden Sie mit Sicherheit fündig.«

Sie bewegt sich vorwärts, hält ihre Hände vor sich, als wenn sie den Kommissar damit herausdrängen möchte. Rasta springt vom Sofa und versucht, Muckel zu umgehen, um von hinten anzugreifen. Brand drängt ihn mit dem Fuß zur Seite. Doch der Hund ist flink, weicht aus und greift erst an, als sich der Kommissar der Vernehmung widmet. Diesmal hat Brand die Taktik durchschaut. Er verpasst Rasta einen Fußtritt, der ihn unter das Sofa befördert. Er kommt auch nicht wieder hervor, sondern behält aus sicherer Stellung heraus die beiden Kommissare im Auge. Sein Frauchen wird energisch und schreit die drei an.

»Sie sind hier eingedrungen und haben meinen Hund getreten. Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, dann …«

Staatsanwalt Gruber, der sich im Kampf Rasta gegen Muckel zurückgehalten hat, geht drei Schritt auf sie zu. »Frau Strauch, Sie haben mir anscheinend nicht richtig zugehört. Wir haben hier einen Durchsuchungsbeschluss. Es gibt eindeutige Beweise, dass von einem Fenster dieses Hauses Aufnahmen gemacht wurden, die für eine Auffindung der vermissten Bettina Hofer-Rohwinkel zweckdienlich sein können. Drei Beamte warten vor der Tür und werden Computer, Drucker und einige Akten sicherstellen. Außerdem möchte ich Sie bitten, Ihren Sohn Lukas zu rufen. Wir haben auch an ihn Fragen.«

Das selbstzufriedene Lachen ist Katharina Strauch im Hals stecken geblieben. Sie schluckt dreimal.

»Sie können doch nicht … Sie, das ist eine Unverschämtheit, das ist …«

Brand öffnet die Haustür. Drei Uniformierte drängen hinein. Rasta hat sich komplett unter das Sofa verzogen und kläfft aus sicherer Deckung heraus.

»Das ist ein unerlaubter Angriff auf unsere Privatsphäre, oder wie sich der Paragraf nennt.«

Gruber hebt beschwichtigend beide Hände.

»Sie werden gleich sehen, um was es geht, Frau Strauch. Holen Sie bitte Ihren Sohn herunter.«

Brand ist schneller und trabt bereits die Treppe hoch. Zwei Polizisten wuchten Kunststoffkisten hinauf. Von oben ist Geschrei zu hören.

»Geh vom Computer weg! Das ist mein Handy, sofort her damit.«

Dann erscheint Lukas Strauch auf der Treppe. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein, er wird von Brand vorwärtsgeschoben.

»He, der will mich runterschubsen. Mom, hast du das gesehen? Das ist ein unerlaubter Angriff auf meine Rechte. Tu doch was. Schmeiß sie raus.«

Brand hält ein Handy hoch.

»Ich habe ›Dateien gelöscht‹ noch auf dem Monitor erkannt. Die stellen wir aber wieder her. Dann wollte er etwas auf dem Smartphone löschen. Der junge Mann hat augenscheinlich eine Menge zu verbergen.«

Der so Angeredete mag die Behandlung überhaupt nicht und schubst Kommissar Brand zurück.

»Du fasst mich nicht an. Das ist verboten.«

Staatsanwalt Gruber will schlichten und hält den Zettel hoch.

»Dies hier ist ein Durchsuchungsbeschluss. Damit haben wir sehr wohl das Recht, in der gesamten Wohnung nach Beweismitteln zu suchen. Wenn Sie, wie ich soeben gesehen habe, aggressiv reagieren, wird das als strafbarer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ausgelegt. Also setzen Sie sich bitte ruhig auf den Stuhl und beantworten unsere Fragen.«

Die Ansprache scheint zu wirken. Lukas Strauch wird deutlich kleinlauter und sendet hilfesuchende Blicke an seine Mutter. Muckel lässt sich das Handy reichen.

»So, dann wollen wir doch mal sehen, was es denn so Wichtiges zu löschen gibt. Das ist der Vorteil an den modernen Smartphones, man braucht nicht lange suchen. Jedenfalls, wenn es noch nicht ausgeschaltet ist und wir nicht erst die PIN umständlich herausfinden müssen. So, die App ›Bilder‹ anklicken, schon haben wir eine perfekte Übersicht. Sieh mal einer an! Ist das nicht Miriam Rohwinkel in ihrem Zimmer? Wieso hat sie keine Kleider an? Ist das Zufall? Nein, doch nicht, es gibt eine ganze Serie von Nacktaufnahmen von ihr. Da werden wir bestimmt die zugehörige Kamera finden. Das wurde nämlich mit einem Dreihundert-Millimeter-Teleobjektiv aus deinem Zimmerfenster aufgenommen, wie wir bereits von einem anderen Foto wissen. Kannst du mir erklären, wie die auf das Handy kommen?«

 

Lukas hat einen roten Kopf bekommen und sieht auf den Boden.

»Die wurden mir über WhatsApp zugespielt, anonym. Keine Ahnung, wer das gemacht hat.«

Katharina Strauch scheint wenig begeistert zu sein, ihrem Sohn beistehen zu müssen. Mit offenem Mund schaut sie auf das Bild.

»Lukas, das ist … das war doch nicht deine eigene Idee? Wer steckt dahinter?«

Der Staatsanwalt ist dazugekommen und sieht auf das Handy.

»Sehen Sie, allein wegen der Fotos hat sich die Durchsuchung gelohnt. Aber deswegen sind wir überhaupt nicht hier. Wir suchen ähnliche Aufnahmen von der verschwundenen Bettina Hofer-Rohwinkel. Die werden wir eventuell auf dem Computer finden. Alles wird mitgenommen, auch der PC der Dame hier. Man weiß ja nie. Und um Ihr Handy möchte ich Sie ebenfalls bitten.«

Von oben ist ein Ruf zu hören. Einer der Polizisten erscheint auf dem Podest.

»Wir haben die Kamera. Eine Nikon mit Zoom-Objektiv. Fünfundfünfzig bis dreihundert, wie erwartet. Allerdings kein Bild im Speicher. Den PC knackt unsere technische Abteilung. Das sollte das geringste Problem sein, wenn er nicht so eine Superlöschsoftware benutzt hat.«

Lukas’ zusammengesunkene Gestalt signalisiert, dass dieses nicht der Fall ist. Ein zweiter Beamter schwenkt etwas in der Hand.

»Spraydosen, elf Stück. Und hier das Buch: ›Graffitivorlagen für Bahnhof und Züge‹.«

Muckel nimmt das beschlagnahmte Handy und blättert in Lukas Terminkalender.

»Moment, hier steht G-Bahnhof Sa, So, Di 01:00. Was das wohl heißt?«

Dann sieht interessiert auf die Spraydose und danach in das Notizbuch.

»Und du wolltest Miriam Rohwinkel mit zum Güterbahnhof nehmen?«

Mit einem Lächeln um die Mundwinkel malt er neue Symbole in sein Heftchen. Es werden ein L und ein M in einem Herz und zwischen den Buchstaben ein Fragezeichen.

»Für heute muss das reichen.«

12. Vorraum zum Keller

Die Ellbogen auf dem Tisch abgestützt hält er den Kopf zwischen den Händen und rauft sich die Haare. »Ich habe es dir gesagt. Sie wird niemals kooperieren, eher geht sie drauf. Ich brauche jetzt unbedingt ein Bier. Möchtest du auch eins?«

»Zugegeben, die Anfangsphase ist nicht angenehm für sie und der kalte Entzug macht sie aggressiv. Und deshalb, nein, Bier reicht nicht für die seelische Kompensation meines Mitleids. Oben rechts im Schrank müsste noch ein Bisquit Dubouché stehen, ein ausgezeichneter Cognac. Bring bitte zwei große Schwenker, die findest du links unten.«

Erstaunt sieht er sich um. »Wie, hier in diesem verlassenen Ort hast du Gläser und einen extra alten Cognac versteckt? Wie ich sehe, du bist meiner Planung weit voraus. Trotzdem bleibe ich dabei, so einfach wird sie nichts ausplaudern.«

»Von Abwarten verstehst du nicht besonders viel, was? Wir sind momentan in der Phase, in der wir lediglich ihre Bereitschaft zur Kooperation erwarten. Der Anfang dazu ist gemacht: Sie hat den Zettel gelesen.«

»Ja, aber …«

»Keine Widerrede! Du immer mit deinem ›Ja, aber‹. Ich sage dir, spätestens übermorgen wird sie ihre Situation realistisch einschätzen und wir bekommen eine erste Reaktion. Und wer spricht von Ausplaudern? Sie soll gezielt projizieren, sich die Seele freireden, oder besser, freischreiben.«

Er stellt zwei Schwenker auf den Tisch, schenkt ein und lächelt.

»Der Cognac ist überhaupt nicht für dich. Du hast geahnt, dass ich den nötig habe.«

»Nimm dich nicht so wichtig.«

Sein Lächeln verschwindet.

»Freischreiben, wie kann das funktionieren?«

»Wir lassen ihre Verbindungen zur Mafia zunächst außen vor und fangen von vorne an, mit ihrem Mann. Du weißt, er ist die eigentliche Ursache für das ganze Dilemma.«

»Dann sollte er da unten sitzen.«

»Wir dürfen nichts überstürzen. Das entscheiden wir, wenn wir ein Ergebnis haben.«

»Gut, soll sie zuerst die Sache mit der Reflexion erledigen. Aber ihre mafiösen Verstrickungen mit den Fahrten nach Neapel kommen auch noch dran, versprochen?«

»Du bist zu ungeduldig, wir müssen abwarten. Es wird Wochen dauern, bis sie dazu bereit ist.«

»Hoffentlich behältst du recht.«

»Habe ich dich jemals enttäuscht?«

»Na, darauf lass uns anstoßen.«

»Auf den Erfolg.«

13. Kellerraum, 29. März

Ungezählte Tage und Nächte lang hatte sie in unregelmäßigen Abständen an die Tür geschlagen und sich Blutergüsse an den Handballen geholt. Auch Fußtritte und Schreie brachten keinen Durchbruch. Ihre Lacroix Fabia hatten sie ihr ja abgenommen, sodass sich die Wechsel der Tageszeiten nur durch das Ein- und Ausschalten der Glühbirne erahnen ließen. Der Boden war inzwischen mit Schnipseln der zerrissenen Blätter übersät. Trotzdem lag vor der Tür jeden Morgen ein neuer Zettel mit derselben Überschrift. Die forderte auf, sich an das Jahr 2012 zu erinnern. Angeblich hätte da etwas begonnen.

Zusätzlich zu dem Blatt lag vor der Türklappe ihre Tagesration: eine Schale mit Milchreis, ein Apfel sowie eine frische Rolle Klopapier. Vergeblich hatte sie ihren Frust herausgeschrien.

»Kaffee, wo bleibt der Kaffee? Ohne den kann ich nicht arbeiten. Und bitte zwei Tabletten aus der Plastiktüte im Kleiderschrank.«

Aber die Tür schwieg sie unerbittlich an. Dabei war es nicht das Koffein, das sie vermisste. Ihre Hände zitterten und ihr Mund wurde trocken, wenn sie nur daran dachte, sich eine Nase voll Kokain reinziehen zu können. Dann wurde es nötig, ihr Verlangen durch einen Liter Leitungswasser zu befriedigen und sich anschließend vor Ekel zu schütteln.

»2012? 2012? Was soll da denn Besonderes vorgefallen sein?«

Aber sie hatte Zeit im Überfluss, die Erinnerungen nach vorne zu holen. Es folgten acht kräftige Fußtritte gegen die Stahltür.

»Leckt mich mit eurem 2012!«

Nach einer Erschöpfungspause auf dem Klappbett mit Glühbirne und tropfendem Wasserhahn setzte sie sich auf den Anglerstuhl, ergriff den Kugelschreiber und erstellte ihre erste Mitteilung.

Ihr Arschlöcher! Was wollt ihr von mir? 2012? Da war überhaupt nichts. Hat Paolo das veranlasst? Dazu hat er keinen Grund. Ich werde wie immer die Klappe halten. Seid ihr von der Konkurrenz? Vergesst es, er findet euch und dann war es das. Und ich will ordentlichen Kaffee und eine Kiste Mineralwasser. Von dem dreckigen Leitungswasser bekomme ich Herpesbläschen.

Danach trat sie noch sechsmal gegen die Tür.

»Macht auf, ihr Schweine, euer Zettel ist fertig.«

Da auf der Gegenseite kein Geräusch zu vernehmen war, beschloss sie, das Blatt in Reichweite der unteren Türklappe auf den Boden neben der leeren Reisschale zu deponieren.

Minuten später schaltete sich die Birne an der Decke aus, ohne dass sie vor der Tür irgendwelche Schritte vernommen hätte. Sie vermutete eine Zeitschaltuhr. Wie an den Abenden davor musste sie im Stockdunkeln den Weg zum Klappbett ertasten und fiel erschöpft und gedemütigt in die Löffelchenstellung.

2012? 2012? Gab es da irgendwas, was die Entführer interessieren könnte?

14. Wohnzimmer Strauch

Auf das Gebell hatte ich mich immer gefreut. Rasta winselt und springt von innen an die Türklinke, um mir zu öffnen.

»Rasta, mein Freud, nicht so eilig. Frauchen macht gleich auf, dann bin ich ja bei dir.«

Ich höre, wie er von der Tür weggezerrt wird. Ihre Stimme klingt eisig.

»Rasta, Platz! Frauchen wird den perversen Frauenmörder auf keinen Fall in ihr Haus lassen. Jens, verschwinde!«

Aufgeben war noch nie mein Ding und bei Kathi kommt das sowieso nicht in Frage. Außerdem bin ich der freundlichste Mensch auf Erden. Zumindest in dieser Straße.

»Mach auf. Wir müssen uns aussprechen. Warum hast du nur so einen Zorn auf mich? Ich habe dir nichts getan.«

»Lügner! Du bist ein egoistischer Halsabschneider und Kettensägenmörder.«

»Du solltest die Wahrheit kennen. Aber du und dein Sohn habt Miriam erpresst. Sexerpresser seid ihr und du die Rädelsführerin.«

Die Tür öffnet sich zwei Zentimeter, die Kette bleibt eingehängt. Rasta steckt die Schnauze durch den Spalt und wedelt heftig.

»Jens, bist du verrückt? Schrei hier nicht so rum. Ich habe mit den Fotos nichts zu tun. Lukas hat die Strafe dafür schon gekriegt. Sein Handy ist weg und er bekommt auch so schnell kein neues. Aber halt endlich deine Klappe, die Nachbarn müssen ja nicht alles mitkriegen.«

Ich grinse und hebe den Finger.

»Aha, auf einmal ist dir der gute Ruf wichtig. Und meiner? Warum glaubst du, mich beschimpfen zu dürfen?«

»Verpiss dich, oder ich ruf die Polizei.«

»Mach auf, sonst schrei ich laut, dass in der Straße eine perverse Sexerpresserin wohnt.«

Die Tür schließt sich. Ein Klirren, die Kette wird ausgehängt.

»Bist du wahnsinnig. Die sehen mich beim Metzger ohnehin merkwürdig an, weil die Polizei im Haus war. Komm rein und sag, was du willst. Dann verschwinde. Aber so was von schnell.«

Rasta springt am Hosenbein hoch und bellt. Dafür wird er vorrangig begrüßt. Ich bücke mich und lasse mir die Hand abschlecken.

»Rasta, mein Liebling, du bist in der Familie der einzige Vernünftige. Und die erkennen sich gegenseitig. Du weißt, dass ich dein Freund bin, nicht wahr?«

»Lass Rasta in Ruhe und sag endlich, was du willst.«

»Ich möchte wissen, warum du so sauer auf mich bist. Wir haben uns doch früher immer gut verstanden.«

Ihre Lippen werden schmal, die Fäuste bleiben geballt.

»Du meinst, als du die Situation nach dem Verschwinden von Tilman rücksichtslos ausgenutzt und mich vergewaltigt hast?«

Aua. So eine Aussage bei der Polizei könnte eventuell zu einem völlig falschen Bild führen.

»Kathi, du weißt, dass das so nicht stimmt. Zugegeben, es war ein Fehler, dich zu küssen. Aber dann bist du mir an die Hose.«

»Ha, der Herr möchte die Tatsachen verdrehen? Ich habe nie was von dir gewollt und wurde überrumpelt. Und damit ich nicht schreien konnte, hast du mir die Zunge in den Hals geschoben. Als Knebel. Ich hätte sie dir damals schon abbeißen sollen, dann würdest du heute nicht so einen Müll reden.«

»Nichts von mir gewollt? Ha, ich habe sogar noch die alten Mails, die du mir geschickt hast. Die wollte ich nicht löschen. Weniger aus nostalgischer Romantik, sondern weil ich immer schon ahnte, dass die später wichtig sein könnten. Willst du sehen?«

Wie von Sinnen greift sie nach dem Handy, aber das halte ich hoch. Sie versucht es mit Springen. Rasta bellt, sie schreit.

»Gib sofort das verdammte Ding her. Das sind meine Mails, die gehören mir und ich darf damit machen, was ich will.«

Ha, jetzt habe ich sie da, wo sie hingehört, im Land der Bettlerinnen.

»Sag bitte, bitte, dann zeige ich sie dir.«

»Bitte Jens, gib mir das Handy.«

Das kann sie vergessen, damit wären ganz schnell alle Beweise weg. Von ihr gelöscht und sie könnte mich weiterhin als Vergewaltiger beschimpfen. Nein, so blöd bin ich nicht.

»Das Handy kriegst du nicht in die Finger. Aber ich lese dir mal einige Ausschnitte deiner Nachrichten vor. ›Jens komm rüber, ich habe keinen Slip an und rubbele mich gerade. Das kannst du doch besser.‹«

Sie kreischt und ich muss das Handy wieder hochhalten. Es sieht anregend aus, wenn sie springt, um es zu erreichen. Rasta bellt lauter.

»Der hier ist gut. ›Jens, ich will dich hier und sofort. Du magst es doch zotig. Also, Hengst, besorg es mir von hinten, ich warte.‹ Danach warst du drei Tage sauer, weil ich abgesagt hatte.«

»Gib das her! Das muss weg. Was denkst du dir eigentlich dabei, das so lange zu speichern? Das sind Sachen von vorvorgestern, die haben überhaupt keine Bedeutung mehr.«

 

Sie ist näher gerückt, wartet, dass ich einen Fehler mache und sie an das Handy kommt. Ha, nicht mit mir. Die Beweise bleiben fest in meiner Hand, da kann ich hart wie Stahl sein.

Sie springt an mir hoch und ich spüre ihre Brustwarzen. Außerdem bemerke ich etwas angenehm Weiches. Auf derartige Zeichen weiblicher Schwäche achte ich besonders. Das bedeutet nicht, dass ich unachtsam werde. Soll die feindliche Agentin ruhig ihre spitzen Nippel einsetzen, ich habe mich zweihundert Prozent unter Kontrolle.

»Jens, sei kein Unmensch. Natürlich war das damals dumm von uns beiden. Und du warst ja auch nicht abgeneigt. Da solltest du nicht so tun, als täte es dir heute leid. Kannst du die Sache mit der Zunge noch? Du bist damit bis unter meinen Gaumen gekommen und das hat tierisch gekitzelt. Ich musste immer so lachen. Dein Kuss wurde dann so heftig, dass ich nur still genießen konnte. Das hast du längst verlernt, stimmt’s? Los, lass mal sehen.«

Sie drängt sich an mich und umfasst meinen Kopf. Was derartige Ausrutscher anbelangt, bin ich standhaft geworden. Früher gab es Momente, da wurde ich allein durch den Anblick spitzer Nippel schwach. Lange vorbei, Schnee von gestern.

Allerdings steckt im Wort ›verlernt‹ eine Herausforderung. Ich selbst will das ja auch wissen, muss das sogar herausfinden. Seit Betti verschwunden ist, habe ich vergessen, wie sich das mit der Zunge anfühlt. Allein die Vorstellung, sie gekonnt zwischen rote Lippen zu schieben, ist einen Versuch wert. Das ist eine rein wissenschaftliche Fragestellung, hat mit Sex oder Liebe überhaupt nichts zu tun. Auch nicht mit Begierde und sexueller Abhängigkeit. So ist das nicht. Es ist legitim herauszufinden, ab man es noch kann. Nach so langer Zeit verlernt man einiges.

Kathi hat bestimmte Techniken augenscheinlich im Hypothalamus verankert. Sie erinnert sich tatsächlich, an welcher Stelle sie bei mir streicheln muss, damit sich die Hose spannt. Sogar das mit dem Reißverschluss hat sie behalten. Für großartige Abwehrbewegungen habe ich im Moment keinen Kopf, die Sache mit der Zunge hat absolute Priorität.

Und Gewalt gegen Frauen ist nicht mein Ding. Selbst dann nicht, als ich auf den Teppich geworfen werde und sie sich auf mich legt. Das ist auch nicht weiter tragisch, denn noch habe ich die volle Kontrolle über ihren Mund. Ich muss versuchen, mit meiner Zunge ihren Gaumen zu kitzeln. Aber da ist eine andere im Weg.

Und Rasta. Der schleckt mir gerade das linke Auge ab. Also beide schließen und sicherheitshalber die Zunge in ihrem Mund lassen, sonst schlabbert er auch daran. Kathi rutscht beängstigend auf meinem Schwanz hin und her. Los, rede mit mir, sag, wie ich es dir besorgen soll. Stimmt, sie kann ja nicht sprechen, ich arbeite mich zungenmäßig vor. Und das beherrsche ich immer noch. Ganz klar habe ich mit der Zungenspitze soeben ihren Gaumen gekitzelt. Wette gewonnen, sie gehört mit Haut und Haaren mir. Dann darf ich aufhören und abwarten, was sie mit mir anstellt. Ich kenne sie, bei so schmutzigen Sachen lasse ich die Augen besser geschlossen.

Doch sie steigt von mir runter. Ich höre eine Tür zufallen. Das Bad. Sie zieht sich sicher aus, legt noch Duft auf und kommt dann zurück. Ich bin für alles bereit.

Rasta hat mein herausragendes Teil entdeckt. Nicht gut. Ich merke erst jetzt, wie riesig es ist. Zehn Finger reichen nicht aus, es komplett vor Rasta in Sicherheit zu bringen. Also ab in die Hose damit und Reißverschluss zuziehen. So langsam könnte sie wieder auftauchen.

Wo ist denn mein Handy geblieben? Vor zwei Minuten hatte ich es noch in der Hand.

»Mach die Tür auf! Gib mir sofort das iPhone zurück. Wehe, du fummelst dran rum, da sind sensible Daten drauf.«

»Ja, hab ich gesehen. Hundert Nachrichten von Judit. Du treibst es also auch mit deiner Schwägerin? Pfui Deibel! Die Mails mit ihr fangen an, als du bei mir keinen mehr hochgekriegt hast. Dann hast du behauptet, es wäre meine Schuld und aus war es mit uns. Was bist du nur für ein mieser Betrüger und Verräter. So, die habe ich jetzt an deine geliebte Bettina weitergeleitet. Da kannst du dir ja überlegen, wie du das erklärst, wenn sie wiederauftaucht. Falls sie überhaupt noch lebt.«

Das hört sich suboptimal an. Mit dem Zeitpunkt hat sie aber recht. Als Judit mich rumgekriegt hat, war ich so fix und alle, dass ich für Kathi …

Die eigene Familie hat da natürlich Priorität. In manchen Ländern ist es eine Frage der Ehre, die Schwägerin nicht zu vernachlässigen. Das haben die vor zwei Monaten im Discovery Channel gebracht. Nur das mit der Zunge hab ich bei Judit weggelassen. Fuselgeschmack trägt nicht zur Förderung der Libido bei. Dann wollte ich die Affäre beenden, doch sie ging ohne mein Zutun weiter. Zum Schluss dachte ich nur an Betti. Mit dem Bild konnte ich mich leistungsmäßig nicht auf andere Frauen konzentrieren. Deswegen wandle ich moralisch gesehen schon lange auf dem rechten Pfad und es war nicht fair von ihr, die Mail weiterzuleiten. Das soll sie ruhig wissen.

»Du bist gemein. Ich war gerade dabei, Betti absolut treu zu werden, und du machst alles kaputt.«

»Ich lach mich schlapp. Du und treu. Wahrscheinlich hat dich sogar deine versoffene Schwägerin achtkantig rausgeschmissen. Und was war das gerade auf dem Teppich? Das nennst du Treue? Du treibst es tatsächlich mit jeder, die sich nicht mit Händen und Füßen wehrt.«

»Da war überhaupt nichts zwischen uns. Du hast mich provoziert mit der dämlichen Zungenwette. So, und wer hat die gewonnen? Natürlich ich. Als dir das klar wurde, bist du ja auch sofort von mir runter und ab ins Bad.«

Es ist immer gut, in diesem vermurksten Ding doch noch einen Erfolg zu erkennen. Für das Ego. Sonst wird man trübsinnig und das kann ich im Moment nicht gebrauchen.

»Du bist und bleibst ein Vollidiot. Hier ist dein Handy. Du darfst alle Fantasien bemühen, was ich im Bad damit getrieben habe. Und jetzt raus oder ich hetze Rasta auf dich.«

Was wollte ich eigentlich von ihr? Ach ja, eine Aussprache. Gütliche Einigung, wie das unter vernünftigen Nachbarn üblich ist. Ohne Streit und Schreierei. An Sex hatte ich vorher niemals gedacht.

»Aber ich habe die Wette gewonnen.«

»Zungenwette? Träum weiter. Ich sage nur, reingelegt. Dann wurde mir dein Schwanz zu gefährlich, deswegen musste ich aufhören. So, nun darfst du abzischen.«

Also hat es sich gelohnt, bei der lieben Nachbarin vorbeizuschauen. Ich konnte meinen Vorsatz einhalten und halte das Handy immer noch in der Hand. Und zusätzlich hat sie mich gelobt. Potenzmäßig wurde ich ihr gefährlich. Hoho. Das gibt gleich ein ganz anderes Selbstwertgefühl. Sie ist von meiner Aura fasziniert und ruft sogar hinter mir her.

»Rasta, fass.«

Der Satz kam herzlich. Ich glaube, mit Kathi ist wieder alles im Lot.

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