Die zweite Reise

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

„Das meinte ich doch“, verkündete der Raptor aufgeregt. „Der Grund für ihr verändertes Verhalten liegt darin, dass sie zwei Seelen haben.“

Kalus und Kalusurus benötigten eine Stunde, um zu Keltors Gasthaus zu gelangen. Eigentlich lag es nicht so weit von der Arena entfernt, jedoch stießen Vater und Sohn immer wieder auf Gruppen von begeisterten Arenabesuchern, die sie zu ihrem Sieg beglückwünschen wollten. Vor allem Kalusurus bekam viel Aufmerksamkeit. Als begabter Kämpfer, der zweifellos die Nachfolge seines Vaters antreten würde, und als Familienmitglied des Hauses der Seelen war Kalusurus bei den felusianischen Mädchen sehr begehrt.

Endlich betraten Vater und Sohn Keltors Gasthaus, welches, wie die meisten Gebäude in Dämonenstädten, aus grauen Granitblöcken gebaut worden war und ein Dach aus rötlichem Obsidian besaß. Einfache Löcher in den Wänden, die man mit Leinentüchern zuhängte, wenn man etwas Privatsphäre wünschte, bildeten die Fenster. In Keltors Gasthaus waren aber alle Fenster unverdeckt, sodass das rötliche Licht der Magmaflüsse hineinschien, die in Kanälen durch die Stadt flossen und sie mit Wärme und Energie für die Runen versorgten.

Die Zwerge würden wohl wahnsinnig wütend werden, wenn sie wüssten, dass die Dämonen ihre Runenmagie nicht nur kopiert, sondern auch stark verbessert hatten. Die Runen der Dämonen konnten die Energie der nahen Magmakanäle anzapfen und mussten nicht mühsam manuell mithilfe eines Kristalls aufgeladen werden.

Als Vater und Sohn im Eingangsbereich des stark besuchten Gasthauses standen, unterbrachen alle Gäste, die an den Steintischen auf Holzstühlen saßen und allen möglichen Dämonenarten angehörten, ihre Mahlzeiten und blickten sie an. Als realisiert wurde, wer da eingetreten war, erhob sich ein Chor voller Glückwünsche und Hochpreisungen. Man merkte, welches Ansehen Arenakämpfer wie Kalus und Kalusurus in der dämonischen Gesellschaft genossen.

Der Wirt Keltor hüpfte, vom Lärm angelockt, aus der Küche. Er hüpfte, weil er ein rothäutiger Höllenfrosch in weißer Kochkleidung war. Keltor kam vor Vater und Sohn zum Stehen, wobei man eigentlich von Sitzen reden müsste, da Höllenfrösche wie ihre kleinen Verwandten auf der Oberfläche bei Stillstand immer saßen. Der einzige Unterschied, außer der Größe, die durchschnittlich mehr als einen Meter im Sitzen betrug, waren die Hände, die mehr denen eines Elfen ähnelten, sodass Höllenfrösche besser greifen konnten.

Keltor begrüßte seine bedeutenden Stammgäste: „Willkommen in meinem bescheidenen Gasthaus, quak, Meister Kalus und Schüler Kalusurus, quak.“ Dabei machte er eine Verbeugung, sehr zum Missfallen von Kalus.

„Keltor, ich habe Ihnen doch schon oft gesagt, dass diese Förmlichkeiten nicht notwendig sind. Behandeln Sie uns einfach wie jeden anderen Gast“, bat der Felusianer, worauf der Gastwirt verschmitzt antwortete: „Das tue ich doch gerade, Meister, quak.“

Kalus gab auf und ließ sich und seinen Sohn wortlos zu ihrem Stammtisch geleiten.

„Dasselbe wie immer, quak?“, fragte Keltor und beide nickten. Daraufhin verschwand der Wirt in die Küche, während sich die anderen Gäste zur Freude von Kalus wieder ihren Mahlzeiten widmeten. Und während Vater und Sohn warteten, ließen sie den Kampf gedanklich Revue passieren und analysierten ihn gemeinsam, um mögliche Schwachpunkte in ihren Kampfstilen zu finden.

Währenddessen betraten zwei weitere Personen das Gasthaus. Es waren Meister Stagar und sein Schüler Nando. Sie hatten frische Kleidung angelegt, die aber nicht ihre Niedergeschlagenheit, die nach einem verlorenen Kampf verständlich war, verbergen konnte. Auch sie wurden von den Gästen kurz gemustert. Diesmal gab es aber keine Äußerungen, stattdessen widmeten sich die Besucher sofort wieder ihrem Essen. Es war jedoch kein Desinteresse, sondern ein Ignorieren, dass sich die Verlierer der Arena generell gefallen lassen mussten.

Keltor, der gerade die Küche verließ und auf seine neuen Gäste aufmerksam geworden war, schloss sich diesem Ignorieren nicht an. Mit derselben Herzlichkeit, mit der er zuvor Kalus und Kalusurus begrüßt hatte, ging er auf sie zu: „Willkommen in meinem bescheidenen Gasthaus, ehrenwerte Arenakämpfer, quak.“

In dieser Begrüßung steckte kein bisschen Spott oder Häme, was Stagar nicht entging. Sein trübes Gesicht hellte sich ein wenig auf und er lächelte sogar. Vermutlich waren dies, abgesehen von Kalus’ Lob, die ersten freundlichen Worte, die Stagar und sein Schüler nach der Niederlage zu hören bekamen.

Kalus hielt die stille Ächtung der ehrenwerten Verlierer eines Arenakampfes für falsch: Stagar und sein Schüler Nando hatten gut gekämpft, denn nicht viele schafften es, Kalus und Kalusurus dazu zu bringen, ihre besonderen Kräfte einzusetzen. Also beschloss er, eine Wiedergutmachung zu leisten: „Meister Stagar! Es wäre mir eine Freude, wenn Sie mir und meinem Sohn beim Essen Gesellschaft leisten. Das gilt natürlich auch für Ihren Schüler.“

Ein Raunen ging durch das Gasthaus und Meister Stagar sah man an, dass er zuerst nicht so recht wusste, was er von der Einladung halten sollte. Dann aber lächelte er erneut und erwiderte: „Es ist mir eine Ehre, Meister Kalus.“

Er und sein Schüler setzten sich an den Tisch zu Kalus und Kalusurus. Keltor, der hinterherhüpfte, nahm sogleich die Bestellung auf und hopste eilig zurück in die Küche.

Zuerst sahen sich die beiden Meister und ihre Schüler nur an, nicht wissend, wie sie jetzt ein Gespräch anfangen sollten. Überraschenderweise war es der Schüler Nando, der das Wort ergriff: „Meister Kalus, ich habe während meiner Studien versucht, mir Grundkenntnisse von möglichst vielen Magieformen anzueignen. Bislang hatte ich noch nicht die Gelegenheit, mich über die Seelenmagie kundig zu machen. Es wäre deutlich lehrreicher, wenn ein Meister wie Ihr mir eine kleine Einführung geben würde.“

Die Stimme des Schülers zitterte ein bisschen. Er war nervös und befürchtete vermutlich, taktlos gewesen zu sein, doch sein Meister Stagar tadelte ihn nicht, sondern blieb still, während Kalus lächelte und antwortete: „Ich gebe meine Weisheit gern an junge Wissensdurstige weiter. Ich fange am besten damit an, zu erklären, worauf meine Magie basiert: auf der Seele. Wie du bestimmt weißt, ist die Seele, gleich von welchem Wesen, eine große Ansammlung von Energie, die sich in Form von kleinen Blitzen durch das Gehirn bewegt und so das Bewusstsein bildet.“ Nando nickte und Kalus erläuterte weiter: „Um das Bewusstsein aufrechtzuerhalten, wird die gesamte Energie der Seele benötigt, weshalb sie nicht für andere Zwecke benutzt werden kann. Zumindest bei normalen Wesen. Magier hingegen haben eine stärkere Seele, welche die Magie selbst ermöglicht.“

„Dann sind alle Magier Seelenmagier?“, fragte Nando verwirrt.

„Nein. Seelenmagier sind jene Magier, deren Magie direkt auf die Seele eines anderen Wesens einwirkt, wodurch zum Beispiel Erinnerungen gelesen und sogar verändert werden können. Normalerweise wird die Seelenmagie im Kampf dazu verwendet, um den Feind durch Sinnestäuschungen oder Gedankenkontrolle unschädlich zu machen.“

„Aber Sie und Ihr Sohn haben mich und meinen Meister doch auf recht physische Art und Weise attackiert“, erwiderte Nando noch mehr verwirrt.

Kalus nickte bestätigend und fügte hinzu: „Es gibt zusätzlich die Seelenfesselung. Jeder Seelenmagier ist in der Lage, die Seele eines anderen zu entfernen und in seinem Körper zu speichern. Diese gespeicherte Seelenenergie kann dann beispielsweise dazu verwendet werden, um die eigene Magie zu verstärken, um sie als physische Druckwelle im Kampf einzusetzen oder um sie sogar als Ganzes auf den Feind zu hetzen, was sehr schmerzhaft sein kann, wie du am eigenen Leib erfahren musstest. Nicht-Seelenmagier können das übrigens auch, wenn sie einen für diesen Zweck angepassten Edelstein benutzen.“

Nando schien langsam zu begreifen: „Sie benutzen also die Seelen Ihrer gefallenen Feinde, die Sie in Ihrem Körper oder in Seelensteinen gespeichert haben, als Hilfsmittel im Kampf?“

Kalus schüttelte den Kopf: „Nein, das wäre unmöglich. Da die Kraft einer gefesselten Seele bei stetiger Benutzung schnell versiegt, bräuchte ich viele Seelen. Und die sind heutzutage schwer in großen Mengen zu beschaffen.“

„Weil wir sie nicht mehr aus niederen Dämonen gewinnen dürfen“, fügte Stagar, der nun auch etwas sagen wollte, hinzu und achtete nicht auf das empörte Raunen der anderen Dämonen im Gasthaus.

Auch wenn alle Dämonen seit der Vereinigung auf der gleichen Stufe standen, hatten die Felusianer nichts von ihrer Arroganz verloren, die sie sich in all den Jahrhunderten der Versklavung von „niederen“ Dämonen angeeignet hatten.

Kalus tadelte Stagar nicht, sondern sprach mit Nando einfach weiter, als wäre nichts gewesen: „Genau. Die Seelensteine, die ich früher verwendet habe, wurden aus unseren Feinden gewonnen. Nun ist ihre Anzahl gering, da der große Krieg unterbrochen wurde. Jetzt aber, wenn wir wieder gegen die Oberflächenbewohner in den Kampf ziehen, dürfte es bald mehr geben. Aber zurück zum eigentlichen Thema. Du hast doch sicher davon gehört, dass die Mitglieder meines Hauses mit zwei Seelen geboren werden?“

„Ja, habe ich“, bestätigte Nando. „Ich dachte aber immer, dass wäre eine Übertreibung, weil Eure Seelenmagie so stark ist.“

Kalus lachte leicht amüsiert und klärte dann auf: „Nein, es stimmt wortwörtlich. Wir, die Angehörigen des Hauses der Seelen, werden mit zwei Seelen geboren. Durch ein spezielles Training sind wir dann in der Lage, die Kraft unserer zweiten Seele im Kampf einzusetzen. Das war die grüne Energie, die du gesehen hast, Schüler Nando.“

Nando war beeindruckt und verstand endgültig: „Eine zweite Seele, die als Kraftreserve dient. Und sie kann sich in Ihrem Körper, weil sie da heimisch ist, auch wieder regenerieren, hält also ewig.“

 

„Du hast es erfasst“, lobte Kalus Nando, der noch eine Frage hatte: „Aber zwei Seelen in einem Kopf … Ist das nicht problematisch?“

Kalus nickte: „Ja, das könnte es zumindest werden. Deshalb führt jeder meines Hauses dieses besondere Training durch. Hierbei lernen wir, wie wir eine Seele zur Hauptseele, dem Dominus, und die andere zur untergeordneten Seele, dem Servus, bestimmen. Dieses Herr-Diener-Prinzip ist notwendig und wird deshalb schon im Kindesalter geübt, da sich sonst die Seelen untereinander bekämpfen würden. Eine gravierend gespaltene Persönlichkeit wäre das Endergebnis.“

„Sehr faszinierend“, sagte Nando, der schon die nächste Frage stellen wollte.

Jedoch kam ihm jemand zuvor. Ein Raptor in einer pechschwarzen Robe eilte ins Gasthaus und ging auf Kalus zu, sobald er diesen erblickte. „Meister Kalus, der Dämonenlord will Sie sehen“, sagte er nach einer knappen Verbeugung.

Totenstille. Alle Gäste hatten mit dem Essen aufgehört und starrten den Raptor an. Selten wollte der Dämonenlord jemanden persönlich sehen. Kalus stand auf, zückte einen Beutel voller Silbermünzen und drücke Kalusurus diesen in die Hand mit den Worten: „Genieß das Essen, mein Sohn, und bezahl dann unsere Zeche.“

„Ja, Vater“, sagte dieser knapp. Der Sohn nahm den Geldbeutel entgegen und sah dem Vater hinterher.

Als Kalus das Wirthaus verlassen hatte, setzte der normale Ablauf wieder ein und alle widmeten sich erneut ihrem Essen. Kalusurus, der sich fragte, was der Dämonenlord von seinem Vater wollte, begann ein neues Gespräch mit Stagar und Nando. Er war jedoch nicht sehr konzentriert, weshalb er oft gar nicht zuhörte. Zu sehr ärgerte er sich darüber, dass er nun die Zeit nicht mit seinem Vater ohne das übliche Meister-Schüler-Gehabe verbringen konnte. Denn was auch immer der Dämonenlord wollte: Es würde dauern, bis sein Vater es getan hatte. Und so lange wäre er nicht zu Hause. Wie immer.

Kalus eilte durch die Gassen und Straßen von Gula, während er sich fortlaufend fragte, was der Dämonenlord von ihm wollte. Denn für Glückwünsche allein rief der Dämonenlord niemanden zu sich. Vermutlich handelte es sich eher um einen besonderen Auftrag, der Kalus eine Weile unterwegs sein lassen würde. Der Gedanke missfiel ihm, denn er wusste, dass er zu wenig Zeit mit seinem Sohn verbrachte, und jetzt würde es noch weniger werden. So wie immer. Entweder war er unterwegs oder er musste, wenn er einmal Zeit hatte, seinen Sohn trainieren.

Kalus bereute es ein bisschen, dass er der Meister seines Sohnes war. Denn um der Verpflichtung nachzukommen, seinen Schüler zu einem guten Schwertkämpfer zu machen, musste er seine wenige freie Zeit für das Training verwenden. Da blieb nicht viel Zeit übrig, um einfach Vater und Sohn zu sein. Denn auch wenn Kalusurus in einem Alter war, in dem er sich eigentlich langsam von seinen Eltern unabhängig machte, wünschte Kalus, er könnte ein besserer Vater sein, der immer für seinen Sohn da wäre. Denn das war er auch in der Vergangenheit nicht gewesen.

Nach mehreren Minuten Eile erreichte Kalus den Platz der Nacht, eine große Fläche, gepflastert mit Obsidiansteinen. Der Platz lag direkt vor der gewaltigen Zitadelle der Finsternis, welche auf einer Erhöhung im Mittelpunkt der Stadt thronte. Jeder Besucher, der aus den Tunneln, die in die Höhle von Gula führten, trat und die Stadt erblickte, erkannte sofort, dass die Zitadelle der Finsternis das Herz des Reiches war. Und obwohl die Stadt selbst mit ihren Gebäuden aus grauem Granit schon unheimlich wirkte, wurde sie von der Zitadelle, erbaut aus nachtschwarzem Granit, noch übertroffen. Die Zitadelle stellte eine Hochburg der Finsternis dar, unbezwingbar und furchteinflößend. Sie übertraf in der Größe selbst die Akademie des Lichts von Erlin. Vermutlich war die Zitadelle das größte Gebäude von ganz Locondia. Und wahrscheinlich galt das auch für das Tor aus schwarzem Holz, durch das man vom Platz aus in den Thronsaal gelangte. Es war zehn Meter hoch und fünfzehn Meter breit, sodass selbst Riesen wie die Zyklopen die Zitadelle betreten konnten.

Als nun Kalus auf dieses Tor zuging, öffnete es sich von selbst und offenbarte einen Gang, der nur spärlich von wenigen Fackeln ausgeleuchtet wurde. Jedoch hätte das Licht trotzdem ausgereicht, um die Wandbilder, die wichtige Ereignisse der Dämonengeschichte, unter anderem die Vereinigung, darstellten, betrachten zu können. Kalus hatte dafür aber keine Zeit, sondern eilte durch den Gang. Der Dämonenlord hasste es, zu warten, daran konnte sich Kalus gut erinnern, auch wenn seine letzte Audienz schon Jahre zurücklag.

Endlich war der Felusianer im Thronsaal angekommen, der noch weniger beleuchtet war als der Gang. Man konnte nur innerhalb des Eingangsbereiches etwas erkennen. Der hintere Teil, wo vermutlich der Thron stand, lag in ewiger Dunkelheit. Kalus hatte noch nie den Dämonenlord zu Gesicht bekommen und auch noch nie von jemandem gehört, dem dies gewährt worden war.

Der Felusianer blieb im beleuchteten Bereich stehen und wartete. Weiter durfte er nicht und das wollte er auch nicht. Denn er hatte angsteinflößende Gerüchte über diese Dunkelheit gehört, auch wenn es natürlich schwer zu sagen war, ob sie der Wahrheit entsprachen. Angeblich soll einmal ein anderer Felusianer so tollkühn oder auch so dumm gewesen sein, in die Dunkelheit hineinzutreten. Man hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Die meisten dachten, er wurde voller Zorn vom Dämonenlord erschlagen, weil er es gewagt hatte, diese Regel zu brechen. Andere meinten, dass der Verschwundene von den Schoßtierchen des Dämonenlords, die man in der Dunkelheit still ruhend neben dem Thron vermutete, gefressen wurde. Und noch andere glaubten, der Dämonenlord würde ihn mit Magie am Leben erhalten, damit dieser in alle Ewigkeit durch die Dunkelheit des Thronsaals irren musste, unfähig, das Licht des Eingangsbereiches zu sehen. Und das alles nur, um den Dämonenlord zu unterhalten.

Was aber auch immer davon stimmen mochte – Kalus wollte es nicht herausfinden. Zu groß war seine Ehrfurcht vor dem Dämonenlord, dessen Dasein für den gemeinen Dämon so unbegreiflich war wie das der Finsternis selbst. Nur eine kleine misstrauische Stimme in Kalus’ Kopf fragte sich, was der Dämonenlord zu verbergen hatte und weshalb er sich nicht zeigte. Doch sie verstummte schnell, erdrückt von der Angst.

Dafür aber meldete sich eine neugierige Stimme in seinem Kopf: ‚Lebt hier eigentlich noch jemand oder etwas anderes als der Dämonenlord?‘ Es gab niemanden, den er hätte fragen können. Die Zitadelle wurde nicht von den Soldaten bewacht und der Thronsaal war bislang der einzige Raum der Zitadelle, der überhaupt von irgendjemandem betreten worden war. ‚Was verbirgt sich in den restlichen Räumlichkeiten?‘, fragte sich Kalus, wie schon so oft. Und wie immer fand er keine Antwort und vermutete, dass es für ewig so bleiben würde.

Endlich wurden Kalus’ Grübeleien von einer Stimme mit der Stärke eines Orkans unterbrochen: „Kalus! Ich habe folgenden Auftrag für dich!“

Wie immer fasste sich der Dämonenlord, der im Verborgenen blieb, kurz und verzichtete auf eine begrüßende Einleitung, auf unnötige Erläuterungen und persönliche Kommentare. Er sprach so mit jedem Dämon, den er zu sich rief, sodass man fast meinen könnte, dass er seine Untertanen gering schätzte. Kalus fühlte sich wie ein Ding behandelt, vor allem, weil der Dämonenlord keine Titel nannte, jede Form des Respektes missen ließ und auch keine Worte des Lobes aussprach, wenn man von einem Auftrag zurückkam. Der Meisterschwertkämpfer schien für den Dämonenlord nichts anderes zu sein als eine leblose Figur auf einem Spielbrett, die man mit ein paar Worten loshüpfen ließ. Dies alles sagte Kalus natürlich nicht laut, dazu war seine Ergebenheit zu groß. Sicher hätte er es auch nicht überlebt. Trotzdem ärgerte ihn diese offensichtliche Arroganz. Irgendwie ironisch: Ein arroganter Felusianer ärgerte sich über Arroganz. Während diese Verärgerung in ihm brodelte, ließ Kalus sich äußerlich nichts anmerken und lauschte den Worten des Dämonenlords, denn dieser würde sich nicht wiederholen.

„Dein Ziel ist die Tötung von Janok, einem der fünf ungleichen Reiter, und seinem Kampfgefährten, dem namenlosen Greif. Falls sich eine günstige Gelegenheit bietet, noch einen oder mehrere der anderen Reiter zu töten, dann tu es. Doch dein wichtigstes Ziel ist Janok. Wage nicht zurückzukehren, solange er noch über Locondia wandelt.“

Ein Auftrag zu einem Mord also, wie Kalus schon viele erteilt bekommen hatte. Gleich würde der Dämonenlord sagen, zu welchem Portal er sich begeben müsse, damit ihn irgendwelche Schattenmagier im Elfenreich beschwören könnten. Bei Beschwörungen handelte es sich eigentlich nur um einen Teleportationszauber, der über große Reichweiten wirkt. Mithilfe der Schattenenergie der Schattenmagier wurde zwischen einem Portal, das in einer Stadt der Dämonen stand, und einem beliebigen Ort ein Korridor geformt. Durch diesen konnten die Dämonen große Entfernungen ohne Zeitverlust überbrücken. Auf diese Art und Weise kämpften die Dämonen an der Seite der Schattenelfen.

Es gab jedoch einen entscheidenden Nachteil: die großen Mengen an Energie, die benötigt wurden. Schattenmagier, die eine Beschwörung auf Befehl des Dämonenlords durchführen sollten, mussten zuvor mehrere Tage in Trance verbringen, um die benötigte Menge an Schattenenergie in ihren Körpern zu speichern. Eine spontane Beschwörung war nur mithilfe von Blutopfern möglich. Weil es sich bei diesen Opfern um Schattenmagier handeln musste, wurde die spontane Beschwörung nur in Notfällen angewendet.

Ein weiterer, auch nicht unwichtiger Nachteil bestand in der nicht ganz zufriedenstellenden Effizienz jener. Bei normalen Beschwörungen konnte entweder eine kleine Gruppe mit höchstens einem Dutzend niederer Dämonen oder ein einzelner großer Dämon beschworen werden. Zu mehr reichte die Energie der Schattenmagier, egal ob vorher angesammelt oder geopfert, nicht aus. Soweit Kalus wusste, gab es nur zwei Ereignisse, bei denen stabile Korridore erschaffen worden waren, sodass ein ganzer Strom an Dämonen sich über den Feind ergießen konnte: bei der ersten Schlacht um Erlin und beim kürzlich erfolgten Angriff auf Goldia.

Kalus zuckte zusammen, als er an diese schmachvollen Niederlagen dachte. Trotz der enormen Kraft und Anzahl hatte sein Volk beide Male verloren. Gegen diese jämmerlichen Oberflächenbewohner, die noch schwächer waren als die niederen Dämonen! Die meisten zumindest … Kalus versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, und freute sich stattdessen auf die ehrfürchtigen Gesichtsausdrücke der Schattenmagier, wenn sie ihn beschworen hatten. Diese waren sich wenigstens ihrer Jämmerlichkeit bewusst.

Jedoch sollte es nicht so weit kommen. Denn statt ihn zu einem Portal loszuschicken, sagte der Dämonenlord: „Unterschätze Janok nicht.“

Kalus zuckten überrascht die Schnurrhaare. Der Dämonenlord gab eine Warnung? Das hatte es bis jetzt noch nicht gegeben. ‚Dieser Ork muss stark sein, wenn der Dämonenlord zur Vorsicht rät. Na ja, er ist ja auch als Reiter auserwählt worden‘, überlegte Kalus und hörte weiter zu.

„Er hat mit dem Greif einen starken Kampfgefährten und beide zusammen sind sie eine tödliche Gefahr von oben. Um das auszugleichen, gebe ich dir einen Begleiter mit, der dich nicht nur im Kampf unterstützen, sondern bei deiner Reise auch tragen wird.“

Kalus wurde immer verwirrter. ‚Keine Beschwörung? Ich soll auf einem Reittier aufbrechen? Warum?‘, fragte er sich, als er laute Schrittgeräusche und das Scharren von Krallen vernahm. Eine große, massive Gestalt erschien im Schein der Fackeln und Kalus erstarrte.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?