Dr. Katzenbergers Badereise

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Hierauf versetzte Herr von Nieß: ›Vielleicht sollt‘ er, Demoiselle, diese Gestalt nach Maler-Ideal haben; aber leider sieht er fast so aus wie ich.‹

Gewiss hab‘ ich darauf ein einfältiges Staun-Gesicht gemacht und wohl gar die Antwort gegeben: ›Wie Sie?‹ – Überhaupt schien meine zu lebhafte Vorschilderei seines Freundes ihn nicht sonderlich zu ergötzen. – ›Theoda und Theudobach‹ – fuhr er fort – ›behalten ihre Ähnlichkeit sogar in der Statur; denn er ist so lang als ich.‹ – ›Nein‹, unterfuhr ich, ›dann ist er kürzer als ich; eine Frau, die so lang ist als ein Mann, ist länger als ein Mann.‹ – Es schwollen beinahe Giftblasen mir auf, gesteh‘ ich gern. Es verdross mich das ewige Prahlen mit der körperlichen Ähnlichkeit Theudobachs bei so wenig geistiger. Ich denke an seine unritterliche Furcht und an meine Perücke beim Wagen-Umwurf. Er wollte sich an meinen Kopf anhalten, um seinen zu retten. Raufen aber ist eine eigne Weise, einem Mädchen den Kopf zu verrücken. Mein Vater wird ihn mit dieser Perücke, womit er in die Grube gefahren, noch oft fegen, wie die Bedienten in Irland damit die Treppen kehren.

Freilich wars an ihn eine dumme Mädchenfrage, die ich nachher getan, wie ich dir beichten will. Aber wer machts denn anders? Die Leserinnen eines Dichters sind alle seine heimlichen Liebhaberinnen – die Jünglinge machen es mit Dichterinnen auch nicht besser –; und wir denken bei einem Genie, der Ehre unseres Geschlechts wegen, zuerst an die Frau, die der große Mann uns allen vorgezogen und die wir als die Gesandtin unseres Geschlechts an ihn abgeschickt. Auf seine Frau sind wir sogar neugieriger als auf seine Kinder, die er ja nur bekommen und selten erzieht. Ob ich mich gleich einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da er sagte, an einem Poeten zögen wir den Kniefall dem Silbenfall vor, ein Paar Freierfüße sechs Versfüßen, Schäferstunden den Schäferliedern und wären gern die Hausehre einer Deutschlands-Ehre: so hatt‘ er doch halb und halb recht. – Die dumme Mädchenfrage war nämlich die: ob der Dichter eine Braut habe. – ›Wenigstens bei meiner Abreise noch nicht‹, versetzte Nieß. – ›O ich wüßte‹, sagt‘ ich, ›nichts Rührenderes, als eine Jungfrau mit dem Edeln am Traualtare stehen zu sehen, welchen sie im Namen einer Nachwelt belohnen soll; sie sollte mir meine heiligste Schwester sein, und ich wollte sie lieben wie ihn.‹ – ›Wahrlich, Sie könnten es‹, sagte Nieß mit unnütz-feiner Miene.

O Gott, zanke nur hier über nichts, du Hellseherin. Ach mein Gesicht-Lärvchen – wahrlich mehr eine komische als tragische Maske – gibt mir keine Einbildungen, weil ich doch damit keinem Manne gefallen kann als einem halbblinden, der, wie du, nichts verlangt als ein Herz; aber der freilich sollte dieses denn auch ganz haben, mit allen Kammern und Herzohren und Flämmchen darin, und mein kleines Leben hintendrein.

Ich wollt‘, es gäbe gar keine Männer, sondern die göttlichsten Sachen würden bloß von Weibern geschrieben; warum müssen gerade jene einfältigen Geschöpfe so viel Genie haben, und wir nichts? – Ach, wie könnte man einen Rousseau liebhaben, wenn er eine Frau wäre!

Gute Nacht, meine Seele! So viel Himmel, als nur hineingeht, komme in dein Herzchen!

Th.«

MISSGEBURTEN-ADEL

Der Wirt, der die Gesellschaft immer hinter Büchern und Schreibfedern sah, vermutete, er könne sie als Ziehbrunnen benutzen und seinen Eimer einsenken; er brachte ein Werk in Folio und eins in Oktav zum Verkaufe getragen. Das kleinere war ein zerlesener Band von Theudobachs Theater. Aber der Doktor sagte, es sei kein Kauf für das Gewissen seiner Tochter, da das Buch vielleicht aus einer Leihbibliothek unrechtmäßig versetzt sei. Auch fragt‘ er sie, ob sie denn nicht glaube, dass in Maulbronn der Dichter selber sie als seine so warme Anbeterin und Götzen-Dienerin mit einem schönen Freiexemplare überraschen werde, das er wieder selber umsonst habe vom Verleger. »Ich komme ihm zuvor«, sagte Nieß, »ich habe von ihm selber fünf Prachtexemplare zum Geschenk und gebe gern eines davon um den Preis hin, den es mich kostet.« Theoda hatte Zweifel über das Annehmen, aber der Vater schlug alle nieder und sagte zum Edelmanne mit närrischen Grimassen: »Herr von Nieß, ich mache von so etwas Genießbaren Nießbrauch so wie von allen kostspieligen Auslagen, die Sie bisher auf der Reise vorschossen, weil Sie vielleicht wissen, dass ich ein schlechter Zahl- und Rechenmeister bin; aber am Ende der Reise, hoff‘ ich, sollen Sie mich kennen lernen.« Nieß bat Theoda in sein Zimmer zu folgen, wo er ihr vom Dichter vielleicht noch etwas Lieberes zu geben habe als das Gedruckte.

Er führte sie vor die oben gedachte Fensterscheiben-Inschrift. Als sie die theudobachische Hand und die schönen Liebeworte erblickte und nun gewiss wusste, dass sie, den Boden und die Nachbarschaft mit ihrem Helden teilend, gleichsam in dessen Atmosphäre gekommen, wie die Erde in die der Sonne6: so zitterte das Herz vor Lust, und die Prachtausgabe verlor fast gegen die Fenster-Schrift. Nieß sah das feuchte Auge und hielt sich mit Gewalt, um nicht mit dem Bekenntnis seines zweiten Namens ihr ans Herz zu fallen, aber ihre Hand drückte er heftig und malte gerührt den Theaterstreich am Fenster nicht weiter aus.

Beide gingen halb trunken zum Doktor zurück. Dieser hatte eben teuer den Folioband vom Wirte erhandelt, nämlich Sömmerings Abbildungen und Beschreibungen einiger Missgeburten, die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Kassel befanden. Fol. Mainz 1791. Nicht nur das Paar, auch der Wirt sah, mit welchem Entzücken er die Missgeburten verschlang. Da nun ein Wirt, wie jeder Handelmann, bei jedem Käufer ungern aufhört zu verkaufen, so sagte der Wirt: »Ich bin vielleicht imstande, einem Liebhaber mit einer der veritabelsten ausgestopften Missgeburten aufzuwarten, die je auf acht Beinen herumgelaufen.« – »Wie, wo, wenn, was?«, rief der Doktor, auf den Gastwirt rennend. »Gleich!«, versetzte dieser und entschoss.

»Gott gebe doch«, fing Katzenberger an, gegen den Edelmann sich wendend, »dass er etwas wahrhaft Missgebornes bringt. Ich weiß nicht, haben Sie meine de monstris epistola gelesen oder nicht; inzwischen habe ich darin ohne Bedenken die allgemeine Gleichgültigkeit gegen echte Missgeburten gerügt und es sei frei heraus gesagt, wie man Wesen vernachlässigt, die uns am ersten die organischen Baugesetze eben durch ihre Abweichungen gotischer Bauart lehren können. Gerade die Weise, wie die Natur zufällige Durchkreuzungen und Aufgaben (z. B. zweier Leiber mit einem Kopfe) doch organisch aufzulösen weiß, dies belehrt. Sagen Sie mir nicht, dass Missgeburten nicht bestehen, als widernatürlich; jede musste einmal natürlich sein, sonst hätte sie nicht bis zum Leben und Erscheinen bestanden; und wissen wir denn, welche versteckte organische Missteile und Überteile eben auch Ihrem oder meinem Bestehen zuletzt die Ewigkeit nehmen? Alles Leben, auch nur einer Minute, hat ewige Gesetze hinter sich; und ein Monstrum ist bloß ein Gesetzbuch mehrerer föderativen Staatkörperchen auf einmal; auch die unregelmäßigste Gestalt bildete sich nach den regelmäßigsten Gesetzen (unregelmäßige Regeln sind Unsinn). Eben darum könnte aber aus Missgeburten als den höhern Haruspizien oder passiven Blutzeugen bei geschickter Zergliederung mehr Einsicht gewonnen worden sein als aus allem Alltagvieh, sobald man nur besser diese Sehröhre und Operngucker ins Lebensreich hätte zu richten verstanden, und wenn man überhaupt, Herr von Nieß, so seltene Cicerone und Zeichendeuter, die eben gerade, wie die Wandelsterne, in ihren Verfinsterungen am meisten geistig erleuchten, sorgfältiger aufgehoben hätte. Wo ist aber – mein elendes ausgenommen – noch ein ordentliches Missgeburtenkabinett? Welcher Staat hat noch Preise auf Einliefern von monstris gesetzt, geschweige auf Erzeugung derselben, wie doch bei Blumen geschehen? Geht ein Monstrum als ein wahrer Solitär der Wissenschaft unter, so ist man noch gleichgültiger, als wäre ein Schock leicht zu zeugender Werkeltagleiber an der Ruhr verschieden. Wer kann denn aber eine Missgeburt, die sich so wenig als ein Genie fortpflanzt – denn sie ist selber ein körperliches, eine Einzigperle – nicht einmal ein Sonntagkind, sondern ein Schalttagkind –, ersetzen, ich bitte jeden? Ich für meine Person könnte für dergleichen viel hingeben, ich könnte z. B. mit einer weiblichen Missgeburt, wenn sie sonst durchaus nicht wohlfeiler zu haben wäre, in den Stand der Ehe treten; und ich will dirs nicht verstecken, Theoda – da die Sache aus reiner Wissenschaftliebe geschah und ich gerade an der Epistel de monstris schrieb –, dass ich an deiner sel. Mutter während ihrer guten Hoffnung eben nicht sehr darauf dachte, aufrechte Tanzbären, Affen oder kleine Schrecken und meine Kabinetts-Pretiosen fern von ihr zu halten, weil sie doch im schlimmsten Falle bloß mit einem monstrosen Ehesegen mein Kabinett um ein Stück bereichert hätte; aber leider, hätt‘ ich beinah‘ gesagt, aber gottlob, sie bescherte mir dich als eine Bestätigung der Lavater‘schen Bemerkung, dass die Mütter, die sich in der Schwangerschaft vor Zerrgeburten am meisten gefürchtet, gewöhnlich die schönsten gebären. Ein Monstrum .... o, du guter Wirt kommst!«

Letzter kam an mit dem fast grimmig aussehenden Stadtapotheker und dieser mit einem gut ausgestopften, achtbeinigen Doppel-Hasen, den er wie ein Wickelkind im Arme trug und an die Brust anlegte. Der Doktor sah den Hasen fast mit geifernden Augen an und wollte wie ein Hasengeier auf ihn stoßen. »Ich bin« – sagte jener und sprang stirnrunzelnd seitwärts – »Pharmazeutikus hiesiger Stadt und habe dieses curiosum in Besitz. Besehen darf es werden, aber unmöglich begriffen vor dem Einkauf. Ich will es aber auf alle Seiten drehen, und wie es mir gut dünkt; denn es ist seinesgleichen nicht im Lande oder auf Erden.« – »Um Verzeihung«, sagte der Doktor, »im königlichen Kabinett zu Chantilly wurde schon ein solcher Doppel-Hase aufbewahrt7, der sogar sich an sich selber, wie an einem Bratenwender, hat umdrehen und auf die vier Relais-Läufe werfen können, um auf ihnen frisch weiterzureisen, während die vier ausgespannten in der Luft ausruhten und selber ritten.« – »Das konnte meiner bei Lebzeiten auch«, sagte der Apotheker, »und Ihr anderes einfältiges Hasenstück hab‘ ich gar nicht gesehen und gebe nicht einen Löffel von meinem darum.« Jetzo nannte er den Kaufschilling. Bekanntlich wurde unter dem minderjährigen Ludwig XV. der Greisenkopf auf den alten Louisdor von Ludwig XIV. bloß durch den Druck eines Rades in den noch lebendigen Kinderkopf umgemünzt; worauf sie 20 Livres statt 16 galten. Für ein solches Geld-Kopfstück, und zwar für ein vollwichtiges, wollte der Apotheker seinen Hasen mit 4 Löffeln, 2 Köpfen etc. hergeben. Nun hatte der Doktor wirklich ein solches bei sich; nur aber wars um viele Asse zu leicht und ihm gar nicht feil. Er bot halb so viel an Silbergeld – dann ebenso viel –, dann streichelte er den Pharmazeutikus am dürren Arme herab, um in seinem Heißhunger nur, wie der blinde Angelo den Torso, so den Pelz der Hasen zu befühlen, die er wie ein Kalmucke göttlich verehrte. – Endlich zeigte er noch seinen langen Hakenstock vor und zog aus dessen Scheide, wie einen giftigen Bienenstachel, einen langen befiederten amerikanischen Giftpfeil vor und sagte, diesen Pfeil, womit der Pharmazeutikus jeden Feind auf der Stelle erlegen könnte, woll‘ er noch drein schenken. Bisher hatte dieser immer drei Schritte auf und ab getan, kopfschüttelnd und schweigend; jetzo trug er ohne weiteres seinen Hasenvielfuß zur Türe hinaus und sagte bloß: »Bis morgen früh steht viel feil ums Goldstück; aber mittags katz ab!« – »Es ist mein Herzens-Gevatter«, sagte der Wirt, »und ein obstinater Mann, aber dabei blitzwunderlich; ich sage Ihnen aber, Sie kriegen ebenso wenig den Hasen einzupacken als den Rathaus-Turm, wofern Sie kein solches Kopfstück ausbatzen; er hat seinen Kopf darauf gesetzt.« – »Gibts denn«, sagte der Doktor, »einen größern Spitzbuben? Ich habe freilich eins, aber es ist zu gut, zu volllötig für ihn – doch werd‘ ich sehen.« – »So tue«, sagte der Wirt, »doch unser Herr Gott sein Bestes und bringe zwei solche Herren zusammen!«

 

Der Poet Nieß hatte aus dem Vorfalle eine ganze Theaterkasse voll Einfälle und Situationen erhoben; und auf der Stelle den Plan zu einer komischen Oper entworfen, worin nichts als Missgeburten handeln und singen sollten.

HASENKRIEG

Der Doktor hatte eine unruhigere Nacht als irgendeiner seiner Heilkunden, weniger weil ein Goldstück für das Natur-Kunstwerk zu zahlen war, als weil dasselbe sehr zu leicht war. Endlich fiel ihm gegen Mitternacht der Kunstgriff eines christlichen Kaufmanns bei, der zu leichten Goldstücken nicht jüdisch durch Beschneidung, sondern vielmehr mit etwas Ohrenschmalz, als Taufe und Ölung, das alte Gewicht zurückgab. Er stand auf und nahm seine Gehörwerkzeuge und gab dem Louis XIV et XV d‘or, ohne alle Reims-Fläschchen, so viele Salbung, bis er sein Gewicht hatte. Frühmorgens schickte er durch den Wirt die Nachricht in die Apotheke: er gehe den Kauf ein und werde bald vor ihr mit seinem Wagen halten. Man antwortete darauf zurück: »Gestern wär‘ es zwar ebenso gut abzumachen gewesen; aber meinetwegen!«

Der Doktor sann sich viele List- und Gewalt-Mittel – d. h. Frieden-Unterhandlungen und Krieglisten – aus, um die Föderativ-Hasen zu bekommen; und er war, im Falle gute Worte, nämlich falsche, nicht verfingen, zum Äußersten, zu Mord und Totschlag entschlossen; weshalb er seinen Arm mit dem giftigen Gemshornstock armierte.

Vor der Apotheke befahl er, aus dem Wagen springend, die Türe offen zu lassen und, sobald er gelaufen käme, fliegend mit ihm abzurennen. Er hatte sich vorgenommen, anfangs dem Fuchse zu gleichen, der so lange sich einem Hasen näher tanzt, bis der Hase selber in den Tanz einfällt, worauf der Fuchs ihn leicht in Totentänze hineinzieht.8 Er stieg dann aus – hielt ein zweiköpfiges Goldstück bloß zwischen Mittelfinger und Daumen am Rande, um es mehr zu zeigen, und um nichts vom Folien-Golde wegzureiben – und war jedes Wortes gewiss, das er sagen wollte. Er konnte sich aber beim Eintritte nicht viel Vorteil für seine Anrede oder Benevolenz-Kaptanz von dem Umstande versprechen, dass gerade das Subjekt9 und der Provisor giftigen Bilsensamen in Mörser stampften; da nach allen Giftlehrern dieses Giftkraut unter dem Stoßen und Kochen den Arbeiter unter der Hand in ein toll-erbostes, bissiges Wesen umsetzt. Indes fing er – mit dem Goldstück in der Hand, wie ein venedischer Sbirre mit einem auf der Mütze – sein freundschaftliches Anreden mit Vergnügen an, weil er wusste, dass er stets mit der sanften Hirtenflöte den, dem er sie vor tauben Ohren blies, leicht hinter dieselben schlagen konnte.

»Herr Amtbruder«, sagt‘ er, »meine de monstris epistola (Sendschreiben über Missgeburten) kennen Sie wahrscheinlich früher als irgendein Protomedikus und Obersanitätrat in ganz größern Städten; sonst hätten Sie sich vielleicht weniger auf Missgeburten gelegt. Ihr Monstrum, gesteh‘ ich Ihnen gern – denn es ist zu sehr gegen meine Sinnes-Art, etwas herabzusetzen, bloß weil ich es erhandeln will –, ist, wie Sie selber trefflich sagten, ein curiosum; in der Tat ist Ihr Dioskuren-Hase (Sie verstehen mich leicht) wie ein Doppel-Adler gleichsam eine lebendige Sozietät-Insel, ein zusammengewachsenes Hasen-tête-à-tête. Sie wissen alles, wenn nicht mehr. Sie sehen aus meinem Goldstück in der Hand, ich gebe alles dafür; wär‘ es nur deshalb, um neben meiner Wissbegierde noch die des Fürsten im Maulbronner Bad, meines intimen dicken Freundes, zu befriedigen; ich weiß zwar nicht, ob sie bei ihm dabei verlieren, dass Sie den Doppel-Hasen früher aufgetrieben und besessen als ich; aber ich weiß, dass Sie dabei gewinnen, und dass ich ihm sagen werde, wie Sie sich schreiben, und dass nur Sie mir die Hasen abgelassen.«

»Ich will jetzt das Goldstück wägen«, versetzte der Apotheker und gab das Hasenpaar dem Provisor hin, der es mit vorfechtenden Blicken als Schutzheiliger auf- und abtrug. – Das Subjekt stieß feurig fort und sott ohne Not in eignen Augenhöhlen seine Eiweiß-Augen krebsrot. – Der Prinzipal stand im feuernden Krebs als Sonne und zitterte vor Hast, als er die Goldwaage hielt. Die ganze Apotheke war die Sakristei zu einer streitenden Kirche. –

Katzenberger aber zeigte sich mild und schien als kalte Sonne im Steinbock.

»Mein Gold«, sagt‘ er, da es etwas in die Höhe ging, »ist wohl überwichtig; denn Sie halten nicht fest genug, und so fliegts auf und ab.« –

– »Wenn nicht Harn dran ist, ders schwer macht«, sagte der Apotheker und berochs; worauf er das Goldstück versuchweise ein wenig am Oberrockfutter zu scheuern begann. Aber der Doktor fing seine Hand, damit er nicht die auf die Goldmünze aufgetragne Schaumünze wegfeile, und sagte ihm frei heraus: »Er halte ihn zwar für den ehrlichsten Mann in der ganzen Apotheke, aber er könne deshalb doch nicht vergessen, dass in verschiedenen Leipziger und Frankfurter Messen Juden gestanden, welche ein feines Reibeisen im Unterfutter eingenäht getragen, womit sie unter dem Vorwande der Reinigung von den besten Fürstend‘or Goldstaub abgekratzt und dann mitgenommen.«

»Fremder Herr! Mordieu! Ihr Geld« (sagte der Mann) »wird ja immer leichter, je länger ich wäge. – Ein Ass ums andre fehlt.«

»Wir wollen beide nichts daraus machen, Herr Amtbruder« – sagte der Doktor und klopfte auf dessen spitze Achsel –, »sondern als echte Freunde scheiden, zumal da man hinter uns Bilsensamen stampft; Sie kennen dessen Einfluss auf Schlägereien, in denen ohnehin jeder Charakter, wie eine Sommerkrankheit, leicht einen gewissen biliösen oder gallichten Charakter annimmt. Wir beide nicht also!«

»Sacker, zehnmal zu leicht!« (rief der Apotheker, die Goldwaage hoch über den Kopf haltend) – »An keinen Hasen zu denken!«

Aber der Doktor hatte schon daran gedacht; denn er hatte den aufs Gespräch horchenden Provisor mit dem Schnabelstocke, den er als ein Kammrad in dessen Zopf eingreifen lassen, rückwärts auf den Boden wie in einen Sarg niedergelegt und ihm im Umwerfen die Missgeburt aus der Hand gezogen.

Wie ein Krebs trat er den Rückzug an, um mit dem Gemshornstock vorwärts in die Apotheke hineinzufechten. Der Landsturm darin organisierte sich bald. Wütig warf sich der Provisor herum und empor und feuerte (er konnte nicht wählen) mit Kräutersäckchen, Kirschkernsteinen, die erst zu extrahieren waren, mit alten Ostereiern voll angemalter Vergissmeinnicht dem Doktor auf die Backenknochen. – Der Apotheker hatte erstaunt das Goldstück fallen lassen und sucht‘ es unten mit Grimm. – Das Subjekt stocherte mit dem Stößel bloß auf dem Mörserrand und drehte sich selber fast den Kopf ab, um mehr zu sehen. –

Unten schrie der gebückte Apotheker: »Greift den Hasen, greift den Hund!« – »Nur auf ein ruhiges Wort, meine Herren!«, rief Katzenberger ausparierend. »Das Bilsenkraut erhitzt uns alle, und am Ende müsste ich hier gar als Arzt verfahren und dagegen rezeptieren und geben, es sei nun, dass ich dem Patienten, der zu mir käme, entweder das Gemsenhorn meines äskulapischen Stabs als einen kühlenden Blutigel auf die Nasenflügel würfe, oder diese selber damit aufschlitzte, um ihm Luft zu machen, oder das Horn als einen flüchtigen Gehirnbohrer in seine Kopfnaht einsetzte. – – Aber den Hasen behalt‘ ich, Geliebte!«

Nun stieg die Krieglohe gen Himmel. Der Apotheker ging auf ihn mit einer langen Papierschere los, sie, wie ein Hummer die seinigen, aufsperrend; – Katzenberger indes hob ihm bloß mit dem Skalpier-Stock leicht eine Vorstecklocke aus; der Provisor schnellte eine der feinsten chirurgischen Splitterscheren ab, die zum Glück nur in den langen Ärmel weit hinterfuhr. – Katzenberger aber ließ auf ihn durch den Druck einer Springfeder sein Gemsenhorn, woran noch die Vorstecklocke des Vorgesetzten hing, abfahren und schoss damit die ganze linke Brustwarze des Provisors zusammen, wiewohl die Welt, da er mit ihr nichts säugte, dabei weniger verlor als er selber. – Das Subjekt hielt im Nachtrabe den Stößel in die Lüfte aufgehoben und drohte nach Vermögen. – –

Aber jetzt ersah der Pharmazeutikus den langen amerikanischen Giftpfeil nackt vorstechend und wollte hinter den Subjekts-Hintergrund zurück. – »Um Gottes Willen, Leute«, rief der Doktor, »rettet euch – springt insgesamt zurück – auf wen ich diesen Giftpfeil zuwerfe, der fällt auf der Stelle tot nieder, eh‘ er nur meinen Steiß erblickt!«

Da der Mensch stets neue Waffen und Gefahren mehr scheut als die gefährlichsten bekannten: so ging die ganze pharmazeutische Fechtschule rückwärts; und der Doktor ohnehin, bis er auf diese Weise mit seinem Hasen und dem zielenden Wurfspieß und seinem Rücken an den Fußtritt seines Wagens gelangte. Darauf fiel zwar die erhitzte Apotheke wieder von ferne aus – der Apotheker begleitete den Siegwagen wie einen römischen mit Schimpfworten – der Provisor schleuderte präparierte Gläser voll Kühltränke dem Hasendiebe nach und zerrte vor Wut, um die Brustwarze und die Splitterschere gebracht zu sein, mit beiden Zeigefingern die beiden Mundwinkel bis an den Backenbart auseinander, um allgemeines Grausen auszubreiten – und das Subjekt hieb in der Weite mit der Mörserkeule heftig in das Stein-Pflaster und kegelte noch mit den Füßen Steine nach; inzwischen Katzenberger und die Hasen fuhren ab, und er lachte munter zurück.

So aber, ihr Menschen, schnappen öfters Krieg-Trubeln passabel ab, und am Friedenfeste sagt der eine: ich bin noch der Alte und wie neugeboren – und der zweite: verflucht! wir leben ja ordentlich wieder auf – und der dritte: ich hätte mehr wissen sollen, ich hätte mich weniger gefürchtet; denn mein Herz sitzt wohl auf dem rechten Fleck – und der vierte: aber die Hasen haben wir doch in diesem Kriege verloren.

Indes hat darin außer dem Doktor, der nicht durch einen Doppeladler, sondern einen Doppeladler selber gewann, noch eine Person viel erbeutet, welche dem Leser die nächste ist, nämlich ich hier. Zweite Auflagen haben den Vorzug, dass man darin Sachen sagen kann, welche durchaus in keiner ersten vorzubringen sind; so konnt‘ ich in der ersten dieses Werks gar nicht die schöne Nachricht mitteilen, dass der berühmte Zergliederer Johann Friedrich Meckel in Halle – der Erbe und Mehrer des Reiches von väterlichem Ruhm – mir im Jahr 1815 seinen de duplicitate monstrosa commentarium nicht nur geschenkt, sondern auch zugeeignet, und zwar in einem schönern Latein, als ich noch erlernen kann. Niemand aber hab‘ ich diese lateinische Triumphpforte zu verdanken als – laut der Zueignung – den Grundsätzen und Krieglisten des Dr. Katzenbergers, der jetzo den kenntnisvollen und scharfsinnigen Commentarius selber längst in Händen haben und sich über Buch und sich und mich erfreuen muss. Und hiemit erhalte Meckel nach dem geschriebnen Dank auch den gedruckten für sein Foliobändchen über den organischen Dualis oder die monströse Doppelheit, die an Körpern ebenso selten als widrig ist, indes die häufigere Doppelheit an Seelen weit angenehmer wirkt und sich auf die Zunge einschränkt durch Doppelzüngigkeit, Doppelsinn usw.

 
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