Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA

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Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© (Dissertation) 1969/70 Jemal Nebez

© (Nachwort) 2015 Jemal Nebez

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meiner teueren Mutter

und meinen lieben Schwestern

in Treue und Dankbarkeit

Inhalt

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Widmung

Inhalt

I. VORWORT ZUR DISSERTATION VOM 24.08.1969

II. ÜBERSICHT ÜBER DIE VERWENDETEN TEXTE 1. Kurdische Texte in kurdischer Sprache

a. Manuskripte

b. Gedruckte Texte

2. Kurdische Texte in nichtkurdischen Sprachen des Morgenlandes

a. Manuskripte

b. Gedruckte Werke

3. Abendländische Texte

a. Wissenschaftliche Untersuchungen

b. Reiseberichte

4. Arabische Texte

5. Türkische Texte

6. Persische Texte

7. Sonstige Texte

III. EINLEITUNG

1. Überblick über die Geschichte von Sōrān bis Muṣṭafā Beg

2. Die Regierungszeit Muṣṭafā Begs

IV. MĪR-Ī KŌRA UND SEIN EMIRAT IM SPIEGEL DER ZEUGNISSE A. DIE PERSÖNLICHKEIT MĪR-Ī KŌRAS

1. Erziehung und Bildung

2. Aufstieg zum Mīr

3. Die Persönlichkeit des Mīr

4. Über den Beinamen Kōra

B. DIE VERHÄLTNISSE IM EMIRAT ZUR ZEIT MĪR-Ī KŌRAS

1. Die religiösen Verhältnisse

2. Die militärische Stärke

3. Die kulturelle Lage

4. Die politischen Verhältnisse

a. Die inneren Zustände im Sōrān-Emirat

b. Die Einstellung Mīr-ī Kōras zu den Ausländern

c. Die allgemeine Lage in Kurdistan um die Zeit Mīr-ī Kōras

d. Die allgemeine Lage im Osmanischen Reich und ihre Rückwirkung auf Mīr-ī Kōra

i. Die innenpolitische Lage

ii. Die außenpolitische Lage

e. Die Bewegung und der Staat Mīr-ī Kōras

5. Die sozialen Umstände

a. Bekämpfung von Räuberei und Diebstahl

b. Das Rechtswesen

c. Das Verwaltungs- und Regierungssystem

d. Die wirtschaftlichen Zustände

e. Die Stellung der Frau

f. Soziale Einrichtungen

C. DIE EXPANSIONSBESTREBUNGEN MĪR-Ī KŌRAS

1. Eroberung kleinerer Emirate und Gebiete

2. Der Einfall in das Bābān-Emirat

3. Der Einfall in das Bahdīnān-Emirat

4. Der Angriff auf das Bōtān-Emirat

D. MĪRĪ-Ī KŌRAS STURZ UND DER NIEDERGANG SŌRANS 1. Ursachen des Sturzes nach den Zeugnissen

a. Die religiösen Ursachen

b. Militärische Operationen als Ursache

c. Die Rivalität zwischen den kurdischen Fürsten als Ursache

d. Die Unpopularität Mīr-ī Kōras als Ursache

e. Die Stellung der Engländer zwischen Mīr-ī Kōra und den Osmanen als Ursache

i. Die Einstellung Englands zu den Osmanen

ii. Die Einstellung Englands zu Mīr-ī Kōra

f. Die Ermordung Mīr-ī Kōras

2. Das Sōrān-Emirat nach dem Sturz Mīr-ī Kōras

V. SCHLUSSWORT

VI. LITERATURVERZEICHNIS MIT ABKÜRZUNGEN

VII. LEBENSLAUF

VIII. LANDKARTE

NACHWORT ZUR INTERNET-AUSGABE 2015

Verzeichnis der Dokumente zum Nachwort

Verzeichnis der Abbildungen zum Nachwort

ENDNOTEN

I. VORWORT ZUR DISSERTATION VOM 24.08.1969

In der ersten Hälfte des 19. Jh. führten die politischen und militärischen Verhältnisse im Osmanischen Reich und in Iran zu einer Situation, die plötzlich einigen kurdischen Fürstentümern wie Sōrān, Bābān und Bōtān zu einer bedeutenden Stellung verhalf und sie in die Lage versetzte, sich als erbitterte Rivalen der beiden Staaten, besonders des Osmanischen Reiches, zu zeigen. Der bedeutendste Fürst dieser Zeit, der das mächtigste Emirat Kurdistans regierte, war Mīr Muḥammad-ī Rawāndizī, oder wie er auch genannt wurde, Mīr-ī Kōra, „der blinde Mīr“1 (starb 1836).

Trotz vieler militärischer Siege2 und seiner im Vergleich zum Osmanischen Reich guten Verwaltung3 konnte Mīr-ī Kōra sein Emirat nicht vor dem Sturz bewahren, als es zur Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich kam.

Es ist die Absicht dieser Arbeit, das Leben Mīr-ī Kōras und seines Emirates auf Grund von kurdischen und ausländischen Zeugnissen zu untersuchen, wobei den religiösen Faktoren – in der ersten Linie die feste Bindung der sunnitischen Kurden an den osmanischen Kalifen als „Stellvertreter Muḥammads“ – besondere Beachtung geschenkt werden soll.

1956 besuchte ich zum ersten Mal Rawāndiz, die Hauptstadt des Sōrān-Emirats, und besichtigte die von Mīr-ī Kōra erbauten Moscheen, Burgen, Brücken und die in den einheimischen Werkstätten hergestellten Kanonen, die den Namen Mīr Muḥammad-ī Rawāndizī tragen. Von der einheimischen Bevölkerung hörte ich vieles über diese kurdische Persönlichkeit, die in relativ kurzer Zeit die Nachbarfürsten besiegen und weite Gebiete unter ihre Herrschaft zwingen konnte. Ich hörte mehrere Legenden über Mīr-ī Kōras Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Es gibt viele Kurden, die glauben, dass es Mīr-ī Kōra gelang, einen „richtigen kurdischen Staat“4 aufzubauen. Auch gibt es europäische Berichte, die von „einer nationalen Bewegung“ Mīr-ī Kōras5 berichten. Mit großem Interesse fing ich an, Material zu sammeln, um eine Abhandlung über Mīr-ī Kōra in kurdischer Sprache zu verfassen. Wie auch in meinem Lebenslauf erwähnt, konnte ich erst in Deutschland diesen meinen Wunsch verwirklichen. Es sei noch darauf hingewiesen, dass ich mich bemüht habe, die Texte, die in orientalischen Sprachen abgefasst sind, gewissenhaft ins Deutsche zu übersetzen und dabei dem Sinn des Originals so nahe wie möglich zu kommen.

 

Da manche Namen und Quellen öfters wiederholt werden, habe ich (im Literaturverzeichnis enthaltene) Abkürzungen für sie eingeführt.

Die Informationen, die ich benutzt habe, sind insgesamt so verschiedenartiger Natur, dass ich mich entschließen musste, sie mit einem Sammelbegriff zu bezeichnen. Ich verwende dafür den Ausdruck Zeugnisse, der also im allgemeinsten Sinne verstanden werden soll. Auch mündliche Informationen und eigene Beobachtungen fallen somit unter den Begriff. Man vergleiche die anschließend eingefügte "Schematische Gliederung der Zeugnisse".

Wo kurdische Namen verwendet worden sind, wurden sie nach kurdischer Aussprache wiedergegeben. Ich schreibe ein kleines i für den kurdischen Murmelvokal und ł für das velare l (das sogenannte polnische l). Für den Buchstaben خ schreibe ich in kurdischen Wörtern x statt ḫ, um eine gewisse Besonderheit (schwächeres Reibegeräusch) der kurdischen Aussprache anzudeuten. Ferner können Eigennamen jeder Art in verschiedenen transliterierten Formen auftreten (z.B. bei Zitierungen aus arabischen oder kurdischen Werken).

Ich hoffe, dass diese Arbeit einen Abschnitt der kurdischen Geschichte beleuchtet, von der noch so vieles im Dunkeln liegt.

Hamburg, den 24.8.1969

Jemal Nebez


II. ÜBERSICHT ÜBER DIE VERWENDETEN TEXTE
1. Kurdische Texte in kurdischer Sprache

Die kurdischen Texte, die ich bei dieser Arbeit verwendet habe, sind folgender Art:

a. Manuskripte

Zu den wichtigsten primären Quellen gehört das Manuskript der Memoiren und geschichtlichen Eindrücke des kurdischen Gelehrten Malā As’ad-ī Xēlānī (1270h.-1349h.1853/4-1930/1). Das Werk ist ein Dokument für das Sōrān-Emirat während der letzten 300 Jahre und besonders ausführlich für die Zeit Mīr-ī Kōras. Xēlānī war der Sohn des Ḥāğī Malā ‘Umar Efendī Xēlānī, eines bekannten Gelehrten seiner Zeit in Kurdistan und Zeitgenossen von Mīr-ī Kōra.6

Ein Exemplar des Manuskriptes befindet sich in Kurdistan bei seinem Sohn ‘Abd al-Karīm-ī Mudarris, der ebenfalls ein bekannter Gelehrter ist.7 Ein anderes Exemplar mit 92 handschriftlichen Seiten habe ich bei Herrn Gīw-ī Mukriyānī in seiner Privatbibliothek 1960 in Hawlēr (Erbil) gesehen. Letzteres ist eine Kopie, wovon ich eine weitere Abschrift besitze. Nach dieser Abschrift ist in der vorliegenden Arbeit zitiert worden.

Nach dem Verfasser wurde das Buch im Dorf Warda im Bāłakān-Gebiet auf Aufforderung des kurdischen Fürsten Sayyid Tahā-ī Šamzīnī geschrieben und am 29. Ša’bān 1345h. (4. März 1927) abgeschlossen. Das Buch behandelt die oben erwähnte Periode der Geschichte von Sōrān, ihre ‘Ulamā, Scheiche und Fürsten ganz kurz. Dabei wird auch das Bahdīnān-Fürstentum nicht ganz vernachlässigt. Die Quellen des Werkes sind die persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse des Verfassers und die Nachrichten, die er von den ‘Ulamā und gut informierten Kurden, die zurzeit Mīr-ī Kōras lebten, erhalten hatte. Das Buch ist im Rawāndiz-Dialekt geschrieben. Stil und Orthographie sind altmodisch. Dieses Buch ist insofern wichtig, als es zeigt, welche große Rolle die religiösen Faktoren in der Gesellschaft zurzeit Mīr-ī Kōras spielten und wie sie beim Niedergang des Emirates mitwirkten.

Das Manuskript wurde auch von anderen Forschern, z. B. Zakī8, als Quelle verwendet.

b. Gedruckte Texte

Zu den gedruckten sekundären Quellen, die z. T. wissenschaftliche Forschungen darstellen, gehören die Werke der beiden kurdischen Historiker Generalmajor Muḥammad Amīn Zakī (1880-1948) und Ḥusain Ḥuzni Mukriyānī (1886-1947). Zakī war einer der bekanntesten wissenschaftlichen und politischen Persönlichkeiten nicht nur in Kurdistan, sondern auch im Osmanischen Reich und im Irak.9 Als Jüngling studierte Zakī in religiösen Schulen10 in Sulaimānī, woran sich ein Studium an der militärischen Fakultät in Istanbul anschloss.11 Er bekleidete höhere Posten in osmanischen Militärorganisationen und arbeitete auch auf topographischem und technischem Gebiet. Zakī nahm auch an der Arbeit von Grenzkommissionen zwischen dem Osmanischen Reich und Bulgarien im Jahre 1908 und Russland, 1914 im Kaukasus, teil. Während des ersten Weltkrieges erwarb er viele Auszeichnungen, darunter einen Orden der österreichischen Regierung im Oktober 1917 und das deutsche Eiserne Kreuz am 1. März 1918. Nach dem Sturz des Reiches ging er am 24. Juli 1924 nach Irak. Zakī schrieb einige wertvolle Bücher über die Geschichte der osmanischen Kriege in türkischer Sprache. Einige davon wurden in Istanbul gedruckt.12

Im Irak wurde Zakī Leiter der Militärakademie in Bagdad als Mīr-ālāy und bekleidete achtmal einen Ministerposten zu verschiedenen Zeiten. Diese Stellungen gaben ihm gute Gelegenheit, mit vielen einheimischen und ausländischen Fachleuten Kontakt aufzunehmen. Zakī beherrschte neben den vier orientalischen Sprachen13 einige europäische Sprachen. Er reiste öfters nach Europa, um Bibliotheken zu besuchen.14 Seine angeborene Intelligenz und sein Beruf schufen ihm alle Voraussetzungen, um wissenschaftliche Werke über die Kurden verfassen zu können. Seine Werke werden durch orientalische und europäische Dokumente beweiskräftig gemacht. Ich möchte sagen, dass seine versteckte Zuneigung zur Sunnī-Konfession und seine Kritiklosigkeit gegenüber dem Islam als Religion und Regierungssystem nicht so sehr ins Gewicht fallen. Man kann sein Buch dennoch als einen im Großen und Ganzen guten Beitrag betrachten. Inzwischen sind seine Werke traditionelle Quellen für diejenigen geworden, die über kurdische Geschichte schreiben und sogar für jene, die gegen die Kurden schrieben.15

Der erste Band seines Werkes „Xōlāṣayak-ī ta’rīḫ-ī Kurd ū Kurdistān“16 ist eine bedeutende Quelle für die allgemeine kurdische Geschichte oder, wie Zak ī selbst mit Bescheidenheit sagt17, eine Arbeit im „Lichte und nach der Methode des Artikels von Minorsky in der EI“. In diesem Band findet man viele Nachrichten und Angaben über Mīr-ī Kōra und sein Emirat.

Der zweite Band18 ist eine Quelle für die kurdischen Emirate und Dynastien in der islamischen Zeit. Dieser Band enthält viel Wissenswertes über das Emirat Mīr-ī Kōras.

Sein Werk über die Geschichte von Sulaimānī befasst sich mit dem Fürstentum Bābān, also dem Emirat von Šārazūr, sowie den Derwischorden wie Qādirī und Naqišbandī, die in diesem Gebiet ansässig waren. Es beschreibt auch die Persönlichkeiten des Gebietes. Dieses Buch habe ich als Quelle für die Forschung über die Beziehungen zwischen den Emiraten Bābān und Sōrān in der Zeit Mīr-ī Kōras benutzt.19

In seinem Werk Nāwdārān-ī Kurd (Die bekannten Kurden)20 gibt Zakī Biographien zahlreicher kurdischer Persönlichkeiten der islamischen Zeit, er rechnet aber alle Personen, die kurdischer Abstammung waren, als Kurden, ohne ihre Einstellung zum Kurdentum zu berücksichtigen. In diesem Buch ist auch eine kurze Biographie von Mīr-ī Kōra zu finden, die der arabische Übersetzer Muḥammad ‘Alī ‘Awnī beigetragen hat.21

Glücklicherweise sind von allen diesen Werken Übersetzungen ins Arabische vorhanden. Der kurdische Theologe, Forscher und Sprachkenner Muḥammad ‘Alī ‘Awnī (1897-1952), der Privatdolmetscher von König Fārūq von Ägypten war, Direktor von Fārūqs Privatbibliothek und Archivar, hat diese Aufgabe übernommen.22 ‘Awnī hat nicht nur die Texte in hervorragendem arabischen Stil übersetzt, sondern auch die Zuverlässigkeit der Berichte überprüft und viele Beiträge und Fußnoten hinzugefügt, die den Werken Zakīs einen zusätzlichen Wert geben. Das letzte Werk von Zakī, Ta’rīḫ-ī Sulaimānī ū Wułātī (Geschichte Sulaimānīs und seiner Umgebung)23 wurde von Rōžbayānī ins Arabische übersetzt und mit vielen Kommentaren und Fußnoten versehen.24 Rōžbayānī ist ein bekannter kurdischer Gelehrter unserer Zeit.25 Er verfügt über umfangreiche historische und sprachliche Kenntnisse. Rōžbayānī hat auch das Šarafnāma ins Arabische übersetzt.26

Da die arabischen Übersetzungen von Zakīs Werken von vorzüglicher Qualität sind, können sie an Stelle des kurdischen Originals benutzt werden. Ich gab jedoch immer Hinweise, wenn ich etwas vom Übersetzer und nicht vom Verfasser als Zitat übernahm.

Auch die geschichtlichen Werke von Ḥuznī Mukriyānī sind unerlässlich für jeden, der die kurdischen Fürstentümer erforscht. Mukriyānī verfasste mehrere Bücher über die kurdische Geschichte27 und gab einige Zeitungen in kurdischer Sprache heraus.28 Er gründete als erster 1915 eine Druckerei in Kurdistan. Seine Werke sind frei von religiösen Tendenzen. Im Gegensatz zu Zakī, der bei seinen Forschungen hauptsächlich europäische Quellen zugrunde legte, stützte sich Mukriyānī in erster Linie auf orientalische Quellen. Unter den sehr spärlich verwendeten europäischen Werken wiederum befinden sich nur solche in englischer Sprache. Charakteristisch für seine Werke sind Befragungen Alteingesessener, die entweder die Ereignisse selbst erlebten oder sie von ihren Vorfahren erzählt bekommen haben. So erhält man Nachrichten und Informationen, die man woanders kaum finden kann. Mukriyānī verwendet auch folkloristisches Schrifttum. Die Übernahme aus Berichten anderer ist durchaus zuverlässig. Beim Vergleich seiner Werke mit anderen Quellen und nach persönlichen Befragungen stellte ich im wesentlichen Deckungsgleichheit mit anderen Werken fest, obwohl er sich stilistisch etwas anders ausgedrückt hat. Sein Buch Mēžū-ī Mīrān-ī Sōrān (Geschichte der Sōrān-Emire; erschien 1935), war eine wichtige Grundlage für die vorliegende Arbeit. Dieses Werk enthält einen kurzen Überblick über die Geschichte des Sōrān-Emirates von der frühesten Zeit (wie sie im Šarafnāma dargestellt ist) bis zu seinem Niedergang. Dabei ist die Geschichte von Mīr-ī Kōra ausführlich berücksichtigt.

Mukriyānīs Berichte sind wertvoll für einen Vergleich mit anderen Berichten, besonders denen von Xēlānī und den Europäern. Er hat für sein Werk eine kurdische Arbeit mit dem Titel Malīxā herangezogen29, die eine Chronologie von Mīr-ī Kōras Emirat bilden soll. Ihr Verfasser soll Mīrzā Muḥammad-ī Waqā’i‘-nigār gewesen sein, der als Mīr-ī Kōras Sekretär tätig gewesen war und die Schicksale des Mīrs durch persische Dichtungen dargestellt haben soll. Vergeblich habe ich versucht, ein Exemplar dieses Manuskriptes zu bekommen.

Die zweite Auflage von Mukriyānīs Werk wurde 1962 von seinem Bruder, Gīw-ī Mukriyānī, Inhaber der Hāwler-Druckerei (früher Kurdistan-Druckerei), herausgegeben. Sie enthält jedoch einige Änderungen, die ich für unsachgemäß halte. Da ich das kurdische Original der 1. Auflage nicht zur Verfügung hatte, benutzte ich die arabische Übersetzung von Muḥammad al-Mullā ‘Abd al-Karīm, der eine weitgehende Kenntnis der kurdischen und arabischen Literatur besitzt.

 

Zu dem wichtigsten kurdischen Hintergrundmaterial des 19. Jh. gehört unter anderem das Werk des bemerkenswerten kurdischen Theologen Malā Maḥmūd-ī Bāyazīdī, geboren um 1797, über die Mentalität und Lebensweise der Kurden. Dieses Buch stellt die Unterschiede in der Denkweise der Kurden und der anderen Muslime ohne nationale Voreingenommenheit dar. Aus seinem Werk habe ich Zitate entnommen, die mir bei der Erforschung der sozialen Zustände im Sōrān-Emirat geholfen haben.

Die Handschrift dieses Werkes befand sich im Nachlass des russischen Orientalisten und Diplomaten A. Žaba, der (1855-1860) in Erzurum russischer Konsul war.30 Sie blieb bis 1963 in der Leningrader Staatsbibliothek als Manuskript, bis die sowjetische Kurdologin M. B. Rudenko den Text mit der russischen Übersetzung und einem kritischen Vorwort veröffentlichte.

Ich benutzte gelegentlich auch Zitate aus der schöngeistigen Literatur, um manche meiner Behauptungen zu unterstützen. Besonders bei der Untersuchung über die Uneinigkeit der kurdischen Fürsten und ihre Rivalität gegeneinander brachte ich Zitate aus dem Werk des kurdischen Dichters und Denkers Aḥmad-ī Xānī (1650-1706). Xānī berichtet im Vorwort seiner Liebesdichtung „Mam ū Zīn“ über die „Knechtschaft der Kurden in beiden Reichen“ und spricht von der „Uneinigkeit und dem Egoismus der kurdischen Fürsten“. Er klagt bewegt über den „Verfall der kurdischen Sprache und Literatur“. Xānī lobt die „Tapferkeit und Gastfreundschaft der Kurden“ und wundert sich über den „Ratschluss Gottes“, der die Kurden in eine solche Lage versetzt hat. Er glaubt als Muslim, dass das Gute wie das Böse von Gott kommt.31 Xānī, der wohl die Krankheit, aber kein Mittel dagegen kannte, konnte nur Allah anflehen, den Kurden den richtigen Weg zu zeigen, sich um „einen eigenen König zu sammeln“, und ihren „eigenen Staat“ aufzubauen, damit auch die „kurdische Kultur zu Recht und ansehen“ käme.32

Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiges Dokument über die Situation eines Volkes, das in zwei Konfessionen (Sunna und Šī’a) gespalten ist und von den beiden konfessionell gebundenen Staaten, der sunnitischen Türkei und dem schiitischen Persien, jeweils dieser Sendung entsprechend beeinflusst wird.

Aus der schöngeistigen kurdischen Literatur des 19. Jh. habe ich mehrfach zitiert. Diese Zeit ist eine wichtige Periode in der Geschichte der kurdischen Fürstentümer. Denn damals gingen den Kurden die Augen auf über die Zentralisierungspolitik der Osmanen in Kurdistan. Diese Politik, die in schärfster Weise in der Zeit von Sultan Maḥmūd II. (1808-1839) als „Reform“33 begann, hatte zur Folge, dass die Empörung bei den kurdischen Anführern zunahm. Sie konnten die außenpolitischen Schwierigkeiten und den Aufruhr innerhalb des Reiches ausnutzen, um unabhängige Fürstentümer zu gründen.34 Die kurdische Literatur spiegelt die Lage der Kurden unter den Osmanen in dieser Zeit wieder:

Der kurdische Dichter Ḥāğī Qādir-ī Kōyī (1815-1892) ermutigte durch seine Dichtungen die Kurden, sich von der auf dem Islam basierenden Gewaltherrschaft der Osmanen zu befreien.35 Kōyī bezeugt offen eine große Antipathie gegen die ‘Ulamā, Scheiche, Derwische und Heiligen, die seiner Meinung nach die einzige Ursache für die „Unwissenheit“ seines Volkes36 sind. Er ruft die Kurden auf, ihre Kultur zu schützen37 und bewundert die europäische Wissenschaft.38 Kōyī ist meiner Ansicht nach ein Spiegel seiner Epoche. Aus seinen Dichtungen kann man deutlich vieles über die religiöse und politische Situation der Kurden unter osmanischer Herrschaft herauslesen. Daher habe ich einzelne Stellen aus seinen Dichtungen als Zitate bei der Untersuchung der kulturellen Lage im Sōrān-Emirat in der Zeit Mīr-ī Kōras verwendet.

Der zweite Dichter ist Šēx Raẓā-ī Tāłabānī (1835-1909). Er beschreibt das unabhängige Bābānī-Fürstentum, seine militärische Macht und die Verehrung der ‘Ulamā in jener Zeit. Als Muslim anerkennt er, dass die Araber „bevorzugt (afḍal)“ sind, aber er betont, dass „Saladin ein Kurde war“.39 Bei der Behandlung des Nationalbewusstseins der Kurden in der Zeit Mīr-ī Kōras habe ich ihn zitiert.

Zu weiteren Stellen aus der schöngeistigen kurdischen Literatur sind an den jeweiligen Stellen Hinweise gegeben.

Zu den Stellungnahmen zähle ich die Artikel von Ṣāliḥ Qaftān40, Barzinği41 und Muḥammad Fīdā42. Diese Stellungnahmen sind mir insofern wichtig, als sie die Meinungen der zeitgenössischen kurdischen Forscher über Mīr-ī Kōra und sein Emirat zeigen. Es ist außerdem zu erwähnen, dass ich die mündlichen Überlieferungen, die ich von Kurden selbst hörte, ausgewertet habe. Solche Angaben habe ich kritisch dargestellt.