Herzen der Nacht

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Herzen der Nacht
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Jill Korbman

Herzen der Nacht

Fantasy Vampir Liebesroman

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1: Colin

Kapitel 2: Ellie

Kapitel 3: Colin

Kapitel 4: Ellie

Kapitel 5: Colin

Kapitel 6: Ellie

Kapitel 7: Colin

Kapitel 8: Ellie

Kapitel 9: Colin

Kapitel 10: Ellie

Kapitel 11: Colin

Kapitel 12: Ellie

Impressum neobooks

Kapitel 1: Colin

„Und du bist dir sicher, dass sie es ist?“ Die junge Frau stieg gerade aus ihrem Wagen. Sie hatte langes, blondes Haar und war wirklich hübsch, soweit ich das aus dieser Entfernung beurteilen konnte.

Ich runzelte zweifelnd die Stirn. „Nein, ganz im Gegenteil. Sie macht einen viel zu netten Eindruck. Und sie sieht irgendwie ziemlich harmlos aus. Die Auserwählte habe ich mir definitiv anders vorgestellt.“

„Das mag ja sein, vielleicht ist das aber auch alles nur Fassade. Auf alle Fälle müssen wir sie ganz genau unter die Lupe nehmen.“ Mein Cousin Drake saß an seinem Schreibtisch aus dunklem Teakholz und ließ sich zum wiederholten Mal an diesem Tag eine Blutkonserve schmecken.

„Sag mal, du kannst doch unmöglich schon wieder Hunger haben?“, fragte ich mit ungläubigem Staunen in der Stimme. „Die wievielte Portion ist das denn schon für heute?“

„Das geht dich gar nichts an, Colin“, blaffte er zurück, „du kannst überhaupt froh sein, dass ich meine Nahrung in dieser Form aufnehme… oder wäre es dir lieber, wenn ich mich an einem der saftigen Menschen da unten laben würde?“ Sein Lachen klang schaurig, selbst für die Ohren eines Vampirs.

Ich richtete mich auf und fletschte die Zähne. Plötzlich verspürte ich einen starken Drang, mich auf ihn zu stürzen und ihm sein süffisantes Lächeln aus dem Gesicht zu prügeln. Aber das war wahrscheinlich genau das, was er wollte. Er liebte es, jeden in seiner Nähe bis aufs Blut zu provozieren, insbesondere mich. Natürlich wusste er genau, dass die Menschen für uns tabu waren, und dennoch machte er immer diese geschmacklosen Scherze, von welchen man nie wusste, ob sie ernstgemeint waren oder nicht.

„Hört auf zu streiten.“ Mein Cousin Marcus hielt mich zurück. Er und Drake waren Brüder, die Ähnlichkeiten zwischen den beiden beschränkten sich jedoch nur auf das Äußerliche. Während Drake ein impulsiver, aufbrausender Typ war, verfügte Marcus eher über ein ruhiges und besonnenes Gemüt.

„Drake, du weißt genau, dass wir die Menschen brauchen, da sie unsere wichtigste Geldeinnahmequelle sind. Außerdem wurden wir vom Rat dazu bestimmt, die Menschen zu beschützen, für alle Zeiten. Also hör‘ gefälligst mit den dummen Sprüchen auf und halt‘ dich zurück! Wir haben doch jetzt ganz andere Probleme. Bei uns allen liegen die Nerven im Moment blank.“

„Reg‘ dich nicht so auf. War doch nur Spaß. Hiermit schwöre ich feierlich, dass ich niemals wieder einen Menschen beißen werde!“ Er lachte. „Na, zufrieden?“

Marcus verdrehte genervt die Augen, gab seinem Bruder jedoch keine Antwort. Stattdessen wandte er sich mir zu. „Und jetzt zu dir, Colin. Von deiner dauerhaft schlechten Laune werden ja die Blutkonserven sauer. Du solltest dringend etwas dagegen unternehmen! Langsam wird es unerträglich.“

Da konnte ich Marcus tatsächlich nicht widersprechen. Meine Laune war schon eine ganze Weile im Keller, und das lag nicht nur an den Werwölfen, die plötzlich wieder in den Wäldern rund um Greyborough Castele aufgetaucht waren und das Schloss belagerten. Es lag auch nicht an Drake oder der monatelangen Suche nach der Auserwählten, die offenbar noch immer nicht abgeschlossen war.

Nein, ich hatte es ganz einfach satt, ein Vampir zu sein. Andere meiner Art kamen offenbar besser mit ihrem Schicksal klar, ich aber nicht. Ich hasste es, Blut von anderen Lebewesen trinken zu müssen und deshalb kein normales Leben führen zu können. Und ich beneidete die Menschen. Sie ahnten nichts von der Gefahr, in welcher sie sich Tag für Tag befanden, und Werwölfe kannten sie allerhöchstens aus Filmen und Romanen. Sie wussten gar nicht, wie gut sie es hatten.

„Anstatt euch zu streiten, solltet ihr uns lieber mitteilen, wie wir weiter vorgehen sollen“, fuhr Marcus fort. „Deine Meinung, Colin?“

Ich ging erneut zum Fenster und blickte hinaus. Die Menschenfrau befand sich noch immer auf dem Parkplatz und machte gerade Bilder vom Schloss.

„Ich denke nicht, dass sie es ist“, erwiderte ich resigniert, „wir sollten unsere Suche an anderer Stelle fortsetzen. Es bleibt uns zwar nicht mehr viel Zeit, aber vielleicht haben wir ja Glück und finden die echte Auserwählte.“

„Aber sie ist Bibliothekarin, und sie ist im Besitz des Medaillons“, gab Mirja zu bedenken, „sie muss es einfach sein. Alles andere ergibt keinen Sinn.“ Die attraktive Rothaarige war Drakes Ehefrau, was ich bis heute noch nicht verstand. Ich konnte mir einfach nicht erklären, warum sie ausgerechnet diesen mürrischen Nörgler zum Gefährten genommen hatte. Meiner Meinung nach passten die beiden überhaupt nicht zusammen, aber vielleicht war das ja gerade das Geheimnis ihrer Beziehung.

Ich zuckte mit den Achseln. „Es kann Zufall sein, Mirja. Vielleicht hat sie den Anhänger ja auch gefunden oder gekauft.“

Ich schob den Vorhang zur Seite und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Das grelle Sonnenlicht verursachte mir Kopfschmerzen. Die blonde Frau telefonierte gerade mit ihrem Mobiltelefon. Sie gestikulierte wild in der Luft und ich stellte fest, dass ihr Lächeln wirklich bezaubernd war. Für einen Menschen hatte sie eine ganz besondere Ausstrahlung, das konnte ich selbst aus der Entfernung erkennen.

Auf einmal verspürte ich den starken Wunsch, sie kennenzulernen. Dieses Mädchen war irgendwie anders, das sagte mir mein Gefühl. Sie war interessant. Verwirrt zog ich eine Augenbraue nach oben. Ich war erstaunt über mich selbst, denn ich hatte schon lange kein Interesse mehr daran gehabt, jemanden kennenzulernen. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen.

Die junge Frau legte auf und kam direkt auf das Schloss zu.

„Es geht los“, rief Marcus und klatschte in die Hände. „Mirja – bitte geh gleich hinunter und nimm sie in Empfang.“ Sie nickte und machte sich auf den Weg.

„Drake, Colin - einer von euch beiden sollte ebenfalls nach unten gehen.“ Marcus sah erst Drake an, dann mich. „Mirja kennt sie bereits, aber euch hat sie vorher noch nie gesehen. Ihr könntet sie unauffällig aushorchen. Also – wer meldet sich freiwillig? Oder soll ich…?“

Da musste ich nicht lange überlegen. „Ich mache es.“

Ich konnte hören, wie Drake lautstark die Luft einsog. „Ausgerechnet du?“ fragte er und grinste hämisch dabei. „Denkst du wirklich, dass du die richtige Person für diesen Job bist? Ich meine ja nur…Nicht, dass du die Auserwählte gleich umbringst, so gereizt wie du heute bist.“

„Drake! Was hatten wir vorhin gesagt?“ Marcus drängte sich erneut zwischen uns, doch anstatt auf Drakes Stichelei einzugehen, drehte ich mich wortlos um und verließ den Raum.

Kapitel 2: Ellie

Der Dauerregen der letzten Tage hatte anscheinend eine Pause eingelegt, und ich genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, die die ganze Gegend in ein geheimnisvolles, fast mystisches Licht tauchten.

Staunend ließ ich im Vorbeifahren den Blick an dem alten, schottischen Schloss hochwandern, das nun für eine Weile mein Zuhause sein sollte. Es schien viel größer zu sein, als die Verwalterin es mir beschrieben hatte. Ich zählte fünf Stockwerke und vier kleine Türmchen, die sich in den blauen, nahezu wolkenfreien Himmel erhoben. Die mächtigen Mauern des Schlosses waren an der Wetterseite mit Moos überzogen und an der Fassade rankte Efeu empor.

Das war also Greyborough Castle. Ich parkte meinen Wagen auf dem Besucherparkplatz, nahm meine Handtasche und stieg aus.

Schnell zückte ich mein Smartphone und machte ein Bild von dem imposanten Gemäuer mit den grasbewachsenen Hügeln im Hintergrund. Stolz begutachtete ich das Ergebnis auf dem Display und war sehr zufrieden. Man hätte das Foto auch durchaus als Vorlage für eine Postkarte nutzen können, wie ich fand. Ich schickte die Aufnahme direkt an meine Freundin und einige Sekunden später klingelte bereits mein Telefon.

„Was für ein tolles Schloss! Und auch die Gegend ist wirklich traumhaft“, hörte ich Claire sagen, „da werde ich ja richtig neidisch. Ich glaube, ich muss dich sehr bald mal besuchen kommen!“ Sie lachte.

 

Claire war anfangs nicht gerade begeistert gewesen, als ich ihr meine Entscheidung mitgeteilt hatte, nach Schottland zu ziehen, aber letztendlich hatte sie verstanden, dass ich Abstand brauchte, um die Trennung von meinem Freund zu verarbeiten.

Die Zeit nach dem Ende unserer Beziehung war sehr schlimm für mich gewesen. Ich hatte geheult und mich mit Selbstzweifeln gequält. Schließlich hatte ich das Angebot meiner besten Freundin Claire angenommen und war zu ihr gezogen. Ohne sie hätte ich die Monate danach wahrscheinlich nicht überlebt.

Irgendwann war mir dann aber klargeworden, dass es nichts brachte, sich jeden Abend in den Schlaf zu heulen. Einfach so weiterzumachen wie bisher, das war auch keine Lösung. Ich musste weg, um einen klaren Kopf zu kriegen und mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Also begann ich, im Internet nach Stellenanzeigen zu suchen, und prompt fand ich eine interessante Annonce aus Schottland.

„Zuverlässige Bibliothekarin für ein Schloss in Schottland gesucht. Abgeschlossenes Studium im Bereich Kunsthistorie erforderlich. Sehr guter Verdienst. Bitte bewerben Sie sich mit Bild und Referenzen.“

Schottland? Als Kind war ich dort oft mit Mum und Dad in Urlaub gewesen, zuletzt vor etwa zwanzig Jahren, kurz bevor meine Eltern bei dem tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren.

Ich teilte die Liebe meiner Eltern zu diesem tollen Land mit seinen vielen Schlössern und der unglaublich schönen Landschaft. Etliche Sagen und mystische Erzählungen hatten hier ihren Ursprung, und ich mochte diese alten Geschichten sehr.

Schottland? Warum nicht! Also hatte ich mich beworben und auch gleich von der Verwalterin des Schlosses eine Antwort bekommen. Da sie sowieso gerade beruflich in der Gegend gewesen war, hatte sie mir angeboten, für das Vorstellungsgespräch zu mir nach London zu kommen. Danach war alles ganz schnell gegangen. Nach zwei Tagen hatte ich bereits den Vertrag im Briefkasten vorgefunden und diesen unterzeichnet.

Der Abschied von London war mir letztendlich doch recht leichtgefallen. Ich hatte nur noch eine einzige lebende Verwandte, und das war meine Tante Louisa, die massiv an Alzheimer litt und seit einigen Monaten in einem Pflegeheim untergebracht war. Sie bekam schon lange nicht mehr mit, was um sie herum passierte, und sie hatte auch vergessen, wer ich war. Also gab es nur noch eine einzige Person, die mich wirklich vermisste, und das war Claire. Sie hatte mir in den schweren Zeiten, die hinter mir lagen, sehr geholfen, und das würde ich ihr niemals vergessen.

Ich sah auf meine Uhr und erschrak. „Es ist schon spät, Claire, ich muss jetzt Schluss machen. Ich rufe vielleicht später nochmal an.“

„Wehe, wenn nicht! Du musst mir unbedingt alles erzählen! Viel Glück, Ellie.“

Nachdem ich aufgelegt hatte, beobachtete ich eine Minute lang das bunte Treiben vor dem Eingang. Es war zwar erst Mittag, aber dennoch drängten bereits die Besucher in Scharen an die Kasse. Ich checkte nochmal kurz mein Spiegelbild in der Autoscheibe, um dann entschlossen auf das eiserne Tor zuzuschreiten.

Die Schlange vorm Eingang war zum Glück nicht ganz so lange, wie ich gedacht hatte. Während ich wartete, sah ich mich um und betrachtete die Gemälde an den Wänden.

Ich war nervös. Meine Finger spielten mit dem Anhänger meiner Kette, dem einzigen Schmuckstück, das ich von meiner Mutter geerbt hatte. Das kühle Metall zu berühren, beruhigte mich und gab mir das Gefühl, dass sie in irgendeiner Form bei mir war.

„Miss Mulgrew, sind Sie das?“ Ich drehte mich um und erblickte die Verwalterin des Anwesens. Sie war sehr hübsch und hatte leuchtend rote Haare, die sofort ins Auge stachen. Ich fragte mich, ob sie diese gefärbt hatte oder ob sie von Natur aus so waren, wobei ich mir das fast nicht vorstellen konnte. Dieser Farbton war einfach zu unnatürlich.

Wir schüttelten uns die Hände. „Schön, Sie wiederzusehen! Kommen Sie, wir gehen ein wenig zur Seite, damit die anderen Besucher an die Kasse können. Sie müssen sich doch nicht anstellen“, erklärte sie mir.

„Oh... Ich wollte nicht unhöflich sein und drängeln“, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

„Beim nächsten Mal können Sie einfach durchgehen oder den Seiteneingang benutzen. Den zeige ich Ihnen später.“ Die Verwalterin sah auf die kleine Digital-Uhr, die über der Kasse angebracht war.

„Die nächste Führung beginnt in zwei Minuten. Ich würde vorschlagen, dass Sie diese gleich mitmachen. Das ist eine gute Gelegenheit für Sie, um sich ein wenig im Schloss umzusehen und etwas über seine Geschichte zu erfahren. Anschließend werde ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.“

Ich nickte. „Gerne, vielen Dank! Ich bin schon sehr gespannt.“

„Gut, dann sage ich Miss Sully Bescheid, sie macht die nächste Führung. Kommen Sie doch am besten gleich mit.“

Sie lief an den wartenden Menschen vorbei und schritt zielstrebig auf eine dunkelhaarige Frau zu, die mich sehr freundlich ansah.

„Miss Sully, das ist Miss Mulgrew, die neue Bibliothekarin aus London. Sie wird Sie während der Führung begleiten, und ich werde sie dann später wieder hier abholen.“

Die junge Frau nickte. „Klar, kein Problem.“ Die Rothaarige lächelte mir nochmals zu und verschwand dann im hinteren Bereich der Eingangshalle.

Meine neue Kollegin reichte mir die Hand. „Herzlich willkommen im Team! Mein Name ist Paula. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn wir uns duzen?“

„Nein, natürlich nicht! Ich bin Ellie. Sehr angenehm“, stellte ich mich vor.

Paula bewegte sich in Richtung Kasse. „Wollen wir, Ellie? Ich bin schon gespannt, wie dir Greyborough Castle gefallen wird. Ich habe mich jedenfalls gleich vom ersten Moment an hier wohl gefühlt.“

„Das glaube ich dir sofort“, gab ich zur Antwort, „es muss aufregend sein, in so einer Umgebung zu arbeiten.“

Schon als Kind hatte ich stets davon geträumt, einmal eine Nacht in einem Schloss verbringen zu dürfen, und nun würde ich sogar für längere Zeit hier wohnen. Laut der Verwaltungschefin gab es ein Stockwerk, in welchem ausschließlich die Angestellten untergebracht waren. Sie hatte dort ein Zimmer für mich reserviert, und ich freute mich bereits wahnsinnig darauf, es zu sehen.

Im Schloss zu wohnen war überdies sehr praktisch für mich, denn die nächste Stadt lag dreißig Autominuten von hier entfernt und ich hatte keine Lust, jeden Tag zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zu pendeln. Und außerdem - warum sollte ich mir woanders eine Bleibe suchen, wenn ich auch ein Zimmer in einem romantischen Castle haben konnte?

„Arbeitest du schon lange hier?“, wollte ich wissen.

Paula strich sich nachdenklich über ihr Kinn. „Seit etwa drei Jahren. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.“

Ich nickte anerkennend. „Drei Jahre? Wow. Und du bist immer noch zufrieden?“

„Ja, natürlich! Ich liebe es, hier im Schloss zu wohnen und zu arbeiten. Und ich kenne niemanden, der auch nur annähernd einen so genialen Arbeitsplatz hat wie ich.“

Sie bahnte sich einen Weg durch die Besucher, die auf die nächste Führung warteten, und ich folgte ihr. „Einen Haken hat die Sache allerdings. Wie du vielleicht schon bemerkt haben dürftest, liegt Greyborough Castle ziemlich abgelegen. Hast du ein Auto dabei?“

Ich nickte. „Ja, es steht draußen auf dem Parkplatz.“

„Das ist gut. Ohne Auto sitzt du hier nämlich fest. Es gibt keinerlei öffentliche Verkehrsmittel, weißt du?“ Paula trat einen Schritt zur Seite. „So, es geht los. Wenn du Fragen hast, darfst du sie natürlich gerne stellen. Ansonsten wünsche ich dir viel Spaß bei der Führung.“

Aufgeregt sah ich mich um. Dieses Schloss war wirklich ein Traum und ich war schon gespannt darauf, die anderen Räume zu sehen, insbesondere die Bibliothek. Paula stellte sich kurz vor und erzählte dann einige grundlegende Fakten über das Gebäude.

„Der Grundstein zum Bau der Anlage wurde um das Jahr 1300 gelegt. Wie man sehen kann, trägt das Schloss auch Merkmale der Gotik, zum Beispiel die Spitzbögen über den Fenstern. Im Laufe der Zeit wurden die Innenräume mehrmals renoviert und von den jeweiligen Schlossherren mit Möbeln aus der gerade vorherrschenden Epoche ausgestattet. Einige Teile wurden immer entsorgt und durch neue ersetzt. Deshalb findet man hier in den Zimmern einen regelrechten Stil-Mix.“

Wir durchquerten einen Raum nach dem anderen und betraten schließlich einen großen Saal im Erdgeschoss. Die Mauern hier waren naturbelassen und nicht verputzt. Überall hingen Jagdtrophäen aus früheren Zeiten, hauptsächlich Geweihe von Hirschen.

„Dies hier ist der große Prunksaal“, erklärte Paula, „hier wurden in früheren Zeiten rauschende Feste gefeiert. Der Raum dient auch heute noch für Trauungen und besondere Veranstaltungen. Falls Sie Interesse daran haben, ihn zu mieten, kann ich Ihnen später ein Faltblatt mit den Kontaktdaten der Verwalterin geben.“

Mit Staunen bewunderte ich die goldenen Kronleuchter und die kostbaren Möbelstücke, die überall im Raum verteilt waren. Die große Fensterfront ließ viel Licht in den Raum, und man hatte einen atemberaubenden Ausblick auf den kleinen Park und die grünen Hügel, die das Schloss umgaben. Eine romantischere Location für eine Hochzeitsfeier konnte es meiner Meinung nach kaum geben.

Paulas Stimme drang weiterhin an mein Ohr, aber ich hörte ihr nicht zu. Stattdessen träumte ich davon, eines Tages selbst einmal hier vorm Altar zu stehen, in einem weißen Kleid und mit dem perfekten Mann an meiner Seite.

Ich seufzte. Eigentlich hätte ja Daniel dieser Mann sein sollen, aber nun gab es keine gemeinsame Zukunft mehr mit ihm. Mit der Trennung war auch mein Traum von einer baldigen Hochzeit geplatzt wie eine Seifenblase. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis bei mir wieder alles in normalen Bahnen verlief, und ich wusste auch nicht, ob ich irgendwann wieder bereit dazu sein würde, mich neu zu verlieben. Claire hatte mir geraten, mich nicht unter Druck zu setzen und mein neues Leben als Single erst einmal ausgiebig zu genießen, bevor ich wieder auf die Suche ging, und genau das hatte ich auch vor.

Ich warf einen Blick in den kleinen Park. Blühende Ziersträucher umgaben verschiedene Statuen aus Stein, die offenbar sehr alt waren. Die Anlage machte insgesamt einen sehr gepflegten Eindruck, was mich vermuten ließ, dass hier etliche Gärtner beschäftigt waren, die alles in Schuss hielten.

Die Führung ging weiter und wir gelangten über eine steinerne Treppe in das erste Obergeschoss. „Hier befanden sich früher die Wohn- und Schlafräume der Schlossherren“, fuhr Paula fort.

Die Decken waren niedrig und ebenso wie die Wände mit dunklem Holz vertäfelt. Die Atmosphäre im Inneren dieser Räume war fast schon erdrückend, trotz des schönen Wetters draußen.

„… und hier ist die Bibliothek. Etwa vierzigtausend Bücher aus allen möglichen Epochen, teilweise auch sehr wertvolle Stücke, werden hier aufbewahrt. Die Kollegen sind gerade dabei, alles zu katalogisieren.“

Interessiert horchte ich auf. Hier befand sich also mein künftiges Einsatzgebiet. Ich konnte es kaum erwarten, mich in die Arbeit zu stürzen und war schon gespannt, was mich hinter diesen mächtigen Türen erwarten würde.

„Momentan finden hier allerdings dringend notwendige Restaurierungsarbeiten statt, weshalb dieser Bereich zurzeit für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Ich bitte um Ihr Verständnis.“

Ein wenig enttäuscht warf ich einen Blick auf das Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“. Meine Neugier musste wohl noch eine Weile gezügelt werden.

Die Gruppe ging weiter. Paula wusste zu jedem Raum eine kleine Anekdote zu erzählen, was ich sehr schön fand. „Langsam nähern wir uns nun dem Ende unserer Besichtigungstour“, hörte ich sie sagen.

Wir betraten den früheren Speisesaal, in dessen Mitte ein riesiger, mit kostbarem Silbergeschirr gedeckter Esstisch aus Holz stand. Um die Tafel herum befand sich eine Absperrung, die wohl dazu dienen sollte, die Besucher am Berühren der Ausstellungsstücke zu hindern.

Paula zeigte auf die Decke. „Bitte beachten Sie auch diesen bemerkenswerten Kronleuchter. Er bietet Platz für etwa zweihundert Kerzen, die alle per Hand angezündet werden müssen. Sie können sich vorstellen, dass diese Prozedur ziemlich lange gedauert hat und deshalb nur zu einigen wenigen Anlässen durchgeführt wurde.“ Alle sahen interessiert nach oben und Paula blinzelte mir kurz zu, bevor sie fortfuhr. Sie wusste anscheinend genau, wie sie die Besucher vom Schloss und seinen Geschichten begeistern konnte.

 

„Dieses Schloss wird übrigens noch immer teilweise von den Eigentümern bewohnt. Die Wohnräume der Adelsfamilie befinden sich im oberen Stockwerk, welches nicht öffentlich zugänglich ist.“

Ich horchte auf. Die Schlossherren wohnten hier? Das war ja wirklich ungewöhnlich. Die Verwalterin hatte mir dies gegenüber gar nicht erwähnt, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern. Ich fragte mich, ob ich den Earl dann auch bald persönlich kennenlernen würde. Bei dem Gedanken daran verspürte ich eine innere Anspannung und so etwas wie…Vorfreude.

Paula fuhr fort. „Der alte Earl of Greyborough ist vor Jahren bei einem tragischen Unfall gestorben.“ Sie zeigte auf das Gemälde eines sehr blassen Mannes mit ernstem Gesichtsausdruck.

„Er hinterließ seine Frau Mary, die man auf dem Bild daneben sehen kann. Sie lebt hier im Schloss, ebenso wie ihre beiden Söhne Drake und Marcus.“

Interessiert folgte ich Paulas Ausführungen. „Die Mitglieder der Adelsfamilie wohnen hier und kümmern sich auch um die Verwaltung. Man sieht sie allerdings nicht sehr oft in der Öffentlichkeit, meist nur bei offiziellen Veranstaltungen oder Wohltätigkeitsbällen. Die Söhne engagieren sich außerdem sehr für karitative Zwecke und spenden große Summen an diverse Hilfsorganisationen.“

Ich musste feststellen, dass ich mich offenbar nicht ausreichend über meine neuen Arbeitgeber informiert hatte. Dies sollte ich auf alle Fälle nachholen.

„Bevor wir gehen, dürfen Sie gerne noch einen Blick auf die kunstvollen Schnitzereien in den Wandvitrinen werfen. Die Sammlung wurde vom alten Earl, einem leidenschaftlichen Kunstsammler, über Jahre hinweg zusammengetragen. Sie ist von unschätzbarem Wert.“

Ich näherte mich einer Vitrine, um die Figuren genauer zu betrachten. Ein kunstvoll geschnitzter Baum erregte sofort meine Aufmerksamkeit. Fasziniert bewunderte ich die ausladenden Äste mit den winzigen Blättchen, die bis ins letzte Detail herausgearbeitet worden waren.

„Er ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte auf einmal eine männliche Stimme neben mir. Sie war tief, melodisch und so angenehm, dass mich spontan ein wohliger Schauer überlief. Ich blickte hoch. Was ich sah, gefiel mir. Es gefiel mir sogar sehr.

Der Mann, der mich angesprochen hatte, sah wahnsinnig gut aus. Sein Gesicht war ebenmäßig und absolut makellos. Er hatte kurze, blonde Haare und trug einen gepflegten Drei-Tage-Bart, der ihn sogar noch attraktiver machte. Den kleinen Fältchen um seine Augen herum nach zu urteilen, hatte er etwa mein Alter. Er trug einen schwarzen Anzug und sehr elegante Schuhe.

Ich wunderte mich, wo er plötzlich hergekommen war, denn ich war mir sicher, ihn vorher nicht bei der Besuchergruppe gesehen zu haben. Denn an ihn hätte ich mich ganz sicher erinnert.

Er lächelte mich mit seinen absolut blauen Augen schelmisch an.

„Und?“, fragte er mich. Ich war verwirrt.

„Was... was meinen Sie?“ Sein Blick brachte mich völlig aus dem Konzept und mir wurde heiß.

Er deutete auf die Vitrine. „Na, den Baum - wie finden Sie ihn?“

Erst jetzt begriff ich, dass er mich etwas gefragt hatte. Reiß dich zusammen, Ellie.

„Er... er ist super. Wirklich sehr schön.“

Plötzlich wurde mir bewusst, wie dicht dieser atemberaubende Typ bei mir stand.

Wow. Ich fühlte, wie mir ein wenig schwindelig wurde. Dieser Mann schien direkt meinen Träumen entsprungen zu sein. Hätte ich mir einen Wunsch-Partner ausmalen können, dann hätte er exakt so ausgesehen.

„Der Baum ist unglaublich wertvoll, genau wie die Figur daneben. Sehen Sie sie?“

Ich schaute genau hin. „Ist das ein großer Hund?“

Er lächelte mich verhalten an. „Nicht ganz. Dies ist ein Wolf. In früheren Zeiten waren diese Tiere hier in der Gegend weit verbreitet. Wussten Sie das?“

Er sprach relativ leise. Seine Stimme war gerade so laut, dass nur ich sie hören konnte.

Ich schüttelte den Kopf. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt, und ich brachte kein Wort mehr heraus. Was war denn nur los mit mir? Ich stellte mich doch sonst in der Gegenwart von Männern nicht so dumm an.

„Eine Weile waren die Wölfe sogar ganz von hier verschwunden. Vor einiger Zeit jedoch wurde wieder ein großes Rudel gesichtet, das sich inzwischen hier in den Wäldern um das Schloss herum angesiedelt hat.“

Ich bemerkte, wie der stechende Blick dieses Mannes auf mir ruhte. Er schien mich von Kopf bis Fuß zu mustern. In diesem Augenblick fühlte ich mich wie ein kleines Schulmädchen. Schwach. Unsicher. Schüchtern.

Paula verabschiedete sich von ihren Gästen. „So, die Führung ist hiermit beendet. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen eine gute Heimfahrt.“

Alle klatschten und bahnten sich einen Weg nach draußen. Einen Augenblick lang sah ich zu Paula hinüber, und als ich mich wieder umdrehte, war der Mann weg.

Ich blickte über meine Schulter, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Offenbar war er genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Ich ärgerte mich über mich selbst. Da traf ich diesen überaus interessanten Traummann – und dann brachte ich kein Wort über die Lippen. Ich atmete geräuschvoll aus.

Bevor ich weiter über die Begegnung mit dem Fremden nachdenken konnte, kam Paula auf mich zu. „Und, hat es dir gefallen?“, wollte sie wissen.

Ich nickte. „Ja, es war wirklich eine sehr schöne Führung. Vielen Dank, dass ich mitkommen durfte.“

„Kein Problem. So, ich bringe dich jetzt zu unserer Chefin, sie wird dir bestimmt noch weitere Informationen geben wollen. Mit dem Cousin des Earls hast du dich ja gerade schon bekannt gemacht, nicht wahr?“

Ich blinzelte sie verwirrt an.

„Mit wem?... Nein, also... ich glaube nicht... es sei denn...“

Da dämmerte es mir plötzlich. „Der Mann, der eben neben mir gestanden hat... war er das etwa?“

Paula lachte herzhaft. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen! Ja, das war Colin, der Cousin des Earls of Greyborough. Er ist momentan zu Besuch im Schloss.“ Sie bedachte mich mit einem neugierigen Blick. „Er sieht umwerfend aus, nicht wahr? Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber… über was habt ihr denn gesprochen?“

„Er hat mir etwas über diese Schnitzereien erzählt. Ich nahm an, er wäre ein einfacher Besucher. Ich wusste ja nicht...“ Meine Stimme stockte. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass er einer der Schlossherren ist!“

Paula lächelte mich an. „Du brauchst doch nicht so nervös zu sein. Er ist zwar ein Adliger, aber ansonsten ganz normal. Und er ist nett, also keine Angst. Wenn er hier ist, macht er sich manchmal den Spaß und stößt zu einer Besuchergruppe dazu. Er bleibt dann ein paar Minuten, anschließend verschwindet er wieder durch eine der Geheimtüren in der Wand. Aber das kommt wirklich nur sehr, sehr selten vor.“

„Was, in diesem Schloss gibt es Geheimtüren? Das wird ja immer besser.“ Sofort wurde meine Fantasie wieder angeregt. Mir vorzustellen, was sich in früheren Zeiten hinter diesen Mauern wohl alles abgespielt hatte, fand ich irgendwie aufregend.

Paulas Stimme holte mich zurück in die Gegenwart.

„Nur die Herrschaften wissen, wo sich die versteckten Gänge befinden. Das finde ich nicht so toll, denn dies bedeutet, dass immer jemand von ihnen einfach mal wie aus dem Nichts auftauchen kann, um uns zu kontrollieren. So wie vorhin. Du drehst dich um... zack, da steht plötzlich dein Chef! Ich finde das gruselig, aber man gewöhnt sich daran. Wie gesagt, es passiert auch nicht allzu oft.“

Sie sah sich um. Außer uns war niemand mehr da, die Touristen waren bereits wieder nach unten gegangen.

„Die Verwalterin wartet schon auf uns, Ellie. Wir sollten uns beeilen.“

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