Roland Emmerich

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Interview mit Roland Emmerich:

„Keine Angst, etwas nachzumachen“

Wie kommt man als Regisseur in einem Land, das vom hochintellektuellen Autorenkino dominiert wird, dazu, phantastisches Kino zu kreieren?

RE: Das muss man natürlich im Kontext sehen. Die ganzen Autorenfilme, die in Deutschland gedreht wurden, sind als Antwort auf eine ziemlich verkorkste Kinoindustrie zu sehen, die eigentlich nur noch Heimatfilme, ein paar Karl-May-Adaptionen oder Edgar-Wallace-Streifen auf den Markt gebracht hatte. Jetzt, in den 1980er Jahren, hat sich einiges geändert. Die Autorenfilmer haben es nie geschafft, das große Publikum zu erreichen. Anders als etwa die französischen Regisseure konnten sie nicht von ihren Werken leben. Vor einigen Jahren wurde hierzulande der Unterhaltungsfilm wiederentdeckt und alle haben geschrien: „Wir machen jetzt Unterhaltungskino.“ Gemacht hat es allerdings kaum einer. Deshalb sehen sich die meisten Kino-Zuschauer auch heute lieber amerikanische als deutsche Filme an. Durch Leute wie Günther Rohrbach und Bernd Eichinger, die Das Boot beziehungsweise Die unendliche Geschichte produziert haben, ist bei mir und anderen einfach das Interesse entstanden, Filme zu inszenieren, die einem internationalen Standard genügen, die kommerziell angelegt und unterhaltend sind. Ich bin nach wie vor ein begeisterter Kino-Zuschauer.

Man hat den Eindruck, dass deutsche Regisseure am liebsten Dialogfilme inszenieren, die Kamera aufstellen und drauflosfilmen. Bei Ihnen scheint das anders zu sein. Das Arche Noah Prinzip war ein Unterhaltungsfilm, der seine Wirkung vor allem durch eindrucksvolle Bilder erzielte. Was sind Ihre Kino-Vorbilder?

RE: Ich komme tatsächlich mehr von der visuellen Seite. Film bedeutet nämlich, dass man die Kamera nicht nur aufstellt, sondern viele Fahrten macht. Man braucht beim Dreh wesentlich mehr Einstellungen, als man später überhaupt verwendet. Am Schneidetisch wird der Film montiert und sowohl Geschwindigkeit als auch Rhythmus werden festgelegt. Wenn zum Beispiel bei Joey ein Kind in eine bestimmte Richtung blickt und etwas Schreckliches passiert, dann schneide ich nicht nur eine Großaufnahme des Gesichts ein, sondern mache eine Kamerafahrt aus Untersicht. Ich versuche durch Bewegungen, die eine Kamera auszuführen imstande ist, so etwas wie eine Grund-Dramatik zu erzeugen.

Zu meinen Vorbildern: Ich bin ein echter Anhänger des letzten Hollywood-Kinojahrzehnts, über das hierzulande so viel gelästert wird. Ich finde das, was die Filmemacher in den vergangenen zehn Jahren in Hollywood inszeniert haben, einfach exzellent. Alien zum Beispiel ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme, weil er rein visuell aufgezogen, total gestylt ist. Da stimmt einfach alles: ein unheimlich gutes Produktions-Design, eine wahnsinnig tolle Kamera, perfekte Schauspieler und eine sehr gute Inszenierung. Die Story ist sehr einfach gehalten und rein auf die visuellen Effekte und Bewegungen des Films abgestimmt – perfekt! Ich glaube, meine Vorbilder und mein Geschmack decken sich so ziemlich mit den in letzter Zeit erfolgreichen Filmen.

In Das Arche Noah Prinzip zitieren Sie viel. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf Spielberg-, Lucas- und Kubrick-Filme. Mögen Sie solche cineastischen Anspielungen?

RE: Ich zitiere unheimlich gern. Es ist eine Möglichkeit, die Arbeit dieser Regisseure zu würdigen und auf die Filmemacher anzuspielen, die jene Art von Kino geprägt haben, das ich in Zukunft machen möchte. Außerdem macht es riesigen Spaß, Zitate zu bringen. Das ist dann auch der Charakter, der Filmen wie Das Arche Noah Prinzip zu eigen ist. Wenn jemand einen solche Film sieht, sollte er im besten Falle denken: „Mensch, der ist auf dem Weg, irgendwann großes Science-Fiction-Kino zu machen.“ Übrigens: Bei Joey habe ich noch viel, viel mehr zitiert, das ist ein Film, der nur aus Film-Zitaten besteht.

Die Story von Joey mutet an wie eine Mixtur aus Spielbergs E.T. und dem von ihm produzierten Poltergeist. Ist Spielberg Ihr Vorbild?

RE: Ich finde einfach drei oder vier seiner Filme sehr gut. Vor allem Unheimliche Begegnung der dritten Art hat mir sehr gefallen. Sehr schön fand ich aber auch E.T., Sugarland Express oder Der weiße Hai. Letzteren finde ich deswegen so toll, weil er einer der am erstaunlichsten montierten Filme aller Zeiten ist. Steven Spielberg dreht sehr gut und verwendet viele komplizierte Kamerafahrten. Eine Sache, die ich auch sehr liebe.

Fasziniert Sie die Hollywood’sche Synthetik-Welt à la Krieg der Sterne? Den Roboter R2D2 sieht man als Spielzeug sowohl in Das Arche Noah Prinzip als auch in Joey.

RE: Total! In Joey spielt zum Beispiel ein kleiner Roboter mit, der allerlei Kapriolen macht. Ich wollte einfach mal einen Film drehen, in dem ich eigene Sehgewohnheiten verarbeite und den ich mir selbst im Kino gerne anschauen würde. Angst davor, dass es da und dort mal Ähnlichkeiten zu anderen Filmen gibt, habe ich überhaupt nicht. Grundsätzlich glaube ich, dass wir in Deutschland einfach zu viel Angst haben, etwas nachzumachen. Dabei sind viele amerikanische Kino-Hits im Grunde genommen Remakes anderer Filme. Francis Ford Coppola hat vor wenigen Jahren Der schwarze Hengst produziert. Die Drehbuchautorin Melissa Mathison schrieb auch E.T. Beide Filme erzählen aber eigentlich die gleiche Geschichte, nur ist bei E.T. aus dem Pferd ein Außerirdischer geworden. Man versucht heutzutage einfach, gängige Sujets witziger und aktueller zu gestalten. Früher hatten wir Cinderella oder Peter Pan, heute eben etwas anderes. Die neuen Figuren sehen vielleicht ein bisschen hässlicher aus, sind aber genauso liebenswert. Die meisten neuen Geschichten sind letztlich nur Varianten altbekannter Plots. Ich glaube, dass nichts neu erfunden, sondern nur neu erzählt wird. Und hier in Deutschland denkt überhaupt niemand darüber nach.

Sie sprechen jetzt ziemlich viel vom Unterhaltungskino. Was halten Sie von der Behauptung des US-Kultregisseurs John Carpenter, dass Filme sich nicht für Botschaften eigneten?

RE: Carpenter inszeniert eben solche Filme und überlegt sich erst danach, wie er untermauern kann, was er da gedreht hat. Ich glaube, das ist schlichtweg Blödsinn. Die Brücke von Bernhard Wicki hat eine Botschaft, gleiches gilt für The Day After. Letzteren finde ich persönlich zwar nicht gut, aber er hat eine Botschaft.

Sie sind eine Art Allround-Talent: Sie führen Regie und haben auch Creatures von Joey modelliert. Sicher kontrollieren Sie auch den Schnitt?

RE: Hoffentlich diesmal weniger als bei Das Arche Noah Prinzip. Ich wusste damals nicht so recht, wie ich den Film schneiden sollte. Ich glaube, dass ich langsam richtig verschrien bin, weil ich mich überall einmische. Zum Beispiel gefällt mir momentan die Arbeit unserer Spezial-Effekt-Techniker überhaupt nicht …

Sie haben sicher inzwischen einiges an technischem Know-how dazugelernt.

RE: Auf alle Fälle. Ich habe meinen ersten abendfüllenden Spielfilm gemacht und arbeite jetzt an meinem zweiten. Das Arche Noah Prinzip war mein Abschlussfilm auf der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Das war damit nicht einmal mein erster frei produzierter Spielfilm. Joey ist – wenn Sie es genau nehmen – eigentlich mein Erstling.

Gab es bei Joey ähnlich wie bei Das Arche Noah Prinzip technische Pannen?

RE: Was soll’s da für technische Pannen gegeben haben?

Ich habe gehört, Sie hätten mit den Kameras Schwierigkeiten gehabt.

RE: Ja, wir hatten Schwierigkeiten mit der Schärfe, aber die hat jeder, der in Cinemascope dreht. Dieses Format benötigt, besonders wenn man mit Visual Effects arbeitet, die später hineinkopiert werden, sehr viel Licht. Bei Joey haben wir im Döffinger Steinbruch zwei Häuser aufgebaut und nachts gedreht, wofür wir Unmengen an Scheinwerfern benötigten. Ich glaube, nur selten wurde in Deutschland ein Film mit so viel Licht gedreht. Und so etwas kann einen Film natürlich wahnsinnig verteuern.

Wie kommt jemand aus bürgerlichem Haus dazu, Filme zu machen?

RE: Weil ich ein absoluter Film-Freak bin, das ist der einzige Grund. Ich mag Kino einfach. Es macht Spaß, ins Kino zu gehen. Und irgendwann will man so was auch selber machen. Erst stellt man sich das natürlich wahnsinnig toll vor und bemerkt erst dann, dass es harte Arbeit ist. Aber am Ende werden Sie total infiziert.

Wie hoch ist das Budget von Joey?

RE: Das sage ich nicht. Ich finde es grundsätzlich nicht gut – das ist auch so eine deutsche Art -, ständig über Budgets zu reden. Diese Frage wird mir so oft gestellt und sie ärgert mich. Ich komme schließlich auch nicht zu Ihnen in die Wohnung und frage Sie, wie viel der Herd gekostet hat oder wie viel Miete Sie bezahlen. Wir drehen Joey in drei Hallen und haben dazu noch ein Außenset. Normalerweise könnte ich den Film auch in den Bavaria-Studios drehen. Aber dort zahle ich das Doppelte oder Dreifache. Das mache ich nicht, weil ich das, was ich dort ausgeben würde, direkt für den Film haben will. Jetzt kommen vielleicht irgendwelche Journalisten und schreiben despektierlich: „Er dreht in einer ausgedienten Waschmaschinenfabrik.“ Aber wir arbeiten hier zum Teil mit Visual Effects und Tricks, die übersteigen bei Weitem das, was Produktionen wie Das Boot hatten. Auch was Lichtquantität und Technik angeht, hatten wir mehr als Das Boot. Im Übrigen wird kein Kritiker meinen Film vor dem Start sehen, es wird nur Previews geben. Die Zuschauer sollen selbst entscheiden, ob ihnen der Film gefällt, und eben nicht irgendwelche Leute, die über Film schreiben. Ich mache solche Previews mit Zuschauern, um zu testen, ob der Film gut oder schlecht läuft. Das ist das Einzige, was mich interessiert. Ich sehe bei einer solchen Vorführung, was beim Publikum ankommt und was nicht. Gegebenenfalls werde ich danach dieses oder jenes an dem Film korrigieren. Wir starten dann mit 100 Kopien und nach ungefähr vier Vorstellungen weiß ich, ob ich den richtigen Film gemacht habe. Das ist alles, was zählt, alles andere interessiert mich nicht.

 

Was ist Ihr nächstes Projekt?

RE: Ich schreibe gerade zwei Bücher. Es sind zwei Stoffe, die ich schon immer machen wollte. Das eine ist eine Neuverfilmung von Robinson Crusoe. Diesmal eben im Weltall, in der Zukunft. Robinson Crusoe ist dort ein 14-jähriger Junge.

… Hört sich ein bisschen wie Robinson Crusoe auf dem Mars an …

RE: Jaja, es gibt auch John Carter vom Mars. Übrigens lese ich überhaupt keine Science-Fiction-Romane oder besser gesagt nur ganz wenige. Ich finde die meisten ziemlich schrecklich. Aber Science Fiction ist eben ein Genre, eine Film-Form, die sich sehr gut zum Erzählen von Geschichten eignet.

Die andere Story, die ich momentan entwickle, heißt Nekropole (wurde 1994 von Emmerich unter dem Titel Stargate verfilmt, Anm. d. Autors). Der Film soll den Ursprung der Pyramiden zum Thema haben. So ein bisschen von Däniken angehaucht. Erich von Däniken ist, glaube ich, ein ziemlicher Spinner, aber er schreibt gute Geschichten. Ich meine: Ob die jetzt wahr sind oder nicht – das ist mir egal.

Hollywood Monster:

Bubenstreich in der Traumfabrik

Die Welturaufführung von Joey findet nicht in einer klassischen deutschen Premieren-Stadt wie Berlin, München oder Hamburg statt, sondern im Sindelfinger Kino Neues Central. Die Feier erinnert an eine gemütliche Familienfete, es gibt Wein, Butterbrezeln und viele gutgelaunte Premierengäste, von denen viele an Joey mehr oder weniger direkt mitgearbeitet haben. Nach der Vorführung treten die Hauptdarsteller vor die applaudierenden Zuschauer. Neben ihnen auf der Bühne ein schlaksiger, unauffällig gekleideter Mann, der unruhig von einem Bein aufs andere tritt. Verlegen grinst er ins Publikum, so als wolle er allen klarmachen, dass er hier oben eigentlich gar nichts zu suchen, er sich schlichtweg nur verlaufen habe, was ja jedem mal passieren kann. Doch weil es sich bei ihm um Roland Emmerich, den Regisseur, handelt, bleiben alle Blicke unbarmherzig auf ihn gerichtet.

Im Kinosaal ebbt der Gesprächslärm ab, dann wird es mucksmäuschenstill. Die Zuschauer warten gespannt auf eine Rede des Regisseurs, die schließlich zu einer solchen Filmfeier dazugehört. Es gibt jedoch kaum etwas, das Emmerich weniger leiden kann, als Ansprachen dieser Art zu halten, doch er weiß auch, dass er dem Wunsch nachzukommen hat. „Bei Premieren“, so beginnt er schließlich, „wird ständig der Name des Regisseurs in den Mittelpunkt gestellt. Mir ist das eher peinlich. Ohne Teamwork wäre die Herstellung eines Films nicht möglich.“ Und so lenkt er geschickt die Aufmerksamkeit auf die anderen anwesenden Teammitglieder, um sich selbst schnellstmöglich aus dem Staub machen zu können.

Emmerich hält nichts vom Rummel um seine Person, er versucht, sich im Hintergrund zu halten. Blitzlichtgewitter gehört zu seinem Beruf, aber er sucht es nicht. Mag der schwäbische Filmtüftler sicherlich auch Schwächen haben, Eitelkeit gehört definitiv nicht dazu. Überhaupt ist er, während die Premierenfeier von Joey stattfindet, gedanklich schon wieder voll mit der Vorbereitung eines neuen Films beschäftigt. Und dieser hat mit Roland Emmerichs Faszination für das Thema UFO-Entführungen zu tun. Er möchte eine Komödie um ausgeflippte Aliens inszenieren, die regelmäßig Menschen kidnappen und in ihr Raumschiff beamen. Einer kleinen Gruppe von Entführungsopfern gelingt schließlich aber die Flucht.

Mehrere Monate lang entwickelt der Regisseur mit seinem Team ein brauchbares Story-Gerüst, um daraus ein Treatment zu erstellen. Doch dann wird das Projekt auf Eis gelegt, weil Gerüchte aus Amerika von einer ähnlichen Produktion berichten, die Spielbergs Schützling Joe Dante dreht. Dessen satirisches Science-Fiction-Abenteuer Explorers – Ein phantastisches Abenteuer erzählt von drei Jungs, gespielt von River Phoe­nix, Jason Presson und Ethan Hawke, die von Außerirdischen zu einem Besuch eingeladen werden. Die Wesen aus dem Weltraum senden dem Trio mittels Träumen Schaltpläne für einen Kraftfeldgenerator, der es ermöglicht, zu ihrem Raumschiff zu reisen. Als die amerikanischen Vorstadtkinder im Bauch des fremden Astrokreuzers auf ihre Gastgeber treffen, steht ihnen eine Enttäuschung bevor. Denn diese entpuppen sich als schleimige Tentakelmonster, die ihre Zeit vor einem riesigen TV-Bildschirm vergeuden und deshalb nur in Form von Zitaten sprechen, die sie im Fernsehen aufgeschnappt haben. Die Welt der Außerirdischen scheint den Besuchern von der Erde damit genauso öde wie die ihres eigenen Planeten.

Dante wollte mit Explorers eine Satire auf die umfassendes Heil versprechende Märchenwelt Spielbergs inszenieren – und landete damit einen grandiosen Flop. Emmerich indes, der sein Projekt Skynappers gestoppt hatte, dachte da längst über eine neue Idee nach. Diese geisterte in seinem Kopf herum, seit er nach den Dreharbeiten von Joey erstmals Los Angeles besucht hatte. Bis dahin hatte er nur die Ostküste der Vereinigten Staaten kennengelernt. Die Metropole am Pazifik hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei ihm, denn er fand es faszinierend, dort gleichsam jeden Platz zu kennen, ohne jemals da gewesen zu sein. Emmerich war mit L.A. im Allgemeinen und Hollywood im Besonderen ausschließlich dank des Kinos und der Fernsehnachrichten vertraut. Weshalb also, so fragte er sich, nicht eine Story über zwei Filmfreaks aus L.A. entwickeln? Zum einen reizte ihn an dieser Idee, endlich in der Stadt der großen Kino-Illusionen zu drehen. Zum anderen lag es nahe, eine Story zu erzählen, in der sich seine eigenen Erfahrungen im Filmgeschäft einbringen ließen. Im Gegensatz zu Joey, in dem er seinen filmischen Vorbildern liebevollen Respekt zollte, wollte er diesmal allerdings einen Streifen mit autobiografischen Zügen inszenieren.

Die Kamera bewegt sich aus einem Gestrüpp heraus auf ein Haus zu. Wir sehen überall Weihnachtslichter. Im Inneren des Gebäudes sitzen zwei Teenager auf dem Sofa. Ein Junge und ein Mädchen. Sie schauen sich im Fernsehen den Schwarzweiß-Gruselklassiker Die Nacht der lebenden Toten an. Dabei versucht der Junge, ihr näher zu kommen, was sie zu verhindern trachtet. Währenddessen bewegt sich die Kamera von außen weiter auf die Tür zu. Auf dem Fernsehbildschirm ist dann zu sehen, wie jemand ein Messer packt. Und nun erkennen wir auch ein Messer, als sich die Kamera dem Jungen und dem Mädchen auf dem Sofa unaufhaltsam nähert. Die beiden küssen sich inzwischen. Doch plötzlich schreit das Mädchen auf, beschwert sich bei dem Jungen, er habe seine Zunge benutzt, und reißt sich die blonde Perücke vom Kopf. Und wir erkennen: Das Ganze ist nur Teil einer Filminszenierung. Das Mädchen ist Laurie (Jill Whitlow), der Junge Warren (Jason Lively). Und neben der Kamera sitzt verzweifelt Fred (Tim McDaniel), der die Einstellung wieder nicht in den Kasten bekommen hat.

Laurie verlässt wütend den Drehort und lässt Warren und Fred allein im Haus zurück. Dieses zeichnet sich durch unzählige Technik-Gimmicks aus. Fred ist ein passionierter Bastler und Fan von Gruselfilmen. Warren dagegen ist ein Gelegenheitsschauspieler, der sich selbst gern in Szene setzt und im Gegensatz zu Fred das Leben locker nimmt. Beide haben jedoch eins gemeinsam: Sie sind total pleite!

Dann erhält Warren eine Ladung zur Testamentseröffnung. Es geht um die Hinterlassenschaften seines verstorbenen Vaters. Mit ihrem Leichenwagen fahren die beiden durch L.A. Was weder Warren noch Fred bemerken, ist jedoch, dass ihnen eine weiße Limousine folgt. In ihr sitzt Filmproduzent Stan Gordon (Paul Gleason).

Während Fred im Auto wartet, begibt sich Warren in das Büro des Testamentsvollstreckers, der ihm nichts weiter als einen Pfandleihschein übergibt. Beim Pfandleiher erhalten die beiden wenig später einen verschlissenen Koffer mit einer alten Kaminuhr und anderem wertlosen Zeug. Als Warren auf der Straße mit Laurie telefoniert, um sie doch noch davon zu überzeugen, bei ihrem Projekt mitzumachen, versucht Gordon, Fred den Koffer zu stehlen. Was indes misslingt.

Des Nachts hat Fred einen intensiven Traum. Er sieht darin, wie Warrens böser Großvater sich aus Sorge, irgendjemand könne ihm sein immenses Vermögen stehlen, von seinem Butler Louis bei lebendigem Leib einmauern lässt. Fred erwacht aus dem Albtraum, als der Butler in Form einer geisterhaft leuchtenden Erscheinung vor ihm steht und sich ihm vorstellt: Er sei ein Geist, weil er für seine Sünden büßen müsse. Als Fred seinem Freund Warren von der unheimlichen Begegnung erzählt, glaubt dieser ihm natürlich kein Wort. Allerdings stellt sich bald heraus, dass in der Tat jemand am Inhalt des Koffers sehr interessiert zu sein scheint …

Die Begegnung mit dem Butler regt zwischenzeitlich Freds Phantasie an und er baut das düstere Gemäuer, das er in seinem Traum gesehen hat, nach. Das Drehbuch, das er schreibt, handelt von der (Alb-)Traum-Geschichte. Warren versucht gleichzeitig, Laurie dazu zu bewegen, nun bei diesem neuen Film mitzuspielen. Und tatsächlich lässt sie sich von dem Buch überzeugen und zu einem Treffen in Fred und Warrens Haus überreden. Einmal mehr versucht Letzterer es mit aufdringlichen Annäherungsversuchen – wird dabei aber gestört von geisterhaften Lichtern, die aus der Kaminuhr dringen. Der Geist des toten Butlers Louis fährt in eine Puppe, die Fred gebaut hat, sorgt in der Folge für ein wildes Durcheinander und erklärt den dreien dann, was zu tun ist: Noch bevor die Stunde um ist, müssen sie den Ort finden, an dem das Erbe versteckt ist, um das Warrens böser Großvater seine Nachfahren gebracht hat. Und so machen sich denn alle im Leichenwagen auf, um irgendwo in Hollywood ein großes weißes Holzhaus zu suchen, in dessen Keller sich der Schatz befindet.

Ausgerechnet in den Stan Gordon Studios, die an Stelle des alten Anwesens entstanden sind, werden sie letztlich fündig. Doch was tun? Laurie, die sich einmal mehr über Warren echauffiert, geht zur Arbeit, wo sie einen Anruf von Stan Gordon bekommt, der ihr ein Angebot unterbreiten will. Als sie in seinem Büro vorspricht, erklärt er ihr, dass sie für die Hauptrolle einer King Kong-Neuverfilmung vorgesehen sei, sie müsse ihm aber dafür einen kleinen Gefallen tun … Laurie verlässt daraufhin das Büro des Erfolgsproduzenten wutentbrannt.

Bei diesem tauchen dann allerdings unerwartet Warren und Fred auf, die inzwischen herausgefunden haben, dass ein Vorfahre Gordons das Grundstück, auf dem das Studio erbaut wurde, seinerzeit illegal erwarb. Es gehört eigentlich Warrens Großvater. Gordon bietet ihnen daraufhin einen Filmvertrag an. Während Fred sich begeistert zeigt, ist Warren verärgert und stürmt aus dem Büro.

Unterdessen hat Laurie durch Zufall herausgefunden, wo das alte Gemäuer, das sie suchen, wirklich steht. Sie hat es im Fernsehen, in einem Gruselfilm aus dem Hause Stan Gordons gesehen. Als sie Warren nicht erreichen kann, fährt sie zu ihm, ohne zu ahnen, dass dort gerade ein Dieb herumschnüffelt, den Stan Gordon angeheuert hat. Dieser überwältigt Laurie und bekommt wenig später auch Warren in seine Gewalt. Doch mit Hilfe des wiederaufgetauchten Louis kann Fred den Bösewicht schließlich austricksen und niederschlagen.

Die Gruppe macht sich auf zu dem gesuchten Haus – nur um zu erfahren, dass Stan Gordon es in die Luft sprengen will. Es bleibt nur noch sehr wenig Zeit, den Schatz im Keller zu finden. Womit jedoch niemand gerechnet hat: Der Geist des bösen Großvaters erwacht zu neuem Leben und versucht alles, um zu verhindern, dass jemand sein Geld in die Hände bekommt. Zwischen Warren und dem Dämon kommt es zu einem Kampf, nach vielen Verwicklungen kann am Ende aber der gute Geist des Butlers den seines ehemaligen Herrn vernichten.

Laurie, Fred und Warren finden schließlich gerade noch rechtzeitig den Schatz, bevor das Gebäude in die Luft gesprengt wird. Warren wird jedoch unter Trümmern begraben, was Laurie um sein Leben fürchten lässt. Wie sich herausstellt, hat er allerdings außer ein paar Kratzern nichts abbekommen. Zwischen ihm und Laurie kommt es endlich zum ersten richtigen Kuss.

Am Ende sieht man, wie Stan Gordon von einer Pressemeute verfolgt wird und völlig derangiert in sein Büro flieht. Er hat alles verloren. Laurie, Warren und Fred hingegen fahren mit der Limousine durch L.A. und freuen sich über ihren neugewonnenen Reichtum. Während Warren und Laurie knutschen, entwickelt Fred bereits eine neue Geschichte, die vom Geist des Butlers handelt!

„Zwei Freunde auf der Jagd nach dem Traum von Hollywood“, so resümierte der Verleih den Film Hollywood Monster. Es könnte auch als Motto für Emmerich und seine Crew stehen, denn die Kinobesessenen wollten bei dieser Produktion einmal mehr den Beweis antreten, dass sich Hollywood auch in Deutschland realisieren lässt. Wieder steht das Team vor der Aufgabe, die Visual Effects selbst herzustellen. Zu diesem Zweck wird in der Magstadter Lagerhalle, in der auch Joey entstand, ein Trickstudio eingerichtet. Lange vor dem eigentlichen Dreh soll hier schon mit den Arbeiten begonnen werden und so werkeln Dutzende von Modellbauern mit Hilfe von Spielzeug-Bausätzen an Miniatur-Landschaften, Häusern und Autos.

 

Eine besondere Herausforderung für die engagierten Trickser ist die Herstellung des titelgebenden Monsters, das eher niedlich denn bedrohlich daherkommen soll. Louis, der ein wenig wirkt, als hätte sich E.T. in einen englischen Butler verwandelt, wird nach den Entwürfen des Regisseurs von Trick-Bastler Joachim Grüninger als vollbewegliche Latexpuppe geschaffen. Sie wird von verschiedenen Puppenspielern bewegt, denen es mittels Fernsteuerung möglich ist, die Gesichtszüge der Puppe zu kontrollieren. Augen, Ohren, Mund und Nase können seperat gesteuert werden, womit der kleine, runzlige Kobold über eine mimische Ausdrucksbreite verfügt, um die ihn so mancher Schauspieler beneiden dürfte. Tatsächlich wirkt das Kunst-Geschöpf aus der Trick-Hexenküche so überzeugend, dass Louis schon bald wie ein ganz normales Crewmitglied behandelt wird.

Wenngleich die Arbeiten an den Special Effects Fortschritte machen, die Vorbereitungen für den Realdreh stellen sich als äußerst schwierig heraus. Emmerich erfährt, dass die Sindelfinger Ausstellungshalle, in der er die Szenen mit den Schauspielern drehen will, zum gewünschten Zeitpunkt nicht zur Verfügung steht. Die Crew ist deshalb gezwungen, die Studioaufnahmen ebenfalls in der Magstadter Lagerhalle zu realisieren. Dort jedoch sind die Decken so niedrig, dass die Beleuchtungstechniker Probleme haben, ihre Schweinwerfer entsprechend auszurichten.

Weil Hollywood Monster sich ähnlich wie Joey nicht auf den deutschen Markt beschränken, sondern international herausgebracht werden soll, will Emmerich auch diesmal in Englisch drehen und amerikanische Schauspieler engagieren. Eine Hollywood-Agentur schlägt ihm 70 potentielle Kandidaten für die Hauptrollen vor, von denen Emmerich schließlich drei bei einem Casting in Los Angeles für den Film verpflichtet: Die Rolle von Warren gibt er Jason Lively, der schon in zahlreichen Werbespots aufgetreten ist und für Hollywood-Produktionen wie Project Brainstorm, Hilfe, die Amis kommen oder Die Nacht der Creeps vor der Kamera stand. Sein Freund Fred wird von Tim McDaniel verkörpert, der bereits in einem kurzen TV-Lehrfilm und der US-Show Sledgehammer auftrat, der Part des „Love Interest“, des schönen Mädchens an der Seite der Jungs, geht an Jill Whitlow, die als Model arbeitet und ebenfalls Filmerfahrung besitzt. Sie spielte sowohl in Peter Bogdanovichs Die Maske als auch in Porkys oder L.I.S.A – Der helle Wahnsinn. Bei den Dreharbeiten von Die Nacht der Creeps hatte sie Jason Lively kennengelernt, mit dem sie nun wieder vor die Kamera treten soll.

Emmerich beendet das Casting Ende August 1985 und fliegt zurück nach Magstadt. Er kontrolliert den Fortschritt der Trickarbeiten und die inzwischen aufgebauten 1:1-Innenkulissen von Freds und Warrens Haus. Sein Kameramann, Herbert Umbrecht, hat schon zahlreiche Probeaufnahmen gemacht. Wichtig sind auch die Außenaufnahmen des Stan-Gordon-Pictures-Filmstudios, in dessen Kellergewölben der Schatz versteckt sein soll. Dieses existiert allerdings nur im Miniaturformat. Die Fahrt der Helden auf das Studiogelände kann damit auch nur en miniature gedreht werden. Dafür montiert Umbrecht seine Kamera auf einen Mini-Wagen und verwendet das Vorsatzmodell einer Windschutzscheibe. So entsteht später im Film der Eindruck, der Zuschauer sitze im Auto und fahre über das Gelände der Studios. Obwohl Aufnahmen dieser Art äußerste Konzentration erfordern, weil jedes winzige Ruckeln den Trick sofort entlarven würde, lohnen sie sich. Schließlich spart sich die Crew dadurch teure Außenaufnahmen.

Die Haupt-Dreharbeiten stehen dann gerade kurz bevor – als das Schicksal zuschlägt. Kameramann Herbert Umbrecht stirbt völlig unerwartet am 5. September. Die Crew ist wie paralysiert, die Arbeit wird unterbrochen, der Dreh verschoben. Emmerich macht sich schließlich auf die Suche nach einem neuen Kameramann und engagiert einen ehemaligen Kommilitonen von der HFF, Karl Walter Lindenlaub. Er wird später mit Emmerich das perfekt aufeinander eingespielte Dreamteam von Moon 44, Universal Soldier, Stargate und Independence Day bilden.

Obwohl Lindenlaub noch keine Erfahrung mit Trickaufnahmen hat, steigt er in das Projekt ein. Zusammen mit dem Regisseur tüftelt er akribisch am visuellen Konzept des Films und entscheidet sich für kräftige Bonbonfarben. Sie eignen sich hervorragend, um dem Zuschauer auf unterbewusster Ebene zu suggerieren, dass die Story von Hollywood Monster nicht in der Realität, sondern in der völlig künstlichen Welt des Kinos angesiedelt ist. Schließlich dreht sich hier alles ausschließlich ums Filmemachen. Das, was Warren, Fred und Laurie erleben, könnte gar ein kompletter Film im Film sein.

Nach dem Studiodreh in Magstadt fliegt das Team für einen Monat nach Los Angeles, um dort die notwendigen Außenaufnahmen zu filmen. Dort, in der Welthauptstadt der Kino-Illusionen, ist alles perfekt organisiert, aber wahnsinnig teuer. Eine Drehgenehmigung verschlingt schnell mehrere tausend Dollar, Straßenabsperrungen müssen schließlich ebenso bezahlt werden wie Polizeibeamte und Feuerwehrmänner. Um das Budget zu schonen, dreht Emmerich mehrmals ohne Genehmigung, nach der von Independent-Produktionen praktizierten Grab and run-Methode: einfach filmen – und schnell zusammenpacken und abhauen, sobald die Polizei im Anmarsch ist!

Einmal wird das deutsche Team tatsächlich von den Ordnungshütern erwischt und verwarnt. Seit er große Studioproduktionen wie Stargate, Independence Day oder Godzilla inszeniert, kann Emmerich auf das spontane Filmen allerdings getrost verzichten. Doch nach wie vor ärgert es ihn, dass in Amerika blitzschnell Hunderte von Mitarbeitern den Drehort bevölkern, die vor dem Hintergrund gewerkschaftlicher Bestimmungen engagiert werden müssen, aber nicht das Geringste zu tun haben.

Obwohl Hollywood Monster im Kino kein großer Erfolg beschieden war, stellte er für den Selfmademan in künstlerischer Hinsicht einen großen Fortschritt dar, zeigte sich doch, dass er jetzt der filmischen Experimentier-Phase entwachsen war und die Klaviatur des Kino-Entertainments souverän zu beherrschen begann. Wenngleich die Story auch diesmal eher simpel gestrickt war, besitzt sie doch sehr viel Charme. Mit viel künstlichem Rauch, zuckenden Special-Effects-Blitzen und schönen Bildern bringt Emmerich eine kecke Liebeserklärung an die Traumfabrik auf die Leinwand, eine Hommage an all die Verrückten dieser Branche.