Fate of Whisky

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Sari: Lost Tales #2
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29. Jänner 1994

Obwohl das Paar seit über einem Jahr unzertrennlich war, hatte sich die Einstellung von Julias Vater nicht geändert. Julia hatte deswegen mehrmals heftige Diskussionen daheim, immer mit demselben Ausgang. Ihr Vater wollte ihr den Umgang mit Niko verbieten und Julia erklärte ihm, dass sie sich das niemals vorschreiben lassen würde. Aufgrund ihrer guten Noten hatte ihre Familie keine Möglichkeit, Niko für etwas verantwortlich zu machen.

Der aktuelle Schulstress sorgte bei beiden dafür, dass sie ihren Jahrestag erst mit Verspätung feiern konnten.

Julias Freundin Stefanie half den beiden, indem sie für den Samstag eine kleine Feier bei sich daheim organisierte. Offiziell war es eine reine Frauenparty. Nur deshalb, und mit der Notlüge, dass Niko das Wochenende woanders verbrachte, konnte Julia ihre Eltern überreden, bei Stefanie übernachten zu dürfen.

Sie waren zu sechst. Stefanie hatte zu ihrer kleinen Feier noch ein Pärchen eingeladen. Christian und Antonia kamen zur Unterstützung, da weder Julias noch Stefanies Kochkünste besonders waren. Die sechste Person war ein Mädchen aus einer anderen Schule. Niko kannte sie nicht, Julia hingegen schon. Stefanie hatte sich Julia anvertraut, als sie den beiden zufällig über den Weg lief. Stefanie und ihre Freundin Pauline waren ein Paar, was sie aus mehreren Gründen geheim hielten. Einer davon waren die streng katholischen Eltern von Stefanie.

Julia und Niko war ein eigenes Zimmer für die Nacht angeboten worden, während Stefanie sich mit ihrer Freundin ihr Zimmer für die Nacht teilte.

Gleich nach der Schule kam Niko und half beim Herrichten der Zimmer, kurz darauf erschienen Antonia und Christian. Eine Stunde später kamen Julia und Pauline, sie hatten sich schon auf dem kurzen Weg zur Wohnung bestens verstanden. Der Plan der kleinen Gruppe war, zunächst ein Damen-Schirennen zu verfolgen und dann einen gemütlichen Kuschelabend zu verbringen.

Die Couch vor dem Fernseher bot Platz für alle, eine große Schüssel Chips wurde herumgereicht. Am Rand eng an Niko geschmiegt saß Julia.

»Ich bin so froh, dass meine Eltern nicht weiter nachgefragt haben. Diese Lügen sind so sinnlos. Wann kapiert mein Vater endlich, dass ich mein eigenes Leben führe?«

»Denk nicht weiter darüber nach, nicht heute. Der Tag und der Abend gehören uns beiden alleine«, versuchte Niko sie zu beruhigen. Dabei gingen ihm dieselben Gedanken durch den Kopf.

»Okay, heute gewinnt wohl keine Österreicherin.« Christian erhob sich.

»Warte, Schatz. Die Nächste schauen wir uns noch an, das ist Ulrike Maier«, meinte seine Freundin und hielt ihn fest.

»Die hat die Nummer 32, das sagt doch schon alles. Ihre besten Tage sind vorbei. Ich glaube, sie wird nach dieser Saison zurück ...«

In diesem Moment verkantete die Rennläuferin und stürzte. Alle verstummten und blickten entsetzt auf den Bildschirm.

»Oh mein Gott«

»Ach du Scheiße.«

»Das sieht gar nicht gut aus.«

Von der bislang lockeren Stimmung war nichts mehr übrig. Während Christian und Antonia sich um das Abendessen kümmerten, verfolgten die anderen die Nachrichten. Vor allem Stefanie war geschockt, da sie in den Weihnachtsferien genau dort Schifahren war, wo das Rennen stattfand. Außerdem war sie schon mehrmals bei Schirennen dabei gewesen und ein großer Fan des Sports.

»Die Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen war mir viel zu steil. Ich habe mich nur ein einziges Mal hinunter getraut und das sehr langsam. Aber das sind doch Profis, so etwas darf doch nicht passieren.«

Während des Abendessens kam die Bestätigung im Fernsehen, dass die Rennläuferin bei dem Sturz ihr Leben verloren hatte. Damit war der Abend für alle gelaufen.

Gleich nach dem Essen verabschiedeten sich Antonia und Christian. Pauline nahm Stefanie mit in ihr Zimmer, um sie etwas zu beruhigen.

Julia und Niko versuchten noch, etwas Ablenkung zu finden, was ihnen aber nicht gelang.

»Weißt du was? Lass uns ins Bett gehen«, schlug Niko vor.

Einige Minuten, nachdem sie eng umschlungen im Gästebett lagen, flüsterte Julia.

»Es kann so schnell gehen.«

»Was meinst du?«

»Diese Schifahrerin. Noch vor einigen Stunden hat sie sicher nur daran gedacht, am Abend bei ihrer Familie zu sein.«

Sie setzte sich auf und sah Niko an.

»Ich werde morgen mit meinem Vater reden. Ich lasse mir von ihm nicht vorschreiben, wen ich treffe und wie ich meine Zeit verbringe. Es wird keine Geheimnisse und keine Ausreden mehr geben. Du und ich, wir sind zusammen, damit muss er leben. Ich will mich nicht mehr verstecken und will jede Minute mit dir genießen.«

Niko lächelte sie an.

»Ich werde dich liebend gerne dabei unterstützen. Wir können gemeinsam mit deiner Familie reden, wenn du das möchtest.«

Julia umarmte ihn und küsste seine Wange.

»Ich liebe dich, jetzt und für immer.«

---***---

»Und kam es zu dem Gespräch?«

»Oh ja. Zuerst hat ihr Vater gemeint, Familienangelegenheiten gehen mich nichts an und ich soll gehen. Julia hat ihm deutlich gemacht, dass ich zu ihr gehöre. Es endete in einem lautstarken Streit. Jedes Mal wenn ich etwas sagen wollte, wurde ich von ihm unterbrochen. Seine letzten Worte damals waren, dass sie noch sehen wird, was sie davon hat, mit so jemanden wie mir die Zeit zu verschwenden.«

»Heftig.«

»Jedenfalls sind wir ab diesem Tag öfters bei ihr zu Hause gewesen. Aber nur in ihrem Stockwerk, kein gemeinsames Abendessen oder sonst etwas. Den Eltern bin ich dabei stets aus dem Weg gegangen.«

Alison wurde langsamer und parkte auf einem Seitenstreifen neben der Fahrbahn.

»Genug Trübsal geblasen. Ab zum nächsten Naturschauspiel«, forderte sie Niko auf und stieg aus.

Alison hatte nicht zu viel versprochen. Neben der Straße hatten sie freien Blick auf einen brausenden Wasserfall, der sich über dunkle Steine hinabwand. Zur Rechten war deutlich ein tief in den Felsen geschnittener Flusslauf zu sehen.

»Wow«, entkam es Alison.

»Überrascht?«

»Oh ja. Durch den Regen der vergangenen Tage ist der Wasserfall doppelt so groß als sonst. Ich habe ihn noch nie so breit und tosend erlebt. Was sagst du?«

Fasziniert stand Niko an der Brüstung und starrte gebannt auf die Wassermassen, die aus den Flüssen hier zusammenkamen und in einem Wasserfall in den Fluss stürzten. Auch wenn der Wasserfall nicht übermäßig hoch war, das tosende Geräusch des Wassers war beeindruckend. Niko konnte sich nicht sattsehen an dem Naturschauspiel. Im Hintergrund die Berge, die im Nebel nahezu verschwanden, rundum dunkelgrüne Wiesen. Die dunklen Felsen, über die das Wasser hinunterkam, teilweise moosbewachsen, teils glänzend glatt. Und das schäumende Wasser, das in Weiß hervorstach.

Minutenlang blieb Niko einfach nur stehen und sah zu. Als Alison nachfragte, ob sie weiterfahren sollten, nickte er stumm.

»Bis wir beim Castle MacHart ankommen, werde ich noch ein paar Naturspektakel für dich haben«, versprach Alison.

Sie verbrachten gerade einmal fünf Minuten im Fahrzeug, als Alison erneut die Hauptstraße verließ. Sie fuhr auf eine Nebenstraße, parkte den Wagen und deutete aus dem Fenster.

»Was du nun siehst, ist eine der bekanntesten Aussichten von Glencoe.«

Niko stieg aus und war erneut ergriffen von der Landschaft. Vor ihm lag eine Holzbrücke über einen breiten Fluss, der in einem See mündete, dessen gegenüberliegendes Ufer im Nebel verschwand. Die Brücke führte zu einem Feldweg, der durch das inzwischen schon typische Grün führte und an einem einsamen Haus endete. Weit und breit war kein weiteres Gebäude zu sehen. Links und rechts des weißen Gebäudes mit dunkelgrauem Dach war eine Ansammlung von Bäumen, dahinter ragten Felsformationen in den Himmel. Zwischen zwei fast kahlen Bergen verlief ein Fluss hinab und unweit des Hauses vorbei.

Niko war sprachlos. Den wieder einsetzenden Regen bemerkte er nicht, so sehr zog ihn die Kulisse in ihren Bann.

»Ideal für einen Urlaub, wenn man es ruhig haben möchte«, meinte Alison.

»Abseits von allem. Absolut nichts, außer Landschaft.« Niko fehlten die Worte. Er bemerkte erst, als Alison ihn leicht anstieß, dass sie ihm eine Flasche und einen Schokoriegel entgegenhielt. Skeptisch begutachtete er die orange Flüssigkeit in der PET-Flasche.

»Irn-Bru. Das Nationalgetränk Schottlands, wenn es um alkoholfreie Getränke geht. In manchen Jahren sind die Verkäufe sogar höher als bei Cola.«

Niko sah sich die Flasche genauer an.

»Sieht giftig aus, dieses neonorange.«

»Koste es einfach. Es ist inzwischen zuckerfrei, also nicht mehr so schlimm«, erklärte Alison und drückte ihm die Flasche in die Hand.

Niko versuchte einen Schluck und musste feststellen, dass es weitaus besser schmeckte, als es auf den ersten Blick aussah. Den Geschmack konnte er nicht definieren, es schmeckte fruchtig und leicht herb, mit viel Kohlensäure.

Der Schokoriegel war ebenfalls neu für Niko. Er biss zu und schmeckte den harten Kern, welcher ihn an Honig erinnerte. Er war knusprig und sehr süß, die dünne Schicht Schokolade darüber schmolz direkt im Mund.

»Für die kleine Stärkung zwischendurch«, kommentierte Niko den Snack, wobei er den Blick nicht von dem einsamen Haus nehmen konnte.

Nach einer Viertelstunde an der kühlen, feuchten Luft musste sich Niko von dem Ausblick trennen und wieder im Auto Platz nehmen.

»Habt ihr denn eigentlich auch mal gestritten?« Alisons Frage kam für Niko unerwartet. Irritiert sah er sie an.

»Du und deine Julia. Die Episoden, die ich bislang gehört habe, waren alle so ... kindlich süß.«

»Wir waren sechszehn Jahre alt«, verteidigte sich Niko, »Aber zu deiner Frage: Ja, einmal sogar sehr heftig.«

»Romeo und Julia krachen aneinander. Die Story möchte ich hören.«

 

Niko schüttelte den Kopf.

»Es war eine saublöde Situation. Mit einem kitschigen, sehr peinlichen Ausgang.«

Juni 1994

Anstatt wie jeden Freitag in ihr Stammlokal zu gehen, stand für diesen Abend etwas Besonderes auf dem Programm. Mehrere Schüler hatten sich zusammengetan und das Jugendzentrum im Bezirk gemietet. Der Veranstaltungsraum wurde als Diskothek hergerichtet, mehrere Lautsprecherboxen standen in den Ecken, hinter einer Glaswand stand ein DJ-Pult mit mehreren CD-Koffern daneben.

Niko, der wie immer Julia vorher abgeholt hatte, zählte drei Schuljahrgänge, die zu der Party erschienen.

»Eigentlich blöd eingeteilt. Nächste Woche ist ja schon unser Schulfest«, meinte Jonas. Er war ein Jahr älter als Niko und der DJ für diesen Abend. Jonas war schulbekannt, was in erster Linie an seiner Kleidung lag. Mit übergroßen Hosen in knalligen Farben und einer hochgestellten Wollmütze auf dem Kopf galt er als Paradiesvogel.

»Alright, dann werden wir die Party mal starten, und zwar mit dem derzeit besten Song!«

Er wandte sich an Julia.

»Merk dir die Band: East 17! Von denen wird man noch in einigen Jahren sprechen, die werden Kult.«

»Naja, ich bin da mehr Fan von Take That«, gestand Julia und kassierte von Jonas ein herablassendes Lächeln.

»Ich werde mich weigern, von denen ein Lied aufzulegen. Du wirst schon sehen, in ein paar Monaten fragt keiner mehr nach denen.«

Er verschwand im Gebäude und kurz darauf ertönte das Klavierintro von ›It´s alright‹, mit dem Jonas die Diskothek eröffnete. Ein Großteil der Anwesenden wechselte von draußen ins Innere und begab sich in den großen Tanzsaal. Zwischendurch übernahm Jonas den Gesang und sorgte für gute Stimmung. Danach wechselte die Musik zu deutlich basslastigeren Techno- und Eurodance-Songs.

Die Gruppe um Julia und Niko entschied sich, zuerst die Bar zu stürmen, wo nicht nur alkoholfreie Getränke auf sie warteten.

Zusammen mit ihren Freunden standen Julia und Niko vor dem Gebäude. Im Inneren dröhnte die Musik, der Bass war bis zu ihnen zu spüren. Das Pärchen hatte inzwischen schon zusammen getanzt und auch an der Bar mehrere Getränke getrunken. Die frische Luft tat Niko gut, der den Alkohol langsam spürte. Julia war den ganzen Abend über schon schlecht gelaunt. Erst nach mehrmaligen Nachfragen erzählte sie Niko, dass es wieder zu einer Diskussion mit ihrer Familie kam. Dieses Mal ging es um den gemeinsamen Sommerurlaub, auf den sie keine Lust hatte. So wie Niko wollte sie den Sommer in Wien verbringen.

Niko griff nach ihrer Hand, doch Julia war nicht danach, von ihm getröstet zu werden.

»Es war ein Fehler, heute feiern gehen zu wollen. Ich würde mich lieber verkriechen.«

»Ach komm, versuch wenigstens, dich etwas abzulenken«, probierte Niko, ihre Stimmung zu verbessern.

»Hallo, da ist ja das Traumpaar wieder«, hörte er neben sich eine bekannte Stimme.

»Mathias, zieh ab.«

Mathias stellte sich vor Julia und musterte sie von Kopf bis Fuß.

»Das Gesicht ist ja ganz nett, auch wenn der Mund etwas breit ist. Aber das kann ja nur von Vorteil sein, wenn du weißt, wie du ihn benutzt.« Mathias war anzuhören, dass er schon zu viel Alkohol intus hatte.

»So und jetzt verpiss dich sonst ...«, fuhr ihn Niko an.

»Bleib ruhig, Schatz. Lass ihn einfach«, versuchte Julia ihn zu beruhigen.

Mathias nahm ein Schluck aus seiner Bierflasche. Mit einem hämischen Grinsen lästerte er weiter.

»Aber du hast zugelegt, Rotschopf. Wahrscheinlich macht der Typ hier einfach zu wenig mit dir im Bett. Wenn ich dich ran ...«

Niko verpasste ihm einen Stoß gegen die Brust, der ihn zurücktaumeln ließ. Er stolperte und landete auf dem Boden.

»Steh auf und ich sorge dafür, dass der Abend für dich vorbei ist.«

»Niko, bitte.« Julia fühlte sich zunehmend unwohler.

Neben Mathias tauchten zwei weitaus ältere Burschen auf, einer half ihm auf.

»Das ist wohl dieser Grieche, von dem du gesprochen hast.«

»Ich glaube, der braucht eine richtige Abreibung.«

Julia trat einen Schritt zurück und sah sich nach Hilfe um.

»Es reicht für heute. Ich will meine Ruhe haben und mich nicht mit ein paar Halbstarken und einem Snob herumstreiten müssen«, erklärte Niko.

Er drehte sich um und wollte nach Julias Hand greifen, als er grob nach hinten gezogen wurde. Blitzschnell drehte er sich um, packte den Arm und stieß sie von sich.

»Mach das noch einmal und ...«

»Und was? Glaubst Du, ich habe Angst vor dir«, meinte der unbekannte Jugendliche. Er war nur eine Spur größer als Niko, wirkte aber muskulöser. Die Situation schaukelte sich immer mehr auf und Niko spürte, wie seine Wut immer größer wurde. Als beide Burschen vor ihm standen und ihn gegen die Wand drängten, hörte er Julia aufschreien.

»Mathias, Finger weg von meinem Hintern!«

Das war zu viel für Niko. Er stürmte nach vor, riss die Hände hoch und erwischte beide Burschen an der Brust. Mit kräftigem Schwung warf er beide zu Boden und rannte auf Mathias zu. Noch bevor dieser reagieren konnte, packte Niko ihn an den Haaren, zog ihn von Julia weg und verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Als Nikos Freunde ihm zu Hilfe eilten und Mathias Freunde ebenfalls auf sie zukamen, entstand schnell eine Rauferei. Niko schlug ein weiteres Mal zu, drehte sich um und verpasste dem näherkommenden Burschen einen kräftigen Fußtritt gegen das Knie. Der zweite stoppte und erkannte die Überzahl vor ihm.

»Wir sehen uns noch. Das verspreche ich dir«, keifte er Niko an, wich aber vor ihm zurück.

»Jederzeit. Sag Bescheid, wenn du einen Krankenhausaufenthalt brauchst!«

Auch Mathias zog sich zurück. Als Niko nach Julia sah, sah er, wie sie in Richtung Ausgang ging. Er lief ihr hinterher und stoppte sie.

»Was ist los?«

»Ich gehe.«

»Warum?«

»Weil ich keine Schlägerei hier brauche. Ich wollte einen schönen Abend haben, aber nicht ...«

»Was kann ich denn dafür, wenn dieser Trottel dich blöd anmacht«, verteidigte sich Niko.

»Aber ihn gleich niederschlagen?«

Niko war zu erregt, um nachzudenken, was er von sich gab.

»Ach so? Ich hätte auch warten können, bis er damit fertig ist, dich zu begrapschen.«

»Überleg lieber, was du so redest«, fuhr Julia ihn an.

»Kannst du dich jetzt wieder beruhigen oder willst du jetzt wegen dem Typen rumzicken?«

»Ich zicke nicht, ich habe einfach genug für heute.«

Niko blickte zur Veranstaltungshalle und zu Julia zurück.

»Bleib ruhig da und feier ab. Vielleicht findest du noch jemanden für eine Schlägerei«, meinte sie verbittert.

»Weißt du, vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich hier bleibe. Hier wird nicht so viel rumgekeift und gezickt und die Musik ist auch gut.«

»Wenn ich sowieso nur zicke, dann lass mich einfach heimgehen. Dann hast du wenigstens Ruhe von mir.«

Niko war inzwischen nur noch gereizt.

»Passt schon, schönen Abend noch. Komm erstmal runter von deinem Trip, damit man wieder normal mit dir reden kann.«

Julia wollte etwas antworten, verbiss es sich aber, wandte sich ab und marschierte wortlos auf die Straße.

Niko sah ihr kurz nach, dann stampfte er zurück. Wortlos ging er an seinen verdutzten Freunden vorbei, visierte die Bar an und ließ sich eine Cola mit Rum geben. In einem Zug war das Glas leer.

»Niko, was war das denn?«, fragte ihn Daniel.

»Das war ... Ach egal, komm lass uns feiern«, meinte er nur und marschierte weiter in den Tanzraum. Dort dröhnte gerade der aktuelle Hit in den Charts aus den Boxen, dessen Text lautstark mitgegrölt wurde.

Eins Zwei Polizei

Drei Vier Grenadier

Fünf Sechs Alte Hex

Sieben Acht Gute Nacht

Niko organisierte sich ein neues Getränk und mischte sich laut singend unter die Tanzenden. Er wollte sich den Abend nicht verderben lassen, sein Alkoholspiegel ließ ihn den Streit vergessen. Fragen nach seiner Freundin tat er mit einem lapidaren »Ich darf auch einmal alleine Spaß haben« ab.

Was Niko erst nach dem Wochenende erfuhr: Julia hatte sich schnell beruhigt und war nach einer halben Stunde zurückgekehrt, um sich bei ihm zu entschuldigen. Doch als sie in den Tanzsaal blicken, erwischte sie Niko gerade, als er mit einem anderen Mädchen tanzte. Sie machte umgehend kehrt und ging nach Hause, ohne gesehen zu werden.

---***---

»Wie konntest du!«, empörte sich Alison.

»Es war ja nichts. Wir haben nur getanzt, nicht einmal eng umschlungen. Es war einfach schlechtes Timing.«

»Ziemlich beschissenes Timing, würde ich sagen.«

»Es war ein ruhiges Wochenende, Julia hat kein einziges Mal angerufen. Ich habe mich natürlich nicht getraut. Einerseits wegen meiner Meldungen, aber auch wegen ihrer Eltern. Also wollte ich es am Montag vor der Schule klären.«

Alison blickte grinsend zu ihm.

»Lass mich raten. Sie hat dich keines Blickes gewürdigt und ist stur an dir vorbeimarschiert«, mutmaßte sie.

»Genau.«

»Dann hast du sie in einer Pause zur Rede gestellt und sie gefragt, was los sei.«

»Auch korrekt.«

»Und ihre Antwort war: Das musst du schon selbst wissen!«

Niko lachte auf.

»Genau das waren ihre Worte.«

»Wie ging euer Streit weiter?«, wollte Alison wissen.

»Zunächst mit Schweigen. Bis zum Schulfest – das war genau eine Woche später – war Funkstille. Ich erfuhr von einer ihrer Freundinnen, dass sie mich mit dem anderen Mädchen gesehen hatte. Sie hat mir zwar geglaubt, dass ich nichts angestellt habe, aber trotzdem.«

»Sie war gekränkt. Sie war sauer, weil du ihr nicht gleich nachgegangen bist. Ich kann sie gut verstehen.«

»Danke«, meinte Niko sarkastisch.

»Und wie hast du es wieder ausgebügelt. Ich warte auf den kitschigen, peinlichen Ausgang.«

Niko wunderte sich nicht zum ersten Mal, wie offen er mit Alison reden konnte. Sie war ihm so vertraut, er hatte das Gefühl, sie schon seit Ewigkeiten zu kennen.

»Nun, dann also weiter.«

Juni 1994, eine Woche später Das Schulfest der gesamten Schule wurde vorwiegend von den Schülern selbst veranstaltet und aufgebaut. Deshalb war an diesem Tag auch nicht an Unterricht zu denken. Niko und drei weitere Schulkollegen waren dabei, die Bühne im Innenhof fertig aufzubauen. Für das Fest hatten sie eine deutsche Newcomerband engagiert. »Die Jungs sind richtig gut und werden für ordentlich Stimmung sorgen.« »Wenn man auf Punkrock steht«, warf Daniel ein, der von der Musikwahl wenig begeistert war. »Punk ist cool! Aber ob die das wirklich gut machen?«, warf Lorenzo, der gerade an ihnen vorbeispazierte, ein. »Tut leid, die Toten Hosen waren gerade nicht verfügbar. Die kannst du nächste Woche auf der Donauinsel live erleben«, rief ihm Jonas hinterher und wandte sich an Niko. »Was ist mit dir? Du siehst alles andere als begeistert aus. Hängt der Haussegen bei Romeo und Julia noch immer schief?« Niko antwortete ihm nicht und kümmerte sich weiter um seine Aufgaben. Als die ersten Eltern und Lehrer im Hof ankamen, waren bereits die Getränkehütten und Verpflegungsstände fertig aufgebaut und ausgestattet. Niko sah sich immer wieder um, konnte aber nirgendwo Julia entdecken. Dafür sah er den Bandwagen, wie er auf dem Parkplatz einparkte und vier junge Männer ausstiegen. Alle mit zerschlissenen Jeans, Punkshirts und ihren Instrumenten in der Hand. Jonas übernahm es, den Musikern die Bühne und ihre Räume zu zeigen, während Niko immer noch auf der Suche war. Als er endlich eine Gruppe Mädchen sah, in der sich auch Julia befand, ließ er alles stehen und ging ihr entgegen. Sie standen neben den Räumen der Band und warteten auf die Musiker. Keine der Freundinnen stellte sich ihm in den Weg, dennoch blieben sie alle hinter und neben Julia stehen. »Können wir bitte ungestört reden?« »Später. Jetzt möchte ich zuerst das Fest genießen. Solange es nicht irgendwo wieder eine Schlägerei gibt«, gab sie ihm bissig zurück. »Und natürlich nur, wenn du Zeit hast und nicht mit einer anderen Tussi beschäftigt bist«, mischte sich Julias Freundin Natascha ein. Niko schüttelte nur den Kopf und ließ die Mädchen vorbeigehen. »Krach mit der Freundin?« Niko erkannte die Stimme mit deutschem Akzent nicht und drehte sich um. »Und du bist?«, fragte er, viel gereizter, als es klingen sollte. »Nenn mich Burger. Ich soll hier mit meinen Jungs für coole Mucke sorgen.« Niko nickte ihm zu und wollte schon wieder gehen, doch der junge Deutsche hielt ihn auf. »Vielleicht täusche ich mich, aber die Rothaarige hat Sehnsucht in den Augen, die will dich zurück.« »Ach wirklich. Deshalb redet sie nicht mit mir.« Der Sänger legte einen Arm um Niko, was diesen verunsicherte. »Du bist der Mann, oder? Keine Ahnung, was der Grund für euren Streit war und egal wer daran schuld war, aber zu Kreuze kriechen musst du.« »Und wie? Hast du einen guten Vorschlag, wenn sie nicht mit mir sprechen will?« »Wie sehr willst du sie zurück?« Niko löste sich von Burger und sah ihn an. »Sehr!« »Wieviel bist du bereit zu riskieren?« »Riskieren?« »Ich hätte da eine Idee. Wenn sie dir nicht zuhören will, musst du es ihr eben auf eine andere, eine verrücktere Art und Weise zeigen.« Niko verstand nicht, worauf er hinauswollte. »Komm mit, ich regle das für dich. Oder besser gesagt, ich sorge dafür, dass du das ordentlich regelst.« Er zog Niko mit in den Raum für die Band.

 

Eine halbe Stunde später betraten die vier Musiker die Bühne.

»Hallo zusammen! Ich habe gehört, ihr braucht hier etwas Stimmung!«, rief der Leadsänger den Jugendlichen zu. Ohne weiter zu reden legte die Band los und spielte zwei Songs hintereinander.

Julia stand mit ihren Freundinnen ziemlich weit vorne, wobei sie immer wieder um sich sah. Sie konnte Niko jedoch nicht finden.

Als der Song zu Ende war, ergriff Burger, der Sänger der Band wieder das Wort.

»Wie ihr ja schon wisst und unschwer hinter uns zu erkennen ist, wie sind die Schröders. Wenn euch gefällt, was wir heute von uns geben, dann hoffen wir, euch auf einem der nächsten Konzerte in Wien und dem restlichen Österreich wiederzusehen. Nun aber zu etwas anderem.«

Die Band versammelte sich neben ihm.

»Das folgende Lied haben wir gerade erst frisch zusammengebastelt. Vielleicht, wenn es gut ankommt, brennen wir es auf die nächste CD.«

Sein Blick ging durch die Zuhörer und blieb bei Julia hängen.

»Aber die Version, die ihr heute zu hören bekommt, ist selbst für uns neu.«

Sein verdächtiges Grinsen in ihre Richtung machte Julia nervös.

»Ja, Julia, schau nicht so.« Seine direkte Ansprache ließ sie die Augen weit aufreißen. Alle um sie herum blickten zu ihr.

»Dieses Lied gehört ganz alleine dir!«, verkündete Burger und machte Platz für Niko, der hinter ihm auf die Bühne kam. Alle kannten ihn als mutigen und lässig auftretenden Burschen, aber jetzt wirkte er nervös und angespannt, wie er zur Band nach vorne trat. Unter überraschten Zurufen bekam er ein Mikro in die Hand gedrückt und neben ihm begannen die ersten Klänge eines bislang unbekannten Liedes.

Jetzt steh ich hier alleine und sing für dich ein Lied

Ich weiß es klingt idiotisch, doch ich liebe dich

Ich kann´s noch gar nicht glauben mit Schmalz und Herz und so

Klingt beinah wie ein Schlager, doch das macht mir nichts

Nikos Stimme war alles andere als geeignet für eine Karriere als Sänger, noch dazu war seine Aufregung deutlich herauszuhören. Nichtsdestotrotz jubelte der komplette Innenhof ihm zu. Julia stand nur mit offenem Mund vor ihm und starrte auf ihren Freund.

Zu Nikos Unterstützung setzte Burger beim Refrain ein und sang mit ihm gemeinsam.

Und ich sing wieder 'n stinknormales Liebeslied

Wie es schon Tausend andere gibt

Und ich sing einfach ein stinknormales Liebeslied

Ich lass dich nie - lass dich nie mehr gehen

Niko sprang von der Bühne und wurde im nächsten Moment von Julia beinahe umgerissen. Sie fiel ihm um den Hals und quittierte seine Gesangsdarbietung mit einem langen Kuss. Beim zweiten Mal sangen sie bereits gemeinsam den Refrain mit. Der folgende Applaus galt nicht nur der Band, sondern auch Niko.

»Ich liebe dich und ich will dich nie verlieren.« Julia musste schreien, so laut war es um sie herum.

»Zugabe! Zugabe!«, dröhnte es hinter ihnen, einige schoben Niko schon wieder Richtung Bühne.

»Ernsthaft? Seid ihr denn verrückt?«, rief er, doch seine Worte blieben ungehört.

Burger bückte sich zu ihm herab.

»Ich habe es dir gesagt, es wirkt.«

Er zog ihn mit einer Hand zu sich hinauf und überreichte ihm das Mikrophon.

»Na gut, ihr habt es so gewollt. Eine Nummer gibt es noch mit unserem Gastsänger. Nochmal einen stürmischen Applaus für Niko Romeo Dovas!«

Die harten Gitarrenklänge versprachen eine Punknummer, aber nur die älteren Semester erkannten die Coverversion von Heinz Rudolf Kunze aus dem Jahr 1985, ›Dein ist mein ganzes Herz‹.

Niko, der den Song kannte, übernahm zusammen mit Burger den Gesang. Obwohl er nicht völlig textsicher war, sorgten sie dafür, dass der Innenhof bebte. Danach war aber Schluss für Niko. Unter lautstarkem Zujubeln und Applaus verließ er die Bühne und überließ sie wieder den ›Schröders‹.

Den restlichen Nachmittag waren er und Julia unzertrennlich. Er begleitete sie heim, wo sie ihm auch verkündete, dass sie sich daheim durchgesetzt hatte. Der diesjährige Sommerurlaub für sie war gestrichen, sie würde die komplette Zeit in Wien verbringen.

»Das heißt auch, ich bin zwei Wochen komplett alleine daheim. Du kannst daheim schon einmal Bescheid geben, im August wirst du zu mir ziehen, mein Schatz.«

---***---

»Die Schröders? Nie von denen gehört.«

»Inzwischen haben sie sich auch schon getrennt. Aber: Sowohl das Liebeslied als auch die Coverversion wurde später auf einem Album veröffentlicht.«

»Und deine Gesangseinlage? Gibt es davon einen Mitschnitt?«

»Zum Glück nicht. Kein Handy, kein YouTube, keine peinlichen Jugendsünden zum Vorzeigen.«

Auf einem Straßenschild vor ihnen konnte Niko lesen, dass es noch acht Meilen bis Fort Augustus waren.

»In deiner Jugend ging es viel um Musik, Partys und Filme«, sagte Alison.

»Was die Highlights betrifft, ja. Ich brauche keine langweiligen Geschichten über Schularbeiten, Lernnachmittage und den üblichen Problemen von Fünfzehn-, Sechzehnjährigen erzählen. Aber du hast Recht. Musik hat für mich immer schon eine große Rolle gespielt. Ich bin zwar völlig unmusikalisch, aber Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens, schon seit damals. Ich höre einen Song und die Erinnerung dazu kommen sofort hoch.«

Nikos erster Weg, nachdem sie den Wagen auf einem großen Parkplatz in Fort Augustus abgestellt hatten, führte zu einem Geldautomaten. Er war froh, dass er seine Geldbörse nicht im Flugzeug liegen gelassen hatte, und hob zweihundert Pfund ab.

»Wir besuchen zuerst Samantha. Ich werde sie fragen, wann sie abends Zeit hat. Danach holen wir zwei uns etwas Gutes zu essen und ich besorge dir eine Unterkunft für heute«, bestimmte Alison. Sie ließ Niko keine Wahl zu antworten und marschierte los.

Im strömenden Regen folgte er ihr die Hauptstraße entlang. Dabei stellte er fest, dass der Ort aus nicht viel mehr als dieser Straße, dem Hafen und ein paar kleinen Seitengassen bestand. Überall konnte er Souvenirs von Nessie sehen. Der örtliche Hafen bot unterschiedliche Bootsausflüge an, von einer kurzen Ausfahrt bis zu einem Tagestrip über den Loch Ness. Niko vermutete, dass in der Hochsaison und bei trockenem Wetter unzählige Touristen den Ort besuchen würden. Neben einem Laden, dessen Auslage voller Stofftier-Nessies in verschiedenen Formen und Farben war, befand sich der Juwelierladen. Alison hielt ihm die Tür auf und betrat das hell beleuchtete Geschäft.

Nikos Blick schweifte über die Glasvitrinen, in denen er Ringe und Halsketten mit verschiedenen Edelsteinen sah. Sie funkelten in allen möglichen Farben. Er erkannte Amethysten, die von Alison erwähnten gelblichen Citrine und auch Diamanten.

Früher wäre das ein Traum gewesen, hier einzusteigen und den Laden auszuräumen, dachte er und erinnerte sich an seine Vergangenheit, bevor er im Gefängnis landete. Hinter der Verkaufstheke stand ein älterer Mann, dessen Gesicht sich sofort aufhellte. »Alison MacHart!« Den Rest verstand Niko nicht, Seine Sprache klang nicht mehr wie ein Dialekt, sondern wie eine andere Sprache. Alison sah Niko seine Verwunderung an. »Gälisch. Behaupte niemals, es sei nur ein Dialekt, es ist die Sprache der Schotten, viel mehr als das normale Englisch«, erklärte sie und grüßte den Mann ebenfalls in Gälisch. Sie sprach weiter und deutete dabei auf Niko. Der Mann blickte zu Niko und reichte ihm die Hand. »Interessante Kleidungswahl«, meinte er verschmitzt, nun im für Niko verständlichen Englisch. »Das ist eine lange Geschichte.« Weiter kam Alison nicht, da Samantha hinter ihrem Vater auftauchte. Niko schätzte sie in Alisons Alter. Sie war deutlich größer als Alison, wahrscheinlich sogar eine Spur größer als er. Ihre schwarzen Haare reichten bis zu den Hüften. Niko konnte kein Make-up in ihrem fast schneeweißen, rundlichen Gesicht erkennen, dafür ein freundliches Lächeln im rundlichen Gesicht. Ihre recht eng anliegende Bluse betonte ihre sehr üppige Oberweite und ihre mollige Figur. Sie erinnerte Niko an ein Mädchen aus früheren Tagen, er fand aber kein passendes Bild im Kopf. »Endlich! Ich warte schon den halben Tag auf Dich!«, freute sich Samantha und stürmte auf Alison zu. Niko war erneut verwundert. Samantha sprach im schottischen Dialekt, den er schwer aber wenigstens teilweise verstand. Die beiden umarmten sich lange und Alison wurde mehrmals auf die Wangen geküsst. Als Samantha sie losließ, musterte sie Alison und Niko von Kopf bis Fuß. »Interessant, was ihr beide für einen Kleidungsstil habt.« »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Niko und reichte ihr die Hand. »Hallo. Arbeitskollege, Freund oder Partner?«, fragte Samantha neugierig. »Offiziell Begleitschutz«, antwortete Alison, »Aber daraus ist ein echtes Abenteuer geworden. Wie sieht es aus, wann hast du frei, Süße?« Samantha erklärte ihnen, dass sie noch ein paar Arbeiten zu erledigen hatte, aber in zwei Stunden bereit für Alison wäre. »Das will ich doch hoffen, dass du bereit bist«, meinte Alison keck. Samantha warf einen skeptischen Blick zu Niko. »Keine Sorge. Ich kann mir auch alleine einen schönen Abend machen. Ich werde euch nicht stören«, versicherte er ihr und erntete ein dankbares Lächeln von Alison. Nachdem sie sich von Samantha verabschiedet hatten, marschierte Alison zum nächstgelegenen Hotel. »Wie viele Sprachen und Dialekte habt ihr hier in Schottland?«, fragte Niko, während sie die Straße entlang gingen. »Englisch, Schottisch und Gälisch sind die drei Landessprachen. Schottisch wird oft nur als Dialekt angesehen, da es teilweise dem Englisch ähnelt. Wir haben dennoch auch eigene Begriffe und eine etwas veränderte Grammatik. Grundsätzlich bedeutet für einen Schotten diese Sprache mehr als das Englischen Gälisch ist als eigene Sprache anerkannt und wird auch heute noch gesprochen und geschrieben. Es gibt eigene Bücher und eigene Bands. Die bekannteste Band mit gälischen Songs ist Runrig. Eine echt gute Band, musst du dir mal anhören.« Ohne Niko zu fragen, organisierte Alison ein Zimmer. »Das geht auf meine Rechnung«, meinte sie und händigte ihm den Zimmerschlüssel aus. Dann schlug sie vor, ins nächste Lokal zu gehen. Der Regen hatte wieder zugenommen, nach wenigen Momenten im Freien war Niko vollständig durchnässt. »Wir können beide eine warme Mahlzeit vertragen. Und der Regen wird auch wieder stärker«, meinte sie. »Regen gehört scheinbar zu Schottland wie Whisky, imposante Landschaften und Linksverkehr.« »Da hast du recht. Aber es kann ja nicht immer regnen, oder?« Niko blieb abrupt stehen und sah Alison entgeistert an. Für einen Moment glaubte Niko, dass Julia gerade diesen Satz gesagt hatte. »Alles okay?«, wunderte sich Alison über Nikos Gesichtsausdruck. Er schüttelte den Kopf und wischte sich den Regen aus den Haaren. »Essen klingt gut. Außerdem brauche ich einen Whisky.« Sie saßen an einem Tisch im hinteren Teil des warmen Lokals und warteten auf den mit Käse überbackenen Lachs, den sie beide bestellt hatten. Niko hatte inzwischen schon zwei Gläser Whisky geleert. »Interessante Wahl deines Whiskys. Edradour ist eine nicht so bekannte Destillerie. Bis vor einiger Zeit galt der Familienbetrieb als kleinste Destillerie der Insel.« »Martin, der Freund, wegen dem ich letztendlich hier gelandet bin, scheint ihn zu mögen. Ich werde ihm eine Flasche mitbringen. Als Dankeschön für diesen, wie er es nannte, Urlaub.« »Schau, morgen ist der berufliche Teil deiner Reise schon vorbei. Sobald du mich abgeliefert hast, kannst du Schottland auf eigene Faust erkunden. Ich habe übrigens eine Art Geschenk für dich.« Niko sah sie fragend an. »Zuerst einmal hoffe ich, dass du nicht spurlos verschwindest und wir in Kontakt bleiben.« Spurlos verschwinden ...Die Worte versetzten Niko einen Stich. Spurlos verschwunden sind schon andere in meinem Leben, dachte er. »Der Mietwagen kommt aus Edinburgh, ich habe dich als zweiten Fahrer eingetragen. Du kannst ihn am Ende deines Urlaubs auf dem Flughafen Edinburgh abgeben. Über die Bezahlung mach dir keine Sorgen, das übernehme ich.« »Das ist sehr nett von dir, danke.« »Ich hoffe für dich, dass du nicht nur Regentage vor dir hast, Schottland ist so ein schönes Land, du solltest dir wirklich noch einiges ansehen.« »Wie sagtest du: Der Regen von heute ist der Whisky von morgen«, meinte Niko mit einem Anflug eines Lächelns. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Gehst du schon wieder auf eine Reise in die Vergangenheit?«, fragte Alison. »Es ist ... schwer zu erklären, aber seit ich hier gelandet bin, kommen immer wieder Erinnerungen hoch, so deutlich, als wäre es erst gestern geschehen.« »Vorhin auch, als wir vor dem Lokal gestanden sind?« »Ja. Dein Satz, es kann ja nicht immer regnen. Es hat mich an einen Film, ein dazugehöriges Lied und einen der Höhepunkte meiner kurzen Beziehung damals erinnert.« »Dann rück raus mit den Details.« Das Essen wurde serviert, dazu ein Pint dunkles Bier für Niko. Nach einem kräftigen Schluck fing er an zu erzählen. »Es war im Sommer 94. Alle nannten mich Romeo und irgendwie ...« Lachend fiel ihm Alison ins Wort. »Irgendwie hat mir das gefallen. Es war, bevor Präsident Kennedy ermordet wurde, bevor es die Beatles gab, und als ich es nicht abwarten konnte, der Friedensbewegung anzugehören. Soll ich weiter zitieren?« Niko musste kurz überlegen, bevor er verstand. »Ja, ich gebe es zu. Ich habe den Film oft genug mit Julia gesehen. Aber ich meine einen anderen Film, ein ganz anderes Genre. Willst du die Geschichte hören?« »Gerne.«

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