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Goethes Briefe an Leipziger Freunde

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LI

Wenn Sie, mein theurer, vielgeprüfter Freund, räthselhaft finden sollten daß mit dem Gegenwärtigen einige Fasanen anlangen; so gehört folgende Auflösung dazu.

Eine Gesellschaft von Musikfreunden, nachdem sie sich einen Abend mannigfaltig ergötzt hatte, gedachte, beym frohen Mahl, daß man Ihnen den größten Theil dieses Vergnügens schuldig sey, indem Sie uns mit einem so trefflichen, sich immer wohlhaltenden Instrumente versehen;289 man trank Ihre Gesundheit und wünschte daß Sie von den guten Jagdbissen mitgenießen möchten. Hiernach ward nun der gute Gedanke laut, daß die Vögel sich gar wohl zu Ihnen bewegen könnten. Ein Jagdfreund übernahm die Besorgung und nun kommen sie, begleitet von den besten Wünschen zum neuen Jahr und in Hoffnung, daß Sie solche gleichfalls mit Freunden theilnehmend, und unsrer eingedenk genießen werden.

Weimar d. 18. Januar

1826.

treulichst
J W Goethe

LII

Ja wohl, mein Theuerster, war der freundliche Besuch den Sie uns gönnten ein schöner Beweis daß wir uns im Lebensgange an einander nicht geirrt haben; es zeigte sich daß wir, wenn gleich in einiger Entfernung, parallel nebeneinander fortgingen und, beym Wiederzusammentreffen, keiner am andern etwas Fremdes empfand; es war Ihnen bey mir behaglich, eben so mußt es wechselseitig seyn. Sie konnten der Freund meiner Freunde werden, es ergab sich alles ganz natürlich, ohne daß irgend etwas wäre auszugleichen gewesen, und so mußten wir wünschen Sie hätten noch einige Tage verweilt. Schwiegertochter und Kinder waren wiedergekommen; Herr Rauch traf ein290 und wir hätten Sie herzlich gern an den guten Stunden des Wiedersehens und heitern Empfangs auch Ihren genugsamen Theil nehmen lassen. Auch hätte ich der guten Ottilie so gern einen Musickliebenden Gast entgegengeführt.

Hier nun will ich schließen, mit dem treusten Dank für Ihr werthes baldiges Schreiben, mit reinen Wünschen und Grüßen an die theure Ihrige und mit Ankündigung einer Rolle, deren Inhalt wir einen geneigten Empfang erbitten.

Weimar den 3. Juli

1829.

und so fortan!
J W Goethe

LIII

Möge der beykommende ernste Scheinbau, so wie die fromme Dreyheit dem theuersten Freunde eben solche vergnügte Empfindungen beym fortdauernden Anschauen verleihen als mir und meiner Umgebung die verunglückten Wagenlenker gewähren. Mögen diese Blätter als schöne Denkmale immer den Theilnehmenden vor Augen seyn, eines erneuten Verhältnisses, welches für alle Zukunft die anmuthigsten Folgen gewinnen muß.

Unter den mannigfaltigsten Erinnerungen und Grüßen nur noch den treusten Zuruf.

Weimar den 5. Jul.

1829.

und so fortan!
J W Goethe

LIV

Lassen Sie uns noch immer einige Briefe wechseln! Denn das ist ja der Vortheil einer, nach langen Jahren erneuten, persönlichen Gegenwart, daß, aus der wechselseitigen Erkennntniß der eben obwaltenden besondern Zustände, ein neuer Antheil hervortritt, weil der Geist nunmehr erfährt wohin er seine Richtung nehmen soll, und das Gemüth sicher ist eine reine Theilnahme werde günstig aufgenommen werden.

In diesem Sinne empfind ich dankbar: daß Sie mir die Stellen bezeichnen wollen welche Sie in den neuen Wanderjahren Sich angeeignet. Eine Arbeit wie diese, die sich selbst als collectiv ankündiget, indem sie gewissermaßen nur zum Verband der disparatesten Einzelnheiten unternommen zu seyn scheint, erlaubt, ja fordert mehr als eine andere daß jeder sich zueigne was ihm gemäß ist, was in seiner Lage zur Beherzigung aufrief, und sich harmonisch wohlthätig erweisen mochte.

Wenn ich daher die von Ihnen, mein Theuerster, angedeuteten Stellen wieder aufschlug, war es eine angenehme Unterhaltung mit einem abwesenden Freunde, wo ich, in Spiegelung und Wiederschein, gleiche Gesinnung, gleiches Bestreben, zu eigner Bestärkung gewahrte. Denn das darf ich wohl sagen: was ich in meinen Schriften niedergelegt habe ist für mich kein Vergangenes, sondern ich seh es, wenn es mir wieder vor Augen kommt, als ein Fortwirkendes an, und die Probleme die hie und da unaufgelöst liegen, beschäftigen mich immerfort, in der Hoffnung daß, im Reiche der Natur und Sitten, dem treuen Forscher noch gar manches kann offenbar werden.

Daß Sie die Weimarischen Zustände, und darin auch das Nächste was sich auf mich bezieht, konnten gewahr werden, und zwar mit Ihrer so rein-sinnigen als lebhaft-ergreifenden Beobachtungsgabe, ist, ganz ohne Frage, ein vielfaches Eingreifen in die Glieder einer, sonderbar genug verschränkten socialen Kette. Erhalten Sie sich und uns das dabey gewonnene werthe Verhältniß. Alle die sich gleichzeitig heranbildeten haben Ursache sich zusammen- und ihren Kreis gewissermaßen geschloßen zu halten; die Nachkommenden wollen vieleicht was besseres, gewiß aber etwas anderes.

Im Garten am Park

Weimar d. 28. Jul.

1829.

In treuem Verharren,
J W Goethe

LV

Die letzten Wochen bin ich, im Drange eigenen Thuns und äußeren Einwirkens, in die Unmöglichkeit versetzt worden mich nach entfernten Freunden umzusehen; auch habe deswegen Ihren lieben, mir sehr willkommenen Brief nicht erwiedert. Ich möchte Sie ersuchen mit Betrachtungen über die Wanderjahre fortzufahren und mir von dem Einzelnen was besonders auf Sie gewirkt, was ein Weiteres aufgeregt, wo sichs angeschlossen und wie man alle solche gute Folgen nennen möchte gelegentlich ohnschwer Kenntniß zu geben. Es ist mir dies, wenn es von Freunden geschieht, die größte Belohnung für die Aufmerksamkeit die ich dieser Arbeit gewidmet. Die Umbildung der darin enthaltenen, schon einmal in anderer Form erschienener Elemente war für mich ein ganz neues Unternehmen, wozu mich nur die Liebe zu einzelnen Theilen, welche, mehr und mehr, auf eine zierliche Weise, einander anzunähern hoffte, bewegen und mich in einer anhaltenden thätigen Aufmerksamkeit freudig erhalten konnte.

Schon werd' ich von manchen Seiten her, von zart aufnehmenden Lesern wirklich auf die anmuthigste Weise belohnt, von solchen die, was ihren Gesinnungen und Gefühlen gemäß ist ergreifen, und sich als Menschen gegen den Autor, insofern er menschlich ist, verhalten.

Nun wird es mich sehr freuen auch von Ihnen mein Theuerster, der sich übersichtlich, denkend und vergleichend in solchem Falle verhält, manches gute Wort zu hören. Denn dem Autor in solchem Falle muß dran gelegen seyn zu erfahren, daß ihm seine Absichten nicht mißglückt, sondern daß vielmehr die geistigen Bolzen und Pfeile dahin gereicht und da getroffen, wohin er sie gerichtet und beabsichtigt.

Nun aber verpflichteten Dank für die ausführliche Kenntniß, die Sie mir von der Aufführung Fausts geben. Es ist wunderlich genug daß diese seltsame Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne meine Billigung der Art und Weise wie man sich dabey benommen. Mögen Sie mir die Folge der Scenen wie man sie dort beliebt gelegentlich wissen lassen, so geschieht mir ein Gefalle; denn es ist immer wichtig zu beobachten wie man es angegriffen um das quasi Unmögliche, zum Trutz aller Schwierigkeiten, möglich zu machen.

Liebenswürdig ist es von den Deutschen daß sie das Werk nicht zu entstellen brauchten um es von dem Theater herab erdulden zu können. Die Franzosen mußten es umbilden und an die Sauce noch starkes Gewürz und scharfe Ingredienzien verschwenden. Nach der Kenntniß, die uns davon gegeben ist kann man begreifen wie das Machwerck dort große Wirkung thun mußte.

Soviel für jetzt und nicht weiter, damit dieses Blatt baldigst zu Ihnen gelange.

Weimar den 2. Septbr.

1829.

und so fortan!
Goethe

LVI

Den allerschönsten Dank, theuerster Mann, für die gefällig mitgetheilte Nachricht wie es meinem redigirten Faust vor und nach der Aufführung ergangen. Bey meiner vieljährigen Theaterverwaltung hab' ich eine solche oft verlangte ja dringend geforderte Vorstellung niemals begünstigt und sie auch jetzt hier am Orte im eigentlichsten Sinne nur geschehen lassen. Was man auch übrigens von der Aufführung halten mag, so geht doch besonders aus der in Leipzig die alte Wahrheit: man solle den Teufel nicht an die Wand mahlen, aufs deutlichste hervor.291

 

Wegen der freundlichen Anfrage welche Ihr lieber Brief enthält, will ich folgendes aufrichtig erwiedern.292 Des Herrn Grafen Ankunft in Weimar, würde, nach der mir gegebenen Kenntniß, in den December fallen, einen Monat, der mich schon seit vielen Jahren, besonders aber in meinen alten Tagen, nicht zum besten behandelt, wo ich mich meist in meinem Zimmer aufhalte und leider nur den nächsten Freunden zugänglich bin. Einen so werthen Gast kann ich also auf diese Zeit nicht einladen, da ich keinen Tag und keine Stunde von meinem Befinden sicher bin.

Dies hindert aber nicht, daß ich in günstigen Augenblicken Durchreisende, hier verweilende würdige Personen sehe, spreche und mich mehrmals mit ihnen unterhalte. Würden also Herr Graf Mannteufel in jener Zeit Weimar besuchen, wo die beyden Höfe und eine mehrfach interessante Gesellschaft bedeutenden Fremden einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten wissen; so würde ich mich glücklich schätzen jede gute mir gegönnte Stunde mit einem solchen Manne zuzubringen, ihm von dem Meinigen was ihn interssiren könnte mitzutheilen, und dagegen an den Schätzen seiner Erfahrung und Sammlung freudigen Antheil zu nehmen. Mögen Sie dies, mein Theuerster, gefällig mit meinen besten Empfehlungen ausrichten und mittheilen, so werde solches dankbarlichst anerkennen.

Freylich fiel Ihr Besuch in die gute Jahreszeit, wo die Räume meines Hauses am heitersten zu benutzen sind und dem wohlmeinenden Wirthe bessre Gelegenheit geben seine Gesinnungen gegen Besuchende auszudrücken.

Mit den treusten Wünschen mich geneigtem Andenken und fortgesetzten Mittheilungen angelegentlichst empfehlend.

Weimar den 29 Septbr.

1829.

Und so fortan!
J W Goethe

LVII

Ja, und so wäre es ganz recht, und vertraulichem Verhältnisse wohl angemessen, daß man sich zur Unterhaltung ohne eigentlichen entschiedenen Zweck niedersetze und das Schreiben beginne. Veranlaßt durch Ihren lieben Brief fühle ich mich geneigt, nicht gerade in Beantwortung, vielmehr in Erwiederung Einiges ergehen zu lassen.

Über das Allgemeine was in den Wanderjahren etwa beabsichtigt, in welchem Sinne sie geschrieben, haben Sie, mein Theuerster, gar manches Gute und Ausreichende gesagt. Mit solchem Büchlein aber ist es wie mit dem Leben selbst: es findet sich in dem Complex des Ganzen Nothwendiges und Zufälliges, Vorgesetztes und Ungeschlossenes, bald gelungen, bald vereitelt, wodurch es eine Art von Unendlichkeit erhält, die sich in verständige und vernünftige Worte nicht durchaus faßen noch einschließen läßt. Wohin ich aber die Aufmerksamkeit meiner Freunde gerne lenke, und auch die Ihrige gern gerichtet sähe, sind die verschiedenen, sich von einander absondernden Einzelnheiten, die doch, besonders im gegenwärtigen Falle, den Werth des Buches entscheiden. Da würden Sie mir denn eine besondere Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie bemerken wollten, was sie vorzüglich, (wie man zu sagen pflegt) angesprochen, was Ihnen als neu oder erneut gegolten, was mit Ihrer Denk- und Empfindungsweise zusammen getroffen, was derselben widersprochen, was Sie, in Gefolg dessen, einstimmig oder im Gegensatz, weiter bey sich auszuführen geneigt gewesen. Das Büchlein verläugnet seinen collectiven Ursprung nicht, erlaubt und fordert mehr als jedes andere die Theilnahme an hervortretenden Einzelnheiten. Dadurch kommt der Autor erst zur Gewißheit, daß es ihm gelungen sey, Gefühl und Nachdenken in den verschiedensten Geistern aufzuregen. Hierüber habe ich in Briefen die anmuthigsten Äußerungen, und wie selbst junge und weibliche Seelen von ganz gelinden aber gründlichen Zügen ergriffen werden. Wollen auch Sie auf diese Weise mir wohlthätig seyn, so erkenne es mit verbindlichstem Dank. Nicht leicht unterhält man sich über dergleichen mündlich; eine gewisse Scheu hält uns ab; dagegen ist man im Schreiben freyer, und man vertraut wohl sein Innerstes gern in die Ferne.

Gar manches Wechselseitige, Wirksamkeit zu erregen entschieden geeignet, verspare für nächste Mittheilungen. Herr Canzler ist so eben aus Italien zurück und hat wohlgethan dem Zug nach Rom nicht zu widerstehen; er wird sich selbst anmelden und des freundlichen Empfangs auch von Ihnen gewiß seyn.

Da noch Raum übrig ist füge Einiges hinzu:

Handle besonnen, ist die praktische Seite von: Erkenne dich selbst. Beides darf weder als Gesetz noch als Forderung betrachtet werden; es ist aufgestellt wie das Schwarze der Scheibe, das man immer auf dem Korn haben muß wenn man es auch nicht immer trifft. Die Menschen würden verständiger und glücklicher seyn wenn sie zwischen dem unendlichen Ziel und dem bedingten Zweck den Unterschied zu finden wüßten und sich nach und nach ablauerten, wie weit ihre Mittel denn eigentlich reichen.

So weit! die treusten Wünsche für Ihre Zufriedenheit aussprechend; was Sie für Unterhaltung für den Winter sich ausgedacht haben wünsche zu erfahren.

Weimar d. 23. Nvbr. 1829.

herzlichst
G

LVIII

Um auf Ihren erfreulich erquicklichen Brief sogleich auch nur Weniges dankbar zu erwiedern bringe das zu Papiere was schon längst Ihnen zuzusenden die Absicht war.

In jenen traurigen Stunden, wo wir keine Hoffnung auf die Erhaltung unsrer verehrten Fürstin mehr haben konnten, sie aber doch noch am Leben wußten und uns immer noch mit irgend einem Wiederaufathmen einer so lange geprüften Natur schmeicheln mochten, war Ottilie bey mir auf dem Zimmer und Ihre neusten Bände293 lagen eben vor. Sie ergriff einen und las in dem heiter geschriebenen Leben das wunderlich unschuldige Benehmen des seltsamen Organisten, sodann das Urtheil über die Reichardtischen Lieder und was sonst noch folgte, das alles unsre Aufmerksamkeit fesseln und unsre Neigung anziehen konnte, dergestalt daß ich diesen wahren geistreichen Darstellungen in solchen Tagen und Stunden sehr viel schuldig geworden.

Dieses wollte ganz einfach vermelden und hinzufügen: wie sehr es mich gefreut hat meine italiänische Reise von Ihnen so von Grund aus reproducirt zu sehen. Wie möchten wir denn vergangene Zustände uns selbst wieder hervorrufen und der Welt getrost mittheilen, wenn wir nicht Glauben und Überzeugung hätten es werden sich begabte Geister finden, die das alles aufnehmen wie es gegeben ist, in welchen gleiche Gesinnungen auf- und absteigen, gleiche Erfahrungen zu denselben Resultaten führen.

Und so bin ich mit meinen ältern und neuern Productionen in diesem Sinne gar wohl zufrieden. Ich habe mich möglichst vor allem didactischen gehütet und es durchaus in ein poetisches Leben einzugeisten gesucht. Nun muß es mich höchlich freuen wenn ein so löblich Mitarbeitender, Mitlebender auch sich selbst und Verwandtes in meinen Heften findet, sich an den Mängeln wie an den Tugenden erbaut; weil das Ganze zuletzt von einem redlichen Streben nach einem edlen Zwecke Zeugniß giebt, der nie erreicht, aber immer im Auge behalten, den Muth giebt Kräfte zu steigern, um sich und andern, bald einsam bald gesellig, einen Weg zu bahnen, der, zurückgelegt, selbst schon als erreichter Zweck betrachtet werden kann.

Hier muß ich aufhören um nicht gar ins Abstruse zu gelangen, ob ich gleich mich in keine Region begeben könnte, wohin Sie mich nicht, mit Beystimmung und Zufriedenheit, begleiten möchten.

Eilig sey dies Blatt zusammengelegt um nicht einen Posttag länger zu verweilen. Mit den treusten Wünschen von Herzen angehörig

Weimar den 6. Aprl.

1830.294

J W Goethe

LIX

Lassen Sie uns doch ja, mein Theuerster, der Anmuth einer nachbarlichen schnellen Communikation genießen; eine solche Halbgegenwart ertheilt eigene Reize.295 Und so sey es denn gesagt: daß ich mich in einem leidlichen, aber freylich nicht präsentablen Zustand befinde; aufnehmen und verarbeiten kann ich wohl, aber nicht erwiedern; so wie ich schon seit acht Tagen nicht dazu komme das Nächste wegzuräumen. Geduld also und Beharrlichkeit zum Bessern!

Der Anblick unschätzbarer Blätter dient zur innersten Wiederherstellung. Die wahre Universalmedizin ist das Vortreffliche. Ich werde mich, diese Stunden, unausgesetzt daran erfreuen, bis wir uns dabey zusammen stärken und kräftigen können.

Die musikalischen Mittheilungen hat mich Ottilie, zu meiner Erquickung, mit freundlicher Stimme vernehmen lassen. Ich darf Ihnen diese treue Musickschülerin nicht zu geneigter Förderniß empfehlen.

Sagen Sie mir von Ihren Tages- und Stunden-Ereignissen; wobey unser thätiger Freund sich gewiß im eigentlichsten Sinne bewährt.

Mehr nicht als die hoffnungsvollsten Grüße.

Weimar den 28. May

1831.

G

LX

Wie doppelt lästig mir diese Tage her eine Abstumpfung alles Geistigen und ein Mißbehagen aller körperlichen Thätigkeiten geworden, darf ich wohl nicht aussprechen. An und für sich wäre das schon schwer zu erdulden gewesen, da ich Sie aber, theuerster Herr und Freund, nur einige Hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns in solcher Nähe eben so getrennt fühlte als wenn Meilen zwischen uns lägen; so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungenes Unternehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung, nur störend in unsre Tage hineinschieben können. Sie empfinden eben dasselbe und auch, in meinen Sinn sich versetzend, schärfer, weil in höheren Jahren, man immer weniger geneigt wird auf die Genüsse des Augenblicks Verzicht zu thun.

Wenn ich nun auch eben in diesem Alter nach Besitz weniger habsüchtig bin als sonst; denn warum sollte man das zu erlangen suchen, was man zunächst verlassen soll; so lebt aber doch, in gewissen Fällen, die alte Begierde wieder auf, und es begegnet mir gerade jetzt, indem ich mich anschicke Ihr herrliches Portefeuille, welches, für mich und mit Freunden, immer Ihre Gegenwart vermissend, auf das aufmerksamste durchgesehen, zurückzusenden im Begriffe bin.

Wie dem auch sey: ein gewisses Gefühl heißt mich den Wunsch des Kunstliebhabers von den Freundesworten zu trennen. Die Form eines Promemorias soll Ihnen völlige Freyheit lassen meine, vielleicht indiscreten Äußerungen nach ganz eignem Gefühl und Convenienz zu erwiedern.

Weimar d. 4 Juni 1831.

Aufs Frische verbunden und
verpflichtet
J W Goethe
Zu geneigter Aufnahme

Unter den trefflichen Kupferstichen welche uns in dem höchst bedeutenden Portefeuille mitgetheilt worden findet sich einer, dessen Besitz für mich von dem größten Werth wäre. Das Blatt stellt vor vier Kirchen-Vater die sich über eine wichtige Lehre des christlichen Kirchthums vereinigen, nach Rubens von Cornelius Galae. Von dieser höchst durchdachten und ausgearbeiteten Composition, besitze ich die Original Gouache von Rubens, genau in derselben Größe und man kann sich von der Ausführlichkeit derselben, durch das Kupfer den deutlichsten Begriff machen. Ich würde sie beylegen wenn sie nicht in den vielbepackten Portefeuilles begraben läge.

 

Einem Kunstfreund und Kenner darf ich nicht sagen wie zwey solche Blätter neben einander gelegt den Werth wechselseitig erhöhen indem eins von dem andern Zeugniß giebt was der Maler beabsichtigt und geleistet und wie der Kupferstecher, beym Übertragen und Übersetzen, einer so hohen Aufgabe sich würdig erwiesen; ja es läßt sich sagen: daß man beides erst neben- und miteinander kennen lerne und eigentlich besitze.

Möge, wie irgend sonst eine Leidenschaft, die sich nicht entschuldigt weil sie sich nicht helfen kann, auch dieser nicht zurüchzuhaltende Wunsch freundlich betrachtet werden. Der Liebende verzeiht dem Liebenden wohl einen Fehltritt, der Kunstfreund dem Kunstfreunde eine, vielleicht unbequeme, Anmaßung, die man einem geprüften Angehörigen vorzulegen wagt, ohne ihm die Freyheit des Entschlusses, nach Gefühl und Bezug, im mindesten schmälern zu wollen.

Weimar d. 4 Juni

1831.

vertrauensvoll
J W Goethe

LXI

Erlauben Sie, theuerster Mann, die treuste lakonische Erwiederung.

Zur ersten Seite Ihres Briefes: jede Mittheilung soll mir angenehm seyn, Erwiederung sey Tagen und Stunden überlassen.

Zur zweyten Seite, dem Postscript:

ad 1.) mit der größten Theilnahme haben wir Ihre unerfreuliche Rückreise vernommen und uns unterdessen aus unsern Unbilden auch zu erholen gesucht. Dem, nach so viel Seiten hin thätigen, von so viel Seiten her bedrängten Freunde Hrn. von Müller, ist eine kleine Stockung des Briefwechsels wohl nachzusehen.

ad 2.) Ich las jenes absichtliche Schreiben an Hrn. v. Müller vorerst, und rieth ihm dasselbe niemand sehen zu lassen, gewisse unangenehme Eindrücke befürchtend. Ich weiß nicht ob er mein Gutachten befolgte.

ad 3.) Möge das allgemeine Übel, wie man es auch nennen mag, das uns alle bedrängt, so leise als möglich auf Sie wirken.

ad 4.) Des „Malitiösen“ bedienen Sie Sich nur nicht gegen mich; es hat mich, jung, mit den allerschönsten Mädchen auseinander gebracht.

Was ich aber bey den Hindernissen Ihres Hierseyns, bey der für beyde Seiten unbefriedigten Abreise, vorzüglich schmerzlich empfand, war daß Sie, unmittelbar, an dem vorzüglichen Pianoforte gesessen hatten, welches wir Ihnen schuldig sind, ohne daß meine Enkel Ihnen, auch nur wenige Minuten, darauf vorgespielt hätten, um recht sinnlich auszudrücken: daß dieses Organ zu unserm häuslichen Daseyn vollkommen unentbehrlich ist.

Soviel für heute, einen freundlichen Gegengruß mir versprechend.

Weimar den 30. Jun.

1831.

unwandelbar
J W Goethe
289Vgl.
290Briefw. m. Zelter V. S. 254. 261.
291Bei der Aufführung des Faust in Leipzig hatte die akademische Jugend bei einigen Stellen einen so ausgelassenen Beifall kund gegeben, daß man in Dresden für nöthig fand die Wiederholung auf einige Zeit zu untersagen.
292Rochlitz hatte Goethe den Wunsch des kaiserl. Russ. Geh. Raths Grafen Manteuffel ausgesprochen, ihn in Weimar zu besuchen, und ihn gebeten eine Zeit dafür zu bestimmen.
293Für ruhige Stunden. Leipzig 1828. 2 Thle.
294Am 15. Nov. theilte Kanzler v. Müller in Goethes Auftrage die traurige Nachricht vom Tode seines Sohnes mit, die er dem Vater selbst hatte bringen müssen, welcher sie mit großer Fassung und Ergebenheit aufgenommen und ausgerufen hatte: non ignoravi me mortalem genuisse! während seine Augen sich mit Thränen füllten. Später erfolgte von demselben Bericht über Goethes Befinden.
295Rochlitz war in Weimar und dort krank geworden, auch Goethe war unwohl. (Briefw. m. Zelter VI. S. 196.) Unter denselben Umständen ist auch der folgende Brief geschrieben.