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Goethes Briefe an Leipziger Freunde

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

II

Mademoiselle,

Sie ist lang ausgeblieben, die Antwort! soll ich Sie wohl um Vergebung bitten? Nein gewiss, wenn ich das dürfte; Wenn ich sagen dürffte: Mamsell, verzeihen Sie, ich hatte viel, viel Geschäffte, daran sich Herckules den Arm aus der Pfanne hätte heben mögen, ich konnte ohnmöglich, die Tage waren kurz, mein Gehirn, wegen der Einstrahlung des Steinbocks und Wassermanns, etwas kalt und feucht, und noch die ganze Reihe von alletags Entschuldigungen, um nicht auf sich kommen zu lassen, man sey faul, dazugerechnet; Sehen Sie, wenn ich in Umständen wäre, so was zu sagen, ich schrieb lieber in meinem Leben nicht. O Mamsell, es war eine impertinente Composition von Laune meiner Natur, die mich vier Wochen, an den Bettfus, und vier Wochen, an den Sessel anschraubte, dass ich eben so gerne die Zeit über, hätte in einen gespaltenen Baum wollen eingezaubert seyn. Und doch sind sie herum, und ich habe das Capitel von Genügsamkeit, Geduld, und was übrigens für Materien ins Buch des Schicksaals gehören, wohl und gründlich studiert, binn auch dabey etwas kluger geworden; Sie werden mir also verzeihen wenn dieser Brief, mehr ein Commentar zu dem Ihrigen, als eine Antwort darauf wird; denn so viel Freude ich über das Blätgen gehabt habe, so viel habe ich auch dawider einzuwenden, und – Honneur aux Dames – aber wahrhafftig, Sie haben unrecht.

Wir müssen uns besser verstehn, eh wir uns weiter herauslassen. Vorausgesetzt, dass ich nicht mit Ihnen zufrieden binn! Und nun will ich anfangen, von Anfang biss zu Ende, ordentlich wie ein Cronickenschreiber; der Brief wird so lang werden, wie die Glosse eines Dompfaffen, über einen kleinen, leichten Text.

Sie wissens von Alters her, – wenigstens ist es meine Schuld nicht, wenn Sie es nicht wissen – Sie wissen, daß ich Sie für ein sehr gutes Mädgen halte, die schon, wenn Ihr dran gelegen wäre, einen ehrlichen Menschen mit dem weiblichen Geschlecht wieder versöhnen könnte, und wenn er aufgebracht wäre wie Wieland. Wenn ich mich irre; so ist das wieder meine Schuld nicht. Zwey Jahre beynahe, binn ich in Ihrem Hause herumgegangen, und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein Nachtforschender Magus einen Alraun pfeifen hört.

Von dem also zu reden was ich gesehen habe – die Kirche urtheilt nicht übers Verborgne, sagte Paris – So versichre ich Sie, dass ich davon bezaubert binn; aber wahrhafftig die ‘Philosophen’ von meiner Art, haben meist Ulysses Kräuterbüschel, unter den andern Galanterien, in einem Sachet bey sich, dass Ihnen die stärckste Bezauberung nicht mehr schadet als ein starcker Rausch, Kopfweh den andern Morgen, aber die Augen sind doch wieder helle. Dieses wohl begriffen, damit wir uns nicht missverstehen.

Sie sind glücklich, sehr glücklich; wenn mein Herz nicht jetzt für alle Empfindung todt wäre, ich wollte es Ihnen vorerzählen, vorsingen wollt' ich's Ihnen. Das möglichste von Gessners Welten; wenigstens bild ich's mir so ein. Und Ihre Seele hat sich sehr nach dem Glück gebildet, Sie sind zärtlich, fühlbaar, Kennerinn des Reitzes, gut für Sie, gut für Ihre Gespielen; aber nicht so gut für mich; und Sie müssen doch auch gut für mich seyn, wenn Sie ein ganzrechtgutes Mädgen seyn wollen. Ich war einmal kranck, und ward wieder gesund, eben genug, um mit Bequemlichkeit meinem letzten Willen nachdencken zu können. Ich schlich in der Welt herum, wie ein Geist, der nach seinem Ableben manchmal wieder an die Orte gezogen wird, die ihn sonst angezogen, da er sie noch körperlich geniesen konnte, jämmerlich schleicht er zu seinen Schätzen, und ich demütig zu meinem Mädgen, und zu meinen Freundinnen. Ich hoffte bedauert zu seyn; unsre Eigenliebe muss doch was hoffen, entweder Liebe oder Mittleiden. Betrogner Geist bleib in deiner Grube! Du magst noch so demütig, noch so flehend im weißen Rocke flehen und jammern, wer todt ist ist Todt, wer kranck ist, ist so gut wie todt; geh, Geist, geh, wenn sie nicht sagen sollen, du bist ein beschwerlicher Geist. Die Geschichten, die mich auf diese Betrachtung führten, gehören nicht hierher. Nur eine will ich Ihnen ausführlich erzählen, wenn ich mich sie noch recht besinne. Ich kam zu einem Mädgen, ich wollte drauf schwören, Sie wärens gewesen, die empfing mich mit grossem Jauchzen, und wollte sich zu Todte lachen, wie ein Mensch die Carickaturidee haben konnte, im 20sten Jahre an der Lungensucht zu sterben! Sie hat wohl recht, dacht ich, es ist lächerlich, nur für mich so wenig, als für den Alten im Sacke, der für Prügeln sterben möchte, über die eine ganze Versammlung fast für lachen stirbt.135 Wie aber alle Sachen in der Welt zwey Seiten haben; und einem ein schönes artiges Mädgen, leicht schwarz vor weis verkaufen kann; und ich überhaupt leicht zu bereden binn, so gefiel mir das Ding so wohl, dass ich mir einbilden liess, es wäre alles Einbildung, und man wäre glücklich, so lang man vergnügt wäre, und so weiter; und da erzählte sie mir wie sie auf dem Lande so vergnügt gewesen wären, wie sie blinde Kuh gespielt, nach dem Topfe geschlagen, geangelt, und gesungen hätten, dass mir's ward wie's einem jungen Mädgen wird die den Grandison liesst; das ist ein feines Bissgen von einem Menschen, so einen möcht'st du auch haben, denckt sie. Wie gern hätte ich auch mitgemacht, und meine Kranckheit verschlimmert. Dem sey wie ihm wolle, Mamsell, es ist nichts so schlimm, dass das Schicksaal nicht zum Guten machen könnte, Ihre Unbarmherzigkeit in den letzten Tagen, gegen den armen Verurteilten, machte ihn starck; Glauben Sie mir, Sie sind alleine Schuld, dass ich Leipzig ohne sonderliche Schmerzen verlassen habe. Freudigkeit der Seele, und Heroismus ist so communicabel wie die Elecktricität, und Sie haben soviel davon, als die Elecktrische Maschine Feuerfuncken in sich enthält. Morgen seh ich sie wieder! ein Abschiedsgruss zu dem, den man auf die Galeeren schmieden will, ist wahrhafftig nicht der zärtlichste. Es sey! Mich hat er starck gemacht; und doch war ich nicht mit zufrieden. Die Grösse der Seele, ist meist unempfindlichkeit, unter uns gesagt. Wenn ich's wohl betrachte, so handelten Sie ganz natürlich, mein Abschied musste Ihnen gleichgültig seyn, mir war er's warrlich nicht. Ich hätte gewiss geweint, wenn ich nicht gefurcht hatte, Ihre weissen Handschuhe zu verderben; eine überflüssige Vorsicht, ich sah erst am Ende, dass sie gestrickt und von Seide waren, da hätte ich immer weinen können, doch da war's zu spät. Dass ich ein Ende mache. Ich ging aus Leipzig und Ihr Geist begleitete mich, mit der ganzen Munterkeit seines Wesens. Ich kam hier an, und fing an Betrachtungen zu machen, dazu ich bissher nicht Zeit gehabt hatte. Und sah mich hier nach Freunden um, und fand keine; nach Mädgen, die waren nicht so specificirt wie ich's liebe, und war im Jammer, und klage Ihnen das in wunderschönen Reimen, und dencke, ob Sie den wohl dich bedauern wird, und den unglücklichen Schwanen, durch ein Briefgen trösten wird! Da kam ein Brieflein! Nun das ist wohl wahr, erquickt war ich; denn Sie stellen sich die Trockenheit nicht vor, in der man hier, von Seiten einer angenehmen Unterhaltung lechzt; aber getröst war ich nicht; Ich sah dass Sie meynten, Poesie und Lügen wären nun Geschwister, und der Hr. Briefsteller könnte wohl ein sehr ehrlicher Mensch, aber auch ein starcker Poete seyn, der aus Vorurteil für das Clair obscür, offt die Farben etwas stärcker, und die Schatten etwas schwärzer aufstriche, als es die Natur thut. Bon, Sie sollen recht haben, wo sie's haben. Nur, das ist doch zu arg, Sachen bey mir zu supponiren, die ich doch so wenig besitze, als den Stein der Weisen. Einen gesunden Kopf, ein gutes Herz, nun dazu liess ich mich noch wohl bereden, zu glauben dass ich das hätte; aber gelehrige Schülerinnen, Freunde, wie sich's gehört, darauf wart ich noch; wenn ich sie erwischt habe, die Paradiesvögel, da will ich's Ihnen schreiben. Dass Sie also unrecht hatten, mir ein Rezept zu verschreiben, wozu die Species in Leipzig waren, dass mich das nothwendig kräncken musste, das sehen Sie nun wohl ein. Es ist sehr unbillig; Sie haben mein Herz gegen den Abschied von L. unempfindlich gemacht, Sie wollen gar haben daß ich es vergessen soll! O Sie kennen Sich und Ihre Landsmänninnen zu wenig! Wer die Minna hat zu Franckfurt aufführen sehen, der weiss besser was Sachsen ist. Sie haben also unrecht! Ich wiederhole es noch einmal, ob ich gleich in dem Augenblicke nicht weiss warum; denn ich habe so viel davon geschrieben, dass ich's drüber vergessen habe, wovon eigentlich die Rede war. Es mag nun seyn wie's will, so war die ganze Sache eine unparteiische, uneigennützige Erinnerung, an ein gewisses Frauenzimmer; dass zum rechten guten Herzen auch Mitleiden gehört; dass das noch lange nicht der höchste Grad von Empfindlichkeit ist, wenn man arme Leute und Lerchen füttert. Dass das Lachen gegen das reelle Unglück, so wenig eine gute Cur ist, als das aus dem Sinnschlagen. Dass wir wenn wir satt sind, eine Rede von Genügsamkeit sehr schlecht bey einem Hungrigen anwenden, und endlich, dass der liebenswürdigste Brief, nicht das hundertste Theil von dem Reiz der Unterredung enthält. Denn Sie hätten mir alles das, und noch mehr, und nicht einmal so schön, vorreden dürfen, so wäre ich confundirt gewesen, und hätte mich nie unterstanden, die geringste von diesen impertinenten Anmerckungen zu machen. Wenn die Frauenzimmer immer wüssten, was sie könnten, wenn sie wollten! – Es ist gut dass es ist wie's ist, ich will zufrieden seyn, dass sie unsre Schwächen nicht ganz kennen. Nun genug von dieser Materie, von der ich so viel geschrieben habe, weil ich nie wieder davon zu schreiben hoffe. Möchte ich doch einem Unglückligen gedient haben, den etwa das Schicksaal künftig in Ihre Hände übergiebt, die je niedlicher sie sind, desto grausamer peinigen können. Ich hoffe künftig Ihnen mit keinen Klagen, mit keinem Jammer beschwerlich zu fallen, ich hoffe das Mitleid nicht nötig zu haben, wozu ich Sie ermahne. Trutz der Kranckheit die war, trutz der Kranckheit die noch da ist, binn ich so vergnügt, so munter, offt so lustig dass ich Ihnen nicht nachgäbe, und wenn Sie mich in dem Augenblicke jetzt besuchten, da ich mich in einem Sessel, die Füsse wie eine Mumie verbunden, vor einen Tisch gelagert habe, um an Sie zu schreiben.

 

Hierher gehört auch dass ich in diesem neuen Jahre, eine Farçe gemacht habe, die ehstens, unter dem Titel: Lustspiel in Leipzig erscheinen wird. Den die Farçen sind jetzt auf allen Parnassen contrebande, wie alles aus der Zeit Ludwigs des Vierzehenden.

Es lebe Ihre Connexion in der Sie mit dem Schicksaale stehn, ich werde mich auch auf den Fus mit ihm setzen; und Ihr Wahlspruch, möchte auch noch hingehn, und gut und artig seyn, wenn er nur nicht eben vom Rhingluff,136 oder Gott weis wie er heisst, genommen wäre, zwanzig Dichter haben es eben so gut, und besser gesagt, warum muss nun eben der Mensch, mit dem Barbarischen Nahmen, die Ehre haben; Denn unter uns gesagt ich binn keiner von seinen Freunden. Ich kenne ihn weiter nicht, aber seine Verse die ich kenne, dementiren den ehrwürdigen Bart, und das feyerliche Ansehn das ihm Herr Geyser137 gegeben hat; ich will drauf schwören, in der Natur, sieht er jünger aus. Sind denn die Gesänge schlecht? Wer wird gleich solche Gewissensfragen thun! Genug ich weis nicht was ich mit machen soll. Mamsell, Sie sollen wenn Sie's verlangen, meine Meynungen über allerley Dinge wissen, sagen Sie mir die Ihrige, und es wird die angenehmste, fruchtbaarste Materie, für unsern Briefwechsel seyn; aber Erfahrung macht Misstrauen. Ich rede frey vor Ihnen, wie ich vor wenigen in Leipzig reden würde, nur lassen Sie niemanden sehn wie ich dencke. Seitdem Clodius freundschafftlichere Gesinnungen gegen mich blicken lässt, ist mir ein grosser Stein vom Herzen;138 ich habe mich steets vor Beleidigungen gehütet. Rhingulff ist ohne Zweifel in Leipzig, vielleicht kennen Sie ihn. Ich weiss nichts, denn ich binn ausser aller Connexion, mit allen schönen Geistern. Ich dencke so von R. wie von allen Gesängen dieser Art. Gott sey Danck, dass wir Friede haben, zu was das Kriegsgeschrey. Ja wenns eine Dichtungsart wäre, wo viel Reichthum an Bildern, Sentiments oder sonst was läge. Ey gut da fischt immer! Aber nichts, als ein ewig Gedonnere der Schlacht, die Glut die im Muth aus den Augen blitzt, der goldne Huf mit Blut bespritzt, der Helm mit dem Federbusch, der Speer, ein paar Duzend ungeheure Hyperbeln, ein ewiges Ha! Ah! Wenn der Vers nicht voll werden will, und wenns lang währt, die Monotonie des Sylbenmaases, das ist zusammen nicht auszustehn. Gleim, und Weise und Gessner in Einem Liedgen, und was drüber ist hat man satt. Es ist ein Ding das gar nicht interessirt, ein Gewäsche das nichts taugt als die Zeit zu verderben. Forcirte Gemälde weil der Herr Verf. die Natur nicht gesehen hat, ewige egale Wendungen; denn Schlacht ist Schlacht, und die Situationen die es etwa reicht sind sehr genützt. Und was geht mich der Sieg der Teutschen an, dass ich das Frohlocken mit anhören soll, eh! das kann ich selbst. Macht mich was empfinden, was ich nicht gefühlt, was dencken was ich nicht gedacht habe, und ich will euch loben. Aber Lärm und Geschrey statt dem Pathos, das thut's nicht. Flittergold, und das ist alles. Hernach sind in R. Gemälde ländlicher Unschuld; sie möchten gut seyn, in Arkadien angebracht zu werden; unter Deutschlands Eichen, wurden keine Nymphen gebohren wie unter den Myrthen, im Tempe. Und was an einem Gemälde am unerträglichsten ist, ist Unwahrheit. Ein Mährgen hat seine Wahrheit, und muss sie haben, sonst wär es kein Mährgen. Und wenn man nun das Sujet so chiffonirt sieht, so wird's einem bang. Da meynen die Herren das fremde Costume sollte was thun! Wenn's Stück schlecht ist, was sind des Ackteurs schöne Kleider! Wenn Ossian im Geiste seiner Zeit singt, so brauche ich gerne Commentars, sein Costume zu erklären, ich kann mir viele Mühe darum geben; nur wenn neuere Dichter sich den Kopf zerbrechen, ihr Gedicht im alten Gusto zu machen, dass ich mir den Kopf zerbrechen soll, es in die neue Sprache zu übersetzen, das will mir meine Laune nicht erlauben. Gerstenbergs Skalden hätt ich lange gern gelesen, wenn nur das Wörterverzeichniss nicht wäre. Es ist ein groser Geist, und hat aparte Prinzipia. Von seinem Ugolino soll mann gar nicht urteilen. Ich sage nur bey der Gelegenheit: Grazie und das hohe Pathos sind heterogen; und niemand wird sie vereinigen dass sie ein würdig Süjet einer edlen Kunst werden, da nicht einmal das hohe Pathos ein Süjet für die Mahlerey dem Probierstein der Grazie; und die Poesie hat gar nicht eben Ursache ihre Gränzen so auszudehnen, wie ihr Advocat meynt.139 Er ist ein erfahrner Sachwalter; lieber ein wenig zu viel als zu wenig; ist seine Art zu dencken. Ich kann, ich darf mich nicht weiter erklären, Sie werden mich schon verstehen; Wenn man anders als grosse Geister denckt, so ist es gemeiniglich das Zeichen eines kleinen Geists. Ich mag nicht gerne, eins und das andre seyn. Ein grosser Geist irrt sich so gut wie ein kleiner, jener weil er keine Schrancken kennt, und dieser weil er seinen Horizont, für die Welt nimmt. O, meine Freundinn, das Licht ist die Wahrheit, doch die Sonne ist nicht die Wahrheit, von der doch das Licht quillt. Die Nacht ist Unwahrheit. Und was ist Schönheit? Sie ist nicht Licht und nicht Nacht. Dämmerung; eine Gebuhrt von Wahrheit und Unwahrheit. Ein Mittelding. In ihrem Reiche liegt ein Scheideweg so zweydeutig, so schielend, ein Herkules unter den Philosophen könnte sich vergreiffen. Ich will abbrechen; wenn ich in diese Materie komme, da werd' ich zu ausschweifend, und doch ist sie meine Lieblings Materie. Wie möchte ich ein Paar hübsche Abende, bei Ihrem lieben Vater seyn; ich hätte ihm gar so viel zu sagen. Meine Gegenwärtige Lebensart ist der Philosophie gewiedmet. Eingesperrt, allein, Circkel Papier, Feder und Dinte, und zwey Bücher, mein ganzes Rüstzeug. Und auf diesem einfachen Weege, komme ich in Erkenntniss der Wahrheit, offt so weit, und weiter, als andre mit ihrer Bibliothekarwissenschafft. Ein groser Gelehrter, ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit Mühe viel Bücher durchblättert hat, verachtet das leichte einfältige Buch der Natur; und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist; freylich eine schlechte Recommendation für die wahre Weisheit. Wer den einfältigen Weeg geht, der geh ihn, und schweige still, Demuth und Bedächtlichkeit, sind die nothwendigsten Eigenschafften unsrer Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt wird. Ich dancke es Ihrem lieben Vater; Er hat meine Seele zuerst zu dieser Form bereitet, die Zeit wird meinen Fleis seegnen, dass er ausführen kann was angefangen ist.

So ist's mit mir, wenn ich ins schwätzen komme, so verlier ich mich, wie Sie; nur dass ich mir nicht so bald helfen kann. Wenn ich sagte, ich habe viel geschwätzt, so passte das eher hierher, als es zu Ihrem Brief passte. Er war ein wenig kurz.

Lassen Sie sich durch mich zum Schreiben aufmuntern! Sie wissen nicht, wie viel Sie für mich thun, wenn Sie für mich, sich nur einige Zeit beschäfftigen. Und nur des seltsamen wegen, sollten Sie den Briefwechsel ins Reich unterhalten.

Noch einige Kleinigkeiten eh ich schliesse. Meine Lieder, davon ein Teil das Unglück gehabt hat, Ihnen zu missfallen, werden mit Melodien auf Ostern gedruckt, ich würde mich vielleicht unterstanden haben, Ihnen ein unterschriebnes Exemplar zu wiedmen, wenn ich nicht wüsste, dass man Sie durch einige Kleinigkeiten, leicht zum schimpfen bewegen könnte, wie Sie selbst zu Anfange Ihres Briefs sagen; den ich wohl glaube verstanden zu haben. Es ist mein Unglück dass ich so leichtsinnig binn, und alles von der guten Seite ansehe. Dass Sie meine Lieder von der bösen angesehen haben; Ist das meine Schuld. Werfen Sie sie ins Feuer, und sehen Sie die gedruckten gar nicht an; nur bleiben Sie mir gewogen. Unter uns, ich bin einer von den gedultigen Poeten, gefällt euch das Gedicht nicht, so machen wir ein anders.

Von Wielanden140 möchte ich gar zu gerne was noch schreiben, fürchtet ich nicht die Weitläuffigkeit. Es giebt Materie zu einem andern Brief genug. Sie haben mir ia auch noch viel zu sagen, sagen Sie in Ihrem letzten Brief; (der der erste war) ey, nehmen Sie sich nur alle acht Tage eine Stunde, einen Monat will ich gerne warten, und da hoff' ich, wird ein freundschafftlich Packetgen mich trösten. Unter andern würden Sie mir eine sonderbaare Gefälligkeit erweisen, wenn Sie mir von den neusten, artigen und guten Schriften Nachricht gäben; hier erfährt mann's immer erst ein Vierteljahr nach der Messe. Ob ich gleich fast ganz auf die neue Literatur jetzo renuncirt habe, und keine Verse mehr, ausser wenn mich ein Räuschgen ermuntert, fliessen wollen, so mag ich doch den Neologismus nicht ganz auf einmal verlassen. Es hängt einem immer noch an, das Skarteckgenlesen, das in Leipzig offt für Gelehrsamkeit passirt.

Wie gern käm ich auf Ostern zu Ihnen, wenn ich könnte; wissen Sie was, kommen Sie zu mir, oder schicken Sie mir den Papa. Wir haben Plaz für Sie alle wenn Sie kommen wollen. Es ist mein ganzer Ernst. Fragen Sie nur den Meister Junge,141 der wird Ihnen sagen dass das wahr ist. Und unser Tisch lässt sich so gut anstossen, wenn Gäste kommen, wie der Ihrige. Sie werden freylich diese Invitation nicht annehmen, die sächsischen Mädgen sind etwas delicat. Gut, zwingen will ich Sie nicht. Aber wenn Sie mich böse machen, so komm ich selbst, und invitire Sie in eigner Person. Wollen Sie es hernach auch nicht annehmen?

 

Franckfurt, am 13. Febr.

1769.

Ich binn
Ihr ergebenster Freund
und Diener
Goethe.

III

Franckfurt am 8. Apr. 1769.

Nun was ist denn das für ein gros Unglück, wenn ich Sie bitte, ein wenig zu plaudern? Wie kommen Sie drauf, einen ehrlichen Menschen der an nichts denckt, für einen Bösewicht anzuschreien, weil er einem Mädgen das Seine Zunge geläuffig und artig zu gebrauchen weiss, zu erkennen giebt, dass er diese vorzügliche Gabe Ihres Geschlechts zu schätzen weiss. Mich treffen alle Ihre vehemente Beschuldigungen, gar nicht; und Sie hätten besser gethan, wenn Sie nicht böse geworden wären.

Ich soll eine üble Idee vom schönen Geschlecht haben. Auf gewisse Art, ja! Nur müssen Sie mich verstehn, und meine Worte, nicht jedesmal mit einer schlimmen Glosse erklären.

Was ich erfahren habe, das weiss ich; und halte die Erfahrung für die einzige ächte Wissenschafft.142 Ich versichre Sie, die Paar Jahre als ich lebe, habe ich von unserm Geschlecht eine sehr mittelmässige Idee gekriegt; und wahrhafftig keine bessre von Ihrem. – Nehmen Sie das nicht übel. – Sie haben mir's darnach gemacht; und selbst Sie, geben Sie mir nicht Anlass, in meiner Verstockung fortzufahren? Sie wollen mir Ihr Geschlecht, auf einer andern Seite zeigen! O, hätten Sie's bey der ersten gelassen, und Ihre Sache würde schlimm geblieben seyn, ohne schlimmer zu werden. Wie vortheilhafft ist denn diese neue Seite? Wir wollen sehen! – Dass jedes iunge, unschuldige Herz, unbesonnen, leichtgläubig, und desswegen leicht zu verführen ist, das liegt in der Natur der Unschuld. Läugnen Sie mir das! Und heisst denn das beschuldigen, wenn man die Sache sagt wie Sie ist. Und ist es denn Ihrem Geschlecht eine Schande leichtgläubig zu seyn? Es scheint als ob Sie's glaubten. Sie widersprechen mir, und wollen Ihr Geschlecht vertheidigen. – Dass nicht alle Mädgen Leichtsinnig sind das haben Sie bewiesen; ich muss es gestehen; Aber Sie haben mir zu einer gefährlichen Meynung geholfen: Der Klügere Theil ist also misstrauisch. Denn Misstrauen ist die Laune Ihres ganzen Brief's. Wodurch hab ich das verdient? O der Argwohn liegt in Ihrem Herzen, und da müssen nonchalante, grade, ehrliche Stellen meiner Briefe, boßhaffter Scherz seyn. Meine Blätter sind in Ihren Händen, und ich trutze drauf; Sie werden keine Bosheit drinne finden, die Sie nicht drinne suchen.

Das Urteil eines Frauenzimmers, über Wercke des Geschmacks ist bey mir wichtiger als die Kritick des Kritickers, die Ursache liegt am Tage, und alle Ihre Beredsamkeit soll mir meine Ehrlichkeit nicht verdrehen. Was ich sage, wenn Sie bekennen, dass das Versgen von Rhingulffen,143 aus List hingesetzt war? Das werden Sie wohl rahten können. Ich werde sagen, dass Sie Ihre Mausfallen gut zu stellen wissen, und dass mir's lieb ist, dass ich mich habe fangen lassen. Sie können sehn, wie ehrlich ich binn; wären Sie grad gewesen, und hätten mich gefragt, ich würde nicht mehr und nicht weniger gesagt haben. Wäre Hr. Gervinus144 nicht bey mir gewesen, so wüste ich gar nicht wie ich dran wäre. Aus seiner Erzälung habe ich weg; dass der Barde, in Leipzig wohl aufgenommen worden, dass er durchgehends gefallen hat; und ich sehe wohl dass er auch Ihnen gefallen hat, und dass ich übels von Ihrem Freund geschrieben habe. Es sey! Was ich geschrieben habe das habe ich geschrieben. Schreiben Sie's auf Rechnung des Brodneids, oder der wenigen Empfindung, dass mir der Barde nicht behagt. Mir ist's eins. Genug, ich kann nichts empfinden, wo nichts gedacht ist. Und der Republikanische Geist verläugnet sich nicht; Sachsen hat seine Wildheit und Kühnheit gemässigt, aber zu dem Concert des Lobs hat es ihn nicht stimmen können. Ich dancke Ihrem Vater, das Gefühl des Ideals; und die gedrehten Reitze des Franzosen, werden mich so wenig exstastiren machen, als die platten Nymphen von Dieterich, so nackend und glatt sie auch sind. Jede Art hat ihre Verdienste, nach ihrem Maasstab; ich binn ihr gehorsamer Diener allerseits, aber, wir wollen uns desswegen nicht entzweyen, Mamsell; seyn Sie immerhin, nicht so streng gegen die Autoren, nur seyen Sie auch nicht so streng gegen mich. Wie soll ich mich mit Ihrem Geschlecht aussöhnen, wenn Sie so fortfahren wie Sie angefangen haben. Und doch, wenn es Ihnen nicht anders möglich ist, so zancken Sie nur, Sie sind doch immer hübsch, Sie mögen freundlich, oder böse seyn.

Ihre Bäume in Delis145 fangen nun bald an auszuschlagen, und so lang sie grün sind, hoffe ich auf keinen Brief von Ihnen. Unterdessen will ich Sie schon zwingen, manchmal an mich zu dencken; mein Geist soll so heftig an Ihre Büsche dencken, dass er Ihnen erscheinen wird eh Sie Sich's versehn; und meine Briefe, sollen Sie auf die Reitze des Landlebens, in Prosa und Versen aufmercksamer machen, trutz Hirschfelden dem Anatomicker der Natur; wenn keine andre Materie vorkommen sollte. Hr. Regis wird schweerlich mit uns zufrieden seyn können, es thut mir weh das ein so angenehmer Mann, hier so einen unangenehmen Accessit zum erstenmal gefunden hat. Ich binn – ich weiss selbst nicht recht, was – Aber doch so gut als jemals, von ganzem Herzen

Ihr
Freund und Bewundrer
Goethe.

Mehr Briefe an Friederike Oeser fanden sich in ihrem Nachlaß nicht vor. Allein Schöll hat (Briefe und Aufsätze von Goethe S. 49) nach Copien, welche Goethe zurückbehalten hatte, zwei in Straßburg geschriebene Briefe herausgegeben, welche, wie ich glaube, ebenfalls an sie gerichtet waren. Der erste ist überschrieben „an Mamsell F.“; der Aufenthalt in Sesenheim hatte ihm die Tage zurückgerufen, welche er in ähnlichem Verkehr in Oesers Landhause in Dölitz zugebracht hatte; der zweite, ohne Überschrift, folgt unmittelbar darauf auf demselben Bogen und hier ist die Beziehung auf Leipzig klar. Käthchen wird darin erwähnt, über welche nun Niemand zweifelhaft sein wird, und Fränzchen, vermuthlich jene Freundin, welche in Minna von Barnhelm die Franziska spielte, und in einem Briefe an Käthchen (S. 75) genannt wird. Zwar ist der Ton von den vorhergehenden merklich verschieden; man spürt, daß Goethe gesund und reifer geworden ist, man fühlt den Hauch der frisch aufkeimenden, ihn still beseligenden Liebe, übrigens paßt der Ton ganz zu seinem Verhältniß zu Friederike Oeser und auch das Element der Reflexion, welches diesem eigen war, tritt stark genug hervor. Ich lasse dieselben deshalb hier folgen.

135Bei Moliere, les fourberies de Scapin III, 2.
136K. Fr. Kretzschmann in Zittau hatte herausgegeben: „Der Gesang Ringulphs des Barden, als Varus geschlagen worden war“ (Zittau 1769); welcher in der Neuen Bibliothek der schönen Wissensch. 1769 VIII, 1 S. 76 ff. sehr gelobt wurde. Später erschien auch „Die Klage Ringulphs des Barden“ (Zittau 1771). In den Frankfurter Anzeigen machte sich Goethe noch über ihn lustig (Werke XXXII. S. 48): „Herr Kretschmann erscheint hier in einem ganz unvermutheten Lichte des Patrons, er steht nämlich mit der Goldsichel unter dem heiligen Eichenstamm und initiirt, als ein alter Barde, den Ankömmling Telynhard. Wer doch den Mann kennte, der ihn als Rhingulph eingeweiht hat, damit man's ihm ein klein wenig von Klopstock's und Gerstenberg's wegen verweisen könnte.“
137Der Kupferstecher, nachmals Oesers Schwiegersohn.
138Wegen der erwähnten Parodie. Man sieht, Clodius beurtheilte diese Äußerung jugendlichen Übermuthes billig und verständig. Sein Sohn, der Professor C. A. H. Clodius, glaubte nach dem Erscheinen von Wahrheit und Dichtung die Ehre seines Vaters retten zu müssen durch einen Aufsatz im Morgenblatt (1812 N. 259 f.): „Über einige literarische Jugendurtheile des Herrn von Goethe“, in welchem er über der Pietät gegen seinen Vater die gegen den großen Mann vergessen zu haben scheint.
139Lessing im Laokoon.
140Vgl. an
141
142Vgl. Werke XXI. S. 111 ff.
143Vgl.
144Friedr. Gervinus aus Zweibrücken studirte seit 1768 in Leipzig.
145Dölitz.