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Italienische Reise — Band 1

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
Neapel, den 6. März 1787

Obgleich ungern, doch aus treuer Geselligkeit, begleitete Tischbein mich heute auf den Vesuv. Ihm, dem bildenden Künstler, der sich nur immer mit den schönsten Menschen — und Tierformen beschäftigt, ja das Ungeformte selbst, Felsen und Landschaften, durch Sinn und Geschmack vermenschlicht, ihm wird eine solche furchtbare, ungestalte Aufhäufung, die sich immer wieder selbst verzehrt und allem Schönheitsgefühl den Krieg ankündigt, ganz abscheulich vorkommen.

Wir fuhren auf zwei Kalessen, weil wir uns als Selbstführer durch das Gewühl der Stadt nicht durchzuwinden getrauten. Der Fahrende schreit unaufhörlich: "Platz, Platz!", damit Esel, Holz oder Kehricht Tragende, entgegenrollende Kalessen, lastschleppende oder frei wandelnde Menschen, Kinder und Greise sich vorsehen, ausweichen, ungehindert aber der scharfe Trab fortgesetzt werde.

Der Weg durch die äußersten Vorstädte und Gärten sollte schon auf etwas Plutonisches hindeuten. Denn da es lange nicht geregnet, waren von dickem, aschgrauem Staube die von Natur immergrünen Blätter überdeckt, alle Dächer, Gurtgesimse und was nur irgend eine Fläche bot, gleichfalls übergraut, so daß nur der herrliche blaue Himmel und die hereinscheinende mächtige Sonne ein Zeugnis gab, daß man unter den Lebendigen wandle.

Am Fuße des steilen Hanges empfingen uns zwei Führer, ein älterer und ein jüngerer, beides tüchtige Leute. Der erste schleppte mich, der zweite Tischbein den Berg hinauf. Sie schleppten, sage ich; denn ein solcher Führer umgürtet sich mit einem ledernen Riemen, in welchen der Reisende greift und, hinaufwärts gezogen, sich an einem Stabe auf seinen eigenen Füßen desto leichter emporhilft.

So erlangten wir die Fläche, über welcher sich der Kegelberg erhebt, gegen Norden die Trümmer der Somma.

Ein Blick westwärts über die Gegend nahm wie ein heilsames Bad alle Schmerzen der Anstrengung und alle Müdigkeit hinweg, und wir umkreisten nunmehr den immer qualmenden, Stein und Asche auswerfenden Kegelberg. Solange der Raum gestattete, in gehöriger Entfernung zu bleiben, war es ein großes, geisterhebendes Schauspiel. Erst ein gewaltsamer Donner, der aus dem tiefsten Schlunde hervortönte, sodann Steine, größere und kleinere, zu Tausenden in die Luft geschleudert, von Aschenwolken eingehüllt. Der größte Teil fiel in den Schlund zurück. Die andern, nach der Seite zu getriebenen Brocken, auf die Außenseite des Kegels niederfallend, machten ein wunderbares Geräusch: erst plumpten die schwereren und hupften mit dumpfem Getön an die Kegelseite hinab, die geringeren klapperten hinterdrein, und zuletzt rieselte die Asche nieder. Dieses alles geschah in regelmäßigen Pausen, die wir durch ein ruhiges Zählen sehr wohl abmessen konnten.

Zwischen der Somma und dem Kegelberge ward aber der Raum enge genug, schon fielen mehrere Steine um uns her und machten den Umgang unerfreulich. Tischbein fühlte sich nunmehr auf dem Berge noch verdrießlicher, da dieses Ungetüm, nicht zufrieden, häßlich zu sein, auch noch gefährlich werden wollte.

Wie aber durchaus eine gegenwärtige Gefahr etwas Reizendes hat und den Widerspruchsgeist im Menschen auffordert, ihr zu trotzen, so bedachte ich, daß es möglich sein müsse, in der Zwischenzeit von zwei Eruptionen den Kegelberg hinauf an den Schlund zu gelangen und auch in diesem Zeitraum den Rückweg zu gewinnen. Ich ratschlagte hierüber mit den Führern unter einem überhängenden Felsen der Somma, wo wir, in Sicherheit gelagert, uns an den mitgebrachten Vorräten erquickten. Der jüngere getraute sich, das Wagestück mit mir zu bestehen, unsere Hutköpfe fütterten wir mit leinenen und seidenen Tüchern, wir stellten uns bereit, die Stäbe in der Hand, ich seinen Gürtel fassend.

Noch klapperten die kleinen Steine um uns herum, noch rieselte die Asche, als der rüstige Jüngling mich schon über das glühende Gerölle hinaufriß. Hier standen wir an dem ungeheuren Rachen, dessen Rauch eine leise Luft von uns ablenkte, aber zugleich das Innere des Schlundes verhüllte, der ringsum aus tausend Ritzen dampfte. Durch einen Zwischenraum des Qualmes erblickte man hie und da geborstene Felsenwände. Der Anblick war weder unterrichtend noch erfreulich, aber eben deswegen, weil man nichts sah, verweilte man, um etwas herauszusehen. Das ruhige Zählen war versäumt, wir standen auf einem scharfen Rande vor dem ungeheuern Abgrund. Auf einmal erscholl der Donner, die furchtbare Ladung flog an uns vorbei, wir duckten uns unwillkürlich, als wenn uns das vor den niederstürzenden Massen gerettet hätte; die kleineren Steine klapperten schon, und wir, ohne zu bedenken, daß wir abermals eine Pause vor uns hatten, froh, die Gefahr überstanden zu haben, kamen mit der noch rieselnden Asche am Fuße des Kegels an, Hüte und Schultern genugsam eingeäschert.

Von Tischbein aufs freundlichste empfangen, gescholten und erquickt, konnte ich nun den älteren und neueren Laven eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Der betagte Führer wußte genau die Jahrgänge zu bezeichnen. Ältere waren schon mit Asche bedeckt und ausgeglichen, neuere, besonders die langsam geflossenen, boten einen seltsamen Anblick; denn indem sie, fortschleichend, die auf ihrer Oberfläche erstarrten Massen eine Zeitlang mit sich hinschleppen, so muß es doch begegnen, daß diese von Zeit zu Zeit stocken, aber, von den Glutströmen noch fortbewegt, übereinander geschoben, wunderbar zackig erstarrt verharren, seltsamer als im ähnlichen Fall die übereinander getriebenen Eisschollen. Unter diesem geschmolzenen wüsten Wesen fanden sich auch große Blöcke, welche, angeschlagen, auf dem frischen Bruch einer Urgebirgsart völlig ähnlich sehen. Die Führer behaupteten, es seien alte Laven des tiefsten Grundes, welche der Berg manchmal auswerfe.

Auf unserer Rückkehr nach Neapel wurden mir kleine Häuser merkwürdig, einstöckig, sonderbar gebaut, ohne Fenster, die Zimmer nur durch die auf die Straße gehende Türe erleuchtet. Von früher Tageszeit bis in die Nacht sitzen die Bewohner davor, da sie sich denn zuletzt in ihre Höhlen zurückziehen.

Die auf eine etwas verschiedene Weise am Abend tumultuierende Stadt entlockte mir den Wunsch, einige Zeit hier verweilen zu können, um das bewegliche Bild nach Kräften zu entwerfen. Es wird mir nicht so wohl werden.

Neapel, Mittwoch, den 7. März 1787

Und so hat mir diese Woche Tischbein redlich einen großen Teil der Kunstschätze von Neapel gezeigt und ausgelegt. Er, ein trefflicher Tierkenner und Zeichner, machte mich schon früher aufmerksam auf einen Pferdekopf von Erz im Palast Colombrano. Wir gingen heute dahin. Dieser Kunstrest steht gerade der Torfahrt gegenüber im Hofe in einer Nische über einem Brunnen und setzt in Erstaunen; was muß das Haupt erst mit den übrigen Gliedern, zu einem Ganzen verbunden, für Wirkung getan haben! Das Pferd im ganzen war viel größer als die auf der Markuskirche, auch läßt hier das Haupt, näher und einzeln beschaut, Charakter und Kraft nur desto deutlicher erkennen und bewundern. Der prächtige Stirnknochen, die schnaubende Nase, die aufmerkenden Ohren, die starre Mähne! Ein mächtig aufgeregtes, kräftiges Geschöpf.

Wir kehrten uns um, eine weibliche Statue zu bemerken, die über dem Torwege in einer Nische stand. Sie wird für die Nachbildung einer Tänzerin schon von Winckelmann gehalten, wie denn solche Künstlerinnen in lebendiger Bewegung auf das mannigfaltigste dasjenige vorstellen, was die bildenden Meister uns als erstarrte Nymphen und Göttinnen aufbewahren. Sie ist sehr leicht und schön, der Kopf war abgebrochen, ist aber gut wieder aufgesetzt, übrigens nichts daran versehrt, und verdiente wohl einen bessern Platz.

Neapel, den 9. März

Heute erhalte ich die liebsten Briefe vom 16. Februar. Schreibet nur immer fort. Ich habe meine Zwischenposten wohl bestellt und werde es auch tun, wenn ich weitergehen sollte. Gar sonderbar kommt es mir vor, in so großer Entfernung zu lesen, daß die Freunde nicht zusammenkommen, und doch ist oft nichts natürlicher, als daß man nicht zusammenkommt, wenn man so nahe beisammen ist.

Das Wetter hat sich verdunkelt, es ist im Wechseln, das Frühjahr tritt ein, und wir werden Regentage haben. Noch ist der Gipfel des Vesuvs nicht heiter geworden, seit ich droben war. Diese letzten Nächte sah man ihn manchmal flammen, jetzt hält er wieder inne, man erwartet stärkeren Ausbruch.

Die Stürme dieser Tage haben uns ein herrliches Meer gezeigt, da ließen sich die Wellen in ihrer würdigen Art und Gestalt studieren; die Natur ist doch das einzige Buch, das auf allen Blättern großen Gehalt bietet. Dagegen gibt mir das Theater gar keine Freude mehr. Sie spielen hier in den Fasten geistliche Opern, die sich von den weltlichen in gar nichts unterscheiden, als daß keine Ballette zwischen den Akten eingeschaltet sind; übrigens aber so bunt als möglich. Im Theater St. Carlo führen sie auf: "Zerstörung von Jerusalem durch Nebukadnezar". Mir ist es ein großer Guckkasten; es scheint, ich bin für solche Dinge verdorben.

Heute waren wir mit dem Fürsten von Waldeck auf Capo di Monte, wo die große Sammlung von Gemälden, Münzen u. d. g. sich befindet, nicht angenehm aufgestellt, doch kostbare Sachen. Mir bestimmen und bestätigen sich nunmehr so viele Traditionsbegriffe. Was von Münzen, Gemmen, Vasen einzeln wie die gestutzten Zitronenbäume nach Norden kommt, sieht in Masse hier ganz anders aus, da, wo diese Schätze einheimisch sind. Denn wo Werke der Kunst rar sind, gibt auch die Rarität ihnen einen Wert, hier lernt man nur das Würdige schätzen.

Sie bezahlen jetzt großes Geld für die etrurischen Vasen, und gewiß finden sich schöne und treffliche Stücke darunter. Kein Reisender, der nicht etwas davon besitzen wollte. Man schlägt sein Geld nicht so hoch an als zu Hause, ich fürchte, selbst noch verführt zu werden.

 
Neapel, Freitag, den 9. März 1787

Das ist das Angenehme auf Reisen, daß auch das Gewöhnliche durch Neuheit und überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt. Als ich von Capo di Monte zurückkam, machte ich noch einen Abendbesuch bei Filangieri, wo ich auf dem Kanapee neben der Hausfrau ein Frauenzimmer sitzend fand, deren äußeres mir nicht zu dem vertraulichen Betragen zu passen schien, dem sie sich ganz ohne Zwang hingab. In einem leichten, gestreiften, seidenen Fähnchen, den Kopf wunderlich aufgeputzt, sah die kleine, niedliche Figur einer Putzmacherin ähnlich, die, für die Zierde anderer sorgend, ihrem eigenen Aussehen wenig Aufmerksamkeit schenkt. Sie sind so gewohnt, ihre Arbeit bezahlt zu sehen, daß sie nicht begreifen, wie sie für sich selbst etwas gratis tun sollen. Durch meinen Eintritt ließ sie sich in ihrem Plaudern nicht stören und brachte eine Menge possierliche Geschichten vor, welche ihr dieser Tage begegnet oder vielmehr durch ihre Strudeleien veranlaßt worden.

Die Dame vom Hause wollte mir auch zum Wort verhelfen, sprach über die herrliche Lage von Capo di Monte und die Schätze daselbst. Das muntere Weibchen dagegen sprang in die Höhe und war, auf ihren Füßen stehend, noch artiger als zuvor. Sie empfahl sich, rannte nach der Türe und sagte mir im Vorbeigehen: "Filangieris kommen diese Tage zu mir zu Tische, ich hoffe, Sie auch zu sehen!" Fort war sie, ehe ich noch zusagen konnte. Nun vernahm ich, es sei die Prinzessin ***, mit dem Hause nah verwandt. Filangieris waren nicht reich und lebten in anständiger Einschränkung. So dacht' ich mir das Prinzeßchen auch, da ohnehin solche hohe Titel in Neapel nicht selten sind. Ich merkte mir den Namen, Tag und Stunde und zweifelte nicht, mich am rechten Orte zu gehöriger Zeit einzufinden.

Neapel, Sonntag, den 11. März 1787

Da mein Aufenthalt in Neapel nicht lange dauern wird, so nehme ich gleich die entfernteren Punkte zuerst, das Nähere gibt sich. Mit Tischbein fuhr ich nach Pompeji, da wir denn alle die herrlichen Ansichten links und rechts neben uns liegen sahen, welche, durch so manche landschaftliche Zeichnung uns wohlbekannt, nunmehr in ihrem zusammenhängenden Glanze erschienen. Pompeji setzt jedermann wegen seiner Enge und Kleinheit in Verwunderung. Schmale Straßen, obgleich grade und an der Seite mit Schrittplatten versehen, kleine Häuser ohne Fenster, aus den Höfen und offenen Galerien die Zimmer nur durch die Türen erleuchtet. Selbst öffentliche Werke, die Bank am Tor, der Tempel, sodann auch eine Villa in der Nähe, mehr Modell und Puppenschrank als Gebäude. Diese Zimmer, Gänge und Galerien aber aufs heiterste gemalt, die Wandflächen einförmig, in der Mitte ein ausführliches Gemälde, jetzt meist ausgebrochen, an Kanten und Enden leichte und geschmackvolle Arabesken, aus welchen sich auch wohl niedliche Kinder — und Nymphengestalten entwickeln, wenn an einer andern Stelle aus mächtigen Blumengewinden wilde und zahme Tiere hervordringen. Und so deutet der jetzige ganz wüste Zustand einer erst durch Steinund Aschenregen bedeckten, dann aber durch die Aufgrabenden geplünderten Stadt auf eine Kunstund Bilderlust eines ganzen Volkes, von der jetzo der eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfnis hat.

Ausgrabung des Isistempels in Pompeji. Radierung nach Fabris

Bedenkt man die Entfernung dieses Orts vom Vesuv, so kann die bedeckende vulkanische Masse weder durch ein Schleudern noch durch einen Windstoß hierher getrieben sein; man muß sich vielmehr vorstellen, daß diese Steine und Asche eine Zeitlang wolkenartig in der Luft geschwebt, bis sie endlich über diesem unglücklichen Orte niedergegangen.

Wenn man sich nun dieses Ereignis noch mehr versinnlichen will, so denke man allenfalls ein eingeschneites Bergdorf. Die Räume zwischen den Gebäuden, ja die zerdrückten Gebäude selbst wurden ausgefüllt, allein Mauerwerk mochte hier und da noch herausstehen, als früher oder später der Hügel zu Weinbergen und Gärten benutzt wurde. So hat nun gewiß mancher Eigentümer, auf seinem Anteil niedergrabend, eine bedeutende Vorlese gehalten. Mehrere Zimmer fand man leer und in der Ecke des einen einen Haufen Asche, der mancherlei kleines Hausgeräte und Kunstarbeiten versteckte.

Den wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck dieser mumisierten Stadt wuschen wir wieder aus den Gemütern, als wir, in der Laube zunächst des Meeres in einem geringen Gasthof sitzend, ein frugales Mahl verzehrten und uns an der Himmelsbläue, an des Meeres Glanz und Licht ergötzten, in Hoffnung, wenn dieses Fleckchen mit Weinlaub bedeckt sein würde, uns hier wiederzusehen und uns zusammen zu ergötzen.

Näher an der Stadt fielen mir die kleinen Häuser wieder auf, die als vollkommene Nachbildungen der pompejanischen dastehen. Wir erbaten uns die Erlaubnis, in eins hineinzutreten, und fanden es sehr reinlich eingerichtet. Nett geflochtene Rohrstühle, eine Kommode ganz vergoldet, mit bunten Blumen staffiert und lackiert, so daß nach so vielen Jahrhunderten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren Bewohnern ähnliche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt.

Neapel, Montag, den 12. März

Heute schlich ich beobachtend meiner Weise nach durch die Stadt und notierte mir viele Punkte zu dereinstiger Schilderung derselben, davon ich leider gegenwärtig nichts mitteilen kann. Alles deutet dahin, daß ein glückliches, die ersten Bedürfnisse reichlich anbietendes Land auch Menschen von glücklichem Naturell erzeugt, die ohne Kümmernis erwarten können, der morgende Tag werde bringen, was der heutige gebracht, und deshalb sorgenlos dahin leben. Augenblickliche Befriedigung, mäßiger Genuß, vorübergehender Leiden heiteres Dulden! — Von dem letzteren ein artiges Beispiel.

Der Morgen war kalt und feuchtlich, es hatte wenig geregnet. Ich gelangte auf einen Platz, wo die großen Quadern des Pflasters reinlich gekehrt erschienen. Zu meiner großen Verwunderung sah ich auf diesem völlig ebenen, gleichen Boden eine Anzahl zerlumpter Knaben im Kreise kauzend, die Hände gegen den Boden gewendet, als wenn sie sich wärmten. Erst hielt ich's für eine Posse, als ich aber ihre Mienen völlig ernsthaft und beruhigt sah wie bei einem befriedigten Bedürfnis, so strengte ich meinen Scharfsinn möglichst an, er wollte mich aber nicht begünstigen. Ich mußte daher fragen, was denn diese äffchen zu der sonderbaren Positur verleite und sie in diesen regelmäßigen Kreis versammle.

Hierauf erfuhr ich, daß ein anwohnender Schmied auf dieser Stelle eine Radschiene heiß gemacht, welches auf folgende Weise geschieht. Der eiserne Reif wird auf den Boden gelegt und auf ihn im Kreise so viel Eichenspäne gehäuft, als man nötig hält, ihn bis auf den erforderlichen Grad zu erweichen. Das entzündete Holz brennt ab, die Schiene wird ums Rad gelegt und die Asche sorgfältig weggekehrt. Die dem Pflaster mitgeteilte Wärme benutzen sogleich die kleinen Huronen und rühren sich nicht eher von der Stelle, als bis sie den letzten warmen Hauch ausgezogen haben. Beispiele solcher Genügsamkeit und aufmerksamen Benutzens dessen, was sonst verlorenginge, gibt es hier unzählige. Ich finde in diesem Volk die lebhafteste und geistreichste Industrie, nicht um reich zu werden, sondern um sorgenfrei zu leben.

Abends.

Damit ich ja zur bestimmten Zeit heute bei dem wunderlichen Prinzeßchen wäre und das Haus nicht verfehlte, berief ich einen Lohnbedienten. Er brachte mich vor das Hoftor eines großen Palastes, und da ich ihr keine so prächtige Wohnung zutraute, buchstabierte ich ihm noch einmal aufs deutlichste den Namen; er versicherte, daß ich recht sei. Nun fand ich einen geräumigen Hof, einsam und still, reinlich und leer, von Haupt — und Seitengebäuden umgeben. Bauart die bekannte heitere neapolitanische, so auch die Färbung. Gegen mir über ein großes Portal und eine breite, gelinde Treppe. An beiden Seiten derselben hinaufwärts in kostbarer Livree Bedienten gereiht, die sich, wie ich an ihnen vorbeistieg, aufs tiefste bückten. Ich schien mir der Sultan in Wielands Feenmärchen und faßte mir nach dessen Beispiel ein Herz. Nun empfingen mich die höheren Hausbedienten, bis endlich der anständigste die Türe eines großen Saals eröffnete, da sich denn ein Raum vor mir auftat, den ich ebenso heiter, aber auch so menschenleer fand als das übrige. Beim Auf — und Abgehen erblickte ich in einer Seitengalerie etwa für vierzig Personen prächtig, dem Ganzen gemäß eine Tafel bereitet. Ein Weltgeistlicher trat herein; ohne mich zu fragen, wer ich sei, noch woher ich komme, nahm er meine Gegenwart als bekannt an und sprach von den allgemeinsten Dingen.

Ein Paar Flügeltüren taten sich auf, hinter einem ältlichen Herrn, der hereintrat, gleich wieder verschlossen. Der Geistliche ging auf ihn los, ich auch, wir begrüßten ihn mit wenigen höflichen Worten, die er mit bellenden, stotternden Tönen erwiderte, so daß ich mir keine Silbe des hottentottischen Dialekts enträtseln konnte. Als er sich ans Kamin gestellt, zog sich der Geistliche zurück und ich mit ihm. Ein stattlicher Benediktiner trat herein, begleitet von einem jüngeren Gefährten; auch er begrüßte den Wirt, auch er wurde angebellt, worauf er sich denn zu uns ans Fenster zurückzog. Die Ordensgeistlichen, besonders die eleganter gekleideten, haben in der Gesellschaft die größten Vorzüge; ihre Kleidung deutet auf Demut und Entsagung, indem sie ihnen zugleich entschiedene Würde verleiht. In ihrem Betragen können sie, ohne sich wegzuwerfen, unterwürfig erscheinen, und dann, wenn sie wieder strack auf ihren Hüften stehen, kleidet sie eine gewisse Selbstgefälligkeit sogar wohl, welche man allen übrigen Ständen nicht zugute gehen ließe. So war dieser Mann. Ich fragte nach Monte Cassino, er lud mich dahin und versprach mir die beste Aufnahme. Indessen hatte sich der Saal bevölkert: Offiziere, Hofleute, Weltgeistliche, ja sogar einige Kapuziner waren gegenwärtig. Vergebens suchte ich nach einer Dame, und daran sollte es denn auch nicht fehlen. Abermals ein Paar Flügeltüren taten sich auf und schlossen sich. Eine alte Dame war hereingetreten, wohl noch älter als der Herr, und nun gab mir die Gegenwart der Hausfrau die völlige Versicherung, daß ich in einem fremden Palast, unbekannt völlig den Bewohnern sei. Schon wurden die Speisen aufgetragen, und ich hielt mich in der Nähe der geistlichen Herren, um mit ihnen in das Paradies des Tafelzimmers zu schlüpfen, als auf einmal Filangieri mit seiner Gemahlin hereintrat, sich entschuldigend, daß er verspätet habe. Kurz darauf sprang Prinzeßchen auch in den Saal, fuhr unter Knicksen, Beugungen, Kopfnicken an allen vorbei auf mich los. "Es ist recht schön, daß Sie Wort halten!" rief sie, "setzen Sie sich bei Tafel zu mir, Sie sollen die besten Bissen haben. Warten Sie nur! Ich muß mir erst den rechten Platz aussuchen, dann setzen Sie sich gleich an mich." So aufgefordert, folgte ich den verschiedenen Winkelzügen, die sie machte, und wir gelangten endlich zum Sitze, die Benediktiner gerade gegen uns über, Filangieri an meiner andern Seite. — "Das Essen ist durchaus gut", sagte sie, "alles Fastenspeisen, aber ausgesucht, das Beste will ich Ihnen andeuten. Jetzt muß ich aber die Pfaffen scheren. Die Kerls kann ich nicht ausstehen; sie hucken unserm Hause tagtäglich etwas ab. Was wir haben, sollten wir selbst mit Freunden verzehren!" — Die Suppe war herumgegeben, der Benediktiner aß mit Anstand. — "Bitte, sich nicht zu genieren, Hochwürden", rief sie aus, "ist etwa der Löffel zu klein? Ich will einen größern holen lassen, die Herren sind ein tüchtiges Maulvoll gewohnt." Der Pater versetzte, es sei in ihrem fürstlichen Hause alles so vortrefflich eingerichtet, daß ganz andere Gäste als er eine vollkommenste Zufriedenheit empfinden würden.

Von den Pastetchen nahm sich der Pater nur eins, sie rief ihm zu, er möchte doch ein halb Dutzend nehmen! Blätterteig, wisse er ja, verdaue sich leicht genug. Der verständige Mann nahm noch ein Pastetchen, für die gnädige Attention dankend, als habe er den lästerlichen Scherz nicht vernommen. Und so mußte ihr auch bei einem derbern Backwerk Gelegenheit werden, ihre Bosheit auszulassen; denn als der Pater ein Stück anstach und es auf seinen Teller zog, rollte ein zweites nach. — "Ein drittes", rief sie, "Herr Pater, Sie scheinen einen guten Grund legen zu wollen!" — "Wenn so vortreffliche Materialien gegeben sind, hat der Baumeister leicht arbeiten!" versetzte der Pater. — Und so ging es immer fort, ohne daß sie eine andere Pause gemacht hätte, als mir gewissenhaft die besten Bissen zuzuteilen.

Ich sprach indessen mit meinem Nachbar von den ernstesten Dingen. Überhaupt habe ich Filangieri nie ein gleichgültiges Wort reden hören. Er gleicht darin wie in manchem andern unserm Freunde Georg Schlosser, nur daß er als Neapolitaner und Weltmann eine weichere Natur und einen bequemem Umgang hat.

 

Die ganze Zeit war den geistlichen Herren von dem Mutwillen meiner Nachbarin keine Ruhe gegönnt, besonders gaben ihr die zur Fastenzeit in Fleischgestalt verwandelten Fische unerschöpflichen Anlaß, gott — und sittenlose Bemerkungen anzubringen, besonders aber auch die Fleischeslust hervorzuheben und zu billigen, daß man sich wenigstens an der Form ergötze, wenn auch das Wesen verboten sei.

Ich habe mir noch mehr solcher Scherze gemerkt, die ich jedoch mitzuteilen nicht Mut habe. Dergleichen mag sich im Leben und aus einem schönen Munde noch ganz erträglich ausnehmen, schwarz auf weiß dagegen wollen sie mir selbst nicht mehr gefallen. Und dann hat freche Verwegenheit das Eigene, daß sie in der Gegenwart erfreut, weil sie in Erstaunen setzt, erzählt aber erscheint sie uns beleidigend und widerlich.

Das Dessert war aufgetragen, und ich fürchtete, nun gehe es immer so fort; unerwartet aber wandte sich meine Nachbarin ganz beruhigt zu mir und sagte: "Den Syrakuser sollen die Pfaffen in Ruhe verschlucken, es gelingt mir doch nicht, einen zu Tode zu ärgern, nicht einmal, daß ich ihnen den Appetit verderben könnte. Nun lassen Sie uns ein vernünftiges Wort reden! Denn was war das wieder für ein Gespräch mit Filangieri! Der gute Mann! er macht sich viel zu schaffen. Schon oft habe ich ihm gesagt: "Wenn ihr neue Gesetze macht, so müssen wir uns wieder neue Mühe geben, um auszusinnen, wie wir auch die zunächst übertreten können; bei den alten haben wir es schon weg." Sehen Sie nur einmal, wie schön Neapel ist; die Menschen leben seit so vielen Jahren sorglos und vergnügt, und wenn von Zeit zu Zeit einmal einer gehängt wird, so geht alles übrige seinen herrlichen Gang." Sie tat mir hierauf den Vorschlag, ich solle nach Sorrent gehen, wo sie ein großes Gut habe, ihr Haushofmeister werde mich mit den besten Fischen und dem köstlichsten Milchkalbfleisch (mungana) herausfüttern. Die Bergluft und die himmlische Aussicht sollten mich von aller Philosophie kurieren, dann wollte sie selbst kommen, und von den sämtlichen Runzeln, die ich ohnehin zu früh einreißen lasse, solle keine Spur übrigbleiben, wir wollten zusammen ein recht lustiges Leben führen.

Neapel, den 13. März 1787

Auch heute schreib' ich einige Worte, damit ein Brief den andern treibe. Es geht mir gut, doch seh' ich weniger, als ich sollte. Der Ort inspiriert Nachlässigkeit und gemächlich Leben, indessen wird mir das Bild der Stadt nach und nach runder.

Sonntag waren wir in Pompeji. — Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte. Ich weiß nicht leicht etwas Interessanteres. Die Häuser sind klein und eng, aber alle inwendig aufs zierlichste gemalt. Das Stadttor merkwürdig, mit den Gräbern gleich daran. Das Grab einer Priesterin als Bank im Halbzirkel mit steinerner Lehne, daran die Inschrift mit großen Buchstaben eingegraben. Über die Lehne hinaus sieht man das Meer und die untergehende Sonne. Ein herrlicher Platz, des schönen Gedankens wert.

Wir fanden gute, muntere neapolitanische Gesellschaft daselbst. Die Menschen sind durchaus natürlich und leicht gesinnt. Wir aßen zu Torre dell' Annunziata, zunächst des Meeres tafelnd. Der Tag war höchst schön, die Aussicht nach Castell a Mare und Sorrent nah und köstlich. Die Gesellschaft fühlte sich so recht an ihrem Wohnplatz, einige meinten, es müsse ohne den Anblick des Meers doch gar nicht zu leben sein. Mir ist schon genug, daß ich das Bild in der Seele habe, und mag nun wohl gelegentlich wieder in das Bergland zurückkehren.

Glücklicherweise ist ein sehr treuer Landschaftsmaler hier, der das Gefühl der freien und reichen Umgebung seinen Blättern mitteilt. Er hat schon einiges für mich gearbeitet.

Die vesuvianischen Produkte hab' ich auch nun gut studiert; es wird doch alles anders, wenn man es in Verbindung sieht. Eigentlich sollt' ich den Rest meines Lebens auf Beobachtung wenden, ich würde manches auffinden, was die menschlichen Kenntnisse vermehren dürfte. Herdern bitte zu melden, daß meine botanischen Aufklärungen weiter und weiter gehen; es ist immer dasselbe Prinzip, aber es gehörte ein Leben dazu, um es durchzuführen. Vielleicht bin ich noch imstande, die Hauptlinien zu ziehen.

Nun freu' ich mich auf das Museum von Portici. Man sieht es sonst zuerst, wir werden es zuletzt sehen. Noch weiß ich nicht, wie es weiter mit mir werden wird: alles will mich auf Ostern nach Rom zurück haben. Ich will es ganz gehen lassen. Angelika hat aus meiner "Iphigenie" ein Bild zu malen unternommen; der Gedanke ist sehr glücklich, und sie wird ihn trefflich ausführen. Den Moment, da sich Orest in der Nähe der Schwester und des Freundes wiederfindet. Das, was die drei Personen hintereinander sprechen, hat sie in eine gleichzeitige Gruppe gebracht und jene Worte in Gebärden verwandelt. Man sieht auch hieran, wie zart sie fühlt und wie sie sich zuzueignen weiß, was in ihr Fach gehört. Und es ist wirklich die Achse des Stücks.

Lebt wohl und liebt mich! Hier sind mir die Menschen alle gut, wenn sie auch nichts mit mir anzufangen wissen; Tischbein dagegen befriedigt sie besser, er malt ihnen abends gleich einige Köpfe in Lebensgröße vor, wobei und worüber sie sich wie Neuseeländer bei Erblickung eines Kriegsschiffes gebärden. Hievon sogleich die lustige Geschichte:

Tischbein hat nämlich die große Gabe, Götter — und Heldengestalten in Lebensgröße und drüber mit der Feder zu umreißen. Er schraffiert wenig hinein und legt mit einem breiten Pinsel den Schatten tüchtig an, so daß der Kopf rund und erhaben dasteht. Die Beiwohnenden schauten mit Verwunderung, wie das so leicht ablief, und freuten sich recht herzlich darüber. Nun kam es ihnen in die Finger, auch so malen zu wollen; sie faßten die Pinsel und — malten sich Bärte wechselsweise und besudelten sich die Gesichter. Ist darin nicht etwas Ursprüngliches der Menschengattung? Und es war eine gebildete Gesellschaft in dem Hause eines Mannes, der selbst recht wacker zeichnet und malt. Man macht sich von diesem Geschlecht keine Begriffe, wenn man sie nicht gesehen hat.

Caserta, Mittwoch, den 14. März

Bei Hackert in seiner höchst behaglichen Wohnung, die ihm in dem alten Schlosse gegönnt ist. Das neue, freilich ein ungeheurer Palast, escurialartig, ins Viereck gebaut, mit mehrern Höfen; königlich genug. Die Lage außerordentlich schön auf der fruchtbarsten Ebene von der Welt, und doch erstrecken sich die Gartenanlagen bis ans Gebirge. Da führt nun ein Aquädukt einen ganzen Strom heran, um Schloß und Gegend zu tränken, und die ganze Wassermasse kann, auf künstlich angelegte Felsen geworfen, zur herrlichsten Kaskade gebildet werden. Die Gartenanlagen sind schön und gehören recht in eine Gegend, welche ganz Garten ist.

Das Schloß, wahrhaft königlich, schien mir nicht genug belebt, und unsereinem können die ungeheuern leeren Räume nicht behaglich vorkommen. Der König mag ein ähnliches Gefühl haben, denn es ist im Gebirge für eine Anlage gesorgt, die, enger an den Menschen sich anschließend, zur Jagd — und Lebenslust geeignet ist.

Caserta, Donnerstag, den 15. März

Hackert wohnt im alten Schlosse gar behaglich, es ist räumlich genug für ihn und Gäste. Immerfort beschäftigt mit Zeichnen oder Malen, bleibt er doch gesellig und weiß die Menschen an sich zu ziehen, indem er einen jeden zu seinem Schüler macht. Auch mich hat er ganz gewonnen, indem er mit meiner Schwäche Geduld hat, vor allen Dingen auf Bestimmtheit der Zeichnung, sodann auf Sicherheit und Klarheit der Haltung dringt. Drei Tinten stehen, wenn er tuscht, immer bereit, und indem er von hinten hervorarbeitet und eine nach der andern braucht, so entsteht ein Bild, man weiß nicht, woher es kommt. Wenn es nur so leicht auszuführen wäre, als es aussieht. Er sagte zu mir mit seiner gewöhnlichen bestimmten Aufrichtigkeit: "Sie haben Anlage, aber Sie können nichts machen. Bleiben Sie achtzehn Monat bei mir, so sollen Sie etwas hervorbringen, was Ihnen und andern Freude macht." — Ist das nicht ein Text, über den man allen Dilettanten eine ewige Predigt halten sollte? Was sie mir fruchtet, wollen wir erleben.