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Italienische Reise — Band 1

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Ich habe aber auch nicht leicht natürlicher agieren sehen als jene Masken, so wie es nur bei einem ausgezeichnet glücklichen Naturell durch längere übung erreicht werden kann.

Da ich das schreibe, machen sie einen gewaltigen Lärm auf dem Kanal unter meinem Fenster, und Mitternacht ist vorbei. Sie haben im Guten und Bösen immer etwas zusammen.

Den 4. Oktober

öffentliche Redner habe ich nun gehört: drei Kerle auf dem Platze und Ufersteindamme, jeden nach seiner Art Geschichten erzählend, sodann zwei Sachwalter, zwei Prediger, die Schauspieler, worunter ich besonders den Pantalon rühmen muß, alle diese haben etwas Gemeinsames, sowohl weil sie von ein und derselben Nation sind, die, stets öffentlich lebend, immer in leidenschaftlichem Sprechen begriffen ist, als auch weil sie sich untereinander nachahmen. Hiezu kommt noch eine entschiedene Gebärdensprache, mit welcher sie die Ausdrücke ihrer Intentionen, Gesinnungen und Empfindungen begleiten.

Heute, am Fest des heiligen Franziskus, war ich in seiner Kirche alle Vigne. Des Kapuziners laute Stimme ward von dem Geschrei der Verkäufer vor der Kirche wie von einer Antiphone begleitet; ich stand in der Kirchtüre zwischen beiden, und es war wunderlich genug zu hören.

Den 5. Oktober

Heute früh war ich im Arsenal, mir immer interessant genug, da ich noch kein Seewesen kenne und hier die untere Schule besuchte; denn freilich sieht es hier nach einer alten Familie aus, die sich noch rührt, obgleich die beste Zeit der Blüte und der Früchte vorüber ist. Da ich denn auch den Handwerkern nachgehe, habe ich manches Merkwürdige gesehen und ein Schiff von vierundachtzig Kanonen, dessen Gerippe fertig steht, bestiegen.

Ein gleiches ist vor sechs Monaten an der Riva de' Schiavoni bis aufs Wasser verbrannt, die Pulverkammer war nicht sehr gefüllt, und da sie sprang, tat es keinen großen Schaden. Die benachbarten Häuser büßten ihre Scheiben ein.

Das schönste Eichenholz, aus Istrien, habe ich verarbeiten sehen und dabei über den Wachstum dieses werten Baumes meine stillen Betrachtungen angestellt. Ich kann nicht genug sagen, was meine sauer erworbene Kenntnis natürlicher Dinge, die doch der Mensch zuletzt als Materialien braucht und in seinen Nutzen verwendet, mir überall hilft, um mir das Verfahren der Künstler und Handwerker zu erklären; so ist mir auch die Kenntnis der Gebirge und des daraus genommenen Gesteins ein großer Vorsprung in der Kunst.

Den 5. Oktober

Um mit einem Worte den Begriff des Bucentaur auszusprechen, nenne ich ihn eine Prachtgaleere. Der ältere, von dem wir noch Abbildungen haben, rechtfertigt diese Benennung noch mehr als der gegenwärtige, der uns durch seinen Glanz über seinen Ursprung verblendet.

Abfahrt der Bucentaure. Vedute von Francesco Guardi

Ich komme immer auf mein Altes zurück. Wenn dem Künstler ein echter Gegenstand gegeben ist, so kann er etwas Echtes leisten. Hier war ihm aufgetragen, eine Galeere zu bilden, die wert wäre, die Häupter der Republik am feierlichsten Tage zum Sakrament ihrer hergebrachten Meerherrschaft zu tragen, und diese Aufgabe ist fürtrefflich ausgeführt. Das Schiff ist ganz Zierat, also darf man nicht sagen: mit Zierat überladen, ganz vergoldetes Schnitzwerk, sonst zu keinem Gebrauch, eine wahre Monstranz, um dem Volke seine Häupter recht herrlich zu zeigen. Wissen wir doch: das Volk, wie es gern seine Hüte schmückt, will auch seine Obern prächtig und geputzt sehen. Dieses Prunkschiff ist ein rechtes Inventarienstück, woran man sehen kann, was die Venezianer waren und sich zu sein dünkten.

Den 5. Oktober, nachts

Ich komme noch lachend aus der Tragödie und muß diesen Scherz gleich auf dem Papier befestigen. Das Stück war nicht schlimm, der Verfasser hatte alle tragischen Matadore zusammengesteckt, und die Schauspieler hatten gut spielen. Die meisten Situationen waren bekannt, einige neu und ganz glücklich. Zwei Väter, die sich hassen, Söhne und Töchter aus diesen getrennten Familien, leidenschaftlich übers Kreuz verliebt, ja das eine Paar heimlich verheiratet. Es ging wild und grausam zu, und nichts blieb zuletzt übrig, um die jungen Leute glücklich zu machen, als daß die beiden Väter sich erstachen, worauf unter lebhaftem Händeklatschen der Vorhang fiel. Nun ward aber das Klatschen heftiger, nun wurde "Fuora" gerufen und das so lange, bis sich die zwei Hauptpaare bequemten, hinter dem Vorhang hervorzukriechen, ihre Bücklinge zu machen und auf der andern Seite wieder abzugehen.

Das Publikum war noch nicht befriedigt, es klatschte fort und rief: "I morti!" Das dauerte so lange, bis die zwei Toten auch herauskamen und sich bückten, da denn einige Stimmen riefen. "Bravi i morti!" Sie wurden durch Klatschen lange festgehalten, bis man ihnen gleichfalls endlich abzugehen erlaubte. Diese Posse gewinnt für den Augen — und Ohrenzeugen unendlich, der das "Bravo! Bravi!", das die Italiener immer im Munde führen, so in den Ohren hat wie ich, und dann auf einmal auch die Toten mit diesem Ehrenwort anrufen hört.

"Gute Nacht!", so können wir Nordländer zu jeder Stunde sagen, wenn wir im Finstern scheiden, der Italiener sagt: "Felicissima notte!" nur einmal, und zwar wenn das Licht in das Zimmer gebracht wird, indem Tag und Nacht sich scheiden, und da heißt es denn etwas ganz anderes. So unübersetzlich sind die Eigenheiten jeder Sprache; denn vom höchsten bis zum tiefsten Wort bezieht sich alles auf Eigentümlichkeiten der Nation, es sei nun in Charakter, Gesinnungen oder Zuständen.

Den 6. Oktober

Die Tragödie gestern hat mich manches gelehrt. Erstlich habe ich gehört, wie die Italiener ihre eilfsilbigen Iamben behandeln und deklamieren, dann habe ich begriffen, wie klug Gozzi die Masken mit den tragischen Figuren verbunden hat. Das ist das eigentliche Schauspiel für dieses Volk; denn es will auf eine krude Weise gerührt sein, es nimmt keinen innigen, zärtlichen Anteil am Unglücklichen, es freut sie nur wenn der Held gut spricht; denn aufs Reden halten sie viel, sodann aber wollen sie lachen oder etwas Albernes vornehmen.

Ihr Anteil am Schauspiel ist nur als an einem Wirklichen. Da der Tyrann seinem Sohne das Schwert reichte und forderte, daß dieser seine eigne gegenüberstehende Gemahlin umbringen sollte, fing das Volk laut an, sein Mißvergnügen über diese Zumutung zu beweisen, und es fehlte nicht viel, so wäre das Stück unterbrochen worden. Sie verlangten, der Alte sollte sein Schwert zurücknehmen, wodurch denn freilich die folgenden Situationen des Stücks wären aufgehoben worden. Endlich entschloß sich der bedrängte Sohn, trat ins Proszenium und bat demütig, sie möchten sich nur noch einen Augenblick gedulden, die Sache werde noch ganz nach Wunsch ablaufen. Künstlerisch genommen aber war diese Situation nach den Umständen albern und unnatürlich, und ich lobte das Volk um sein Gefühl.

Jetzt verstehe ich besser die langen Reden und das viele Hin — und Herdissertieren im griechischen Trauerspiele. Die Athenienser hörten noch lieber reden und verstanden sich noch besser darauf als die Italiener; vor den Gerichtsstellen, wo sie den ganzen Tag lagen, lernten sie schon etwas.

Den 6. Oktober

An den ausgeführten Werken Palladios, besonders an den Kirchen, habe ich manches Tadelnswürdige neben dem Köstlichsten gefunden. Wenn ich nun so bei mir überlegte, inwiefern ich recht oder unrecht hätte gegen einen solchen außerordentlichen Mann, so war es, als ob er dabei stünde und mir sagte: "Das und das habe ich wider Willen gemacht, aber doch gemacht, weil ich unter den gegebenen Umständen nur auf diese Weise meiner höchsten Idee am nächsten kommen konnte."

Mir scheint, so viel ich auch darüber denke, er habe bei Betrachtung der Höhe und Breite einer schon bestehenden Kirche, eines ältern Hauses, wozu er Fassaden errichten sollte, nur überlegt: "Wie gibst du diesen Räumen die größte Form? Im einzelnen mußt du wegen eintretenden Bedürfnisses etwas verrücken oder verpfuschen, da oder dort wird eine Unschicklichkeit entstehen, aber das mag sein, das Ganze wird einen hohen Stil haben, und du wirst dir zur Freude arbeiten."

Und so hat er das größte Bild, das er in der Seele trug, auch dahin gebracht, wo es nicht ganz paßte, wo er es im einzelnen zerknittern und verstümmeln mußte.

Der Flügel in der Caritŕ dagegen muß uns deshalb von so hohem Werte sein, weil der Künstler freie Hand hatte und seinem Geist unbedingt folgen durfte. Wäre das Kloster fertig geworden, so stünde vielleicht in der ganzen gegenwärtigen Welt kein vollkommeneres Werk der Baukunst.

Wie er gedacht und wie er gearbeitet, wird mir immer klarer, je mehr ich seine Werke lese und dabei betrachte, wie er die Alten behandelt; denn er macht wenig Worte, sie sind aber alle gewichtig. Das vierte Buch, das die antiken Tempel darstellt, ist eine rechte Einleitung, die alten Reste mit Sinn zu beschauen.

Den 6. Oktober

Gestern abend sah ich "Elektra" von Crébillon auf dem Theater St. Crisostomo, nämlich übersetzt. Was mir das Stück abgeschmackt vorkam, und wie es mir fürchterliche Langeweile machte, kann ich nicht sagen.

Die Akteurs sind übrigens brav und wissen das Publikum mit einzelnen Stellen abzuspeisen. Orest hat allein drei verschiedene Erzählungen, poetisch aufgestutzt, in einer Szene. Elektra, ein hübsches Weibchen, von mittlerer Größe und Stärke und fast französischer Lebhaftigkeit, einem guten Anstand, spricht die Verse schön, nur betrug sie sich von Anfang bis zu Ende toll, wie es leider die Rolle verlangt. Indessen habe ich doch wieder gelernt. Der italienische, immer eilfsilbige Iambe hat für die Deklamation große Unbequemlichkeit, weil die letzte Silbe durchaus kurz ist und wider Willen des Deklamators in die Höhe schlägt.

 
Den 6. Oktober

Heute früh war ich bei dem Hochamte, welchem der Doge jährlich an diesem Tage wegen eines alten Siegs über die Türken in der Kirche der heiligen Justina beiwohnen muß. Wenn an dem kleinen Platz die vergoldeten Barken landen, die den Fürsten und einen Teil des Adels bringen, seltsam gekleidete Schiffer sich mit rot gemalten Rudern bemühen, am Ufer die Geistlichkeit, die Brüderschaften mit angezündeten, auf Stangen und tragbare silberne Leuchter gesteckten Kerzen stehen, drängen, wogen und warten, dann mit Teppichen beschlagene Brücken aus den Fahrzeugen ans Land gestreckt werden, zuerst die langen violetten Kleider der Savj, dann die langen roten der Senatoren sich auf dem Pflaster entfalten, zuletzt der Alte, mit goldener phrygischer Mütze geschmückt, im längsten goldenen Talar mit dem Hermelinmantel aussteigt, drei Diener sich seiner Schleppe bemächtigen, alles auf einem kleinen Platz vor dem Portal einer Kirche, vor deren Türen die Türkenfahnen gehalten werden, so glaubt man auf einmal eine alte gewirkte Tapete zu sehen, aber recht gut gezeichnet und koloriert. Mir nordischem Flüchtling hat diese Zeremonie viele Freude gemacht. Bei uns wo alle Feierlichkeiten kurzröckig sind, und wo die größte, die man sich denken kann, mit dem Gewehr auf der Schulter begangen wird, möchte so etwas nicht am Ort sein. Aber hierher gehören diese Schleppröcke, diese friedlichen Begehungen.

Der Doge ist ein gar schön gewachsener und schön gebildeter Mann, der krank sein mag, sich aber nur noch so, um der Würde willen, unter dem schweren Rocke gerade hält. Sonst sieht er aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts und ist gar hold und leutselig; die Kleidung steht sehr gut, das Käppchen unter der Mütze beleidigt nicht, indem es, ganz fein und durchsichtig, auf dem weißesten, klarsten Haar von der Welt ruht.

Etwa funfzig Nobili in langen dunkelroten Schleppkleidern waren mit ihm, meist schöne Männer, keine einzige vertrackte Gestalt, mehrere groß, mit großen Köpfen, denen die blonden Lockenperücken wohl ziemten; vorgebaute Gesichter, weiches, weißes Fleisch, ohne schwammig und widerwärtig auszusehen, vielmehr klug, ohne Anstrengung, ruhig, ihrer selbst gewiß, Leichtigkeit des Daseins und durchaus eine gewisse Fröhlichkeit.

Wie sich alles in der Kirche rangiert hatte und das Hochamt anfing, zogen die Brüderschaften zur Haupttüre herein und zur rechten Seitentüre wieder hinaus, nachdem sie Paar für Paar das Weihwasser empfangen und sich gegen den Hochaltar, den Dogen und den Adel geneigt hatten.

Den 6. Oktober

Auf heute abend hatte ich mir den famosen Gesang der Schiffer bestellt, die den Tasso und Ariost auf ihre eignen Melodien singen. Dieses muß wirklich bestellt werden, es kommt nicht gewöhnlich vor, es gehört vielmehr zu den halb verklungenen Sagen der Vorzeit. Bei Mondenschein bestieg ich eine Gondel, den einen Sänger vorn, den andern hinten; sie fingen ihr Lied an und sangen abwechselnd Vers für Vers. Die Melodie, welche wir durch Rousseau kennen, ist eine Mittelart zwischen Choral und Rezitativ, sie behält immer denselbigen Gang, ohne Takt zu haben; die Modulation ist auch dieselbige, nur verändern sie nach dem Inhalt des Verses mit einer Art von Deklamation sowohl Ton als Maß; der Geist aber, das Leben davon, läßt sich begreifen, wie folgt.

Auf welchem Wege sich die Melodie gemacht hat, will ich nicht untersuchen, genug, sie paßt gar trefflich für einen müßigen Menschen, der sich etwas vormoduliert und Gedichte, die er auswendig kann, solchem Gesang unterschiebt.

Mit einer durchdringenden Stimme — das Volk schätzt Stärke vor allem — sitzt er am Ufer einer Insel, eines Kanals auf einer Barke und läßt sein Lied schallen, so weit er kann. Über den stillen Spiegel verbreitet sich's. In der Ferne vernimmt es ein anderer, der die Melodie kennt, die Worte versteht und mit dem folgenden Verse antwortet; hierauf erwidert der erste, und so ist einer immer das Echo des andern. Der Gesang währt Nächte durch, unterhält sie, ohne zu ermüden. Je ferner sie also voneinander sind, desto reizender kann das Lied werden: wenn der Hörer alsdann zwischen beiden steht, so ist er am rechten Flecke.

Um dieses mich vernehmen zu lassen, stiegen sie am Ufer der Giudecca aus, sie teilten sich am Kanal hin, ich ging zwischen ihnen auf und ab, so daß ich immer den verließ, der zu singen anfangen sollte, und mich demjenigen wieder näherte, der aufgehört hatte. Da ward mir der Sinn des Gesangs erst aufgeschlossen. Als Stimme aus der Ferne klingt es höchst sonderbar, wie eine Klage ohne Trauer; es ist darin etwas unglaublich, bis zu Tränen Rührendes. Ich schrieb es meiner Stimmung zu; aber mein Alter sagte: "Č singolare, come quel canto intenerisce, e molto pič, quando č pič ben cantato." Er wünschte, daß ich die Weiber vom Lido, besonders die von Malamocco und Pelestrina hören möchte, auch diese sängen den Tasso auf gleiche und ähnliche Melodien. Er sagte ferner: "Sie haben die Gewohnheit, wenn ihre Männer aufs Fischen ins Meer sind, sich ans Ufer zu setzen und mit durchdringender Stimme abends diese Gesänge erschallen zu lassen, bis sie auch von ferne die Stimme der Ihrigen vernehmen und sich so mit ihnen unterhalten." Ist das nicht sehr schön? Und doch läßt sich wohl denken, daß ein Zuhörer in der Nähe wenig Freude an solchen Stimmen haben möchte, die mit den Wellen des Meeres kämpfen. Menschlich aber und wahr wird der Begriff dieses Gesanges, lebendig wird die Melodie, über deren tote Buchstaben wir uns sonst den Kopf zerbrochen haben. Gesang ist es eines Einsamen in die Ferne und Weite, damit ein anderer, Gleichgestimmter höre und antworte.

Den 8. Oktober

Den Palast Pisani Moretta besuchte ich wegen eines köstlichen Bildes von Paul Veronese. Die weibliche Familie des Darius kniet vor Alexandern und Hephästion, die voranknieende Mutter hält den letztern für den König, er lehnt es ab und deutet auf den rechten. Man erzählt das Märchen, der Künstler sei in diesem Palast gut aufgenommen und längere Zeit ehrenvoll bewirtet worden, dagegen habe er das Bild heimlich gemalt und als Geschenk zusammengerollt unter das Bett geschoben. Es verdient allerdings, einen besondern Ursprung zu haben, denn es gibt einen Begriff von dem ganzen Werte des Meisters. Seine große Kunst, ohne einen allgemeinen Ton, der über das ganze Stück gezogen wäre, durch kunstreich verteiltes Licht und Schatten und ebenso weislich abwechselnde Lokalfarben die köstlichste Harmonie hervorzubringen, ist hier recht sichtbar, da das Bild vollkommen erhalten und frisch wie von gestern vor uns steht; denn freilich, sobald ein Gemälde dieser Art gelitten hat, wird unser Genuß sogleich getrübt, ohne daß wir wissen, was die Ursache sei.

Wer mit dem Künstler wegen des Kostüms rechten wollte, der dürfte sich nur sagen, es habe eine Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts gemalt werden sollen, und so ist alles abgetan. Die Abstufung von der Mutter durch Gemahlin und Töchter ist höchst wahr und glücklich; die jüngste Prinzeß, ganz am Ende knieend, ist ein hübsches Mäuschen und hat ein gar artiges, eigensinniges, trotziges Gesichtchen; ihre Lage scheint ihr gar nicht zu gefallen.

Zum 8. Oktober

Meine alte Gabe, die Welt mit Augen desjenigen Malers zu sehen, dessen Bilder ich mir eben eingedrückt, brachte mich auf einen eignen Gedanken. Es ist offenbar, daß sich das Auge nach den Gegenständen bildet, die es von Jugend auf erblickt, und so muß der venezianische Maler alles klarer und heiterer sehn als andere Menschen. Wir, die wir auf einem bald schmutzkotigen, bald staubigen, farblosen, die Widerscheine verdüsternden Boden und vielleicht gar in engen Gemächern leben, können einen solchen Frohblick aus uns selbst nicht entwickeln.

Als ich bei hohem Sonnenschein durch die Lagunen fuhr und auf den Gondelrändern die Gondoliere, leicht schwebend, buntbekleidet, rudernd, betrachtete, wie sie auf der hellgrünen Fläche sich in der blauen Luft zeichneten, so sah ich das beste, frischeste Bild der venezianischen Schule. Der Sonnenschein hob die Lokalfarben blendend hervor, und die Schattenseiten waren so licht, daß sie verhältnismäßig wieder zu Lichtern hätten dienen können. Ein Gleiches galt von den Widerscheinen des meergrünen Wassers. Alles war hell in hell gemalt, so daß die schäumende Welle und die Blitzlichter darauf nötig waren, um das Tüpfchen aufs i zu setzen.

Tizian und Paul hatten diese Klarheit im höchsten Grade, und wo man sie in ihren Werken nicht findet, hat das Bild verloren oder ist ausgemalt.

Die Kuppeln und Gewölbe der Markuskirche nebst ihren Seitenflächen, alles ist bilderreich, alles bunte Figuren auf goldenem Grunde, alles musivische Arbeit; einige sind recht gut, andere gering, je nachdem die Meister waren, die den Karton verfertigten.

Es fiel mir recht aufs Herz, daß doch alles auf die erste Erfindung ankommt, und daß diese das rechte Maß, den wahren Geist habe, da man mit viereckigen Stückchen Glas, und hier nicht einmal auf die sauberste Weise, das Gute sowohl als das Schlechte nachbilden kann. Die Kunst, welche dem Alten seine Fußboden bereitete, dem Christen seine Kirchenhimmel wölbte, hat sich jetzt auf Dosen und Armbänder verkrümelt. Diese Zeiten sind schlechter, als man denkt.

Den 8. Oktober

In dem Hause Farsetti ist eine kostbare Sammlung von Abgüssen der besten Antiken. Ich schweige von denen, die ich von Mannheim her und sonst schon gekannt, und erwähne nur neuere Bekanntschaften. Eine Kleopatra in kolossaler Ruhe, die Aspis um den Arm geschlungen und in den Tod hinüberschlafend, ferner die Mutter Niobe, die ihre jüngste Tochter mit dem Mantel vor den Pfeilen des Apollo deckt, sodann einige Gladiatoren, ein in seinen Flügeln ruhender Genius, sitzende und stehende Philosophen.

Es sind Werke, an denen sich die Welt Jahrtausende freuen und bilden kann, ohne den Wert des Künstlers durch Gedanken zu erschöpfen.

Viele bedeutende Büsten versetzen mich in die alten herrlichen Zeiten. Nur fühle ich leider, wie weit ich in diesen Kenntnissen zurück bin, doch es wird vorwärts gehen, wenigstens weiß ich den Weg. Palladio hat mir ihn auch dazu und zu aller Kunst und Leben geöffnet. Es klingt das vielleicht ein wenig wunderlich, aber doch nicht so paradox, als wenn Jakob Böhme bei Erblickung einer zinnernen Schüssel durch Einstrahlung Jovis über das Universum erleuchtet wurde. Auch steht in dieser Sammlung ein Stück des Gebälks vom Tempel des Antonins und der Faustina in Rom. Die vorspringende Gegenwart dieses herrlichen Architekturgebildes erinnerte mich an das Kapitäl des Pantheon in Mannheim. Das ist freilich etwas anderes als unsere kauzenden, auf Kragsteinlein übereinander geschichteten Heiligen der gotischen Zierweisen, etwas anderes als unsere Tabakspfeifensäulen, spitze Türmlein und Blumenzacken; diese bin ich nun, Gott sei Dank, auf ewig los!

Noch will ich einiger Werke der Bildhauerkunst erwähnen, die ich diese Tage her, zwar nur im Vorbeigehen, aber doch mit Erstaunen und Erbauung betrachtet: zwei ungeheure Löwen von weißem Marmor vor dem Tore des Arsenals; der eine sitzt aufgerichtet, auf die Vorderpfoten gestemmt, der andere liegt — herrliche Gegenbilder, von lebendiger Mannigfaltigkeit. Sie sind so groß, daß sie alles umher klein machen, und daß man selbst zunichte würde, wenn erhabene Gegenstände uns nicht erhüben. Sie sollen aus der besten griechischen Zeit und vom Piräeus in den glänzenden Tagen der Republik hierher gebracht sein.

Aus Athen mögen gleichfalls ein paar Basreliefe stammen in dem Tempel der heiligen Justina, der Türkenbesiegerin, eingemauert, aber leider durch Kirchstühle einigermaßen verfinstert. Der Küster machte mich aufmerksam darauf, weil die Sage gehe, daß Tizian seine unendlich schönen Engel im Bilde, die Ermordung des heiligen Petrus Martyr vorstellend, darnach geformt habe. Es sind Genien, welche sich mit Attributen der Götter schleppen, freilich so schön, daß es allen Begriff übersteigt.

Sodann betrachtete ich mit ganz eignem Gefühl die nackte kolossale Statue des Marcus Agrippa in dem Hofe eines Palastes; ein sich ihm zur Seite heraufschlängelnder Delphin deutet auf einen Seehelden. Wie doch eine solche heroische Darstellung den reinen Menschen Göttern ähnlich macht!

Die Pferde auf der Markuskirche besah ich in der Nähe. Von unten hinauf bemerkt man leicht, daß sie fleckig sind, teils einen schönen gelben Metallglanz haben, teils kupfergrünlich angelaufen. In der Nähe sieht und erfährt man, daß sie ganz vergoldet waren, und sieht sie über und über mit Striemen bedeckt, da die Barbaren das Gold nicht abfeilen, sondern abhauen wollten. Auch das ist gut, so blieb wenigstens die Gestalt.

 

Ein herrlicher Zug Pferde! Ich möchte einen rechten Pferdekenner darüber reden hören. Was mir sonderbar scheint, ist, daß sie in der Nähe schwer und unten vom Platz leicht wie die Hirsche aussehen.

Den 8. Oktober

Ich fuhr heute früh mit meinem Schutzgeiste aufs Lido, auf die Erdzunge, welche die Lagunen schließt und sie vom Meere absondert. Wir stiegen aus und gingen quer über die Zunge. Ich hörte ein starkes Geräusch, es war das Meer, und ich sah es bald, es ging hoch gegen das Ufer, indem es sich zurückzog, es war um Mittag, Zeit der Ebbe. So habe ich denn auch das Meer mit Augen gesehen und bin auf der schönen Tenne, die es weichend zurückläßt, ihm nachgegangen. Da hätte ich mir die Kinder gewünscht, um der Muscheln willen; ich habe, selbst kindisch, ihrer genug aufgelesen, doch widme ich sie zu einigem Gebrauch, ich möchte von der Feuchtigkeit des Tintenfisches, die hier so häufig wegfließt, etwas eintrocknen.

Auf dem Lido, nicht weit vorn Meer, liegen Engländer begraben und weiterhin Juden, die beiderseits in geweihtem Boden nicht ruhen sollten. Ich fand das Grab des edlen Konsul Smith und seiner ersten Frauen; ich bin ihm mein Exemplar des Palladio schuldig und dankte ihm auf seinem ungeweihten Grabe dafür.

Und nicht allein ungeweiht, sondern halbverschüttet ist das Grab. Das Lido ist immer nur wie eine Düne anzusehen; der Sand wird dorthin geführt, vom Winde hin und her getrieben, aufgehäuft, überall angedrängt. In weniger Zeit wird man das ziemlich erhöhte Monument kaum wiederfinden können.

Das Meer ist doch ein großer Anblick! Ich will sehen, in einem Fischerkahn eine Fahrt zu tun; die Gondeln wagen sich nicht hinaus.

Den 8. Oktober

Am Meere habe ich auch verschiedene Pflanzen gefunden, deren ähnlicher Charakter mir ihre Eigenschaften näher kennen ließ; sie sind alle zugleich mastig und streng, saftig und zäh, und es ist offenbar, daß das alte Salz des Sandbodens, mehr aber die salzige Luft ihnen diese Eigenschaften gibt; sie strotzen von Säften wie Wasserpflanzen, sie sind fest und zäh wie Bergpflanzen; wenn ihre Blätterenden eine Neigung zu Stacheln haben, wie Disteln tun, sind sie gewaltig spitz und stark. Ich fand einen solchen Busch Blätter, es schien mir unser unschuldiger Huflattich, hier aber mit scharfen Waffen bewaffnet, und das Blatt wie Leder, so auch die Samenkapseln, die Stiele, alles mastig und fett. Ich bringe Samen mit und eingelegte Blätter (Eryngium maritimum).

Der Fischmarkt und die unendlichen Seeprodukte machen mir viel Vergnügen; ich gehe oft darüber und beleuchte die unglücklichen aufgehaschten Meeresbewohner.

Den 9. Oktober

Ein köstlicher Tag, vom Morgen bis in die Nacht! Ich fuhr bis Pelestrina gegen Chiozza über, wo die großen Baue sind, Murazzi genannt, welche die Republik gegen das Meer aufführen läßt. Sie sind von gehauenen Steinen und sollen eigentlich die lange Erdzunge, Lido genannt, welche die Lagunen von dem Meere trennt, vor diesem wilden Elemente schützen.

Die Lagunen sind eine Wirkung der alten Natur. Erst Ebbe, Flut und Erde gegeneinander arbeitend, dann das allmähliche Sinken des Urgewässers waren Ursache, daß am obern Ende des adriatischen Meeres sich eine ansehnliche Sumpfstrecke befindet, welche, von der Flut besucht, von der Ebbe zum Teil verlassen wird. Die Kunst hat sich der höchsten Stellen bemächtigt, und so liegt Venedig, von hundert Inseln zusammengruppiert und von hunderten umgeben. Zugleich hat man mit unglaublicher Anstrengung und Kosten tiefe Kanäle in den Sumpf gefurcht, damit man auch zur Zeit der Ebbe mit Kriegsschiffen an die Hauptstellen gelangen könne. Was Menschenwitz und Fleiß vor alters ersonnen und ausgeführt, muß Klugheit und Fleiß nun erhalten. Das Lido, ein langer Erdstreif, trennt die Lagunen von dem Meere, welches nur an zwei Orten hereintreten kann, bei dem Kastell nämlich und am entgegengesetzten Ende, bei Chiozza. Die Flut tritt gewöhnlich des Tages zweimal herein, und die Ebbe bringt das Wasser zweimal hinaus, immer durch denselben Weg in denselben Richtungen. Die Flut bedeckt die innern morastigen Stellen und läßt die erhöhteren, wo nicht trocken, doch sichtbar.

Ganz anders wäre es, wenn das Meer sich neue Wege suchte, die Erdzunge angriffe und nach Willkür hinein und heraus flutete. Nicht gerechnet, daß die örtchen auf dem Lido, Pelestrina, St. Peter und andere, untergehen müßten, so würden auch jene Kommunikationskanäle ausgefüllt und, indem das Wasser alles durcheinander schlemmte, das Lido zu Inseln, die Inseln, die jetzt dahinter liegen, zu Erdzungen verwandelt werden. Dieses zu verhüten, müssen sie das Lido verwahren, was sie können, damit das Element nicht dasjenige willkürlich angreifen, hinüber und herüber werfen möge, was die Menschen schon in Besitz genommen, dem sie schon zu einem gewissen Zweck Gestalt und Richtung gegeben haben.

Bei außerordentlichen Fällen, wenn das Meer übermäßig wächst, ist es besonders gut, daß es nur an zwei Orten herein darf und das übrige geschlossen bleibt, es kann also doch nicht mit der größten Gewalt eindringen und muß sich in einigen Stunden dem Gesetz der Ebbe unterwerfen und seine Wut mindern.

übrigens hat Venedig nichts zu besorgen; die Langsamkeit, mit der das Meer abnimmt, gibt ihr Jahrtausende Zeit, und sie werden schon, den Kanälen klug nachhelfend, sich im Besitz zu erhalten suchen.

Wenn sie ihre Stadt nur reinlicher hielten, welches so notwendig als leicht ist und wirklich auf die Folge von Jahrhunderten von großer Konsequenz. Nun ist zwar bei großer Strafe verboten, nichts in die Kanäle zu schütten, noch Kehrig hineinzuwerfen; einem schnell einfallenden Regenguß aber ist's nicht untersagt, allen den in die Ecken geschobnen Kehrig aufzurühren, in die Kanäle zu schleppen, ja, was noch schlimmer ist, in die Abzüge zu führen, die nur zum Abfluß des Wassers bestimmt sind, und sie dergestalt zu verschlemmen, daß die Hauptplätze in Gefahr sind, unter Wasser zu stehen. Selbst einige Abzüge auf dem kleinen Markusplatze, die, wie auf dem großen, gar klug angelegt sind, habe ich verstopft und voll Wasser gesehen.

Wenn ein Tag Regenwetter einfällt, ist ein unleidlicher Kot, alles flucht und schimpft, man besudelt beim Auf — und Absteigen der Brücken die Mäntel, die Tabarros, womit man sich ja das ganze Jahr schleppt, und da alles in Schuh und Strümpfen läuft, bespritzt man sich und schilt, denn man hat sich nicht mit gemeinem, sondern beizendem Kot besudelt. Das Wetter wird wieder schön, und kein Mensch denkt an Reinlichkeit. Wie wahr ist es gesagt: das Publikum beklagt sich immer, daß es schlecht bedient sei, und weiß es nicht anzufangen, besser bedient zu werden. Hier, wenn der Souverän wollte, könnte alles gleich getan sein.

Den 9. Oktober

Heute abend ging ich auf den Markusturm; denn da ich neulich die Lagunen in ihrer Herrlichkeit zur Zeit der Flut von oben gesehen, wollt' ich sie auch zur Zeit der Ebbe in ihrer Demut schauen, und es ist notwendig, diese beiden Bilder zu verbinden, wenn man einen richtigen Begriff haben will. Es sieht sonderbar aus, ringsum überall Land erscheinen zu sehen, wo vorher Wasserspiegel war. Die Inseln sind nicht mehr Inseln, nur höher bebaute Flecke eines großen graugrünlichen Morastes, den schöne Kanäle durchschneiden. Der sumpfige Teil ist mit Wasserpflanzen bewachsen und muß sich auch dadurch nach und nach erheben, obgleich Ebbe und Flut beständig daran rupfen und wühlen und der Vegetation keine Ruhe lassen.