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Italienische Reise — Band 1

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Ich wende mich mit meiner Erzählung nochmals ans Meer, dort habe ich heute die Wirtschaft der Seeschnecken, Patellen und Taschenkrebse gesehen und mich herzlich darüber gefreut. Was ist doch ein Lebendiges für ein köstliches, herrliches Ding! Wie abgemessen zu seinem Zustande, wie wahr, wie seiend! Wieviel nützt mir nicht mein bißchen Studium der Natur, und wie freue ich mich, es fortzusetzen! Doch ich will, da es sich mitteilen läßt, die Freunde nicht mit bloßen Ausrufungen anreizen.

Die dem Meere entgegengebauten Mauerwerke bestehen erst aus einigen steilen Stufen, dann kommt eine sacht ansteigende Fläche, sodann wieder eine Stufe, abermals eine sanft ansteigende Fläche, dann eine steile Mauer mit einem oben überhängenden Kopfe. Diese Stufen, diese Flächen hinan steigt nun das flutende Meer, bis es in außerordentlichen Fällen endlich oben an der Mauer und deren Vorsprung zerschellt.

Mauern bei Pellestrina (Lido von Venedig). Zeichnung von Goethe

Dem Meere folgen seine Bewohner, kleine eßbare Schnecken, einschalige Patellen, und was sonst noch beweglich ist, besonders die Taschenkrebse. Kaum aber haben diese Tiere an den glatten Mauern Besitz genommen, so zieht sich schon das Meer weichend und schwellend, wie es gekommen, wieder zurück. Anfangs weiß das Gewimmel nicht, woran es ist, und hofft immer, die salzige Flut soll wiederkehren; allein sie bleibt aus, die Sonne sticht und trocknet schnell, und nun geht der Rückzug an. Bei dieser Gelegenheit suchen die Taschenkrebse ihren Raub. Wunderlicher und komischer kann man nichts sehen als die Gebärden dieser aus einem runden Körper und zwei langen Scheren bestehenden Geschöpfe; denn die übrigen Spinnenfüße sind nicht bemerklich. Wie auf stelzenartigen Armen schreiten sie einher, und sobald eine Patelle sich unter ihrem Schild vom Flecke bewegt, fahren sie zu, um die Schere in den schmalen Raum zwischen der Schale und dem Boden zu stecken, das Dach umzukehren und die Auster zu verschmausen. Die Patelle zieht sachte ihren Weg hin, saugt sich aber gleich fest an den Stein, sobald sie die Nähe des Feindes merkt. Dieser gebärdet sich nun wunderlich um das Dächelchen herum, gar zierlich und affenhaft; aber ihm fehlt die Kraft, den mächtigen Muskel des weichen Tierchens zu überwältigen, er tut auf diese Beute Verzicht, eilt auf eine andere wandernde los, und die erste setzt ihren Zug sachte fort. Ich habe nicht gesehen, daß irgendein Taschenkrebs zu seinem Zweck gelangt wäre, ob ich gleich den Rückzug dieses Gewimmels stundenlang, wie sie die beiden Flächen und die dazwischen liegenden Stufen hinabschlichen, beobachtet habe.

Den 10. Oktober

Nun endlich kann ich denn auch sagen, daß ich eine Komödie gesehen habe! Sie spielten heut' auf dem Theater St. Lukas "Le Baruge Chiozzotte", welches allenfalls zu übersetzen wäre: "Die Rauf — und Schreihändel von Chiozza". Die Handelnden sind lauter Seeleute, Einwohner von Chiozza, und ihre Weiber, Schwestern und Töchter. Das gewöhnliche Geschrei dieser Leute im Guten und Bösen, ihre Händel, Heftigkeit, Gutmütigkeit, Plattheit, Witz, Humor und ungezwungene Manieren, alles ist gar brav nachgeahmt. Das Stück ist noch von Goldoni, und da ich erst gestern in jener Gegend war und mir Stimmen und Betragen der See — und Hafenleute noch im Aug' und Ohr widerschien und widerklang, so machte es gar große Freude, und ob ich gleich manchen einzelnen Bezug nicht verstand, so konnte ich doch dem Ganzen recht gut folgen. Der Plan des Stücks ist folgender: Die Einwohnerinnen von Chiozza sitzen auf der Reede vor ihren Häusern, spinnen, stricken, nähen, klippeln wie gewöhnlich; ein junger Mensch geht vorüber und grüßt eine freundlicher als die übrigen, sogleich fängt das Sticheln an, dies hält nicht Maße, es schärft sich und wächst bis zum Hohne, steigert sich zu Vorwürfen, eine Unart überbietet die andere, eine heftige Nachbarin platzt mit der Wahrheit heraus, und nun ist Schelten, Schimpfen, Schreien auf einmal losgebunden, es fehlt nicht an entschiedenen Beleidigungen, so daß die Gerichtspersonen sich einzumischen genötigt sind.

Im zweiten Akt befindet man sich in der Gerichtsstube; der Aktuarius an der Stelle des abwesenden Podestŕ, der als Nobile nicht auf dem Theater hätte erscheinen dürfen, der Aktuarius also läßt die Frauen einzeln vorfordern; dieses wird dadurch bedenklich, daß er selbst in die erste Liebhaberin verliebt ist und, sehr glücklich, sie allein zu sprechen, anstatt sie zu verhören, ihr eine Liebeserklärung tut. Eine andere, die in den Aktuarius verliebt ist, stürzt eifersüchtig herein, der aufgeregte Liebhaber der ersten gleichfalls, die übrigen folgen, neue Vorwürfe häufen sich, und nun ist der Teufel in der Gerichtsstube los wie vorher auf dem Hafenplatz.

Im dritten Akt steigert sich der Scherz, und das Ganze endet mit einer eiligen, notdürftigen Auflösung. Der glücklichste Gedanke jedoch ist in einem Charakter ausgedrückt, der sich folgendermaßen darstellt.

Ein alter Schiffer, dessen Gliedmaßen, besonders aber die Sprachorgane, durch eine von Jugend, auf geführte harte Lebensart stockend geworden, tritt auf als Gegensatz des beweglichen, schwätzenden, schreiseligen Volkes, er nimmt immer erst einen Anlauf durch Bewegung der Lippen und Nachhelfen der Hände und Arme, bis er denn endlich, was er gedacht, herausstößt. Weil ihm dieses aber nur in kurzen Sätzen gelingt, so hat er sich einen lakonischen Ernst angewöhnt, dergestalt, daß alles, was er sagt, sprichwörtlich oder sententios klingt, wodurch denn das übrige wilde, leidenschaftliche Handeln gar schön ins Gleichgewicht gesetzt wird.

Aber auch so eine Lust habe ich noch nie erlebt, als das Volk laut werden ließ, sich und die Seinigen so natürlich vorstellen zu sehen. Ein Gelächter und Gejauchze von Anfang bis zu Ende. Ich muß aber auch gestehen, daß die Schauspieler es vortrefflich machten. Sie hatten sich nach Anlage der Charaktere in die verschiedenen Stimmen geteilt, welche unter dem Volke gewöhnlich vorkommen. Die erste Aktrice war allerliebst, viel besser als neulich in Heldentracht und Leidenschaft. Die Frauen überhaupt, besonders aber diese, ahmten Stimme, Gebärden und Wesen des Volks aufs anmutigste nach. Großes Lob verdient der Verfasser, der aus nichts den angenehmsten Zeitvertreib gebildet hat. Das kann man aber auch nur unmittelbar seinem eignen lebenslustigen Volk. Es ist durchaus mit einer geübten Hand geschrieben.

Von der Truppe Sacchi, für welche Gozzi arbeitete, und die übrigens zerstreut ist, habe ich die Smeraldina gesehen, eine kleine, dicke Figur, voller Leben, Gewandtheit und guten Humors. Mit ihr sah ich den Brighella, einen hagern, wohlgebauten, besonders in Mienen — und Händespiel trefflichen Schauspieler. Diese Masken, die wir fast nur als Mumien kennen, da sie für uns weder Leben noch Bedeutung haben, tun hier gar zu wohl als Geschöpfe dieser Landschaft. Die ausgezeichneten Alter, Charaktere und Stände haben sich in wunderlichen Kleidern verkörpert, und wenn man selbst den größten Teil des Jahrs mit der Maske herumläuft, so findet man nichts natürlicher, als daß da droben auch schwarze Gesichter erscheinen.

Den 11. Oktober

Und weil die Einsamkeit in einer so großen Menschenmasse denn doch zuletzt nicht recht möglich sein will, so bin ich mit einem alten Franzosen zusammengekommen, der kein Italienisch kann, sich wie verraten und verkauft fühlt und mit allen Empfehlungsschreiben doch nicht recht weiß, woran er ist. Ein Mann von Stande, sehr guter Lebensart, der aber nicht aus sich heraus kann; er mag stark in den Funfzigen sein und hat zu Hause einen siebenjährigen Knaben, von dem er bänglich Nachrichten erwartet. Ich habe ihm einige Gefälligkeiten erzeigt, er reist durch Italien bequem, aber geschwind, um es doch einmal gesehen zu haben, und mag sich gern im Vorbeigehen soviel wie möglich unterrichten; ich gebe ihm Auskunft über manches. Als ich mit ihm von Venedig sprach, fragte er mich, wie lange ich hier sei, und als er hörte, nur vierzehn Tage und zum erstenmal, versetzte er: "Il parait que vous n'avez pas perdu votre temps." Das ist das erste Testimonium meines Wohlverhaltens, das ich aufweisen kann. Er ist nun acht Tage hier und geht morgen fort. Es war mir köstlich, einen recht eingefleischten Versailler in der Fremde zu sehen. Der reist nun auch! Und ich betrachte mit Erstaunen, wie man reisen kann, ohne etwas außer sich gewahr zu werden, und er ist in seiner Art ein recht gebildeter, wackrer, ordentlicher Mann.

Den 12. Oktober

Gestern gaben sie zu St. Lukas ein neues Stück: "L'Inglicismo in Italia". Da viele Engländer in Italien leben, so ist es natürlich, daß ihre Sitten bemerkt werden, und ich dachte hier zu erfahren, wie die Italiener diese reichen und ihnen so willkommenen Gäste betrachten; aber es war ganz und gar nichts. Einige glückliche Narrenszenen wie immer, das übrige aber zu schwer und ernstlich gemeint, und denn doch keine Spur von englischem Sinn, die gewöhnlichen italienischen sittlichen Gemeinsprüche, und auch nur auf das Gemeinste gerichtet.

Auch gefiel es nicht und war auf dem Punkt, ausgepfiffen zu werden; die Schauspieler fühlten sich nicht in ihrem Elemente, nicht auf dem Platze von Chiozza. Da dies das letzte Stück ist, was ich hier sehe, so scheint es, mein Enthusiasmus für jene Nationalrepräsentation sollte noch durch diese Folie erhöht werden.

Nachdem ich zum Schluß mein Tagebuch durchgegangen, kleine Schreibtafelbemerkungen eingeschaltet, so sollen die Akten inrotuliert und den Freunden zum Urteilsspruch zugeschickt werden. Schon jetzt finde ich manches in diesen Blättern, das ich näher bestimmen, erweitern und verbessern könnte; es mag stehen als Denkmal des ersten Eindrucks, der, wenn er auch nicht immer wahr wäre, uns doch köstlich und wert bleibt. Könnte ich nur den Freunden einen Hauch dieser leichtern Existenz hinübersenden! Jawohl ist dem Italiener das ultramontane eine dunkle Vorstellung, auch mir kommt das jenseits der Alpen nun düster vor; doch winken freundliche Gestalten immer aus dem Nebel. Nur das Klima würde mich reizen, diese Gegenden jenen vorzuziehen; denn Geburt und Gewohnheit sind mächtige Fesseln. Ich möchte hier nicht leben, wie überall an keinem Orte, wo ich unbeschäftigt wäre; jetzt macht mir das Neue unendlich viel zu schaffen. Die Baukunst steigt wie ein alter Geist aus dem Grabe hervor, sie heißt mich ihre Lehren wie die Regeln einer ausgestorbenen Sprache studieren, nicht um sie auszuüben oder mich in ihr lebendig zu erfreuen, sondern nur um die ehrwürdige, für ewig abgeschiedene Existenz der vergangenen Zeitalter in einem stillen Gemüte zu verehren. Da Palladio alles auf Vitruv bezieht, so habe ich mir auch die Ausgabe des Galiani angeschafft; allein dieser Foliante lastet in meinem Gepäck wie das Studium desselben auf meinem Gehirn. Palladio hat mir durch seine Worte und Werke, durch seine Art und Weise des Denkens und Schaffens den Vitruv schon nähergebracht und verdolmetscht, besser als die italienische übersetzung tun kann. Vitruv liest sich nicht so leicht, das Buch ist an sich schon düster geschrieben und fordert ein kritisches Studium. Dessenungeachtet lese ich es flüchtig durch, und es bleibt mir mancher würdige Eindruck. Besser zu sagen: ich lese es wie ein Brevier, mehr aus Andacht als zur Belehrung. Schon bricht die Nacht zeitiger ein und gibt Raum zum Lesen und Schreiben.

 

Gott sei Dank, wie mir alles wieder lieb wird, was mir von Jugend auf wert war! Wie glücklich befinde ich mich, daß ich den alten Schriftstellern wieder näherzutreten wage! Denn jetzt darf ich es sagen, darf meine Krankheit und Torheit bekennen. Schon einige Jahre her durft' ich keinen lateinischen Autor ansehen, nichts betrachten, was mir ein Bild Italiens erneute. Geschah es zufällig, so erduldete ich die entsetzlichsten Schmerzen. Herder spottete oft über mich, daß ich all mein Latein aus dem Spinoza lerne, denn er hatte bemerkt, daß dies das einzige lateinische Buch war, das ich las; er wußte aber nicht, wie sehr ich mich vor den Alten hüten mußte, wie ich mich in jene abstrusen Allgemeinheiten nur ängstlich flüchtete. Noch zuletzt hat mich die Wielandsche übersetzung der "Satiren" höchst unglücklich gemacht; ich hatte kaum zwei gelesen, so war ich schon verrückt.

Hätte ich nicht den Entschluß gefaßt, den ich jetzt ausführe, so wär' ich rein zugrunde gegangen: zu einer solchen Reife war die Begierde, diese Gegenstände mit Augen zu sehen, in meinem Gemüt gestiegen. Die historische Kenntnis förderte mich nicht, die Dinge standen nur eine Hand breit von mir ab; aber durch eine undurchdringliche Mauer geschieden. Es ist mir wirklich auch jetzt nicht etwa zumute, als wenn ich die Sachen zum erstenmal sähe, sondern als ob ich sie wiedersähe. Ich bin nur kurze Zeit in Venedig und habe mir die hiesige Existenz genugsam zugeeignet und weiß, daß ich, wenn auch einen unvollständigen, doch einen ganz klaren und wahren Begriff mit wegnehme.

Venedig, den 14. Oktober, 2 Stunden in der Nacht

In den letzten Augenblicken meines Hierseins: denn es geht sogleich mit dem Kurierschiffe nach Ferrara. Ich verlasse Venedig gern; denn um mit Vergnügen und Nutzen zu bleiben, müßte ich andere Schritte tun, die außer meinem Plan liegen; auch verläßt jedermann nun diese Stadt und sucht seine Gärten und Besitzungen auf dem festen Lande. Ich habe indes gut aufgeladen und trage das reiche, sonderbare, einzige Bild mit mir fort.

Ferrara bis Rom

Den 16. Oktober, früh, auf dem Schiffe

Meine Reisegesellschaft, Männer und Frauen, ganz leidliche und natürliche Menschen, liegen noch alle schlafend in der Kajüte. Ich aber, in meinen Mantel gehüllt, blieb auf dem Verdeck die beiden Nächte. Nur gegen Morgen ward es kühl. Ich bin nun in den fünfundvierzigsten Grad wirklich eingetreten und wiederhole mein altes Lied: dem Landesbewohner wollt' ich alles lassen, wenn ich nur wie Dido so viel Klima mit Riemen umspannen könnte, um unsere Wohnungen damit einzufassen. Es ist denn doch ein ander Sein. Die Fahrt bei herrlichem Wetter war sehr angenehm, die Aus — und Ansichten einfach, aber anmutig. Der Po, ein freundlicher Fluß, zieht hier durch große Plainen, man sieht nur seine bebuschten und bewaldeten Ufer, keine Fernen. Hier wie an der Etsch sah ich alberne Wasserbaue, die kindisch und schädlich sind wie die an der Saale.

Ferrara, den 16. nachts

Heute früh sieben Uhr deutschen Zeigers hier angelangt, bereite ich mich, morgen wieder wegzugehen. Zum erstenmal überfällt mich eine Art von Unlust in dieser großen und schönen, flachgelegenen, entvölkerten Stadt. Dieselben Straßen belebte sonst ein glänzender Hof, hier wohnte Ariost unzufrieden, Tasso unglücklich, und wir glauben uns zu erbauen, wenn wir diese Stätte besuchen. Ariosts Grabmal enthält viel Marmor, schlecht ausgeteilt. Statt Tassos Gefängnis zeigen sie einen Holzstall oder Kohlengewölbe, wo er gewiß nicht aufbewahrt worden ist. Auch weiß im Hause kaum jemand mehr, was man will. Endlich besinnen sie sich um des Trinkgeldes willen. Es kommt mir vor, wie Doktor Luthers Tintenklecks, den der Kastellan von Zeit zu Zeit wieder auffrischt. Die meisten Reisenden haben doch etwas Handwerkspurschenartiges und sehen sich gern nach solchen Wahrzeichen um. Ich war ganz mürrisch geworden, so daß ich an einem schönen akademischen Institut, welches ein aus Ferrara gebürtiger Kardinal gestiftet und bereichert, wenig teilnahm, doch erquickten mich einige alte Denkmale im Hofe.

Sodann erheiterte mich der gute Einfall eines Malers. Johannes der Täufer vor Herodes und Herodias. Der Prophet in seinem gewöhnlichen Wüstenkostüme deutet heftig auf die Dame. Sie sieht ganz gelassen den neben ihr sitzenden Fürsten, und der Fürst still und klug den Enthusiasten an. Vor dem Könige steht ein Hund, weiß, mittelgroß, unter dem Rock der Herodias hingegen kommt ein kleiner Bologneser hervor, welche beide den Propheten anbellen. Mich dünkt, das ist recht glücklich gedacht.

Cento, den 17. abends

In einer bessern Stimmung als gestern schreibe ich aus Guercins Vaterstadt. Es ist aber auch ein ganz anderer Zustand. Ein freundliches, wohlgebautes Städtchen von ungefähr fünftausend Einwohnern, nahrhaft, lebendig, reinlich, in einer unübersehlich bebauten Plaine. Ich bestieg nach meiner Gewohnheit sogleich den Turm. Ein Meer von Pappelspitzen, zwischen denen man in der Nähe kleine Bauerhöfchen erblickt, jedes mit seinem eignen Feld umgeben. Köstlicher Boden, ein mildes Klima. Es war ein Herbstabend, wie wir unserm Sommer selten einen verdanken. Der Himmel, den ganzen Tag bedeckt, heiterte sich auf, die Wolken warfen sich nord — und südwärts an die Gebirge, und ich hoffe einen schönen morgenden Tag.

Hier sah ich die Apenninen, denen ich mich nähere, zum erstenmal. Der Winter dauert hier nur Dezember und Januar, ein regniger April, übrigens nach Beschaffenheit der Jahreszeit gut Wetter. Nie anhaltender Regen; doch war dieser September besser und wärmer als ihr August. Die Apenninen begrüßte ich freundlich im Süden, denn ich habe der Flächen bald genug. Morgen schreibe ich dort an ihrem Fuße.

Guercino liebte seine Vaterstadt, wie überhaupt die Italiener diesen Lokalpatriotismus im höchsten Sinne hegen und pflegen, aus welchem schönen Gefühl so viel köstliche Anstalten, ja die Menge Ortsheilige entsprungen sind. Unter jenes Meisters Leitung entstand nun hier eine Malerakademie. Er hinterließ mehrere Bilder, an denen sich noch der Bürger freut, die es aber auch wert sind.

Guercin ist ein heiliger Name, und im Munde der Kinder wie der Alten.

Sehr lieb war mir das Bild, den auferstandenen Christus vorstellend, der seiner Mutter erscheint. Vor ihm knieend, blickt sie auf ihn mit unbeschreiblicher Innigkeit. Ihre Linke berührt seinen Leib gleich unter der unseligen Wunde, die das ganze Bild verdirbt. Er hat seine linke Hand um ihren Hals gelegt und biegt sich, um sie bequemer anzusehen, ein wenig mit dem Körper zurück. Dieses gibt der Figur etwas, ich will nicht sagen Gezwungenes, aber doch Fremdes. Dessenungeachtet bleibt sie unendlich angenehm. Der stilltraurige Blick, mit dem er sie ansieht, ist einzig, als wenn ihm die Erinnerung seiner und ihrer Leiden, durch die Auferstehung nicht gleich geheilt, vor der edlen Seele schwebte.

Strange hat das Bild gestochen; ich wünschte, daß meine Freunde wenigstens diese Kopie sähen.

Darauf gewann eine Madonna meine Neigung. Das Kind verlangt nach der Brust, sie zaudert schamhaft, den Busen zu entblößen. Natürlich, edel, köstlich und schön.

Ferner eine Maria, die dem vor ihr stehenden und nach den Zuschauern gerichteten Kinde den Arm führt, daß es mit aufgehobenen Fingern den Segen austeile. Ein im Sinn der katholischen Mythologie sehr glücklicher und oft wiederholter Gedanke.

Guercin ist ein innerlich braver, männlich gesunder Maler, ohne Roheit. Vielmehr haben seine Sachen eine zarte moralische Grazie, eine ruhige Freiheit und Großheit, dabei etwas Eignes, daß man seine Werke, wenn man einmal das Auge darauf gebildet hat, nicht verkennen wird. Die Leichtigkeit, Reinlichkeit und Vollendung seines Pinsels setzt in Erstaunen. Er bedient sich besonders schöner, ins Braunrote gebrochener Farben zu seinen Gewändern. Diese harmonieren gar gut mit dem Blauen, das er auch gerne anbringt.

Die Gegenstände der übrigen Bilder sind mehr oder weniger unglücklich. Der gute Künstler hat sich gemartert und doch Erfindung und Pinsel, Geist und Hand verschwendet und verloren. Mir ist aber sehr lieb und wert, daß ich auch diesen schönen Kunstkreis gesehen habe, obgleich ein solches Vorüberrennen wenig Genuß und Belehrung gewährt.

Bologna, den 18. Oktober, nachts

Heute früh, vor Tage, fuhr ich von Cento weg und gelangte bald genug hieher. Ein flinker und wohlunterrichteter Lohnbediente, sobald er vernahm, daß ich nicht lange zu verweilen gedächte, jagte mich durch alle Straßen, durch so viel Paläste und Kirchen, daß ich kaum in meinem Volkmann anzeichnen konnte, wo ich gewesen war, und wer weiß, ob ich mich künftig bei diesen Merkzeichen aller der Sachen erinnere. Nun gedenke ich aber ein paar lichter Punkte, an denen ich wahrhafte Beruhigung gefühlt.

Zuerst also die Cäcilia von Raffael! Es ist, was ich zum voraus wußte, nun aber mit Augen sah: er hat eben immer gemacht, was andere zu machen wünschten, und ich möchte jetzt nichts darüber sagen, als daß es von ihm ist. Fünf Heilige nebeneinander, die uns alle nichts angehen, deren Existenz aber so vollkommen dasteht, daß man dem Bilde eine Dauer für die Ewigkeit wünscht, wenn man gleich zufrieden ist, selbst aufgelöst zu werden. Um ihn aber recht zu erkennen, ihn recht zu schätzen und ihn wieder auch nicht ganz als einen Gott zu preisen, der wie Melchisedek ohne Vater und ohne Mutter erschienen wäre, muß man seine Vorgänger, seine Meister ansehen. Diese haben auf dem festen Boden der Wahrheit Grund gefaßt, sie haben die breiten Fundamente emsig, ja ängstlich gelegt und miteinander wetteifernd die Pyramide stufenweis in die Höhe gebaut, bis er zuletzt, von allen diesen Vorteilen unterstützt, von dem himmlischen Genius erleuchtet, den letzten Stein des Gipfels aufsetzte, über und neben dem kein anderer stehen kann.

Das historische Interesse wird besonders rege, wenn man die Werke der ältern Meister betrachtet. Francesco Francia ist ein gar respektabler Künstler, Peter von Perugia ein so braver Mann, daß man sagen möchte, eine ehrliche deutsche Haut. Hätte doch das Glück Albrecht Dürern tiefer nach Italien geführt! In München habe ich ein paar Stücke von ihm gesehen von unglaublicher Großheit. Der arme Mann, wie er sich in Venedig verrechnet und mit den Pfaffen einen Akkord macht, bei dem er Wochen und Monate verliert! Wie er auf seiner niederländischen Reise gegen seine herrlichen Kunstwerke, womit er sein Glück zu machen hoffte, Papageien eintauscht und, um das Trinkgeld zu sparen, die Domestiken porträtiert, die ihm einen Teller Früchte bringen! Mir ist so ein armer Narr von Künstler unendlich rührend, weil es im Grunde auch mein Schicksal ist, nur daß ich mir ein klein wenig besser zu helfen weiß.

Gegen Abend rettete ich mich endlich aus dieser alten, ehrwürdigen, gelehrten Stadt, aus der Volksmenge, die in den gewölbten Lauben, welche man fast durch alle Straßen verbreitet sieht, geschützt vor Sonne und Witterung, hin und her wandeln, gaffen, kaufen und ihre Geschäfte treiben kann. Ich bestieg den Turm und ergötzte mich an der freien Luft. Die Aussicht ist herrlich! Im Norden sieht man die paduanischen Berge, sodann die Schweizer, Tiroler, Friauler Alpen, genug, die ganze nördliche Kette, diesmal im Nebel. Gegen Westen ein unbegrenzter Horizont, aus dem nur die Türme von Modena herausragen. Gegen Osten eine gleiche Ebene, bis ans adriatische Meer, welches man bei Sonnenaufgang gewahr wird. Gegen Süden die Vorhügel der Apenninen, bis an ihre Gipfel bepflanzt, bewachsen, mit Kirchen, Palästen, Gartenhäusern besetzt, wie die vicentinischen Hügel. Es war ein ganz reiner Himmel, kein Wölkchen, nur am Horizont eine Art Höherauch. Der Türmer versicherte, daß nunmehro seit sechs Jahren dieser Nebel nicht aus der Ferne komme. Sonst habe er durch das Sehrohr die Berge von Vicenza mit ihren Häusern und Kapellen gar wohl entdecken können, jetzt bei den hellsten Tagen nur selten. Und dieser Nebel legt sich denn vorzüglich an die nördliche Kette und macht unser liebes Vaterland zum wahren Cimmerien. Der Mann ließ mich auch die gesunde Lage und Luft der Stadt daran bemerken, daß ihre Dächer wie neu aussähen und kein Ziegel durch Feuchtigkeit und Moos angegriffen sei. Man muß gestehen, die Dächer sind alle rein und schön, aber die Güte der Ziegeln mag auch etwas dazu beitragen, wenigstens in alten Zeiten hat man solche in diesen Gegenden kostbar gebrannt.

 

Der hängende Turm ist ein abscheulicher Anblick, und doch höchst wahrscheinlich, daß er mit Fleiß so gebaut worden. Ich erkläre mir diese Torheit folgendermaßen. In den Zeiten der städtischen Unruhen ward jedes große Gebäude zur Festung, aus der jede mächtige Familie einen Turm erhob. Nach und nach wurde dies zu einer Lust — und Ehrensache, jeder wollte auch mit einem Turm prangen, und als zuletzt die graden Türme gar zu alltäglich waren, so baute man einen schiefen. Auch haben Architekt und Besitzer ihren Zweck erreicht, man sieht an den vielen graden schlanken Türmen hin und sucht den krummen. Ich war nachher oben auf demselben. Die Backsteinschichten liegen horizontal. Mit gutem, bindendem Kitt und eisernen Ankern kann man schon tolles Zeug machen.

Bologna, den 19. Oktober, abends

Meinen Tag habe ich bestmöglichst angewendet, um zu sehen und wiederzusehen, aber es geht mit der Kunst wie mit dem Leben: je weiter man hineinkommt, je breiter wird sie. An diesem Himmel treten wieder neue Gestirne hervor, die ich nicht berechnen kann und die mich irremachen: die Carracci, Guido, Dominichin, in einer spätern glücklichern Kunstzeit entsprungen; sie aber wahrhaft zu genießen, gehört Wissen und Urteil, welches mir abgeht und nur nach und nach erworben werden kann. Ein großes Hindernis der reinen Betrachtung und der unmittelbaren Einsicht sind die meist unsinnigen Gegenstände der Bilder, über die man toll wird, indem man sie verehren und lieben möchte.

Es ist, als da sich die Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen vermählten, daraus entstanden mancherlei Ungeheuer. Indem der himmlische Sinn des Guido, sein Pinsel, der nur das Vollkommenste, was geschaut werden kann, hätte malen sollen, dich anzieht, so möchtest du gleich die Augen von den abscheulich dummen, mit keinen Scheltworten der Welt genug zu erniedrigenden Gegenständen wegkehren, und so geht es durchaus; man ist immer auf der Anatomie, dem Rabensteine, dem Schindanger, immer Leiden des Helden, niemals Handlung, nie ein gegenwärtig Interesse, immer etwas phantastisch von außen Erwartetes. Entweder Missetäter oder Verzückte, Verbrecher oder Narren, wo denn der Maler, um sich zu retten, einen nackten Kerl, eine hübsche Zuschauerin herbeischleppt, allenfalls seine geistlichen Helden als Gliedermänner traktiert und ihnen recht schöne Faltenmäntel überwirft. Da ist nichts, was einen menschlichen Begriff gäbe! Unter zehn Sujets nicht eins, das man hätte malen sollen, und das eine hat der Künstler nicht von der rechten Seite nehmen dürfen.

Das große Bild von Guido in der Kirche der Mendicanti ist alles, was man malen, aber auch alles, was man Unsinniges bestellen und dem Künstler zumuten kann. Es ist ein Votivbild. Ich glaube, der ganze Senat hat es gelobt und auch erfunden. Die beiden Engel, die wert wären, eine Psyche in ihrem Unglück zu trösten, müssen hier-Der heilige Proclus, eine schöne Figur; aber dann die andern, Bischöfe und Pfaffen! Unten sind himmlische Kinder, die mit Attributen spielen. Der Maler, dem das Messer an der Kehle saß, suchte sich zu helfen, wie er konnte, er mühte sich ab, nur um zu zeigen, daß nicht er der Barbar sei. Zwei nackte Figuren von Guido: ein Johannes in der Wüste, ein Sebastian, wie köstlich gemalt, und was sagen sie? Der eine sperrt das Maul auf, und der andere krümmt sich.

Betrachte ich in diesem Unmut die Geschichte, so möchte ich sagen: der Glaube hat die Künste wieder hervorgehoben, der Aberglaube hingegen ist Herr über sie geworden und hat sie abermals zugrunde gerichtet.

Nach Tische etwas milder und weniger anmaßlich gestimmt als heute früh, bemerkte ich folgendes in meine Schreibtafel: Im Palast Tanari ist ein berühmtes Bild von Guido, die säugende Maria vorstellend, über Lebensgröße, der Kopf, als wenn ihn ein Gott gemalt hätte; unbeschreiblich ist der Ausdruck, mit welchem sie auf den saugenden Knaben heruntersieht. Mir scheint es eine stille, tiefe Duldung, nicht als wenn sie ein Kind der Liebe und Freude, sondern ein untergeschobenes himmlisches Wechselkind nur so an sich zehren ließe, weil es nun einmal nicht anders ist, und sie in tiefster Demut gar nicht begreift, wie sie dazu kommt. Der übrige Raum ist durch ein ungeheures Gewand ausgefüllt, welches die Kenner höchlich preisen; ich wußte nicht recht, was ich daraus machen sollte. Auch sind die Farben dunkler geworden; das Zimmer und der Tag waren nicht die hellsten.

Unerachtet der Verwirrung, in der ich mich befinde, fühle ich doch schon, daß übung, Bekanntschaft und Neigung mir schon in diesen Irrgärten zu Hülfe kommen. So sprach mich eine Beschneidung von Guercin mächtig an, weil ich den Mann schon kenne und liebe. Ich verzieh den unleidlichen Gegenstand und freute mich an der Ausführung. — Gemalt, was man sich denken kann, alles daran respektabel und vollendet, als wenn's Emaille wäre.

Und so geht mir's denn wie Bileam, dem konfusen Propheten, welcher segnete, da er zu fluchen gedachte, und dies würde noch öfter der Fall sein, wenn ich länger verweilte.

Trifft man denn gar wieder einmal auf eine Arbeit von Raffael, oder die ihm wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird, so ist man gleich vollkommen geheilt und froh. So habe ich eine heilige Agathe gefunden, ein kostbares, obgleich nicht ganz wohl erhaltenes Bild. Der Künstler hat ihr eine gesunde, sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Roheit. Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt und werde ihr im Geist meine "Iphigenie" vorlesen und meine Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte.

Da ich nun wieder einmal dieser süßen Bürde gedenke, die ich auf meiner Wanderung mit mir führe, so kann ich nicht verschweigen, daß zu den großen Kunstund Naturgegenständen, durch die ich mich durcharbeiten muß, noch eine wundersame Folge von poetischen Gestalten hindurchzieht, die mich beunruhigen. Von Cento herüber wollte ich meine Arbeit an "Iphigenia" fortsetzen, aber was geschah? Der Geist führte mir das Argument der "Iphigenia von Delphi" vor die Seele, und ich mußte es ausbilden. So kurz als möglich sei es hier verzeichnet: