Die Erdrakete

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Die Erdrakete
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Johannes Hahn

Die Erdrakete

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Langeweile

Die Entdeckung

Die Maschine

Die Rakete

Die Koordinaten

Die Testfahrt

Die Aufregung

Die Vergangenheit

Die Verwirrung

Die Verfolgung

Die Insel

Die Rückfahrt

Die Planungen

Die Jagd

Der Nachbar

Die Invasion

Die Beichte

Das Wiedersehen

Der Plan

Die Vorbereitungen

Das große Finale

Zum guten Schluss

Impressum neobooks

Langeweile
Langeweile

Mama und Papa sind die langweiligsten Eltern der Welt, dachte Tina. Sie lag auf ihrem Bett und betrachtete ihr perfekt aufgeräumtes Zimmer. Mama hatte mal wieder aufgeräumt, als sie in der Schule war. Für alles kaufte Mama irgendwelche Kisten, die alle einen festen Platz in irgendeinem der Regale hatten.

Papa hatte auch einen Ordnungstick. So wie andere Menschen sich daran erfreuen, Dinge in Besitz zu nehmen und deswegen gerne mal mehr kaufen, als sie eigentlich brauchen, so erfreute sich Papa daran, Dinge loszuwerden. Jeden Samstag fuhr er mit dem Auto zum Recyclinghof und vorher wurden Haus und Garten gründlich ausgemistet, wie Papa das nannte. Obwohl von “Mist” im Zusammenhang mit dem Zuhause der Familie Greese schon seit Jahren keine Rede mehr sein konnte. Wenn diese Wegwerftour einmal ausgefallen wäre, hätte das Papa sicherlich mehr aufgeregt als wenn wir seinen Geburtstag vergessen hätten. Und Aufregung verabscheuten Tinas Eltern mindestens genauso wie Unordnung.

Ich selbst hätte gerne etwas mehr Aufregung, meinetwegen auch Mist und Dreck, dachte Tina, so als Gegengift zur Langeweile. Vielleicht wären Geschwister nicht schlecht, denn die machen garantiert immer Ärger und Dreck.

Tina ging in die fünfte Klasse, hatte Freunde, machte Judo und empfand sich mit ihren kurzen, blonden Haaren und den Sommersprossen als ausreichend hübsch - wobei ihr das Aussehen nicht besonders wichtig war. Sie interessierte sich eher für Technisches. Tina war eigentlich ein ganz normales Mädchen - nur hatte sie panische Angst davor, sich zu langweilen. Tina befürchtete sogar, die Langeweile sei vielleicht eine Art genetischer Defekt in ihrer Familie, eine Erbkrankheit, deren grauenvolles Endstadium sie tagtäglich an ihren Eltern beobachten musste.

Die Eltern ihrer Klassenkameraden waren natürlich alle viel interessanter. Die einen sahen vielleicht langweilig aus, hatten aber spannende Berufe wie Sprengmeister oder Schauspieler. Andere waren besonders erfolgreich und die Erfolglosen doch zumindest besonders entspannt und locker. Tinas Eltern, die alles dies nicht waren, arbeiteten halbtags in irgendwelchen Büros. Tina hatte in den Ferien beide Eltern mal während der Arbeitszeit besucht. Sie waren “Sachbearbeiter”, wie das Namensschild auf dem Schreibtisch verriet. Und das war dann auch schon eine ausführliche Beschreibung dessen, was sie da im Büro taten: Sie nahmen irgendwelche “Sachen” oder “Vorgänge” an und bearbeiteten sie, was nur bedeutete, dass irgendein Stempel draufgedrückt und beschlossen wurde, an wen das Papier weitergereicht wird.

“Profi-Langweiler” wäre wohl die bessere Berufsbezeichnung, dachte Tina.

Wie anders war das bei Carlos Domingo, ihrem besten Freund aus der Klasse. Carlos´ Vater kam aus Kuba und war eigentlich Ingenieur. Warum er in Deutschland nicht als solcher arbeiten durfte, hatte Carlos ihr nie so richtig erklären können - wahrscheinlich hatte er es selbst nicht verstanden. Jedenfalls hatte Señor Domingo mit seiner Frau einen Schrottplatz eröffnet, der Tina wie ein Paradies vorkam, wenn sie Carlos besuchte. Es gab viel Platz und unbeobachtete Momente, in denen man von Erwachsenen ungestört basteln und experimentieren konnte. Carlos hatte noch drei Geschwister - Langweile war da sozusagen technisch ausgeschlossen, dachte Tina seufzend.

Heute war Donnerstag und Tina konnte sich nicht mit Carlos verabreden, weil der beim Fußballtraining war. Die Hausaufgaben hatte sie schon erledigt, weil ihre Mutter sonst ja doch keine Ruhe gegeben hätte.

Nun lag sie also auf dem Bett und sah die grauen Schleier der Langeweile wie eine herbstliche Nebelwand vor sich stehen. Dieser Donnerstagnachmittag! Dieses fremdaufgeräumte Zimmer! Seitdem Mama Urlaub hatte, kam Tina mit Unordnung machen gar nicht mehr hinterher. Und jetzt nur aus Prinzip alles aus Regalen und Kisten zu schmeißen war Tina auch zu blöde.

“Mama, ich geh raus” rief Tina in Richtung Wohnzimmer.

“Zieh´ Dich warm an”, tönte Mama zurück “ich krieg ja schon beim Rausgucken einen Schnupfen”.

“Dann wickel´ Dir doch einen Schal vor die Augen”, murmelte Tina und knallte die Tür zu.

Rauszugehen war natürlich kein Allheilmittel gegen Langeweile, das wusste Tina aus Erfahrung. Die Kleinstadt Rotenburg an der Wümme, in der sie wohnte, erschien ihr wie ein in Stein gemeißeltes Monument der Langeweile. Nur die Siedlung aus Einzelhäusern, in der sie mit ihren Eltern wohnte, war vielleicht noch schlimmer. Alle Bewohner hatten offenbar eine tiefe Abneigung gegen alles Ungewohnte und Ungeplante. Gefegte Bürgersteige, akkurat geparkte und geputzte Autos, geschniegelte Häuser und frisch frisierte Hecken und Rasenflächen. Jedes noch so kleine Werkzeug hing in seiner eigens dafür angebrachten Halterung, alles war an seinem Platz und sollte idealerweise auch für immer dort bleiben. Die ganze Siedlung stand kurz vor dem Zustand der absolut endgültigen Ordnung und wahrscheinlich träumten nicht wenige Bewohner davon, sich selbst wegzuräumen, vielleicht in gläsernen Schneewittchensärgen eingesperrt zu sein, damit die geschaffene Ordnung bloß nicht mehr gestört würde.

In Tinas Garten gab es allerdings einen Ort, der allem elterlichen Ordnungswahn zum Trotz immer ein wenig geheimnisvoll geblieben war: Opas Werkstattschuppen.

Opa war schon lange nicht mehr da. Und seinen Werkstattschuppen hatte Papa natürlich längst gründlich ausgemistet. Nur schwere Maschinen wie die Drehbank, die Standbohrmaschine und eine große Werkbank hatte er wohl einfach nicht bewegen können, sonst wären auch sie den Weg gegangen, den die anderen Werkzeuge genommen hatten.

Der Werkstattschuppen war Tinas Lieblingsplatz im Garten. Er war stets unverschlossen, wahrscheinlich weil die Eltern den Schuppen sowieso am liebsten abgerissen hätten, wozu man wahrscheinlich den Sprengmeister aus der Elternschaft ihrer Klasse benötigt hätte. Die Wände des Schuppens waren mit technischen Zeichnungen tapeziert und in der Mitte stand der Aufsitzrasenmäher, mit dem Papa im Sommer jede Woche den Flaum auf dem Rasenteppich im Garten abrasierte.

Hinter dem Schuppen befand sich eine kleine Fläche, die man am ehesten als “verwildert” bezeichnen konnte. Hier standen alte Gartenstühle herum und so manch anderes, was auf Papas nächste Sperrmülltour wartete. Das war natürlich überhaupt nur denkbar, weil man diese Fläche weder vom Haus noch von der Straße aus einsehen konnte. Als Tina sich gerade zwischen zwei Gartenstühlen hindurchzwängen wollte, die sicherlich noch ein paar Jahre gehalten hätten, stolperte sie und stieß sich das Schienbein an einem der Stühle.

Die Entdeckung
Die Entdeckung

Noch auf dem Boden sitzend betrachtete Tina den Gegenstand, über den sie gestolpert war. Das Ding war etwa fingerdick, schien aus Metall zu sein und schimmerte bläulich. Es ragte gerade mal zwei Zentimeter aus dem Boden hervor und ließ sich nicht bewegen, als Tina es anfasste. Mit bloßen Händen begann Tina, die Erde neben dem Gegenstand wegzuscharren, der offensichtlich irgendwo befestigt war.

Schnell merkte Tina, das der geheimnisvolle Gegenstand viel größer war , als sie zunächst geglaubt hatte. Sie nahm eine der Gartenschaufeln, die im Werkstattschuppen brav an ihrer Halterung hing und schon lange auf einen interessanten Einsatz wartete, und buddelte damit weiter. Die Erde schaufelte sie erstmal unter die Hecke. Wenn Papa und Mama das hier sehen würden, gäbe es sowieso Ärger, da musste sie sich keine besondere Mühe geben beim Entsorgen des Erdaushubs.

 

Tina buddelte an dem freiwerdenden Metallkörper immer weiter entlang. Bald wurde ihr klar, dass es sich um eine runde Form handelte - etwa so dick wie eine Regentonne. Und lang schien das Ganze zu sein. Auf einer Länge von zwei Metern hatte sie nun schon geschaufelt oder zumindest die Erde weggescharrt, um die Abmessungen dieses komischen Gegenstandes zu erahnen. Auf ein Ende war sie noch nicht gestoßen.

Als es dunkel zu werden begann, hängte Tina die Schaufel wieder an ihren Haken und vergewisserte sich noch einmal, dass ihre Ausgrabungsarbeiten und die damit verbundenen Spuren vom Haus aus tatsächlich nicht zu sehen waren. Der Winter ging gerade zu Ende und es war noch immer ein bisschen ungemütlich draußen. Die Gefahr, dass die Eltern in den Garten gingen, war also nicht allzu groß.

“Wie siehst Du denn aus“, rief ihre Mutter noch eine Spur schriller als sonst, als Tina ins Haus kam. Sie blickte verwundert an sich herunter - schließlich hatte sie versucht, möglichst alle Spuren von Sand und Erde von den Klamotten zu entfernen. Die Fingernägel! Jetzt fiel es ihr auch auf. Tiefschwarze Ränder hatte sie unter den Nägeln. Kein Wunder, sie hatte ja anfangs mit bloßen Händen gegraben.

“Oh, die Hände meinst Du. Weißt Du, wir sollen für die Schule verschiedene Bodenproben mitbringen, die werden im Bio-Unterricht untersucht.”

“Aber Kind, für so was muss man doch Handschuhe anziehen! Ich finde es ja schön, wenn ihr in der Schule solche Projekte macht. Aber dieser Schmutz!”

“Ruhig Blut, Mama, so was lässt sich ja abwaschen. Ich mach‘s besonders gründlich, versprochen!”

Beim Abendbrot erzählte Mama, mit was für “Dreckpfoten” Tina nach Hause gekommen sei. Papa fragte natürlich sofort besorgt nach, ob Tina die Erdproben aus dem Garten geholt habe und fürchtete insgeheim um die Unversehrtheit seines Rasenteppichs. “Nein”, sagte Tina und musste genau genommen noch nicht mal lügen, da sie ja schließlich keine Erdproben geholt hatte. Wofür auch, da sie sich das angebliche Bio-Projekt mit den Erdproben ja nur ausgedacht hatte.

Um weiteren Fragen zu entgehen ging Tina zum Angriff über: “Gab es bei Dir auf der Arbeit irgendetwas Besonderes, Papa?” fragte Tina. Papa machte ein langes Gesicht. Immer, wenn Tina so etwas fragte, wurde er etwas ratlos und Mama ging es nicht anders.

Schließlich erzählte Tina von einem anderen, tatsächlich existierenden Schulprojekt. Es war ein Projekt im Fach Gemeinschaftskunde und hieß “Generationen”. Begonnen hatte es damit, dass Carlos´ Großvater gestorben war. Der war immer weit weg auf Kuba gewesen und Carlos hatte ihn nie kennen gelernt. Trotzdem war er tief traurig über den Tod des Großvaters, vor allem wenn er sich vorzustellen versuchte, wie schlimm es für seinen Vater sein musste. Der hatte seinen Papa schließlich viele Jahre schon nicht mehr gesehen und hatte sich nicht von ihm verabschieden können.

Im Projekt “Generationen” trugen nun alle aus der Klasse ihre Geschichten über oder von ihren Großeltern zusammen. Manche hatten schon keine mehr, einer wohnte sogar bei seiner Oma und viele konnten Geschichten erzählen, die sie oft von den Großeltern gehört hatten.

Tina kannte die Eltern ihrer Mutter, die aber weit weg wohnten und die sie nur einmal im Jahr kurz besuchten. Über die Eltern ihres Vaters wusste sie so gut wie nichts und das wunderte sie, da sie schließlich in dem Haus zu leben schienen, in dem noch immer Spuren ihres Opas zu entdecken waren.

“Was ist eigentlich mit Opa?“, fragte Tina.

“Opa und Oma sind in Sonthofen und wir besuchen sie wieder im August“, sagte Mama, “so wie immer mein Schatz.”

“Nein“, sagte Tina, “ich meine den anderen Opa. Von Papa. Der, der mal hier gewohnt hat. Von dem der Schuppen da draußen ist.”

“Wie, was soll mit Opa sein?”, fragte Papa etwas irritiert zurück.

“Naja, wann ist er gestorben und was hat er eigentlich so gemacht. Und was ist mit Oma? Von der weiß ich irgendwie gar nichts. Du musst doch eine Mutter gehabt haben. Ohne geht‘s ja wohl schlecht, oder?”

Unter Papas Hemdkragen krochen langsam diese roten Flecken den Hals empor. Das typische Zeichen für Aufregung - ein bei ihm höchst unerwünschter Zustand.

“Oma ist verschollen und Opa ist schuld“, murmelte Papa. Es war deutlich, dass er darüber nicht sprechen wollte. Er stand auf und ging, rot wir eine Tomate, zum Abkühlen auf den Balkon.

“Was ist denn los mit ihm, Mama?“, fragte Tina. “Was ist denn mit seinen Eltern?”

“Ich weiß da auch nicht viel“, flüsterte Mama. “Nur, dass es ihn fürchterlich aufregt, wenn man auf seine Eltern zu sprechen kommt. Da muss wohl irgendetwas Unschönes passiert sein.”

“Sind sie auf grausame Weise gestorben?”

“Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie wirklich gestorben sind. Sie sind irgendwie verschwunden. Erst die Oma und später wohl auch der Opa.”

“Wie verschwunden? Man verschwindet doch nicht einfach so. Was haben sie denn gemacht?”

“Opa war Erfinder. Du weißt schon, der Werkstattschuppen. Aber besonders erfolgreich war er wohl nicht. Aber ob das mit dem Verschwinden zusammenhängt, weiß ich auch nicht.”

Als Tina später im Bett lag, war sie trotz all der Verunsicherung, die das Thema Großeltern bei ihr zu Hause aufgeworfen hatte, in einem Punkt beruhigt: Die Langeweile konnte doch keine Erbkrankheit in ihrer Familie sein. Zumindest ihr Opa schien ja doch alles andere als langweilig gewesen zu sein.

Die Maschine
Die Maschine

Am Freitagmorgen erzählte Tina in der Schule ihrem Freund Carlos von der Entdeckung, die sie in ihrem Garten gemacht hatte. Tina war stolz, auch mal mit einer Überraschung aufwarten zu können. Normalerweise gab es bei ihr zu Hause praktisch nie etwas Außergewöhnliches, während Carlos immer mal wieder von interessanten Fundstücken oder Erlebnissen vom heimischen Schrottplatz erzählen konnte.

Für Carlos schien die Tatsache, dass die ohnehin schon abenteuerliche Entdeckung in der besonders langweiligen Umgebung von Tinas Haus stattfand, das Ganze noch spannender zu machen.

Vielleicht hätten Tina und Carlos nicht in Dr. Zemkes Geographiestunde darüber reden sollen. Denn Dr. Zemke, der auch Dr. Spaßfrei genannt wurde, kaute gerade auf seinem Lieblingsthema herum: Das Koordinatensystem für die Standortbestimmung auf dem Globus. Entsprechend genervt reagierte er auf das Getuschel.

“Auf welchem Längen- und Breitengrad liegt denn eigentlich London? Tina!”

Tina fuhr erschreckt auf - sie hatte tatsächlich nur ihren Namen vernommen und irgendwo im Hinterkopf befand sich noch “London” im Zwischenspeicher.

“Och, so im Norden. Oder sagen wir mal Nordwesten”.

“Nein!” brüllte Dr. Zemke, “ich frage hier nicht nach Himmelsrichtungen, es geht hier um Koordinaten, systematische Standortbestimmung.”

“Entschuldigung“, sagte Tina, “ich war gerade in Gedanken und…“

“Das waren aber verdammt laute Gedanken, liebe Tina. Das geht so nicht. Als kleine Konzentrationsübung darfst Du übers Wochenende einen Aufsatz schreiben: Grundlagen des Koordinatensystems der Erde. Dann bist Du am Montag vielleicht auch wieder auf dem gleichen Stand wie der Rest der Klasse.”

Tina seufzte, schrieb aber brav das von Dr. Zemke verlangte Thema in ihr Aufgabenheft. Für den Rest von Dr. Zemkes Stunde bemühte sich Tina ruhig zu sein, konnte sich aber auch nicht viel besser konzentrieren, weil sie immer über ihren Fund grübelte. Vielleicht war es ein alter Bunker. Oder irgendeine Art Maschine. Aber welchen Zweck erfüllte diese Maschine? Und wie war sie dort hingekommen? Wussten oder ahnten ihre Eltern vielleicht irgendetwas davon?

Nach der Schule kam Carlos mit zu Tina nach Hause.

“Hallo Carlos, wie schön, dass Du auch mal zu uns kommst”, sagte Tinas Mutter. “Wascht Euch die Hände und setzt Euch, es gibt Erbspüree mit Möhrchen und Schwarzwurzeln.”

Tina verzog das Gesicht. Mama kochte gerade das vegetarische Kochbuch, das sie zum Geburtstag bekommen hatte, von vorne bis hinten durch. Manches schmeckte ziemlich gut, wie Tina selbst überrascht zugeben musste. Aber einige Gerichte waren so öde, dass sich Tina manchmal heimlich am Nachmittag eine Tüte Chips kaufte, um noch irgendetwas mit Geschmack in den Mund zu bekommen.

Carlos, der beim Essen nicht besonders wählerisch war, langte gut zu und machte Tinas Mutter damit eine große Freude. Hausaufgaben gab es übers Wochenende nie auf - mal von Strafarbeiten abgesehen, von denen Tina an diesem Wochenende ja noch eine zu erledigen hatte.

Carlos und Tina gingen sofort nach dem Essen nach draußen in den Garten. In Tina wuchs die Anspannung, je näher sie dem Werkstattschuppen kamen. Hoffentlich hatte niemand ihre Grabungen bemerkt. Vielleicht hatten ordnungsfanatische Nachbarn die Erde unter der Hecke entdeckt - vielleicht hatte sie auch alles nur geträumt.

Aber hinter dem Werkstattschuppen sah noch alles exakt so aus, wie Tina es vom Vortag in Erinnerung hatte: hinter den auf ihre Entsorgung wartenden Gartenstühlen war ein langes Loch im Erdboden zu sehen. Gras und Erde waren weggescharrt worden - und ein langer, metallischer Gegenstand war in der Mitte des Loches zu sehen.

Es war genau so, wie Tina es Carlos beschrieben hatte - und trotzdem, oder gerade deswegen, war Carlos völlig von den Socken. Tina hatte erzählt, dass das Ding auf jeden Fall länger als zwei Meter sein müsse. Aber als Carlos nun den bereits freigelegten Teil in voller Länge vor sich sah wurde ihm erst wieder klar, wie lang zwei Meter eigentlich sind. Egal, was das hier war, es war auf jeden Fall kein Spielzeug, sondern eine richtig große Sache, in jeder Hinsicht.

Auch ihn packte das Forscherfieber.

Tina und Carlos holten sich Schaufel und Spaten aus dem Werkstattschuppen und gruben weiter an dem seltsamen Ding entlang. Bald entdeckten Sie, dass sich der Gegenstand vorne und hinten verjüngte, also spitz zulief. Und bald stießen sie tatsächlich vorne und hinten auf ein spitzes Ende des geheimnisvollen, insgesamt etwa vier Meter langen Apparates. Die eigentliche Spitze schien aus einem anderen Material zu bestehen als der Rest des Metallkörpers. Auch die Spitzen schillerten bläulich, allerdings nicht gleichmäßig, sondern changierend, mal ins grünliche oder gelbliche wechselnd. Es erinnerte Tina an das Perlmutt, dass sie bei einem Nordseeurlaub im Innern von Muschelschalen entdeckt hatte. Der Rest des Metallkörpers glänzte in einem metallischen Blau und war erstaunlich sauber. Eigentlich, dachte Tina, müsste das Ding nach Monaten oder Jahren in der Erde doch ziemlich verdreckt sein. Aber obwohl die Erde kalt, feucht und eher klebrig war, fiel sie sauber von dem geheimnisvollen Gegenstand ab.

Die Form des Ganzen erinnerte Tina an ein Meerestier, weil sich genau in der Mitte der Maschine eine kleine Rückenflosse nach oben streckte. Über die Spitze dieser “Rückenflosse”, wie Tina sie nannte, war sie gestern gestolpert. Carlos hatte auf seiner Seite schon etwas tiefer gegraben als Tina und hatte auf der Seite - ebenfalls genau in der Mitte der Maschine - eine ebensolche kleine Flosse gefunden. Vielleicht gab es auf Tinas Seite auch so eine - und unten an der Maschine womöglich auch.

Vor und hinter der “Rückenflosse” schien es jeweils eine ovale Öffnung zu geben, etwa 40 Zentimeter breit und einen Meter lang. Wie Einstiegsluken, die allerdings nahtlos verschlossen waren mit Deckeln, die aus dem gleichen Material zu bestehen schienen wie der Rest des Apparates.

Carlos legte seine Hand auf die metallische Oberfläche und sagte erstaunt: “Das Ding ist warm!”

Tina legte ebenfalls ihre Hand auf das Metall. Warm war vielleicht nicht das richtige Wort, dachte sie. Aber tatsächlich war das Ding nicht so kalt wie das Erdreich, in dem es lag.

“Das ist ein U-Boot“, sagte Carlos. „Das kann doch gar nichts anderes sein. Genial, ich wollte schon immer mit einem U-Boot fahren. Aber wie kommt es hierher? Und wie kriegen wir das Ding hier raus und ans Wasser?”

“Am besten noch, ohne dass es jemand von den Erwachsenen merkt”, meinte Tina. “Sonst lässt uns sowieso keiner mit dem U-Boot fahren. Von wegen gefährlich und so. Aber ein U-Boot hat doch immer so einen Ausguck, so einen Turm drauf, oder ein Sehrohr.“

 

“Das Periskop, ja klar. Aber so was kann ja auch eingezogen werden. Oder es hat eben eine andere Technik, mit der die Besatzung ihren Standort und die Umgebung bestimmen und beobachten kann“, sagte Carlos.

“Besatzung? Da passen doch höchsten wir beide rein, wenn überhaupt. Komisches U-Boot.”

“Weißt Du was, wir vermessen das Ding und machen eine Zeichnung. Mein Vater ist doch Ingenieur und kennt sich mit verschiedensten Maschinen aus. Dann lassen wir ihn mal raten, was das sein könnte. So als Quiz getarnt, oder mal wieder als Schulprojekt, was meinst Du?”

Tina und Carlos räumten die Werkzeuge wieder in den Schuppen und begannen ihr Fundstück zu vermessen. Carlos notierte die Maße und Tina zeichnete die Umrisse der halb freigelegten Maschine. Sie vermutete, dass die Unterseite der Maschine in etwa die gleiche Form hatte wie der jetzt sichtbare Teil und zeichnete den Apparat auch so.

Schließlich klopften sich die beiden so gut es ging die Erde aus den Klamotten und gingen zurück zum Haus. Tina öffnete die Tür und rief zu ihrer Mutter hinein: „Wir gehen noch mal zu Carlos - ja doch, ich komme nicht so spät zurück.“

Carlos´ Vater saß im Büro des Schrottplatzes fluchend über der Steuererklärung. “Das ist es, was ich an diesem Land hasse”, sagte er und deute auf einen Telefonbuchdicken Stapel von Formularen.

“Papa, da haben wir die passende Ablenkung für Dich“, sagte Carlos. “Guck mal hier, von unserem Technologie-Projekt in der Schule. Jeder soll einen Plan von einer Maschine oder so etwas abzeichnen, mit den Abmessungen drauf, aber sonst ohne irgendwelche Hinweise darauf, was es für einen Maschine ist, welchem Zweck sie dient usw. Die tauschen wir aus und müssen dann herausfinden, was es sein könnte.”

“Na, dann zeig mal“, sagte Herr Domingo und schien tatsächlich erfreut über die Ablenkung, die ihm diese Aufgabe von der verhassten Steuererklärung bot.

Er beugte sich über den Plan und blickte kurze Zeit später ruckartig auf.

“Was hast Du denn eigentlich für einen Plan ins Rennen geschickt, mein Sohn?”, wandte sich Herr Domingo etwas argwöhnisch an Carlos.

“Och, diesen Zigarrenroller von Dir, Du weißt schon.”

“Was? Meine vollautomatische Zigarrenrollmaschine? Maschinell wie von Hand gerollt - das habe ich noch nicht als Patent angemeldet. Wenn mir das jetzt einer klaut!“

“Papa, ruhig Blut. Die Zeichnung versteht doch sowieso keiner. Aber was ist denn mit meiner Aufgabe. Du willst doch, dass ich gute Noten kriege, also hilf mir doch bitte ein bisschen. Ich glaube ja, dass es ein U-Boot ist.“

Herr Domingo betrachtete erst jetzt so richtig die Zeichnung, die er in der Hand hielt und runzelte die Stirn. “Vier Meter lang, Einstiegsluken, so eine Art Seiten und Höhenruder… Hmmm.

Zweifelsohne irgendetwas, dass sich bewegt, sonst macht diese Form keinen Sinn. Aber ein U-Boot kann es irgendwie auch nicht sein, da kann kein Platz sein für Ballast. Oder wenn, dann nur ein ferngelenktes U-Boot. Unbemannt, sozusagen. Torpedo.

Könnte auch eine Rakete sein - aber auch da wieder eigentlich zu klein, da ist ja kein Platz für einen Antrieb. Wenn da Menschen drin sitzen sollen wäre das verdammt eng. Und da bleibt die große Frage, wie es angetrieben wird. Es könnte eine Art Raketenkapsel sein. Also ein Fluggerät, das einen externen Antrieb braucht, eine Trägerrakete oder so was, die das Ding ins All schießt und später abgeworfen wird.

Tut mir leid, so richtig kann ich das nicht beantworten. Ich denke, ihr habt keine Hausaufgaben übers Wochenende auf? Und was bekommt ihr denn da für Aufgaben in der Schule, das ist ja schlimmer als eine Steuererklärung!”

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