Baupläne der Schöpfung

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Reicht die Quanten­physik bis in die Biologie?

Wissenschaftler meinen, dass sogar in der DNA quantenphysikalische Prozesse wirken. Das Erbgut ist ein langer molekularer Faden, auf dem vier Basen aneinandergereiht sind. Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Dabei kuscheln sich Adenin mit Thymin und Cytosin mit Guanin zusammen. Die Informationen für all unsere Organe stecken in dieser Reihenfolge. Der Faden ist zu einer Spirale aufgezwirbelt, was der Stabilität dient, den Kopiermechanismus aber kaum beeinflusst. Diese Blaupause funktioniert nach dem Reißverschlussprinzip. Der Zipp wird geöffnet, und jeder Strang bildet einen weiteren Abbildstrang von sich selbst.

Möglicherweise verbirgt das Leben auch in seinem Erbgut Quantengeheimnisse, die noch nicht gelüftet werden wollen und die den Verstand tunlichst foppen. Ich seh, ich seh, was du nicht siehst! Trotzdem prägen sie unseren Organismus. Beim Kopieren der DNA müssen sich die Moleküle fest aneinanderschmiegen, damit jene Kräfte, die auf winzige Distanz wirken, ins Spiel kommen.

Solche Kräfte sind schon lange bekannt. Sie könnten über die Quantenmechanik erklärt werden: Wie man es heute oft formuliert, müssen die Moleküle entangled sein. Schrödinger hat das ursprünglich »verschränkt« genannt. Dass das Sprachgenie Schrödinger da kein schöneres deutsches Wort finden konnte, kommt nicht von ungefähr. In der Umgangssprache ist diese Eigenschaft nicht ausdrückbar, denn die Gegenstände des täglichen Lebens sind nicht auf erkenntliche Art entangled, also derart miteinander verbunden.

Beispiele illustrieren, wie Gesetzmäßigkeit und Konstanten, die jenseits unserer Erfahrungswelt liegen, sehr wohl in das Geschehen in unserem Körper eingreifen und es mitgestalten. Und der Urknall selbst, aus dem jene vier Elemente, die unseren Körper großteils bilden, nämlich Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff, hervorgingen, mag spekulativ in unserer Physis noch nachhallen: als jene hinter allem liegende Information, an die nicht wenige Physiker glauben. Laut sprechen nur die wenigsten darüber, um sich nicht der kollektiven Häme auszusetzen oder gar der medialen Lächerlichkeit preiszugeben.

Obwohl die Zahl der Moleküle, zu der sich diese vier Elemente zusammenfügen können, enorm ist, ist dieses Vervielfältigungsphänomen, kosmisch gesehen, die Ausnahme. Denn die sichtbare Materie steckt zum größten Teil in den Sternen, und in deren Innerem gibt es nur einen Stoff, das sogenannte Helium: eine Suppe ziemlich gleich verteilter Elektronen, in der Atomkerne schwimmen; hauptsächlich Wasserstoffkerne, also Protonen, sowie Heliumkerne (Alphateilchen), je nach Sternalter mehr oder weniger gewürzt mit einigen schweren Atomkernen. Die Eigenschaften dieser Einheitssuppe hängen von ihrer Temperatur und Dichte ab, weitere Strukturen oder Spezifika fehlen. Erst wenn man den Druck der Schwerkraft lindert, erwacht die Chemie, die Vielzahl der Moleküle blüht auf – die erste Schöpfungswoche beginnt. Und auch unsere Existenz hat dort ihren Anfang genommen.

Wenn der menschliche Geist darin eine Ordnung erkennt, die nach so raffinierten Gesetzen verläuft, dass er dahinter einen Weltenbaumeister vermutet, so ist dies intellektuell genauso legitim, wie es zulässig ist, den reinen Zufall anzunehmen. Wieso denn nicht?

Es ist zwar erlaubt, die Schöpfung als riesiges Roulette darzustellen und zu poltern, der rein zufällig daraus hervorgegangene Mensch schaffe sich in seiner Fantasie einen Gott. Damit er sich an diesen Strohhalm der Zuversicht klammern kann, um dem Tod nicht gleich ins Auge sehen zu müssen. Dabei gibt es diesen Gott nicht, er existiert nur in seiner Vorstellung. Basta.

Es ist aber umgekehrt genauso intellektuell annehmbar, die Gesetze des Kosmos, sei es, wir können sie erkennen, sei es, wir können sie nur erahnen oder auch nur noch berechnen, als Ordnung eines Architekten anzusehen, der letzten Endes auch uns prägte, weshalb wir von ihm tatsächlich eine Ahnung haben.

Eine Ahnung.

Ein Gefühl.

Der Körper, aber auch der Geist mit seinen Fantasien entstand nicht alleine und nur zufällig, sondern orientierte sich – einschließlich unserer Synapsen – an einem Gegenüber. Dieses Gegenüber folgt nicht notwendig den Gesetzen der klassischen Physik, sondern ist, wie ich meine, von einem Plan getragen, der für uns berechenbar, nicht aber vorstellbar ist. Fühlbar ist er allemal. Wagt jemand das zu glauben, weil wir diesbezüglich geprägt sind, so ist das – als Glaubensakt – naturwissenschaftlich nicht unvernünftig.

Mehr noch, ich meine, es ist legitim.

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Feuerbach und die Brandstifter

Und dann kam Ludwig Feuerbach. Der deutsche Philosoph und Anthropologe führte einen privaten Glaubenskrieg gegen das Transzendente. Er war einer der ersten, der den »Geist der Theologie« dem »Geist der Naturwissenschaft« gegenüberstellte und es als intellektuell unschicklich empfand, die Hände zum Gebet zu falten.

Natürlich hatte er nicht unrecht, dass sich der Eskimo seinen Gott als Eskimo, der Indianer sich seinen Gott mit roter und der Europäer seinen Gott mit weißer Hautfarbe vorstellt, denn wir können über Göttliches nur in Form menschlicher Vorstellungen sprechen. Soll das ein Beleg für die religiöse Tumbheit des Menschen darstellen? Eine Wunschvorstellung, subjektiv bemalt und aufgeputzt wie die Erscheinung in einem Tagtraum? Ist Gott in Kenia farbig? Diesen Überlegungen schwingt immer ein leiser Zynismus mit. Hört auf zu dilettieren, Kinder, jetzt reden die Erwachsenen.

Konkret sagte er: »Es gibt keinen anderen Weg zur Erkenntnis und zur Wahrheit als durch den Feuerbach.«

Auch nicht die feine englische Art für einen Philosophen, sich als der Weisheit letzter Schluss zu bezeichnen.

So schrieb er, als er allen haltlosen Spekulationen religiöser Vorstellungen ein Ende bereiten wollte und sich als »Zeitenwender« in der Philosophie sah. »Der Feuerbach ist das Purgatorium des Denkens.«

Was für ein Fegefeuer von einem Ego. Der Mann war stark von Hegel beeinflusst. Seine brandredenhafte Religions – und Idealismuskritik hatte Auswirkungen auf die Bewegung des Vormärz. Obwohl Feuerbach nicht einen Bekanntheitsgrad wie Kant erreichte, mit dem er sich manchmal verglich, sind namhafte Philosophen der Meinung, dass seine Zeit noch käme. Das große Aufräumen mit allem, was nach Transzendenz riecht.

Seine Credo war: Nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, sondern der Mensch schafft sich Gott.

Das Gehirn wird zum Transformator, der sogar Wirklichkeiten erfindet. Eine anthropozentrische Vision, die ignoriert, dass unser Bewusstsein geprägt sein könnte. Für Feuerbach war das Weltall noch eine Maschine, der Mensch durch Zufall entstanden, eine Verkettung mehr oder weniger glücklicher Umstände. Er kannte allerdings auch noch nicht die Epigenetik, die bildhafte Anpassungsfähigkeit unseres Genoms und die Spiegelneuronen. Im 19. Jahrhundert war dieses Phänomen noch nicht einmal Science Fiction.

Daher die Maxime: Die Menschen schaffen sich ihre Götter entsprechend ihrem menschlichen Wesen. »Alle Theologie«, tönte Feuerbach, »ist in Wirklichkeit Anthropologie.« Das Mensch-Sein spiegelt sich in den theologischen Reflexionen wider. In transzendentalen Gedanken und Überlegungen erfahren wir nichts über Gott, sondern letzten Endes nur über den Menschen. Der Mensch projiziert seine Wunschvorstellungen auf eine Leinwand – und das ist Gott und die Theologie.

Nein.

Hier widerspreche ich ihm.

Der Mensch ist keine autonome und mit hoher Einbildungskraft ausgestattete Kreatur, sondern seinerseits wieder von der Umwelt und möglicherweise auch von Gesetzen, die uns nicht einsichtig sind, geprägt. Wenn Sehnsüchte und Erlösungsgedanken im Menschen wohnen, so spiegeln sie die Blaupause wider, nach der die Evolution den Menschen formte.

Für Feuerbach war das Bewusstsein über Gott nichts anderes als das Selbstbewusstsein des Menschen. Ich bin da. Ich weiß um meine Existenz Bescheid. Eine freigeistige Beschreibung der Inkarnation, die, ohne dass Feuerbach es beabsichtigte, auch gottnah gedeutet werden könnte: Denn ein Gott oder ein Überwesen wird sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit schwere – und zeitlos dem Menschen offenbaren.

Nachdem unsere ganze Existenz Abbildcharakter hat, gibt es zur These, dass der Mensch Gott bloß erfand, auch die Antithese der Feinsinnigen: dass wir nämlich deshalb über Gott nachdenken, weil wir von ihm geprägt worden sind.

Da war etwas, und es hinterließ Spuren.

Prägemechanismen gibt es in der Natur unzählige.

Feuerbach bemüht die Fantasie des Menschen, der er eine eigenständige Spontaneität zuordnet, Dinge aus dem Nichts zu erfinden, so wie den Gottesbegriff. Gerade die Neurophysiologie lehrt uns aber, dass die Konstrukte der Fantasie von jenen Umständen geprägt sind, denen der Mensch gegenübersteht. Die Fantasie kann nur Begriffe schaffen oder neu verbinden, für die der menschliche Geist imprägniert wurde.

Als würde man gute Gedanken auf fruchtbarem Boden säen.

»Der Glaube an ein Jenseits ist«, so Feuerbach, »nicht nur aus der Trauer, nach dem Tode in Nichts aufzugehen, entstanden, sondern der Glaube an das Jenseits entspringt dem Glauben an die Freiheit des Subjekts, die Schranken der Natur überwinden zu können.«

Diese Naturschranken waren für Feuerbach die Gesetze der mechanistischen Physik. »Jenseitsvorstellungen sind«, nach Feuerbach, »der beste Beweis, dass der Mensch die Zwangsjacke der irdischen Existenz überschreiten möchte.« In der Annahme, dass es jenseits dieser Zwangsjacke keine Physik mehr gäbe. Ein Argument, das dem alten physikalischen Weltbild entsprach.

 

Feuerbach spricht indirekt immer wieder über die »Fantasie«, um zu erklären, warum Menschen auf die Idee kämen, dass es einen Weltenbaumeister gäbe. Die Hypothese, nach der sich unsere Fantasie einen Schöpfer erschafft, rührt aus einem alten neurologischen Konzept: dass der Geist alles, was er will und was ihm genehm ist, aus seiner Tüte hervorholt.

Unsere Fantasie ist aber keine Popcorn-Maschine, aus deren Ideen und Vorstellungen nur so hervorquellen, sondern lediglich Chiffre für neuronale Vernetzungen, die den Stempel eines Gegenübers trägt. Unsere Existenz hat einen Stempel, der unabhängig von uns existiert und dessen Abbild wir sind.

Ob der Mensch deswegen religiös projiziert, weil er dafür geistig durchsättigt worden ist, wäre eine Denkvariante, die man Feuerbach und seinen Brandstiftern als Antithese gegenüberstellen kann.

Ich tue das hiermit.

Feuerbachs Hypothese ist die Projektionswand, die der Mensch mit seinen Wünschen füllt. Allerdings, und das ist meine andere Hypothese, hat diese Wand eine Rückseite, die unabhängig vom Betrachter geprägt wird, ihn aber seinerseits prägen kann.

Der Mensch kann die Rückseite der Wand nicht sehen.

Aber sie ist da.

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Prägende Umstände

Fakten. Einheiten. Systeme. Ziffern. Klammern. Amplituden. Für die mesokosmische Welt, in der wir leben und die sich zwischen dem Mikro – und Makrokosmos bewegt, ist das Diesseits leicht zu beweisen: Elemente, physikalische Gesetze, Schwerkraft und Kausalität. Begriffe, die wir messen können und die sich unserer Vorstellung nicht entziehen, prägen unsere Existenz. Und auch die verändert sich stetig.

Die Atmung ist ein beeindruckendes Beispiel. Sie entstand nicht durch das Würfeln, sondern durch den Anstieg der Sauerstoffkonzentration in unserer Atmosphäre. Wenn wir atmen, wenn das Blut Sauerstoff transportiert und unsere Zellen Wasser bilden, das wir dann über die Niere ausscheiden müssen, dann sind das letztendlich alles Adaptionsmechanismen, die sich am Erscheinen des Sauerstoffs orientierten – aber gleichzeitig die Evolution gewaltig anspornten. Die rote Farbe des Blutes, unsere Lungen und Nieren, das Herz und die Blutgefäße spiegeln das Erscheinen des Sauerstoffs wider. So wurde er schließlich zur Droge.

Auch die Erdrotation prägte unsere Zellen: Der Tag-Nacht-Rhythmus beeinflusste einst den Lebensrhythmus von Einzellern. Dieses Metronom des Daseins hat sich im Laufe der Evolution bis zum Homo sapiens erhalten und weiterentwickelt. Reptilien bilden ein eigenes Organ, mit dessen Hilfe sie ihre Zellen in den Nacht – oder Tagzustand führen, entsprechend der Sonneneinstrahlung. Dieses sogenannte Pinealorgan befindet sich am Kopf unter einer dünnen, durchsichtigen, knöchernen Membran, die das Licht hindurchlässt. Bei den Säugetieren entwickelte sich daraus die Epiphyse. Man weiß genau, in welchen Hirnarealen der Säuger – und damit auch des Menschen – der Tag-Nacht-Rhythmus sich materialisierte: Vor allem ist es der nucleus suprachiasmaticus, der Neuronen heranwachsen ließ, die die Erdrotation widerspiegeln. Während des Tages geben sie andere Signale ab als während der Nacht, wobei sich das Auge nur untergeordnet dazwischenschiebt. Der Rhythmus selbst ist in biochemische Reaktionen gegossen, durch die Rotation der Erde. Erstaunlich, nicht? Jene Gene, die unsere Zellen zum Tagwerk anregen, lassen gleichzeitig auch Substanzen wachsen, die, wenn sie eine gewisse Schwelle erreichen, eben diese Tagesgene wieder abschalten, die sie letztendlich hervorgebracht haben. Dadurch bleibt der Tagzyklus zirka 12 Stunden erhalten, um dann in eine biochemische Ruhephase überzugehen, in der auch die Hemmstoffe des Tages weniger werden, sodass nach weiteren 12 Stunden die Tagesgene erneut zu arbeiten beginnen. Ein tagtägliches Phänomen und Beispiel, wie sich Umwelt in unseren Genen widerspiegelt.

Das ist kein Zufall. Das ist Evolution.

Aber selbst so banale Konstanten wie die Höhe über dem Meeresspiegel und der Sauerstoffpartialdruck prägen uns und unsere Gene. In Tibet leben die Menschen auf rund 4.000 Meter Höhe, was auch die Gene registrierten. Steigen Menschen aus unseren Breiten auf 4.000 Meter hohe Berge, bilden sich zum Ausgleich für den geringeren Sauerstoffgehalt deutlich mehr rote Blutkörperchen. Allerdings mit einer Nebenwirkung: Das Blut wird dicker. Weil mehr Blutkörperchen in die Gefäße abgegeben werden. Dadurch sinkt die Durchblutung der feinen Kapillaren, man wird schwindlig, mitunter ohnmächtig.

Wie kürzlich zwei klinische Gelehrte entdeckten, haben sich bei den Tibetern immerhin 30 Gene derartig verändert, dass sie nicht mehr überschießend Blutkörperchen bilden, dadurch die Mikrozirkulation nicht verändern, aber trotzdem ausreichend Sauerstoff transportieren. Nach Meinung der Wissenschaftler war diese spiegelbildliche Umstellung und Anpassung in nicht einmal 3.000 Jahren passiert, was nach dem derzeitigen Wissensstand der schnellste bekannte evolutionäre Anpassungsschritt der Menschheit wäre. Ein Wimpernschlag in der Entwicklung. Bisher war nur ein anderer, allerdings länger zurückliegender Spiegelreflex auf die Umwelt bekannt: die Laktosetoleranz, die die Nordeuropäer innerhalb von 7.500 Jahren in die Lage versetzte, auch als Erwachsene Milch trinken zu können.

Das heißt, der Mensch verändert sich permanent. Er wächst, wird größer und intelligenter. Er steht auf der Schwelle zur nächsthöheren Stufe. Zum Homo novus, dem neuen Menschen. Einer, der versteht, wie man die letzten Puzzleteile des Lebens ins Spiel bringt und zu einem Gesamtbild formt.

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Gehirn. Genom. Geheim

Nicht nur das Hämoglobin und die Lunge, auch das Gehirn ist ein Abbild der Welt, die uns umgibt: So gehen die Genfer Neurowissenschaftler Pierre Magistretti und Delosan Lossana, aber auch der Kinderpsychiater François Ansermet davon aus, dass das Gehirn kein genetisch streng determiniertes Organ sei, sondern die Reizaufnahme aus der äußeren Wirklichkeit Spuren im Nervensystem hinterlässt. Das Gehirn wird dynamisch, der Epigenese folgend, interpretiert. Außenwelt und Erfahrung wirken sowohl auf neuronaler wie auch auf synaptischer Ebene prägend, was bis ins Unterbewusste reichen kann.

Synapsen regulieren die Erregungsübertragung zwischen den Nerven; daran sind einfache Moleküle, Neurotransmitter, dazu Elemente und Ionen beteiligt. Im Unterschied zur früheren Auffassung, dass das alles genetisch vorbestimmt wäre, neigt man heute eher zu der Meinung, die Plastizität sei so groß, dass unser Gehirn bei der Ausformung von Synapsen die Außenwelt mitpartizipieren lässt.

Dadurch wird die Neurogenese von der Umwelt mitgestaltet. Die Zahl der Neuronen ist keineswegs endgültig fixiert, wie das noch vor nicht allzu langer Zeit die Meinung der Schulmedizin war. Durch die Neuroplastizität bekommt das Gehirn eine hohe Anpassungsfähigkeit, die zum Abbild der uns umgebenden Wirklichkeit wird. Das würde auch gut mit Freuds Auffassung zusammengehen, der meinte: Die Erfahrung durch Prozesse der Assoziation, Verschmelzung und Verzerrung wird im Nervensystem mehrmals umgeschrieben, bis sie schließlich die Form unbewusster Fantasievorstellungen annimmt.

Das heißt, das Hirn passt sich nachweislich dem an, was es sieht und versteht. Es sind hochkomplexe mikrobiologische Vorgänge im Nervensystem, die an der Impulsvermittlung teilhaben. Je mehr neue Eindrücke entstehen, desto stärker können sich Rezeptoren ausbilden, wodurch sich auch die Leistungsfähigkeit der Neuronen verstärkt. Viele Signale sind so fein, dass wir sie nicht gleich zu deuten wissen. Aber es sind alles Informationen. Botschaften.

Der Empfangende, so könnte man Sloterdijk zitieren, hält mit dem Absender ein Zwiegespräch und ist andererseits von ihm geprägt.

In stillen Momenten könnte man es wortlose Kommunikation nennen. Manchmal auch Beten.

Dass an einen Abbildcharakter zu glauben nicht unvernünftig ist, weisen die vielen biologischen Instrumente aus, die nicht nur eine permanente Anpassung und eine gerichtete Evolution denkwürdig machen, sondern auch – für den Gläubigen – a priori eine Prägung durch einen Gott.

Zur Anpassung und zur Spiegelung der Außenwelt hat die Evolution eine eigene Logik und eine gefinkelte Logistik entwickelt, um über einen uns noch nicht bekannten Algorithmus Innen – und Außenwelt miteinander zu verbinden.

Einige Beispiele dazu: Unser Genom, dieser wunderbare, elektrostatische Würfel, der ununterbrochen oszilliert, um sich der Umwelt anzupassen, besitzt vielfältige Instrumente, um nicht nur die Verpackung, sondern selbst die Anatomie, also die Hardware des Genoms, so zu verändern, dass er Abbild der ihn umgebenden Umwelt wird, um überleben zu können. Man könnte sagen, es ist ein wundersamer Chamäleoneffekt in der DNA.

Es sind vor allem – und das alles wusste Feuerbach natürlich nicht – mobile, sprungfähige Erbgutteile, die einen Anteil des Genoms bei höheren Arten ausmachen und eine reaktive Plastizität der Gene ermöglicht. Sie haben nämlich die Fähigkeit, wie der Name schon sagt, zu springen. Hops. Und sich an neuen Stellen des Genoms zu platzieren. Diese Elemente beinhalten die sogenannten DNA-Transposons, autonome Retrotransposons und nichtautonome Retrotransposons. Mit Details möchten ich Sie nicht langweilen, das machen wir schon auf manchen Medizinerkongressen. Wichtig ist die Message: Dass dieses biologische Orchester nur nach den Noten des Zufalls spielt, ist die wissenschaftliche Hypothese der Atheisten. Dass es hingegen dahinter Gesetzmäßigkeiten geben könnte, ist eine andere Denkart, die nicht minder vernünftig erscheint. Wenn der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger von einer »uns noch unbekannten Information spricht, die hinter der Physik ruht«, so könnte das auch in der Biologie der Fall sein und die ungeheuren Anpassungsmechanismen modulieren.

Die DNA-Sprünge ereignen sich nicht zufällig. Sie folgen einer unbekannten Kette von Information. Einem Code, den wir noch nicht entschlüsselt haben.

Die Werkzeuge für diese Spiegelung in unseren Genen entdeckte eine Frau. Barbara McClintock. Sie wurde 1902 in Hartford, Connecticut geboren. Ihre Eltern nannten sie zunächst Eleanor. Bald spürten sie, dass der Name für ihre Tochter zu zart war, und begannen sie Barbara zu nennen, was der Entschlossenheit des Kindes besser entsprach.

Im Jahr 1944 war sie die dritte Frau, die in die National Academy of Sciences gewählt wurde, und die erste Frau, die in den Vorstand der Genetics Society aufstieg. Kurz darauf entdeckte sie, dass bestimmte genetische Regionen in Mais springen können und dass dies Einfluss auf die Farbe der gesprenkelten Maiskolben hat, von Goldgelb bis hin zu Dunkelviolett. Sie nannte es »Controlling-Einheiten«, die später eben als ­Transposons bezeichnet wurden.

Mitte der 1950er-Jahre spürte McClintock, dass der wissenschaftliche Mainstream nicht bereit war, ihre Idee zu akzeptieren, und sie hörte auf, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, um eine Entfremdung von der wissenschaftlichen Welt zu vermeiden. Denn man konnte sich nicht vorstellen, dass das Genom eine derartige Plastizität hat, um die Umwelt zu registrieren und sich ihr anzupassen.

Allerdings saß auch hier die Wahrheit am längeren Ast. Bald sah die geneigte Kollegenschaft, dass die smarte Barbara sehr wohl recht hatte: Unser Genom ist wie eine Drehtür, es kommen und gehen neue Erbgutabschnitte. Vorteil ist, dass dieser genetische Durchzug zur Evolution beiträgt. Nachteil ist, dass dabei auch Krankheiten entstehen. So werden manche Formen der Hämophilie von solchen mobilen Elementen ausgelöst, die bei der Geburt (oder sogar schon bei der Konzeption) bewirken, dass sich die Blutgerinnungskontrolle verändert.

Heute kennt man verschiedene Klassen von transponierbaren Elementen in den Genomen unterschiedlichster Arten, von der Fruchtfliege über den Eisbären bis hin zum Menschen. Ungefähr drei Prozent des menschlichen Genoms besteht aus Transposons der DNA – so wie sie McClintock im Mais studiert hat.

Eine weitere Art sind die Retrotransposons, häufiger in unserem Genom anzutreffen als Partygäste bei Charlie Sheen. Sie beinhalten transponierbare Elemente, die ihren Ursprung in Viren haben und rund 10 Prozent unseres Genoms ausmachen. Diese Elemente kann man Jahrtausende zurückverfolgen. Sie entstanden, als Viren sich in das Genom von Spermien oder Eizellen integrierten, und so von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden.

 

Bestimmte Retroposons sind auch in der Lage, sich selbst von einem Bereich des Genoms auf einen anderen zu kopieren und können dabei angrenzende genetische Sequenzen im Huckepack-Verfahren mitnehmen. Denn der Stopp-Befehl solcher Retrotransposons ist meist so schwach, dass die Enzyme der Transkription an diesem Signal nicht halten und weiter in das benachbarte Genstück hineinwirken.

Die Interaktion zwischen Genom und Epigenom – ein weiterer Berührungspunkt zwischen Erbgut und Umwelt.

Andere Mechanismen, die eine Korrespondenz zwischen Umwelt möglich machen, hat ein Forscherteam unter der Leitung des Molekularbiologen John Rinn von Harvard möglicherweise gefunden, als er die unnützen Chromosomenabschnitte, den genetischen Müll, durchsucht und dabei Codes für etwa 1.600 Ribonukleinsäuren fand, die linc-RNA genannt werden. Sie dienen nicht als Grundlage für die Proteinsynthese, sondern greifen regulierend in den Zellstoffwechsel ein. Wenn sich differenzierte Zellen teilen, müssen sie Informationen in sich tragen, die ihnen den Befehl geben, ähnlich wie oder anders als die Mutterzelle zu werden. Das Genom alleine kann das nicht übernehmen, da jede Zelle alle Gene mit sich schleppt. Man vermutet, dass es – neben der epigenetischen Information – diese linc-RNA sind, die das Schicksal der Zellen nach jeder Teilung determiniert und die bis zu einem bestimmten Grad von außen und auch epigenetisch geprägt werden können. Damit steht der Evolution ein wirksames spiegelhaftes Anpassungsinstrument zur Verfügung.

Dass es der Ablesemodus von einzelnen Genen ist, der die Entwicklung der Arten bestimmt, und dass dadurch ein weit besserer Mechanismus als die mutation per random, willkürlich, für die Anpassung und Adaption zur Verfügung stünde, haben vor kurzem US-amerikanische Forscher in Nature berichtet. Unmittelbar vor der Aufspaltung zwischen Homo sapiens und den übrigen Primaten gab es offensichtlich einen richtigen Tsunami im Erbgut des zukünftigen Menschen. Zahlreiche Genabschnitte wurden verdoppelt – allerdings ausschließlich solche, die als »dunkle Materie« zwischen den einzelnen Genen lokalisiert sind und die von früheren Forschergenerationen als junk DNA, als wertlose Pausenfüller, eingestuft wurden. Ihre Aufgabe besteht aber offensichtlich darin, die Formbarkeit einzelner Genabschnitte zu modulieren und mitzuentscheiden, ob manche Gene länger oder kürzer abgelesen werden. Sie sind Relais-Stationen zwischen »außen« und »innen« und scheinen für die Entwicklung der Arten von hoher Bedeutung gewesen zu sein.

Im Hinblick auf die junk DNA nimmt das Genom aller Säugetiere ohnedies eine Sonderstellung ein. Wie Axel Meier im Journal of Molecular Evolution (Hoegg et al., 1990) zeigte, ist die Verteilung dieser bedeutungslosen »Genhülsen« im Erbgut der Plazentatiere häufiger vorgekommen als bei Mikroben, Insekten und Pilzen. Sie bleiben in der weiteren Evolution hoch konserviert, ein Indiz für ihre wirkliche Bedeutung in der Evolution.

Die hohe Adaptionskraft von Lebewesen und der Dialog mit der Umwelt könnte durch viele weitere Beispiele illustriert werden: So informiert der als »Sigmafaktor« bezeichnete Transmitter die RNA-Polymerase darüber, dass bei ansteigender Wärme Schutzmaßnahmen notwendig sind. Die Frage war, woher der Bote die Nachricht erhielt, dass plötzlich eine gefährliche Temperatur eintritt. Die Information kommt, wie neueste Erkenntnisse zeigen, von der DNA.

Die Werkzeugkästen der Evolution sind voll mit genialen Instrumenten, um sich der Umwelt anpassen zu können.

Feuerbachs Religionskritik hatte noch eine Theologie vor sich, in der man davon ausging, dass der Weltenbaumeister in die Naturvorgänge eingreift. Dass dem nicht so ist, haben in der Zwischenzeit manche Theologen gelernt. Lernen musste aber auch die Naturwissenschaft, dass der Mensch zum großen Teil ein Spiegel von außen ist. Auch seine Gedanken und »Erfindungen«. Was bedeutet, dass jeder von uns, Sie und ich, möglicherweise geprimt, also beeinflusst wurde, bevor er einen Gedanken hervorbringt.

Die zündende Idee wäre dann nur das Ergebnis eines Wisperns aus der Unendlichkeit. Als würde jemand ganz leise flüsternd einsagen.