James Bond 17: Der Kunstsammler

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Sari: James Bond #17
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»Bedeutet das, dass Sie doch hier sind, um etwas zu verkaufen, Professor?«, fragte einer der Journalisten gerissen.

»Das ist meine Angelegenheit.«

Im Loews Drake Hotel an der Ecke Sechsundfünfzigste Straße und Park Avenue wartete der Aktenkoffer auf sie. Bond packte ihn vorsichtig aus und trennte schnell die Drucke von den Waffen. Die Drucke würden in den Hoteltresor wandern. Und die Waffen? Nun, er würde die VP70 bei sich tragen, während er die Messer in den speziell angefertigten Sprungfederfächern in seinem eigenen Aktenkoffer verstauen würde, die die Q-Abteilung vor Jahren für ihn eingebaut hatte. Bond war so sehr ins Sortieren vertieft, dass er die kühle Ausstrahlung, die sich wie eine Schlechtwetterfront um Cedar gelegt hatte, gar nicht wahrnahm.

Während der Tage in dem Unterschlupf in Kensington hatte sie darauf bestanden, ihn einfach nur mit »Bond« anzureden. Als er sie höflich und mit seinem üblichen Charme gebeten hatte, ihn James zu nennen, hatte sich Cedar geweigert. »Ich weiß, dass Sie und mein Vater Kumpel sind«, hatte sie ohne ihn anzusehen gesagt, »aber wir haben eine professionelle Beziehung. Ich nenne Sie Bond – außer wenn wir uns in der Öffentlichkeit befinden und Mann und Frau spielen. Sie nennen mich Leiter.«

James Bond hatte gelacht. »Okay, Sie können das gerne so machen. Aber ich fürchte, ich werde Sie weiterhin Cedar nennen.«

Nachdem er die Drucke im Tresor verstaut hatte, stand Cedar mit vor der Brust verschränkten Armen in der Mitte des Zimmers und tippte mit dem Fuß auf den Boden – eine äußerst attraktive Pose, ob das nun beabsichtigt war oder nicht.

»Was ist los?«, fragte er forsch.

»Was glauben Sie denn, was los ist?«

Bond zuckte mit den Schultern. Er war ein Gewohnheitstier und hatte deswegen angefangen, wie üblich seine Sachen auszupacken. Er hatte sogar seinen Bademantel auf das große Doppelbett geworfen. »Ich habe keine Ahnung.«

»Das da zum Beispiel.« Sie deutete auf den Bademantel. »Wir haben noch nicht einmal besprochen, wer das Bett bekommt und wer auf der Couch schläft. Soweit es mich betrifft, Mr James Bond, ist diese Ehe vorbei, sobald wir unter uns sind.«

»Nun, natürlich nehme ich die Couch.« Dann verschwand er in Richtung Badezimmer und rief über seine Schulter: »Keine Sorge, Cedar, bei mir werden Sie so sicher sein wie eine Nonne. Und Sie können gerne das Bett haben. Ich habe es ohnehin immer vorgezogen, unbequem zu leben.«

Er konnte ihre Gereiztheit hinter seinem Rücken spüren, doch als er aus dem Bad kam, stand Cedar noch immer neben dem Bett und wirkte fast zerknirscht. »Es tut mir leid, James. Es tut mir wirklich leid, dass ich so etwas von Ihnen gedacht habe. Mein Dad hatte recht. Sie sind ein Gentleman im wahrsten Sinne des Wortes.«

Bond errötete nicht, obwohl »Gentleman« nicht gerade das Wort war, mit dem Damen ihn beschrieben.

»Dann kommen Sie, Cedar. Wir sollten ausgehen und uns amüsieren – oder zumindest zu Abend essen. Ich kenne hier ganz in der Nähe ein Restaurant.«

Sie gingen zu Fuß zum eleganten Le Périgord in der Zweiundfünfzigsten Straße Ost.

»Wenn man in dieser Stadt echtes französisches Essen haben will, ist man hier genau richtig«, erklärte Bond Cedar und bemerkte weder das leichte Zucken ihrer Augenbrauen noch das Lächeln, das über ihr Gesicht huschte, als sie hörte, wie ein Engländer ihr, einer waschechten Amerikanerin, erzählte, wo man in New York das beste Essen bekam.

Sie gab jedoch zu, dass er recht hatte, denn die Mahlzeit hätte nicht besser sein können – auch wenn Bond das einfachste aller Gerichte wählte: asperges de Sologne à la Blésoise – dicken, zarten Spargel in einer Soße aus Sahne, Zitronen- und Orangenschalen und einem Spritzer Grand Marnier auf Basis einer Hollandaise –, pochierte Seezungenfilets au champagne und eine tarte de Cambrai mit Birnen, die auf der Zunge zerging.

Sie teilten sich eine Flasche ’69er Dom Pérignon – den Bond für »sicher« erklärte –, und Cedar entspannte sich und fing an, den Abend zu genießen, was für sie offenbar eine befremdliche Erfahrung war. Denn obwohl Bond nicht ein einziges Mal seine Rolle als Joseph Penbrunner vergaß, glaubte sie, den Mann hinter der Tarnung sehen zu können, den Mann, von dem ihr Vater so oft gesprochen hatte: die unvergesslichen graublauen Augen; das attraktive dunkle Gesicht, das ihren Vater in jüngeren Jahren immer an Hoagy Carmichael erinnert hatte; der harte, fast grausame Mund, der so unerwartet weich werden konnte. Sie konnte das, was sie fühlte, nur als eine Art magnetische Anziehungskraft beschreiben, und sie kam nicht umhin, sich zu fragen, wie viele andere sie vor ihr empfunden hatten.

Nach dem Essen gingen sie zurück ins Drake, holten den Zimmerschlüssel ab und nahmen den Fahrstuhl in den dritten Stock.

Die drei kräftigen Männer in schicken, gut geschnittenen Anzügen umzingelten das Paar, als sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlossen. Noch bevor Bond in sein Jackett greifen und den Griff der VP70 erreichen konnte, legte sich eine Hand um sein Handgelenk, während ihm eine andere die Pistole abnahm.

»Wir werden jetzt ruhig auf Ihr Zimmer gehen, Professor«, sagte einer der Männer. »Keine Sperenzchen. Wir überbringen lediglich eine Einladung von jemandem, der Sie sehen will, klar?«


GEWALTSAME EINLADUNG

Zu der Arbeit, die Cedar und Bond gemeinsam in dem geheimen Unterschlupf in Kensington absolviert hatten, gehörte auch die Absprache einer Reihe von Signalen und Bewegungen, die sie in einer Situation wie dieser benutzen würden. Bond nickte in Richtung des schweren Mannes, der gesprochen hatte, kratzte sich an der rechten Schläfe und hustete. Für Cedar bedeutete das: »Machen Sie, was die sagen, aber achten Sie darauf, was ich tue.«

»Machen Sie bloß keinen Quatsch«, drohte der größte der drei Männer. Er war ein paar Zentimeter größer als Bond und hatte den muskulösen Körperbau und die fassartige Brust eines Gewichthebers. Die anderen wirkten gleichermaßen stark und durchtrainiert. Professionelle Gangster, dachte Bond, professionell und erfahren.

Der große Mann hatte Bond den Zimmerschlüssel abgenommen. Nun öffnete er ruhig die Tür und drängte das Paar hinein. Ein schneller, heftiger Stoß beförderte Bond auf einen Stuhl, und Hände, sie sich wie zwei Schraubstöcke anfühlten, hielten seine Schultern von hinten fest. Cedar wurde auf ähnliche Weise behandelt.

Es dauerte einen Augenblick, bis Bond den vierten Mann bemerkte, der am Fenster stand und gelegentlich auf die Straße hinunterschaute. Er musste sich bereits im Zimmer befunden haben, als sie eingetreten waren. Bond erkannte ihn sofort als den schlanken, athletischen Mann mit dem ordentlichen Militärschnurrbart und dem viel zu eleganten rotbraunen Smoking, der zuvor in der Hotellobby auf ihn zugekommen war und ihm eine Visitenkarte mit Goldrand in die Hand gedrückt hatte. Der Mann hatte sich ihm als Mike Mazzard vorgestellt, etwas davon gesagt, dass er beim Presseempfang am Flughafen gewesen sei, und gemeint, er wolle sich unter vier Augen mit ihm über die Drucke unterhalten. Bond hatte darauf recht schroff reagiert und den Vorschlag eines Drinks in einem Casino abgelehnt, da er den Mann für einen Journalisten gehalten hatte, der hinter einem Exklusivinterview her war – auch wenn er keine Zeitung erwähnt hatte. Bond hatte sich die Visitenkarte nicht einmal richtig angesehen, sondern sie einfach nur in seine Tasche gesteckt und erklärt, dass er sich mit niemandem treffen würde, bevor sie sich eine Nacht lang anständig ausgeruht hatten.

»Also, Professor«, sagte der große Mann, der eine Position in der Mitte des Raums eingenommen hatte und beiläufig die VP70 von einer Hand in die andere warf wie ein Gorilla, der mit einem Stein spielte. »Sie tragen eine Waffe bei sich, was? Wissen Sie, wie man damit umgeht?«

Bond behielt seine Tarnung bei und ließ ein aufgeblasenes Stammeln vernehmen, mit dem er seine Empörung verdeutlichen wollte. »Selbstverständlich weiß ich, wie man damit umgeht«, ereiferte er sich. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich im Krieg …«

»Was für ein Krieg soll das gewesen sein, mein Freund?«, schnaubte der Mann, der ihn festhielt. »Die Amerikanische Revolution?«

Die drei Muskelprotze brachen in schallendes Gelächter aus.

»Ich war Offizier im Zweiten Weltkrieg«, sagte Bond würdevoll. »Ich habe mehr Kämpfe gesehen als …«

»Der Zweite Weltkrieg ist schon eine ganze Weile her, mein Freund«, unterbrach ihn der große Mann und wog die VP70 direkt vor Bond in seiner Hand. »Sie haben hier eine ganz schön tödliche Waffe. Warum tragen Sie sie überhaupt bei sich?«

»Zum Schutz«, schnauzte Bond in bester Penbrunner-Manier.

»Ja, das dachte ich mir. Aber zum Schutz vor was?«

»Straßenräubern. Dieben. Grobianen wie Ihnen. Leuten, die uns bestehlen wollen.«

»Wann wirst du endlich ein paar Manieren lernen, Joe Bellini?«, fragte die ruhige, gemäßigte Stimme vom Fenster aus. »Wir sind mit einer Einladung hier, nicht um Professor Penbrunner in seinem eigenen Zimmer in die Mangel zu nehmen. Erinnerst du dich?«

»Sie bestehlen? Wir sind nicht hier, um Sie zu bestehlen«, fuhr der massige Mann namens Bellini mit geheuchelter Höflichkeit fort, während sich auf seinem Gesicht gekränkte Unschuld spiegelte. »Sie haben ein paar Bilder, richtig?«

»Bilder?«

»Ja, irgendwelche besonderen Bilder.«

 

»Drucke, Joe.« Der Mann am Fenster sprach nun mit mehr Autorität in der Stimme.

»Ja, Drucke. Danke, Mr Mazzard. Sie haben Drucke von einem Kerl namens Ho-irgendwas.«

»Ho-garth, Joe«, soufflierte Mazzard, ohne den Blick von der Straße unter sich abzuwenden.

»Ich besitze ein paar Hogarth-Drucke«, erwiderte Bond nachdrücklich. »Sie zu besitzen und sie zu haben, ist nicht ganz dasselbe.«

»Wir wissen zufällig, dass Sie sie hier haben«, sagte Joe Bellini mit vorgetäuschter Geduld. »Im Hoteltresor.«

Mike Mazzard drehte sich am Fenster herum, um Bond anzusehen, der nun erkannte, dass dieser Mann der bei Weitem gefährlichste der vier war. Seine Haltung strahlte eine gewisse Glätte und Autorität aus.

»Reden wir mal Klartext«, sagte er. »Niemand wird Ihnen beiden etwas antun. Wir wollen nur, dass Sie die Situation verstehen. Wir sind als Repräsentanten von Mr Bismaquer hier, der diese Hogarth-Drucke sehen will. Nennen Sie es eine Einladung. Aber er will nicht bis morgen auf eine Antwort warten. Sie haben seine Karte – die, die ich Ihnen in der Lobby gegeben habe. Ich schätze, er will Ihnen ein Angebot machen …«

Joe Bellini lachte. »Ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können, was?«

Mazzard wirkte nicht erfreut. »Sei still, Joe. Es ist ein direktes Angebot. Sie müssen lediglich an der Rezeption anrufen und bitten, dass die Drucke hierher gebracht werden, dann können wir uns auf den Weg machen.«

Bond schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, entgegnete er lächelnd. »Ich habe einen Schlüssel. Die haben den anderen. Wie bei einer Bank. Die Drucke befinden sich in einem Tresorfach«, log er. »Nur der diensthabende Mitarbeiter und ich können sie herausholen. Nicht einmal meine Frau …«

Voller Erleichterung beglückwünschte sich Bond dazu, sich in letzter Minute umentschieden und beschlossen zu haben, dass die Drucke im Geheimfach des Saabs sogar noch sicherer sein würden, besonders falls sie das Hotel schnell verlassen mussten.

»Wie Mr Mazzard schon sagte«, fuhr Joe Bellini unbeirrt fort. Seine Höflichkeit war nun vollkommen verschwunden. »Wir wollen niemanden verletzen. Aber wenn Sie nicht kooperieren, dann können Louis und Kid« – er deutete auf den Mann, der Bond festhielt – »die Situation für Ihre kleine Lady sehr unangenehm machen.«

Mazzard trat vom Fenster weg, ging um Joe herum, der noch immer mit der VP70 spielte, und blieb vor Bond stehen.

»Professor Penbrunner. Darf ich vorschlagen, dass Sie und Joe gemeinsam nach unten gehen und die Drucke holen, damit wir dann alle zum Kennedy-Flughafen fahren können? Mr Bismaquer hat seinen Privatjet geschickt, um Sie abzuholen. Er hatte wirklich gehofft, dass Sie ihm beim Abendessen Gesellschaft leisten würden. Dafür ist es jetzt schon ein wenig spät. Aber wir können die verlorene Zeit wettmachen, und Sie und Mrs Penbrunner können sich auf der Ranch ausschlafen. Dort fühlen Sie sich sicher wohler als in dieser Absteige, das kann ich Ihnen versichern. Also, was sagen Sie?«

»Hören Sie, Mazzard«, stieß Bond hervor. »Das ist eine Unverschämtheit! Ich habe Ihnen bereits zuvor gesagt, dass ich vor morgen keine Verabredungen treffe. Wenn Sie diesen Mann wirklich repräsentieren – Bismaquer sagten Sie, sei sein Name …?«

»Sparen Sie sich das für die Nachwelt«, unterbrach ihn Bellini, »und lassen Sie uns loslegen. Und versuchen Sie ja keine Dummheiten.« Er ging zu Cedar und riss ihr mit einer beiläufigen Handbewegung das Kleid vom Hals bis zur Taille auf, dabei enthüllte er, dass sie keinen Büstenhalter trug.

»Nett«, keuchte Louis und spähte über die Schulter, die er noch immer festhielt, nach unten. »Sehr nett.«

»Schluss damit«, befahl Mazzard. »Für derlei Dinge besteht kein Anlass. Es tut mir leid, Professor, aber Sie müssen verstehen, dass Mr Bismaquer nicht daran gewöhnt ist, ein Nein als Antwort zu erhalten. Also, ich werde Ihre Sachen zusammensuchen, während Sie und Joe die Drucke holen. Wir können schon bald am Kennedy-Flughafen und in der Luft sein, wenn wir uns beeilen.«

Bond nickte. »In Ordnung«, sagte er leise. Er war ein wenig aus der Fassung gebracht, weil auch er für etwa eine Sekunde nicht in der Lage gewesen war, den Blick von Cedars teilweise entblößten Brüsten zu lösen. »Aber meine Frau wird sich umziehen müssen. Wir können die Drucke auf dem Weg nach draußen abholen …«

»Wir holen die Drucke jetzt«, sagte Mazzard tonlos. Er duldete keine weiteren Diskussionen. »Hör auf, mit der Waffe des Professors herumzufuchteln, Joe. Leg sie in den Schrank, du hast deine eigene.«

Joe Bellini zog einen kleinen Revolver aus seinem Jackett. Nachdem er Bond gezeigt hatte, dass er bewaffnet war, steckte er seine eigene Waffe wieder ein und legte die VP70 auf den Nachttisch.

Mazzard nickte Kid zu, und der schraubstockartige Griff um Bonds Schultern löste sich. Bond bewegte vorsichtig die Arme und versuchte, seinen Blutkreislauf so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen. Gleichzeitig hustete er kurz und fegte einen nicht vorhandenen Faden von seinem Revers – mit diesen Gesten signalisierte er Cedar, sich bereitzuhalten. Laut sagte er, dass er seinen Aktenkoffer benötige.

»Mein Schlüssel befindet sich darin.« Er deutete auf die Stelle, an der der Koffer neben dem zusammenklappbaren Gepäckständer aus Stahl stand.

Mazzard nahm den Aktenkoffer, wog ihn und hob ihn dann ein paar Mal mit einer Hand ruckartig an. Zufrieden reichte er Bond den Koffer. »Nur den Schlüssel, und dann folgen Sie Joe.«

Der Aktenkoffer war eine Version seiner ursprünglichen Tasche von Swaine & Adeney und von Q’utie für 007s aktuelle Operation modifiziert worden. Seine wichtigste Besonderheit – eine effektive Vorrichtung, die auf einem der Geheimfächer in Bonds ursprünglicher Tasche basierte – waren zwei schmale, mit Sprungfedern versehene Fächer, die in das Innenfutter der rechten Seite eingenäht waren. Wenn man am linken Zahlenschloss drei Mal die Drei und am rechten drei Mal die Zwei einstellte, reagierten die Sprungfedern jeweils mit einem Abstand von fünf Sekunden und warfen die Griffe von Bonds Sykes-Fairbairn-Messern durch den Boden des Koffers aus.

Als er den Koffer auf den Schoß nahm, schätzte Bond die Situation ein. Sie befanden sich zweifellos in einer Zwangslage, denn Bond wurde nun langsam klar, dass er nicht nur niemanden an das Tresorfach lassen durfte, sondern auch nicht zulassen konnte, dass diese Gangster die Geheimnisse des Saabs entdeckten. Für einen flüchtigen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Joe aus dem Weg zu räumen, bevor sie den Wagen erreichten. Mit einem Mann auf offenem Gelände würde er sehr viel leichter fertigwerden, als mit vier von ihnen in einem geschlossenen Raum. Aber was würde dann aus Cedar werden? Wenn er Alarm auslöste, konnte niemand sagen, was sie ihr antun würden. Er konnte das Risiko nicht eingehen. Die Alternative – den Spieß hier und jetzt umzudrehen – schien sehr unrealistisch. Konnte er sich auf Cedars schnelle Reaktion verlassen? Er blickte in ihre Richtung, ihr Blick traf den seinen und verriet ihm, dass sie bereit war.

Mazzard stand am nächsten bei ihm und würde der Erste sein, den er erledigen musste, beschloss Bond, während er vorsichtig das linke Drehschloss auf die drei Dreien drehte. Dann bewegte er den Koffer zur Seite, damit die drei schlanken verborgenen Messeröffnungen direkt über seinem rechten Oberschenkel lagen. Sobald Mazzard außer Gefecht gesetzt war, musste er sich auf Joe Bellini stürzen und bei den anderen beiden auf Glück und das Überraschungsmoment vertrauen. Alles hing von drei Dingen ab: seiner eigenen Genauigkeit, Cedars Bereitschaft und davon, wie schnell sich Kid bewegte.

Er verlagerte den Koffer leicht, dann stellte er am rechten Zahlendrehschloss drei Mal die Zwei ein. Als Bond den Koffer erneut bewegte, ertönte kein Geräusch. Er schob seine Hand darunter, bereit, das erste Messer nach der fünfsekündigen Verzögerung zu packen. Er spürte, wie der Griff in seine rechte Hand glitt, und da er wusste, dass er nur fünf Sekunden hatte, bis das zweite Messer bereit war, machte er seinen Zug.

Wurfmesser sind so genau ausbalanciert, dass selbst ein Experte Schwierigkeiten gehabt hätte, die Waffe so zu lenken, wie Bond es beabsichtigte. Ein behänder, richtig ausgeführter Wurf sollte immer dafür sorgen, dass sich die Spitze der Klinge in einer nach vorne gerichteten, horizontalen Position befindet, wenn sie ihr Ziel erreicht.

Bond wollte niemanden verletzen, sofern es sich vermeiden ließ. Aus diesem Grund mussten beide Würfe außergewöhnlich präzise und gleichzeitig ein wenig aus dem Takt sein, damit der schwere Knauf über dem Griff das anvisierte Ziel vor der rasiermesserscharfen Klinge treffen würde.

Bond bewegte sich kaum merklich auf seinem Stuhl. Er ließ sein Handgelenk zucken, legte ein Maximum an Kraft in seinen ersten Wurf und griff genau rechtzeitig nach unten, um das zweite Messer zu packen, das aus dem Koffer gestoßen wurde.

Mit dem ersten Messer hatte er tadellos gezielt. Der Knauf traf Mazzard mit einem dumpfen Schlag – mitten zwischen die Augen. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sein Kopf lautlos zurückzuckte, das Messer zu Boden fiel und sein Körper ihm folgte. Cedar bewegte sich im selben Augenblick wie Bond. Sie stemmte ihre Füße gegen den Boden und schleuderte die Rückenlehne des Stuhls unter Zuhilfenahme ihres ganzen Gewichts gegen Louis, der davon vollkommen überrumpelt wurde, da ihn Mazzards plötzlicher Sturz abgelenkt hatte. Bond nahm nur das Ächzen und das Krachen wahr, als der Mann durch Cedar und das schwere Möbelstück umgeworfen wurde.

Mittlerweile befand sich das andere Messer in Bonds Hand. Sein Körper drehte sich ein kleines Stück, um sich Joe vorzunehmen, dessen Reaktionsvermögen wesentlich schneller war, als 007 erwartet hatte. Glücklicherweise gelang es dem großen Mann lediglich, sich ein paar Zentimeter nach links zu bewegen, sodass ihn der Knauf des zweiten Messers hart neben seinem rechten Ohr traf.

Wie erstarrt hielt Joe Bellini mitten in der Bewegung inne. Seine Hand verharrte auf halbem Weg zu der Tasche, in der sich der Revolver befand. Das Messer fiel ungünstig zu Boden, schnitt dabei in sein Ohr und trennte es beinahe ab. Er stieß einen erstickten Schrei aus, stolperte vorwärts und stürzte quer über Cedar und Louis, die auf dem Boden miteinander rangen.

Kid bewegte sich unentschlossen hinter Bond, der den Koffer fallen ließ und vom Stuhl aufsprang, indem er sein ganzes Gewicht auf seine Fußballen verlagerte. Er stürzte sich auf die VP70, die auf dem Nachttisch auf ihn wartete.

Er schnappte sich die Waffe mit einem wilden Karateschrei, der ihm den Atem raubte. Er legte die drei Schritte in weniger als zwei Sekunden zurück. Noch während seine Hand den Griff der Pistole packte und sein Daumen die Waffe entsicherte, wirbelte Bond mit ausgestreckten Armen herum, bereit, auf das erste gefährliche Ziel zu schießen.

Kids rechte Hand war halb in seinem Jackett, als Bond rief: »Keine Bewegung. Stopp!« Kid bewies einen raffinierten Überlebenssinn. Er hielt inne, seine Hand zögerte für eine Sekunde, dann sah er Bond in die Augen und gehorchte.

Genau in diesem Moment befreite sich Cedar. Sie sprang mit verblüffender Geschwindigkeit auf die Füße und ließ beide Hände in einem heftigen Doppelschlag nach unten sausen, sodass sie die Seiten von Louis’ Hals trafen. Der Mann ächzte und sackte zu Boden. Bond ging zu Kid, lächelte, griff in das Jackett des anderen Mannes, zog die Waffe heraus, die er hatte benutzen wollen, und versetzte ihm dann einen harten Schlag hinter das Ohr, woraufhin Kid seinen Freunden in der Bewusstlosigkeit Gesellschaft leistete.

»Ziehen Sie sich um, Cedar«, sagte Bond leise, dann fügte er nach kurzem Überlegen hinzu: »Nein, helfen Sie mir erst mit diesen Kerlen.«

Gemeinsam nahmen sie den vier Gangstern ihre Waffen ab. Cedar schien gar nicht zu merken, dass ihre Brüste vollkommen unbedeckt waren. Bond griff in ein Spezialfach seines Aktenkoffers und fischte eine kleine versiegelte Plastikkiste heraus, die er mit Gewalt öffnete. Er nahm den Chloroformlappen heraus und wandte ihn bei den vier Männern an, die ausgestreckt auf dem Boden lagen.

»Krude und nicht sehr effektiv, aber es ist leichter, als ihnen allen Tabletten einzutrichtern«, erklärte Bond. »Es ist ausschließlich für Notfälle wie diesen hier gedacht. Altbewährte Methoden sind oft die besten. Zumindest haben wir auf diese Weise eine halbe Stunde lang Ruhe.«

Sie fesselten die Hände und Füße der vier Männer mit ihren eigenen Gürteln, Krawatten und Taschentüchern. Dabei bemerkte Cedar, was Bonds Messer mit Joe Bellinis Ohr angestellt hatte – der obere Teil der Ohrmuschel war durchgeschnitten und ein Teil davon baumelte als blutiger Fetzen herunter. Er hing nur noch an einem dünnen Gewebestreifen am äußeren Rand. Bond holte etwas Salbe aus seinem bestens ausgestatteten Koffer, um die Blutung zu stoppen. Cedar passte das herunterhängende Stück wieder an seine ursprüngliche Stelle an und verband das Ohr so gut sie konnte mit Mull und Heftpflastern aus dem Badezimmerschrank.

 

Schließlich realisierte sie, dass sie halb nackt war. Sie zog sich ohne Verlegenheit bis auf die enge weiße Unterhose aus, schlüpfte in eine Jeans und zog sich ein Hemd über, während Bond ihre Sachen eilig in ihre Taschen warf. Plötzlich erinnerte er sich an die mit Goldrand versehene Visitenkarte, die er bei der ersten Begegnung mit Mike Mazzard in der Hotellobby in seine Tasche gesteckt hatte. Er zog sie hervor und betrachtete sie.

Auf der einen Seite befand sich eine Art Wappen mit dem kunstvoll verschnörkelten Buchstaben B darin. Darunter standen die Worte »Markus Bismaquer«, die ebenfalls mit Schnörkeln geschmückt waren. Und darunter standen in winzigen Blockschriftgroßbuchstaben die Worte: UNTERNEHMER – AMARILLO, TEXAS. Auf die Rückseite der Karte war handschriftlich eine kurze Nachricht gekritzelt worden:

Prof & Mrs Penbrunner –

Erweisen Sie mir die Ehre, für ein paar Tage meine Gäste zu sein. Bringen Sie die Hogarths mit. Es wird Ihrer Mühe wert sein. Mein Sicherheitsleiter, Mike Mazzard, wird Sie zu meinem Privatjet am Kennedy-Flughafen bringen.

M. B.

Ganz unten an den Rand war wie ein nachträglicher Einfall noch die beharrliche Bitte gequetscht worden, dass sie zum Abendessen da sein sollten. Außerdem stand dort eine Telefonnummer, unter der sie anrufen sollten, falls es irgendwelche Schwierigkeiten gab. Bond reichte Cedar die Karte.

»Also auf nach Amarillo. Mit dem Auto, denke ich«, sagte er knapp. »Das werden sie nicht erwarten. Haben Sie all Ihre Sachen?«

Bond sah Sorge über Cedars Gesicht huschen. »Ihr Ruf wird Ihnen vorauseilen, James.« Ein kleines funkelndes Lächeln blitzte auf, als sie seinen Vornamen gebrauchte.

»Sie meinen, weil ein alter Mann wie Penbrunner Wurfmesser benutzt und ein paar Karatetricks angewandt hat?«, fragte Bond und schob die Messer wieder in ihre Sprungfederfächer im Aktenkoffer.

»So ist es.«

Er überlegte einen Augenblick. »Bismaquer ist hinter uns her. Er wird schon bald wissen, dass er mit uns kein leichtes Spiel hat. Es wird interessant sein, zu sehen, wie er reagiert. Und jetzt sollten wir endlich von hier verschwinden.«

»Was ist mit denen? Werden Sie die Polizei rufen?«

»Wir wollen nicht, dass man hier Zeter und Mordio schreit. Ich lasse etwas Geld und den Schlüssel in einem Umschlag in der Wäschekammer. Mir ist aufgefallen, dass sie sie offen lassen. Zum Glück hat diese Tür ein altmodisches Schloss, das man von innen ohne Schlüssel nicht öffnen kann. Sie werden es nicht eilig haben, unten an der Rezeption anzurufen, und sie werden eine ganze Weile brauchen, um das Schloss zu knacken und nach draußen zu gelangen.«

Bond beugte sich vor, um zu sehen, ob er in Mazzards Tasche einen weiteren Schlüssel finden konnte, und zog einen Generalschlüssel hervor, den der Mann durch die Bestechung eines Zimmermädchens in seinen Besitz gebracht haben musste.

»Zeit zu gehen«, sagte er knapp. »Wir nehmen die Hintertreppe.«

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