Der Fall - Amos Cappelmeyer

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Notiz: Etwas dagegen tun, wenn jetzt öfter Besuch kommen sollte. Vor dem Briefschlitz bildetet sich ein Berg, teils unnützes Papier. Rechnungen, Mahnungen, Postwurfsendungen an Herrn Kapellmeister, der Gemeindebrief, der Gasableser wollte gekommen sein, et cetera. Wie lang war ich eigentlich fort gewesen?

Etwas roch ziemlich unangenehm. Mir erschloss sich noch nicht, was das sein könnte. Annemarie bemerkte es auch und rümpfte die Nase. Na wunderbar. Der erste Eindruck war entscheidend, hieß es und ich hauste offenbar in einer Kloake.

»Was ist das bloß, Amos? Hast du etwa Leichen im Keller?«

»Aber nein, ich weiß auch nicht«, antwortete ich gedehnt und schaute mich suchend um. Mein Blick blieb am Goldfischglas kleben.

»Ach du Scheiße! Kevin!«

Annemarie schaute erst entsetzt, zog eine Grimasse und begann lauthals zu lachen, so dass sie sich den Bauch halten musste.

»Du hast, entschuldige - hattest, einen Goldfisch namens Kevin? Du wills mich verkackeiern, oder?«

»Nein«, ich schüttelte den Kopf. Ich fand das gar nicht zum Lachen. »Einen Moment, das haben wir gleich. Du kannst schon mal das Küchenfenster öffnen, wenn es dir nichts ausmacht.« Ich trat an das Tischchen heran, wo mein Mitbewohner klaglos sein Leben gefristet hatte, bis ich ihn dort vergessen hatte, nahm behutsam das runde Glas und trug es mit angehaltenem Atem nach draußen. Tut mir wirklich leid, alter Kumpel. Ich kümmere mich später um dich.

Dann setzte ich meinem Gast und mir einen Kessel Wasser für Tee auf, bestaunt von Annemaries wie das achte Weltwunder. Während ich Tassen aus dem Schrank kramte, hatte sie andere Pläne mit mir.

»Das Schlafzimmer ist oben? Komm mit.«

»Der Tee braucht noch ein paar Minuten«, antwortete ich verlegen.

»Der Tee kann warten.«

»Ich würde dich ja die Treppe rauftragen, aber wie du siehst, wäre das keine tolle Idee«, und deutete auf meinen lädierten Körper.

»Ja, ich weiß. Schade, ich wollte gern von der lebenden Legende kosten.«

»Legende? Was meinst du nur?«

»Ach nichts, war nur so daher gesagt. Du solltest dich nichtsdestotrotz ausruhen.«

Wie, ausruhen? Ich dachte, ...

»Klingt verlockend. Sollte ich tun. Na, dann komm, ich zeig dir alles.« Ihren geilen Körper könnte ich morgen ja noch in aller Ruhe bestaunen.

Wir betteten uns schicklich in meinem 1,40m Futonbett aus den frühen 80er Jahren, in dem noch nie zuvor ein weibliches Wesen eine komplette Nacht verbracht hatte, wie ich zu meiner Schande gestehen musste.

Sie träumte, begleitet von wilden Bewegungen und endete in einem bitterlichen Weinen, dermaßen herzzerreißend, dass ich meine eigenen Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

Kapitel Acht
Daheim

Die Sonne durchflutete die Schlafkammer im Dachgeschoss. Frisch geschnittene Blumen sandten ihren Duft von der Nachtkonsole direkt in mein Riechorgan. Annemarie servierte Kaffee, Omelett und Brötchen auf einem Tablett. Ein Kuss von ihr verdrehte meine Sinne. Ihre eiskalte Hand wärmte sie unverblümt an meinen Lenden, schwang sich auf meine Oberschenkel und fütterte mich mit Brötchen, dem Saft ihrer Leidenschaft und heißem Kaffee. Die Dame verschwendete keine Zeit, holte sich was und wann sie es wollte. Sie war in ihrem Element. Ein Multitalent in jeder Hinsicht, wie ich geknickt feststellen musste; noch während des Verwöhnens kontaktierte sie Audrette.

Ich war gesättigt, wir begaben uns in die Küche, sie lümmelte sich in meinen Lieblingssessel, mit dem Handy am Ohr und berichtete, was vorgefallen war. In einem Nebensatz ließ sie verlauten, dass die Amerikanerin genügend Lust übrig lassen solle. Wo war ich da reingeraten?

Ich betrachtete Annemarie aus dem Eingangsbereich der Bibliothek, meinem bevorzugten Raum, denn hier war noch alles, wie ich es aus meiner Kindheit kannte. Sie erschrak, als sie feststellte, dass ich ihr zugeschaut hatte, während sie sich genüsslich über ihre erogenen Zonen hergemacht hatte. Die Verabschiedung endete mit den Worten:

»Küsschen, meine Teure«. Ihre Augen strahlten vor Verliebtheit. Die verbitterte Frau von einst gehörte der Vergangenheit an.

Auf meinem Schreibtisch fand ich ein dickes Paket mit dem Stempel vom Verlag Kniebrecht. Merkwürdig. Dort hatte ich mein Gespräch gehabt, vor scheinbar unendlich langer Zeit. Danach herrschte Funkstille, obwohl meine Frist eindeutig verstrichen war. Annemarie suchte die Flucht nach vorne, schmiegte sich an mich, weinte leise. Dann umklammerte sie mich kraftvoll, doch ich riss den Karton auf und hielt mein Manuskript in den Händen, abgestempelt von Audrette Miller.

Schwerenot. Ein Polit-Thriller. Geschrieben von Amos Cappelmeyer.

Sakrament! Das soll mein Skript sein. Wie ist das möglich? Was wurde hier gespielt? Langsam kam ich da nicht mehr mit. Die Welt dreht sich auch ohne mich weiter, das leuchtete mir ein. Ich wandte mich zu Annemarie, fixierte ihre Augen.

»Weißt du etwas darüber? Du arbeitest doch in diesem Verbrecherladen. Sag mir die Wahrheit.«

»Nein! Wieso, das ist doch dein Buch. Du hast es eingereicht, kurz bevor die Frist ...« In diesem Augenblick zertrümmerte die Fensterscheibe in abertausend winzige Splitter, eine Kugel durchschlug die Bibliothekenwand knapp neben unseren Köpfen. Annemarie schrie. Ein Scheppern ertönte, das mich schaudern ließ.

»Oh weh, nicht die Uhr!« Die Wanduhr, eine Erinnerung aus vergangen Tagen - zerstört. Sie hing dort seit der Hochzeit meiner Großeltern, gleich neben dem Porträt von Honecker. Annemarie sah mit ernster Mine zu, wie ich vor den Trümmern kniete, warf nur einen kurzen Blick auf das Opfer und griff nach meiner Hand.

»Vergiss das alte Ding und komm mit, du Spinner!« Wir stahlen uns durch die Hintertür. »Wo kommen wir hier hin? Draußen läuft ein Schütze herum, der eindeutig einen Schalldämpfer benutzt hat. Ich weiß nicht, wo der Drecksack jetzt steckt! Das Übelste ist, ich konnte ihn als einen von Audrettes Leuten aus Dresden identifizieren.«

Audrette würde nicht begeistert sein. Ein Verräter in eigenen Reihen machte sich nicht gut.

»Is` nich` wahr. Ich weiß, wo wir hinkönnen. Hat mit Wasser zu tun.«

Wieder mal mit nichts auf der Haut stürmten wir in Richtung des Natursees, den mein Opa zu DDR-Zeiten für uns hatte anlegen lassen, als ich noch ein kleiner Steppke war. Der Steg führte ganze zwanzig Meter auf den See hinaus. Wir schauten uns einvernehmlich an. Und los! Entschlossen sprang ich in das kalte Nass. Mein Herz protestierte, Blut pumpte durch den Körper. Annemarie vollführte einen Köpper, ohne eine Mine zu verziehen. Eine Frau nach meinem Geschmack. Der See hatte eine Länge von einhundertfünfzig, eine Breite von achtzig und eine Tiefe von maximal zehn Metern. Das Wasser war um diese Jahreszeit glasklar und definitiv nicht zum Schwimmen gedacht. Annemarie tauchte auf den Grund, um mich an den Füßen hinunter zuziehen. Es war ein Spaß für sie, sie bewegte ihre Lippen und formte einen Satz, den einjeder gern hört:

»Ich liebe dich, Amos.« Ihre Augen zeigten Verlegenheit, Beschämung, zugleich wusste ich, dass sie die Affäre mit Audrette nie beenden würde. Dafür war ich viel zu lange solo und akzeptierte, obwohl ich diese Aussage für voreilig hielt. Liebe ... Was ist das? Ein Wort, das ich bisher noch nie vernommen hatte. Bloß meine Oma hatte manchmal »Hab dich lieb, mein kleiner Bubbele«, gesagt. Aber genug davon ...

Ich tauchte voran und präsentierte meinen geheimen Unterschlupf unter Wasser, aus Kindertagen. An diesem Ort könnte man es gut und gerne ein paar Stunden aushalten – bei entsprechend wärmeren Temperaturen. Ein kleiner Einstieg verhalf in jenen Hohlraum, der zwei mal zwei Meter und eineinhalb hoch war. Eine schmale, grobgezimmerte Holzbank erstreckte sich an der Wand als gesamter Komfort und war eher für Halbwüchsige ausgelegt. Ein Rohr für die Luftzufuhr endete in einer wilden Wiese.

»Das ist der Wahnsinn, Amos! Weißt du, wie viele Kinder dich darum beneiden würden? Ich wäre selbst eins davon.« Annemarie zeigte sich von meinem Kindheitsversteck beeindruckt. Viele Stunden hatte ich allein oder mit meinem Cousin hier verbracht, solange bis sich unsere Wege trennten. Danach war es nur meine Höhle gewesen.

Menschen konnten Arschlöcher sein, aber wem erzähle ich das.

Eigentlich wäre es Zeit, meine Bibliothek aufzusuchen, nur Annemarie verspürte den Wunsch nach einer Entschuldigung für die Umstände im Verlagshaus Kniebrecht.

Es gab Personen, denen konnte ich schnell vergeben.

»Ist doch längst alles Vergessen. War nicht dein Fehler.«

Gemeinsam tauchten wir zurück bis unter den Steg. Ich legte meinen Zeigefinger an die Lippen und spähte aus dem Wasser. Nichts, außer dem Heulen des Windes war zu vernehmen, wie es sein sollte. »Die Luft ist rein.« Ich klang in meinen eigenen Ohren beinahe paranoid. Wir erklommen mit blau angelaufenen Lippen zitternd die Leiter. Wollte mich geradewegs in die Höhe stemmen, da bohrte sich ein harter Gegenstand in meine Schläfe und ich erstarrte in der Bewegung.

»Jetzt hat dein letztes Stündlein geschlagen, Schweinebacke!« Mein eingefrorenes Grinsen schlug unvermittelt in lautes Gelächter um.

»Audrette, ich bin heilfroh, dich zu sehen!« Sie küsste mich vor den Augen der Konkurrenz. Ihre Zunge spielte mit der meinen, trieb mich binnen Sekunden in den Wahnsinn. Sie machte sich einen Spaß daraus, die andere zu provozieren. Dann überließ Audrette Annemarie ihre Jacke, umarmte sie, wie eine Freundin.

»Schön, dass ihr okay seid. Und jetzt husch, husch ins Warme!«

 

»Gut, das du da bist. Es ist wieder etwas passiert,« stotterte Annemarie.

»Ich habe das kaputte Fenster gesehen.« Ich stapfte fröstelnd ins Haus, eine warme Dusche sollte mich retten. Das heiße Wasser sorgte für das tausend Stecknadelgefühl. Alles fühlte sich taub an und wie überraschend, zwei weiche Hände seiften mich ab. Nun kehrte auch das Leben in meine Weichteile zurück. Mein erstauntes Gesicht hatte sein eigenes Gesetz, es entglitt. Zu meiner Verwunderung war es Annemarie, die alles daran setzte, damit das Verwöhnen den gewünschten Erfolg erzielte. Emotionen die Himmel und Hölle auf den Plan riefen. Ich stemmte meine Hände gegen die Fliesenwand und genoss in vollen Zügen.

Unerwartet komplettierte Audrette das Gespann. Beklemmung trieb mich fluchtartig aus der Duschkabine. Dafür war unser Ostalgie Badezimmer nicht konzipiert worden. Das Wasser trat schon über den Rand des Beckens und bildete kleine Pfützen auf den Fließen. Ich hatte für mich beschlossen, wortlos den Rückzug anzutreten, doch Audrette war hier wieder äußerst bestimmend.

»Nein, bleib noch, Amos.« Sie küsste Annemarie. »Ich muss euch etwas sagen. Es ist wichtig.« Sie ergriff meine Hand und senkte den Blick. »Bitte.«

Na fein. Ich blieb. Doch auf das, was jetzt kam, war ich nicht ansatzweise vorbereitet. Sie berichtete unter Tränen, dass sie noch maximal achtzehn Monate zu Leben habe. So präzise könne man das nicht sagen. Diagnose Krebs, unheilbar, da das Gehirn betroffen war. Die kollektive Umarmung war gar nicht meins, doch einen Tumor zu haben, war eine andere Liga. Es dämmerte mir, wenn auch langsam: Sie hatte Annemarie zur Stellvertreterin erkoren. Meine Gedanken hatte ich nicht mehr im Griff, aber nach einer solchen Nachricht kein Wunder. Mit einem dicken Kloß im Hals überließ ich den beiden bereitwillig meine Dusche und ihren Gefühlen. Was konnte ich hier ausrichten? Frauen unter sich war hier die bessere Wahl.

Was für ein Tag. Ich setzte Tee auf. In karierte Boxershorts gehüllt kehrte ich zurück ins Bad. Beide Frauen weinten herzerweichend. Ein Anblick, bei dem es schwerfiel, nicht gleich mit zu heulen. In Annemaries Blick spürte ich eine tiefe Verbundenheit zu mir, ihr in dieser Stunde einen Kuss zu geben, traute ich mich nicht. Ich nickte ihr zu. Meine Bitte, zu Tee zuschreiten, wurde gern angenommen. In meiner Küche, die ausgestattet war wie zu Omas Zeiten, saß ich im alten Ohrensessel meines Opas, grübelte über die missliche Situation nach. Zwei synchrone Küsse auf beide Wangen sollten die Traurigkeit hinfort jagen. Tatsächlich schafften sie es, mich aus meinen trüben Gedanken zu befreien. Annemarie goss Tee ein und setzte sich auf die eine, Audrette auf die andere Lehne. Ihr Evakostüm war gewollt und noch immer konnte ich mein Glück nicht fassen, fragte mich ständig: Wieso ich?

Wir nippten an den Tassen.

»Das tut so gut«, meinte Audrette. »Danke, Amos.«

»Ist doch nur Tee«, wiegelte ich ab. Mein Gespür warnte mich, dass die Frauen etwas im Schilde führten. Dazu war ich aber nicht der Richtige, denn Sex zu dritt erschien mir frivol. Annemarie spielte mit ihren Füßen provozierend an meinen Genitalien, Audrette küsste mich. Die körperlichen Auswirkungen kann sich jeder ausmalen und mein mentales Chaos war nicht mehr zu toppen. Gerne würde ich meine Initialen in die Steintafel meisseln. Damit, dass beide hemmungslos genommen werden wollten, hatte ich mich abgefunden. - Ginge das auch nacheinander?

Gepolter hinter dem Haus rief Audrette auf den Plan, sie zückte ihre Waffe und stürmte nach draußen, wie ein geölter Blitz. Dabei stellte sich die Frage, ob sie nackt war, nicht. Wer sich mit Frau Miller anlegte, der hatte prinzipiell schlechte Karten.

Annemarie nutzte die Gunst der Stunde, um ihre Gefühle zu mir zu beichten.

»Ist schon gut, du musst dich nicht erklären.« Ein Kuss meinerseits verdeutlichte, wie ich für sie empfand. Sie presste mich fest an sich und fest hieß fest bei ihren trainierten Armen.

»Amos, wenn du mit mir zusammen bist, brauchst du dir um Geld keine Sorgen mehr zu machen. Nie wieder, hörst du?«

»Ja, na klar.« Meinte, sie hätte mehr als genug für drei Leben. Beruhigend, aber mir ging es nicht um Knete, sondern ums Schreiben. Prompt hatte es mich wieder gepackt, dieses verdammt miese Gefühl mit einem Verlagshaus wie Kniebrecht so einen Deal eingegangen zu sein. Aber Hand auf Herz, wer hätte da widerstehen können?

Audrette stürzte abgehetzt in die Küche, beugte sich vornüber, keuchte besorgniserregend. Sofort waren wir bei ihr.

»Was hast du? Alles okay mit dir?«

»Ja doch. Der war bestimmt zwei Meter groß«, berichtete sie schwer atmend. »Hat versucht, ins Haus einzudringen, völlig unprofessionell, aber zu fassen war er trotzdem nicht. Konnte rennen wie ein Windhund. Keine Chance. Amos, was hast du an Werkzeug? Und an Baumaterial?«

»Eigentlich ist alles da. Im Schuppen hinter dem Haus findest du ein ganzes Arsenal.«

»Wir brauchen Hämmer und Nägel, Holz, Klebeband. Dieses Haus muss sicherer werden! Ich rufe mein Team her.« Während Audrette telefonierte, streichelte ich ihren Rücken und hängte ihr eine Decke um. »Die treffen bald ein. Mach dich auf ein paar hungrige Mäuler gefasst, Amos. Du wirst sie mögen«, setzte Audrette nach, als sie meine irritierten Blicke sah. »Es sind alles Ex.«

»Ach so. Na dann.« Auf so viel Besuch war ich nicht eingestellt. Ich bereitete eine große Kanne Bohnenkaffee zu, raffte sämtliche Tassen zusammen, die ich finden konnte. Bei der Gelegenheit notierte ich mir im Hinterkopf, dringend einkaufen zu gehen. In den Schränken herrschte quasi gähnende Leere. Auch Milch für den Kaffee gab es nicht, da ich persönlich keinen Bedarf daran hatte. Aus der hintersten Ecke eines Hängeschrankes fischte ich einen Behälter mit Kaffeeweißer, von dessen Existenz ich gar nicht wusste.

Die Damen verkrümelten sich ins Schlafzimmer, unterdessen staubte ich eine alte Keksschachtel aus der Vorratskammer ab. Da die Tür nur anlehnte, konnte oder musste ich ihren Stimmen lauschen. Audrette erkundigte sich, wie es mit Annemarie und mir lief.

»Jetzt sag, seid ihr euch schon näher gekommen?«

»Eine Dame genießt und schweigt.«

»So gut, wie?«

»Wenn du es unbedingt genau wissen willst, ...« Zögerlich berichtete Annemarie von tiefen Gefühlen und Schmetterlingen im Bauch, dann brach sie vor Scham in Tränen aus.

»Kein Grund zu heulen.« Audrette wünschte sich, dass Annemarie erkannte, was Zuneigung ist, sie festhält, wenn sie gefunden war, und spendete Trost. Ich stahl mich davon, bevor die Szene in einem aufregenden Liebesspiel ausuferte, setzte mich in den abgewetzten Sessel vor den Volksempfänger. Nach einer Weile tapste Annemarie barfuß herein. Ihr gesenktes Haupt verbarg die Beschämung, sie kniete vor mir, legte ihren Kopf auf meine Beine und brach in ein herzzerreißendes Schluchzen aus.

»Das ist furchtbar ungerecht!«

»Ja, das ist das Leben, mein Herz.«

»Amos, ich liebe dich. Also das, was ich für Liebe halte. Glaub mir, mit den willkürlichen Sexabenteuern ist jetzt Schluss, ein für alle Mal! Ich schwöre.« Ich streichelte ihren Kopf, küsste ihren Nacken, teilte ihren Schmerz. Einzig bei einer Sache war ich mir nicht sicher; ob sie bei dem Argument Audrette ihr Versprechen halten könnte.

Die Geräusche von schwerer Arbeit drangen ins Haus, Hämmern, Sägen und alles, was dazugehörte. Ich fühlte mich ständig von unzähligen Augen beobachtet, doch das Hier und jetzt war bedeutend, zu wichtig. Wenn ich die Lider schloss, sah ich mich zwischen meinen beiden Prinzessinnen ruhen. Da pochte es am Küchenfenster und riss mich aus meinen Phantasien. Ein unbekanntes Gesicht klebte an der Scheibe, hielt eine leere Tasse in die Höhe und deutete auf das Gefäß. Ich nickte nur. Wer hatte behauptet, ich sei ein perfekter Gastgeber? Schnell zauberte ich zwei Liter Kaffee-Nachschub, dann trug ich endlich meine Angebetete ins Schlafzimmer und bettete sie sanft.

Ich quetschte mich mittig zwischen die Frauen, beide hatten das Bedürfnis sich eng mich zu schmiegen. Audrette umgab eine Zufriedenheit, die mir gehörige Angst einjagte. Das Geständnis hatte mich umgehauen. Annemarie war eine taffe Frau, nicht die alte Jungfer, die ich in ihr gesehen hatte, schön und klug und wollte streng genommen nur die wahre Liebe. Meine Gedanken pochten, Audrette schlief zuerst ein. Ihr Gesundheitszustand beschämte mich. Ausgerechnet sie, die starke Agentin mit dem klaren Ziel vor Augen, diejenigen zur Strecke zu bringen, die keine Skrupel kannten, andere Menschen um ihr Hab und Gut zu bringen, führte einen aussichtslosen Kampf. Annemarie schlummerte nun tief und fest, wohingegen Audrette sich erotisch verdrehte und ihre Rehkitzaugen aufschlug. Ihre Silhouette entsprang einem Bilderbuch.

»Du bist da, Amos. Das ist schön.« Ihre Hände suchten die meinen. Zu wissen, dass sie sterben würde ... Ich fühlte ihre zerbrechliche Seele. Ihre unbändige Kraft, mich beschützen zu wollen, verwandelte sie schon jetzt in einen Engel. Doch sie stand aus dem Bett auf, zog sich an, das hübsche Gesicht erstarrt zu einer Maske, als kenne sie den Ausgang dieser Mär nur zu gut. Ein letztes Mal drehte sie sich zu mir um, dann war sie fort. Es zeriss mich.

»Amos?« Annemarie, die mein leises Winseln vernommen haben musste, umklammerte mich fest und presste die Verzweiflungsschreie aus mir heraus. Ich brauchte etwas, das mich unmittelbar in die Ohnmacht beförderte. In die Dunkelheit. Wollte nichts hören oder sehen. Ich bettelte, möge wenigstens eine Liebe, die ich fand, überdauern.

Sollten ruhig alle Engel im Himmel mein Flehen hören, trug ich doch so viel Leidenschaft in mir. Annemarie schwor heulend, mich nie, unter gar keinen Umständen, zu verlassen. Sie quetschte den Schmerz aus meiner Seele.

Völlig entkräftet schlief ich auf ihr ein.

Kapitel Neun
Serienkiller

Gleißendes Sonnenlicht bohrte sich durch unsere Lider wie ein Schweißbrenner, weckte uns. Meine zum Bersten gefüllte Blase drängte mich zur Toilette. Auf dem Weg stellte ich aus Gewohnheit das Radio an. »... Zusammenstoß mit einem schweren Baufahrzeug ist nun erwiesen, dass es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt.« Der Rundfunksprecher verlas monoton die 9 Uhr Nachrichten. Immer das Gleiche, doch dann schreckte mich eine Eilmeldung auf:

»Grausiger Fund. Anwohner der Straße der Freundschaft entdeckten heute Morgen eine verstümmelte Hand, die aus dem frischen Asphalt ragte. Makaber: Der halbabgetrennte Zeigefinger ist mit Paketband zu einem Kreuz gebunden worden und deutet Richtung Osten.«

Rief ich mir den Atlas ins Gedächtnis, bedeutete Osten grob und mit viel Fantasie Richtung sächsische Schweiz. Die ermittelnden Behörden standen vor einem Rätsel. Konnte ich mir vorstellen. Ich war unfähig, mich zu rühren. Annemarie hatte mich so noch nie gesehen, doch alleine ihre magische Kraft hievte mich vom Klo. Nie im Leben hatte ich derart heftige Angst verspürt. Oder?

»Amos, was ist nur los mit dir? Du benimmst dich echt merkwürdig.« Am Frühstückstisch berichtete ich von meiner Begegnung mit dem Straßenbauarbeiter Gunar in Wien, der mit Teerarbeiten beauftragt war. »Ein Bauarbeiter in Österreich, eine Frauenleiche. Mmh, mit einer Portion Einbildungskraft lässt sich da eine winzigkleine Ähnlichkeit ausmachen. Kann aber genauso purer Zufall sein. - Gunar, sagtest du?«, dabei vermeinte ich ein Aufflackern in ihren Augen zu erkennen. »Merkwürdiger Name.« Nur mit Mühe süppelte ich den liebevoll zubereiteten Tee. Ich sollte mich eigentlich pudelwohl fühlen, so verwöhnt zu werden. Erst jetzt entdeckte ich auf dem Sessel zwei pralle Rucksäcke.

»Hey, was hast du mit mir vor?«

»Ich? Aber ich hatte angenommen, dass du ...«

»Nein, aber sieh mal hier.« Ein kleiner Zettel mit einem Kussmund. Eindeutig Audrettes Werk.

»Was schreibt sie denn?«

»Bitte, egal wo ihr hingeht, nehmt die Rucksäcke mit! Sie können euch das Leben retten. In liebe Audrette.« Ich zuckte die Schultern. »Scheinbar wieder eine Vorahnung von ihr.« Dann überschlugen sich die Geschehnisse im Radio.

»Wir unterbrechen die Sendung für eine aktuelle Meldung: ... Nur wenige Stunden nach Entdeckung von einasphaltierten Körperteilen in Sachsen, nun ein neuer erschreckender Vorfall. Wir schalten live in das Elbsandsteingebirge zu unserem Reporter Klaus Wieda.« Der Berichterstatter meldete sich zu Wort. Ich horchte wie gebannt auf seine Beschreibung.

Eine junge, bislang unidentifizierte Frau, hing hilflos kopfüber an einem der metallenen Stege, die von einem Felsvorsprung zum nächsten führten. Unter ihr der klaffende Abgrund. Dass sie sich nicht selbst in diese Lage gebracht hatte, war selbstredend. Sie trug als einziges Kleidungsstück Skistiefel. Offenbar waren diese modifiziert, also mit einem automatischen Öffnungssystem versehen, das per Fernsteuerung funktionierte.

 

»Ja, in der Tat. Wir haben die Bestätigung. Sie atmet!« Der Reporter beschrieb detailliert die Verzweiflung in ihrem Gesicht.

»Wie grausam ist das denn?«, warf Annemarie ein.

Aufgeregt schaltete ich einen Nachrichtensender im TV ein, wollte es mit eigenen Augen sehen. Hubschrauber kreisten über unwegsamen Gebiet, übertrugen live ...

Annemarie klammerte sich an mich, teilte mit mir das mulmige Gefühl in der Magengrube. Tränen kullerten von ihrer Wange. »Ich habe noch nie etwas Abartigeres gesehen«, flüsterte sie. Meine Arme suchten ihren Körper schutzspendend, der zitterte aus Sorge um die Geliebte Audrette. Unsere Blicke trafen sich, da geschah es, ein ganzes Universum hätte nicht grandioser sein können. Ein innerliches Beben bescherte mir weiche Knie. Dann folgte das Unweigerliche, der erste phantastische Kuss. Als hätten alle himmlischen Wächter einen Chor arrangiert. Weder Zeit noch Raum spielte eine Rolle, nichts existierte außer uns zwei. Ihr Geschmack, Lippen, die sich suchten und das Fest der Liebe feierten. Eine Explosion, die ungeahnte Leidenschaft nach sich zog.

Doch nicht jetzt!

Die Nachrichten holten uns in die Realität zurück. Wie hypnotisiert starrten wir auf den Bildschirm, wo in dieser Sekunde die neusten Bilder aus der sächsischen Schweiz eingespielt wurden. Die Frau musste halb erfroren sein, war kahl rasiert. Der Himmel wirkte bedrohlich grau, dicke Wolken hingen tief über der Felsformation. Die Luftretter hatten allergrößte Mühe sie zu bergen, heftige Böen erschwerten das Unterfangen.

»Sie ist es nicht. Gott sei dank!«, flüsterte Annemarie erleichtert - was die Angelegenheit kaum weniger grausam machte. Die Panik stand dem Opfer ins Gesicht gemeißelt. In der Sekunde, als man die erste Fangleine um ihr Bein geschlungen hatte, sprang die Entriegelung der Skistiefel auf. Wir hielten die Luft an. Eine Schrecksekunde, das Gewicht der Frau spannte das Seil, aber sie konnte nicht abstürzen. Der Schmerz in meinem Bein, verursacht durch die Fingernägel Annemaries, ließ mich mitleiden.

Sie war zwar frei, doch die Gefahr lange nicht gebannt. Die ungünstige Wetterlage barg das größte Risiko, auch für die Retter. Vor dem Fernseher fieberten wir mit. Heftiger Seitenwind erfasste den Helikopter der Luftretter, die Rettungsleine fungierte als eine Art Pendel. Der behelmte Helfer sowie die schutzlose Frau wurden mit voller Wucht gegen die raue Felswand geschleudert. Annemarie quiekte auf. Der Schädel der Frau wurde zerschmettert, Gehirnmasse rutschte wie in Zeitlupe aus der Schädelschale. Beide baumelten reglos in den Seilen, wie Crashtest-Dummies.

»Landen! Sofort runter!«, hörte man eine Männerstimme über Funk, dann riss die Liv-Übertragung ab. Werbung wurde eingeblendet. »Waschmaschinen leben länger mit ...«

»Oh weh!« Ich drückte den Ausknopf. Mein Bein war taub, blutunterlaufen und Annemarie schrie und heulte wie ein verängstigtes Kind.

So hatte ich mir den Morgen nicht vorgestellt. Ich setzte mich in den Sessel, nahm sie auf den Schoß. In meinen Armen verkrochen, unter einer warmen Decke, schlief sie ein, was eher meinen Vorstellungen entspräche, wenn die Umstände andere wären. Ich dachte an Audrette, die sich bedingungslos für mich, einen unbedeutenden Schriftsteller, einsetzte. Liebte ich sie doch und wäre an meine Grenzen gegangen, um sie für unser restliches gemeinsames Leben begleiten zu dürfen, egal was kommen mochte.

In meiner Bewegung eingeschränkt und weil mir langweilig war, ließ ich die Augen über jedes Detail im Raum schweifen und entdeckte neben Staubmäusen und Spinnenweben, einen weiteren kleinen Zettel im Schlüsselloch der Tür zur Wohnstube. Irritiert, denn gestern verstopfte dort noch nichts das Schlüsselloch, dessen war ich mir sicher, wollte ich aufspringen. Annemarie rekelte sich, bedankte sich für die Zuneigung und stand auf. Endlich. Meine Neugier brannte. Ich erhob mich und humpelte zur Wohnzimmertür, spähte intensiv nach diesem Zettel. Es war eine winzige Rolle, am überstehenden Ende zerfranst. Mit den Fingerspitzen prokelte ich es vorsichtig heraus, um das fragile Papier nicht zu zerreißen, dabei schwebten Staubkörner zu Boden. Wie eine Schatzsuche. Meine Halsschlagader puckerte. Ich plante den Brief unter die Lupe nehmen, doch ein schriller Aufschrei Annemaries bedeutet Gefahr in Verzug.

»Was ist denn nun wieder?« Dann sah ich es selbst. Erst war ich wie erstarrt. Gunar stand in meiner Küche. Der Straßenbauarbeiter. Und dieses Schwein trug sein typisch ekeliges Grinsen in der Visage. »Wenn man vom Teufel spricht!« Ich zerknüllte die Notiz, ließ sie unauffällig zu Boden fallen. Doch der selbstgefällige Gunar hatte die Rechnung ohne Fräulein Annemarie gemacht. Jeder halbwegs Gescheite wusste, Frauen, die wahrlich liebten, waren nicht zu unterschätzen. Sie näherte sich von hinten, lautlos wie ein Tiger. Da erklang auch schon der Gong. Die gusseiserne Pfanne aus Großmutters Zeiten machte nicht nur leckere Bratkartoffeln, sondern auch dumpfe Töne, das probate Mittel zur Abwehr unerbetener Gäste. Noch nie hatte ich mir über eine Niederlage innerlich so die Hände gerieben. Annemarie stand mit der Pfanne in der Hand da, wie ein Baseballspieler und starrte auf ihre erlegte Beute, bereit für einen Nachschlag.

»Gut gemacht! – Wenn ich vorstellen darf: Das ist Gunar. Pass kurz auf ihn auf.« Rasch holte ich Kabelbinder, fesselte seine Arme und Beine, schleifte ihn am Kragen in die Scheune, wie einen nassen Sack Weizen. Verdammt schwer der Kerl. Ich kam heftig ins Schwitzen. Treppenstufe, Schotterweg, Natursteinpflaster. Lehmboden gleich Scheune. Gunar stöhnte, als er langsam zu sich kam, zerrte an seinen Fesseln. Der Kabelbinder hielt. In der Scheune wollte ich ihn am liebsten in einer Ecke versauern lassen. Sollte er doch verrotten. Wer würde den vermissen?

Der Eindringling schaffte es, ein paar Worte hervorzupressen:

»Grüß Annemarie von mir. Ich hasse sie, die alte Schlampe.«

»Danke, sehr nett. Das werde ich gewiss nicht ausrichten. - Ein nettes Leben noch, du Drecksack!«

»Amos, sei nicht so überheblich. Wir beide sind uns ähnlicher als du denkst.«

»Wie du meinst. Lebwohl und auf nimmer Wiedersehen.« Ich hörte ihn lachen, als ich die Scheune verließ. Annemarie telefonierte wegen unseres ungebetenen Besuchers und meinte zu mir:

»Er wird in einer halben Stunde abgeholt.« Ich brummelte nur. Von mir aus sollte er vergammeln, schlug daher vor:

»Wir könnten ihn in der Güllegrube versenken.«

»Amos, was ist nur in dich gefahren? Du bist ja regelrecht besessen.«

»Du siehst doch, dass ich recht hatte mit dem Kerl. Der hat nicht mehr alle Latten am Zaun. – Danke übrigens. Besser hätte ich das auch nicht hinbekommen.« Ich hatte für mich festgemacht, die Frauenmorde gingen auf Gunars Konto, er entsprach genau dem von mir konstruierten Profil. Mein Gehirn rekapitulierte alle Szenen, die ich mit dem gebildeten Lackaffen direkt oder indirekt durchlebt hatte. Seine letzten Worte allerdings nagten an mir, doch ich behielt sie für mich. Wenigstens bis ich wusste, was damit gemeint war.

»Los zieh dich an. Ich habe dir was rausgelegt. War gar nicht leicht, was halbwegs Anständiges zu finden.«

»Ach, jetzt hör aber auf. Mein Schrank ist voll.« Annemarie lachte kurz auf. Über das Thema Mode sollten wir dringend noch einmal sprechen, davon würde sie Augenkrebs bekommen. Die Ära der freien Entscheidung schien endgültig der Vergangenheit anzugehören. Vielleicht auch gut so, meine Klamotten waren allesamt nicht mehr taufrisch. Als ein Großteil der Sachen in Kambodscha genäht wurde, war noch der Kanzler an der Macht, der die Einheit des geteilten Deutschland für sich alleine verbuchen wollte. Das Nötigste, wie Unterhosen und Socken, besorgte ich in Großpackungen einmal im Jahr in der Kaufhalle. Annemaries Jeans hingegen zeichnete ihren Knackarsch genau in meine Augen. Unter der durchscheinenden weißen Bluse schimmerten die Umrisse ihres Busens. Wie gerne ich ihr unbedarft in den Schritt greifen und zeigen würde, wer der Mann im Hause war.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?