Das große Littlejohn-Kompendium

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

(1)die Nervenversorgung und

(2)die vaskuläre Versorgung.

Beide müssen als Kanäle zur Stimulation verwendet werden, um Wirkungen auf den Organismus hervorzurufen, ansonsten wird ein unvollkommenes Ergebnis erreicht. In diesem Aspekt liegt der besondere Wert der neueren Methode, die auf mechanische Stimulationen setzt, gegenüber der älteren Methode, die einer Stimulation durch Medikamente vertraut. Doch jede chemische Stimulation anorganischer Natur – wie etwa bei Medikamenten – zieht Energie ab, ohne eine neue Menge an Energie anzubieten. Organische Stimulationen bieten hingegen hinreichend Materialien für die Stoffwechselprozesse. Anwendungen auf mechanischer Grundlage haben nicht nur eine stimulative, sondern auch eine ergänzende Wirkung. Die Nervenstimulation und die Stimulation des Blutes stellen sowohl neue Energie als auch Nährstoffe zur Verfügung.

Jede physiologische Wirkung durch Manipulation muss zwingend den Stoffwechsel im Blick haben, und um dies zu erreichen, ist die Balance der Zerebrospinalen und Vegetativen Nervensysteme sowie des Blutes essenziell. Lassen Sie mich dies am Beispiel des Herzens veranschaulichen. Wir können es auf zwei Wegen erreichen:

(1)Im Zerebrospinalen Nervensystem über den pneumogastrischen Nerv. Er wirkt direkt reflektorisch hemmend auf das Herz. Indirekt kann man es über das vasomotorische System in den peripheren Bereichen des Körpers im Kontext der Blutversorgung erreichen. Im ersten Fall wird die Wirkung durch den kontinuierlich agierenden Vagus erzielt, im zweiten Fall durch die Notfallfunktion der neuronalen Steuerung des Blutdrucks, um das Herz bei Belastung zu entlasten.

(2)Im Vegetativen Nervensystem durch die zervikalen vegetativen Nerven. Ein direkter Reflex erfolgt durch den pneumogastrischen Nerv und ebenso durch die Nervi splanchnici, ein indirektes Ergebnis wird wiederum durch die vasomotorische Wirkung auf die periphere Blutversorgung erzielt.

Dies veranschaulicht, was zu jedem Teil des Körpers festgestellt werden kann, dass nämlich Stoffwechsel, Rhythmus und funktionelle Aktivitäten auf zweierlei Arten stimuliert werden: durch die direkte bzw. indirekte Nervenkraft über die Blutversorgung. Diese Kombination bewirkt unter normalen Zuständen Trophizität, Tonizität und funktionelle Aktivität und kann durch mechanische Manipulationen kontrolliert werden. Darin besteht die operative Basis unserer Behandlung von Krankheiten. Die Tonizität hängt beispielsweise vom Rhythmus, dieser vom Antagonismus gegensätzlicher Elemente oder Faktoren in der Vitalität der Gewebe ab, etwa des Zerebrospinalen und des Sympathischen Nervensystems bzw. des Nervensystems und des Blutes – oder von der Art der Muskulatur im Herzgewebe. Der tonische Zustand jedes Gewebes im Körper hängt von jenen gegensätzlichen Elementen ab, die in der Gewebesubstanz aufeinandertreffen und den Kampf um die Existenz in diesen Körpergeweben aufrechterhalten. Die mechanische Therapie beruht folglich auf physischen und physiologischen Prinzipien, die dazu fähig sind, schwingende, molekulare, elektrische und chemische Modifikationen zu stimulieren. In diesem Kontext stellen Nervenkraft und Blutversorgung, deren neuronale Steuerung die Trophizität bestimmt, die zentralen Mediatoren dar. Eine Stimulation dieser Prozesse kann höchst physiologisch und ohne irgendeine fremde anorganische Substanz allein durch mechanische Manipulation erreicht werden.

Der Körper ist nicht nur ein vollkommener Mechanismus. Er ist ebenso das wundervollste Labor des Universums. In diesem Labor werden Säuren, Laugen und all jene Flüssigkeiten generiert, die dazu erforderlich sind, um Akkumulationen von Abfall oder Unreinheit auszuwaschen. An jedem Tag und in jedem Augenblick unseres Lebens vollziehen sich analytisch und synthetisch die wundervollsten chemischen Prozesse und bilden die Grundlage jener normalen Anpassungen, die den Körper in Ordnung halten. Insofern diese Substanzen unter der Leitung der Nervenkraft derart gebildet und durch die Blut- und Lymphkanäle entsprechend in alle Teile des Körpers verteilt werden, zeigt sich hier das Geheimnis des Lebens. Die Lebenskräfte des Körpers sind dazu fähig, alle konstitutiven Elemente des Körpers und seiner Teile, angefangen vom Blut bis hin zu den Knochen, aufzulösen; die funktionelle Kraft des Körpers kann hingegen Nerven, Muskeln, Ligamente und Knochen modifizieren. Tritt durch einen Riss in der Gefäßwand Blut aus, resultiert daraus eine Schwellung mit einer temporären Aufhebung der vitalen Aktivität im entsprechenden Gebiet. Derartige Ablagerungen können durch die Natur entfernt werden. Entsprechend gibt es im Körper Lösemittel auf saurer und basischer Grundlage, die fähig sind, die festesten knöchernen oder fibrösen Bildungen des Körpers zu desintegrieren. Im chemischen Labor des Körpers setzt sich der kontinuierliche Prozess des Verbindens, Reduzierens und Bildens von Substanzen der gesamten chemischen Verschiedenheit so fort, dass er dazu fähig ist, die festesten Substanzen aufzulösen, um den Weg für Regenerationsprozesse frei zu machen.60 Hieraus schließen wir, dass jede Dislozierung der knöchernen, muskulären bzw. ligamentären Teile angepasst werden muss, welche die Nerven-, Blut- und Lymphaktivität stört. Dies geschieht nicht nur, um den Nerven sowie den Blutgefäßen freien Raum und Wirkung zu verschaffen, damit sie die Elemente des Lebens und die Aktivität kommunizieren können, sondern auch um durch ein freie Zufuhr von Lymphe Unreinheiten auszuwaschen und gestaute Teile zu reinigen, sodass überhaupt erst einmal der Boden für eine Regeneration geschaffen wird. Wenn die Lymphe zu einem Bereich gelangt, in dem das Blut in Stauung gehalten wird, verschwindet bald die Schwärze des lokalen Teils und durch die Absorption werden schließlich alle Substanzen entfernt, welche die Stauung verursachen. Mithin besteht bei der Manipulation der Knochen, Muskeln usf. das Ziel primär darin, den zirkulierenden Flüssigkeiten freies Spiel zu gewähren, damit sie Abfallmaterialien auflösen und entfernen können, sofern solche vorhanden sind. Sekundär geht es darum, ein freie Versorgung mit jenen Substanzen sicherzustellen, die einen Bezug zu den Flüssigkeiten haben bzw. sich in ihnen befinden, insbesondere eiweißhaltige Stoffe, die zur Erneuerung erschöpfter oder degenerierter Gewebe nötig sind. Die wissenschaftlichen Manipulationen zielen also auf die Unterstützung der chemischen und damit der substanziellen Angebote für das Leben des danach verlangenden Körpers. Dies gilt auch bei nahezu unbemerkbarem anomalem Zustand von Knochen, Muskel oder Ligament.

Die osteopathische Theorie beruht im Wesentlichen auf der Anschauung, dass dieses Eingreifen natürlich, das heißt ohne Medikation mit fremden Körpersubstanzen, auf zweifache Art wirkt:

(1)Durch Stimulation der Produktion oder Verbindung von Substanzen, die vom Körper oder seinen Teilen benötigt werden – und

(2)durch Manipulation spezifischer Körperteile, sodass die gebildeten Substanzen von der Natur aufbereitet und zu den Teilen gebracht werden, die sie am meisten benötigen, um sämtliche, die normale Vitalität behindernde Einflüsse auf die Gesundheit zu beseitigen.

Liegen beispielsweise Störungen von Nieren oder Blase vor, erscheint der renale Referenzbereich an der Wirbelsäule bei der klinischen Untersuchung für gewöhnlich empfindlich. Dies führt uns zur genaueren Untersuchung dieses Bereichs, um irgendwelche anomalen Variationen, die eine Störung oder eine Dislozierung bei den renalen Nerven betreffen, oder etwas anderes in der spinalen Artikulation zu finden, das mit Druck einhergeht, oder eine Störung der Trophizität der Organe bewirken kann. Es ist allgemein anerkannt, dass Läsionen bei Ataxie nicht durch eine primäre Sklerose der Neuroglia verursacht werden. Die Degeneration beginnt an den Verlängerungen der posterioren Nervenwurzeln im Rückenmark. Entsprechend der allgemein akzeptierten Theorie geht die Degeneration auf die Unterbrechung der ernährenden Aktion des posterioren Ganglions durch einen Druck auf die Nervenfasern am Eintrittspunkt in das Rückenmark zurück. Die Fasern werden für gewöhnlich an diesem Eintrittspunkt behindert. Es ist daher leicht zu verstehen, dass eine Behinderung, wie eine Verdickung oder Verhärtung der Meningen, welche die Vaskularisierung und den Stoffwechsel an diesem lokalen Punkt betreffen, zu einer Degeneration der intraspinalen Fasern führen kann. Eine Manipulation zielt in diesem Bereich konsequenterweise darauf ab, den lokalen Druck zu entfernen und die ernährende Kontinuität der Nervenfasern im Rückenmark wiederherzustellen.

Was für einen kleinen Teil des Körpers gilt, ist ebenso für den Körper als Ganzes wahr. Alle Teile des Körpers sind vegetativ miteinander vereint. Jedem Organ und jedem Teil des Körpers scheint zumindest unbewusst, dass es bzw. er einen Teil eines mächtigen Ganzen repräsentiert. Versagt irgendein Teil, besteht das Gesetz des Lebens darin, dass alle Teile miteinander leiden, denn von der großen Quelle des Gehirns an bewusster und unbewusster Kraft bis hin zum kleinsten Nervenfilament im entferntesten Teil des Körpers besteht eine untrennbare Beziehung von Struktur, Funktion und vitaler Aktivität, welche die Triebfeder des Lebens bildet. Ein Mensch kann nicht vollkommen gesund sein, wenn auch nur die winzigste, zu einem Augenlid führende Nervenfaser der Irritation unterworfen ist, und dieses Gesetz gilt auch für jeden anderen Teil des Körpers. Wann und wo auch immer diese winzigsten Variationen des Normalzustandes festgestellt werden, besteht Krankheit in wahrer und substanzieller Ätiologie. Und das ist eine ergiebige Quelle von Fehlernährung, Irritation und Degeneration, die so viele pathologische Symptome hervorruft.

Hierauf gründet die Ursachensuche der osteopathischen Diagnose. Drei Zielgebiete bilden hier die großen Überschriften:

 

(1)Dislozierungen von Knochen, Knorpel, Ligamenten, Muskeln, Membranen oder Organen;

(2)Störungen im freien Strömen der Körperflüssigkeiten, die das Blut, die Lymphe und andere Sekretionen des Körpers betreffen;

(3)Störungen bzw. Fehlanordnungen durch Belastungen, Traumata, Verdickung, Verhärtung usf. des Nervensystems, einschließlich seiner Zentren, Ganglien, Plexus und Fasern.

In diesem Sinn wird das physiologische Denken der osteopathischen Therapie einfach und besteht aus dem Anpassen der Krankeitsursache(n)61. Korrelierend mit der Diagnose umfassen die Anwendungen:

(1)Wissenschaftliche Manipulationen, die darauf abzielen, Dislozierungen in den knöchernen und anderen Gewebestrukturen des Körpers zu korrigieren.

(2)Wissenschaftliche Manipulationen, die die Zirkulation der Körperflüssigkeiten anpassen und normalisieren, insbesondere bei Mängeln in der Blutzirkulation.

(3)Wissenschaftliche Manipulationen, die das Nervensystem mit all seinen Strukturen modifizieren und anpassen, das allgemeine System bzw. seine lokalen Teile tonisieren, die trophischen Zustände der Nerven und Muskeln anregen sowie eine normale vegetativ vermittelte Korrelation zwischen psychischen und physiologischen Funktionen des menschlichen Systems ermöglichen.

Der gesamte Körper dient der funktionellen Aktivität. Mithin gibt es keinen Abfall und nichts Überflüssiges, ebenso keinen Raum im Körper für irgendeinen anomalen Zustand. Folglich schließt die leichteste Abweichung von der Normalstruktur eine Störung der organischen Aktivität mit ein und kann zu unermesslichem Schaden im neuronalen oder muskulären System führen. Theoretisch bezieht sich die Osteopathie auf einen Idealkörper, dessen knöchernes Gerüst vollkommen angepasst und fein angeordnet ist, dessen Muskeln sorgfältig an Ursprung und Ansatz befestigt sind, dessen Blut frei in jedem Teil jedes Organs und Gewebes zirkuliert und dessen Nervenkraft das assimilierende und lebensspendende Prinzip im gesamten Körper darstellt. Es besteht eine physiologische Sympathie zwischen allen Teilen des Körpers, die einzig auf der Nervenkraft gründet. Die Gesetze der Nervenenergie stellen jene Prinzipien zur Verfügung, aufgrund derer diese ununterbrochene Sympathie erhalten werden kann. Und zugleich erklären sie alle möglichen Abweichungen vom Gesundheitsstandard. Die Wiederherstellung der Ordnung im System muss in Harmonie mit diesen Gesetzen erfolgen.

Das grundlegende Prinzip besteht darin, dass jedes Körpergewebe und jede Struktur des Körpers seine Rolle im gesunden Zustand kontinuierlich ausführt. Die Körperstruktur stellt das Gerüst dar, an dem weiteres Körpergewebe aufgebaut und an dem es befestigt wird. Mithin liefert das knöcherne Gerüst Orientierungshilfen für die physische Untersuchung; zugleich ist es das Medium, an dem dislozierte Teile wieder angepasst werden. Die Knochen bilden so die Grundlage der operativen Manipulation, sodass die Manipulation therapeutisch zur Entfernung von Druck, beim Hervorrufen von Stimulation und Hemmung im Nervensystem dient. Eines ihrer fundamentalen Prinzipien besteht zudem in der Tatsache, dass im Hinblick sowohl auf den gesunden wie auch auf den kranken Körper keine äußerliche Medikation erforderlich ist. Ausnahmen hiervon bilden die natürliche Ernährung, die erfahrungsgemäß als wesentlich für die Selbsterhaltung und die Regeneration existierender Gewebe sowie für die Gewebeneubildung im Kontext allgemeiner Desintegration und Auflösung des körperlichen Bioplasmas angesehen wird. Die Ernährung stellt in einem gesunden und kräftigen System die wesentliche Stoffwechselbasis dar. Gute, abwechslungsreiche Nahrung in hinreichender Menge, nicht im Übermaß, Übung der Muskeln und normale Atmung: So lautet die schlichte Theorie in punkto Ernährung und Bewegung.

Die wesentlichen Prinzipien der Osteopathie sind folgende:

(1)Gesundheit ist natürlich. Krankheit und Tod zwischen der Geburt und dem hohen Alter sind unnatürlich.

(2)Alle körperlichen Störungen stellen das Ergebnis einer mechanischen Behinderung des freien Kreislaufs der vitalen Flüssigkeiten und Kräfte sowie der Kontinuität der Nervenkraft dar.

(3)Behinderungen im Weg der freien Flüssigkeitszirkulation und der ununterbrochenen Nervenkraft werden in knöchernen Dislozierungen, kontrahierten Muskeln, gerissenen Ligamenten, zusammengezogenen oder dilatierten Gefäßen, hypertrophischer Gewebesubstanz oder Stauungszuständen der Gewebe festgestellt.

(4)Diese anomalen Zustände stellen nicht nur die Veränderung in der Struktur oder der Funktion in der Rolle besonderer Anteile des Organismus dar, sondern sie rufen auch eine physiologische Desorganisation der Lebenskräfte des Körpers hervor. Sie bewirken darüber hinaus Irritationen in Form von Über- bzw. Unterstimulierung oder Hemmung, was zu übermäßiger, unvollständiger oder fehlender Aktivität der Lebenskräfte und Prozesse führt.

(5)Die Wiederherstellung des Normalzustandes durch operative Manipulation zielt auf eine Koordination der Lebenskräfte ab, um so die Harmonien in den vitalen Funktionen wiederherzustellen und auf diese Weise der Natur bei der Beseitigung und Eindämmung der Krankheitszustände zu helfen. Bei der Diagnose, die auf einem genauen Wissen über Struktur, Funktion und Aktivitäten der Gewebe und Organe des Körpers beruht, wird die Störung aufgrund oder mit der Hilfe der Symptome bzw. der sekundären Zustände auf ihre primäre Ursache hin zurückverfolgt: in die regionalen organischen Bereiche des Rückenmarks, in die regionalen Plexus und sympathischen Ganglien. Sekundäre Organzentren werden in Abhängigkeit von den großen primären Zentren der Vitalität und Lebenskraft im Gehirn lokalisiert. Die Manipulation versucht jene organischen Aktivitätszentren, trophischen Aktionen und regionalen Kontrollen zu erreichen, die von der Disharmonie der Funktion, der Modifikation der Struktur und der Desorganisation der Lebenskräfte betroffen sind, um so die normale Aktivität wiederherzustellen.

Die osteopathische Manipulation hat das experimentelle Stadium verlassen und ist inzwischen als Heilungssystem bewiesen. Sie führt zu guten Resultaten, weil sie die Natur nutzt und unterstützt. Die gesamte Natur ist schwanger mit Kraft und die Kraft der Natur ist aufgrund ihres natürlichen Ursprungs am heilsamsten. Alle Kräfte des Körpers wirken quasi regenerativ, sodass keine Massage oder Medikation bzw. irgendeine Art künstlicher Behandlung erforderlich ist, sondern lediglich die Nutzung der im Labor der Natur verborgenen Heilmittel. Auf diese Weise und auf dieser Grundlage sind Assimilationen ohne Verfremdung möglich. Heilmaßnahmen, die die Lebenskraft des Organismus ansprechen und Schädigendes beseitigen, können jederzeit akzeptiert werden. Die Bezeichnung Osteopathie wurde der neuen Wissenschaft aufgrund der Tatsache verliehen, dass die Dislozierung der Knochen den ersten Platz in der Kategorie jener Ursachen oder Läsionen einnimmt, die Krankheitszustände hervorrufen. Wie jede andere Bezeichnung, die einer neuen Wissenschaft verliehen wird, umfasst sie selbstverständlich nicht alles, was die neue Wissenschaft ausmacht. Doch sie zeigt schlicht den Anfangspunkt, von dem aus die neue Wissenschaft als Wissenschaft der Diagnose und Therapie und ebenso als Kunst der Diagnose und Therapie startete. Der zugrundeliegende Aspekt ist, dass die Ordnung und Physik des Körpers im Kontext der animalischen Mechanik entwickelt wird. Die orthopädische Chirurgie und die Orthopraxie haben das mechanische Prinzip bei der Behandlung von Verformungen, Schwächen und Mängeln des menschlichen Körpers betont. Die Massage hat auch die mechanische Methode des allgemeinen Reibens und Knetens betont. Die Osteopathie versucht, das mechanische Prinzip bei der Behandlung aller Arten behandelbarer akuter und chronischer Krankheiten zu spezialisieren, indem Druck, Spannung, Schwingung und alle Formen der physischen Stimulation bei ihrer Anwendung auf Muskeln, Knochen, Blutgefäße, Nerven und Körperorgane abgestuft werden, um therapeutische Wirkungen zu erzielen. Darin besteht die Technik der Osteopathie. Spinale Unregelmäßigkeiten betreffen beispielsweise Krümmungen oder Abweichungen der Procc. spinosi aus der vertebralen Linie, die einen Druck auf die Spinalnerven hervorrufen, nachdem diese das Rückenmark verlassen haben und aus der Wirbelsäule austreten. Bei der Entfernung dieser Unregelmäßigkeiten durch mechanische Manipulationen, werden ossäre Unregelmäßigkeiten beseitigt, die Nervenkraft wird von Druck befreit und der betroffene Teil des Körpers somit wieder versorgt. Die anatomische Ordnung des Körpers beruht u. a. auch auf dem knöchernen Gerüst, sodass bei der Anpassung des Gerüsts die Körperspannung, welche Körperschmerzen hervorruft, erleichtert wird.

Die Osteopathie weist Medikamente als dem Organismus fremd zurück. Der Versuch, ein anorganisches Etwas als ein organisches Sein zur Verfügung zu stellen, wird nicht nur als unnötig, sondern sogar als schädlich für den Organismus betrachtet. Dies folgt aus der Tatsache, dass die Natur selbst im Organismus ein gut ausgestattetes Labor zur Verfügung stellt, welches aus Prozessen, Kräften, Funktionen, strukturellen und physiologischen Beziehungen sowie organischen chemischen Verbindungen besteht, die genügen, um allen wahrscheinlichen Ursachen von Krankheit zu begegnen. Beispielsweise weiß man von bestimmten Anämieformen, dass sie nicht durch ein Unterangebot an Eisen begründet sind, sondern durch die physiologische Unfähigkeit, den hepatisch gespeicherten Eisenanteil zu nutzen bzw. ihn auszustoßen. Osler schreibt:

„Eisen ist im Stuhl chlorotischer62 Patienten vorhanden, bevor sie irgendeiner Behandlung unterzogen worden sind, sodass sich die Krankheit nicht aus einem Mangel an vorhandenem Eisen in der Nahrung ergibt.“

Um diesen Zustand zu heilen, ist die Verordnung anorganischen Eisens nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, denn dadurch mehren sich jene Abfallstoffe, die über das exkretorische System ausgestoßen werden, und führen zu einer übermäßigen Aktivitätszunahme der sekretorischen Funktion. Bunge behauptet, dass Schwefel in der Nahrung die Assimilation des organischen Eisens verhindere. Die Sulfide, die bei der Fermentation produziert werden, hemmten die Assimilation. Die Verordnung von anorganischem Eisen gilt als Förderung einer Verbindung dieses Eisens mit den Sulfiden, um dem normalen organischen Eisen eine Verbindung mit der Hämoglobinsubstanz zu erlauben. Hierbei handelt es sich jedoch schlicht um eine Theorie, und sie ermangelt des Beweises. Die klinische Erfahrung hingegen hat bewiesen, dass die korrekte Vorgehensweise im besagten Fall, bei dem das Eisen durch das System nicht assimiliert, sondern als Abfall ausgestoßen wird, darin besteht, die Fehlernährung auszugleichen. Dies kann nicht durch die Erhöhung des Anteils an anorganischem Eisen, sondern allein durch Unterstützung jener physiologischen Prozesse erreicht werden, die zur Blutbildung im Kontext der Assimilation von Eisen in organischer Form beim neu gebildeten Hämoglobin in den roten Blutkörperchen nötig sind. Hierdurch wird verhindert, dass das im System gespeicherte Eisen versehentlich als Abfall ausgeschieden wird.

Bei Fieberzuständen ist es im Kontext mit dem neurologisch kontrollierten vasomotorischen System und dem System der Temperaturregulierung möglich, durch Beeinflussung der betreffenden Nervenfasern und -zentren eine Fieberkontrolle zu bewirken. Dabei werden die Nervenkraft- und die Blutversorgung über die vasomotorischen Prozesse beeinflusst, denn insbesondere über das vasomotorische System ist es möglich, die Zirkulation von frischem und nährstoffreichem Blut aufrechtzuerhalten, um so die Verwüstungen seitens der Mikroorganismen zu hemmen. Durch Stimulieren der weißen Blutkörperchen werden jene Phagozyten aktiviert, deren Aufgabe in der Zerstörung der Mikroorganismen besteht und die durch das Fieber bzw. durch die Produktion chemischer Verbindungen lethargisch gemacht worden sind. Diese Überlegungen machen die Injektion von Serum auf der Grundlage der modernen Serumtherapie überflüssig, weil sich durch Manipulation des Blutes und der Lymphe in Verbindung mit dem Nervensystem im betroffenen Individuum die Leukozyten zu einer derartigen Aktivität stimulieren lassen, dass die Keime aufgefressen werden und zugleich ein Serum produziert wird, das den Körper immun gegen die Aktivitäten dieser Krankheitskeime macht.63 Bei pulmonalen Leiden kann bewiesen werden, dass Tuberkulose als Krankheit mit dem Nervensystem zumindest korreliert. Der physiologische trophische Einfluss ist in irgendeiner Weise vom pulmonalen System abgeschnitten, sodass das pulmonale System eine leichte Beute für die verheerende Aktion der Tuberkulosekeime wird. Mithin sind kontraktile Zustände des Brustkorbs häufig mit Schrumpfungen oder Vagusstörung verbunden, die im Kontext vertebraler Dislozierungen oder Druck auf den Vagus im oberen Thoraxbereich festgestellt werden. Es gibt zahlreiche Lungenkrankheiten, die Verwüstung unter der Menschheit angerichtet haben, angefangen von einer schlichten Stauung, einer bronchialen Entzündung bis hin zu einer Infiltration des gesamten Lungengewebes. All diese Entzündungszustände werden durch eine Störung des Blutflusses verursacht, die von verspannten Muskeln des Thorax, der Dislozierung von Rippen oder der Verhärtung der spinalen Muskulatur im Bereich der thorakalen Wirbelsäule abhängen, wobei letztere eine exzessive Stimulation oder Hemmung der pulmonalen Nerven hervorrufen. Die eben genannten mechanischen Ursachen stören die normalen respiratorischen Aktionen, verhindern das Einatmen und damit die hinreichende Sauerstoffaufnahme und Kohlenstoffdioxidabgabe. Ebenso wird ist die Trophizität des Lungengewebes von den Hindernissen betroffen. Zur Beseitigung der Ursachen wird auf die Manipulation der spinalen Muskeln im thorakalen Bereich zurückgegriffen; sie behebt die Kontrakturen, richtet gesenkte Rippen wieder auf, hemmt bewusst die Spinalnerven im oberen thorakalen Bereich, um die vasomotorische Aktivität zu regulieren und stimuliert im Kontext mit der Lungentrophizität die pneumogastrische Aktivität.

 

Kopfschmerzen schließen nahezu immer einen Druck auf die Hirnnerven ein, wobei ein durch einen dislozierten Atlas oder Axis bzw. eine vertebrale Dislozierung irgendeiner Art im oberen zervikalen Bereich ausgeübter Druck auf das Rückenmark vorliegt. Asthmatische Zustände werden gewöhnlich in Verbindung mit thorakalen Kontrakturen und Restriktionen festgestellt, die die Aktivität und Versorgung des pulmonalen Nervensystems stören und dadurch die normale respiratorische Aktivität verhindern. Diese erfordert die Aktivität der Muskeln und Nerven sowie Ausdehnungen der Brust, was durch das Anheben, Expansion und Rotation der Rippen und Rippenbefestigungen in Verbindung mit dem Zwerchfell bewirkt wird.

Die Medikamententherapie gründet ihre Materia medica auf der Pathologie, Symptomatologie und Pharmakologie in deren Beziehung zu Chemie, Physik und Physiologie. Die Anwendung der Pharmakologie ist wesentlich empirisch und dem Körpersystem fremd. Die osteopathische Therapie gründet ihre Materia medica auf den chemischen, physischen und vitalen bzw. physiologischen Funktionsprinzipien des normalen Körperorganismus im Verhältnis zur anomalen funktionellen Aktivität derselben Prinzipien im Krankheitsfall. Gesundheit stellt somit die normale funktionelle Aktivität dar, während Krankheit die anomale funktionelle Aktivität des Organismus bzw. seiner Zellen bezeichnet. Während also die Medikamententherapie innerlich oder äußerlich anorganische Heilmittel anwendet, repräsentiert Osteopathie eine angewandte funktionelle Biologie, Physiologie und Anatomie auf Grundlage angewandter mechanischer Physik und Chemie.

Die Osteopathie behauptet, sowohl vorbeugend als auch heilend zu wirken. Sofern sie korrekte Physiologie repräsentiert und alles von physiologischen Beweisen abhängt, sollte der praktizierende Osteopath ein Allgemeinarzt im besten Sinne sein. Seine Funktion in der Gesellschaft besteht in der Begleitung der Familie, sodass bei der Pflege der Kinder die skelettale Struktur und die physiologische Funktion der Organe des Körpers bei jedem Missgeschick angepasst und in einem korrekten Zustand gehalten werden können. Ein Kind kann mit einer dislozierten anatomischen Struktur oder verkehrten physiologischen Funktionen geboren werden. Diese Dislozierungen können durch die Geburt des Kindes hervorgerufen worden sein.64 Sofern ein Kind nicht nur die Geburt überleben, sondern auch zukünftig ein glückliches Leben genießen soll, müssen sie bereits in der Kindheit behandelt werden. Pathologische Befunde in dieser Lebensphase sind für vieles vom Unglück und Elend der späteren Jahre verantwortlich und erzeugen so viele Krankheiten, die mit dem Tod enden, bevor das Erwachsenenalter erreicht ist.

Die Osteopathie stellt als notwendiges Prinzip auf, dass Gesundheit etwas Natürliches ist65 und dass Krankheit und Tod zwischen Wiege und hohem Alter unnatürlich sind. Um dies zu beweisen, fordert der Osteopath ein Schlachtfeld und eine faire Chance, um zu zeigen, dass seine Behauptungen physiologisch korrekt sind. Er fordert das Recht auf legitime Anwendung der Prinzipien der physiologischen Medizin. Bei ihm handelt es sich nicht um einen Christlichen Wissenschaftler, und er hat nichts mit einem Geistheiler zu tun. Er glaubt, dass der Geist im Leben der bestimmende Faktor ist, der Geist stellt das leitende Element im Kontext des Körperorganismus dar. Doch glaubt er nicht, in der Geistheilung könne ein Wundermittel für alle Krankheiten der Menschheit gefunden werden. Krankheiten, die den Körper betreffen, sind keine Geister mit phantomartiger Erscheinung. Dass sie zu real sind, um noch bewiesen werden zu müssen, belegt die ganz auf der strukturellen und funktionellen Fehlanordnung beruhende osteopathische Symptomatologie. Sogar im Fall mentaler Krankheiten stellen wir fest, dass sie mit vergleichbaren anatomischen und physiologischen Fehlanpassungen, Dislozierungen oder hypertrophischen Zuständen verbunden sind. Selbst Geisteskrankheiten können beeinflusst werden, sobald diese anomalen Zustände beseitigt worden sind.

Physiologie erklärt und bestimmt psychologische Prozesse. Denn die wahre Psychologie gründet in der Physiologie. Mentale Zustände und Aktivitäten dienen lediglich als Veranschaulichungen und Offenbarungen physiologischer Beziehungen und Zustände. Psychische Befunde werden im Rahmen des Studiums und der Diagnose mentaler und neurologischer Krankheiten dargestellt. Die Physiologie des Gehirns, des Rückenmarks und des gesamten Nervensystems liegt am Fundament jeder wahren Theorie des Lebens – ob wir nun das physische Leben betrachten, das erhalten, verlängert und in Krankheitszuständen behandelt wird, oder das normale oder anomale mentale Leben oder gar das höhere sittliche und spirituelle Leben. Sofern Physiologie in allen ihren Bedeutungen gelehrt wird, verschafft sie uns ein Verständnis der Funktionen eines differenzierten menschlichen Lebens, das aus einer Anzahl an Organen besteht, die alle unabhängig und doch miteinander vereinigt sind, um ein einzelnes Leben in Einklang und Harmonie zu erschaffen und zu erhalten. Betreten wir den höheren Bereich der Psychophysiologie, stellen wir fest, dass der Geist die bestimmende Kraft ist und dass in einem gesunden Leben nur ein gesunder Geist einen kräftigen Status des Körpers als Grundlage für Gesundheit und Glück sicherstellen kann.66 Obgleich wir anscheinend rein körperliche Krankheiten behandeln, dürfen wir den Bereich mentaler Krankheiten nicht vergessen und auch nicht, dass diese mangelnde mentale Gesundheit beseitigt werden muss, bevor die Heilung des Körpers überhaupt möglich ist. Höchstwahrscheinlich beeinflusst jeder aktive Vorgang im Nervensystem den gesamten menschlichen Organismus. Daraus ergibt sich, sodass eine konstante Aktivität der Nervenzellen existieren muss, die von kontinuierlichen Impulsen begleitet wird, welche in besagte Zellen eintreten und sie verlassen. Dies bezeichnet die Basis für eine Kontinuität bewusster Erfahrungen. Und es begründet, warum jedem Menschen bei der Geburt nicht nur ein Körper, sondern auch ein Geist verliehen wird, der die Grundlage des mentalen Charakters und der Entwicklung darstellt. Sobald der Mensch vom Anfangspunkt seiner Entwicklung aus startet, wird diese weitgehend durch Umweltzustände und Erziehungsprozesse bestimmt. Sogar das Ausmaß an Willenskraft wird kulturell verstärkt, sodass dessen Hemmung in hohem Maße von erzieherischen Einflüssen abhängt, die – vor allem bei der Ausbildung des Zentralen Nervensystems – durch das Nervensystem übermittelt werden.