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10: Der Flaneur von Birmingham

Meine Schwänzerei erreichte eine neue Stufe, als ich anfing, ganze Schultage in der Innenstadt von Birmingham zu verbringen. Ich fuhr nicht mehr mit dem Bus nach Redditch; ich wechselte einfach an der Haltestelle des Schulbusses die Straßenseite und nahm stattdessen den Bus in die City.

Ich liebte die Midland-Red-Doppeldecker. Obwohl sie älter waren, liefen sie besser als die langsamen, schmuddeligen West-Midlands-Busse, und mit ihrem klareren, kompakteren Design sahen sie auch schöner aus. Ich freute mich jedes Mal, wenn ich sah, wie einer über den Hügel kam und den Hang hinunter auf die Haltestelle an der Alcester Road zufuhr.

Wann immer es ging, saß ich oben und sicherte mir einen der zwei vordersten Plätze. Während der Fahrt schaute ich gerne nach draußen, und zwar von dem besten Aussichtspunkt, den das Fahrzeug zu bieten hatte. Am Maypole und an Bates’ Spielzeugladen vorbei, durch Kings Heath mit dem riesigen Sainsbury’s-Supermarkt, wo ich jetzt an den Wochenenden arbeitete, vorbei an dem früheren Wohnhaus von Neville Chamberlain in Moseley und dem Edgbaston Cricket Club, hoch auf die Bristol Road und am ABC Kino vorbei (heute ein McDonald’s), dann am Albany Hotel abdrehen, am Crown Pub rechts und vorbei am Jacey Kin, wo Mum und ich früher Zeichentrick- und Kurzfilme anschauten, wo aber inzwischen rund um die Uhr Pornos liefen. Dann ging es plötzlich aus dem Tageslicht in die Tiefen des Busbahnhofs.

Dort nahmen die Abenteuer ihren Anfang.

Gibt es etwas Aufregenderes als die Geräusche und Gerüche einer großen Stadt? Vergesst die Architektur; der Krach in diesem trägen, schwarzen Bus-Depot war da etwas ganz anderes. Die schwer kämpfenden Getriebe, das Hochfahren fünfzig Jahre alter Dieselmotoren, das die Abfahrt ankündigende Hupen in Des-Moll. Und der Geruch: nach Maschinen, Feuer und siedendem Öl. Ah, die Midland-Red-Flotte, diese Industrie der Freiheit, die das Land in die Stadt und die Stadt aufs Land brachte!

Vom Busbahnhof ging ich durch die Doppelschwingtür in die Bullring-Markthalle: mehr Lärm und Gestank. Der Fischmarkt, Blumenstände, Eisenwaren, Fleischer in weißen Schürzen und Hüten, die lautstark ihre Ware anboten, und ein kleiner Plattenstand, an dem ich zum ersten Mal Bob Marley hörte. Ich steuerte auf den Fahrstuhl zu, der mich in das neuere Bullring-Shopping-Centre brachte, wo es vergleichsweise ruhig und kultiviert zuging.

Das Bemerkenswerteste am Bullring war die Shopping-Brücke drinnen, eine Siebzigerjahre-Variante des Ponte Vecchio in Florenz. Sie war eins der sieben Wunder von Birmingham.

Es gab einen weiteren Plattenladen direkt auf der Brücke, dann den Eingang zum Mayfair-Tanzsaal, der tagsüber fest verschlossen war, und vielleicht machte ich noch Halt bei Hawleys Bäckerei am Ausgang zur New Street, um einen Tee zu trinken. Dann ging’s zu Threshold Records, das der Prog-Rock-Band The Moody Blues aus Birmingham gehörte. Ja, die Moody Blues hatten ihr eigenes Platten-Label, zu dem eine Ladenkette gehörte – heute unvorstellbar.

Gerne schaute ich auch noch nach den Import- und Second-Hand-Schallplatten bei Reddington’s Rare Records hinter dem Co-Op. Wir alle verkauften im Lauf der Jahre unsere Seelen an Danny Reddington. Er war der Punk unter den Pfandleihern. 1977 musste ich die paar Kröten nehmen, die er mir für meine Alben-Sammlung anbot, um mir meine erste elektrische Gitarre und einen Verstärker kaufen zu können.

Als Birminghams jugendlicher Flaneur bummelte ich die New Street entlang. Es war nicht Paris, aber mir genügte es.

Um zehn Uhr ging ich rüber zum Bahnhof Moor Street, um den Roxy-Fan Marcus zu treffen, der gegen halb elf von seiner Schicht kam. Marcus sammelte gerade die Fahrkarten von ankommenden Pendlern ein. Er sah mich und lächelte: „Ich bin gleich fertig, und ich sterbe vor Hunger.“

Er hängte seine Mütze an einen Haken an der Bürotür, und wir gingen, Hände in den Taschen, eilig durch den Fußgängertunnel, der unter dem Queensway hindurchführte. Dabei tauschten wir den neuesten Klatsch und Ideen aus. Meistens ging es um Musik. Marcus war ein paar Jahre älter als ich, und sein Geschmack war weiter entwickelt. Er mochte Enos Solo-Platten, besonders die letzte, Another Green World, die ich ziemlich wirr fand. Die Drucke, die dem Album beilagen, schmückten das Wohnzimmer der Wohnung in Moseley, die er mit seiner Freundin Annette teilte.

Annette arbeitete in der Stadt und traf uns oft in ihrer Mittagspause. Wir kauften uns ein Sandwich oder gingen zur Oasis-Boutique, zum Bekleidungsmarkt oder zu Bus Stop (einer der cooleren Boutiquen), wo Annette sich nach Klamotten umsehen konnte. Das war 1975: immer noch viel Funkeln und Glitzern, aber auch Northern-Soul-Einflüsse wie Sternen-Pullover und gerippte T-Shirts. Die Schlaghosen wurden weiter. Hosen aus knitterfreiem Stoff mit sechs Knöpfen und Seitentaschen gab es auf dem Markt für ein Butterbrot.

Ich hatte mir die Stadt nach einem Drei-Stufen-System erschlossen. Ihr könnt es euch inzwischen denken: Plattenläden, Essenspausen und Klamotten. Ich konnte den ganzen Tag damit verbringen, von Stufe zu Stufe zu wechseln.

Und dann gab es da noch Virgin.

Mit Virgin Records begann das Virgin-Firmen-Imperium. Vor der Fluglinie, dem Kreditgeschäft, dem Medienkonzern und der Cola waren die Plattenläden da. Sie waren die am wenigsten kommerziellen Schallplatten-Geschäfte, die man sich vorstellen kann.

Ich kannte keinen Ort, der so sehr Bohème war wie Virgin. Es war eine Hippie-Enklave. Flugzeugsitze säumten die Etage, und du konntest herumsitzen und über die unglaublich großen Kopfhörer Musik hören, solange du wolltest.

Es war extrem. Sie hatten Plattenteller hinter der Ladentheke, und du konntest sie bitten, irgendein beliebiges Album aufzulegen. Der Geschäftsführer gab mir gelegentlich Jobs und bezahlte mich mit gebrauchten Schaufensterplakaten, die ich an der Wand meines Zimmers aufhängte. Einmal schenkte er mir Tickets für Gong, die sich die Pot Head Pixies vom Planeten Gong ausgedacht hatten.

Als Virgin in seinen glänzenden, teuren Megastore in der New Street umzog, war ich der erste Kunde, der dort ein Album kaufte – das Debüt der Doctors of Madness. Zur Belohnung bekam ich Mike Oldfields Ommadawn, dessen Cellophanhülle ich nie geöffnet habe. Mike Oldfield? Wen interessierte der schon?

Überall in Birmingham gibt es Monumente für die Helden des Industrie-Zeitalters, Helden der Produktion und der Technik. Die viktorianische Vergangenheit, in deren Blütezeit die City gebaut wurde, bildete die DNA der vermeintlich so unerschütterlich soliden Stadt. Aber Birmingham hört nie auf, sich zu verändern.

1975 war es die perfekte moderne Großstadt, und ich habe nie die Kids beneidet, die wie der Sex-Pistols-Gitarrist Steve Jones in London aufwuchsen. Wie in aller Welt soll man sich mit sechzehn in diesem Steinhaufen zurechtfinden? Ich habe keine Ahnung. Mit sechzehn hatte ich meine Stadt abgesteckt. Ich liebte alles an ihr. Ich konnte nicht genug Zeit dort verbringen. Ich konnte tagsüber meine Raubzüge machen, meinen Kopf mit Kultur füllen und dann in den roten Bus zurück nach Hollywood steigen. Nie verließ ich die Stadt mit leeren Händen, und oben auf meinem Hochsitz inspizierte ich die Beute, ein Album oder ein Magazin. Hinter mir verschwand die Stadt, während der Bus südwärts drehte und mich der Geborgenheit meines Zimmers, meinem Schutzraum, näher brachte.

Gegen Ende meiner Schulzeit konnte ich die Tour zeitlich perfekt planen. Ich erreichte die Haustür der Simon Road 34 gerade dann, wenn meine Klassenkameraden aus dem Schulbus stiegen. Diese ahnungslosen Trottel!


11: Neurotischer Außenseiter

Wenn die Stadt das Klassenzimmer war, dann war der New Musical Express das Lehrbuch. In den Siebzigern schrieben die unglaublichsten und angesagtesten Autoren für den NME: Nick Kent, Charles Shaar Murray, Ian MacDonald. Sie sahen aus wie Rockstars und sie lebten auch so. An den meisten Abenden der Woche hingen sie mit den Stars herum und nahmen Drogen mit ihnen. Jedenfalls bekam man diesen Eindruck.

Die Welt der Musik, die der NME einem erschloss, war eine Offenbarung. Von einer Woche zur nächsten gab es zum Beispiel Miles Davis auf dem Cover oder einen Bericht über Bowies Konzert in New York oder aus Jamaika einen Beitrag über Bob Marley.

Meinem kleinen, entfremdeten Ich, das keinen Draht mehr zur Schule und auch nicht mehr zur Kirche hatte, eröffnete der NME die Möglichkeit, sich als Teil von etwas zu fühlen. Ich gehörte zu einer Clique mit einer eigenen Sprache, die ich zu sprechen lernte.

In einer Buchkritik in den späten Neunzigern schrieb der Guardian: „Der NME war in den Siebzigern verantwortlich für die Entstehung einer Generation von Jungen, die neurotische Außenseiter waren.“

Ich war einer von diesen Jungen.

Ich wurde unaufhaltsam von der Popmusik und der Kultur darum herum angezogen. Zur Schule ging ich überhaupt nicht mehr, aber ich hatte nie das Gefühl, aus der Bahn zu geraten. Die Musik ernährte mich, und solange ich meine Nahrung kriegte, spielte es keine Rolle, woher sie kam.

Die Musik der 1970er berührte viele von uns Teens, die wir in unseren Vorstadtzimmern saßen und mit der Klaustrophobie lebten, die Dads Kriegsdramen und Mums religiöser Eifer erzeugten.

Wo immer ich jetzt hinkam, klopfte ich mit dem Fuß einen Takt, ich trommelte auf das Armaturenbrett des Autos oder spielte Keyboard auf dem Küchentisch. Aber Mum und Dad begriffen es nur langsam, und es dauerte ewig, bis einer von ihnen sagte: „Vielleicht sollten wir ihm ein Musikinstrument hinstellen.“

 

Das einzige Instrument, das es, soweit ich weiß, in meiner Familie jemals gab, war ein verstimmtes Klavier im Haus meiner Großmutter, auf dem ich gerne herumhackte. 1975 kauften mir meine Eltern schließlich eine Gitarre, ein ganz schwarzes klassisches Akustik-Instrument. Es war die Kopie einer Gitarre, die ich Bryan Ferry spielen gesehen hatte, aber ich hatte keine Ahnung, wie man sie stimmte, und niemand kam auf den Gedanken, dass ein oder zwei Unterrichtsstunden von Nutzen sein könnten. Ein paar Saiten rissen, und innerhalb eines Monats landete das Instrument hinten im Schrank.

Ich wusste nicht, dass ich ein „Musiker“ sein konnte. Musiker gingen zur Musikschule, wurden Virtuosen oder fuhren jahrelang in Kleintransportern die Autobahnen rauf und runter, um ihr Handwerk auszuüben. So stellte ich es mir vor, denn die Künstler, die Mitte der Siebziger mein Interesse auf sich zogen, waren „große“ Bands mit außergewöhnlichen Solisten wie The Who, Prog-Rocker wie Van der Graaf Generator oder Queen. Man sprang nicht einfach auf die Bühne und fing an, so zu spielen. Es bedurfte Jahre der Hingabe.

Aber 1976 geschah etwas, was all das änderte. Die Sex Pistols veröffentlichten ihre erste Platte. Nur dass „Anarchy In The UK“ nicht einfach eine Platte war, es war eine Revolution. Ein Song, der alles änderte, nicht nur für mich, sondern für meine ganze Generation.

Ich erinnere mich, wie ich nach Hause kam, nachdem ich ihn gekauft hatte. Ich stürmte die Treppe hoch in mein Zimmer – Dads Stereo-Anlage hatte einen neuen Standort –, stellte die Lausprecher nach draußen gerichtet auf die Fensterbank, öffnete weit die Fenster und beschallte die Nachbarschaft. Ich spielte die Platte auf „repeat“ und so laut, wie es die Anlage zuließ, wieder und wieder, den Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufgedreht.

Leckt mich am Arsch, Nachbarn. Fuck you.

„Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet. Das hier bin ich!“

Nachdem ich das Lied ein Dutzend Mal gespielt hatte, überkam es mich.

„Wo ist die verdammte Gitarre? Wo ist diese Gitarre?“

Ich kramte sie hervor und fing an, darauf herumzuschrammeln, zwei ungestimmte Saiten, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling, kling zu „Anarchy In The UK“.

Und es rockte verdammt gut.

Die aus dem Schrank gerettete Akustik-Gitarre würde es nicht bringen. Ich brauchte eine elektrische Gitarre und fand in einem Secondhand-Musikgeschäft eine Fender-Telecaster-Kopie für fünfzehn Pfund.

Sie hatte eine fade „authentische“ Sunburst-Lackierung, die nicht meinen ästhetischen Vorstellungen entsprach. Mit Dads Hilfe sprühte ich den Gitarren-Korpus hermelinweiß. Dad hatte die Farbe in seiner Garage herumstehen, es war die Farbe seines zweiten Ford Cortina. Ich erkannte, dass sechs Saiten meine Fähigkeiten überstiegen und nahm mir die Freiheit, nur fünf zu verwenden. Eigentlich brauchte ich sie nicht alle. Auf dem stilbildenden Punk-Klassiker „Boredom“ von den Buzzcocks hatte Pete Shelley ein Gitarrensolo mit nur zwei Tönen gespielt. Das war der Geist der Zeit.

Ich war immer noch gut mit David Twist befreundet, dem Jungen, der mich mit Nick bekanntgemacht hatte. Ich war gerne bei den Twists zu Hause, denn seine Eltern erlaubten uns, ja sie ermunterten uns sogar, in seinem Zimmer auf unseren Instrumenten herumzuholzen. David besaß einen kleinen Verstärker, den sein Vater für ihn gebaut hatte.

Nick verbrachte immer mehr Zeit mit seiner Freundin Jane. Wann immer ich Nick zu Hause besuchte, fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen. Das war bei David nicht so, der auch solo war, ein einsamer Loser wie ich. So cool es war, Musik zu machen, wir operierten regelrecht wie Nerds – Mädchen waren noch nicht zugelassen.

David sang, ich bearbeitete meine Gitarre, und wir veranstalteten Schein-Konzerte, komplett mit „Licht aus“, „Licht an“ und „Intro-Musik“. Songs wurden geschrieben, und John West And The Sardine Cans gaben an Weihnachten ihr Konzert-Debüt vor den beiden Elternpaaren. Ein klassisch alberner Name ohne Bedeutung.

Da wir unseren Sound ausbauen mussten, überzeugte ich einen meiner Freunde von der Schule, Roy Highfield, der eine Snare-Drum und eine Hi-Hat hatte, sich ein Tomtom zu kaufen. Ein anderer Freund tauchte mit einer Bassgitarre auf. Wir waren eine Band.

Und das war es, Mann, das war es. Es war die Initialzündung. Das hier war, was ich tun wollte. Ich wusste, dass ich nicht im Park Fußball spielen wollte.

Wir brachten unsere Ausrüstung zu Gareth „The Bass“. Seine Familie lebte in einem großen Haus mit einer Auffahrt und viel Platz außen herum, es war ein geeigneter Ort für unsere Proben. Und außerdem hatte er zwei Schwestern, Heidi und Debbie, die uns gerne zusahen, was ermutigend war. Sogar die Mutter von Gaz war süß. Es waren also Frauen im Haus, für die man spielen konnte, und das war superwichtig.

Ich glaube, man nennt sie Musen.


12: Shock Treatment

David, Gareth, Roy und ich lernten das Einmaleins des Punk Rock, und wir tauften unsere Band in Shock Treatment um, nach dem Ramones-Song „Gimme Gimme Shock Treatment“.

Wir fingen an, Songs zu schreiben. Einfach, auf den Punkt und typisch für die Zeit. „Freedom Of Speech“, „I Can’t Help It“ und „UK Today“ hätten zu der Zeit von fast jedem britischen Teenager geschrieben werden können, Titel wie „Cover Girls“ und „Striking Poses“ verrieten aber auch andere als politische Interessen. Es war nichts Tiefsinniges daran, fast alles war Imitation, aber es waren Songs, mit Strophen, Refrains und rudimentären Gitarrensolos. Wir übten auch zwei Cover-Versionen ein: das Klagelied „I Wanna Be Your Dog“ von den Stooges war mit seinen drei Akkorden ein Song, den jeder hinkriegte, und „Substitute“ von The Who hatten die Pistols auch gespielt.

Ich war nicht der Sänger, der Frontmann, aber ich wusste, was wir zu tun hatten. Mir war klar, dass wir einen Gig brauchten, also besorgte ich einen, indem ich den Schulvorstand beschwatzte, uns einige Wochen später im Juni 1977 auf dem Sommerfest spielen zu lassen.

Mein Interesse an Top of the Pops und Supergroups wie Genesis hatte ich verloren. Viel aufregender und befriedigender war es, in den Clubs, die für Punk offen waren, die Auftritte junger Bands zu sehen. Und zu beobachten, wie sie im Laufe der Monate reiften.

Der nächste Schritt war, lokalen Gruppen durch die Stadt zu folgen. Zu sehen, wie sie sich in wenigen Wochen entwickelten. Dadurch wurde das Gefühl der Zusammengehörigkeit noch stärker.

Auf der Busfahrt nach Hause analysierte ich dann mit meinen Freunden die Konzerte: „Habt ihr das bemerkt, sie hatten einen neuen Gitarrenverstärker?“ „Hat euch der neue Song gefallen, mit dem sie angefangen haben?“ Und wir beurteilten auch die Poster und Flyer, die verteilt worden waren.

Der Ort, den das Oberstufen-Komitee für das Sommerfest ausersehen hatte, war der Hockley Heath Rugby Club. Eine Bar säumte den hinteren Teil des Saales. Hier und da waren Tische und Stühle aufgestellt, und davor war eine Tanzfläche. Auf beiden Seiten des Raumes gab es Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, und so wurde es – im Juni – nicht richtig dunkel. Da es keine Bühne gab, stellten wir unsere dürftige Auswahl an Instrumenten auf dem Boden auf. Unser Bühnensound gewann durch einen echten Carlsbro-Singway-100-Watt-Kofferverstärker, eine Leihgabe von unseren Freunden bei den Prefects.

Ich konnte mir nichts Erregenderes vorstellen, als meine Telecaster-Kopie an dieses Gerät anzuschließen.

Als ich mit dieser Waffe vor meinen Klassenkameraden stand, änderten sich die Spielregeln. Ich war nicht länger der Nerd Nigel, der nie ins Team berufen wurde, der Auszeichnungen, Aufmerksamkeit und Konkurrenz gescheut hatte.

Vor diesem Abend war ich ein Niemand, aber jetzt war ich am Zug.

Ich war eine Granate.

Ich hatte keinen Unterricht genommen und war kein Virtuose, so viel war klar. Aber ich hatte ein paar Songs geschrieben, und trotz meiner beschränkten Technik, klang es großartig, als meine Gitarre über den Carlsbro und die Big-Muff-Verzerrer-Box lief.

Mit meiner Fünfzehn-Pfund-Gitarre und einem geliehenen Verstärker verfügte ich über genug Macht und Energie, um das Bild von mir, das alle hatten, zu erschüttern. Ich konnte es auf ihren Gesichtern sehen. Sie verstanden es nicht ganz, aber sie merkten alle, Jungen wie Mädchen, dass sich ein grundlegender Wechsel der „Chemie“ und der Hierarchie vollzog.

Am Ende dieses Abends standen zwei Tatsachen für mich unumstößlich fest:

1. Shock Treatment waren furchtbar.

2. Ich konnte nicht abwarten, es wieder zu tun.

Shock Treatment spielten eine Handvoll Gigs – es erschien sogar eine Konzertkritik im Fanzine Brumbeat – und verwandelten sich dann in die Assassins. Ich habe Flyer von Gigs beider Bands im Golden Eagle in der Hill Street, beide Male als Vorgruppe der Prefects. Dann lernten David und ich Mark Wilson kennen, einen DJ in der Szene. Er fragte, ob wir in der Band mitmachen wollten, in der er sang und Gitarre spielte – Dada. Dada war ein sehr viel einfallsreicheres musikalisches Gebilde als Shock Treatment. Der Boutique-Besitzer John Brocklesby spielte einen pinkfarbenen Vox-Bass und sang seine eigenen Songs. Wir brachten den Roxy-Fan Marcus mit, der auf einem Bügelbrett sitzend Stylophon spielte (sehr Dada), und David wechselte vom Gesang zum Schlagzeug.

Ziemlich verrückt, oder?

Johns Frau Heather besorgte uns ein paar tolle Sachen aus ihrer Boutique – zum Beispiel eine weiße Jacke mit Lederkragen, phantastisch geschnitten. Das verlieh uns eine gewisse klassische Extravaganz.

Der Song-Katalog begann mit „Toyroom“, Mark Wilsons exzentrischem Loblied auf die Freuden der Kindheit, das zu einem stotternden Disco-Beat gesungen wurde. Die Akkorde waren DA/DA, und das Lied war sieben Minuten lang. Mainstream-Musik war das nicht.

Wir gingen ins Crown in der Hill Street und fragten, ob wir dienstags in dem oben gelegenen Raum spielen könnten. So wurden wir dort im Mai 1978 ansässig.

Ein fester Auftrittsort hat seine Vorteile. Wenn du Woche für Woche am gleichen Abend spielst, entwickelst du eine Vorstellung davon, was du bist und wohin die Reise geht. Du hast ein Ziel – besser zu werden – und bekommst jede Woche Feedback von denen, die gerade vorbeischauen. Am Anfang besteht das Publikum immer aus Freunden und Verwandten. Doch wenn du etwas zu bieten hast, spricht es sich nach einer Weile herum, und Leute, die du noch nie gesehen hast, tauchen am Eingang auf und bezahlen Geld dafür, dich spielen zu hören.

In jenem Sommer erzählte ich einem skeptischen Highschool-Berufsberater, dass ich ein „Popstar“ werden wolle, und ich schrieb mich in Birmingham an der Fachhochschule für Kunst und Design für ein zwölfmonatiges Grundstudium ein. Ich hatte zu Hause nie aufgehört zu zeichnen, meine Blöcke waren voll mit Ideen für Poster und Band-Logos. Diese Arbeiten und mein Enthusiasmus reichten trotz meiner unzulänglichen Leistungen auf dem Gymnasium aus, um zugelassen zu werden.

Ein künstlerisches Grundstudium bietet eine großartige Einführung in Grafik, Mode, Textilien, bildende Kunst und Fotografie, alles in einem Jahr. Danach kann man sich auf einen Bereich spezialisieren, in dem man einen Abschluss machen will.

Meine Entscheidung, auf die Kunsthochschule zu gehen, war von meinen musikalischen Helden beeinflusst – John Lennon, Keith Richards, Bryan Ferry –, die auf eine Kunsthochschule gegangen sind. Ich hoffte darauf, wie sie auf Seelenverwandte zu treffen.

Was ich auch tat.

Der Student, zu dem ich mich am stärksten hingezogen fühlte, war Stephen Duffy, der spätere Gründer der Band The Lilac Time. Wenn in der Zeichenklasse alle anderen sich bemühten, jedes Detail des Gegenstands so akkurat wie möglich abzubilden, griff sich Stephen einfach einen Kohlestift, traktierte sein Blatt mit drei oder vier groben Strichen und überreichte es dem Dozenten so, als wolle er sagen: „Mir ist das hier alles egal.“ Der Lehrer verkündete dann immer: „Seht ihr, Leute! Stephen hat’s erfasst!“

Darüber hinaus war Stephen ein Songwriter, und er spielte Bass. Fretless Bass. Er war mir weit voraus. Im College trug er ein unverkennbares Outfit mit Chiffon und Make-up und redete kenntnisreich über Kerouac und Zimmerman. Einer seiner Songs trug den rätselhaften Titel „Newhaven To Dieppe (And No Wonder)“.

 

Dada war an eine Grenze gestoßen und kam nicht weiter. Jetzt wollte ich mit Steve in einer Band sein, aber ich würde Verstärkung brauchen.

Ich schlug Steve vor, Nick Bates zu treffen.

Wie jeder andere auch in jenem Jahr, wollte Nick Gitarre spielen, und ich sollte es ihm beibringen. Unter den Blinden war der Einäugige König.