Tanz auf dem Vulkan

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Der aus der Vulkanasche entstandene Boden war äußerst fruchtbar, aber mit dem Feuerberg im Herzen der Insel war nicht zu spaßen. Tief im Inneren des Teide hauste für Lugo der Satan und in den Höhlen „Cuevas del Viento“ geisterten angeblich Hexen und Gespenster herum. Ich hielt nichts von Geistern und Gespenstern, aber wenn sich der Vulkan am Abend in dunkle Wolken hüllte und die Strahlen der untergehenden Sonne sie glutrot färbten, hatte ich zuweilen ein mulmiges Gefühl. Das Böse lauerte auf seiner Finca. Es kam aus der Luft oder kroch aus dem Boden. Man konnte es an den Schädlingen sehen, die über die Pflanzen herfielen, und an dem Unkraut, das sich überall breitmachte. Beides wurde von Lugo mit der Giftspritze bekämpft.

Ab und an ließ der Herr dem Satan freien Lauf. Wenn dann der Vulkan Glut und Asche spuckte, konnte nur noch die Gottesmutter helfen. Die „Virgen de los desamparados“ ließ ihre Kinder nie im Stich, auch nicht, wenn das Geld ausging oder wenn man von Krankheit geplagt wurde, was Lugo aber nicht daran hinderte, sich zusätzliche Hilfen zu verschaffen. Man wollte ihn wiederholt beim Wunderheiler gesehen haben, der angeblich auch weissagen konnte.

Lugos Finca war nicht allzu groß und warf kaum mehr ab, als man selbst verbrauchte. Man baute Paprika, Mais, Zucchinis und Melonen an, aber auch in Lippe heimische Sorten wie Kartoffeln, Tomaten, Möhren, Kohl, Spinat, Zwiebeln und Salat. Alles wuchs üppiger als daheim und schmeckte würziger, wirkte aber beim Verzehr um einiges härter.

Bei den Obstsorten überwogen südländische Gewächse wie Orangen, Zitronen, Bananen, Papayas, Mangos, Feigen, Mandeln, Avocados und Guayabas. Die meisten dieser Südfrüchte kannte man früher in Lippe nicht, sie werden aber heute in jedem Supermarkt angeboten.

Für Hilde hatte jede Frucht ihr eigenes Geheimnis. Mal enthielt sie seltene Vitamine, mal andere Stoffe, die in den heimischen Sorten nicht vorkamen. Die lippische Kost war ihr ein Gräuel: „Viel zu fettig und kalorienreich! Das macht auf Dauer krank!“

Ich musste ihr Recht geben, fand jedoch, dass so manches althergebrachte Hausrezept nicht zu verachten war.

„Pickert mit Leberwurst und Pflaumenmus gilt als eine besondere Spezialität“, hatte ich geschwärmt. „Das muss man probiert haben!“

Hilde hatte abgewinkt: „Das kannst du vergessen! In dem Gericht steckt nichts Frisches!

Ich hatte geschwiegen. Ich war froh, dass es keine lange Diskussion gab!

Im Weingarten gab es nur zwei Rebsorten: „Listan Negro“ und „Listan Blanco“. Der Rote war kräftig, hatte aber eine bittere Note. Der Weiße war süffig und ging, gut gekühlt, rasch in die Krone. Der Rebsaft wurde ohne viel Aufwand verarbeitet und jung getrunken. Für den Eigenbedarf reichte die Qualität.

Für Hilde musste Hochwertigeres, in Eichenfässern Gelagertes her. Sie achtete streng auf Rebsorte, Herkunft und Jahrgang. Das Einschenken war Kult: Sie öffnete die Flasche, schnüffelte am Korken und prüfte, ob ein Korkfehler vorlag. Dann goss sie zunächst eine geringe Menge ein. Das Glas musste „stilvoll“ sein, was bedeutete, dass es langstielig und dünnwandig sein und eine möglichst kleine Öffnung aufweisen sollte, damit sich die „Blume“ besser fing. Sie goss den Wein wieder aus, weil Fremdgerüche, die von Spülmitteln stammen, den Geschmack verfälschen können, und befüllte das Glas erneut, aber nur bis zu einem Drittel, fasste es dabei nur am Stiel, damit der Inhalt vor der Körperwärme abgeschirmt war, und schwenkte es, bis die Innenwand rundum benetzt war. Vor dem ersten Schluck nahm sie das Aroma zunächst intensiv mit der Nase auf, ließ anschließend den Wein den gesamten Mundbereich umspülen und „kaute“ ihn, hielt inne, um die Geschmacksstoffe wirken zu lassen, und signalisierte, bei Gefallen, dass alles in Ordnung war, selbstverständlich mit fachmännischem Kommentar.

„Man erfährt viel über den Charakter der Einheimischen, wenn man sieht, was bei ihnen auf den Tisch kommt!“, hatte Hilde laut getönt. Ihre Erfahrungen beschränkten sich allerdings auf die Hotelküche. Dort richtete man sich nach dem neuesten Trend, was hieß, dass das Gemüse leicht gedünstet oder kurz ange­schmort und somit noch leicht bissig war. So hatte Hilde es auch den Frauenzeitschriften entnommen. Die gaben stets die besten Ratschläge, womit man die Männer verwöhnen kann! Einmal hatte es Hilde in einen Landgasthof verschlagen. Auf der Speisekarte stand „Conejo Salmorecho“, ein landestypischer Kaninchen-Eintopf mit Knoblauch, Zwiebeln und Tomaten. Als Beilage wurden kleine, ungeschälte und in Salzlake gekochte Kartoffeln gereicht. Die „papas arrugadas“ sind ein „Muss“ für alle Touristen! Hilde hatte dem Braten von Anfang an nicht getraut. Der Koch hatte das Fleisch wahllos in Stücke gehackt. Als Hilde die Knochensplitter mühsam aus der Soße fischen musste, hatte sie endgültig die Nase voll.

Ich hatte mir vorgenommen, die nähere Umgebung zu erkunden. Ich folgte zunächst einem Küstenpfad, der meerseits vor der Finca verlief und von der Mündung des Barranco Ruiz bis zu dem kleinen Fischerort Las Aguas reichte. Der Weg war schmal und holprig und es ging ständig bergauf und bergab. Landeinwärts, hinter aus Lavagestein aufgeschichteten Mauern, lagen die Fincas der Campesinos. Die Felder wurden nur noch von alten Leuten bewirtschaftet. Sie waren zum Teil bereits verwildert und die verrosteten Seilaufzüge zur Straße weiter oberhalb schon lange außer Betrieb.

Zum Meer hin gähnte der Abgrund. Zuweilen führte der Pfad über überhängende Felsnasen, die aussahen, als könnten sie jeden Augenblick wegbrechen. An einigen Stellen war das Erdreich den Hang hinuntergerutscht. Faida scherte sich nicht um die Gefahren. Sie schnüffelte nach allen Seiten, ob ihr ein anderer Hund eine Botschaft hinterlassen hatte. Ich hielt sie an der Leine, denn sie hatte es auf die Kaninchen abgesehen, die sich in dem umliegenden Gelände tummelten, und ich fürchtete, sie könnte beim Hetzen der Tiere in die Tiefe stürzen oder am Ende den Weg nicht zurückfinden.

Lugo hatte mich ausgelacht: „Ein Hund geht nicht an der Leine! Das ist Tierquälerei! Dein Hund findet sich tausendmal besser zurecht als du!“

Das hieß jedoch nicht, dass ich Faida auf seiner Finca frei laufen lassen konnte, denn dort könnte sie seine Kaninchen jagen!

Ich genoss die laue Luft und den Sonnenschein, hatte den würzigen Duft des wilden Lavendels und des Fenchels in der Nase, ließ meinen Blick über die ringsum wuchernden Wolfsmichgewächse schweifen, schaute zu den bizarren Blütenständen einer Agave hoch, pflückte von einem Kaktus eine knallrot leuchtende Frucht und von einem Rizinus eine der kugelförmigen, stachelbewehrten Fruchtkapseln. Besonders angetan hatten es mir die allenthalben in den Steinmauern wurzelnden Gänsedisteln. Die buttergelben Blüten des löwenzahnähnlichen Gewächses erreichten eine erstaunliche Größe!

Nach einer Weile lag eine alte Bauernkate am Weg. Im Erdgeschoss gab es zwei winzige Räume. In dem vorkragenden, mit grünen Sprossenfenstern versehenen Obergeschoss mochte sich der Schlafraum befinden. Vor dem Eingang lehnte ein klappriges Motorrad. Damit musste der Campesino alles herbeikarren, was er nicht selbst auf der Finca erzeugte.

Im Garten hinter dem Haus stolzierte der Hahn stolz um seine Hennen herum und ließ sich von Faidas Gebell nicht beirren. Faida hatte es ohnehin mehr auf die Katzen abgesehen. Sie war wild darauf, sie aufzuscheuchen, aber die listigen Schleicher hatten sie längst bemerkt und sich verkrochen.

An der Haustür standen diverse Näpfe mit Futter und Wasser herum. Die Hunde konnten sich nach Belieben bedienen. Ihre Hinterlassenschaften waren allseits auf dem Weg verstreut. Den Campesino schien das nicht zu stören. Warum sollte er sie aufheben? Nach kurzer Zeit würden sie vertrocknet sein und sich in Luft auflösen!

Als ich auftauchte, stürmten die Hunde kläffend aus dem Haus. Dann ging die wilde Jagd los. Sie wuselten um mich herum und wenn Faida ihnen nachsetzen wollte, verfing sie sich prompt in der Leine.

Selber schuld, mochte der Alte denken, wenn man seinen Hund nicht frei laufen lässt!

Zwischen der Haustür und dem Rand der Klippen war gerade mal Platz für den Pfad. Ich sah Faida im Geiste bereits den Abgrund hinabstürzen. Der Alte schaute gelassen zu. Er hatte fünf Hunde! Einer weniger wollte nichts heißen!

Faida war das Toben nach einer Weile leid. Benehmt euch gefälligst, schien sie zu signalisieren. Ich bin jetzt bei vornehmen Leuten. Mein neues Herrchen spricht anders als die Leute hier, aber inzwischen verstehe ich, was er zu mir sagt. Er bringt mir allerhand bei. Wenn ich Sitz mache, bekomme ich immer etwas Leckeres. Was das Fressen betrifft, habe ich es besser als zuvor. Das Futter ist vom Feinsten! Früher haben mir die anderen Hunde alles weggefressen. Jetzt habe ich meinen Napf ganz für mich allein. Aber wenn ich in der Küche etwas stibitzen will, schimpft mich mein Herrchen aus.

Er will auch nicht, dass ich Kaninchen jage. Ich muss mich mit Mäusen zufriedengeben. Doch ich habe inzwischen raus, wie man sie kriegt. Manchmal erwische ich mehrere hintereinander! Ich darf auch keine Katzen scheuchen oder Vögeln auflauern.

Ich weiß auch nicht, warum ich mein Geschäft nicht mehr vor der Haustür machen darf. Das ist doch wichtig, denn damit mache ich anderen Hunden klar, dass hier mein Revier liegt! Am schlimmsten ist, dass ich an einer Leine gehen muss. Das mag ich überhaupt nicht! Daran muss ich mich erst gewöhnen.

Leider hält mein Herrchen keine anderen Hunde! Aber wir sind doch gesellige Wesen! Wir brauchen das Rudel. Freut euch, dass ihr es besser habt! Vor wilden Hunden muss ich mich angeblich hüten. Man erkennt sie daran, dass sie grau sind und ganz große Zähne haben. Sie riechen auch anders. Manchmal höre ich sie in der Ferne heulen. Aber wenn man ihnen begegnet, soll es gefährlich werden.

 

Ob die anderen Hunde verstanden hatten, ließ sich nicht sagen. Ich hingegen kam mit dem Campesino ins Gespräch. Als ich ihn beiläufig wissen ließ, wo ich Quartier bezogen hatte, zog er die Augenbrauen hoch.

„Lugo ist ein tüchtiger Bauer“, meinte er, „aber ein kauziger Typ. „Dass er Fremde bei sich aufnimmt, wundert mich.“

Mehr wollte er offensichtlich nicht preisgeben, aber ich hatte den Eindruck, dass er mich warnen wollte.

Der Weg mündete wenig später in einen kleinen Weiler. Rosario war ein verschlafenes Nest und noch winziger als Dalborn. Die Häuser beiderseits der engen Dorfgasse schmiegten sich hangaufwärts in das Felsgestein. Meerseits krallten sie sich in die steil abfallenden Klippen. Aus den Küchen strömten die Gerüche von Gebratenem, aus den Hinterhöfen schallte der Lärm der Kinder.

Am Ende der Gasse lag ein Haus, aus dessen Fenster stets eine alte Frau schaute, wenn ich vorbeikam. Ihr Mann war verstorben und die Kinder waren in die Stadt gezogen. Sie musste allein zurechtkommen. An der Haustür hing ein Jutebeutel. Morgens kam jemand vorbei und füllte frisches Brot ein.

Die Alte blickte mich misstrauisch an. Meinen Gruß erwiderte sie nicht mit dem üblichen „Hola!“, sondern mit einem drögen „Adios“, was soviel wie „Gott befohlen“ bedeutet, aber auf der Insel ohne das Schluss-s ausgesprochen wird. Meist brummelte sie etwas Mürrisches vor sich hin, das offensichtlich Faida galt und heißen sollte, dass mein Hund ihre alte, kranke Katze in Ruhe lassen sollte, die ihren Stammplatz neben der Haustür hatte.

Der Alten entging nichts. Sie wusste genau, wer und wann vorbeikam. Sie kannte auch Lugos Familie. Sie deutete an, dass er ein schwieriger Mensch sei und es in der Familie ständig Streit gebe, hielt sich aber ansonsten bedeckt und meinte, das gehe sie nichts an.

Der Küstenpfad verlief anschließend leicht bergab und führte nach einer Linkskurve an einer Treppe vorbei, über die man zum Meer hinabsteigen konnte. Oberhalb der Klippen lag ein altes, ringsum von hohen Mauern umgebenes ehemaliges Herrenhaus. Wegen des gelblichen Anstrichs des Mauerwerks sprachen die Einheimischen vom „Mansion amarillo“.

Das Gebäude war mittlerweile ziemlich heruntergekommen. Das Holzwerk hatte lange keinen Anstrich mehr gesehen. Der Außenputz war verblichen und bröckelig. Von den hölzernen Balkonen ragten nur noch die tragenden Balken aus der Außenwand. Die umliegenden, terrassenförmig angelegten Feldstücke und Beete waren verwildert und die Stützmauern teilweise zusammengestürzt. In dem zum Meer ausgerichteten Gartenbereich hatten die Fluten große Löcher in den Hang gerissen.

Dennoch wirkte das Gebäude noch immer herrschaftlich: Das Fundament, die Außenkanten der Mauern und die Einfassungen der Fenster bestanden aus säuberlich geschnittenem Gestein. Die Läden der hohen Sprossenfenster und die vorgesetzten, schmiedeeisernen Gitter waren kunstvoll verziert. Das Dach krönte ein Türmchen, in dessen Öffnung vormals eine Glocke gehangen hatte.

Auf Nachfrage hatte man sich auffällig zurückhaltend gegeben. Nur so viel fand ich heraus: Der Padron war bei einem Sturz ums Leben gekommen. Seine Frau hatte den Schicksalsschlag nicht verwinden können. Sie war ausgezogen und nie mehr zurückgekehrt. Anschließend hatte das Haus für längere Zeit leer gestanden. Wiederholt hatten sich Käufer gemeldet, sie aber hatte stets abgewehrt. Doch nachdem sie unlängst verstorben war, hatten die Erben das Haus rasch zu Geld gemacht. Niemand konnte sagen, wer der neue Eigentümer war. Auffällig erschien indes, dass er kein Interesse an einer Renovierung zu haben schien und man ihn nie zu Gesicht bekam.

Bevor ich zur Finca zurückkehrte, wollte ich eine Weile verschnaufen. Ich setzte mich auf eine steinerne Bank neben dem Eingangstor. Inzwischen war es dunkel geworden. Der Mond war aufgegangen und tauchte das Umfeld in ein gespenstisches Licht. Vom Meeresufer her vernahm ich die gleichförmigen Geräusche der Brandung. Ansonsten war alles still.

Plötzlich schlug im Hof ein Hund an. Ich hatte Mühe, Faida davon abzuhalten, lautstark mit ihrem Artgenossen Kontakt aufzunehmen. Ich fragte mich, ob sich auch der Halter im Haus aufhielt. Es war gängige Praxis, die Wachhunde ihrem Schicksal zu überlassen, wenn man zeitweilig abwesend war. Im Haus brannte nirgendwo Licht. Demnach war niemand vor Ort. Doch dann glaubte ich, von drinnen Stimmen zu hören. Hatten sich Unbefugte heimlich in das Haus eingeschlichen? Handelte es sich möglicherweise um meine Verfolger?

Jetzt aber Schluss mit solchen Spekulationen, sagte ich mir. Im selben Augenblick huschte ein schwarzer Schatten über mich hinweg. Ich vernahm jammernd-quäkende Rufe, die in einem sonoren „Aua-aua“ endeten. Das ist ein Gelbschnabelsturmtaucher, vermutete ich. Tagsüber geht er über dem Meer auf Jagd. Nur in der Dämmerung nähert er sich dem Land. Faida ging immer in Deckung, wenn er über Lugos Finca auftauchte. Ich muss gestehen, dass auch mir nie recht wohl dabei war! Ich fragte mich, warum der Vogel aufgetaucht war. Brabbelte er nur vor sich hin oder war er in Nöten? Gab er Hilfeschreie von sich oder waren es möglicherweise Warnrufe? Galten sie mir?

Ich hatte stets ein mulmiges Gefühl, wenn ich in dieser Gegend unterwegs war, und hütete mich, mich nach Einbruch der Dämmerung dort aufzuhalten. Umso gespannter war ich, was mich erwartete, wenn ich dem Küstenpfad in der Gegenrichtung folgte.

Als Erstes kam ich an einem größeren Anwesen vorbei, das vormals zu einer weitläufigen Hazienda gehörte. Dort war es vor Zeiten hoch hergegangen: Man hatte Feste gefeiert, hatte Freunde zu Gast, hatte gespeist, geplaudert, gelacht, getanzt und gelegentlich Ausflüge in die Stadt und in die Berge unternommen.

Später war es mit der Hazienda wirtschaftlich bergab gegangen. Am Ende hatte der Padron sie verkauft und war ausgewandert. Die Besitzer hatten anschließend wiederholt gewechselt. Ihnen fehlten vermutlich die Mittel, um das Anwesen instand zu halten. Dann hatte es Hildes Exmann billig aufgekauft. Schnieders hatte es aufwändig wieder herausgeputzt und mit allem modernen Schnickschnack versehen: Whirlpool, Sauna, Satellitenantenne, Solaranlage, Alarmsysteme, eigene Strom- und Wasserversorgung.

Hilde gab sich noch immer begeistert: „Das hätte etwas fürs Alter sein können!“

Sie hatte reichlich Fotos von dem Nobelanwesen aufbewahrt: Umgeben von Palmen, Blumenbeeten und exotischen Ziergewächsen lag ein Komplex von diversen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, der von einem burgartigen Bau überragt wurde, in dem sich ein Salon und eine Reihe sonstiger, repräsentativer Räumlichkeiten befanden. Eine versenkbare Glaswand trennte den Salon von einer ausladenden, überdachten Terrasse mit Außenkamin und Grillanlage. Von dem pompösen Esstisch, den Clubsesseln und Liegen hatte man einen freien Blick auf das Meer. Unterhalb der Terrasse lud ein überdimensionaler Pool zum Baden ein.

Alles in allem wirkte das Anwesen wie das Angebot der Spitzenmakler auf Seite eins. Ich verfasste einen Artikel unter dem Motto: „Wiederbelebung des ländlichen Raums. Alte Häuserpracht neu herausgeputzt“. Ich war mir nicht sicher, ob das bei allen Lesern gut ankam. Bei manchen mochte das die Abneigung gegenüber den „Superreichen“ schüren.

Schnieders hatte das Haus wieder veräußert, angeblich mit beträchtlichem Gewinn. Doch der Nachfolger hatte den vereinbarten Preis nicht zahlen können. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen waren noch im Gange. Das Personal war abgezogen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, hatten die Gläubiger abtransportieren lassen. Anschließend hatte das Anwesen erneut über Jahre leer gestanden und war entsprechend heruntergekommen. Die Stürme hatten etliche Ziegel vom Dach gerissen. Der Außenanstrich blätterte ab. Der Gartenbereich war verwahrlost. Die Zierpflanzen waren verdorrt. Unkraut hatte sich allenthalben breitgemacht. Im Pool wuchsen Algen.

Irgendwie schien ein Fluch über dem Anwesen zu liegen. Das mochten auch die Filmemacher empfunden haben, die auf ihm einen Krimi gedreht hatten. „Teneriffa-Tag der Rache“ nannte sich der Zweiteiler. Das machte sich gut, wenn man sich daheim in sicheren vier Wänden wähnte, wirkte aber ganz anders, wenn man vor Ort war und den Eindruck hatte, dass man seines Lebens nicht mehr sicher war!

Inzwischen hatten sich sogenannte „Hausbesetzer“ auf dem Anwesen eingenistet. Mir waren die Leute suspekt. Waren das verspätete Hippies oder verkappte Anarchisten? Ich fragte mich, wovon sie lebten und was sie den lieben langen Tag machten. Es sah so aus, als feierten sie ständig Partys. Zuweilen war mächtig was los. Man hatte gezecht und bis in die Nacht hinein getanzt. Die Musik hatte laut gedröhnt. Das Kreischen der Mädchen war bis zu Lugos Haus zu hören.

Ich hatte versucht, einen Blick auf das Anwesen zu erhaschen. Offensichtlich hatte man mich bemerkt. Ein vierschrötiger, feister Mann mit speckigem, schütterem Haar kam auf mich zu.

„Hola!“, sagte ich und wollte ein paar nette Worte hinzufügen, aber er schnitt mir unwirsch das Wort ab.

„Hau ab!“, schnauzte er mich an. „So einen feinen Pinkel wie dich können wir hier nicht gebrauchen!“

Ich befürchtete, er würde handgreiflich werden.

„Schon gut!“, beruhigte ich. „Ich will nicht stören. Vielleicht sehen wir uns ein anderes Mal.“

Der Mann drehte sich wortlos um und zog wieder ab. Ich konnte nicht ahnen, unter welchen Umständen ich ihm später wieder begegnen würde!

Am Abend saß ich vor Lugos Kate und wollte den Tag mit einem Glas Rotwein ausklingen lassen. Faida hatte es sich neben mir auf dem Boden bequem gemacht. Doch dann wurde sie zunehmend unruhig. Ich konnte im Dunkel der Nacht nichts ausmachen, glaubte jedoch, auf der Hazienda Stimmen zu vernehmen.

Ich nahm Faida an die Leine, pirschte mich vorsichtig vor und ging in der Nähe des Eingangstors auf Lauer. Während ich noch angestrengt lauschte, machte ich vor dem Tor zwei Gestalten aus. Genaues konnte ich nicht erkennen, aber mir schien, dass einer von ihnen dem anderen etwas zusteckte. „Bueno!“, hörte ich einen der beiden sagen. Ich hatte zwangsläufig den Verdacht, es könnte sich um Drogen handeln.

Ich wartete ab, bis sich die Männer trennten. Einer von ihnen kam ganz nahe an mir vorbei. Faida zog ungestüm an der Leine. Ich hatte Mühe, sie zurückzuhalten. Als sich der Mann in Richtung der Finca davonschlich, wurde ich den Verdacht nicht los, dass es sich um Carlos handelte.

Ich fragte bei Juan nach. Er stutzte für einen Augenblick. Dann meinte er ausweichend, er traue den Leuten auf der Hazienda nicht über den Weg.

Ich ließ ihn nicht so einfach davonkommen und wollte wissen, ob sich auch Carlos dort herumtreibe.

„Kann sein!“, sagte er.

Ich sprach ihn auf das gelbe Mansion an: „Kennst du den neuen Besitzer?“

„Nein! Wie kommst du darauf?“

„Nur so!“, beschwichtigte ich.

Ich stellte Lugo die gleiche Frage.

„Das geht mich nichts an!“, murmelte er sich den Bart.

Ich hatte den Eindruck, dass er mehr wusste.

Am folgenden Tag wollte ich den Barranco Ruiz erkunden. Die Schlucht war nur auf einem halsbrecherischen Ziegenpfad zu erreichen. Auf halbem Wege lag, hinter dichtem Gebüsch versteckt, eine verlassene Hütte, an die ein winziger Stall grenzte. Inzwischen waren die Gebäude reichlich verfallen. Dach, Mauerwerk, Fenster und Türen waren in einem desolaten Zustand.

Auf dem Boden entdeckte ich leere Getränkedosen und Zigarettenkippen. Faida schnüffelte aufmerksam an ihnen herum. Demnach musste sich noch unlängst jemand hier aufgehalten haben. Ich warf einen genaueren Blick auf die Kippen. Sie schienen nicht von handelsüblichen Zigaretten zu stammen. Hatten sich die Bewohner der Hazienda hier herumgetrieben? Hatte man hier einen Joint geraucht?

Von der Hütte führte eine steile, verwinkelte Treppe zur Schlucht des Barranco Ruiz hinab. Die Stufen waren ausgetreten, wacklig und teilweise vom Erdreich verschüttet. Unten angekommen, bahnte ich mir einen Weg durch das Bett des Barrancos. Es war mit riesigen Felsbrocken übersät, die die Fluten ineinander verkeilt und im Laufe der Zeit glatt geschliffen hatten. Zurzeit war der Barranco trocken gefallen, aber nach starken Regenfällen verwandelten ihn die Wassermassen in ein Inferno.

Plötzlich gab Faida Laut. Ich spürte, dass sie auf Höchste erregt war. Ihre Nasenlöcher waren aufgebläht, ihr Nackenfell war gesträubt, sie wedelte wild mit der Rute. Sie zog energisch an der Leine. Ich folgte ihr vorsichtig. Ich war auf alles gefasst.

 

Während ich noch abwartete, was sich tun würde, hatte es den Anschein, als huschte ein Schatten an mir vorüber. War das ein streunender Hund? Faida blickte mich mit großen Augen an, als ob sie wissen wollte, ob sie ihm nachsetzen sollte.

„Bleib!“, signalisierte ich ihr. „Lass ihn laufen! Mit dem ist vermutlich nicht gut Kirschen essen.“

Doch wo ein Hund war, mochte sich auch sein Halter aufhalten. War Carlos mit dem Hund unterwegs? Hielt er sich irgendwo in meiner Nähe versteckt?

Ich war bereits auf dem Rückweg, als ich einen Paraglider ausmachte, der hoch über mir über dem Barranco schwebte. Merkwürdig, dachte ich, denn bislang waren im Umfeld von Lugos Finca keine Paraglider aufgetaucht.

Der Pilot schien sich bestens in dem Gelände auszukennen. Zuweilen glitt er gekonnt, aber gefährlich nahe an den Felsvorsprüngen der Steilwand vorbei, ein anderes Mal senkte er sich so tief, dass ich fürchtete, er könnte anschließend nicht mehr genügend Höhe gewinnen.

Ich nahm an, dass der Pilot alsbald abdrehen würde, doch er schien gezielt Kurs auf die Stelle zu nehmen, an der ich mich befand. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er in dem zerklüfteten Barranco aufsetzen wollte. Ich sollte Recht behalten: Nach einem kurzen Schwenk zog er unvermittelt in eine andere Richtung und verschwand aus meinem Blickfeld.

Ich fragte mich, warum er so auffällig lange über mir gekreist hatte. Wollte er mich ausspähen? Handelte es sich bei dem Piloten um Carlos oder Lucia?

Ich fühlte mich bedroht und wollte der Insel am liebsten den Rücken kehren. Im Grunde geht dich die Sache nichts an, sagte ich mir. Du handelst dir nur unnötig Ärger ein! Aber ich fühlte mich verpflichtet, mich um Juan zu kümmern. Ich merkte, dass er mich als väterlichen Freund betrachtete und mich zunehmend ins Vertrauen zog. Er braucht mich, dachte ich. Ich kann ihn jetzt nicht im Stich lassen!

Im Nebelwald

Mein erster Artikel sollte sich mit der Anaga-Gebirgskette im Nordosten der Insel befassen. Ich machte mich frühmorgens auf den Weg. Ich hatte Karte, Kamera, Stift und Notizblock griffbereit, die Marschverpflegung im Rucksack und Faida an meiner Seite. Bevor ich aufbrach, hielt ich Ausschau, was sich auf der Finca tat. Lugo und Juan waren bereits bei der Arbeit. Von Carlos war nichts zu sehen.

Kilometermäßig war die Tour keine große Sache, aber bis zur Carretera, die weiter oberhalb an der Küste entlangführte, musste ich zunächst durch eine Reihe von Dörfern kurven. Auf der Carretera war viel Verkehr. Überholen war meist verboten oder zu riskant. Zeitweilig bummelte ein mit Bananenstauden beladener Kleinlaster vor mir her. Aus seinem Auspuffrohr fuselte eine schwarze Abgasfahne. Mir wurde übel, als ich den ekelhaften Geruch in der Nase hatte. Mehrmals führte die Straße durch einen Tunnel. In der engen Röhre löste der ohrenbetäubende Schall der Motoren bei Faida jedes Mal einen Schock aus. Ich schaute in den Rückspiegel. Seit mir das Taxi nach meiner Ankunft so auffällig gefolgt war, fürchtete ich ständig, dass sich jemand auf meine Fersen setzen könnte.

Nachdem ich die Autopista erreicht hatte, ging es zügiger voran, schneller als hundertzwanzig durfte aber nicht gefahren werden. Ab Puerto de la Cruz ging es laufend bergauf. Das kostete Zeit, zumal der Verkehr zunehmend dichter wurde. In Höhe des Flughafens Los Rodeos bog ich von der Autopista ab. Zuvor vergewisserte ich mich, dass mir keiner meiner Hintermänner folgte.

Ich hielt mich in Richtung La Laguna, umfuhr die Altstadt und durchquerte eine Reihe von Vororten. Anschließend wurde die Gegend rasch wieder ländlicher. Ich legte eine Pause ein und sah den Campesinos bei der Arbeit zu. Sie gruben auf den Feldern den Boden um, düngten, legten Furchen und pflanzten neu an. Andere rodeten Unkraut oder bekämpften Schädlinge.

Eine Frau pflückte Früchte einer Kaktusfeige. Das Fruchtfleisch ist saftig und schmeckt süß-säuerlich. Es wird frisch gegessen oder zu Marmelade verarbeitet. Vormals hat man die Pflanze angebaut, um einen roten Farbstoff zu gewinnen. Er stammte von Läusen, die sich auf ihr ansiedeln. Das lohnt sich längst nicht mehr. Heutzutage werden Farben chemisch produziert. „Echter Purpur“ stammt von Schnecken. Dafür muss man um die zweitausend Euro pro Gramm hinlegen!

Ich durfte probieren. Als die Frau sah, dass ich beim Entfernen der Schale von den feinen Stacheln gestochen wurde, schaute sie mich an, als ob sie sagen wollte: So ist das nun mal, wenn man an süße Sachen herankommen will!

Sie wollte wissen, ob es mir geschmeckt hatte.

„Bueno!“, sagte ich. Sie lächelte dankbar.

Wir kamen ins Gespräch. Mein Spanisch war alles andere als perfekt, aber als sie merkte, dass ich mir Mühe gab, spielte das keine Rolle.

Ich durfte ins Haus kommen und mich umsehen. Sie wohnte in einer alten, aus schwarzem Lavagestein errichteten Kate. Es war eng und dunkel im Inneren. Als ich den Wohnraum betrat, musste ich den Kopf einziehen. Ein Obergeschoss gab es nicht. Als ich hochschaute, konnte ich die Tonpfannen der Dacheindeckung ausmachen.

Ich machte mir Notizen und schoss einige Fotos. Ich wollte der Frau eins überlassen. Heutzutage hätte ich das am PC erledigt: Mail-Anschrift eingeben, Bild anhängen und abschicken. Das ging seinerzeit noch nicht und musste per Post ablaufen.

Ich nahm Kurs auf die Straße, die zum Anaga-Gebirge hinaufführte. Am Weg lag eine größere Dorfschaft. Die Leute waren dabei, die Fiesta vorzubereiten. Ich hatte erlebt, wie eine Fiesta abläuft: Schon am Morgen hatten Böllerschüsse das Ereignis angekündigt. Dann läuteten alle Glocken. Die Menschen strömten zur Kirche. Neben dem Altar war die Statue des Ortspatrons aufgebaut. In seiner Predigt verwies der Geistliche auf die Wunder, die der Heilige gewirkt haben soll, und spendete am Ende einen speziellen Segen. Nach dem Gottesdienst zogen sie trommelnd und pfeifend durch die Straßen. Am Abend versammelten sie sich auf dem Kirchplatz. Es herrschte Jubel, Trubel, Heiterkeit: Tanzvorführungen der Trachtengruppe, heimatliche Gesänge mit Timple-Begleitung, danach laute Samba-Klänge. Alle tanzten und auch die alten Herren nahmen ihre Frauen liebevoll in den Arm. Die Kinder tummelten sich nach Belieben herum. Erst am dritten Tag war Schluss mit dem Feiern.

Ich hielt an und setzte mich auf eine Bank auf dem Kirchplatz. Eine Gruppe von Männern hängte bunte Girlanden auf. Die Frauen schmückten das Portal der Kirche mit Blumen. Die Alten saßen vor der Dorfbar und schauten zu.

Im Vorfeld der Fiesta gab es eine Hundeschau. Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, schon Faida zuliebe. Sie gab sich stets begeistert, wenn sie anderen Hunden begegnete.

Am Rand des Kirchplatzes parkten die Pickups mit den Käfigen. Die Campesinos hatten ihre besten Stücke an der Leine, langbeinige und leichtfüßige Podencos wie Faida, aber auch Galgos, beide waren nur von Kennern zu unterscheiden, und bullige Presa Canarios, eine Doggenart mit imposantem Kopf, kurzer Schnauze, langen Lefzen, hängenden Ohren und massigem Körper. Die bis zu fünfundsechzig Kilo schweren Tiere sind ein zuverlässiger Wächter und bei der Jagd ein ausdauernder Treiber. Sie gelten als Kampfhunde und wenn sie ihren Rachen aufsperren, können sie einen das Fürchten lehren! Auf mich wirkten sie wie der mythische Höllenhund Guayota, der im Schlund des Teidekraters gehaust haben soll!

Die Züchter führten ihre Hunde vor. Die Tiere bellten wild vor Begeisterung und wollten miteinander herumtollen. Ihre Besitzer ließen nichts durchgehen. Ihre Kommandos klangen streng. Notfalls nahmen sie den Stock zu Hilfe. Bei Lugo war das nicht anders.

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