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„Das haptische Modul. Damit kann man nicht nur sehen und hören, sondern auch tasten.“

„Schon klar. Aber wie …“

„Haben Sie schon einmal von künstlichen Muskeln gehört? Das Zeug ist faszinierend. Ein Polymer, das auf elektrischen Strom reagiert. Ohne Strom ist es schlaff wie ein leerer Luftballon, aber wenn man eine Spannung anlegt, fängt es an zu zucken. Aus diesem Material werden die neuen Cyberhandschuhe gebaut. Unsere Techniker haben einen Chip entwickelt, der es erlaubt, einzelne Punkte gezielt anzusteuern, so dass man einen Tasteindruck simulieren kann. Ihre nächste Aufgabe besteht darin, diese Option in Ihr Spiel zu implementieren. Suchen Sie sich einen Assistenten. Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich an den Markt gehen.“

Unwillkürlich begann Ron, die Informationen in Algorithmen umzusetzen. Dies war Neuland für ihn. Aber wenn das mit den Tasteindrücken wirklich funktionierte, wäre es genial. Gedankenverloren griff er nach seiner Serviette und skizzierte ein Datenmodell darauf. Wie viele Bits würde die Steuerung des haptischen Moduls wohl benötigen? Hoffentlich gab es brauchbare technische Informationen dafür …

Beinahe hatte er vergessen, wo er sich befand.

Gerhardt Fleischmann lächelte. „Ich dachte mir, dass Sie das reizen würde“, sagte er. „Aber nun müssen Sie sich beeilen. Ihr Zug fährt in zwanzig Minuten.“

4. SCHÖPFUNG, DIE ZWEITE

Von der Rückfahrt bekam Ron ebenso wenig mit wie von der Hinfahrt, die er fast komplett verschlafen hatte. Zwar blieb er diesmal wach, doch dachte er so intensiv über das neue Projekt nach, dass er seine Umwelt praktisch vergaß.

Der Gedanke an eine Spielwelt, die nicht nur Bilder und Geräusche, sondern auch Tasteindrücke vermittelte, faszinierte ihn. Allerdings erforderte sie einen völlig anderen Aufbau. Zusätzlich zu Form und Farbe musste jedes Ding nun auch noch Daten zur Haptik beinhalten. Das bedeutete, dass er mit seiner Welt noch einmal neu beginnen musste – aber das schien ihm die Sache wert zu sein.

Als er endlich zuhause eingetroffen war, fuhr er sofort den Rechner hoch. Die Sandburgen wiesen schon in die richtige Richtung, überlegte er. Sandkörner könnten für das haptische Modell in etwa das sein, was die Pixel im Grafikbereich sind. Diesmal wäre der Ausgangspunkt seiner Schöpfung folglich eine Wüste.

Ein lautes Knurren riss ihn aus seinen Überlegungen. Es kam von seinem Magen, der ihn daran erinnerte, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

Ron hasste solche Einbrüche der Realität in seine schöpferischen Prozesse, aber er wusste, dass er besser auf diese Signale hörte, sonst würde er in nächster Zeit keinen klaren Gedanken fassen können. Widerstrebend erhob er sich und ging hinüber in die Küche. Der Kühlschrank enthielt eine Tube Senf, einen Rest Ketchup und eine Packung Milch mit abgelaufenem Verfallsdatum. Seine Vorräte an Brot und Müsli hatte er am Wochenende mit Jonte vertilgt. Ron fluchte leise vor sich hin. Im Tiefkühlschrank waren noch Backofenpommes und Fischstäbchen, aber darauf hatte er jetzt keine Lust. Er beschloss, zum Imbiss um die Ecke zu gehen. Ein Döner würde seinem Magenknurren sicher abhelfen.

Eine halbe Stunde später saß er an einem kleinen Esstisch und starrte geistesabwesend auf seinen leer gegessenen Teller mit der schmuddeligen rot-weiß gewürfelten Tischdecke darunter. Ihre Struktur erinnerte ihn an eine Datenmatrix. Angenommen, der eingetrocknete Senffleck dort enthielte die haptischen Informationen, während der Teller – nein, das brachte nichts. Er rief sich zur Ordnung. Solange er kein Datenblatt hatte, waren seine Spekulationen reine Zeitverschwendung. Er sollte lieber …

Am Nebentisch klingelte ein Handy und warf ihn aus seinen Gedankengängen. Irritiert schaute er sich um.

Ein schlaksiger junger Mann mit schulterlangen dünnen Haaren fischte sein lärmendes Mobiltelefon aus der Tasche und begann eine längere Unterhaltung. Offensichtlich war es ihm völlig egal, dass alle im Raum mithören konnten. Vielleicht gefiel es ihm sogar, denn er prahlte mit seinem Sieg bei irgendeinem Computerwettbewerb.

Ron hörte notgedrungen zu und verzog dann verächtlich das Gesicht. Er erinnerte sich, die Ankündigung des Wettbewerbs gelesen zu haben, und war schon damals über die Dreistigkeit der Veranstaltung empört gewesen. „eGames Berlin“ – was für ein hochtrabender Titel für eine bessere LAN-Party im Hinterzimmer einer Berliner Hackerkneipe! Aber immerhin schien der Betreiber über einen gesunden Geschäftssinn zu verfügen. Schließlich hatten die Medien darüber berichtet und ihm kostenlose Werbung verschafft, worauf er es wohl auch abgesehen hatte. Und dieser junge Mann hier war nun der Sieger. Offensichtlich verstand er also etwas von Computern und von Spielen.

Ron überlegte, ob ihm der Zufall hier vielleicht den neuen Assistenten über den Weg schickte, zu dem ihm Gerhardt Fleischmann so eindringlich geraten hatte. Eigentlich arbeitete er am liebsten allein, aber für die Tests brauchte er dringend Unterstützung. Er konnte beim besten Willen nicht zugleich in der virtuellen Welt eingeloggt sein und am Rechner die laufenden Prozesse überwachen. Er hatte aber auch weder Zeit noch Lust, sich auf eine langwierige Suche nach einem geeigneten Mitarbeiter zu begeben. Also warum es nicht mit dem hier versuchen? Das Risiko wäre nicht größer als bei jedem anderen.

Er wartete geduldig, bis der junge Mann sein lautstarkes Telefonat beendet hatte, und ging dann hinüber zu dessen Tisch.

„Guten Abend! Darf ich den Berliner Meister zu einem Bier einladen?“

Der Angesprochene brachte es fertig, zugleich geschmeichelt und verwirrt auszusehen.

„Ja, danke, gerne … äh … Woher kennst du mich?“

„Na, es stand ja groß in der Zeitung“, sagte Ron und grinste in sich hinein. Sollte der junge Mann sich wirklich nicht im Klaren darüber sein, wie viele Zuhörer er mit seinem Telefonat unterhalten hatte?

„Mir kam da eine Idee, als ich dich gesehen habe“, fuhr er fort. „Wir haben nämlich etwas gemeinsam …“

„Und das wäre?“, fragte der junge Mann argwöhnisch.

„Eine Leidenschaft für Computerspiele“, antwortete Ron, setzte sich und legte seine Visitenkarte auf den Tisch wie ein Skatspieler, der einen Trumpf ausspielt. „Und wie es der Zufall so will, bin ich gerade auf der Suche nach einem fähigen Mitarbeiter.“

„Ich hab’ schon einen Job, Mann“, antwortete Yannick abweisend. Anscheinend war ihm die Sache nicht geheuer. Trotzdem griff er nach der Visitenkarte und musterte sie nachdenklich. Eine Weile lang sagte er gar nichts, dann blickte er Ron unverwandt mitten ins Gesicht.

„Hast du ‚Wargames‘ geschrieben?“, fragte er beeindruckt.

Ron nickte.

„Das war das genialste Spiel, das ich je gespielt habe“, sagte der Langhaarige. „Aber ich kann verstehen, dass manche Leute mächtig sauer auf dich sind. Viele haben eine Menge Kohle in das Game investiert, und das war alles weg nach dem Crash …“

„Warum können wir die Vergangenheit nicht endlich mal ruhen lassen?“, gab Ron heftig zurück. Er erschrak über sich selbst, doch er konnte es einfach nicht ertragen, ständig an die gleiche Geschichte erinnert zu werden.

„Ja, Mann, schon okay“, antwortete Yannick unbeeindruckt. „Ich sag doch, das Spiel war genial! Und nun, is’ was Neues am Start?“

„Ja. Aber die Sache ist noch geheim. Wirklich schade, dass du kein Interesse hast!“ Ron stand auf und schickte sich an, zu seinem Tisch zurückzugehen.

„Moment!“, sagte der junge Mann hastig. „Ich hab zwar ’nen Job, aber das ist nur für ein paar Stunden die Woche an der Tankstelle. Für Veränderungen bin ich durchaus offen. Was muss ich tun? Und was bekomme ich dafür?“

Ron lächelte. Er setzte sich wieder und fuhr im Verschwörerton fort: „Du wirst Entwicklungsassistent und Testspieler. Und über deine Bezahlung reden wir, wenn ich weiß, was du draufhast. Für den Anfang bekommst du von mir das Gleiche, was sie dir an der Tankstelle bezahlen. Einverstanden?“

„Klar, Mann!“ Yannicks Augen leuchteten.

„Kannst du gleich anfangen?“

„Von mir aus heute Abend. Ich muss bis neunzehn Uhr arbeiten.“

„Super, dann erwarte ich dich um halb acht.“

Als Ron nach Hause kam, stand ein Paketbote vor der Haustür und studierte andächtig die Aufschriften an den Klingelschildern.

„Wollen Sie zufällig zu mir?“, fragte Ron.

„Dit kommt druff an, wie se heißen!“

„Mein Name ist Ron Schäfer, und ich wohne hier.“

„Ja, dann ist dit für Sie.“

Er hielt ihm das Unterschriftenpad entgegen und händigte ihm ein großes Paket aus. Ron balancierte es durchs Treppenhaus nach oben, schloss seine Wohnungstür auf und nahm es mit hinein.

Kurz darauf hielt er den neuen „Cyberstar 3“ in seinen Händen. Optisch unterschied dieser sich kaum von der vorherigen Version, außer dass der Helm nun mit hauchfeinen Silberstreifen verziert war, die ihn weniger klobig erscheinen ließen.

Ron angelte nach der beiliegenden DVD und schob sie in das Laufwerk seines Computers. Dann verband er die Steuerbox mit seinem Rechner, legte Gamaschen und Handschuhe an und setzte sich den Helm auf den Kopf.

Sofort hatte er den Eindruck, in einer riesigen dunklen Halle zu stehen. Vor ihm schwebte ein leuchtender Hinweis auf das Demonstrationsprogramm in der Luft. Ron streckte seine Hand nach dem O. K.-Button aus und bemerkte einen leichten Widerstand im Handschuh, als er ihn berührte. Es fühlte sich tatsächlich so an, als würde er einen überdimensionalen Druckknopf betätigen.

Schlagartig wechselte die Umgebung. Ein asiatischer Gemischtwarenladen erschien. Gar nicht schlecht gemacht, befand Ron, sah sich um, bewunderte die farbenprächtigen Auslagen von Obst und Gemüse und griff schließlich nach einer Orange.

 

Wenn er sich unmittelbar auf seine Hände konzentrierte, konnte er die Kontraktionen des Materials ausmachen, überließ er sich jedoch unbefangen der Bilderwelt, dann fühlte es sich in der Tat so an, als berührte er eine echte Frucht. Etwas dumpf kam es ihm vor, etwa so, als betaste man seine Umwelt durch einen Handschuh. Aber dennoch war es eine Sensation. Prüfend wog er die Orange in der Hand. Sogar Gewicht konnten die Cyberhandschuhe imitieren!

Er schlenderte durch den virtuellen Laden, tauchte die Hände in ein Wasserfass, ließ Bürsten und Pfannen durch seine Finger gleiten und staunte über die Intensität der Illusionen. Schließlich beendete er das Demonstrationsprogramm und legte die Ausrüstung ab. Ron war beeindruckt.

Mithilfe seines Dateimanagers durchforstete er die DVD nach technischen Informationen, und fand schließlich einen Ordner „Manuals“, der PDF-Dateien enthielt – in Koreanisch und Englisch. Er öffnete „CS3_hapticmodul_technical_informations.pdf“ und überflog den Text.

Es war, wie er vermutet hatte. Das Cyberset war in der Lage, optische Informationen in haptische umzusetzen. So wie bei dem Druckknopf, den er zu Beginn der Demo betätigt hatte. Wenn er mit seiner virtuellen Hand einen Gegenstand erreichte, zog sich der Handschuh an den entsprechenden Stellen zusammen und simulierte auf diese Weise eine Berührung. Allerdings war das ein ziemlich plumpes Verfahren. Um die Möglichkeiten des neuen Handschuhs wirklich auszureizen, brauchte es entsprechende Datenmodelle, die mit den jeweiligen Objekten verknüpft waren. Das hieß, es blieb dabei, er musste er mit seiner Welt noch einmal von vorn beginnen.

Also, auf ein Neues. Er begann seine Tastatur zu bearbeiten. Bald darauf erschien auf dem Bildschirm eine Einöde. Sand und Steine, so weit das Auge reichte. Ron zog den Cyberhandschuh über, ließ den Sand durch die Finger gleiten, presste ihn in der Faust zusammen. Schließlich nickte er zufrieden. Der Tasteindruck war genauso, wie er ihn sich vorstellte. Dann griff er nach einem Stein. Er fühlte sich hart und schwer an. Perfekt.

Als Nächstes brauchte er Wasser.

Er sah den dafür nötigen Programmcode praktisch schon fertig vor sich. Gehorsam folgten seine Finger den Gedanken. Bald darauf erschien auf dem Bildschirm eine gewaltige Quelle. Anfangs versickerte das kostbare Nass spurlos im Wüstensand, aber schon bald entstand ein kleiner Bach, der sich mutig seinen Weg suchte. Ron fügte noch ein paar kleinere Quellen hinzu, und der Bach wuchs zusehends zu einem mächtigen Strom an.

Der Programmierer zoomte in die Kartenübersicht und gab dem Wasser mit der Maus einen groben Verlauf vor. Daraufhin teilte sich der breite Strom in vier Hauptarme auf, die verschiedene Bezirke der Spielewelt umflossen. Hier werden später unterschiedliche Länder entstehen, dachte Ron zufrieden, dann wandte er sich wieder dem ursprünglichen Ausschnitt zu.

Die tropischen Pflanzen hatten ihm in der Demo gut gefallen. Er machte sich daran, die entsprechenden Programmabschnitte in den Quelltext zu kopieren und mit haptischen Daten zu versehen.

Als er sich dazu entschloss, eine Pause einzulegen, war er bereits ganz zufrieden mit dem Ergebnis: Er hatte einen paradiesischen Garten erschaffen, der nicht nur gut aussah, sondern sich auch sehr echt anfühlte.

Er reckte sich und dachte über seine weiteren Schritte nach. Nun würde es schwieriger werden. Tiere und Menschen, die sich bewegten und miteinander interagierten, erforderten eine wesentlich anspruchsvollere Programmierung als Pflanzen, die an einem Ort verwurzelt waren. Darum konnte er die vorhandenen Daten nicht so einfach übernehmen. Was er brauchte, war eine Art virtuelle Lehmfigur als Basis, an die er dann die Feinheiten andocken könnte. Also würde er ein Tool schreiben, das Grafik- in Haptikdaten umrechnete, und so einen virtuellen Gipsabdruck erzeugen, den er anschließend manuell nachbearbeiten könnte.

Die Nachbearbeitung wäre die richtige Aufgabe für seinen neuen Assistenten, fiel ihm ein. Wollte der nicht heute Nachmittag kommen? Ron war sich nicht sicher, er hatte die Orientierung in der Zeit mal wieder völlig verloren.

Er vertiefte sich in die Programmierung des neuen Tools. Glücklicherweise war die Sache nicht übermäßig kompliziert. Fühlen und Sehen hatten offenbar viel mehr Gemeinsamkeiten, als ihm anfangs klar gewesen war.

Als erstes Objekt für die Umrechnung wählte er das, was ihm am vertrautesten war: einen menschlichen Körper männlichen Geschlechts. So konnte er am besten überprüfen, wie realistisch sich das Ergebnis anfühlte.

Ron suchte die entsprechende Grafikdatei heraus. Sie zeigte einen athletisch gebauten Mann in der Blüte seiner Kraft. Neidisch sah der Programmierer auf dessen durchtrainierten Oberkörper und zog unwillkürlich seinen deutlich weniger ansehnlichen Bauch ein. Er war zwar nicht gerade dick, dazu kam er zu selten zum Essen, aber etwas Sport würde ihm sicherlich guttun.

Ron startete die Umrechnungsprozedur. Ein Fortschrittsbalken erschien auf dem Bildschirm und zeigte die verbleibende Zeit an. Als er bei siebzehn Prozent stand, klingelte es an der Tür.

Ron öffnete. Vor ihm stand Yannick und grinste.

„Hallo Herr Schäfer, ich melde mich zum Dienst!“

„Ron, bitte. Sonst fühle ich mich so alt … Komm rein!“ Er machte eine einladende Handbewegung. Yannick trat durch die Tür und sah sich neugierig um.

„Hier entlang!“ Ron führte ihn in sein Arbeitszimmer. Sofort fiel Yannicks Blick auf den Cyberhelm. „Cool“, murmelte er ehrfürchtig.

„Ja“, bestätigte Ron, „das Ding ist in der Tat das Beeindruckendste, was ich an Computertechnik je gesehen habe – und du wirst damit arbeiten. Sei vorsichtig, es ist ein Prototyp!“

Yannick war begeistert. Ron warf einen Blick auf den Monitor und stellte fest, dass der Umwandlungsprozess abgeschlossen war. „Du kommst gerade recht“, meinte er.

Yannick folgte seinem Blick und sah den nackten Mann auf dem Bildschirm, dessen 3-D Gestalt langsam rotierte.

„Bist du schwul oder was?“, fragte er grob. „Das sage ich dir gleich, mit mir läuft da gar nichts!“

Ron sah ihn verdutzt an. „Nein! Wie kommst du darauf?“

Dann begriff er. Für einen Außenstehenden war es in der Tat ein merkwürdiger Anblick.

„Warte, ich erkläre dir, worum es geht …“

Bald darauf kam Leben in die virtuelle Lehmfigur. Yannick lag auf dem Sessel und trug das Cyberkit, während Ron am Rechner saß und die Einlog-Prozedur überwachte.

„Wie ist es?“, fragte er Yannick über das Mikrofon. Anders war keine Verständigung möglich, denn der neue Helm dämpfte die Außengeräusche noch besser ab als der alte.

„Genial“, klang es aus dem Lautsprecher. Yannicks Beine bewegten sich rhythmisch, er lief durch den virtuellen Garten und erkundete ihn.

„Hey, dahinten wachsen Bananen, darf ich die essen?“

„Klar“, antwortete Ron. „Du darfst von allen Früchten essen. Nur bleib unbedingt von dem Baum in der Mitte des Gartens weg. Das ist der direkte Zugang zum Terminal, der ist zurzeit noch ungeschützt, und du könntest die Welt damit zum Absturz bringen.“

„Ja, is jut“, nuschelte Yannick und marschierte weiter zu dem Bananenbaum, den er gesehen hatte. Unterdessen ließ Ron sein Umrechnungstool weitere Grafikdateien bearbeiten. Entsprechend tauchten nach und nach neue Tiere im Garten auf. Dem Assistenten kam die Aufgabe zu, sie aus der Nähe zu betrachten und ausgiebig zu berühren. Aufgrund seiner Angaben kalibrierte Ron die Haptikdateien. Viel war da allerdings nicht mehr abzugleichen, stellte er befriedigt fest. Das Umrechnungstool brachte schon sehr brauchbare Ergebnisse zustande.

Es zeigte sich bald, dass Yannick und er etwas gemeinsam hatten. Auch der junge Mann konnte Raum und Zeit völlig vergessen, wenn er vor einem Computer saß oder, wie in diesem Fall, bequem in einem Sessel lag und in virtuellen Sinneseindrücken geradezu badete. Die Stunden vergingen, schließlich hatten sie alle Tierdateien konvertiert.

„Mensch, das war krass“, sagte Yannick, als sie anschließend noch ein Bier zusammen tranken. „Vor allem der Tiger ist cool, ich hab mich erst gar nicht getraut, ihn anzufassen. Als der mich so angesehen hat, ging mir echt die Muffe!“

Ron nickte zufrieden. „Der Tiger war der besondere Wunsch meines Sohnes“, sagte er.

„Du hast einen Sohn? Wo ist er?“

„Bei seiner Mutter. Es lief in der letzten Zeit nicht besonders gut mit uns. Computer und Beziehungen passen nicht so recht zusammen …“ Rons Stimme klang plötzlich belegt.

Yannick nickte bedächtig. Er kannte diese Erfahrung.

„Weißt du, was deiner Welt noch fehlt?“, fragte er unvermittelt. „Ich meine, dieser Streichelzoo ist ja ganz nett, aber wie wäre es mit ein paar schönen Frauen?“

Ron grinste ihn an. „Gleich ein paar?“

„Naja, eine wäre auch schon ein Fortschritt.“

„Gibt es da eine im wirklichen Leben?“

„Nee, in letzter Zeit nicht. Wie du so richtig sagtest: Computer und Beziehungen passen schlecht zusammen.“

Ron schwieg nachdenklich.

Dann fragte er unvermittelt: „Hast du Lust auf ein Experiment?“

„Ein Experiment? Was denn für eins?“

„Nun, für das Spiel hatte ich ohnehin Bots geplant, die sich am Psychogramm der User orientieren. Aber ich habe noch eine andere Idee …“

„Und zwar?“

„Wie denkst du über Hypnose?“

„Schwachsinn. All diese Shows im Fernsehen, wo Menschen irgendwelche verrückten Sachen machen, weil jemand es ihnen befiehlt – ist doch alles nur Fake!“

„Mag sein. Aber das, was ich vorhabe, hat damit auch nichts zu tun. Stell dir vor, dein Unterbewusstsein wäre ein riesiger Datenspeicher – so eine Art Festplatte. Wenn du dich auf die Hypnose einlässt, dann wird es dir vorkommen, als würdest du einschlafen. In Wirklichkeit aber bist du wach und gibst mir Zugriff auf deine unterbewussten Daten.“

Yannick überlegte einen Moment. „Und was machst du dann damit?“, fragte er vorsichtig.

„Ich rufe die Informationen ab, die ich für mein Bot-Programm brauche, und bastle die perfekte Traumfrau für dich zusammen. Wir könnten das auch über ein Frage- und Antwortspiel machen, aber das würde etwa drei Stunden dauern, und die Ergebnisse wären längst nicht so präzise. Wie gesagt, es ist ein Experiment. Traust du dich?“

Yannick zögerte.

„Kann dabei auch was schiefgehen?“, fragte er unsicher.

„Nein“, beteuerte Ron, „ich habe das studiert. Das ist eine todsichere Sache.“

Yannick war beruhigt. „Hört sich spannend an. Was muss ich tun?“

„Oh, das ist ganz einfach“, sagte Ron, während er sich wieder an den Rechner setzte und den Programmordner durchsuchte. „Ich habe vor ein paar Jahren mal eine Software dazu geschrieben. Du folgst einfach den Anweisungen. Bist du bereit?“

„Klar doch.“ Er streckte sich auf dem Sessel aus, und Ron startete das Programm. Sphärische Klänge erfüllten den Raum. Auf dem Bildschirm erschien ein Mandala, dessen Farben sich unmerklich, aber stetig veränderten. Eine ruhige Stimme erklang. „Spüre deinen Atem …“, begann sie.

Das war das Letzte, an das Yannick sich erinnern konnte.

Als er wieder wach wurde, reichte Ron ihm lächelnd den Cyberhelm. Yannick setzte ihn auf und fand sich in dem paradiesischen Garten wieder, in dem er die letzten Stunden am laufenden Band Tiere gestreichelt hatte. Die Sonne ging gerade unter; es war ein wunderschöner Abend.

„Hallo Yannick“, sagte jemand hinter ihm.

Ein angenehmer Schauer lief seinen Rücken hinunter. So eine schöne Stimme hatte er noch nie gehört. Samtweich und dennoch ausdrucksstark.

Er drehte sich um und vergaß zu atmen. Er hätte nicht in Worte fassen können, wie seine Traumfrau aussehen sollte – aber hier stand sie vor ihm und lächelte ihn an.

Dann fasste sie ihn bei der Hand und gemeinsam gingen sie im Garten spazieren. Die Bewegungen ihrer beiden Körper harmonierten perfekt. Es war wie ein Tanz, und Yannick kam es so vor, als hätten sie sich schon immer gekannt.