Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)

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Auf dem Dachboden stürmten mindestens zehn Wachsoldaten. Sie schauten in jede Ecke. Doch sie fanden nichts. Die Spuren im Staub des Bodens entgingen ihnen allerdings. Als sie wieder abgezogen waren, kletterte Vagho bis zu einem Schornstein. Der Schattenalp prüfte, ob er kalt war, dann kletterte er an ihm hoch. Im Inneren des Schornsteins war wohl schon lange kein Rauch mehr aufgestiegen. Vagho konnte ihn ohne große Mühe hinunter klettern und landete in einem Kamin. Er fand sich in einem der unbewohnten Gästezimmer wieder. Ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett, ein Schrank und eine Waschschale, das war schon alles. Laute Geräusche von Türen und Soldatenstiefeln drangen zum Schattenalp. Das kleine Fenster war für eine Flucht nicht geeignet. Als er es öffnete und hinaussah, schlug neben ihm im Fensterrahmen ein Pfeil ein und blieb stecken. Jetzt bekam es Vagho mit der Angst zu tun. Leise fluchte er los.

»So ein Mist, erst dieser Fußabdruck und jetzt schießen die auf mich. Ich brauche ein Versteck.« Das Rasseln eines Schlüsselbundes und laute Rufe waren zu hören. Vagho kletterte den Schornstein des Kamins wieder hoch. Dann sah er sich kurz um. Noch zwei weitere Schornsteine waren zu sehen. Geschickt sprang er auf das Dach zurück und rannte zum nächsten. Doch da konnte er nicht hineinklettern. Rauch stieg auf und er fühlte sich sehr warm an. Auch beim dritten Schornstein wurde geheizt. Dazu kam der kräftige Geruch von Essen zur Nase des Schattenalps. Das war wohl der Schornstein einer Küche. Hinter sich vernahm er wieder Geräusche. Jemand versuchte auf das Dach zu klettern.

Vagho huschte ganz schnell bis zum Ende und sah nach unten. Die Hauswand lag in schattiger Dunkelheit und bot somit die Möglichkeit, nach unten zu kommen, ohne gleich entdeckt zu werden. Er war dann allerdings im Innenhof der Festung. Doch er hatte jetzt keine Wahl mehr. Die ersten Wachsoldaten versuchten schon mit Fackeln zu ihm zu kommen. Schnell kletterte Vagho die grobe Hauswand nach unten. Dann drückte er sich in den Schatten. Einer der Soldaten warf vom Dach aus seine Fackel dem Schattenalp direkt vor die Füße.

Vagho hüpfte beiseite und rannte los. Mitten im Lauf sprang er auf einen Haufen von Fässern und Strohballen und kam so auf das Holzdach des Pferdestalls. Auf der anderen Seite konnte er über die Festungsmauer nach unten klettern und in die dunklen Gassen der Stadt entkommen. Auf dem Dachboden eines prunkvollen Bürgerhauses fand er hinter Kisten und Säcken fürs erste ein Versteck. Lange würde er wohl auch da nicht sicher sein, denn die Soldaten würden die ganze Stadt nach ihm durchsuchen. Er hatte ja immer noch den Ehrendolch und das Siegel des Königs bei sich.

Doch für eine Verschnaufpause würde es noch reichen. Er aß ein Stück von seinem Brot und trank einen Schluck Wasser dazu. Das gab ihm wieder Kraft. Dann wartete er ab. Da er von außen durch ein offenes Bodenfenster hinein gekommen war, hatte ihn von den Menschen im Haus bestimmt niemand bemerkt. Hoffentlich waren die nicht so aufmerksam wie die Festungswachen. Als der Morgen graute, wurde das ganze Viertel von Soldaten durchsucht. Durch das Bodenfenster sah Vagho, wie die Bewohner des Hauses auf die Straße getrieben wurden und die Durchsuchung über sich ergehen lassen mussten. Es gab keinen Ausweg mehr. Dieses Mal hatten die Soldaten alles abgeriegelt. Der Schattenalp sah sich entsetzt um. Irgendwo musste doch noch ein Versteck sein. Über der Bodentür war ein Balken. Er war in der Dunkelheit kaum zu sehen, sodass Vagho sich auf diesem Balken verstecken wollte und sich auf ihn schwang. Er versuchte es mit seinem alten Trick, sich die Schatten so zunutze zu machen, dass ihn niemand sehen konnte. Die Tür flog mit einem Ruck auf und ein stämmiger Soldat trat schnaufend ein. Sein Atem rasselte so laut in seinem Hals, dass er das Knarren der Bodenbretter beinah übertönte. Vagho dachte unwillkürlich an den Dolch des Königs. Er würde ihn bei seiner Entdeckung einsetzen. Doch der Soldat schaute sich nur kurz um. Er hatte mit dem Staub zu kämpfen, der ihm das Atmen erschwerte. Außerdem war seine Fackel fast am Erlöschen, sodass er den ganz in seinen Mantel gehüllten Vagho über der Tür nicht sehen konnte. Er entfernte sich wieder und fing an zu husten. Dann hörte Vagho, wie ein anderer Soldat die Bewohner laut belehrte. »Was heißt hier Schikane, wir machen auch nur unsere Arbeit. Wir suchen einen verdächtigen dunklen Elfen. Wenn ihr ihn seht, müsst ihr das sofort melden. Er hat das königliche Siegel und den Dolch von unserem König gestohlen. Also macht gefälligst die Augen auf.«

Laut meckernd und schimpfend gingen die Bewohner wieder in ihr Haus zurück. An ihrer Tür brachten die Soldaten mit Kreide ein Kreuz an. Damit sollte wohl eine doppelte Durchsuchung vermieden werden.

Vagho ließ sich vom Balken gleiten und atmete erleichtert auf. Jetzt war er wirklich für eine Weile sicher. Hinter einer großen Kiste versuchte er ein wenig auszuruhen. Er war doch ziemlich müde. Da ein Schattenalp nur mit einem Auge schlief, entging ihm der Lärm des täglichen Lebens in diesem Haus und davor auf der Straße nicht ganz. Am späten Nachmittag erwachte Vagho wieder und sah vorsichtig durch das Bodenfenster. Auf der Straße boten mehrere Kaufleute ihre Waren an, das laute Streiten um den Preis war deutlich zu hören. Erst mit Einbruch der Nacht kam vor dem Haus wieder Ruhe auf. Doch ab und zu war das Trapsen von Soldatenstiefeln zu hören. Ganz bestimmt waren für die Nacht die Wachen verstärkt worden. Deshalb beschloss Vagho, dieses Mal mit noch mehr Vorsicht ans Werk zu gehen. Er prüfte die Luft mit seiner Nase und ließ sich dann aus dem Bodenfenster gleiten. Geschickt nutzte er einzelne Spalten im Mauerwerk aus und kletterte lautlos die Hauswand hinunter. Nachdem er sich mehrmals vor Soldaten und verspäteten Wirtshauszechern verstecken musste, kam er wieder an der Festungsmauer an. Jetzt wollte er aber bei den Pferdeställen die Mauer hochklettern. Bei seiner Flucht in der letzten Nacht waren ihm die vielen Risse und Spalten des alten Gemäuers aufgefallen. Das wollte er ausnutzen. Er verzichtete auf seinen Kletterhaken mit der Schnur und stieg an der Wand nur mit Händen und Füßen hoch. Wenige Minuten später war er schon auf dem Dach des Pferdestalls angekommen. Doch weiter kam er nicht. Mitten auf dem Festungshof brannte ein großes Feuer. An diesem entzündeten die Wachen ihre Fackeln. Durch eine Dachluke schaute Vagho in den Stall hinein. In der Mitte war ein Gang, rechts und links die Pferdeboxen. In jeder stand ein Pferd. An der einen Seite war der Eingang, an der anderen stand eine große Futterkiste. Mitten im Stall hing eine Laterne. Ihr trübes Licht erhellte das Ganze nur mäßig. Das Dach war Vagho zu unsicher. Darum wollte er lieber im Schatten der Futterkiste noch ein wenig warten. Er seilte sich durch die Dachluke ab und schlich zur Kiste. Dort hockte er sich in den Schatten. Der Stall roch nach Pferdefutter und Stroh.

Doch noch ein weiterer Geruch drang dem Schattenalp in die Nase. Es roch nach frischem Brot und Braten. Wo konnte das nur herkommen? Vagho sah sich aufmerksam um. Dann kratzte er sich am Kopf und murmelte vor sich hin: »Merkwürdig, geh’ ich von der Kiste weg, so lässt der Geruch nach.« Er öffnete leise die Futterkiste. Doch darin befand sich nur der Hafer für die Pferde. Vagho beschloss, die Kiste beiseite zu verschieben. Sie erwies sich als ziemlich schwer. Nicht einen Fingerbreit gab sie nach. Jetzt rieb sich Vagho beim Grübeln mit der einen Hand das Kinn und hielt sich mit der anderen an einem Fackelhalter fest. Als er sich so ein wenig auf ihn stützte, gab der Fackelhalter nach und die Futterkiste rückte zur Seite.

Erschrocken wich der Schattenalp zurück. Doch er verdrängte schnell sein Staunen. Dort, wo eben noch die Kiste stand, war jetzt ein Loch. Die Kiste begann schon, sich von selbst zurück zu bewegen, da sprang Vagho schnell noch in das Loch hinuner. Er landete in einem kurzen Gang, der ihn bis zur Küche führte. Die Rückwand eines Schrankes versperrte ihm den Weg hinein. Von der Küche drangen das Klappern von Geschirr und die Anweisungen eines Mannes zu Vagho. Offenbar wurde hier das Abendmahl für die Wachen zubereitet. Die Küchengehilfen sollten das Essen zu den Unterkünften der Wachsoldaten bringen. Bestimmt hatten die Stallburschen diesen geheimen Gang angelegt, um sich nachts etwas Essen und Wein zu besorgen. Vagho fand ihn auch für sich sehr nützlich. Er wollte warten, bis sich die Köche und ihre Gehilfen zu Bett begaben. In der Zwischenzeit belauschte er ihre Gespräche. Doch das brachte ihn zunächst nicht weiter. Erst als jemand erwähnte, dass es einen Aufzug für Geschirr und Essen in der Herrschaftsküche gab, wurde Vagho plötzlich sehr aufmerksam. So ein Hinweis konnte nützlich sein. Eine Stunde später, die Menschen in der Küche waren gegangen, hatte der Schattenalp einen Hebel an der Wand neben dem Schrank gefunden. Dieser sprang hervor, als Vagho an ihm zog, der Schrank rückte zur Seite und Vagho trat ein. Dann schwang der Schrank wieder zurück. Lautlos schlich Vagho durch die Küche. Er horchte an der Tür und öffnete sie. Die Luft war rein. Er schlich durch einen dunklen Gang und kam an eine gewundene Steintreppe. Die führte hoch zu den Unterkünften der Soldaten. Die meisten schliefen in ihren Betten und schnarchten so laut, dass Vagho verächtlich seinen Kopf schüttelte. Einige saßen allerdings an einem Tisch und spielten Karten. Vagho schlich unbehelligt die Treppe weiter nach oben. Erfahrungsgemäß lagen die Wertsachen in einem großen Haus immer in den oberen Stockwerken. Allerdings waren dort auch meist die zuverlässigsten Wachen eingeteilt.

Es war schon nach Mitternacht, als Vagho endlich die privaten Räume des Königs fand. Ein breiter Flur führte zum Arbeitskabinett und zum Schlafgemach daneben. Doch vor beiden Türen standen wieder je zwei Wachsoldaten herum. Sie mussten hier schon einige Zeit stehen, denn sie sahen nicht sehr wach aus. Das nutzte Vagho aus. Der Flur war stellenweise nur spärlich beleuchtet. So huschte er von einer dunklen Ecke zur anderen. Er suchte und fand einen Weg.

 

Eine kleine Treppe führte ein Stockwerk höher zu einem offenen Studierzimmer. Das war mit Regalen, einem Tisch mit Stuhl und allerhand Büchern vollgestellt. Hier gab es keine wertvollen Dinge zu erbeuten. Nur ein kleines Fenster gab dem Raum am Tage Licht. Und dieses Fenster reichte Vagho schon. Er konnte hinaus auf das Dach klettern und zum Dachboden wieder hinein. So gelangte Vagho über das Arbeitskabinett des Königs. Jetzt war ihm der Inhalt eines kleinen Fläschchens behilflich. Er goss die Flüssigkeit auf den Boden und sah, was geschah. Zischend fraß sie ein Loch in den Boden. Es war groß genug, um den Schattenalp durchzulassen. Mit seiner Schnur und dem Haken war es für ihn ein Leichtes, in das Arbeitskabinett des Königs zu klettern. Dort nahm er sich gleich eine kleine Schatulle vor. Das Öffnen des Schlosses war mit seinen Dietrichen ein Kinderspiel. Ein Säckchen mit Goldmünzen kam zum Vorschein. Ein gemeines Grinsen lag im Gesicht des Schattenalps. Die Anstrengungen hatten sich also doch noch gelohnt. Der Zufall und das Glück hatten ihm geholfen. Vagho sah sich noch ein wenig um. Eine Tür rückte jetzt in den Mittelpunkt seines Interesses. Dahinter lag das Schlafgemach von König Harold.

Er lauschte angestrengt. Doch er konnte keinen Laut vernehmen. Sollte der König noch nicht in seinem Gemach sein? Vagho überlegte nicht lang. Das Loch in der Decke würde früher oder später jemandem auffallen. Dann würde man sofort wieder nach ihm suchen. Das wollte sich Vagho nun ersparen. Es würde sich schon noch ein passender Zeitpunkt für einen Giftanschlag ergeben.

Jetzt fiel ihm auch der Esel wieder ein. Ihn hatte er in einem Wäldchen vor der Stadt zurückgelassen. Zu dem konnte er bestimmt nicht wieder zurück. Vagho wollte gerade im Loch in der Decke verschwinden, da hörte er deutlich vom Schlafgemach her ein Geräusch. Es klang als ob jemand einen Stuhl rückte. Dann waren die Stimmen der Wachen zu hören. Sie wünschten dem König eine gute Nacht. Vagho verharrte regungslos am Loch. War nun etwa doch ein günstiger Zeitpunkt für ihn gekommen? Es wäre nicht das erste Mal, dass Vagho einen Feind im Schlaf überraschte und ihn mit Hilfe seines Ringes ein wenig Gift verabreichte. Bei dem Gedanken schlug dem Schattenalp das Herz bis zum Halse. Ein zweiter Gedanke schoss ihm durch den Kopf und er flüsterte ihn leise vor sich hin. »Jetzt wirst du, König Harold, für die Taten deiner Ahnen büßen müssen. Deine Stunde ist gekommen.« Lautlos schlich Vagho zur Tür.

Die Flamme des Krieges

Im Hafen von Krell liefen in besseren Zeiten zu fast jeder Stunde die Schiffe reicher Kaufleute aus allen Teilen der Welt ein. Doch jetzt, da alles auf einen Krieg hinauslief, kamen immer weniger Schiffe. Umso genauer konnten die Hafenwachen ihre Kontrollen durchführen. Manche Schiffe waren von feindlichen Obinarern angegriffen und beschädigt worden. Auch das wurde dem König nun jedes Mal gemeldet. Schon vor Tagen ließ deshalb König Core von Avanura seinen Bruder Harold eine geheime Botschaft zukommen.

Darin teilte er ihm mit, dass er nicht länger warten konnte. Er wollte in den nächsten Tagen mit seiner Flotte einen Angriff gegen die Obinarer wagen. Gerade war Core im Hafen mit der Besichtigung einer neuen Galeere beschäftigt, da ereilte ihn die Nachricht, dass alle seine Boten von den Obinarern abgefangen worden waren. Ein Spähtrupp hatte die Toten gefunden und beerdigt. Die Botschaft selbst fehlte.

Der Unterführer des Spähtrupps hatte zum Beweis die leere Tasche des Boten mitgebracht. An ihr klebte noch das Blut des tapferen Mannes. Wütend stand der König auf dem Deck der Galeere und starrte auf die Tasche. Dann drehte er sich zu seinem Admiral um. Gohtas von Albog war genau das, was man getrost einen alten Seebären nennen konnte. Mit seiner nicht mehr ganz neuen Rüstung, dem grauen Bart und den langen Haaren sah er Respekt einflössend aus.

Der König machte einen Schritt auf den Admiral zu und drückte ihm die Tasche in die Hand. »Da haben wir extra zum Schutz des Boten zwanzig unserer besten Soldaten mitgeschickt und nun sind sie alle auf unserem eigenen Gebiet getötet worden. Die nächste Botschaft wird mein königlicher Bruder aber ganz bestimmt erhalten. Seine eigenen Späher werden ihm schon berichten, dass wir die Obinarer angreifen. Ich kann jetzt nicht länger warten.« Der Admiral sah sich die Tasche kurz an und gab sie dem Unterführer zurück. Mit einem Wink ließ er ihn gehen.

»Mein König, wann soll die Flotte auslaufen? Wir sind schon längst bereit für den Krieg. Sagt mir also, wie lauten Eure Befehle?«

Core sah in das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht seines Admirals. Jede Furche im Gesicht dieses kräftigen Mannes verriet sein abenteuerliches Leben auf dem Meer. Gohtas war nicht nur der erste Admiral des Königs. Er war vielmehr ein väterlicher Freund und Ratgeber. Core zeigte hinüber zum Leuchtturm des Hafens.

»Lasst auf dem Turm die Flamme des Krieges entzünden. Wir laufen mit Anbruch der Nacht aus. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Weiber sollen sich von ihren Männern verabschieden und jeder soll seinen Kindern einen Kuss von mir auf die Stirn drücken. Möge uns unser Schöpfer gnädig sein.«

Mit einem Ruck drehte sich der König um und verließ die Galeere. Für ihn war die Besichtigung beendet. Er stieg auf sein Pferd und rief dem Admiral zu: »Wir treffen uns in einer Stunde auf Eurem Flaggschiff.« Dann gab er seinem Pferd die Sporen und preschte mit seinem Gefolge zur Stadtburg. Der Admiral sah ihm nach. Als der König nicht mehr zu sehen war, ging er selbst von Bord der Galeere und gab einem Hauptmann der Hafenwache den Befehl zum Entzünden der Kriegsflamme. Dieses Signal verstand jeder Mann, jedes Weib, ja sogar jedes Kind in Krell sofort. Die Menschen strömten zu Tausenden in den Hafen und wollten ihre Seemänner und Soldaten auf den Galeeren verabschieden. Bevor der König eine Stunde später zum Flaggschiff seines Admirals eilte, stattete er noch dem Leuchtturm einem Besuch ab. In der Flamme des Krieges entzündete er eine Fackel. Diese trug er selbst zum Admiral und übergab sie ihm feierlich. Für alle war dies das Signal zum Aufbruch.

Als die Frauen und Kinder ihre Männer und Väter weinend verabschiedeten, jubelten die zurückbleibenden Soldaten ihren Kameraden auf den Galeeren zu. Jetzt hatte für sie das Warten ein Ende. Zum Schluss hielt der König vor dem Flaggschiff noch eine kurze Ansprache. »Bürger von Krell und ganz Avanura! Heute ist die Entscheidung gefallen. Ich habe den Befehl zum Entzünden der Flamme des Krieges gegeben. Wir ziehen gegen die Obinarer und all ihre Verbündeten. Mein Bruder wird in Viedana davon erfahren und selbst zu den Waffen greifen. Dann werden wir gemeinsam siegen. Wir müssen eine große Gefahr bannen. Wir haben lange genug verhandelt. Immer wieder haben die Obinarer unsere Handelsschiffe angegriffen und jedes Mal haben sie behauptet, nicht sie, sondern die Piraten wären es gewesen. Doch jetzt ist die Stunde der Vergeltung angebrochen. Wir werden sie für ihre verdammten Lügen bestrafen. Der gute Admiral Gohtas von Albog wird unsere Flotte zu neuen ruhmreichen Siegen führen!«

Ein ohrenbetäubender Jubel überflutete den Hafen. Mit Fahnen und bunten Tüchern wurde gewunken und das Volk ließ immer wieder den König und seinen Admiral hochleben. Dann legten die Galeeren eine nach der anderen von ihren Liegeplätzen ab. Die Segel der stolzen Schiffe blähten sich im Wind und langsam nahmen sie Fahrt auf. Gohtas ließ seine Ruderer an die Ruderbänke gehen, damit sich sein Flaggschiff an die Spitze setzen konnte. Es war erst vor kurzem erbaut worden und eine Nichte des Admirals hatte die Galeere Silberne Stute getauft. Gohtas war hoch zufrieden, sie nahm sehr schnell Fahrt auf und lag gut im Wind. Die Soldaten, die an den Ruderbänken waren, hatten nicht viel Mühe, ihr Flaggschiff an die Spitze der Flotte zu bringen. Die Silberne Stute hätte in Friedenszeiten wohl jedes Rennen gewonnen.

Gohtas schaute, zusammen mit dem Kapitän der Silbernen Stute, den anderen Galeeren zu. Immer wieder gab er einem der Matrosen Anweisungen für Flaggensignale. Als alle Galeeren in ihrer vorgesehenen Position waren, wandte sich Gohtas dem Kapitän zu. »Sagt, Kapitän Lionos, ist diese Galeere nicht Euer erstes eigenes Kommando?«

Der junge Kapitän grinste über das ganze Gesicht. »Das wisst Ihr bestimmt so gut wie ich, Admiral. Ich hatte bisher immer das Vergnügen, auf Eurem Flaggschiff zu dienen. Kein Schiffsknecht kennt Euch so gut wie ich. Ihr habt mehr als zweihundert Galeeren unter Eurem Kommando, doch ausgerechnet auf Eurem Flaggschiff bekomme ich mein erstes Kommando als Kapitän.«

Gohtas musste nun selbst lächeln. »Ich gebe zu, dass ich das so gewollt habe. Doch ich wollte den besten Mann der Flotte auf diesem Posten haben. Ich kenne keinen, der Euch in irgendeiner Weise gleicht. Ihr seid der Beste, und deshalb seid Ihr für mich so wichtig. Sollte ich ausfallen, so muss ich sicher gehen, dass es noch einen gibt, der mich im Notfall vertreten kann. Ich habe in meiner Kabine genaue schriftliche Order für einen solchen Fall hinterlassen.«

Kapitän Lionos war für den Admiral gleich in mehrfacher Hinsicht unentbehrlich. Er kannte alle Pläne und wusste genau, wie man eine so große Flotte zu führen hatte. Gohtas nannte ihn oft in Gedanken seinen Meisterschüler. Von Anfang an hatte er ihn härter arbeiten lassen als jeden anderen. Oft musste Lionos in den alten Büchern lesen und die Taktiken früherer großer Admiräle studieren. Doch es hatte sich gelohnt. Wenn dieser Krieg vorbei war, dann wollte sich Gohtas endgültig zurückziehen und den jungen Kapitän Lionos als seinen Nachfolger vorschlagen. Der König würde gewiss nicht nein sagen.

Gohtas übergab Lionos das Kommando und zog sich in seine Kabine zurück. Der Kapitän stand nun allein neben dem Steuermann und sah, wie die anderen Galeeren wegen der aufkommenden Nacht die Positionslichter entzündeten. Die Flotte segelte vorbei an den Felsenriffen einer längst versunkenen Insel, an deren Namen sich niemand mehr erinnern konnte. Lionos sah sie wie schwarze Gestalten im Meer sitzen. Schon so manches schöne Schiff war in stürmischer Nacht an diesen Riffen für immer verlorengegangen und viele arme Seemänner hatten das mit ihrem Leben bezahlt. Deshalb wurden die Felsenriffe auch Seemannstod genannt. An die Reling gelehnt, schaute Lionos in Gedanken versunken diesen gefährlichen Riffen nach.

Was dort wohl an Schätzen für immer versunken sein mag? Vor dem geistigen Auge des Kapitäns öffneten sich unwillkürlich die sagenhaftesten Schatztruhen. Er meinte, Gold und Edelsteine in unermesslicher Fülle und Pracht zum Greifen nah zusehen. Doch der Steuermann brachte ihn mit einer Frage in die Wirklichkeit zurück. »Kapitän, es ist bereits finstere Nacht. Wollt Ihr nicht schlafen gehen?« Lionos wachte aus seinen Gedanken auf. »Ja, ja, das ist bestimmt eine gute Idee. Ich weise noch die Wachen ein und lege mich dann aufs Ohr.«

Nach dem die Wachen genau eingewiesen waren verschwand auch der Kapitän in seine Kabine. Der Steuermann sah ihm kopfschüttelnd nach. Ein Glück das es eine sternenklare Nacht war, da war das Navigieren kein Problem.

Am nächsten Morgen wurden die Besatzungen schon recht früh geweckt. Die Alarmglocken läuteten. Hoch oben auf dem Mast hatten die Wachen im Ausguck ein Schiff entdeckt. Als es die Flotte bemerkte, hatte es ein halsbrecherisches Wendemanöver durchgeführt und versuchte nun mit aller Kraft zu entkommen. Gohtas erschien auf dem Deck. Lionos hatte gerade die Verfolgung befohlen. Auch einige andere Galeeren der Flotte beteiligten sich daran. Der Kapitän stellte sich neben seinem Admiral. »Wollt Ihr selbst die Verfolgung befehligen, mein Herr, oder wollt Ihr noch ein wenig diesen wunderbaren Morgen genießen und zuschauen? Ich habe schon das Bugkatapult in Stellung bringen lassen.«

Gohtas sah sich die Manöver der flüchtenden Galeere aufmerksam an. »Behaltet das Kommando. Achtet aber darauf, dass Ihr die Ruderer nicht zu lange an den Riemen lasst. Wir brauchen sie für unseren Angriff. Am besten ist es, wenn sie beim Rudern in Wein getauchtes Brot bekommen.«

Lionos nickte zustimmend und gab die entsprechenden Befehle weiter. Unten, auf den Ruderbänken, legten sich die Soldaten mit aller Kraft in die Riemen. Die Gehilfen des Rudermeisters tauchten große Stücke Brot in Weinkrüge und stopften es den Soldaten in den Mund. Der Rudermeister selbst gab mit einer großen Pauke den Takt vor. Bei jedem Schlag zogen die Soldaten ihre Ruder durch das Wasser des Meeres.

 

Lionos stand oben auf dem Kommandodeck neben dem Admiral. Angestrengt sahen beide zu der Galeere. Der Abstand blieb jetzt in etwa gleich. Lionos schüttelte den Kopf. »So wird das nichts werden. Seht mein Admiral, im Wasser treibt ihre Ladung. Sie haben ihre Ware über Bord geworfen. Wir müssen unbedingt bis auf Schussweite herankommen. Ich lasse stärker am Wind segeln.« Der Kapitän rief dem Steuermann einen Befehl zu. Einen Augenblick später lag die Silberne Stute stärker am Wind und holte tatsächlich langsam auf. Stück für Stück näherte sie sich der feindlichen Galeere auf Schussweite. Die Spannung wuchs mit jedem Atemzug. Gohtas befahl Lionos beim Steuermann zu bleiben, er selbst wollte das Katapult übernehmen. Als der Admiral am Bug ankam, ließ er es mit einer Steinkugel laden und für den ersten Schuss ausrichten. Dann schätzte er die Entfernung zu den Flüchtenden. Die Bedienungsmannschaft sah ihn erwartungsvoll an. Doch der Admiral schüttelte den Kopf. »Da müssen wir wohl noch einen Augenblick Geduld haben. Ich würde ihnen am liebsten den Mast wegschießen, doch wir müssen noch näher heran.«

Gohtas drehte sich um und sah zum Großsegel. Es blähte sich im Wind und trieb mit aller Macht die Galeere voran. Der gleichmäßige Takt der Pauke des Rudermeisters war zu hören. Der Admiral lief zur Luke, die nach unten zu den Ruderbänken führte. Damit der Rudermeister ihm überhaupt hören konnte, brüllte er mit aller Kraft seinen Befehl nach unten. »Rudermeister! Geh sofort auf Rammgeschwindigkeit und halte sie, so lange die Männer das schaffen!«

Der Rudermeister brüllte los. »Rammgeschwindigkeit!« Dann verdoppelte er den Takt seiner Pauke. Gohtas rannte zum Katapult zurück. Gleich musste die fliehende Galeere in Reichweite sein. Tatsächlich näherte sich die Silberne Stute nun beträchtlich schneller. Das sah der feindliche Kapitän wohl mit Schrecken.

Er versuchte verzweifelt mit einem Manöver den Kurs so zu ändern, dass er aus der Reichweite der silbernen Stute blieb. Doch das war ein schwerer Fehler. Er kam vom Wind ab und verlor sofort an Fahrt. Gohtas bemerkte es mit Freuden. Sein Befehl war auf dem ganzen Schiff zu hören. »Feuer frei! Schießt ihnen den Mast weg!« Der Wurfarm des Katapultes schnellte in die Höhe und die schwere Steinkugel sauste im hohen Bogen zu ihrem Ziel. Doch sie verfehlte den Mast und schlug stattdessen im Mastkorb ein. Ein Bogenschütze wurde getroffen und fiel schreiend auf das Deck. Gohtas konnte es kaum fassen. »Sofort laden und feuern! Nehmt die Kettenkugeln! Wir müssen den Mast knicken, bevor sie wieder am Wind sind!« Wieder schnellte der Wurfarm hoch und die Kettenkugeln fanden ihr Ziel. Kurz unter der Rah des Segels zerschmetterten sie den Mast. Krachend schlug das Segel mit der schweren Rah auf das Deck. Jetzt hatte die feindliche Galeere kaum noch Fahrt und die Silberne Stute näherte sich ihr als erstes. Dem Kapitän der schwer beschädigten Galeere blieb keine Wahl. Er ließ am Heck eine weiße Fahne hissen und seine Mannschaft legte ihre Waffen nieder.

Lionos befahl dem Rudermeister, das Rudern einzustellen und die völlig erschöpften Soldaten ablösen zu lassen. Auf beiden Schiffen wurden die Ruder eingezogen und die Galeeren näherten sich nun langsam einander. Mit Wurfankern zogen die Soldaten sich an die fremde Galeere heran und legten Enterbrücken aus. Mit einem Jubelschrei stürmten sie auf das Deck des Gegners und nahmen die Mannschaft endgültig gefangen. Es waren ausschließlich obinarische Kaufleute und Matrosen. Gohtas und Lionos kamen an Bord des erbeuteten Schiffes und schauten sich die Mannschaft an. Neben dem Mast lagen zwei tote Matrosen. Sie waren von der Rah erschlagen worden.

Der Kapitän der Obinarer stellte sich nun vor. »Ich bin Byros, Kapitän dieser Handelsgaleere.« Der Admiral grinste seinen Kapitän an und rieb sich die Hände. Dann wandte er sich Byros zu.

»Euer Schiff gehört jetzt mit der gesamten Ladung meinem Herren, dem König von Avanura. Übergebt mir Eure Frachtbriefe und haltet Euch für eine Befragung bereit.« Gohtas hielt für einen Augenblick in seiner Rede inne und tat so, als ob er kurz angestrengt nachdächte. Er tippte sich an die Stirn. »Äh, wie soll ich es sagen? Wie kommt ihr Obinarer nur auf die unheimlich kluge Idee, einer ganzen Flotte davonsegeln zu wollen? Ihr könnt Euch doch an den fünf Fingern eurer rechten Hand abzählen, dass mindestens eine unserer Galeeren schneller ist als eure eigene.«

Er ließ den Kapitän der Obinarer mit seiner Antwort stehen und schaute sich die Galeere an. Die Rudersklaven wurden auf Deck geführt und mit Wasser versorgt. Sie waren alle in einem erbärmlichen Zustand. Um ihre Hüften baumelten die Reste einstiger Hosen. Sonst hatten sie nichts weiter am Leib. Die Haare und die Bärte waren lang und verfilzt. Auf ihren Rücken sah man deutlich die frischen Striemen, die von den Peitschen ihrer Aufseher stammten. Meist waren sie aufgeplatzt und bluteten. An den nackten Füßen hatten sie Fesseln mit Eisenringen. Kurz vor einem Kampf zogen die Aufseher gewöhnlich Ketten durch diese Ringe. So waren sie an ihre Ruderbank gefesselt und konnten bei einem Untergang ihrem Schicksal nicht entkommen. Einige husteten und rangen noch immer nach Luft. Sie alle waren vom harten Rudern völlig erschöpft.

Lionos sah durch die Luke, die unter Deck zu den Ruderbänken führte. Dann sah er Gohtas an. »Die Hälfte der Rudermannschaft ist noch hier unten. Sie sind zu schwach, um auf Deck zu kommen.« Gohtas schaute selbst hinein. Der Leibarzt des Admirals war mit seinen Gehilfen gerade nach unten gegangen. Ein unbeschreiblicher Gestank schlug Gohtas entgegen. Doch noch viel unbeschreiblicher war das, was er sah. Einige Männer waren so blutig geschlagen, dass selbst dem härtesten Mann bei ihrem Anblick die Tränen in die Augen schossen. Vor Wut schnaubend drehte sich Gohtas um und zog sein Schwert. Er stürzte auf dem Kapitän der Obinarer zu und wollte ihn auf der Stelle niedermetzeln. Lionos und einige beherzte Soldaten hatten alle Mühe, ihren Admiral von seinem Vorhaben abzuhalten.

Dabei brüllte Lionos den Admiral an: »Nein mein Herr, das dürft Ihr nicht! Wir werden ihn lebend nach Krell bringen lassen! Dort soll man ihn mit seiner Mannschaft für ihre Verbrechen bestrafen!« Gohtas steckte sein Schwert weg und drehte sich um. Er sah sich die Rudersklaven mit ihren ausgemergelten Körpern an. Hilflos versuchten sie, sich die Sachen anzuziehen, die sie von der Mannschaft der Silbernen Stute bekamen.

Während die einen ihre Freiheit wieder bekamen, wurden die anderen in Ketten gelegt und auf einem Gefangenenschiff untergebracht. Um nicht den Kontakt untereinander zu verlieren, mussten jetzt alle Galeeren der Flotte ankern. Die erbeutete Galeere wurde in Windeseile wieder in Stand gesetzt, mit einer Mannschaft versehen, und schon zum Mittag war die Flotte wieder unterwegs.

Gohtas starrte beim Essen geistesabwesend ins Leere. Lionos ahnte, was ihn beschäftigte.

»Herr, Ihr seid mit Euren Gedanken abwesend. Ich befürchte, dass Euch die längst vergangenen Tage Eurer Gefangenschaft bei den Piraten wieder in den Sinn gekommen sind. Das war in Eurer Jugend und ist schon seit einer Ewigkeit vorbei. Immer wieder daran zu denken, ist falsch. Ihr müsst nach vorn sehen, mein Admiral.«