Die Açaí-Frucht

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Die traditionelle Verwendung von Açaí

3000 Jahre alte verkohlte Açaí-Samen im Amazonasbecken deuten darauf hin, dass die Palme schon damals in der sogenannten Marajoarakultur genutzt wurde. Wie andere Palmen auch, so lässt sich die Açaí-Palme äußerst vielfältig nutzen (vgl. Plotkin und Balick 1984 sowie Strudwick und Sobel 1988). Nahezu jeder Teil der Pflanze kann vom Menschen verwertet werden. An erster Stelle stehen aber die essbaren Palmherzen und das Fruchtmark. Das vorliegende Buch befasst sich zwar in erster Linie mit den Vorzügen des Fruchtmarks, aber ein Blick auf die Nutzung der anderen Pflanzenteile ist auch sehr interessant.

Für die Bewohner des Amazonasgebietes ist Açaí eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel. Manche trinken sogar bis zu 2 Liter Açaí-Saft am Tag.

Der wirtschaftlich und ernährungsphysiologisch wichtigste Teil der Açaí-Palme für den Menschen ist das Fruchtmark oder die Pulpe, woraus wiederum Saft hergestellt wird. Für die Bewohner des Amazonasbeckens stellt Açaí ein wichtiges Grundnahrungsmittel dar. Man sagt jenen, die die Frucht regelmäßig verzehren, sogar nach, dass sie besonders stark und energiegeladen sind (Strudwick und Sobel 1988). Der Stellenwert als Nahrungsmittel ist derart hoch, dass manche Menschen täglich bis zu 2 Liter Açaí-Saft trinken. Bei den ländlichen Caboclos deckt Açaí sogar bis zu 30 % des Energiebedarfs. Man könnte erwarten, dass sie sich irgendwann daran satt äßen, aber ein Sprichwort sagt: „Ohne Açaí fühlt man eine Leere im Magen.“ Die Bewohner lieben Açaí so sehr, dass es sogar zu leichten Entzugserscheinungen kommen kann, wenn längere Zeit darauf verzichtet werden muss. Das ist vergleichbar damit, wenn Menschen unserer Breiten unglücklich werden, weil sie nicht täglich ihre gewohnte Brotsorte oder ihre Kartoffeln essen können.

Der einzigartige Açaí-Geschmack wird unterschiedlich empfunden. Manche beschreiben ihn als cremig bis leicht ölig und metallisch. Für andere ist er erdig, nussig-pikant und erinnert an Kakao. Wieder andere erinnert er an Rote Bete oder Möhren.

Schon bevor in den letzten Jahren in manchen Ländern ein regelrechter Açaí-Boom einsetzte, war die Frucht in brasilianischen Açaí-Geschäften, den sogenannten açaílandias, sehr populär. Auch wenn die Landbevölkerung im Amazonasbecken eher arm ist, ist Açaí keineswegs ein ausgesprochenes „Arme-Leute-Essen“. Ganz im Gegenteil: Es wird von allen Gesellschaftsschichten geschätzt. Für die einen ist es ein Grundnahrungsmittel, für andere eine Delikatesse.


Während die Açaí-Geschäfte und einige fortschrittliche Privathaushalte längst zur maschinellen – teils handbetriebenen, teils elektrischen – Verarbeitung übergegangen sind, werden die Früchte auf dem Land vielfach noch von Hand ausgepresst und verarbeitet. Auch wenn die klassische Zubereitung für unseren Açaí-Konsum keine Rolle spielt, sei sie hier kurz beschrieben, um einen Eindruck von der Ursprünglichkeit zu geben. Details der modernen Verarbeitung finden sich bei Rogez (2000).

Die Pflücker erklettern die Palme mithilfe einer aus Açaí-Palmwedeln gefertigten Kletterhilfe, der peconha. Sie schneiden den gesamten Fruchtstand ab und am Boden werden die Früchte abgeschüttelt oder abgestreift und in Körben gesammelt. Dann werden sie eine halbe Stunde lang in einem Topf mit warmem Wasser aufgeweicht und gewaschen. Die nun folgende harte Arbeit, das Ablösen des Marks vom Kern, wird von Frauen, den amassadeiras, erledigt. Dazu wird zunächst das Wasser abgeschüttet und dann werden die Früchte in dem Topf geknetet. Anschließend folgt die Feinarbeit mittels zweier Siebe. Das erste ist grobmaschig und nennt sich caroceiro, das zweite feinmaschige Sieb heißt paneira fina. Beide aus einheimischen Pflanzen hergestellten Siebe sind quadratisch und haben Kantenlängen von etwa einem halben Meter. Zunächst werden sie übereinandergelegt und das Fruchtmark wird mittels Kneten durch das erste Sieb hindurchgepresst. Zur Unterstützung wird immer wieder etwas Wasser und von der im Auffangbottich befindlichen Flüssigkeit darübergegossen. Nachdem der größte Teil des Marks ausgepresst wurde, werden die Samen noch einmal in dem Topf durchgeknetet und dann wieder auf dem caroceiro weiterverarbeitet, um die letzten Reste des Fruchtfleisches abzulösen. Schließlich wird das grobmaschige Sieb entfernt und die Masse durch die paneira fina gepresst.


Zur Herstellung von Açaí-Saft, dem – alkoholfreien – vinho do açaí wird die Pulpe weiter mit Wasser verdünnt und in unterschiedlichen Qualitätsgraden literweise in Plastikbehältern verkauft. Teilweise bringen die Käufer ihr eigenes Gefäß mit, ähnlich wie es früher bei uns mit Milchkannen üblich war. Der herkömmliche purpurfarbene Açaí-Saft wird açaí preto genannt. Etwa 5 % der Açaí-Palmen tragen helle Früchte ohne Anthocyane. Aus ihnen wird ein heller gelber Saft, der açaí branco, gewonnen. Unter dem Aspekt, als Radikalfänger zu fungieren, gebührt sicher ersterem der Vorrang. Andererseits ist es aber natürlich reine Geschmackssache, was bevorzugt wird. Man unterteilt die Açaí-Produkte in drei Handelsklassen, nämlich Açaí grosso (>14 % Trockenmasse), Açaí medio (11–14 % Trockenmasse) und Açaí fino (8–11 % Trockenmasse) (nach Lichtenthäler et al. 2005b). Manchen Produkten werden coffeinhaltige Pflanzenextrakte wie Guaraná beigesetzt, um zusätzlich eine belebende Wirkung zu erzielen. Durch das Mischen mit Früchten wie Banane oder Mango erhält man eine angenehme Süße. Auch wenn im Folgenden die Begriffe Açaí-Saft und Açaí-Mark (oder Açaí-Pulpe) etwas unterschiedlich gebraucht werden, ist zu bedenken, dass herstellungsbedingt nie reines Fruchtmark gewonnen wird. Das Endprodukt enthält immer Wasser.


Auch die Landbevölkerung, die ja an der Quelle sitzt, bereitet Açaí selbst zu. Man isst Açaí pur als Püree oder mischt diesen mit Farinha (= Maniok- bzw. Cassavamehl) zu Mingau. Aber auch andere Nahrungsmittel, zum Beispiel gegrillter Fisch, getrocknete Flussgarnelen, Topioka (= Maniokstärke), Gebäck u.s.w., eignen sich zur Kombination mit Açaí. Der Saft wird mit grob gemahlenem Maniokmehl, Perltapioka oder süßen Fruchtsäften gemischt. Gewürzt bzw. gesüßt wird mit Zucker, Sirup und Salz. Besonders beliebt sind Eis, Milchshakes, Pudding, Mousse, mit Açaí gefüllter Konfekt, Likör oder Kuchen. Auch das Hilton im Zentrum Beléms setzt auf Açaí. Im dortigen Açaí-Restaurant werden entsprechende lokale Gerichte serviert und als Dekoration greift man gerne auf junge Açaí-Pflanzen und -Setzlinge zurück.

Der Samen nimmt den größten Teil der Frucht ein und täglich fallen riesige Mengen davon als Abfall an. In allen Ecken und Hinterhöfen sind Açaí-Setzlinge zu entdecken, die aus den auf Halde liegenden Samen entstehen. Teilweise werden sie kompostiert, um Erde für die Gärten zu gewinnen. Andererseits dienen sie natürlich der Aufzucht neuer Palmen. Außerdem sind sie als Schweinefutter sehr geschätzt, werden aber auch künstlerisch weiterverarbeitet. Heute weiß man, dass die Samen mehr sind als bloßer Abfall. Sie stecken voller antioxidativer Kraft, wie wir später noch sehen werden (Rodrigues et al. 2006). Jedenfalls dürfen sich die Schweine glücklich schätzen, mit einer derart gesunden Kost gemästet zu werden.

Auch die Palmherzen sind eine äußerst begehrte Köstlichkeit.

Neben dem Fruchtmark sind die Palmherzen, die palmitos, eine sehr begehrte Köstlichkeit. Die bis zu 60 cm langen, aber nur 2–3 cm dicken Palmherzen befinden sich direkt oberhalb der Wachstumszone im Kronenschaft und bestehen aus den zarten, blassen Sprossspitzen der unreifen Blattanlagen. Obwohl sie kaum Nährwert haben, waren sie für viele Generationen der Ureinwohner ein Grundnahrungsmittel, dienten aber auch als Schweinefutter. Heute werden sie vor allem in Frankreich als Delikatesse geschätzt. So entstand im brasilianischen Amazonasgebiet eine Industrie, die mit jährlich 150000 Tonnen Palmherzen und einem Umsatz von 140 Millionen US-Dollar von ökonomischer Bedeutung ist. Alleine im Amazonasgebiet sind 120 Firmen registriert, viele kleine familiäre Zulieferbetriebe nicht mitgerechnet. Nach Frankreich sind die USA zweitgrößter Importeur von Palmherzen, erreichen aber nur ein Viertel der Menge unserer Nachbarn. Aber auch in Brasilien werden sie gerne gegessen. Roh schmecken Palmherzen eher mild, durch das Konservieren erhalten sie eine leicht säuerliche Note. In den Palmherzfabriken werden sie nämlich in 10 cm lange Stücke zerkleinert und in einem Bad aus Zitronensäure und Salz in Dosen eingemacht. Ihre Konsistenz ist mit der von Artischockenherzen vergleichbar. Açaí-Palmherzen eignen sich auch für die Zubereitung eines Salates oder einer Cremesuppe, die ähnlich wie Spargel-Cremesuppe schmeckt. Klein gehackt und gekocht sind sie sogar als Pizzabelag verwendbar oder lassen sich hervorragend im Teigmantel servieren.


Ursprünglich diente eine Verwandte der Açaí-Palme, die Euterpe edulis Mart., als Palmherzlieferant. Da diese jedoch nur aus einem einzigen Stamm besteht, der bei der Ernte des Palmherzens vernichtet wird, wurden einige Bestände ernsthaft gefährdet. Deshalb stieg man auf Açaí um. Das hat den Vorteil, dass die Palme überlebt, auch wenn einer der Stämme gefällt wird. Zudem wird dadurch die Fruchtbildung der anderen Stämme wie auch das Wachstum neuer Stämme gefördert. Heute gibt es vielversprechende Bestrebungen, für die Palmherzgewinnung einen Hybriden aus Euterpe oleracea und Euterpe edulis zu kultivieren, denn die unsystematische und illegale Palmherzgewinnung gefährdete auch Açaí-Bestände. Hilfsprojekte (z. B. unter Mitwirkung des Deutschen Entwicklungsdienstes oder des World Wildlife Funds) fördern die gezielte Kultivierung und den Aufbau einer ökologisch verträglichen Açaí-Industrie (vgl. auch Stute 2007). Zu dicht stehende und zu dicke Stämme werden abgeholzt und Lücken geschlossen. Dabei können wiederum Palmherzen gewonnen werden. Durch die gezielte Pflege kann schon nach drei Jahren geerntet werden und außerdem lässt sich die Ausbeute verdoppeln oder verdreifachen. In der Zwischensaison werden Kakao, Gummi und Andiroba geerntet.

 

Hoch über dem fruchtbaren Boden des Regenwaldes glänzen die purpurfarbenen Açaí-Früchte in der brasilianischen Sonne.

Außer der Gewinnung von Palmherzen und Fruchtmark kennt man fast zwei Dutzend weitere Nutzungsmöglichkeiten der verschiedenen Teile der Açaí-Palme. In den 1960er-Jahren verwendete man die Stämme als Holzkohle in den Ziegelsteinfabriken. Wie schon erwähnt, haben sie aber auch Bedeutung für den Hausbau. Auch die aus Palmwedeln gefertigten Kletterhilfen wurden schon erwähnt. Man verwendet die Palmwedel aber auch zum Decken von Dächern und zum Körbeflechten. Herabgefallene Palmwedel dienen als Mulch für andere Pflanzen. Aus den Fasern werden Hüte, Matten, Taschen und Körbe geflochten und die in den Palmherzfabriken anfallenden Abfälle werden kompostiert.

Nachdem die Früchte gepflückt wurden, werden die Fruchtstände ebenfalls als Mulch verwendet. Auch werden sie zu Besen verarbeitet, dienen zum Ausstopfen von Puppen oder als Streu für Schweine. Die Verschläge der Schweineställe wiederum werden aus Stämmen der Açaí-Palme gezimmert.

Der Verwendung von Açaí scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein.

Im Amazonasgebiet wird der blaue Açaí-Farbstoff als Naturfarbstoff oder -tinte verwendet.

Es sind aber noch weitere interessante Verwertungsmöglichkeiten von Açaí denkbar. Aus den Stämmen könnte man Papier herstellen, Öl aus der Frucht und Tierfutter aus der Frucht und dem Samen.

Eine besonders pfiffige Nutzung gibt es für die Baumstämme, die ja beispielsweise bei der Palmherzernte anfallen. Man uriniert auf die gefällten Stämme, um dadurch einen speziellen Rüsselkäfer (Rhynchophorus palmarum) anzulocken. Der legt seine Eier in die gefällten Bäume und nach einigen Wochen können dann 3–4 Pfund Larven geerntet werden. Diese daumendicken Larven enthalten große Mengen an Eiweiß und Fett. Sie werden geröstet gegessen oder zu einer Art Butter verarbeitet.

Der Verwendung von Açaí scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. So eignet sich die Pulpe sogar als gut verträgliches Kontrastmittel in der Magnetresonanztomografie (Córdova-Fraga 2004).

Eine weitere, eher technische Verwendung untersuchten Garcia et al. (2003). Sie berichten, dass sich Extrakte aus den Früchten des Keuschbaumes, des Maulbeerbaumes und der Açaí-Palme als Ersatz für synthetische Farbstoffe in Solarzellen eignen und konnten damit tatsächlich Elektrizität erzeugen.

Joghurt ist ein weltweit verbreitetes Lebensmittel, dem unterschiedliche, oft künstliche, Zusätze beigemischt werden. Açaí eignet sich – ähnlich wie Blaubeeren – aufgrund seiner antioxidativen Eigenschaften hervorragend als funktioneller Zusatzstoff zur Blaufärbung und ist damit eine gute und gesunde Alternative zu künstlichen Farbstoffen (Coisson et al. 2005).

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