Öffentliches Wirtschaftsrecht

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1. Verwaltungsorganisation in Deutschland

a) Grundsatz: Verwaltungszuständigkeit der Bundesländer

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Aus der verfassungsrechtlichen Regelung der Verwaltungskompetenzen in den Art. 83 ff GG ergibt sich zunächst einmal, dass die Zuständigkeit der Länder sich nicht nur auf den Vollzug ihrer eigenen Gesetze (Art. 30 GG), sondern grundsätzlich auch auf die Ausführung der Bundesgesetze erstreckt. Sofern also nicht einer der im GG enumerativ aufgezählten Fälle der sog. Bundesauftragsverwaltung vorliegt (s. zu Art. 85 GG unten Rn 175), vollziehen die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit, dh sie unterliegen lediglich einer Rechtsaufsicht des Bundes (Art. 84 Abs. 3 GG)[574]. Grundsätzlich regeln die Länder auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG[575].

b) Die Bundesauftragsverwaltung

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Auch die Bundesauftragsverwaltung ist Teil der Landesverwaltung. Die oberste Bundesbehörde hat jedoch die Rechts- und Fachaufsicht (Art. 85 Abs. 4 GG) und nach näherer Maßgabe des Art. 85 Abs. 3 GG auch ein Weisungsrecht gegenüber dem Land[576]. Wichtigster Anwendungsfall der Bundesauftragsverwaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht ist nach Art. 85 GG iVm Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG die Vergabe überwiegend vom Bund finanzierter Subventionen.

c) Die unmittelbare und mittelbare Bundesverwaltung

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Zur unmittelbaren Bundesverwaltung (Art. 86 GG) gehören außer den eher seltenen Fällen, in denen die Bundesregierung bzw ein Minister Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, etwa über Bundessubventionen zu entscheiden (s. Rn 773), vor allem die organisatorisch selbstständigen Bundesoberbehörden. Zu diesen zählen alle unmittelbar den Bundesministerien unterstellten Behörden ohne Verwaltungsunterbau und mit örtlicher Zuständigkeit für das gesamte Bundesgebiet[577]. Der Bund kann durch die Einrichtung einer solchen Behörde also eine eigene Verwaltungskompetenz begründen und gleichzeitig die Verwaltungskompetenz der Länder ausschließen[578]. Wichtigstes Beispiel hierfür sind im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts die Bundesnetzagentur (s. Rn 188 f) sowie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das außer für die außenwirtschaftlichen Aufgaben vor allem für bestimmte Aufgaben der Wirtschafts- und Energieförderung zuständig ist[579]. Alternativ kann der Bund Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung errichten. Beispiel hierfür sind die Bundesbank, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (s. Rn 197) sowie die berufsständischen Kammern. Grundsätzlich kann der Bund zwischen beiden Organisationsformen wählen.

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Die Einführung der Bundesverwaltung ist in einigen wenigen Fällen verfassungsrechtlich vorgeschrieben (obligatorische Bundesverwaltung). Nach Art. 87f Abs. 2 S. 2 GG müssen die Hoheitsaufgaben des Bundes im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden; eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 87e Abs. 1 S. 1 GG für die Aufsicht über die Schienenwege. In beiden Fällen war nach wohl herrschender Auffassung der einfache Gesetzgeber verfassungsrechtlich auf den Organisationstyp der selbstständigen Bundesoberbehörde festgelegt. Aus dem Wortlaut der Art. 86 S. 1, 87 Abs. 3 S. 1 GG, die begrifflich zwischen bundeseigener Verwaltung und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterscheiden, sei abzuleiten, dass „bundeseigene Verwaltung“ keine rechtliche Verselbstständigung gestatte[580].

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Soweit – wie für die Regulierung der Energiemärkte und die Finanzmarktaufsicht, aber auch andere Bereiche der Wirtschaftsaufsicht – eine solche spezielle Regelung fehlt, kann der Bund unter den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 3 GG (sog. fakultative Bundesverwaltung) eigene Behörden wie die BNetzA, aber auch eine Bundesanstalt wie diejenige für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung einrichten.

Dazu muss ihm die Gesetzgebungskompetenz zustehen. Sowohl für die Regulierung des Strom- und Gasmarktes als auch für die Finanzmarktaufsicht folgt eine solche aus Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG. Entsprechendes würde eigentlich auch für eine Gewerbeaufsichtsbehörde gelten. Aus dem Begriff der selbstständigen Bundesoberbehörde und einem Vergleich mit Art. 87 Abs. 2 und Abs. 1 GG leitet das BVerfG aber weiter ab, dass eine solche Behörde nur für Aufgaben errichtet werden darf, die der Sache nach für das ganze Bundesgebiet von einer Oberbehörde ohne Mittel- und Unterbau und ohne Inanspruchnahme der Länder – außer für reine Amtshilfe – wahrgenommen werden können[581]. Damit zieht Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG der Begründung einer Verwaltungszuständigkeit auch insofern eine Grenze, als nur bestimmte Sachaufgaben zur zentralen Erledigung geeignet sind. Bei der Einführung einer bundeseinheitlichen Bankenaufsicht durch das KWG 1961 war diese Frage der Hauptstreitpunkt[582]. Während das BVerfG dies dort bejahte, wäre es bei der allgemeinen Gewerbeaufsicht sicherlich nicht der Fall. So ließe sich die Kontrolle vor Ort ohne einen Unterbau nicht effektiv wahrnehmen. Für die Beteiligung der Bundesbank an der Aufsicht ist Art. 88 GG, nicht Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, einschlägig.

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Dabei ist der Bundesgesetzgeber nicht auf die Organisationsformen des öffentlichen Rechts beschränkt. Eine ausdrückliche Regelung für „bundeseigene Verwaltung“ in privatrechtlicher Form findet sich in Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG[583]. Angesichts des weiten organisatorischen Spielraums des Bundes[584] ist deshalb in Art. 87 Abs. 3 GG lediglich eine beispielhafte Aufzählung der möglichen (öffentlichrechtlichen) Organisationsformen zu sehen, die privatrechtliche Organisationsformen nicht ausschließt[585]. Aus der Verfassung wird allerdings ein „Prinzip der quantitativen Begrenzung“ entnommen, so dass die öffentlichrechtliche Organisationsform der Regelfall zu bleiben hat[586].

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Im Fall 12 (Rn 170) würde eine Organisationsprivatisierung der BaFin also nicht an Art. 87 Abs. 3 GG scheitern. Selbstverständlich bedürfte sie einer gesetzlichen Grundlage; ein besonderer sachlicher Grund, der eine solche rechtfertigen würde, ist allerdings schwer vorstellbar, bietet doch gerade die gewählte Anstaltsform die notwendige Flexibilität (s. etwa zur Möglichkeit von Vergütungen außerhalb des für Behörden geltenden Besoldungsrechts § 10 Abs. 2 FinDAG). Sie wäre allerdings auch an den weiteren Vorgaben des Art. 87 Abs. 3 GG zu messen, so dass etwa ein organisatorischer „Unterbau“ auch bei einer privatrechtlich organisierten Finanzdienstleistungsaufsicht ausgeschlossen wäre[587]. Ob die Eingliederung der Bankenaufsicht in die Bundesbank mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, wäre ebenfalls nach Art. 87 Abs. 3 GG zu beurteilen. Denn Art. 88 GG ist Maßstab für die Übertragung zentralbankspezifischer Aufgaben; die Zuständigkeiten der Bankenaufsicht – insbesondere §§ 32 ff, 44 ff KWG – weisen keinen unmittelbaren Bezug zur Währungssicherung auf. In der Praxis lassen sich die Aufgaben der Bankenaufsicht nicht von einer zentralen Behörde ausführen[588]. Daher ist Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen[589].

2. Unabhängige Regulierungsbehörden und -agenturen im Verwaltungsverbund

a) Vom mitgliedstaatlichen zum kooperativen Vollzug

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Wie bereits angedeutet, werden die dargestellten Organisationsstrukturen des nationalen Rechts in zentralen Bereichen von europäischen Vorgaben überlagert. Die Referenzgebiete des Telekommunikations- und Energierechts, aber in der aktuellen Entwicklung vor allem auch das Bankaufsichtsrecht, sind hierfür anschauliche Beispiele. Zugleich sind Kommission und europäische Agenturen in vielfältiger Weise in die Verwaltungsorganisation eingebunden. Es ist traditionell vor allem die Kommission, die nach Art. 17 Abs. 1 S. 5 EUV auf europäischer Ebene exekutive Aufgaben wahrnimmt (zB in der Beihilfenkontrolle – s. Rn 960 ff, aber auch dem Telekommunikations- und Energierecht – s. Rn 183, 578), und insoweit einen kontinuierlichen Aufgabenzuwachs zu verzeichnen hat. Daneben treten unter unterschiedlicher Bezeichnung seit den 1970er Jahren Exekutivorgane (Agenturen) mit eigener Rechtspersönlichkeit, Leitung, Verwaltungspersonal und Haushalt unterhalb der Vertragsorgane. Die Kommission selbst unterscheidet zwischen den sog. Exekutiv- und Regulierungsagenturen[590]. An die Spitze der Entwicklung hat sich das Bankaufsichtsrecht gestellt. Hier übernahm zunächst 2011 die EBA (European Banking Authority) eine „Aufsicht über die Aufsicht“ (vgl Rn 198 ff), 2014 übernahm die EZB (Europäische Zentralbank) im Rahmen der Bankenunion originäre Aufsichtsaufgaben gegenüber den beaufsichtigten Instituten (dazu näher Rn 191 ff).[591]

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Insgesamt verschieben sich die Gewichte innerhalb des Verwaltungsverbundes. Im Telekommunikations-, aber auch im Energierecht entwickelten sich komplexe Strukturen eines institutionalisierten Kooperationsverwaltungsrechts. Diese Verbund- bzw Netzwerkstrukturen[592] lassen sich mit der traditionellen Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Vollzug[593] kaum noch angemessen umschreiben[594]. Die Einbindung ausländischer nationaler Regulierungsbehörden und vor allem der Kommission (und europäischer Gremien bzw Agenturen) in das nationale Verwaltungsverfahren geht über Informations- und Beteiligungsrechte hinaus. Es entwickeln sich Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse, die stark an die Rechts- oder gar Fachaufsicht erinnern, wie sie im Verhältnis der Behördenhierarchie nach deutschem Verwaltungsrecht zu beobachten ist. Sicherlich ist die Entwicklung noch nicht am Ende. Möglicherweise führen sie zu Formen der Mischverwaltung, die erst noch der dogmatischen Aufarbeitung bedürfen[595].

Die primärrechtliche Zulässigkeit dieser Aufgabenübertragung wurde vor allem in der deutschen Literatur angezweifelt[596]. Man berief sich vor allem auf die Meroni-Rechtsprechung[597], in der der EuGH schon in den fünfziger Jahren der Übertragung von Kompetenzen weg von der Kommission enge Grenzen zog. Allerdings lassen sich die Fälle schon angesichts der veränderten primärrechtlichen Ausgangslage nur bedingt vergleichen. Seit dem Lissabonvertrag setzt das Primärrecht, insbesondere in Art. 263 Abs. 4 AEUV, die Existenz von „vom Unionsgesetzgeber geschaffenen Einrichtungen und sonstigen Stellen“ voraus, „denen Befugnisse zum Erlass von für natürliche und für juristische Personen verbindlichen Rechtsakten auf spezifischen Gebieten eingeräumt wurden“[598]. Damit ist freilich noch nicht über die Zulässigkeit der Hochzonung auf die europäische Ebene entschieden. Anders als das deutsche Verfassungsrecht enthält der AEUV keine speziellen Vorgaben zu den Verwaltungskompetenzen, so dass man an die Gesetzgebungszuständigkeiten (insbes Art. 114 AEUV anknüpfen kann. Allerdings bleibt der Vollzug des Unionsrechts grundsätzlich Aufgabe der Mitgliedstaaten (vgl Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EU, Art. 197 und Art. 291 Abs. 1 AEUV), so dass der direkte Vollzug zwar die Ausnahme darstellt, aber möglich ist. Der EuGH hat in der Leerverkaufsentscheidung ausführlich zur Zulässigkeit unionaler Verwaltungskompetenzen Stellung genommen und diese für grundsätzlich zulässig erachtet[599]. Damit war die Verwaltungskompetenz auch für die Bankenunion geklärt[600]. Das BVerfG hielt diese Kompetenzübertragung für verfassungskonform[601], bezeichnete aber das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde als „prekär“ (dazu näher Rn 42).

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Gleichwohl bedeutet diese „organisatorische“ Zentralisierung nur auf den ersten Blick einen Verlust nationalen Einflusses; da die nationalen Behörden in die internen Entscheidungsstrukturen eingebunden sind. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA. Deren zentrales Entscheidungsgremium ist der „Rat der Aufseher“, in dem nur die Leiter der nationalen Bankaufsichtsbehörden stimmberechtigt sind (vgl Art. 40 Abs. 1 lit. b EBA-VO), während die „europäischen“ Mitglieder – ein Vorsitzender und je ein Vertreter von EZB, ESRB, Europäischer Kommission und den beiden anderen Regulierungsagenturen ESMA und EIOPA – lediglich eine beratende Funktion haben. Insoweit wurde also die Organisation der Level 3-Ausschüsse auf die Agenturen übertragen[602]. Auch bei der EZB ist (als Konsequenz der primärrechtlichen Regelung der Organe in Art. 13 EUV, Art. 129 Abs. 1, 282 AEUV) Beschlussorgan der Rat, der sich aus dem Direktorium der EZB sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten zusammensetzt[603]. Intern ist jedoch zunächst das Supervisory Board zuständig, das als „Aufsichtsgremium“[604] die Planung und Ausführung der Aufsichtsaufgaben übernimmt. Es besteht aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertretenden Vorsitzenden, der aus dem Kreis der Mitglieder des Direktoriums der EZB ausgewählt wird, vier Vertretern der EZB sowie Vertretern nationaler Aufsichtsbehörden[605]. Selbst die direkte Aufsicht der EZB (s. dazu unten Rn 193 f) obliegt nach Art. 3 SSM-Rahmen-VO „gemeinsamen Aufsichtsteams“ unter Beteiligung der nationalen Aufsichtsbehörden. Außerhalb der Finanzmarktaufsicht haben die Mitgliedstaaten entsprechende Initiativen der Kommission weitgehend verhindert. Zwar wurde im Energierecht die Zusammenarbeit durch die Europäische Energieagentur (ACER)[606] institutionalisiert (s. auch die Regelung in § 57 EnWG). Diese hat außerhalb des Regimes für grenzüberschreitende Infrastrukturen kaum Entscheidungsbefugnisse[607], sondern kann lediglich unverbindliche Stellungnahmen abgeben. Gestärkt wurde auch hier die Rolle der Kommission, die verbindliche Leitlinien für die Regulierung erlassen und deren Einhaltung in einem aufsichtsrechtlichen Kontrollverfahren durchsetzen kann[608]. Für das Telekommunikationsrecht ist anstelle der zunächst geplanten Agentur lediglich ein beratendes Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) ohne eigene Rechtspersönlichkeit entstanden, das die European Regulators Group (ERG) ersetzen und die Arbeit der nationalen Regulierer besser koordinieren soll[609]. Allerdings verblieben die zentralen Kompetenzen bei der Kommission. Das Herzstück der Kooperation zwischen Bundesnetzagentur und Kommission bzw GEREK ist das Konsolidierungsverfahren gem. § 12 Abs. 2 TKG (dazu Rn 190, 578).

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Mit der Zuständigkeit verlagert sich auch der Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln. Verwaltungshandeln nationaler Behörden kontrollieren die nationalen Gerichte, gegenüber den Unionsorganen und Agenturen gewähren die europäischen Gerichte Rechtsschutz, so lange dieser nicht ausdrücklich den nationalen Gerichten übertragen wird[610]. Dies schließt auch nationalen Rechtsschutz gegenüber vorbereitenden Maßnahmen nationaler Behörden aus[611]. Zugleich haben EuG und EuGH Gelegenheit die Maßstäbe des unionalen Verwaltungsrechtsschutzes weiter zu entwickeln[612]. Besondere Probleme bereitet gerade deutschen Verfahrensbeteiligten der für die europäischen Gerichte geltende Beibringungsgrundsatz, der sich auch auf das nationale Recht erstreckt.

b) Die „Unabhängigkeit“ von Regulierungsbehörden als sektorenübergreifendes Konzept

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Während die materiellen Bestimmungen des öffentlichen Wirtschaftsrechts vor allem in seinen Kerngebieten seit langem richtliniengeprägt sind, bedarf mittlerweile auch die These von der verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsorganisatorischen Autonomie der Mitgliedstaaten der Korrektur. Diese Entwicklung lässt sich unter dem Begriff der „Unabhängigkeit“ von Regulierungsbehörden zusammenfassen. Allerdings enthalten die einschlägigen Richtlinien mittlerweile klare unionsrechtliche Vorgaben. Im Bereich der Netzregulierung folgt das Unionsrecht dem Modell einer unabhängigen, von ministeriellen Weisungen freigestellten Verwaltungseinheit[613], das „in den Independent Agencies des US-amerikanischen Wirtschaftsregulierungsrechts seine klassische Ausprägung gefunden hat“[614]. Dies gilt auch für die Finanzmarktaufsicht[615], obwohl diese Fragen in Deutschland eher wenig erörtert wurden[616]. Ganz im Gegenteil war die Weisungsunabhängigkeit der Bundesbank ein zentrales Argument gegen die zeitweise erwogene Übertragung der Finanzmarktaufsicht auf die Bundesbank[617].

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Auf unionaler Ebene hat das Modell einer „offenen, effizienten und unabhängigen europäischen Verwaltung“ in Art. 298 Abs. 1 AEUV ausdrücklich Anerkennung gefunden, ohne dass es näher definiert wird[618]. Es lässt sich aber an die sekundärrechtlichen Maßstäbe anknüpfen[619]. Dabei ist zwischen einer funktionellen und der sog. „politischen“ Unabhängigkeit zu differenzieren.

Die funktionelle Unabhängigkeit verlangt die Trennung der Regulierung als staatlicher Funktion von der Leistungserbringung bzw der Unternehmensverwaltung in der Telekommunikation[620] sowie von den Stellen, die über Einsprüche gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörden entscheiden[621]. Diese Vorgaben basieren auf den ursprünglichen Vorgaben in Art. 3 Abs. 2 S. 1 RahmenRL. Mit ihnen war zunächst keine Aussage zur Stellung der Regulierungsbehörde im allgemeinen Staatsgefüge verbunden[622]. Nach dem geltenden Recht muss sie aber „unabhängig von allen politischen Stellen selbstständige Entscheidungen treffen“ können[623]. Diese politische Unabhängigkeit beschreibt die Entscheidungsautonomie der Behörde, dh die Frage der organisatorischen Abkopplung der Behörde von Exekutive und Legislative sowie damit einhergehend ihre Fähigkeit, eine eigene Regulierungspolitik zu entwickeln und durchzusetzen[624]. Damit werden ministerialfreie Räume geschaffen[625], ganz nach US-amerikanischem Vorbild, für das eine weitreichende Autonomie von Verwaltungsbehörden als der „4. Gewalt“ seit seinen Anfängen charakteristisch ist[626]. Dieses Vorbild hat vor allem den Bereich des europäisierten Regulierungsrechts auch konzeptionell so stark geprägt, dass Teile der Literatur schon früh die Unabhängigkeit und damit zusammenhängend die Unzulässigkeit jedenfalls von Einzelweisungen geradezu als – verfassungsrechtlich durchaus bedenkliches – Charakteristikum des Regulierungsrechts betrachteten[627]. Die Weisungsfreiheit der BNetzA ist in Art. 35 Abs. 3 S. 2 RL 2009/72/EG und Art. 39 Abs. 4 S. 2 RL 2009/73/EG für die Regulierung von Strom und Gas sowie nach Art. 3 Abs. 3a RahmenRL für das Telekommunikationsrecht ausdrücklich vorgeschrieben. Weisungen, und damit auch Einzelweisungen nach dem Vorbild der „Ministererlaubnis“ in § 42 GWB, sind nach herrschender Auffassung jedoch das zwingende verwaltungsorganisatorische Korrelat parlamentarischer Demokratie[628]. Verfassungsrechtliche Bedenken standen auch hinter dem „bewussten Schweigen“ des Gesetzgebers bei der Richtlinienumsetzung. Weder in den Einzelgesetzen noch im BNetzAG[629] wird die „politische“ Unabhängigkeit angesprochen[630]. Allerdings sind die entsprechenden Richtlinienbestimmungen unmittelbar anwendbar[631]. Erst recht unzulässig wäre eine „Ministererlaubnis“ entsprechend § 42 GWB, um unmittelbar eine Beschlusskammerentscheidung zu korrigieren[632]. Davon zu unterscheiden, und von den Vorgaben der Richtlinie nicht erfasst, ist die Möglichkeit der Einflussnahme des Präsidenten auf die Entscheidung der Beschlusskammer. Im Ergebnis hielt das BVerfG diese unionsrechtlich determinierte Weisungsunabhängigkeit für verfassungsrechtlich zulässig (s. dazu Rn 187).

 

c) Gesetzliche Steuerung und Kontrolle unabhängiger Verwaltungsbehörden als Problem des Demokratieprinzips?

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Das „europäische Verständnis von Unabhängigkeit“ beschränkt sich jedoch keineswegs auf diese Weisungsunabhängigkeit. Wie die Entscheidung des EuGH zu § 9a TKG gezeigt hat,[633] betrifft das europäische Verständnis von Unabhängigkeit sehr wohl auch das Verhältnis zwischen der Behörde und der Legislative. So darf der Gesetzgeber zum einen keine der Behörde gem. Unionsrecht überlassenen Detailfragen regeln, muss an sie ggf aber auch – positiv – Standardisierungsspielräume delegieren, die die Behörde ihrerseits durch „rules“ ausfüllen kann. Nach dem europäischen Konzept wird zwar die Steuerung der Behörde durch die gesetzlichen Vorgaben zurückgenommen; zugleich wird die geringere Kontrolle durch die Exekutive unionsrechtlich durch parlamentarische Kontrollrechte ersetzt, wie sie auf nationaler Ebene erst noch etabliert werden müssen[634]. Schließlich wirft die Frage nach Unabhängigkeit aber immer auch die Frage nach der gerichtlichen Kontrolldichte auf (dazu näher im Zusammenhang mit dem sog. Regulierungsermessen Rn 529). Insgesamt wird die Diskussion um eine „politische“ Unabhängigkeit zu einer solchen um die Neujustierung der Gewaltenteilung. Diese Konzeption sah sich in Deutschland erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die aber jedenfalls nicht genügen, um in der Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden eine Kompetenzüberschreitung der Union zu sehen[635]. Mit der Entscheidung zur Bankenaufsicht dürften sich auch die Bedenken gegen die unionalen Vorgaben für nationale Behörden erledigt haben. In der Sache überzeugt die Argumentation des BVerfG allerdings nicht. Diese Rechtsstellung als „aus Sicht des Demokratiegebots prekär“[636] zu bezeichnen, obwohl damit – wie auch das Gericht betont – vor allem eine Verlagerung von Kontrollbefugnissen von der Regierung auf das Parlament verbunden ist, ist sowohl gegenüber dem Unionrecht wie gegenüber der ältesten Demokratie der Welt, aus deren (allgemeinem) Verwaltungsorganisationsrecht das Konzept der independent regulatory agency stammt, nicht angemessen. Man muss vielmehr die Weisungsunabhängigkeit gegenüber der Exekutive zusammen betrachten mit der gestärkten parlamentarischen Kontrolle, die sich in der deutschen Praxis freilich erst noch etablieren muss. Aus diesem Blickwinkel aber wirkt viel eher die sich in der Weisungsbefugnis artikulierende starke Stellung der Regierung – gerade auch gegenüber dem Parlament – wie ein demokratietheoretisch fragwürdiges Relikt monarchistister Staatsorganisation.