Öffentliches Wirtschaftsrecht

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3. Die Bundesnetzagentur

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Vor allem im Energiewirtschafts- und Telekommunikationsrecht wurden die Aufgaben der Regulierung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) zugewiesen. Diese Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft, § 1 S. 2 BNetzAG[637], nimmt gem. § 116 Abs. 1 S. 1 TKG bzw § 54 Abs. 1 EnWG die ihr ua nach diesen Gesetzen zugewiesenen Aufgaben wahr. Während das Telekommunikationsrecht uneingeschränkt in die Verwaltungskompetenz des Bundes fällt, bleiben im Energiewirtschaftsrecht bestimmte Aufgaben nach § 54 Abs. 2 EnWG den Landesregulierungsbehörden vorbehalten.

Wichtigstes Organ der BNetzA ist der Präsident, der gem. § 3 Abs. 1 BNetzAG die BNetzA leitet und nach außen vertritt[638]. Der Präsident erlässt die Geschäftsordnung, die der Bestätigung des Ministeriums bedarf. Der Präsident ist nicht nur Dienstvorgesetzter. Über seine Funktion als Behördenleiter hinaus hat ihn das TKG in bedenklicher Weise in die Entscheidungspraxis eingebunden, indem der Präsidentenkammer zentrale Aufgaben zugewiesen werden[639]. Weitere Organe sind der Beirat (§ 5 BNetzAG), der sich aus je 16 Vertretern von Bundestag und Bundesrat zusammensetzt und für den Bereich des Energierechts der Länderausschuss (§ 8 BNetzAG), der der Abstimmung zwischen BNetzA und den nach § 54 Abs. 2 EnWG partiell zuständigen Landesbehörden dient, s. § 60a EnWG. Insoweit sind die landesrechtlichen Regelungen teilweise besser an das Unionsrecht angepasst. In Rheinland-Pfalz etwa übt die sog. Regulierungskammer „ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig, insbesondere von allen politischen Stellen und in eigener Verantwortung aus“; ihre Mitglieder „entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen“[640]. Zudem ist es ihnen ausdrücklich untersagt, „Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen Einrichtungen einzuholen oder entgegenzunehmen“[641]. Der Landesgesetzgeber verweist dabei ausdrücklich auf die unionsrechtlichen Vorgaben, verbunden mit dem Hinweis, dass diese sowohl vom Bund als auch den Ländern umzusetzen seien[642].

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Charakteristikum der BNetzA sind die nach kartellrechtlichem Vorbild eingerichteten Beschlusskammern, deren Zuständigkeit in den jeweiligen Einzelgesetzen geregelt ist. Ihre organisatorische Unabhängigkeit und das „justizähnlich ausgestaltete“[643] Verfahren gelten als „Baustein“ eines Regulierungsverwaltungsrechts[644] und Umsetzung der unionsrechtlich geforderten „Unabhängigkeit“. Sie entscheidet wie ein Gericht „auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung“, § 135 Abs. 3 S. 1 TKG[645]. Gleichwohl sind die gesetzlichen Regelungen rudimentär und bedürfen der Ergänzung durch das VwVfG[646]. Als unselbstständiger Bestandteil einer Behörde sind sie Ausschüsse iS von §§ 88 ff VwVfG[647], die sich durch Willensbildung nach dem Kollegialprinzip, organisatorische Verfestigung und durch die Mindestzahl von drei Mitgliedern auszeichnen. Deshalb finden für ihr (Binnen-)Verfahren mangels eigenständiger Regelung in TKG und EnWG die §§ 89 ff VwVfG unmittelbare Anwendung[648].

Während nach § 59 EnWG Entscheidungen grundsätzlich von den Beschlusskammern getroffen werden, ergibt sich deren beschränkte Zuständigkeit im Telekommunikationsrecht aus der enumerativen und abschließenden Regelung des § 132 Abs. 1 TKG. Das TKG enthält eine weitere Besonderheit. Zentrale Kompetenzen werden der Beschlusskammer „in der Besetzung mit dem Präsidenten … und den beiden Vizepräsidenten“ nach § 132 Abs. 3 TKG übertragen. Dies ist mit einer ungewöhnlichen Stärkung des Behördenleiters verbunden. Weitergehende Regelungen über Organisation und Geschäftsverteilung innerhalb der Beschlusskammern finden sich in EnWG und TKG nicht. Abgesehen von der gesetzlich begründeten Zuständigkeit der Präsidentenkammer entscheidet das Ministerium über die Bildung der Beschlusskammern, § 132 Abs. 3 TKG iVm § 3 Abs. 1 S. 3 BNetzAG. Über deren Zuständigkeiten wiederum entscheidet der Präsident durch die Geschäftsordnung, die gem. § 3 Abs. 1 S. 1 BNetzAG der Bestätigung durch das Bundesministerium bedarf[649]. Die Binnenstruktur der BNetzA folgt dem hierarchischen Aufbau, so dass die Umsetzung eines Mitgliedes der Beschlusskammer möglich ist. Grundsätzlich unterliegen Behördenmitarbeiter auch dem Weisungsrecht des Präsidenten (zu ministeriellen Weisungen s. Rn 187). Dieser muss allerdings die Zuständigkeiten der Beschlusskammern respektieren und darf Einzelweisungen nicht zum Inhalt einer Entscheidung erlassen, mit denen er diese faktisch an sich zieht[650]. Damit wäre beispielsweise eine Weisung des Präsidenten an die zuständige Beschlusskammer, durch Festlegung nach § 29 EnWG die Netzzugangsentgelte abzusenken, schon aus diesem Grund rechtswidrig. Für die gerichtliche Klärung solcher Fragen wird ein Organstreitverfahren in Betracht gezogen, in dem die Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte gerügt werden kann[651].

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Dass sich Telekommunikationsrecht im Verwaltungsverbund vollzieht, wird bereits, wenn auch etwas versteckt, am Regulierungsziel des § 2 Abs. 2 Nr 4 TKG deutlich, der in Umsetzung des Art. 7 Rahmenrichtlinie ein allgemeines Kooperationsgebot für die nationalen Regulierungsbehörden untereinander sowie mit der Kommission beinhaltet. Bei der letzten Novelle wurde dieser Verbund weiter verstärkt und institutionell um das 2009 neu geschaffene Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) ergänzt (s. Rn 183). GEREK besteht aus den Leitern oder einem hochrangigen Vertreter der nationalen Regulierungsbehörden und soll auf eine einheitliche Regulierungspraxis in ganz Europa hinarbeiten. Das Gremium fungiert weiter als Beratungs- und Diskussionsforum, erhielt aber auch die Möglichkeit, das nationale Marktregulierungsverfahren im Rahmen des Konsolidierungsverfahrens nach Art. 7 RahmenRL zu kommentieren (vgl zu den Aufgaben Art. 3 der VO). Das Herzstück dieser Kooperation ist das Konsolidierungsverfahren gem. § 12 Abs. 2 TKG[652], das auf das Berücksichtigungs- und das Vetoverfahren nach Art. 7 RahmenRL zurückgeht[653]. Sein Anwendungsbereich wurde auf die Regulierungsverfügungen nach § 13 TKG erstreckt, um so den Bedenken der Kommission gegen die bisherige Ausgestaltung des Marktregulierungsverfahrens Rechnung zu tragen.

Die Kommission kann außerdem durch allgemeine Harmonisierungsempfehlungen auf der Grundlage von Art. 19 RahmenRL auf eine Vereinheitlichung der Regulierungspraxis in den verschiedenen Mitgliedstaaten hinwirken. Diese sind als Handlungsform rechtlich unverbindlich. Nach Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 RahmenRL ist ihnen „weitestgehend Rechnung [zu] tragen“ und der EuGH zieht sie regelmäßig zur Auslegung der Richtlinien heran[654]. Beispiele sind die NGA-Empfehlung[655] und die Empfehlung zu den Terminierungsentgelten[656]. In eng begrenzten und als besonders harmonisierungsbedürftig angesehenen Bereichen wie der Nummerierung (vgl Art. 10 Abs. 4 RahmenRL) kommen auch Harmonisierungsentscheidungen (Beschlüsse iSv Art. 288 Abs. 4 AEUV) in Betracht[657].

4. Die Bankenaufsicht in der europäischen Bankenunion

a) Die EZB als Bankaufsichtsbehörde

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Die Übertragung zentraler Aufsichtsaufgaben auf die EZB im Rahmen der Bankenunion[658] stellt den bisherigen Höhepunkt einer Aufgabenverlagerung auf die europäische Ebene dar. Art und Weise der Zusammenarbeit, Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilungen ergeben sich für diese Mechanismen grundsätzlich aus einem Zusammenspiel der Art. 4 und 6 der SSM-VO[659], die durch eine RahmenVO der EZB auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 7 SSM-VO ergänzt wird[660]. Diese komplizierte Regelung kann nicht verhehlen, dass sie das Ergebnis eines politischen Kompromisses ist. Art. 4 SSM-VO begründet eine umfassende Zuständigkeit der EZB für die Beaufsichtigung „sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute“. Hieraus hat der EuGH abgeleitet, dass den nationalen Behörden keine originären Kompetenzen verblieben sind[661]. Diese Zuständigkeit beschränkt sich auf die im Einzelnen aufgezählten Aufgaben, die jedoch alle wesentlichen Bereiche erfassen[662]. Im Ergebnis lassen sich drei Kooperationsformen unterscheiden: die direkte Aufsicht, die indirekte Aufsicht sowie die sog. „gemeinsamen Verfahren“. Letztere betreffen die Marktzugangskontrolle, dh alle Zulassungs- und Inhaberkontrollverfahren (einschließlich des Verfahrens des Entzugs der Bankerlaubnis[663]) unabhängig von der Größe des Instituts (vgl Art. 4 lit a und c iVm Titel V SSM-Rahmen-VO).

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Dieses gemeinsame Verfahren illustriert Fall 13a (Rn 171): Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) SSM-VO ist ua die Zulassung eines Kreditinstituts Aufgabe der EZB; allerdings bleibt die nationale Behörde nach Maßgabe des Art. 14 SSM-VO in dieses „gemeinsame Verfahren“ einbezogen. Danach wird der Antrag auf Zulassung bei der BaFin gestellt. Diese prüft ihn inhaltlich. Erfüllt der Antragsteller „alle Zulassungsbedingungen des einschlägigen nationalen Rechts“, übermittelt sie der EZB einen Beschlussentwurf. Die EZB wiederum erteilt als „zweite Stufe“ des Verfahrens durch Beschluss die Zulassung[664]. Auch dieser wird dem Antragsteller von der nationalen Behörde mitgeteilt, Art. 14 Abs. 4 SSM-VO. Da es sich gleichwohl um einen europäischen Beschluss handelt, würde Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten gewährt werden; allerdings hat U als begünstigtes Unternehmen grundsätzlich keinen Anlass zur Klage[665]. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die europäischen Gerichte eine Konkurrentenklage zulassen[666]. Im Ergebnis wirft diese Form des „Entscheidungsverbunds“ gleichwohl erhebliche und erst noch zu klärende Rechtsschutzprobleme auf. Dies gilt insbesondere dann, wenn die BaFin die Zulassungsvoraussetzungen als nicht gegeben ansieht und daher – anders als beim Inhaberkontrollverfahren nach Art. 15 SSM-VO – der EZB keinen Beschlussentwurf übermittelt, sondern selbst den Antrag nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 SSM-VO ablehnt. In Fall 13b (Rn 171) stellt sich daher die Frage, was U in einem solchen Fall unternehmen kann. Es handelt sich bei der Ablehnungsentscheidung wohl um einen Verwaltungsakt der BaFin, gegen den nach allgemeinen Regeln Rechtsschutz vor den deutschen Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Mit einer erfolgreichen Verpflichtungs- oder Leistungsklage auf Vorlage an die EZB[667] ist allerdings nicht viel gewonnen, da die EZB gleichwohl die Bankerlaubnis verweigern könnte. U müsste also zunächst vor den nationalen Gerichten die BaFin auf Erstellung eines Beschlussentwurfes verklagen und danach ggf vor dem EuG gegen den anschließenden Ablehnungsbescheid der EZB vorgehen. Schon damit drohte eine erhebliche, mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbare Verfahrensverzögerung. Schon im Ausgangsverfahren müsste das nationale Gericht strittige Fragen der Auslegung des richtliniengeprägten Bankaufsichtsrechts in einem Vorabentscheidungsverfahren klären lassen. Problematisch wird diese Konstruktion aber vor allem dann, wenn das nationale Gericht die Entscheidung der BaFin bestätigt; dagegen stünde nur die Urteilsverfassungsbeschwerde offen, mit der das Unterlassen einer Vorlage geltend gemacht werden könnte. Der Grundsatz der Rechtsschutzeffektivität verlangt deswegen auch in diesem Fall die Rechtsschutzkonzentration in einem Verfahren[668]. Dies kann nur das Verfahren vor dem EuG sein, da nationale Gerichte Unionsorgane ja nicht verpflichten können[669]. Da es keine europäische „Verpflichtungsklage“ gibt[670] und die EZB insoweit auch keine Ablehnungsentscheidung getroffen hätte, kommt nur eine Untätigkeitsklage in Betracht, mit der festgestellt wird, dass die EZB verpflichtet war, den Beschluss zu erlassen[671]. Jedenfalls steht die ablehnende Entscheidung der BaFin einer solchen Entscheidung nicht entgegen[672].

 

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Bei der (laufenden) Überwachung der Geschäftstätigkeit wird zwischen direkter und indirekter Aufsicht unterschieden. Für die direkte Aufsicht enthalten die Art. 9 ff der SSM-VO umfangreiche Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse. Die EZB soll aber nur die „bedeutenden“ Institute „direkt“ beaufsichtigen[673], während die „weniger bedeutenden“ lediglich ihrer „indirekten Aufsicht“ unterliegen, Art. 6 Abs. 5 SSM-VO (s. Rn 185). Für die Einstufung eines Instituts als bedeutend liefert Art. 6 Abs. 4 SSM-VO eine Kombination materieller Kriterien. Entscheidend für die Frage, wer die Aufsicht im Einzelfall übernimmt, ist jedoch der „Aufsichtsbeschluss“ der EZB nach Teil IV der SSM-Rahmen-VO, in dem die EZB das Institut als bedeutend einstuft. Sie kann nach Art. 6 Abs. 5 (b) SSM-VO auch bei weniger bedeutsamen Instituten die Aufsicht an sich ziehen. Insbesondere in einem solchen Fall stellt sich die Frage des Rechtsschutzes des betroffenen Instituts.

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In Fall 13d (Rn 171) hat die EZB einen solchen Aufsichtsbeschluss erlassen, gegen den die Nichtigkeitsklage vor dem EuG (Art. 263 Abs. 1, 4 AEUV iVm Art. 256 AEUV) zulässig ist; U ist als Adressat der Regelung klagebefugt. U rügt, dass die Einstufung als bedeutend unabhängig von der Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls erfolgt sei und auf einer fehlerhaften Auslegung des Art. 6 Abs. 4 SSM-VO sowie des ihn ausfüllenden Art. 70 Abs. 1 SSM-RahmenVO beruhe. Da sich die EZB an den Kriterien der SSM-VO für die Einstufung als bedeutend orientierte, müssten die – eng zu verstehenden – Ausnahmekriterien vorliegen[674]. Da für das EU-Prozessrecht nicht der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, entschied das EuG insoweit nach Beweislastgrundsätzen. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte den umgekehrten Fall behandeln, dass ein Institut abweichend vom Regelfall als bedeutend eingestuft wird. In Fall 13e (Rn 171) hat die EZB nach Art. 12 SSM-VO die Befugnis zu einer Überprüfung vor Ort. Sie wird allerdings auch bei der direkten Aufsicht von den nationalen Behörden „unterstützt“, Art. 6 Abs. 3 SSM-VO[675]. Fraglich ist jedoch, ob die Ausführung einer Maßnahme gänzlich den nationalen Behörden übertragen werden kann. Dies erscheint insofern problematisch, als Art. 6 Abs. 3 SSM-VO nur eine Unterstützung „gegebenenfalls und unbeschadet der Verantwortung und Rechenschaftspflicht der EZB für die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben“ zulässt. Daher ist in einem solchen Fall die BaFin nicht zu verbindlichen Maßnahmen im Außenverhältnis befugt[676]. Aus unionsrechtlicher Perspektive wäre eine solche Übertragung überdies wohl schwerlich mit den Meroni-Grundsätzen vereinbar[677].

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Bei der indirekten Aufsicht bleiben die nationalen Behörden „für die Annahme aller einschlägigen Aufsichtsbeschlüsse verantwortlich“ (Art. 6 Abs. 6 SSM-VO). Sie haben nach Art. 6 Abs. 6 UAbs. 2 die Befugnisse nach dem nationalen Aufsichtsrecht. Die EZB übt allerdings auch hier „die Aufsicht über das Funktionieren des Systems“ (Art. 6 Abs. 5 lit. c SSM-VO) aus. Dazu kann sie nicht nur nach Art. 6 Abs. 5 lit. a (allgemeine oder einzelfallbezogene) Weisungen treffen und Informationen von den nationalen Behörden anfordern (Art. 6 Abs. 5 lit. e). Sie verfügt vielmehr auch in diesen Fällen über die Untersuchungsbefugnisse nach Art. 10 bis 13 SSM-VO (vgl Art. 6 Abs. 5 lit. d und Art. 6 Abs. 6 UAbs. 2 SSM-VO).

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Die SSM-VO regelt allerdings nicht die materiellrechtlichen Anforderungen an Aufsichtsmaßnahmen, also zB auch nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Bankerlaubnis zu erteilen ist (ausf dazu Rn 542 ff). Die meisten europäischen Vorgaben finden sich (noch) in Richtlinien, die sich nur an Mitgliedstaaten richten und daher auch von einer europäischen Behörde nicht angewandt werden können. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 SSM-VO sieht in diesem Fall daher die Anwendung der nationalen Vorschriften durch die EZB vor und bereichert das Kooperationsverwaltungsrecht um eine neue und erwartungsgemäß in der deutschen Diskussion als unions- und verfassungswidrig eingestufte[678] Variante. Diese hat auch eine prozessuale Dimension, müssen doch auch die europäischen Gerichte bei der Überprüfung unionaler Beschlüsse das zugrundeliegende nationale Recht anwenden und auslegen.

b) Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)

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Die in der nationalen Kompetenz verbliebenen Aufgaben[679] liegen in der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese Bundesbehörde ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, die der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen untersteht, § 2 FinDAG. Sie fasst seit 2002 die „Allfinanzaufsicht“ unter einem Dach zusammen (s. unten Rn 497)[680].

Organe der BaFin sind nach § 5 ff FinDAG Präsident und Vizepräsident sowie der Verwaltungsrat. Organisatorisch ist die BaFin weit weniger selbstständig als es die Rechtsform der rechtsfähigen Anstalt hätte erwarten lassen[681]. Sie besitzt keine Satzungshoheit (vgl § 5 Abs. 3 FinDAG) und auch ihre Geschäftsordnung bedarf der Genehmigung (s. § 6 Abs. 2 S. 3 FinDAG). Die sich kontinuierlich wandelnden Tätigkeitsschwerpunkte lassen sich den Tätigkeitsberichten entnehmen[682]. Bei der Finanzdienstleistungsaufsicht kooperiert die BaFin mit der Bundesbank, s. §§ 7, 44 KWG[683].

c) Die EBA: „Aufsicht über die Aufsicht“

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Seit dem 1.1.2011 gehört zu den sog. Regulierungsagenturen für den Bereich der gesamteuropäischen Bankenaufsicht die EBA (European Banking Authority)[684]. Mit dem europäischen System für Finanzaufsicht ESFS wurden auf Vorschlag des Larosière-Berichts die früheren Level 3-Ausschüsse des Lamfalussy-Verfahrens[685] durch europäische Regulierungsagenturen für die Banken-, Wertpapier- und Versicherungsaufsicht ersetzt. Für jede dieser Agenturen wurde eine eigene Verordnung erlassen, deren Regelungen sich allerdings bis in die Details hinein gleichen[686]. Sie sollen einen Beitrag zur Festlegung qualitativ hochwertiger gemeinsamer Regulierungs- und Aufsichtsstandards leisten[687]. Sie sollen aber auch zur Effizienz der Aufsicht beitragen und für eine einheitliche Verwaltungspraxis sorgen. Insoweit hat sie nach Art. 21 Abs. 2 EBA-VO eine „führende Rolle“. Diese Position wurde auch durch die Übertragung von Aufsichtsaufgaben auf die EZB formal nicht angetastet[688]. Sie beschränkt sich allerdings auf eine „Aufsicht über die Aufsicht“[689] mit eigenen Entscheidungsbefugnissen nach dem Vorbild eines aufsichtsbehördlichen Selbsteintrittsrechts[690].

Bei der Novellierung der ESA-Verordnungen 2019 wurden einige Klarstellungen und Ergänzungen vorgenommen, weitergehende Reformvorschläge der Kommission allerdings nicht umgesetzt[691]. Im Hinblick auf die Kapitalmarktaufsicht wird das Prinzip der „Aufsicht über die Aufsicht“ zunehmend durchbrochen. Die ESMA übt die direkte Aufsicht über die Ratingagenturen[692] und das Register für OTC-Derivate aus.[693] Ab dem 1.1.2022 wird sie auch die direkte Aufsicht über die Datenbereitstellungsdienstleister[694] sowie kritische Referenzwerte und deren Administratoren übernehmen.

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Fall 14a (Rn 172):

Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung gegenüber D setzt zunächst eine Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme voraus. Eine solche ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 lit. f) EBA-VO, wonach die EBA die Befugnis zum Erlass von an Finanzinstitute gerichtete Beschlüssen hat, wenn Unionsrecht verletzt wird (Art. 17), als Maßnahme im Krisenfall (Art. 18) sowie im Fall der Streitschlichtung (Art. 19). Die BaFin hat es versäumt, gegenüber D entsprechende Maßnahmen zu erlassen, damit diese das unionale Finanzmarktaufsichtsrecht einhält. Dies stellt eine Verletzung des Unionsrechts dar, so dass die EBA Maßnahmen nach Art. 17 Abs. 6 EBA-VO treffen kann[695]. Voraussetzung für eine solche Maßnahme ist jedoch, neben der Einhaltung der materiellrechtlichen Vorgaben (Erforderlichkeit der Maßnahme und unmittelbare Anwendbarkeit der verletzten Normen auf das Finanzinstitut), dass vor dem Erlass die Kommission gem. Art. 17 Abs. 4 EBA-VO eine förmliche Stellungnahme abgegeben hat, in der die zuständige Behörde aufgefordert wird, die zur Einhaltung des Unionsrechts erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da eine solche Stellungnahme der Kommission nicht vorliegt, ist die Untersagungsverfügung (formell) rechtswidrig[696]. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Einschreiten der EBA angesichts seiner Voraussetzungen sogar ein schwerfälligeres Instrument darstellt als ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission[697].

 

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Darüber hinaus erhält die EBA in Art. 8 Abs. 2 lit. a) EBA-VO die Befugnis zum Entwurf technischer Regulierungsstandards in den in Art. 10 EBA-VO genannten Fällen. Ziel dieser Standards ist die Harmonisierung des Rechtsstandes in Europa („single rule book“)[698]. Bei technischen Regulierungsstandards handelt es sich um delegierte Rechtsakte der Kommission gem. Art. 290 AEUV, die die von Rat und Parlament erlassenen Rechtsakte mit Gesetzescharakter modifizieren oder ergänzen können (dazu schon Rn 91).

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Rechtsgrundlage für den Entwurf von technischen Standards durch die EBA ist in Fall 14b (Rn 172) Art. 8 Abs. 2 lit. a) EBA-VO. Hierfür gibt es zunächst formelle Rechtmäßigkeitsanforderungen. So muss die EBA vor der Übermittlung ihrer Entwürfe an die Kommission grundsätzlich ein Anhörungsverfahren und eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen (Art. 10 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EBA-VO). Der Entwurf muss von der Kommission innerhalb von drei Monaten gebilligt, mittels Verordnung oder Beschluss von dieser angenommen und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden (Art. 10 Abs. 4 EBA-VO). Darüber hinaus muss die Kommission dem Parlament und dem Rat den erlassenen technischen Regulierungsstandard mitteilen, welche hiergegen Einwände erheben können (Art. 13 Abs. 1 EBA-VO). In materieller Hinsicht dürfen gem. Art. 290 Abs. 1 AEUV nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes erlassen werden. Sie sind ferner nur zulässig, wenn Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich im entsprechenden Gesetzgebungsakt festgelegt worden sind, Art. 290 Abs. 2 AEUV. Ähnlich wie im nationalen Recht gilt auf Unionsebene auch der Gedanke der Wesentlichkeitstheorie, wonach die wesentlichen Aspekte eines Bereichs dem Gesetzgebungsakt vorbehalten sind und eine Befugnisübertragung für sie deshalb ausgeschlossen ist (Art. 290 Abs. 2 S. 2 AEUV)[699]. Der von der EBA vorgelegte Entwurf umfasst die Arbeitsabläufe und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der EBA. Es werden somit vornehmlich Regelungen für den Ablauf der Arbeitsprozesse aufgestellt. Weiterhin werden Vorgaben gemacht, in welchem Datenformat die nationalen Behörden die gesammelten Informationen an die EBA abzuliefern haben. Da die in der Verordnung enthaltenen Regelungen somit rein technischer Art sind und die übrigen Voraussetzungen vorliegen, sind sowohl der Entwurf durch die EBA als auch die Verordnung selbst rechtmäßig.

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Diese Kompetenzen werfen auch die Frage nach dem Rechtsschutz auf, bei dem das speziell in der VO geregelte Beschwerdeverfahren und die Klagemöglichkeiten vor dem EuG zusammenkommen[700]. Gegen die Untersagungsverfügung kann die D Bank Beschwerde gem. Art. 60 EBA-VO einlegen[701]. Über die zulässige Beschwerde entscheidet ein bei der EBA eingerichteter Beschwerdeausschuss (Art. 58 f EBA-VO) innerhalb von zwei Monaten nach deren Einreichung. Die Beschwerde hat gem. Art. 60 Abs. 3 EBA-VO keine aufschiebende Wirkung, der Beschwerdeausschuss kann aber den Vollzug vorübergehend aussetzen. Wird die Beschwerde der D Bank zurückgewiesen, so kann gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses gem. Art. 61 EBA-VO im Einklang mit Art. 263 AEUV Nichtigkeitsklage erhoben werden.

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Auch in Fall 14a (Rn 172) hat D gegen die Anordnung der EBA zunächst Beschwerde zu erheben[702]. Hält der Ausschuss die Beschwerde für begründet, wird er die Angelegenheit an die zuständige Stelle der EBA zurückverweisen. Diese ist an den Beschluss des Beschwerdeausschusses gebunden und trifft einen geänderten Beschluss zu der betreffenden Angelegenheit (Art. 60 Abs. 5 EBA-VO). Andernfalls kann gegen die Beschwerdeentscheidung Nichtigkeitsklage erhoben werden. Zuständig ist hierbei für Klagen natürlicher oder juristischer Personen das Gericht (Art. 256 Abs. 1 AEUV). D ist als juristische Person auch zur Klageerhebung iSd Art. 61 Abs. 2 EBA-VO iVm Art. 263 Abs. 4 AEUV berechtigt. Bei dem Beschluss des Beschwerdeausschusses handelt es sich um eine Handlung einer „Einrichtung oder sonstigen Stelle“ der Union, so dass die EBA selbst Klagegegner ist. D ist als Adressat der Untersagungsverfügung auch klagebefugt im Sinne des Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV. Auch die BaFin kann gegen die an die D Bank gerichtete Untersagungsverfügung Beschwerde einlegen. Gem. Art. 60 Abs. 1 EBA-VO ist die Beschwerde der zuständigen Behörde statthaft, wenn sie sich „gegen einen gemäß den Artikeln 17, 18 und 19 getroffenen Beschluss der Behörde“ richtet. Der Beschluss muss demnach nicht unmittelbar an die BaFin gerichtet sein, wie dies die zweite Variante des Art. 60 Abs. 1 EBA-VO voraussetzt[703]. Im Rahmen der ersten Variante ist auch nicht erforderlich, dass die BaFin unmittelbar und individuell von der Untersagungsverfügung betroffen ist. Den Beschluss des Beschwerdeausschusses kann auch die BaFin im Klageweg nach Art. 61 EBA-VO iVm Art. 263 AEUV anfechten[704]. Gegen die technischen Regulierungsstandards in Fall 14b (Rn 172) kann nur im Wege der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 EBA-VO vorgegangen werden, da es sich um Akte der Kommission und keine beschwerdefähigen Beschlüsse der EBA iSd Art. 60 Abs. 1 EBA-VO handelt. Im Rahmen der Klagebefugnis müssten die erhöhten Anforderungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV erfüllt sein. In Betracht kommt die Einordnung von technischen Regulierungsstandards als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ iSd Art. 263 Abs. 4, 3. Var. AEUV[705], da die Verordnung nicht im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 289 AEUV, sondern von der Kommission erlassen worden ist. Die Klagebefugnis ist jedoch für die D zu verneinen, da sie nicht unmittelbar von den technischen Regulierungsstandards betroffen ist. Diese richten sich unmittelbar nur an die BaFin. Anders könnte dies allerdings zu werten sein, falls auf europäischer Ebene unternehmensbezogene Pflichten, etwa nach dem Vorbild der MaRisk, erlassen werden.