Ekkehard

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Der Abt hatte einen köstlichen Henkelkrug bringen lassen, damit ging er selber zum Springquell, füllte ihn und trat vor die Herzogin. Der Abt soll den Fremden das Wasser darbringen, ihre Hand zu netzen, sprach er, und sich samt der ganzen Brüderschaft zur Fußwaschung –

Wir danken, fiel ihm Frau Hadwig in die Rede. Sie sprach's mit entschiedenem Ton. Indes hatten zwei der Brüder eine Truhe herabgeholt, sie stand geöffnet im Gang. Drein griff jetzt der Abt, zog eine funkelneue Kutte herfür und sprach: So ernenne ich denn unseres Klosters erlauchten Schirmvogt zum Mitglied und zugeschriebenen Bruder und schmück' ihn dessen zum Zeugnis mit des Ordens Gewand.

Frau Hadwig fügte sich. Leicht bog sie das Knie, da sie die Kutte aus seinen Händen empfing; sie warf das ungewohnte Kleidungsstück um, es stand ihr gut, faltig war's und weit, wie die Regel besagt: Der Abt soll ein scharfes Auge haben, dass die Gewänder nicht zu kurz seien für ihre Träger, sondern wohlgemessen.

Reizend sah das lichte Frauenantlitz aus der dunkeln Kapuze.

Für Euch gilt das Gleiche! rief nun der Abt zu der Herzogin Gefolge. Da hatte der böse Sindolt seine Freude dran, Herrn Spazzo einzukleiden. Und wisst Ihr auch, raunte er ihm ins Ohr, was die Kutte für Euch zu bedeuten hat? – Dass Ihr die Gelüste der Welt abschwöret und einen mäßigen, armen und keuschen Wandel gelobet für immerdar!

Herr Spazzo war schon mit dem rechten Arm in das faltige Ordensgewand gefahren, schnell zog er ihn wieder zurück. Halt an, zürnte er, da muss ich Einsprache tun! Sindolt schlug ein Gelächter auf, da merkte der Kämmerer, es sei so ernst nicht gemeint, und sprach: Bruder, Ihr seid ein Schalk!

Bald prangten auch die Gefolgsmänner im Schmuck des Ordenskleides, manchem der neuerschaffenen Mönche hing der lange Bart ordnungswidrig bis an den Gürtel und das sittige Niederschlagen des Blicks gelang noch nicht ganz nach Vorschrift. Der Abt geleitete seine Gäste zuerst zur Kirche.

Drittes Kapitel: Wiborada Reclusa

Einer von denen, die am wenigsten sich des unerwarteten Besuchs ergötzten, war Romeias, der Wächter am Tor. Er wusste ungefähr, was ihm bevorstand, aber nicht alles. Während der Abt die Herzogin empfing, kam Gerold, der Schaffner, zu ihm und sprach: Romeias, rüstet Euch, auszuziehen! Ihr sollt auf den nächsten Meierhöfen ansagen, dass sie noch heut vor Abend die schuldigen Hühner zur Ausschmückung der Mahlzeit schicken, und sollt einen guten Bissen Wildbret beschaffen.

Damit war Romeias zufrieden. Es fügte sich nicht zum ersten Male, dass er das Gasthuhn zu heischen ging, und die Meier und Kellerer auf den Höfen duckten sich des Romeias Worten, denn er hatte eine kräftige Sprache zum Befehlen. Des Weidwerks aber freute er sich zu jeder Zeit. Darum nahm Romeias seinen Jagdspieß, hing die Armbrust über und wollte gehen, ein Rudel Hunde zu lösen. Gerold, der Schaffner, aber zupfte ihn am Gewand und sagte: Romeias, noch etwas! Ihr sollet auch der Herzogin Frauenzimmer, denen der Eintritt verwehrt ist, hinauf ins Schwarzatal führen und der frommen Wiborad vorstellen, dass sie bei ihr Kurzweil finden, bis der Abend kommt. Und sollet fein artig sein, Romeias, es ist eine Griechin dabei mit gar dunkeln Augen...

Da legten sich drei tiefe Falten über Romeias' Stirn, und er stieß den Jagdspieß auf den Boden, dass es klirrte. Weibervölker begleiten? rief er, – dazu ist der Wächter am Tor des heiligen Gallus nicht geschaffen!

Gerold aber nickte ihm bedeutungsvoll zu und sprach: Ihr müsst's versuchen, Romeias. Ist's nicht schon zugetroffen, dass Wächter, die ihren Auftrag getreulich erfüllten, des Abends einen großen Steinkrug Klosterwein in ihrem Stüblein vorfanden? Hallo, Romeias!

Des Missmutigen Antlitz heiterte sich. Und er ging hinab in den Hof und löste die Hunde; der Spürhund und der Leithund sprangen an ihm hinauf, auch das Biberhündlein kläffte vergnüglich und wollte mit ausziehen, aber verächtlich jagte er's heim, der Fischteich und seine Insassen gingen den Weidmann nichts an. Von seinen Rüden umbellt schritt er vors Tor.

Praxedis und die anderen dienenden Frauen der Herzogin waren von den Pferden gestiegen und saßen auf einem Rain im Sonnenschein und hatten viel miteinander zu schwatzen von Mönchen und Kutten und Bärten und sonderbaren Launen ihrer Herrschaft. Da trat Romeias vor sie hin und sprach: Vorwärts!

Praxedis musterte den wilden Jägersmann und war sich nicht klar, was sie aus ihm machen sollte; mit schnippischer Stimme fragte sie: Wohin, guter Freund? Romeias aber hob seinen Spieß und deutete nach einem nahen Hügel hinter dem Walde und sagte nichts. Da sprach Praxedis: Sind die Worte bei euch in Sankt Gallen so teuer zu kaufen, dass Ihr keinen andern Bescheid gebt?

Die Dienerinnen lachten.

Da sprach Romeias ernst: Möcht' euch doch allzusamt ein Donnerwetter sieben Klafter tief in Erdboden hinein verschlagen!

Praxedis erwiderte: Wir danken Euch, guter Freund! Hiemit war die schickliche Einleitung zu einem Gespräch gefunden. Romeias eröffnete seinen Auftrag, die Frauen folgten ihm willig.

Und allmählich fand der Wächter, dass es nicht der härteste Dienst sei, solche Gäste zu geleiten, und wie die Griechin ihn des Näheren über Wächterei und Jagdhantierung befragte, ward seine Zunge gelöst, und er erzählte von Bären und Wildschweinen, dass es eine Freude war, und erzählte sogar sein großes Jagdstück von dem furchtbaren Eber, dem er einst den Speer in die Seite geworfen und ihn doch nicht zu erlegen vermocht, denn er hatte Füße, einer Wagenlast an Maße gleich, und Borsten, so hoch wie die Tannen des Forstes, und Zähne, zwölf Ellen lang,

»Der heber gât in lîtun

trégit sper in’sîtun

sîn báld éllin

ne lâzet in uéllin.

Imo sint fûoze

fûodermâze,

imo sint búrste

ébenhó fórste.

únde zéne sîne

zwélifélnîge.«

– und war zusehends artiger, denn, wie die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Drossel Schlag zu belauschen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm sonst ein Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als dass er ihn großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis sich nach einem schönen Goldkäfer bückte, der im rötlichen Moos herumkletterte, wollte ihr Romeias dienstwillig den Käfer mit schwerbesohltem Fuß zur Hand schieben, und dass er ihn bei solcher Gelegenheit zertrat, war nicht seine Absicht.

Sie stiegen einen düstern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagelfluhfelsen rann die Schwarza zu Tale. An jenem Abhang war einst der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der ihn aufrichten wollte, gesprochen: Lasst mich liegen, hier soll meine Ruhe sein und mein Haus für alle Zeit! Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen sie an einen freien, tannwaldumsäumten Platz. An schirmende Felswand angelehnt, stand dort eine schlichte Kapelle in Form eines Kreuzes. Nah dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückseite auch an den Fels anstieß; nur eine einzige niedere Fensteröffnung, mit einem Holzladen verschließbar, war dran zu schauen; nirgends eine Tür oder ein anderweiter Eingang, und war nicht abzusehen, wie ein Mensch in solch Gebäu Einlass finden mochte, wofern er nicht durch eine Luke im Dach von seiten der Felswand sich hinabließ. Gegenüber stand ein gleiches Gelass, so ebenfalls nur ein einziges Fensterlein hatte.

Es war ein häufiger Brauch dazumal, dass solche, die Neigung zum Mönchsleben verspürten und die sich, wie der heilige Benedikt sagt, stark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe frommer Genossenschaft auf eigene Faust zu bestehen, sich in solch einen Gaden einmauern ließen. Man hieß sie Reclausi, Eingeschlossene, Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabsicht der der Säulenheiligen in Ägyptenland zu vergleichen; scharfer Winterswind und Schneefall machten freilich diesseits der Alpen die Absperrung in frischer Luft unmöglich, das Anachoretengelüst war nicht minder stark.

Wer hat ein härteres Los als Hartker, der Klausner, getragen,

Der in beengender Haft sich dreißig Jahre kasteite?

Immerdar stand er gebückt, so niedrig war die Bedachung,

Kissen des Kopfs war ein Stein. Auf diesem schlief und entschlief er. Und in Kreuzesgestalt die gemagerten Arme entbreitend

Wandt' er zum Himmel den Blick und befahl dem Herrn seine Seele.

In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun die Schwester Wiborad, eine vielgepriesene Klausnerin ihrer Zeit.

Sie stammte aus Klingnau im Aargau und war eine stolze, spröde Jungfrau gewesen, in mancher Kunst bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Psalmen lateinisch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann sein Leben zu versüßen, wenn sie den Rechten finden mochte, aber die Blüte aargauischer Landeskraft fand keine Gnade vor ihren Augen, und sie tat eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muss ihr unstet Gemüt durchschüttert worden sein, keiner der Zeitgenossen hat erfahren wie; – drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Kolosseums und unter Konstantins Triumphbogen durch bis zum vierstirnigen Janus an der Tiber unten, und suchte seine Schwester und fand sie nicht; am Morgen des vierten Tags kam sie zum salarischen Tor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und sprach, es sei alles nichts auf der Welt, solang nicht dem heiligen Martinus die Ehre erwiesen werde, die seinem Verdienst gebühre.

Wie sie aber zurückkehrte in die Heimat, verschrieb sie ihr Hab und Gut der Bischofskirche zu Konstanz mit dem Bedingnis, dass die geistlichen Herren jeweils am elften jedes Herbstmonats dem heiligen Martin ein besonder Fest halten sollten; sie selber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia sich sesshaft gemacht, und führte ein klösterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog sie sich ins Tal des heiligen Gallus; der Bischof selbst gab ihr das Geleit und tat ihr den schwarzen Schleier um und führte sie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und sprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle tat er den ersten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward, und drückte viermal sein Siegel auf das Blei, damit sie die Fugen löteten, und schied sie von der Welt, und die Mönche sangen dazu, als würd' einer begraben, dumpf und traurig.

 

Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren; sie sei eine hartgeschmiedete Meisterin.sagten sie, und an manchem Sonntag stund Haupt an Haupt auf dem Wiesenplan, und Wiborad stund an ihrem Fensterlein und predigte ihnen, und andere Frauen siedelten sich in die Nähe und suchten bei ihr Anleitung zur Tugend.

Wir sind an Ort und Stelle, sprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menschliches Wesen war zu sehen; verspätete Schmetterlinge und Käfer summten im Sonnenschein, und die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborads Zelle war der Fensterladen angelehnt, so dass nur ein schmaler Streif Sonnenlicht hineinfallen konnte. Dumpfes, langsam und halb durch die Nase gesungenes Psalmodieren tönte durch die Einsamkeit.

Romeias klopfte mit seinem Jagdspieß an den Fensterladen, der blieb, wie er war, angelehnt; das Psalmodieren tönte fort. Da sprach der Wächter: Wir müssen sie anderweitig herausklopfen!

Romeias war ein Mann von ungeschliffener Lebensart, sonst hätte er nicht getan, was er jetzt tat.

Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler ergötzte, wenn sie in seine Turmstube entwischten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu spielen. Es war eine jener Kantilenen, wie deren, seit dass es eine deutsche Zunge gibt, auf freier Heerstraße, an Wegscheiden und Waldecken und draus auf weiter Halde schon manches gute Tausend in den Wind gesungen und wieder verweht worden, und lautete also:

Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag,

Der steht im grünsten Laube,

Dort lockt und lacht den ganzen Tag

Eine schöne wilde Taube.

Ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt

Nur Krächzen und Geheule,

Dort haust fahlgrau und missgestalt

Eine heisre Schleiereule.

Des Jägers Horn bringt süßen Klang,

Des Jägers Pfeil Verderben:

Die Taube grüß ich mit Gesang,

Die Eul' muss mir ersterben!

Romeias' Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldstein in Wiborads Laden geworfen. Alsbald erschien eine Gestalt an der viereckigen Fensteröffnung, auf hagerem Halse hob sich ein blasses, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindselige Richtung aufwärts gegen die Nase genommen; von dunklem Schleier vermummt, beugte sie sich weit aus dem Fensterlein, die Augen glänzten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief sie.

Da trat Romeias vor und sprach mit gemütlichem Ausdruck: Der böse Feind weiß keine so schönen Lieder wie Romeias, der Klosterwächter. Beruhigt Euch, Schwester Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloster lassen sie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen sein.

Hebt euch weg, ihr Truggestalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Versucher legt. Weichet, weichet!

Praxedis aber näherte sich der Zelle und neigte sich sittig vor der dürren Bewohnerin: sie komme nicht aus der Hölle, sondern vom hohen Twiel herüber, setzte sie ihr auseinander. Ein wenig falsch konnte das Griechenkind auch sein, denn wiewohl ihre Kenntnis von der Klause im Schwarzatal sich erst von heute herschrieb, fügte sie doch bei, sie hätte von dem auferbaulichen Wandel der Schwester Wiborad schon so viel vernommen, dass sie die erste Gelegenheit genutzt, bei ihr anzusprechen.

Da schien es, als wollten sich einige Runzeln auf Wiborads Stirn glätten. Reich mir die Hand, Fremde! sprach sie und reckte ihren Arm zum Fensterlein hinaus. Die Kutte streifte sich ein weniges zurück, da war er in seiner ganzen fleischlosen Magerkeit dem Sonnenschein ausgesetzt.

Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsschlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anschlug, war sie langsam von der Griechin Menschlichkeit überzeugt.

Romeias merkte die Wendung zum Besseren, er wälzte etliche Felsstücke unter das Fenster der Zelle. In zwei Stunden hol' ich euch wieder ab; behüt' Gott, ihr Jungfräulein! sprach er. Und erschreckt nicht, wenn sie in Verzückung kommt, flüsterte er der Griechin zu.

Hiermit pfiff Romeias seinen Hunden und schritt ins Waldesdickicht. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hindernis zurück, aber dann drehte er sein struppig Haupt und wandte den ganzen Menschen um; auf den Spieß gestemmt, schaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klause, als hätt' er etwas verloren. Hatte aber nichts zurückgelassen.

Praxedis lächelte und warf dem gröbsten aller Wächter eine Kusshand zu. Da machte Romeias kehrt, wollte seinen Spieß schultern, ließ ihn fallen, hob ihn auf, stolperte, erholte sich wieder und verschwand in gutem Trab jenseits der moosverwachsenen Stämme.

O Kind der Welt, das in Finsternis wandelt, schalt die Klausnerin herab, was soll die Bewegung deiner Hand?

Ein Scherz... sprach Praxedis unbefangen.

Eine Sünde! rief Wiborad mit rauher Stimme. Praxedis erschrak.

O Teufelswerk und Verblendung! fuhr jene predigend fort. Da lasset Ihr Eure Augen listig herumstreifen, bis sie dem Manne als wie ein Blitz ins Herz fahren, und werft ihm eine Kusshand zu, als wenn das nichts wäre. Ist das nichts, wenn einer rückwärts schaut, der vorwärts schauen sollte? Wer die Hand an den Pflug zu legen hat und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes! Ein Scherz?! O reichet mir Ysop, Euch zu entsündigen, und Schnee, Euch rein zu waschen.

Daran hab' ich nicht gedacht, sprach Praxedis errötend.

Ihr denkt noch an vieles nicht, sprach Wiborad. Sie schaute Praxedis mit einem musternden Blick von oben bis unten an. Ihr denkt auch nicht, dass Ihr heut ein grüngelb Gewand traget, und dass solch herausfordernde Farbe weltabgewandten Augen ein Greuel ist, und dass Ihr den Gürtel so lose und nachlässig darum geschlungen habet, als wäret Ihr eine landfahrende Tänzerin. Wachet und betet!

Die Klausnerin verschwand eine Weile, dann kehrte sie zurück und reichte einen grobgedrehten Strick heraus. Du dauerst mich, arme Lachtaube, sprach sie. Reiss ab die seidegestickte Umwindung und empfah' hier den Gürtel der Entsagung aus Wiborads Händen; der soll dir eine Mahnung sein, dass du unnützem Schwatzen und Tun den Abschied gebest. Kommt aber wieder eine Versuchung eitlen Herzens über dich, Wächtern Kusshände zuzuwerfen, so wende dein Haupt gen Sonnenaufgang und singe den Psalm: Herr, zu meinem Beistand eile herbei! – und will auch dann der Friede nicht bei dir einkehren, so brenn ein Wachslicht an und halt den Zeigefinger über die Flamme, so wirst du sicher sein zur Stunde. Das Feuer heilt das Feuer.

Praxedis schlug die Augen nieder.

Eure Worte sind bitter, sprach sie.

Bitter! rief die Klausnerin, gelobt sei der Herr, dass auf meinen Lippen kein süßer Geschmack wohnt! der Mund der Heiligen muss bitter sein. Da Pachomius in der Wüste saß, trat der Engel des Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaums und schrieb die Worte des Gebets drauf und gab sie dem Pachomius und sprach; verschling die Blätter; sie werden schmecken in deinem Munde wie Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Überschwall wahrer Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß sie, und von Stund an blieb sein Mund bitter, sein Herz aber füllte sich mit Süße und er pries den Herrn.

Praxedis schwieg. Es blieb eine Zeitlang still. Die andern Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu sehen. Wie die Klausnerin ihren Gürtel herausreichte, hatten sie einand mit dem Ellbogen angestoßen und waren leise um das Häuslein geschlichen. Sie pflückten einen großen Strauß Heidekraut und Herbstblumen im Walde und kicherten dazu.

Wollen wir auch einen solchen Gürtel umlegen? sprach die eine.

Wenn die Sonne schwarz aufgeht, sprach die andere.

Praxedis hatte den Strick ins Gras gelegt. Ich will Euch Eures Gürtels nicht berauben, sprach sie jetzt schüchtern zum Fenster der Zelle hinauf.

O harmloses Gemüt, sprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen, ist kein Kinderspiel wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborads ist ein eiserner Reif mit stumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette und schneidet ein; – deine Augen erschauerten seines Anblicks. Praxedis schaute nach dem Wald, als wolle sie spähen, ob Romeias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, dass es ihrem Gast nicht allzu behaglich war, sie reichte ein Brett aus ihrem Fensterlein, drauf war ein halb Dutzend rotgrüner Äpfel gelegt.

Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? sprach sie. Greif zu, wenn die Worte des Heils dich nicht sättigen. Backwerk und Süßigkeiten hab' ich nicht, aber auch diese Äpfel gefallen dem Herrn wohl, sie sind die Speise der Armen.

Die Griechin wusste, was der Anstand erheischt. Aber es waren Holzäpfel. Wie sie den ersten zur Hälfte verzehrt, verzog sich ihr anmutiger Mund, und unfreiwillige Tränen perlten in den Augen.

Wie schmecken sie? rief die Klausnerin. Da tat Praxedis, als ob des Apfels Rest zufällig ihrer Hand entfalle. Wenn der Schöpfer allen solche Herbigkeit anerschaffen, so hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekostet, sprach sie mit sauersüßem Lächeln.

Wiborad war beleidigt. Gut! erwiderte sie, dass du der Eva Angedenken nicht erlöschen lässest. Die hat denselben Geschmack gehabt wie du, drum ist auch die Sünde in die Welt gekommen.

Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einsam über Wiborads Zelle. O könnt' ich mit dir über den Bodensee fliegen, dachte sie. Dann wiegte sie schalkhaft ihr Haupt.

Wie muss ich's anfangen, fragte sie, dass ich vollkommen werde, wie Ihr?

Der Welt gründlich entsagen, antwortete Wiborad, ist eine Gnade von oben; der Mensch kann sich's nicht geben. Fasten, Quellwasser trinken, das Fleisch abtöten, Psalmen beten, das sind nur Vorbereitungen. Das wichtigste ist ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen sind ein gebrechliches Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unsere Seite, die helfen. Schau her ans kleine Fenster, da steht er oft in nächtlicher Stille, der Erlesene meiner Gedanken, der tapfere Bischof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anstürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von seinem Haupte aus, es zuckt durchs Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht, und grunzend entfliehen die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwiespruch; ich klag' ihm, was das Herz bedrängt, all die Not, die ich mit den Nachbarinnen habe, und alles Leid, das mir die Klosterleute zufügen, und der Heilige nickt und schüttelt die wallenden Locken und nimmt alles mit sich himmelaufwärts und teilt es seinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag Wache am Thron Gott Vaters, so kommt's an den rechten Ort, und Wiborad, die letzte der letzten im Dienste des Hochthronenden, ist nicht vergessen...

Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, sprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborads Lobspruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eifersüchtigen Blick auf die roten Wangen der Griechin. Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, sprach sie mit gefalteten Händen; – glaubt Ihr, das ist mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Gesicht getan? Unerhört! Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askesis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begnadigt, dass er mir nur einen Blick zuwarf. Es ist ein fürnehmer Heiliger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der schaut nur auf erprobte Streiterinnen.

Er wird mein Gebet nicht gröblich abweisen, warf Praxedis ein.

Ihr sollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig. Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu schaffen? Für Euresgleichen sind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen sagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.

Den kenn' ich nicht, sagte Praxedis.

Schlimm genug, so lern ihn jetzt kennen. Der war ein ehrwürdiger Einsiedel in der thebaischen Wüste, aß Wurzeln und Heuschrecken und war so fromm, dass er schon bei Lebzeiten die Harmonie der Sphären und Planeten erklingen hörte, und sprach oft: Wenn alle Menschen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt sind, sie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen, ließe den linken und liefe in den Orient. In Alexandria aber war eine Maid, die hieß Thaïs, und niemand wusste, was unendlicher an ihr, die Schönheit oder der Leichtsinn. Da sprach Pachomius: Eine solche ist dem ganzen Land Ägypten eine Plage, und machte sich auf, schnitt seinen Bart, salbte sich und bestieg sein Krokodil, das er durch Kraft des Gebets dienstbar gemacht, das trug ihn auf schuppigem Rücken den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen großen Palmstock hatte er auch mitgenommen und erschütterte das Herz der Sünderin dermaßen, dass sie ihre Seidengewande verbrannte und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein dem Hirten. Und er schloß sie in ein Felsengrab ein, daran ließ er nur ein klein Fenster und unterwies sie im Gebet, und nach fünf Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen ihre Seele gerettet gen Himmel.

 

Aber Praxedis war nicht sehr auferbaut. Der alte Wüstenvater mit seinem struppigen Bart und den bitteren Lippen ist ihr nicht vornehm genug, da soll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte sie. Sie wagte nicht, es auszusprechen.

Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloster durch den Tannenwald herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenster ab und schloss ihren Laden. Dumpfes Psalmbeten ward drinnen hörbar, untermischt mit einem Geräusch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte sich.

Inzwischen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejage begonnen und warf seinen Spieß; aber er hatte einen Eichstrunk für ein Rehlein angesehen. Zürnend zog er sein Geschoß aus dem widerstrebenden Holz, – es war das erstemal in seinem Leben, dass ihm solches vorkam.

Vor Wiborads Klause war's lange still. Dann tönte ihre Stimme wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenschaft: Steig hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Trösteinsamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! steig hernieder, meine Seele ist gerüstet, dich zu erschauen, meine Augen dürsten nach dir. Und wieder war's still auf dem Plan – da schreckte Praxedis zusammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie sprang ans Fenster und schaute hinein: die Klausnerin war in die Knie gesunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläsern starrend. Neben ihr lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.

Um Gottes willen! rief Praxedis, was ist Euch?

Wiborad fuhr empor und presste der Griechin Hand krampfhaft. Menschenkind, sprach sie mit gebrochenem Ton, die du Wiborads Schmerzen zu sehen gewürdigt bist, klopf an deine Brust, es ist ein Zeichen geschehen. Ausgeblieben ist der Erwählte meiner Gedanken, er zürnt, dass sein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber der heilige Gallus ist dem Aug' meiner Seele erschienen, er, der doch niemals Einkehr hier genommen – und sein Antlitz war das eines Dulders und sein Gewand zerrissen und brandig. Seinem Kloster droht ein Unheil. Wir müssen eine Fürbitte tun, dass seine Jünger nicht straucheln auf dem Pfad der Gerechten.

Sie beugte sich aus dem schmalen Fenster und rief zur nachbarlichen Klause hinüber: Schwester Wendelgard!

Da schob sich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz erschien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehegemahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.

Schwester Wendelgard, sprach Wiborard, laß uns dreimal singen den Psalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.

Aber die Schwester Wendelgard hatte just mit träumender Sehnsucht ihres Eheherrn gedacht; sie wusste in festem Gottvertrauen, dass er dereinst noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte am liebsten jetzt schon die Pforte ihrer Klause eingetreten, hinauszuschreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.

Es ist nicht die Stunde des Psallierens, rief sie hinüber.

Desto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor, sprach Wiborad. Und sie intonierte mit rauher Stimme den Psalm. Aber die Antwort blieb aus. Was stimmst du nicht in Davids Schallgesang?

Ich mag nicht, war Wendelgards einfache Antwort. Es war ihr in langjährigem Klausnertum allmählich schwül geworden. Viel tausend Psalmen hatte sie auf Wiborads Geheiß gesungen, dass der heilige Martinus ihren Ehegespons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder – noch immer blieb er aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.

Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu, gleich einem, der am hellen Tag einen Kometen zu entdecken gedenkt: O Gefäß voll Ungehorsam und Bosheit, rief sie, ich will für dich beten, dass die bösen Geister von dir gebannet werden. Dein Aug' ist blind, dein Sinn ist wirr.

Doch ruhig antwortete die Gescholtene: Richtet nicht, auf dass auch ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' ist noch so scharf wie vor Jahresfrist, da es Euch in mondumglänzter Nacht erschauen konnte, wie Ihr aus dem Fenster der Klause stieget und hinausgewandelt seid, Gott weiß wohin, – und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Psalmengesang aus solchem Munde ein Wunder zu wirken im stande.

Da verzog sich Wiborads bleiches Antlitz, als ob sie auf einen Kieselstein gebissen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! schrie sie, ein Schwall scheltender Reden entströmte ihren Lippen; die Nachbarin blieb keine Antwort schuldig, schneller und schneller kam Wort auf Wort geflogen, verschlang sich, verwirrte sich; von den Felswänden klang unharmonischer Widerhall drein und schreckte ein Käuzleinpaar auf, das dort in den Spalten horstete und scharf krächzend von dannen flatterte... am Portal des Münsters zu Worms, da die Königinnen einander schalten, ging's sänftlicher zu als jetzo.

Mit stummem Erstaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre sie beschwichtigend dazwischen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen.

Da ertönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und klaffendes Rüdengebell; langsam kam des Romeias hohe Gestalt geschritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumstrunk, sondern ein stattlicher Zehnender; der Hirsch hing ihm auf dem Rücken, sechs lebende Hasen, die der Klostermeier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefestigt am Gürtel.

Und wie der Weidmann die Klausnerinnen erschaute, freute sich sein Herz; kein Wörtchen sprach er, wohl aber löste er der lebenden Häslein zwei ihrer Bande; einen in der Rechten, einen in der Linken schwingend, warf er sie so sicher durch die engen Klausfenster der Streitenden, dass Wiborad, vom weichen Fell elektrisch am Haupte berührt, mit lautem Aufschrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte sich in währender Hitze des Zwiegesprächs der schwarze Habit gelöst, der Hase fuhr ihr so plötzlich zwischen Hals und Kapuze und verfing sich in der Gewandung und suchte einen Ausweg und wusste nicht wohin, dass auch sie ein jäher Schreck überfiel. Da stellten beide die Scheltung ein, die Fensterläden schlossen sich, ruhig ward's auf dem Hügel.

Wir wollen heim, sprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias' Friedestiftung so auferbaut, dass sie länger zu bleiben gewünscht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Faust den Rückzug angetreten.

Die Hasen gelten bei Euch nicht viel, sprach sie zum Wächter, dass Ihr sie so grob in die Welt hinauswerfet.