Ekkehard

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Ekkehard sprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte seit dem Tag, als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen Menschen mehr gesehen, der für etwas begeistert war. Sie trug einen hohen Geist in sich, der sich leicht auch Fremdartigem zuwandte. Griechisch hatte sie in jungen Tagen der byzantinischen Werbung wegen schnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein, weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponiert, Erkenntnis führt auf den wahren Wert, der meist geringer ist, als der geahnte. Mit dem Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden... In jener Stunde stieg in Hadwigs Herz der Entschluss auf, Lateinisch zu lernen. Zeit dazu hatte sie. Wie sie ihren Nachbarn Ekkehard noch einmal angeschaut hatte, wusste sie auch, wer ihr Lehrer sein sollte...

Der stattliche Nachtisch, auf dem Pfirsiche, Melonen und trockene Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Gespräch an den andern Tischen deutete auf nicht unfleißiges Kreisen des Weinkrugs.

Auch nach der Mahlzeit – so wollte es des Ordens Regel – war zur Erbauung der Gemüter ein Abschnitt aus der Schrift oder dem Leben heiliger Väter zu verlesen.

Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benediktus begonnen, das einst Papst Gregorius abgefasst. Die Brüder rückten die Tische zusammen, der Weinkrug stand unbewegt, und es ward still in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel fort:

»Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Versucher. Denn ein schwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe geheißen ist, begann um sein Haupt zu flattern und setzte ihm so unablässig zu, dass ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergreifen mögen, so er ihn fangen gewollt.

Er aber schlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.

Wie aber derselbe Vogel verschwunden war, folgte eine so große Versuchung des Fleisches, wie sie der heilige Mann noch niemals erprobte. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewisse Frau erschauet. Diese stellte ihm der böse Feind jetzt vor die Augen des Geistes und entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Gestalt mit solchem Feuer, dass eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er, von Lust und Sehnsucht bewältigt, seinen Einsiedelstand jäh zu verlassen gedachte.

Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn, dass er zu sich selber rückkehrte. Und er sah ihm zur Seite ein dichtes Gebüsch von Brennesseln und Dornern stehen, zog sein Gewand aus und warf sich nackt in die Stacheln des Gedorns und den Brand der Nesseln, bis dass er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.

Also löschete er des Geistes Wunde durch die Wunden der Haut und siegte ob der Sünde...«

Frau Hadwig war von dieser Vorlesung nicht erbaut; sie ließ ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer Spazzo – deuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpassend, oder war ihm der Valtelliner zu Häupten gestiegen? schlug unversehens dem Vorleser das Buch zu, dass der holzbeschlagene Deckel klappte, hob ihm seinen Pokal entgegen und sprach: Soll leben der heilige Benedikt! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll ansah, stimmte schon die jüngere Mannschaft der Klosterbrüder lärmend ein, sie hielten den Trinkspruch für ernst; da und dort war das Loblied auf den heiligen Mann intoniert, diesmal als fröhlicher Zechgesang, und lauter Jubel klang durch den Saal.

Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umschaute und Herr Spazzo immer noch beschäftigt war, mit den jungen Klerikern auf das Wohl ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte sich Frau Hadwig zu Ekkehard und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:

Würdet Ihr mich das Lateinische lehren, junger Verehrer des Altertums, wenn ich's lernen wollte?

Da klang es in Ekkehards Herz wie ein Widerhall des Gelesenen: »Wirf dich in die Nesseln und Dornen und sag Nein!« er aber sprach:

Befehlet, ich gehorche!

Die Herzogin schaute den jungen Mönch noch einmal mit einem sonderbar flüchtigen Blicke an, wandte sich dann zum Abt und sprach über gleichgültige Dinge.

Die Klosterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günstige Gelegenheit unbenutzt verstreichen zu lassen. In des Abts Augen mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeister schob auch keinen Riegel für, wenn sie mit leeren Krügen die Stufen hinab stiegen. Am vierten Tisch begann der alte Tutilo gemütlich zu werden und erzählte seine unvermeidliche Geschichte mit den zwei Räubern; immer lauter klang seine starke Stimme durch den Saal: Der eine also zur Flucht sich gewendet – ich ihm nach mit meinem Eichpfahl – er Spieß und Schild weg zu Boden, – ich ihn am Hals gefasst – den weggeworfenen Spieß in seine Faust gedrückt; du Schlingel von einem Räuber, zu was bist auf der Welt? Fechten sollst mit mir!...

Aber sie hatten's schon allzu oft hören müssen, wie er dann dem Kampfgenötigten den Schädel eingeschlagen, und zupften und nötigten an ihm, sie wollten ein schönes Lied anstimmen; wie er endlich mit dem Haupte nickte, stürmten etliche hinaus: bald kamen sie wieder mit Instrumenten. Der brachte eine Laute, jener ein Geiglein, worauf nur eine Saite gespannt, ein anderer eine Art Hackbrett mit eingeschlagenen Metallstiften, zu deren Anschlag ein Stimmschlüssel dienlich war, wiederum ein anderer eine kleine zehnsaitige Harfe, Psalter hießen sie das seltsam geformte Instrument und sahen in seiner dreieckigen Gestalt ein Symbol der Dreieinigkeit. Und sie reichten ihm seinen dunkeln Taktstab von Ebenholz. Da erhob sich lächelnd der graue Künstler und gab ihnen das Zeichen zu einer Musica, die er selbst in jungen Tagen aufgesetzet; mit Freudigkeit hörten's die andern. Nur Gerold, dem Schaffner, ward's mit dem Aufklingen der Melodien melancholisch zu Gemüte, er überzählte die abgetragenen Schüsseln und die geleerten Steinkrüge, und wie ein Text zur Singweise flog's ihm durch den Sinn: Wie viel hat dieser Tag verschlungen an Klostergeld und Gut? Leise schlug er mit sandalenbeschwertem Fuße den Takt, bis der letzte Ton verklang.

Zu unterst am Tische saß ein stiller Gast mit blass gelbem Angesicht und schwarzkrausem Gelock; er war aus Welschland und hatte von des Klosters Gütern im Lombardischen die Saumtiere mit Kastanien und Öl herübergeleitet. In wehmütigem Schweigen ließ er die Flut der Töne über sich erbrausen.

Nun, Meister Johannes, sprach Folkard, der Maler, zu ihm, ist die welsche Feinfühligkeit jetzt zufrieden gestellt? Den Kaiser Julianus mutete einst unserer Vorväter Gesang an wie das Geschrei wilder Vögel, aber seitdem haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Besang der Schwanen?

Lieblicher – als der Gesang der Schwanen – – wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er sich und schlich leise von dannen. Es hat's keiner im Kloster zu lesen bekommen, was er in jener Nacht noch ins Tagebuch seiner Reise eintrug:

Diese Männer diesseits der Alpen, schrieb er, wenn sie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gegen Himmel erdröhnen lassen, können sich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erschwingen. Wahrhaft barbarisch ist die Rauheit solch abgetrunkener Kehlen; wenn sie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen sanften Gesang zu ermöglichen suchen, schauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaster dahin knarrt... Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er schlich sich fort über den Hof in das Gebäude, wo Praxedis und die Dienerinnen waren, und sprach: Ihr sollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich – sie lachten erst ob seiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war keiner, der sie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refektoriums Eingang sichtbar wurden, entstand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als sollte jetzt ein Tanzen und Springen anheben, wie es diese Wände noch nicht gesehen haben.

Herr Cralo, der Abt, aber wandte sich an die Herzogin und sprach: Frau Base?! – und sprach's mit so duldender Wehmut, dass sie aus ihren Gedanken auffuhr. Und sie sah auf einmal ihren Kämmerer und sich selber in der Mönchskutte mit andern Augen an denn zuvor, und schaute die Reihen trinkender Männer, dem entferntesten verdeckte der Kapuze vorstehender Rand das Antlitz, dass es aussah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geschüttet, und die Musik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummenschanz gefeiert, der schon allzulang gedauert...

Da sprach sie: Es ist Zeit schlafen zu gehen und ging mit ihrem Gefolge nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager sein sollte.

Wisst Ihr auch, was des Tanzens Lohn gewesen wär'? fragte Sindolt einen der Mönche, der ob dieser Wendung der Dinge höchlich betrübt schien. Der schaute ihn starr an. Da machte ihm Sindolt eine unverkennbare Gebärde, die hieß »Geißelung«!

Fünftes Kapitel: Ekkehards Auszug

Früh morgens darauf saß die Herzogin samt ihren Leuten im Sattel, heimzureiten, und der Abt hatte keine Einwendung erhoben, da sie sich jegliche Abschiedsfeierlichkeit verbat. Darum lag das Kloster in stiller Ruhe, als drüben schon die Rosse wieherten, nur Herr Cralo kam pflichtschuldig herüber. Er wusste, was die Sitte gebot.

Zwei Brüder begleiteten ihn.

Der eine trug einen schmucken Becher von Kristall mit silbergetriebenem Fuß und Aufsatz geschmückt, und saß manches gute Stücklein Onyx und Smaragd in der silbernen Umfassung; der andere trug ein Krüglein mit Wein. Und der Abt schöpfte ein weniges in den Becher, wünschte seiner erlauchten Base einen gesegneten Tag und bat, mit ihm des Abschieds Minne zu trinken und den Becher zu freundlichem Angedenken zu behalten.

Für den Fall, dass das Geschenk nicht genügend befunden werden sollte, hatte er noch ein seltsam Schaustück im Rückhalt, das war silbern zwar, doch unansehnlicher Gestalt und täuschend einem schlichten Brote gleichgeformt, innen aber gefüllt mit goldenen Byzantinern bis zum Rande;– vorerst ließ der Abt nichts davon vermerken und trug's sorglich verborgen in der Kutte.

 

Frau Hadwig nahm den dargebotenen Becher, tat, als wenn sie daran nippte, gab ihn aber wieder zurück und sprach: Erlaubet, teurer Vetter, was soll der Frau das Trinkgefäß? Ich heische nach einen anderweitigen Gastgeschenk. Habet Ihr nicht gestern von Quellen der Weisheit gesprochen?

Ihr sollet mir aus des Klosters Bücherei einen Virgilius verehren!

Immer zu Scherz geneigt, sagte Herr Cralo, der eine gewichtigere Forderung erwartet hatte, was soll Euch der Virgilius, so Ihr der Sprache nicht kundig seid?

Es versteht sich, dass Ihr mir den Lehrer dazu gebet, sprach die Herzogin ernst.

Da schüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden die Jünger des heiligen Gall als Gastgeschenke vergeben?

Sie aber sprach: Ihr werdet mich verstanden haben. Der blonde Pörtner wird mein Lehrer sein, und heut am dritten Tage längstens wird der Virgilius und er sich bei mir einstellen! Gedenket, dass des Klosters Streit um die Güter im Rheintal und die Bestätigung seiner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und dass ich nicht abgeneigt, auch auf dem Twieler Felsen den Jüngern Sankt Benedikts ein Klösterlein herzurichten...

Lebet wohl, Herr Vetter!

Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmutig die Rechte, die Rosse stampften, Herr Spazzo schwang den Hut – in leichtem Trab ritt der Zug aus des Klosters Bann heimwärts.

Von des Wächters Turmstube ward ein mächtiger Strauß in die Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines Dutzends prangte, der Astern nicht zu gedenken, aber niemand fing ihn auf, und der Rosse Huf brauste drüber hin...

Im trockenen Graben vor dem Tor hatten sich die Schüler der äußeren Klosterschule versteckt. Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr!... und sie soll die Felchen bald schicken! Heil! klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr.

Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die besten Seefische bewilligt sind, der hat gut schreien, sprach Herr Spazzo.

Langsam ging der Abt ins Kloster zurück; er ließ Ekkehard, den Pörtner, zu sich rufen und sprach zu ihm: Es ist eine Fügung über Euch ergangen. Ihr sollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius überbringen und ihr Lehrer werden.

»Die alten Lieder des Maro mögen mit lieblichem Sang die skythischen Sitten besänften,« heißt's im Sidonius. Es ist nicht Euer Wunsch...

Ekkehard schlug die Augen nieder, seine Wangen röteten sich –

Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anstoß geben. Morgen reiset Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr wart einer der Bravsten und Würdigsten. Der heilige Gallus wird Euch den Dienst gedenken, den Ihr seinem Stift leistet. Vergesst auch nicht, aus dem Virgilius das Titelblatt wegzuschneiden mit der Verwünschung gegen den, der das Buch dem Kloster verschleppt...

Was des Menschen Herzenswunsch ist, dazu lässt er sich gern befehligen.

Des Gehorsams Gelübde, sprach Ekkehard, heißt mich des Vorgesetzten Willen sonder Zagen und Aufschub, sonder Lauheit und Murren vollziehen.

Er beugte sein Knie vor dem Abt.

Dann ging er nach seiner Zelle. Es war ihm, als hätte er geträumt. Seit gestern war ihm fast zu vieles begegnet. Es geht noch andern ebenso; lang einförmig schleicht das Leben, – wenn des Schicksals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Es rüstet sich zur Reise. »Was du begonnen, lass unvollendet zurück, zieh ab deine Hand vom Geschäft, darin sie tätig war, zeuch aus im Schritt des Gehorsams,« es war ihm kaum Not, sich diesen Satz seiner Regel vorzuhalten.

Auf seiner Zelle lagen die Pergamente des Psalmenbuchs, das Folkard mit Meisterhand geschrieben und mit feinen Bildwerken verziert hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der wertvollen Goldfarbe, die der Abt jüngst von venezianischen Handelsleuten erkauft hatte, die Anfangsbuchstaben auszumalen und den Figuren durch leisen Goldstrich an Krone, Zepter Schwert und Mantelsaum die letzte Vollendung zu geben.

Er nahm Pergament und Farben und trug's seinem Gefährten hinüber, dass er statt seiner die letzte Hand ans Begonnene lege; Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David vor der Bundeslade tanzt und die Laute spielt, – er schaute nicht auf. Schweigend verließ Ekkehard seine Künstlerstube.

Er wandte sich zur Bibliothek, den Virgil auszulesen. Wie er droben stand im hochgewölbten Saal, einsam unter den schweigenden Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmut über ihn; auch das Leblose stellt sich bei Abschied und Wiedersehen vor den Menschen, als trüg's eine Seele in sich und nähme Anteil an dem, was ihn bewegt.

Die Bücher waren seine besten Freunde. Er kannte sie alle und wusste, wer sie geschrieben; – manche der Schriftzüge erinnerten an einen vom Tode schon entführten Gefährten...

Was wird das neue Leben bescheren, das von morgen für mich anhebt? Eine Träne stand ihm im Auge. Jetzt fiel sein Blick auf das kleine in metallene Decke gebundene Glossarium, in dem einst der heilige Gallus, der am Bodensee üblichen Landessprache unkundig, sich vom Pfarrherrn zu Arbon die notwendigsten Worte hatte verdeutschen lassen. Da gedachte Ekkehard, wie des Klosters Stifter mit so wenig Ausrüstung und Hilfe dereinst ausgezogen, ein fremder Mann unter die Heiden, und wie sein Gott und sein unverzagt Herz in Not und Fährlichkeit ihn immerdar frisch gehalten... sein Mut stärkte sich, er küsste das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und wandte sich, zu gehen. »Wer dies Buch wegträgt, den sollen tausend Peitschenhiebe treffen und Lähmung und Aussatz dazu!« stand auf dem ersten Blatte. Er schnitt's weg.

Noch einmal schaute er um, als wollten ihm von Brett und Kasten die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub sich ein Knistern an der Wand, der große Bauriss, den der Architekt Gehrung einst auf drei Schuh langer Tierhaut zu des Abts Hartmuth neuem Klosterbau angefertigt hatte, löste sich von dem festhaltenden Nagel und stürzte nieder, dass eine Staubwolke daraus emporstieg.

Ekkehard machte sich keine Gedanken drüber.

Wie er den Gang des oberen Stockwerks entlang schritt, kam er an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten. Der blinde Thieto saß drin, einst des Klosters Abt, bis schwindendes Augenlicht ihn abzudanken nötigte. Ein Fenster war geöffnet, dass der Greis sich der sonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte Ekkehard manche Stunde in traulichem Gespräch verbracht. Der Blinde kannte ihn am Schritt und rief ihn zu sich. Wohin? fragte er.

Hinunter, – und morgen fort, ins Weite. Gebt mir Eure Hand, ich komme auf den hohen Twiel.

Schlimm, sprach der Blinde, sehr schlimm!

Warum, Vater Thieto?

Frauendienst ist ein schlimm Ding für den, der gerecht bleiben will, Hofdienst noch schlimmer – was ist Frauen- und Hofdienst zugleich?

Es ist mein Schicksal, sprach Ekkehard.

Sankt Gallus behüte und schirme Euch, sagte Thieto. Ich will für Euch beten. Gebt mir meinen Stab.

Ekkehard wollte ihm seinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob sich und schritt zu einer Nische in der Wand, dort stund ein schmucklos Fläschlein. Er nahm's herab und gab's ihm: 's ist Wasser aus dem Jordan, das ich selber einst geschöpft. Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen trüb werden wollen, so läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht mehr. Fahret wohl!

Am Abend desselben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den sich das Kloster anlehnt. Seit langer Zeit war das sein Lieblingsgang. In den Fischweihern, die dort zur Spendung klösterlicher Fastenspeise künstlich angelegt sind, spiegelten sich die Tannen; ein leiser Luftzug kräuselte die Wellen, die Fische tummelten sich. Lächelnd ging er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren?

Im Tannenwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich still. Da hielt er an. Ein weites Rundbild tat sich auf.

Zu Füßen lag das Kloster mit all seinen Gebäuden und Ringmauern; hier sprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort blühten die Herbstblumen im Garten – dort in langer Reihe die Fenster der Klosterzellen, er kannte jedwede und sah auch die seinige: »Behüt' dich Gott, stilles Gelaß!«

Der Ort, wo Tage strebsamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie Magnetstein aufs Herz; es braucht so wenig, um angezogen zu sein, nur der ist arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit vergönnt, sich örtlich und geistig an einem stillen Platz niederzulassen.

Ekkehard hob sein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft, glänzte des Bodensees Spiegel herüber, in verschwommenen Duft war die Linie des anderseitigen Ufers und seiner Höhenzüge gehüllt, nur da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerschein im Wasser, die Niederlassungen der Menschen andeutend.

»Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?« Er schaute sich um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis seine Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte warmer Sonnenstrahl unstet im Kampf mit dem Gewölke und strahlte vorüberfliehend auf die Massen alten Schnees, die in den Schluchten neuem Winter entgegenharrten... Über dem Kamor stand eine dunkle Wolke, sie dehnte und streckte sich, bald war die Sonne verdeckt, grau und matt wurden die Bergspitzen gefärbt, es schickte sich an, zu wetterleuchten...

Soll mir das ein Zeichen sein? sprach Ekkehard, ich verstehe es nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis.

Nachdenkend schritt er den Berg hinunter.

In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Frühmorgens nahm er Abschied. Der Virgilius und Thietos Fläschlein waren in die Reisetasche verpackt, sein übriges Gepäck kurz beisammen.

Wem selbst nicht der Körper, die Wünsche und Begierden zu eigener Verfügung stehen dürfen, soll auch weder an fahrender Habe noch an liegendem Gut ein eigen Besitztum ausüben.

Der Abt schenkte ihm zwei Goldschillinge und etliche Silberdenare als Zehr- und Notpfennig.

Mit einem Kornschiff des Klosters fuhr er über den See, – die Segel von günstigem Wind, die Brust von Mut und Wanderlust geschwellt.

Mittags war's, da rückte das Kastell von Konstanz und Dom und Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schiffahrer auf. Wohlgemut sprang Ekkehard ans Land.

In Konstanz hätt' er sich verweilen, im Hof des Bischofs Gastfreundschaft ansprechen mögen. Er tat's nicht. Der Ort war ihm zuwider, zuwider von Grund seines Herzens, nicht wegen seiner Lage oder etwaigen Missgestalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit jeglicher Stadt am See, sondern wegen der Erinnerung an einen Mann, dem er gram.

Das war der Bischof Salomo, sie hatten ihn kürzlich mit großem Prunk im Münster begraben. Ekkehard war ein schlichter gerader frommer Mensch. Im Dienst der Kirche stolz und hochfahrend werden, schien ihm Unrecht, ihn mit weltlichen Kniffen und Ränken verbinden, verwerflich, – trotz aller Herzensverworfenheit ein weitberühmter Mann bleiben: sonderbar. Solcher Art aber war des Bischofs Salomo Treiben gewesen. Ekkehard erinnerte sich noch wohl aus den Erzählungen älterer Genossen, mit welcher Zudringlichkeit sich der junge Edelmann in das Kloster eingeschlichen, den Späher gemacht, sich beim Kaiser als unentbehrlichen Mann darzustellen gewusst, bis die Inful eines Abts von Sankt Gallen mit der Mitra eines Bischofs von Konstanz auf seinem Haupt vereinigt war.

Und vom großen Schicksal der Kammerboten sangen die Kinder auf den Straßen. Die hatte der ränkespinnende Prälat gereizt und gekränkt, bis sie in der Fehde Recht suchten und ihn fingen: aber wiewohl Herr Erchangers Gemahlin Berchta ihn in der Gefangenschaft hegte und pflegte wie ihren Herrn und den Friedenskuss von ihm erbat und aus einer Schüssel mit ihm aß, war sein Gemüt der Rache nicht gesättigt, bis dass des Kaisers Gericht zu Adingen seinen rauhen Feinden die Häupter vor die Füße gelegt.

Und die Tochter, die dem frommen Mann aus lustiger Studentenzeit erwachsen, war jetzt noch Äbtissin am Münster zu Zürich.

All das wusste Ekkehard; in der Kirche, wo der Mann begraben lag, mocht' er nicht beten.

Es mag ungerecht sein, den Hass, der den Menschen gebührt, auf das Stück Land überzutragen, wo sie gelebt und gestorben, aber es ist erklärlich.

Er schüttelte den Konstanzer Staub von den Füßen und wanderte zum Tor hinaus; dem sich kaum dem See entwindenden jungen Rhein blieb er zur Linken.

 

Von mächtiger Haselstaude schnitt er sich einen festen Wanderstab: wie die Rute Aarons, da sie im Tempel Gottes aufgrünte, sein Geschlecht schied von den abtrünnigen Juden, so möge dieser Stab, geweiht mit der Fülle göttlicher Gnade, mir ein Hort sein wider die Ungerechten am Wege, sprach er mit den Worten eines alten Stocksegens. Vergnügt schlug ihm das Herz, wie er einsam vorwärts zog.

Wie hoffnungsgrün und beseligt ist der Mensch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegenzieht, – die weite Welt vor sich, der Himmel blau und das Herz frisch, als müßt' sein Wanderstab überall, wo er ihn ins Erdreich einstößt, Laub und Blüten treiben und das Glück als goldnen Apfel in seinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirst einstmals müden Fußes im Staub der Heerstraße einherschleichen, und dein Stab ist ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk, und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo ist der goldene Apfel?...

Ekkehard war in der Tat vergnügt. Wanderlieder zu singen, war für einen Mann geistlichen Standes nicht üblich, aber der Gesang Davids, den er jetzt anstimmte: »Jehova ist mein Hirt, mir mangelt nichts. Auf grünen Triften lässt er mich lagern, zu stillen Gewässern führt er mich« – mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienstes verzeichnet worden sein, in das die Engel der Jugend fahrender Schüler und wandernder Gesellen Lieder einzutragen pflegen.

Durch Wiesen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn sein Pfad. Lang und niedrig streckte sich im See eine Insel, die Reichenau; Turm und Mauern des Klosters spiegelten sich im ruhigen Gewässer; Rebhügel, Matten und Obstgärten wiesen dem Auge den Fleiß der Bewohner.

Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüst und leer gestanden, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bösen Schlangen. Der austrasische Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Bischof Pirminius hinüber, der sprach einen schweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tausendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Skorpione, Lurche und was sonst kreucht, in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten sie nicht bestehen, zum Gestade, wo später die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte sich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seeflut – und der Fisch weitum hat damals einen guten Tag gehabt...

Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzstätte klösterlicher Zucht von gutem Klang in deutschen Landen.

Reichenau, grünendes Eiland, wie bist du vor andern gesegnet,

Reich an Schätzen des Wissens und heiligem Sinn der Bewohner,

Reich an des Obstbaums Frucht und schwellender Traube des Weinbergs:

Immerdar blüht es auf dir und spiegelt im See sich die Lilie,

Weithin schallet dein Ruhm bis ins neblige Land der Britannen.

hatte schon in Ludwigs des Deutschen Tagen der gelehrte Mönch Ermenrich gesungen, da ihn auf seiner Abtei Ellwangen Heimweh nach den schimmernden Fluten des Bodensees beschlich.

Ekkehard beschloss dieser Nebenbuhlerin seines Klosters einen Besuch abzustatten. Am weißsandigen Strand von Ermatingen stand ein Fischer im Kahn und schöpfte das Wasser aus. Da deutete Ekkehard mit seinem Stab nach dem Eiland: Führt' mich hinüber, guter Freund!

Sein Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck.

Der Fischer aber schüttelte verdrossen das Haupt: Ich fahre keinen mehr von euch, seit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling gebüßt...

Warum haben sie Euch gebüßt?

Wegen dem Kreuzmann!

Wer ist der Kreuzmann?

Der Allmann.

Auch der ist mir unbekannt, sprach Ekkehard, wie sieht er aus?

Aus Erz ist er gegossen, brummte der Fischer, von zweier Spannen Höhe, und hält drei Seerosen in der Hand. Der stund im alten Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, dass er dort stund, aber seit dem letzten Ruggericht haben sie ihn aus dem Baum gehauen und ins Kloster verschleppt. Jetzt steht er auf des welschen Bischofs Grab in Niederzell, was soll er dort? Toten Heiligen Fische fangen helfen?!...

Da merkte Ekkehard, dass des Fischers Christenglaube noch nicht felsenfest stand, und mocht sich erklären, warum das eherne Götzenbild ihm die Schillingsbuße eingetragen – er hatte ihm ein Zicklein nächtlich als Opfer geschlachtet, damit seine Fischzüge mit Felchen, Forellen und Braxmannen gesegnet würden, und die Rugmänner hatten nach kaiserlicher Verordnung solch heidnisch Rückerinnern geahndet.

Seid vernünftig, alter Freund, sprach Ekkehard, und vergesst den Allmann. Ich will Euch eingut Teil Eures Schillings geben, so Ihr mich übersetzt.

Was ich rede, sprach der Alte, soll sich nicht drehen lassen wie ein Ring am Finger. Ich fahre keinen von euch. Mein Bub kann's tun, wenn er will.

Er pfiff durch die Finger, da kam sein Bub, ein hochstämmiger Ferge, der führte Ekkehard hinüber.

Wie sie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloster zu, das zwischen Obstbäumen und Rebhügeln versteckt in Mitten des Eilandes aufgebaut steht. Es war die Zeit des Spätherbstes, alt und jung auf der Insel mit der Weinlese beschäftigt, da und dort hob sich die Kapuze eines dienenden Bruders dunkel vom rotgelben Reblaub ab. Auf der Hochwarte standen die Väter der Insel truppweise beisammen und ergötzten sich am Getrieb der traubensammelnden Leute; sie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes, das für einen Krug von der kananäischen Hochzeit galt, die Einsegnung des neuen Weines abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes Jauchzen klang aus den Rebbergen.

Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloster, auf wenig Schritte war er ihm genaht, da erst ragte der schwerfällige Turm mit seinen Vorhallen, deren Rundbogen abwechselnd mit grauen und roten Sandsteinquadern geschmückt sind, vor ihm auf.

Im Klosterhof war alles stumm und still. Ein großer Hund wedelte am fremden Gast hinauf, ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte an; die Einwohner allesamt hatte der linde Herbsttag hinausgelockt.

Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenstube am Eingang. Auch des Pförtners Gelass nebenan war leer. Offene Fässer standen aufgepflanzt, manche schon mit süßem Moste gefüllt. Hinter ihnen war ein steinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war frisch ausgeschritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den Wanderstab an den Arm, streckte sich ein weniges und nickte ein.

Derweil zog sich's mit langsamem Schritt in die kühle Stube, das war der ehrenwerte Bruder Rudimann, des Klosters Kellermeister. Er trug ein steinern Krüglein in der Rechten und ging seines Amtes nach, Mostprobe zu halten. Das Lächeln eines mit der Welt und sich versöhnten Mannes lag auf seinen Lippen und sein Bauch war fröhlich gediehen, wie das Hauswesen des Fleißigen, einen weißen Schurz hatte er darüber geschlungen, gewichtiger Schlüsselbund klapperte an seiner linken Seite.

»Zum Kellermeister soll erwählt werden ein weiser Mann von reifen Sitten, nüchtern und nicht vieler Speise gierig, kein Zänker und kein Schelter, kein Träger und kein Vergeuder, sondern ein Gottesfürchtiger, der der gesamten Bruderschaft sei als wie ein Vater«.– und soweit es des Fleisches Schwäche hinieden möglich macht, war Rudimann bemüht, sotane Kellermeisterseigenschaften in sich zu vereinen. Dabei aber trug er das herbe Amt eines Strafvollziehers, und wenn einer der Brüder der Geißelung sich schuldig gemacht, band er ihn an die Säule und konnte sich keiner über die Milde seines Armes beklagen. Dass er außerdem mit boshafter Zunge dann und wann boshaftige Gedanken aussprach und den Abt mit Verdächtigung der Mitbrüder zu unterhalten wusste, wie das Eichhörnlein Ratatöskr der Edda, das auf- und abrennt an der Esche Yggdrasil und des Adlers zürnende Worte im Wipfel hernieder trägt zu Nidhöggr, dem Drachen in der Tiefe: das war nicht seines Amtes, das tat er aus freien Stücken.