Ekkehard

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Heute aber schaute er gar vergnüglich drein, deß trug die Güte der Weinlese Schuld. Und er tauchte sein Krüglein in ein offenes Faß, hielt's gegen das Fenster und schlürfte bedächtig den unklaren Stoff. Den schlafenden Gast nahm er nicht wahr.

Auch dieser ist süß, spach er, und kommt doch vom mitternächtigen Abhang der Hügel. Gelobt sei der Herr, der vom Notstand seiner Knechte auf dieser Au eine billige Einsicht nahm und nach so viel magern Jahren ein fettes schuf, und frei von Säure!

Inzwischen ging draußen Kerhildis, die Obermagd, vorüber, sie trug eine traubengefüllte Butte zur Kelter. Kerhildis, sprach der Kellermeister leise, getreueste aller Mägde, nimm mein Krüglein und füll es mit dem Neuen vom Wartberg, der drüben an der Kelter steht, auf dass ich ihn mit diesem vergleiche.

Kerhildis, die Obermagd, stellte ihre Last ab und ging und kam und stand vor Rudimann, reichte ihm das Krüglein, schaute schalkhaft an ihm hinauf, denn er überragte sie um eines Kopfes Länge, und sprach: Wohl bekomm's!

Rudimann tat einen langen, frommen, vergleichenden Zug, so dass ihm der Neue auf den Lippen schmelzen mochte wie Schnee in der Morgensonne; alle miteinander werden süß und gut, sprach er, und seine Augen hoben sich gerührt, und dass sie an der Obermagd strahlendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeister kaum Schuld, denn diese hätte sich inzwischen auch zurückziehen können.

Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anschaue, Kerhildis, so wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet wie der Klosterwein in diesem Herbst, und Eure Bäcklein sind rot, wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiset mit mir des Jahrgangs Güte, getreuste aller Mägde!

Und der Kellermeister schlang seinen Arm um der schwarzbraunen Obermagd Hüfte, die wehrte sich nicht groß – was liegt an einem Kuss im Herbst? – und sie wusste, dass Rudimann ein Mann von reifen Sitten war und alles mäßig tat, wie es einem Kellermeister geziemt.

Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus seinem Schlummer. Ein eigentümlich Geräusch, das von nichts anderem herrühren kann als von einem wohlaufgesetzten verständigen Kuss, schlug an sein Ohr, er schaute zwischen den Fässern durch, da sah er des Kellermeisters Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu diesem Habit gehörten... er richtete sich auf, ein ungestümer Zorn kam über ihn, denn Ekkehard war jung und eifrig, und in Sankt Gallen war strenge Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeschwebt, dass ein Mann im Ordenskleid ein Weib küssen möge.

Sein wuchtiger Haselstock ruhte ihm noch im Arm; jetzt sprang er vor und schlug dem Kellermeister einen wohlgefügen Streich, der zog sich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und saß fest und gut wie ein auf Bestellung gelieferter Rock – und bevor sich jener der ersten Überraschung erholt, folgte ein zweiter und dritter von gleichem Schrot... er ließ sein steinern Geschirr fallen, dass es am Pflaster zerschellte; Kerhildis entfloh.

Beim Krug von der Hochzeit zu Kana! rief Rudimann, was ist das? und wandte sich gegen den Angreifer. Jetzt erst schauten sich die beiden von Angesicht zu Angesicht.

Ein Gastgeschenk ist's, sprach Ekkehard ingrimmig, das der heilige Gall dem heiligen Pirmin sendet! und er erhob seinen Stab von neuem.

Dacht' ich's doch, schalt der Kellermeister, sankt gallische Holzäpfel! Man kennt euch an den Früchten: Boden hart, Glaube roh, Leute grob! Wartet auf das Gegengeschenk.

Er sah nach etwas Greifbarem um, ein namhafter Besen stand in der Ecke, mit dem waffnete er sich und gedachte auf den Störer seines Friedens einzudringen...

Da rief's gebietend von der Pforte her: Halt! Friede mit Euch! Und eine zweite Stimme frug mit fremder Betonung: Was ist hier für ein Holofernes aus dem Boden gewachsen?

Es war der Abt Wazmann, der mit seinem Freund Simon Bardo, dem ehemaligen des griechischen Kaisers, von der Einsegnung der Weinlese zurückkehrte. Das Geräusch des Streits unterbrach eine gelehrte Auseinandersetzung des Griechen über die Belagerung der Stadt Hai durch Josua und die strategischen Fehler des Königs von Hai, da er mit seinem Heer auszog wider die Wüste. Der alte Griechenfeldherr, der die Heimat verlassen, um im byzantinischen Ruhestand nicht an Mattigkeit der Seele zu sterben, lag in seinen Mußestunden im deutschen Kloster eifrig dem Studium der Taktik ob; sie hießen ihn scherzweise den Hauptmann von Kapernaum, wiewohl er das Ordenskleid genommen.

Gebt dem Streit Raum, sprach Simon Baro, der mit Bedauern den Zweikampf unterbrochen sah, zum Abte: ich hab' heut im Traume ein Sprühen von Feuerfunken erschaut, das deutet Schläge...

Der Abt aber, in dessen Augen die Eigenmacht Jüngerer ein Greuel war, gebot Ruhe und ließ den Streitfall zur Schlichtung vortragen.

Da hob Rudimann an zu erzählen, was geschehen war und verschwieg nichts.

Leichtes Vergehen, murmelte der Abt; Hauptstück sechsundvierzig: von dem, was bei der Arbeit, beim Gärtnen oder Fischfang, in Küche oder Keller gesündigt wird – alemannisches Gesetz: von dem was mit Mägden geschieht... der Gegner spreche!

Da trug auch Ekkehard vor, wie er die Sache angeschaut und in gerechtem Zorn dreingefahren.

Verwickelt! murmelte der Abt, Hauptstück siebenzig: kein Bruder nehme sich heraus, den Mitbruder vor der Ermächtigung des Abts zu schlagen, Hauptstück zweiundsiebenzig: von demjenigen Eifer, der einem Mönch wohl ansteht und zum ewigen Leben führet... Wie viel Jahre zählt Ihr?

Dreiundzwanzig!

Da sprach der Abt ernsthaft: Der Streit ist aus. Ihr, Bruder Kellermeister, habt Eure Streiche als wohlverdient Entgelt Eurer Zerstreutheit aufzunehmen; – Euch, Fremdling des heiligen Gallus, vermöchte ich füglich anzuweisen, Eures Weges weiter zu ziehen, denn es stehet geschrieben: Wenn ein fremder Mönch aus anderweiten Provinzen ankommt, soll er zufrieden sein mit dem, was er im Kloster vorfindet, sich nur einen demütigen Tadel erlauben und sich in keiner Weise überflüssig machen. In Erwägung Eurer Jugend und untadeligen Beweggrundes aber mögt Ihr zur Sühnung am Hauptaltar unserer Kirche eine einstündige Abendandacht verrichten: dann seid als Gastfreund willkommen!

Dem Abte erging es mit seinem Schiedsspruch wie manchem gerechten Richter. Keiner der Beteiligten war zufrieden; sie gehorchten, aber unversöhnt. Wie Ekkehard in der Kirche sein Sühngebet tat, mochten ihm allerlei Gedanken durch die Sinne ziehen von gutem Herzen, von rechtzeitigem Eifer und von anderer Leute Urteil drüber. Es war eine der ersten Lehren, die er im Zusammenstoß mit Menschen erlitt. Durch eine Seitenpforte ging er ins Kloster zurück.

Was Kerhildis, die Obermagd, an jenem Abend den dienstbaren Frauen im Nähsaal zu Oberzell erzählte, allwo sie beim flackernden Scheine des Kienspans ein Dutzend neue Mönchsgewänder zu fertigen hatten, war mit so beleidigenden Ausfällen gegen die Jünger des heiligen Gallus untermischt, dass es besser verschwiegen bleibt...

Sechstes Kapitel: Moengal

Um dieselbe Zeit, da Ekkehard in der Klosterkirche der Insel eine unfreiwillige Andacht abhielt, war Frau Hadwig auf dem Söller von Hohentwiel gestanden und hatte lange hinausgeschaut – aber nicht nach der untergehenden Sonne. Die ging ihr im Rücken, hinter den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes zur Ruhe. Frau Hadwig aber schaute erwartungsvoll nach dem Untersee und nach dem Pfad, der von seinem Ausgang sich dem Hohentwieler Fels entgegen zog. Die Aussicht schien ihr nicht zu genügen; wie's dunkel ward, ging sie unwillig zurück, ließ ihren Kämmerer rufen und verhandelte lang mit ihm...

Am frühen Morgen des andern Tages stund Ekkehard gerüstet zu weiterer Fahrt an der Schwelle des Klosters. Der Abt war auch schon wach und machte einen Frühgang im Gärtlein. Der Richterernst des gestrigen Tages lag nicht mehr auf seiner Stirne. Ekkehard sagte ihm Valet. Da raunte ihm der Abt lächelnd ins Ohr: Seliger, der du eine solche Schülerin die Grammatik lehren darfst! Das schnitt in Ekkehards Herz. Eine alte Geschichte stieg in seiner Erinnerung auf, – auch in den Klostermauern gab's böse Zungen und überlieferte Stücklein, die von einem zum andern die Runde machten.

Ihr gedenket wohl der Zeit, heiliger Herr, sprach er höhnisch, da Ihr die Nonne Clotildis in der Dialektik unterrichtet?

Damit ging er hinab zu seinem Schiffe. Der Abt hätte lieber ein Büchslein mit Pfeffer zum Frühmahl eingenommen, als diese Erinnerung. Glückliche Reise! rief er dem Scheidenden nach.

Von dieser Zeit hatte Ekkehard es mit den Reichenauer Klosterleuten verdorben. Er ließ sich's nicht kümmern und fuhr mit seinem Ermatinger Fergen den Untersee hinab.

Träumerisch schaute er aus seinem Schifflein hinaus ins Weite. Im durchsichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken hoben sich die schlanken Türmchen von Eginos Klause Niederzell, – dort streckt das Eiland seine letzten Spitzen ins Gewässer hinaus, eine steinerne Pfalz schaute aus den Weidenbüschen vor – aber Ekkehards Blick haftete auf der Ferne, der er zusteuerte; groß, stolz, in steiler kecker Linie trat ein felsiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers vor, gleich dem Gedanken eines Geistesgewaltigen, der wuchtig und tatenschwer flache Umgebung überragt, die Frühsonne warf helle Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben sich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, bescheiden, als wären sie Feldwachen, die der Große ausgesendet.

Der Hohentwiel! sprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte das Ziel seiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erschaut, aber es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu sagen. So musste der Berg sein, den sie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernste Stimmung kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen Wasser und Himmel, große Landschaft wirkt jederzeit Ernst im Gemüt, nur des Menschen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beschauers Lippe. Er gedachte des Apostels Johannes, wie der einst der Felseninsel Patmos entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen...

 

Der Fährmann steuerte rüstig vorwärts. Schon waren sie dem Ufervorsprung, der die Zelle Radolfs und die wenig umliegenden Behausungen trägt, nahe. Da trieb ein seltsames Schifflein im See, roh, ein hohler Baumstamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erschauen, der es lenkte. Der Wind schaukelte es dem Geröhricht am Gestade entgegen.

Ekkehard hieß seinen Fergen das absonderliche Fahrzeug anhalten. Da stieß derselbe mit seiner Ruderstange in die grüne Verhüllung.

Pest und Aussatz Euch ins Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und Malz ist verloren. Wildgans und Kriekente sind des Teufels!

Ein Zug Wasservögel, der mit heiserem Geschnatter in der Nähe aufstieg und landeinwärts flog, bestätigte des Fluchenden Ausspruch.

Im Buschwerk des Schiffleins aber knisterte es und hob sich auf, ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz schaute herüber, um den Leib schmiegte sich ein verblichen geistlich Kleid, das, an den Knien mit unsicherem Messerschnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel stak ein Köcher statt des Rosenkranzes, die gespannte Armbrust lag auf des Schiffleins Vorderteil.

Pest und Aussatz – wollte des Fahrzeugs Insasse nochmals anheben, da schaute er Ekkehards Tonsur und Benediktinergewand und änderte den Ton: Hoiho! salve confrater! Beim Bart des heiligen Patrik von Armagh, so mich Euer Fürwitz noch eine Viertelstunde länger ungehindert gelassen, könnt' ich Euch zu einem weidlichen Bissen Seewildbret einladen. Mit Bewegung schaute er den in die Ferne streichenden Wildenten nach.

Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: Ne clericus venationi incumbat! Kein Geweihter des Herrn soll der Jagd pflegen.

Stubenweisheit, rief der andere, gilt nicht bei uns am Untersee. Seid Ihr etwann gesendet, beim Leutpriester zu Radolfszelle Kirchenschau zu halten?

Beim Leutpriester von Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier der Bruder Marcellus vor mir? Er tat einen Seitenblick auf des Weidmanns rechten Arm, an dem sich die Kutte zurückgestreift hatte; in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heilandbild eingeätzt und stund mit punktierten Buchstaben drüber Christus vindex. Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und strich mit der Hand über die Stirn, fuimus Troes, willkommen in Moengals Revier!

Er stieg aus seinem hohlen Baum in Ekkehards Schiff hinüber. Der heilige Gallus soll leben! sprach er und küsste ihn auf Wange und Stirn, lasset uns ans Land fahren, Ihr seid mein Gast, wenn auch ohne Wildenten.

Euch hab' ich mir anders vorgestellt, sprach Ekkehard. Das war kein Wunder.

Nichts gibt ein falscher Bild von Menschen, als nach ihnen an denselben Ort kommen, wo sie einstens gewirkt, vereinzelte Reste ihrer Tätigkeit sehen und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen sich eine Vorstellung des Weggegangenen schaffen. Tiefstes und Eigenstes bleibt dritten meist unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag liegt, in der Überlieferung schwindet's ganz. Als Ekkehard ins Kloster trat, war der Bruder Marcellus schon nach der verlassenen Zelle Radolfs als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geschriebene Urkunden, Ciceros Buch von den Pflichten, und ein lateinischer Priscianus mit irischer Schrift zwischen den Zeilen erhielten sein Andenken. Viel verehrt lebte sein Name noch an der inneren Klosterschule, er war der tüchtigsten Lehrer einer gewesen, tadellos sein Wandel. Seither war er in Sankt Gallen verschollen. Darum hatte sich Ekkehard statt des Weidmanns im See einen ernsten hagern blassen Gelehrten erwartet.

Das Gestad von Radolfs Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf einer Seite geprägte Silbermünze stellte den Fährmann zufrieden. Sie gingen an Land. Wenig Häuser und schmucklose Fischerhütten standen um das Grabkirchlein, das Radolfs Gebeine birgt.

Wir sind an Moengals Pfarrhaus, sprach der Alte, tretet ein. Ihr werdet hoffentlich dem Bischof zu Konstanz keinen Bericht von meinem Hauswesen erstatten, wie jener Dekan von Rheingau, der behauptete, er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter verhassten Größe erschauen müssen. Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirschgeweih und Auerochsenhörner hingen über dem Eingang, Jagdspieße, Leimruten, Fischgarne lehnten in malerischer Unordnung an den Wänden, an das umgestürzte Fässlein im Winkel schmiegte sich der Würfelbecher: wäre es nicht des Leutpriesters Behausung gewesen, so hätte füglich auch der Förster des kaiserlichen Bannwaldes hier wohnen können.

Es stand ein Krug säuerlichen Weines auf dem Eichentisch, auch Brot und Butter lieferte die Vorratskammer. Dann kam der Leutpriester aus der Küche zurück, hielt sein Gewand wie eine gefüllte Schürze und schüttelte einen Platzregen von geräucherten Gangfischen vor seinen Gast. Heu! quod anseres fugasti antvogelosque et horotumblum! Weh, dass du mir die Wildgänse verscheuchst und die Enten samt der Rohrdommel! sprach er, aber wenn einer nur die Wahl zwischen Gangfisch und gar nichts hat, greift er immer noch zum ersten.

Glieder derselben Genossenschaft sind schnell befreundet. Ein lebhaftes Gespräch erhob sich beim Imbiss. Aber der Alte hatte mehr zu fragen, als Ekkehard beantworten konnte; von so manchem seiner alten Brüder war nichts mehr zu berichten, als dass sein Sarg eingemauert stand bei dem der andern und ein Kreuz an der Wand und ein Eintrag im Totenbuch die einzige Spur, dass er gelebt; – die Geschichten und Spässlein und Klosterfehden, wie sie sich vor dreißig Jahren erzählt wurden, waren durch neue ersetzt, und was seit damals geschehen, ließ ihn gleichgültig. Nur wie Ekkehard von dem Zweck und Ziel seiner Fahrt sprach, rief er: Hoiho, Confrater, was habt Ihr wider die Jagd gesprochen und ziehet ja selber auf Edelwild aus!

Aber Ekkehard lenkte ab. Habt Ihr noch nie Heimweh nach des Klosters Stille und Wissenschaft verspürt? fragte er.

Da flammte des Leutpriesters Aug': Ward Catilina von Heimweh nach den Holzbänken des römischen Senats geplagt, nachdem von ihm gesagt war: excessit, evasit, erupit? Junges Blut versteht das nicht. Fleischtöpfe Ägyptens?! ille terrarum mihi praeter omnes... sprach der Hund zum Stall, in dem er sieben Jahre gelegen.

Ich versteh' Euch allerdings nicht, sprach Ekkehard. Was schuf Euch solche Änderung der Sinnesart? Er warf einen Seitenblick auf das Jagdgerät.

Die Zeit, gab der Leutpriester zurück und klopfte seinen Gangfisch auf dem Eichentisch mürb, – die Zeit und wachsende Erkenntnis. Das braucht Ihr aber Eurem Abte nicht zu berichten. Bin auch einmal ein Bursch gewesen wie Ihr, Irland zieht fromme Leute, sie wissen's hier zu Land. Eheu, wie war ich untadligen Gemütes, wie ich mit Oheim Marcus von der Wallfahrt gen Rom zurückkam. Hättet den junge Moengal sehen sollen, die ganze Welt war ihm keinen Gründling wert, aber Psallieren, Vigilien singen, geistliche Übungen halten: das war mein Labsal. Da ritten wir in Gallus' Kloster ein – einem heiligen Landsmann zu Ehren macht ein braver Irländer schon ein paar Meilen um, – ich aber bin ganz dort hängen geblieben. Kleider, Bücher, Gold und Wissen, der ganze Mensch war des Klosters, und der irische Moengal ward Marcellus geheißen und warf seines Oheims silberne und goldene Pfennige zum Fenster hinaus, dass die Brücke abgebrochen sei, die zur Welt zurückführt. Waren schöne Jahre, sag' ich Euch, hab' gewacht und gebetet und studiert nach Herzenslust.

Aber viel Sitzen ist schädlich dem Menschen und viel Wissen macht überflüssige Arbeit. Manchen Abend hab' ich gegrübelt wie ein Bohrwurm und disputiert wie eine Elster, nichts war unergründlich: wo das Haupt Johannis, des Täufers, begraben liege, und in welcher Sprache die Schlange zu Adam gesprochen – alles klar erörtert, nur daran war ich nicht zu denken geraten, dass der Mensch auch Knochen und Fleisch und Blut mit sich in die Welt bekommen. Hoiho, Confrater, da kamen böse Stunden, mögen sie Euch erspart bleiben! der Kopf ward schwer, die Hände unruhig, am Schreibtisch kein Bleiben, in der Kirche kein Knien – fort! hieß es, nur fort und hinaus! Dem alten Thieto sagt ich dereinst, ich habe eine Entdeckung gemacht. Was für eine? Dass es jenseits unserer Mauern frische Luft gebe... Da versagten sie mir den Ausgang, aber manche Nacht bin ich heimlich auf den Glockenturm gestiegen und hab' hinausgeschaut und die Fledermäuse beneidet, die in den Tannenwald hinüber flogen... Confrater, dagegen hilft kein Fasten und kein Beten, was im Menschen steckt, muss heraus.

Der vorige Abt hat billige Einsicht genommen und mich auf Jahresfrist hierher geschickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angesichtes den Tannbaum fällte und den Strichvogel aus den Lüften herunterholte, da ist mir ein Licht aufgegangen, was gesund sein heißt – Fischfang und Weidwerk beizen die unnützen Mücken aus dem Kopf – so stehe ich seit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor, rusticitate quadam imbutus, einer gewissen Verbauerung ausgesetzt, was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüste, gleich der Eule, die in Trümmern nistet, sagt der Psalmist, aber frisch und stark, und der alte Moengal gedenkt sobald noch nicht ein stummer Mann zu werden und weiß, dass er wenigstens vor einem Unglück sicher sein darf...

Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.

Dass ihm Sankt Petrus dereinst den himmlischen Torschlüssel vor die Stirn schlägt und spricht: hinaus mit dir, der du unnütz und eitel Philosophie getrieben!

Ekkehard ließ sich auf Moengals Herzensergießungen nicht näher ein. Ihr habet wohl rauen Dienst in Sorge der Seelen, sprach er, versteckte Herzen, Heidentum und Ketzerei...

's geht an, sprach der Alte, im Mund der Bischöfe und kaiserlichen Räte, in den Kapitularien und Synodalbeschlüssen nimmt sich's haarsträubend aus, wenn sie den heidnischen Irrwahn abzeichnen und mit Strafsatzung bedräuen. 's ist eben alter Glaube hierlands, im Baum und Fluss und auf lustiger Bergeshöhe der Gottheit nachzuspüren. Jeder auf der Welt muss seine Apokalypsis haben, die Hegauer suchen sie draußen... es lässt sich auch etwas dabei denken, wenn der Mensch frühmorgens im Schilfe steht und die Sonne über ihm aufgeht...

Deshalb kommen sie am Tage des Herrn doch zu mir und singen die Messe mit, und wenn der Sendbote ihnen nicht so manchen Strafschilling aus dem Sack zwickte, würden sie noch fröhlicher sich zum Evangelium wenden. –

Stoßt an, Confrater, die frische Luft... Erlaubt, sprach Ekkehard mit feiner Wendung, dass ich das Wohl des Marcellus, des Lehrers an der Klosterschule, des Verfassers der irischen Übersetzung des Priscianus trinke.

Mir auch recht, lachte Moengal. Was aber die irische Übersetzung betrifft, die möchte einen Haken haben.

Gottlob es wird schon dunkel!

Heiliger Patrik von Armagh, erlöse mich von der Schreiberei!

O dass mir ein Glas alten Weines zur Seite stünde usw.

In Ekkehard war das Verlangen groß, seinen hohen Twiel zu erreichen. Kurz vor dem Ziele langer Fahrt hat noch selten einer lange Rast gehalten. Der Berg steht fest in der Erden, sprach zwar Moengal, er entfleucht Euch nimmer.

Aber Moengals Wein und seine Lehre von der frischen Luft hatten für den, der einer Herzogin entgegen sollte, wenig Verstrickendes. Er brach auf.

Ich geh' mit Euch bis an des Pfarrsprengels Grenze, sagte der Leutpriester, heute dürft Ihr mir noch zur Seite gehen, trotz meines verblichenen Gewandes; wenn Ihr auf dem Berg droben festsitzet, dann werdet Ihr meinen, die Verklärung sei über Euch gekommen, und werdet ein vornehmer Herr werden, und wenn Ihr dereinst an Frau Hadwigs Seite gen Radolfs Zelle geritten kommet, und der alte Moengal steht an der Schwelle, so wird ihm eine gnädige Handbewegung als Almosen zugeworfen – der Weltlauf! Wenn der Heuerling groß geworden, heißt er Felchen und frisst die Kleinen seines Geschlechts.

Das sollt Ihr nicht sagen, sprach Ekkehard und küsste den irischen Mitbruder.

Da gingen sie zusammen und der Leutpriester nahm seine Leimruten mit, im Rückweg den Vögeln des Waldes Nachstellung zu bereiten. Es war ein langer Weg durch den Tannenwald, lang und still.

Wie sich das Gehölz lichtete, da stand in dunkler Masse der hohe Twiel und warf ihnen seinen Schatten entgegen. Moengal aber schaute mit scharfem Aug' den Waldpfad entlang durch die Lichtung der Tannen. Es streicht was durchs Revier, sprach er.

 

Sie waren wieder etliche Schritte gegangen, da griff Moengal seinen Gefährten am Arm, stellte ihn, deutete vorwärts und sprach: Das sind keine Wildenten noch Tiere des Waldes!

Es kam ein Ton herüber, als wenn fernab ein Ross gewiehert... Moengal sprang seitwärts, schlich sich ein gutes Stück im jungen Gehölz vorwärts, legte sich auf den Boden und spähte.

Weidmanns Torheit, sprach Ekkehard und wartete seiner. Jetzt kam er zurück. Bruder, sprach er, liegt der heilige Gall in Fehde mit einem der Gewaltigen dieses Landes?

Nein.

Habt Ihr einen beleidigt?

Nein.

Sonderbar, sprach der Alte, es kommen drei Bewaffnete geritten.

Es werden Boten der Herzogin sein, mich zu empfangen, sprach Ekkehard mit stolzem Lächeln.

Hoiho! brummte Moengal, fehlgeschossen! Das ist nicht herzoglicher Dienstmannen Kleid, der Helm ist sonder Abzeichen. Und im grauen Mantel reitet kein Twieler!

Er hemmte seinen Schritt.

Vorwärts! sprach Ekkehard. Weß Herz ohne Schuld, den geleiten die Engel des Herrn.

Im Hegau nicht immer! war des Alten Antwort. Es war keine Gelegenheit zu weiterem Zwiegespräch, Hufschlag tönte, der Boden klirrte, drei Reitersmänner kamen gesprengt, den Helm geschlossen, das Schwert gezogen...

Folgt mir, rief der Leutpriester, maturate fugam! Er warf seine Leimruten zu Boden und wollte Ekkehard mit zur Seite ziehen. Der aber wandte sich nicht. Da sprang Moengal allein ins Buschwerk hinüber, die Dornen zogen ihm zu den alten Rissen ins morsche Gewand etliche neue, er wand sich los, mit den Sprüngen eines Eichhorns setzte er ins Dickicht. Er kannte die Schliche.

Er ist's! rief der vorderste der Reiter, da sprangen die andern von den Rossen, stolz sah ihnen Ekkehard entgegen. Was wollt Ihr? – keine Antwort; er griff zum Kruzifix, das ihm im Gürtel hing. Im Namen des Gekreuzigten!... wollte er anheben, aber schon war er zu Boden geworfen, unsanfte Fäuste hielten ihn, ein Strick ward um seine Hände geschlungen, bald lagen sie geknebelt auf dem Rücken – eine weiße Binde umschloß seine Augen knapp und fest, dass es dunkel um ihn ward –

»Vorwärts!« die Überraschung des Augenblicks beugte ihm die Knie, unsicher schritt er, da hoben sie ihn und trugen ihn ein Stück weit. Am Beginn des Waldes stunden vier Männer mit einer Sänfte, in die warfen sie den Betroffenen und weiter ging's durch die Ebene, am steten Hufschlag zur Seite merkte Ekkehard, dass die Reiter ihren Fang geleiteten.


Derweil Moengal durch den Wald floh, hüpften die Meisen so zutraulich auf den Zweigen, und heller Drosselschlag umtönte ihn, da vergaß er der Gefahr, und sein Herz kränkte sich, dass er die Leimruten fahren gelassen.

Wie er aber auch noch die Wachtel ihr Quakkara! rufen hörte, klang ihm das geradezu herausfordernd, und er wandte seinen Schritt zum Platz des Überfalls. Es war still dort, als wäre nichts geschehen. In der Ferne sah er die Kriegsleute abziehen. Die Helme glänzten.

Es werden aber viele, so die ersten waren, die letzten sein, sprach er kopfschüttelnd und las seine Leimruten zusammen. Zu einer Fürstin Saal gedachte er zu gehen und das Gefängnis nimmt ihn auf. Heiliger Gallus, bitt für uns!

Weiter zerbrach sich Moengal den Kopf nicht. Derlei Vergewaltigung war häufig wie Schlüsselblumen im Frühling.

Es schwamm einmal ein Fisch klaftertief unten im Bodensee, der konnt sich's gar nicht erklären, was den Cormoran zu ihm hinabführte, der schwarze Tauchervogel hatte ihn schon im Schnabel und flog mit ihm hoch durch die Lüfte weg: noch war's ihm unbegreiflich. So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er über seines Geschickes Wendung nachsann, desto weniger mocht' er's fassen.

Dräuend stieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl einer im Hegau sitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und jetzt am unschuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn Salomo, der Ursächer ihres schmählichen Todes, war zugleich Abt jenes Klosters gewesen. Für den Fall mochte sich Ekkehard auf das Schlimmste bereit halten, er wusste, wie manchen priesterlichen Standes nicht die Tonsur, nicht geistlich Gewand vor dem Ausstechen der Augen oder Abhauen der Hände geschützt, wenn's um Rache ging.

Er gedachte ans Sterben. Mit seinem Gewissen war er versöhnt, der Tod trug ihm kein Schrecknis zu, aber tief im Herzen klang doch eine leise Frage: Warum nicht in Jahresfrist, nachdem mein Fuß den Twiel betrat? –

Jetzt gingen die Träger der Sänfte langsamen Schrittes, es mochte einen Berg hinan gehen. Auf welches der Felsennester dieses Landes schleppen sie mich? Ein halb Stündlein mochten sie aufwärts gestiegen sein, da schlug der Huftritt der Reiter rasselnd und hohl auf, wie wenn sie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's still, kein Wächterruf, – die Entscheidung konnte nimmer fern sein. Da kam ein starkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Psalms traten vor ihn: »Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöten mächtig erfunden. Darum fürchten wir nichts, ob auch die Erde wechselte und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brausen die Gewässer, die Berge beben bei seinem Ungestüm. Jehovah ist mit uns, unsere Zuflucht der Gott Jakobs, Sela...«

Über eine zweite Brücke ging's. Ein Tor ward aufgetan, die Sänfte stand. Da huben sie ihren Gefangenen herfür, sein Fuß berührte den Boden, es war Gras; – ein Flüstern schlug an sein Ohr, als wär' viel Volk in der Nähe versammelt, der Strick um seine Hände ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! sprach einer seiner Begleiter, er tat's – Herz jauchze nicht! er stand im Schlosshof von Hohentwiel... Fröhlich rauschte es im Geäst der alten Linde, ein zeltartig Getüch war darein gespannt, Kränze von Eppich und Weinlaub hingen hernieder, der Burg Insassen standen gedrängt herum, auf steinerner Bank saß die Herzogin, der purpurdunkle Fürstenmantel wallte von den Schultern, mildes Lächeln umspielte die herben Züge – jetzt erhob sich die herrliche Gestalt, sie schritt Ekkehard entgegen: Willkommen in Hadwigs Burgfrieden! Er wusste kaum, wie ihm geschah, und wollte ins Knie sinken, huldreich hob sie ihn empor und winkte dem Kämmerer Spazzo, der warf seinen grauen Reitermantel ab, ging auf Ekkehard zu und umarmte ihn wie einen alten Freund: Im Namen unserer Gebieterin empfanget den Friedenskuss!

Flüchtig zuckte in Ekkehard der Gedanke: soll hier ein Spiel mit mir gespielt werden? aber die Herzogin rief scherzend:

Ihr seid mit gleicher Münze bezahlt. Habt Ihr vor drei Tagen die Herzogin in Schwaben nicht anders als getragen über des heiligen Gallus Schwelle kommen lassen, so war's billig, dass auch sie den Mann von Sankt Gallen in ihr Schloss tragen ließ.

Und Herr Spazzo schüttelte ihm nochmals die Hand und sprach: Nichts für ungut, es war strenger Befehl so! – Er hatte erst den Überfall befehligt und wirkte jetzt zum herzlichen Empfang, beides mit gleich unveränderter gewichtiger Miene, denn ein Kämmerer muss gewandt sein und auch das Widersprechende in Form zu bringen wissen.

Ekkehard lächelte. Für einen Scherz, sagte er, habt Ihr's recht ernsthaft ausgeführt. Er gedachte dabei insbesondere, wie ihm einer der Reitersmänner, da sie ihn in die Sänfte warfen, mit erzbeschlagenem Lanzenschaft einen schweren Stoß in die Seite versetzt. Das stand freilich nicht in der Herzogin Befehl, aber der Reitknecht war schon unter Luitfried, des Kammerboten Neffen, dabei gewesen, wie sie den Bischof Salomo einstmals niederwarfen, und hatte sich von dazumal die irrige Meinung eingeprägt, bei Niederwerfung geistlicher Herren gehöre ein fester Faustschlag, Stoß oder Fußtritt unumgänglich zum Landbrauch.