Aficionados - Der Zauber der Giacomettis

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Alex Bardot

Le Mépris, die Bardot in nur sieben Bildern, ein Strohhut wie ich ihn jetzt Alex aufsetzte: Hut steht ihr gut. Tatsächlich war die gelangweilte Bardot nie mehr so sexy wie in diesem Film, dessen Titel ‘Die Verachtung’ einen schon grübeln lässt, über dieses breite Haarband, die Stirn ganz frei. Alex war es aber zu sexy, geht ja um Mami, Jäckchen, einen Schal, etwas Leichtes zum über die Schulter werfen. In der Strumpfabteilung wurde dann ich fast wahnsinnig, als ich diese glänzenden weißen Strumpfhosen sah und mir Alex’ Beine darin vorstellte: Von der männlichen Warte aus betrachtet, ist das dumme an Sex ja, dass er langweilt. Ist das Glied erst mal drin, denkt man nur noch, wann gibt’s die nächste Zigarette. Alles kommt also darauf an, wie sehr man die Vorgeilheit steigern kann. Da zeigt sich die wahre Fantasie. Würde man Männer fragen, ob sie lieber den ganzen Tag aufgegeilt mit einem Mädchen durch die Stadt ziehen würden, oder sie lieber sofort besteigen, na was würden die meisten antworten? Falsch, ihr Idioten. Die richtige Antwort lautet: Ich will das eine ganze Woche lang machen, nebenher laufen, ohne, dass irgendetwas passiert. Geil sein und bitteschön auch geil machen, die sind ja total bescheuert die Mädchen die dir jeden Wunsch erfüllen, sich in die Pisse in der Seitenstraße vor dich hinknien und dir an der Hosenöffnung einen lutschen. Eben genau das will ich nicht. „Nee, Leo“, winkte Alex ab, und holte mich aus meinen Träumereien zurück, „Hautfarben muss sein“, „och wie langweilig“, sagte ich. „Für dich zieh ich morgen mal n Kleid an und solche Weißen, wenn du willst.“ Ich will, aber ich wollte gerade sagen, das wirst du nicht tun, sonst spring ich dich auf offener Straße an, bekam aber nur ein, „lass uns mal nicht übertreiben“, heraus, „wenn du am Sonntag dein Kleid anziehst für deine Eltern, soll es ja was Besonderes werden, also hier in der Stadt schön weiter in weißen Schlabberhosen rumlaufen.“ „Hast Recht“, sagte sie, „Schlabber Alex bleibt so.“

Alex merkwürdig

Am nächsten Morgen klingelte erneut mein Telefon: „Hier is die Alex!“ Komisch, dachte ich, meine Mission war doch erfüllt? Wir verabredeten uns in der Fußgängerzone, die überfüllt war mit Menschen und Parfüm, aber mir wurde schon hier schwindlig. Als ich da eintraf stand ich keine paar Köpfe von Alex entfernt und stoppte ab. Merkwürdig, dachte ich. Sie sieht so verändert aus. Aus dem Arme hochwerfenden, strammen Schrittes stolzierenden Wesen war eine in sich versunkene, dünne Gestalt geworden. Sie tippte nervös auf ihrem Handy herum, stand da am Rand, dass man Angst haben musste, sie würde umgelaufen. Ich betrachtete sie fast eine Minute lang. Zwar war sie beim Friseur gewesen und hatte sich den Pony auf Liedlänge kürzen lassen, aber der Rest der Haare, an den Seiten, machte aus ihrem Kopf jetzt ein Triptychon mit aufgeklappten Seitenflügeln. Ich ging auf sie zu und räusperte ein: „Ja, naja, der Leo findet eben nicht alles sofort“, damit ich mich nicht so an sie ran schlich, aber Alex sah nur verdutzt auf und tippte schnell noch zu Ende. Die Umarmung war wieder das üblich distanzierte Rumgehampel und ich fragte mich, warum wir uns überhaupt hier trafen. Dann wurde ich drauf gestoßen: „Kuck mal Leo, ich führe meinen Lippenstift aus.“ Den hatte sie schon gestern Abend an, und an jedem ausprobiert, jedem, der wollte, hatte sie einen Kuss gegeben – nur nicht dem Leo. „Au, ich will einen Kussmund“, sagte ich. „Aber der verschmiert doch“, wehrte sie ab. Ich schnappte mir trotzdem ihren Kopf und küsste sie auf ihre großen Lippen, das muss jetzt mal sein. Sie grinste und dann odyssierten wir in der Fußgängerzone herum. Bis wir nen freien Cafétisch fanden, setzte sie sich eine insektoide Sonnenbrille auf, gab mir kurz das Gefühl in einem Raumschiff zu wandeln, neben Space-Alex mit Helm auf. Erst jetzt bemerkte ich ihre große Tasche. Stimmt, heute war ja Samstag, sie musste bald losfahren zu Mamis Party. Als wir so liefen überfiel ich sie einfach verbal: „Hör mal, Alex, wir müssen noch überlegen, wie du das machst, wenn du bei Carl wieder ausziehen willst.“ Sie tat entsetzt, beugte sich zu mir vor: „Carl? Bei dem will ich nicht mal einziehen.“ „Ach komm Alex, ich kenn das schon, is ja auch okay, in ein paar Tagen bin ich wieder weg und dann könnt ihr beide schön machen, aber bitte nicht solange ich hier bin, das will ich mir nicht mit ansehen.“ „Leo, ich will gar nix von dem Carl.“ „Kenn ich schon“, beharrte ich, „die Sonia hat Carl damals von mir auch solange durchtesten lassen, bis er ihr eingeredet hat, ich schlaffe ab und verliere die Lust am Kunstbetrieb, die hat sich gleich den Carl geschnappt, nur, dass der wenig später auch von der Sonia gelangweilt war, so sind sie halt, die Macher. Komm schon, Alex, der fragt mich doch jeden Abend ob du mir gefällst, erst dann interessiert den das überhaupt. Immerhin hält dich hier die Meute für… nun ja…etwas überdreht und über unsere Modeausflüge reißen die schon Witzchen. Dieser verfettete Schauspieler hat mich letzten Abend sogar auf den Mund geküsst, die Sau, die halten mich hier für nen schwulen Mode-Idioten mit feingliedrigen Fingerbewegungen. Und ich sage dir, ich wollt, ich wär schwul, is aber eben nicht so.“ „Pöh“, machte Alex, „bloß weil die schon weiter sind als wir, mehr ausprobieren und wir verzärtelten Heteros denen alles nachmachen?“ „Pöh“, machte ich jetzt auch. „Naja“, sagte Alex, „ich schmeiß ne Menge runter, mir fällt dauernd was auf den Boden.“ „Ideal“, schoss es mir raus. „Dann verwandelst du die Küche mit Gläsern in ein Scherbenfeld und wenn der Carl mit blutigen Füßen in die kleinen Teilchen tritt, dann wirst du ja sehen, ob er es ernst meint mit dir, oder dich rauswirft.“ „Freu mich schon, wenn ich Carl die Bilder von der Party schicke, mit meinem Kleidchen.“ Jetzt war ich von Alex verbal überfallen. „Hör mal, Ich geh mit dir drei Tage auf harte Shopping-Tour, aber die Fotos schickst du Carl?“ „Ach ihr seid doch eh zusammen unterwegs heut Abend und dein altes Handy, Leo…“ Da hatte sie recht, außer Telefonieren ging bei mir nix. „Manchmal hab ich den Eindruck, du magst den Carl gar nicht“, fragte Alex vorsichtig. Ich widersprach: „Naja, für den Erfolg kann er ja nix. Verstehe nur nicht, dass er immer noch weiter macht, wenn einer nix mehr will, soll er doch auch nix mehr machen.“ „Dafür machst du aber auch nichts mehr.“ „Wie denn? Hat sich doch alles verselbständigt. Wenn du ne Weile nichts mehr machst, kommt von dir mehr raus als je zuvor. Mensch Alex, von mir schwirren so viele Remixe rum, dauernd bringen die ein neues Leo-Buch raus, neue Leo-Musik, ich weiß gar nicht, wo die das alles her nehmen. Ich bin doch nich der Prince und dafür musste der ganz schön viel rumspringen, und heute? Beide Gelenke kaputt, Hüftschaden, ein Mann an Krücken.“ Alex unterbrach: „Habt ihr schon Mücke besucht?“ „Mücke?“ „Na eure Regisseurin und Intendanz Studentin.“ „Ach, da wollte Carl heut Nachmittag mit mir hin, liegt im selben Krankenhaus wie der Produzent, Nierensteine.“ „Mach’s gut Leo“, beugte sie sich zu mir runter, gab mir ein sanftes Küsschen auf die Wange, „da steht mein Wagen, ich fahr jetzt los.“ Und da wussten wir beide noch nicht, dass es das letzte Mal sein würd, dass wir uns in Freundschaft gegenüberstehen.

Mücke

Der Produzent hatte aber keine Nierensteine, sondern lag auf der Entzugsabteilung. Als wir um die Ecke bogen, brüllte einer aus seinem Zimmer: „Wo is mein Laptop – ihr verdammten Schweine – ich muss arbeiten – ich bin Produzent – wo is mein…Carl, so eine Überraschung.“ Wir stellten uns an sein Bett, der Arzt kam auch gerade rein. „Meine liebes Produzentenlein!“: „Klappe Mann, ich bin hier auf m Zimmer mit nem Penner, ich will n Einzelzimmer, ich bin vom Film, meine Firma hat n Löwen auf’m Logo und hat schon Kino gemacht, da wusstet ihr noch nicht mal, was Saufen ist.“ „Klar“, sagte Leo, „Löwen-Logo wollen wa ja auch unbedingt haben.“ „Ja“, schimpfte der Produzent,“ abgezockt habt ihr die, so viel mussten die selten für einen mickrigen Film hinblättern.“ Der Arzt fühlte sich nicht so ganz ernst genommen in seinem Haus, weil alle Beteiligten so zwanglos über ihn hinwegredeten, also atmete er tief durch, bekam dann seinerseits einen roten Kopf und lehnte sich zu dem Produzenten hinunter, der da Beine wackelnd aufrecht auf der Bettkante saß und sagte druckvoll: „Hier gibt es keine Penner. Hier sind alle gleich, hier sind nämlich nur die, die woanders nicht mehr sein können.“ Der Produzent blickte kurz aus seiner beleidigten Sitzposition auf. Der Arzt schnurrte weiter: „Und wenn Sie hier mit nem Haufen Zebras die Hütte teilen, hier sind alle gleich und zwar gleich krank. Merken Sie sich das und erst wenn Sie in ein paar Monaten vor mir stehen und glaubwürdig versichern können ‘Ich bin alkoholkrank’, dürfen Sie mal ein bisschen Luft schnuppern.“ „Carl… !“ richtete der Produzent seinen Blick auf den Arzt und dann einfach durch ihn hindurch, „…nimm den Kittelmann zur Seite, wir machen geschäftlich, was redet der hier von Monaten?“ „Zwecklos“, trat der Arzt den Rückzug an, nicht ohne zu erwähnen, ihm sei es egal, und der Herr Produzent könne jederzeit gehen, das sei hier freiwillig, soll er sich doch woanders zugrunde richten. Der Produzent winkte Carl und Leo heran, die sich jeder mit einem Stuhl zu ihm setzten. „Habt ihr die Mücke schon erreicht? Die is verschollen.“ Das meinte der Produzent ernsthaft, aber Carl, grinste: „Nee, die is auch hier im Krankenhaus, hat n Splitter im Fuß, weißt du doch, letztens is die Bühne eingekracht.“ „Wie denn sowas?“ „Ich hab ihr Theaterstück finanziert. Da hat sie auf die Bühne gleich 200 Leute gestellt, sechs Pferde und acht Ziegen, irgendwann haben sich unter dem Getrampel die Holzleisten ergeben. Das sollte ich ersetzen. Ersetzen? fragte ich, kenn ich nicht. Da hab ich gleich das komplette Theater gekauft. Jetzt haben wir alle Sitzreihen rausgerissen und die Zuschauer müssen stehen. Plötzlich ist das Haus immer voll. Und Mücke studiert brav zusätzlich noch Theaterintendanz, da kann se dann gleich alles übernehmen und alleine managen.“ „Bei Mückes Stück kamen doch kaum Leute. Das hatte doch so nen beknackten Titel.“ „Ja: ‘Käse Ziegen Ziegen Käse’, konnte keiner aussprechen, kam auch keiner.“ „Euern Titel müsst ihr auch noch ändern, Carl. ‘So ein geiler Titel…‘ is doch kein Filmtitel.“ „Machen wa schon noch, sind doch schon in den Vorbereitungen, siehste doch, da steht der Leo, der spielt den Leo.“ „Dass der den auch wirklich spielt“, wurde der Produzent eindringlich. „Steht im Vertrag, die ziehen euch das Fell über die Ohren, die haben sich versichern lassen, da zahlt ganz Nordamerika ab, wenn ihr das nicht auf die Reihe kriegt.“ „Aber ich muss doch den Leo spielen, ein bisschen was ham wa ooch kapiert“, konterte Leo. „Und das mit dem Saufen is eben so. Jetzt mal Schluss.“ „Genau“, sagte Carl, „das sagt der richtige“, tippte auf meinen Bauch und zischte: „Weizenbier. Dann mal weiter machen, Herr Produzent, wir schicken euch nen Drehbuchentwurf in ein paar Wochen.“ „Ja schickt mal, dann ist hoffentlich auch mein Laptop wieder aufgetaucht“, er flüsterte: „I saw you only standing there…Huh…huh!“ „He“, protestierte Leo beim Rausgehen, „das is mein Song, mein Text.“ „Ja, ja!“, brüllte der Produzent, „läuft hier stündlich im Radio, red du mal….“ Wir gingen zu Mücke, die mit einem Elefantenfuß über den Flur humpelte: „Zwölf Operationen, zu blöd nen Splitter rauszuholen, Lymphsystem anschneiden, Eiter nich von Schorf unterscheiden können, was n das für n Krankenhaus hier? Schlächter sind das, schlimmer als im Kosovo.“ „Hier is der Leo. “, sagte Carl zu Mücke als Einleitung, „er hat dein Stück aber nich gesehen, war mit Alex in ner Kneipe.“ Wir gingen raus, Mücke begleitend, humpelten wir ein bisschen mit, damit’s was zu lachen gab. Grün. Rasen. Mücke saß mit ihrem Gipsbein mehr schlecht als recht auf dem Rasenstück, von ihrem Joghurtbecher aufsehend, sagte sie zu mir: „Das is jetzt echt aber n Flash, dass du hier vor mir sitzt. Ich kenn dich ja nur als Kunstfigur.“ Da war das Wort wieder. Mir wurde klar, die wird mich auch nicht küssen. „So was bin ich nicht gewohnt“, sagte Mücke, „dass einer wie der Leo leibhaftig vor dir sitzt?“ lachte Carl. „Ich kann ja auch liegen“, sagte ich. „Da siehst du es, Carl, diese Scheiß Berühmtheit lässt die Leute wie durchgeknallte Männchen über die Tische hüpfen oder vor Ehrfurcht zu Stein erstarren.“ „Das schafft die Mücke schon“, sagte Carl, „du musst dich eben mal an die große Welt gewöhnen, sollst ja mal später großes Theater machen und nicht weniger will ich von dir sehen.“ Mücke sah Carl sanft lächelnd an, dann wendete sie das Lächeln zu mir: „Hab schon gehört, bist jetzt Alexens Streetdesigner, Modefachmann sagt man ja nicht mehr, ha, ja, das macht dir wohl Spaß, mit nem schnieken Mädchen Verkäufer zu erschrecken?“ „Oh, der Leo geht da richtig drin auf“, warf Carl ein. „Alex berichtet mir jeden Abend, wie toll es mit ihm ist.“ „Was, die ruft dich dauernd an?“ fragte ich erstaunt. „Naja, ich will die ja auch mal wieder sprechen. Hab dir hier kein Alex-Abo geschenkt.“ „Ach die Alex geht mir auf den Geist“, sagte Mücke und rückte ihre schwarze Brille nochmal zurecht, so eine wie ich sie habe, aber ihre eben mit zwei Bügeln, statt nur einem. „Die geht eigentlich allen früher oder später auf den Geist“, trällerte Mücke, „das dreht sich bei der ja immer im Kreis. Ich bin es leid, mir stundenlang die Wahl der Farbe eines Schals erklärn zu lassen.“ „Ich find’s niedlich“, verteidigte ich als Leo meine Alex. „Du bist ja auch bald wieder weg – wir müssen Frau Spring-Herum hier n ganzes Jahr ertragen.“ „Ich ertrag das gern“, sagte jetzt auch Carl. „Waren gerade beim Produzenten, Saufalarm, kaltgestellt auf der Entzugs.“ „Ja, ja“, sagte Mücke, „der hat ja auch gebechert, sogar bis alle gegangen sind, so n Scheiß Catering machen wa auch nich nochmal, is beim Film wohl so üblich. An alle Anfänger: Wir haben’s schon durch, nie Fressen und Alk hinstellen.“ „Na immerhin“, atmete ich, der Leo, beschwichtigend durch, „sind wir für unseren Film jetzt hier, und haben nen Löwen als Logo“, ich grinste, Mücke grinste nicht. „Na, verstehste?“ sagte Carl, „da brüllt ein Löwe – ein Leo.“

 

Der Vorfall mit dem Papageienkleid

Der Abend wurde spannend, wir warteten in der Küche auf die ersten Meldungen von Alex’ Familienparty. Erstaunlicherweise passierte nichts. Um die Spannung zu erhöhen, bauten wir uns auf dem Küchentisch fast einen Alex-Schrein, voll mit Alex verdächtigem Zeugs, dazu die Bronzefiguren von Giacometti, aufgereiht wie Oscar-Statuen. Carl ließen sie eher kalt. „Was habt ihr denn da getrieben in Augsburg, dass ihr diese hässlichen Dinger hergeschleppt habt?“ Er drehte sie ein bisschen hin-und her, mit sowas dürrem, ungeschliffenen kann man Carl nun wirklich nicht beeindrucken. „Mh, wenn man denen Beutel umhängt könnten sie zumindest als Teekanne...“ „Nee, nee“, sagte ich, „die suchen keine Verwendung, das ist wieder so n Kunstwerk, aus der Not geborn, aus Materialmangel sozusagen. Zu der Zeit als die Dürr-Männchen entstanden sind, war Bronze am einfachsten verfügbar. Und ich finde, da hat er was geschaffen, das sich jeglichem Urteil entzieht, musste erstmal schaffen.“ Carl stimmte zu: „Die haben wirklich keine anachronistisch-nostalgische Ausstrahlung. Aber weshalb so dürre, und so geschlechtslos? Irgendwie deprimieren die mich.“ „Ach nee“, sagte ich, „ich find die lustig, wie die da in ihrer Verkrumpeltheit versuchen, gerade auf zwei Beinen zu stehen, so ganz aufrecht.“ „Na, aber“, sagte Carl, „wenn ich Skulpturen bauen würde, dann doch eher sowas wie die Griechen, in Lebensgröße, da könnte sich doch jeder Mann sein eigenes Modell zum Anfassen anfertigen.“ „Ja“, sagte ich, „ne Wichsvorlage in Echtzeit. Antike-porno. Michelangelo baut sich seine Männer, um ihnen ans Genital zu fassen. Alex würde natürlich die Hände und Füße weglassen.“ „Ja“, sagte Carl, „Torso“, „Nee, El Topo“12, erwiderte ich. „Torso!“ bestand Carl drauf, „da waren die Griechen konsequent, die haben gleich nur noch den Rumpf belassen!“ „Genau, ohne Arme, das gefiele Alex, die beschwert sich doch andauernd über ihre Hängeärmchen.“ „Nee“, wusste Carl, „Konsequenz ist bestimmt nicht Alex’ Stärke.“ Dann klingelte Carls Telefon. Es war dieser Flutsch-Sendeton, als verschluckte sich die Elektronik. Alex schickte ein erstes Foto von ihrer Familienparty, dachten wir zumindest. Beim aus dem Fenster Sehen waren wir verblüfft, es war noch nicht mal dunkel, die hat’s aber eilig. Was wir da noch nicht ahnen konnten, das erste Foto von Alex würde auch das einzige bleiben, für den ganzen Abend. Dafür war es aber auch wirklich top. Es war das Foto von ihrem Kleid, dem Papageienkleid, wie ein Starschnitt sah sie aus, vertikal, von hinten aufgenommen. In diesem Kleid. Tatsächlich, sie stand an die Wand gelehnt, hatte ihr Papageienkleid an, die Arme hoch gebeugt wie zur Leibesvisitation, die flachen Hände angedrückt über Kopf an das Mauerwerk, links und rechts an der Wand. Die vom Nacken abwärts bis zum Po-Ansatz abfallenden Rüschen links und rechts brachten ihren Rücken gut raus, eine wirkliche Bereicherung des ansonsten schlichten Schnitts. Ich hatte das Kleid im Original viel farbenprächtiger in Erinnerung, die Rüschen glatt für Schleifen gehalten, naja, diese Handy-Fotos. Carl scrollte Alex am Handy runter wie ein Pin-up Girl, sogar die Schuhe, die roten Schuhe waren drauf. Wir sendeten ihr ein ‘sehr schick’. Aber Alex schien nicht zufrieden, sie wollte mehr. Wir drehten kleine Videos, in denen wir den Lagerfeld mit Fächer imitierten: Hach diese Alex, diese ultra, kaltblütig, versaute Kleine, lass mich mal durch Claudi, deine Zeit ist um, um-um-um-um und die Heidi – fächerte er, schmatzend mit den Lippen, in Paris kennt sie niemand, wobei ich das niemand so kopfabdrehend sagte, damit man meinen Zopf sieht, den wir aus Spaghettiresten bei mir angepappt hatten. Ich will jetzt zu der Alex! Stimme ungeduldig zittrig, dann Kamerawegschubs. Das machten wir mit spitzem Mund, alles sehr verwackelt. Sie sendete: Schon besser. Ein paar kurze Botschaften noch, der Sonntag, den Alex da verbringen würd, ist ihrer. Carl und ich tranken noch ein bisschen, reichte ja auch für heute. So hingen wir da noch zwei Stunden in der Küche herum. Als wir nicht mehr die Türen fanden, klingelte es plötzlich. Alex stand draußen. „Was?“ sagte Carl in überraschtem Ton, und jubelte: „Alles Scheiße, Alex da!“ Alex lachte, umarmte den Carl, drückte ihn weg. Sie wackelte in ihren roten Schuhen rein, ich stand natürlich blöd genau am anderen Ende wie ne Zielscheibe, und Alex, von ihrer Elternparty, schlupfte die roten High Heels ab, peng flogen die da rum, rannte quer durch den Raum und brüllte: „Leo, Leo!“ dann wackelte sie weiter, nicht mehr in ihren roten Schuhen, nicht mehr im Papageienkleid, sondern Schlabberlook, und ungeschminkt, sah nach Falscheinrichtung aus…sie kam mir mit ausgeweiteten Armen entgegen, als wollte sie zur Landung ansetzen: „Leo, Leo, alles super, alles Scheiße“, Alex aufgekratzt, übermüdet, und gottseidank alles an ihr noch dran, mir war das unangenehm, was sollte denn der Carl denken? „Kommt, ich zeig euch meine Fotos!“ Wir ab in die Küche. Umarmung, Fläschchen aufgemacht, Alex völlig durchgedreht, alkoholisiert, sie sei die Fahrt gerade noch so zurück, volles Gaspedal. Ich dachte, die Fahrt kenn ich. Dann mussten wir lauter gruselige Pärchen ansehen, wie bei einem Hans Moser Film und mittendrin auf den Fotos die durchgeknallte Alex im Papageienkleid. „Wer hat denn die Fotos gemacht?“ „Weiß nich“, kicherte sie, „die sahen alle gleich aus, hab mir von so nem Föni den Autoschlüssel geschnappt, drei, vier durchprobiert, vor’m Haus, keine Ahnung wem der Wagen gehört, der jetzt unten bei Carl geparkt steht. Und hier bin ich.“ „Na“, sagte ich, „meine Alex. Ruh dich aus.“ „Nee, nee, jetzt geht’s erst los. Wir sind doch das erste Mal zu dritt“, ob denn ihre Mami umgekippt sei? wollte ich wissen, Kleid und so. „Mami? Meine Mami?“ fragte Alex verwirrt. „Aber Leo, meine Mami kippt nie um!“ Und wir, das ganze durchspielend, landeten beim Thema Beziehungen. Ich bombardierte Carls Ansichten: Alles Schrott. Aber Alex verbündete sich mit Carl. Die meinten ernsthaft beide, dass eine Beziehung offen sein muss, jeder seinen Freiraum und dieser Blödsinn. Ich legte mich mächtig ins Zeug: Der Mensch ist dein Zuhause, und du bist ein Riesenidiot, wenn du das beschädigst. Irgendwie wurde das eigenartig, dass lustige war, dass die mir gar nicht zuhörten. Ich trank Bierchen und hielt Vorträge, dass Eifersucht auch Schwachsinn ist, ließ mich da hinreißen zu lauter wüstem Gequatsche, und Carl und Alex lobten ihr Dorf. „Aber Leo, so is das hier, ist klein und daher hat jeder schon mit jedem. Is doch alles nur ficki ficki, Leo, is doch egal. Wir kloppen uns doch nich den Kopf voll mit Beziehungsmist. Was?“ Ich dachte, was reden die denn da? Na, is eben schon vorgerückte Stimmung und ich setzte meinen Joseph Mallord William Turner (so heißt der!) ja auch immer ins falsche Jahrhundert. Mir wurde das irgendwann zu bunt, dann klapperte bei Alex die Müdigkeit durch, und Carl bot ihr gleich an, sich gemütlich auf die Couch am Ende des Korridors zu fläzen, war immerhin schon vier Uhr morgens. Carl und ich überlegten, ob wir noch in der Küche weiter saufen sollten, aber Alex gähnte da hinten, drehte sich gemütlich platschend in ihre Couch. Carl gähnte auch und ich schwankte ja eh schon. Als ich ne Weile im Bett lag, dachte ich mir, irgendetwas stimmt nicht, stand auf und ging durch die Räume um nachzusehen, ob Alex da wirklich auf der Couch lag. Tat sie aber nicht, da lag nur die Decke, ich ging durch die Tür auf den Flur von der anderen Seite in Carls Zimmer und da lagen sie. Alex auf der rechten Seite auf dem Bauch, ihre Schultern frei, was man so bei der hochgezogenen Decke erkennen konnte, daneben der Carl. Er blinzelt mich an. Ich sagte: „Ihr seid ja Idioten“, Carl hob den Kopf etwas an. „Musste das sein?“ fragte ich, „hättet ihr nicht die vier Tage warten können? Müsst ihr unbedingt ficken und dann noch im selben Raum, in dem ich bin?“ Ich drehte mich um und stapfte zurück. Aber natürlich konnte ich nicht schlafen, ging da wieder zu denen hin, hielt denen noch mal nen Vortrag, Alex wurd jetzt auch wach. „Leo…“ fing sie an, ich hielt ihr die Hand vor den Mund. „Mal gewinnt man, mal verliert man“, vervollständigte Carl, es klang eher wie irgendwas. „Mensch Leo, wir hatten eben Lust.“ „Ja, aber das könnt ihr doch alles machen, wenn ich weg bin, doch nicht während ich dabei bin“, jammerte ich. „Jetzt habe ich immer dieses Bild im Kopf, wie ihr beide da zusammen im Bett liegt. So…“, schloss ich, „ich komme jetzt alle 20 Minuten, damit ihr’s nur wisst.“ „Na hoffentlich nicht“, sagte Carl. Ich legte mich auf mein Bett und schlief ein.

 

12 Alejandro Jodorowsky – El Topo 1970 – Ein Mann reitet mit einem kleinen Jungen ohne Arme und Beine aus der Ferne entgegen und schießt 1 ½ Stunden alles nieder was sich ihm in den Weg stellt. Die karge mexikanische Landschaft, die rauen Gesichter, die ärmlichen Lebensbedingungen, all das hat so gar nichts von den üblichen schwelgerischen Western. So etwas auf Film zu bannen ist gar nicht so einfach, weil vor der Kamera das meiste eher Glanz bekommt und auch Müllhalden noch was ästhetisch fotogenes aufweisen. In diesem Film definitiv nicht. Für Alejandro Jodorowsky, der vor David Lynch ‘Der Wüstenplanet’ von Frank Herbert verfilmen wollte, schuf der Schweizer Sprühpistolen-Künstler H. R. Giger die Welt der Harkonnen, zu sehen in seinem Buch „Necronomicon“(143/1), (ISBN 3-85591-019-7). Es handelt sich um Panzermaschinen und larvenähnliche Wesen, flach sich gegenüberliegend in langen Angriffsreihen mit ausgestreckten Spitzbohrern statt Armen. Verwendet für den Film wurden seine Entwürfe aber nie. Giger ließ sich von vielen Foltermethoden inspirieren, so der chinesischen Folter, einer Pfählung bei der dem Opfer langsam alle Gliedmassen abgeschnitten wurden, sowie die Foltermethoden eines gewissen Vlad Tepes, genannt Graf Dracula. Giger hielt übrigens Andy Warhols Dracula Film für den besten, aus H.R. Giger ARh +, Taschen Verlag. (12/1)Das Necronomicon ist ein Zauberbuch, von H. P. Lovecraft in die Science-Fiction Literatur eingeführt,, eine Art Museum voller Abscheulichkeiten und Perversionen, das erst Giger in Bildern zu Leben erweckte. Information entnommen aus ‘Edition C Zürich’.