Die Abenteuer des Kapitän Hatteras

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Waf­fen wur­den we­ni­ge mit­ge­nom­men, aber eine Kam­mer mit Pul­ver ge­füllt, was be­un­ru­hi­gen konn­te; denn die ein­zi­ge Ka­no­ne an Bord konn­te sol­ches Be­dürf­nis nicht ha­ben. Eben­so wur­de für rie­sen­haf­te Sä­gen ge­sorgt und star­ke Werk­zeu­ge, wie Ho­bel, blei­er­ne Keu­len, Hand­sä­gen, enor­me Bei­le usw., dazu eine an­sehn­li­che Men­ge Spreng­zy­lin­der, wo­mit man das gan­ze Zoll­ge­bäu­de Li­ver­pools in die Luft spren­gen konn­te, Ra­ke­ten und Kunst­feu­er zu Si­gna­len, Fana­le al­ler Art.


Die zahl­rei­chen Zuschau­er auf den Kais von New-Prin­ces-Docks be­wun­der­ten fer­ner ein lan­ges Wal­fisch­boot von Ma­ha­go­ni, eine Pi­rogue von Blech mit Gut­ta­per­cha3 be­zo­gen, und eine An­zahl Hal­kett-boafs, Kaut­schu­k­über­zü­ge, wel­che man durch Auf­bla­sen in Ca­nots ver­wan­deln konn­te. Je­der fühl­te sich umso mehr be­un­ru­higt, als mit der sin­ken­den Flut der For­ward zu sei­ner ge­heim­nis­vol­len Be­stim­mung ab­zu­fah­ren im Be­griff war.

1 Kon­tor, Nie­der­las­sung ei­nes Han­dels­un­ter­neh­mens <<<

2 Mi­schung aus zer­sto­ße­nem Dörr­fleisch und Fett, die die In­dia­ner Nord­ame­ri­kas als Rei­se­pro­vi­ant und Notra­ti­on nutz­ten. <<<

3 gum­mi­ar­ti­ger, kau­tschu­k­ähn­li­cher Na­tur­stoff <<<

Zweites Kapitel – Ein unerwarteter Brief

Das Schrei­ben, wel­ches Richard Shan­don acht Mo­na­te zu­vor er­hal­ten hat­te, lau­te­te wört­lich:

Aber­de­en, den 2. Au­gust 1859.

»Herrn Richard Shan­don, Li­ver­pool.

Mein Herr!

Ge­gen­wär­ti­ges soll Sie in Kennt­nis set­zen, dass sech­zehn­tau­send Pfd. Ster­ling dem Bank­hau­se Mar­cuart & Cie. in Li­ver­pool zu­ge­stellt wor­den sind. Hier bei­fol­gend eine Rei­he von An­wei­sun­gen mit mei­ner Un­ter­schrift, mit wel­chen Sie über Sum­men bis zu dem ge­dach­ten Be­trag ver­fü­gen kön­nen.

Sie ken­nen mich nicht; dar­auf kommt we­nig an. Ich ken­ne Sie, und das ist die Haupt­sa­che.

Ich bie­te Ih­nen die Stel­le des Un­ter­be­fehls­ha­bers an Bord der Brigg For­ward zu ei­ner Ex­pe­di­ti­on, die lang und ge­fähr­lich sein kann.

Leh­nen Sie ab, so ist’s nichts. Neh­men Sie an, so sol­len Sie fünf­hun­dert Pfund als Ge­halt emp­fan­gen, und nach Ver­lauf je­des Jah­res, so­lan­ge die Un­ter­neh­mung dau­ert, soll Ihr Ge­halt um ein Zehn­tel er­höht wer­den.


Die Brigg For­ward exis­tiert noch nicht. Sie müs­sen sie noch bau­en las­sen, so­dass sie spä­tes­tens zu An­fang April 1860 in die See ste­chen kann. Hier­bei folgt ein de­tail­lier­ter Plan mit Au­friss. Sie ha­ben sich pünkt­lich dar­an zu hal­ten. Das Schiff soll in den Werf­ten der Her­ren Scott & Cie. ge­zim­mert wer­den, mit wel­chen Sie sich dar­über zu be­neh­men ha­ben.

Ich emp­feh­le Ih­nen ganz be­son­ders die Be­man­nung des For­ward; sie wird be­ste­hen aus ei­nem Ka­pi­tän, der bin ich, ei­nem Lieu­ten­ant, Sie, ei­nem drit­ten Of­fi­zier, ei­nem Rüst­meis­ter, zwei Ma­schi­nis­ten, ei­nem Eis­meis­ter, acht Ma­tro­sen und zwei Hei­zern, zu­sam­men acht­zehn Mann, in­be­grif­fen den Dok­tor Cla­w­bon­ny aus die­ser Stadt, wel­cher zu ge­hö­ri­ger Zeit bei Ih­nen er­schei­nen wird.

Die zur Teil­nah­me an der Ex­pe­di­ti­on des For­ward be­ru­fe­nen Leu­te müs­sen Eng­län­der sein, frei, ohne Fa­mi­lie, un­ver­hei­ra­tet, nüch­tern (denn geis­ti­ge Ge­trän­ke und selbst Bier wer­den an Bord nicht ge­dul­det), be­reit al­les zu un­ter­neh­men und al­les zu er­tra­gen. Sie wer­den die­sel­ben vor­zugs­wei­se aus Leu­ten von san­gui­ni­scher Lei­bes­be­schaf­fen­heit wäh­len, wel­che eben des­halb das Le­ben­s­prin­zip tie­ri­scher Wär­me in hö­he­rem Gra­de in sich ent­hal­ten.

Sie bie­ten ih­nen das Fünf­fa­che ih­res ge­wöhn­li­chen Sol­des, mit ei­ner jähr­li­chen Zu­la­ge von ei­nem Zehn­tel. Bei Been­di­gung der Un­ter­neh­mung wer­den je­dem der­sel­ben fünf­hun­dert Pfund zu­ge­si­chert, und zwei­tau­send Pfund Ih­nen. Die­se Gel­der wer­den von den ob­ge­dach­ten Her­ren Mar­cuart & Cie. be­zo­gen.

Die­se Un­ter­neh­mung wird lan­ge dau­ern und voll Stra­pa­zen, aber eh­ren­voll sein. Sie ha­ben sich also nicht zu be­sin­nen, Herr Shan­don.

Ant­wort pos­te re­stan­te1 Gö­te­borg (Schwe­den) un­ter K. Z.

P. S. Sie wer­den künf­ti­gen fünf­zehn­ten Fe­bru­ar einen großen dä­ni­schen Hund mit her­ab­hän­gen­den Lef­zen, schwärz­lich fahl mit schwar­zen Qu­er­strei­fen emp­fan­gen. Sie wol­len ihm an Bord eine Stät­te an­wei­sen und ihm Gers­ten­brot ver­mischt mit Brü­he von Talg­brot zum Fut­ter ge­ben. Den Empfang des Hun­des mel­den Sie nach Li­vor­no un­ter glei­chen Buch­sta­ben wie oben.

Der Ka­pi­tän des For­ward wird zu pas­sen­der Zeit sich ein­fin­den und zu er­ken­nen ge­ben. Im Au­gen­blick der Ab­fahrt wer­den Sie neue In­struk­tio­nen be­kom­men.

Der Ka­pi­tän des For­ward

K. Z.«


1 post­la­gernd <<<

Drittes Kapitel – Der Doktor Clawbonny

Richard Shan­don war ein gu­ter See­mann; er hat­te lan­ge Zeit Wal­fisch­fän­ger in den Nord-Po­lar­mee­ren kom­man­diert und da­bei in ganz Lan­cas­ter einen fest be­grün­de­ten Ruf ge­won­nen. Ein sol­cher Brief konn­te mit Recht tie­fen Ein­druck ma­chen; dies ge­sch­ah denn auch bei ihm, doch blieb er kalt­blü­tig.

Er be­fand sich zu­dem in den ge­wünsch­ten Ver­hält­nis­sen; we­der Frau, noch Kin­der, noch Ver­wand­te; ein frei­er Mann, wie ir­gend ei­ner. Da er also mit nie­mand zu be­ra­ten hat­te, be­gab er sich stracks zu den Ban­kiers Mar­cuart & Cie.

»Wenn das Geld da ist«, sag­te er sich, »kommt das üb­ri­ge von selbst.«

Er wur­de in dem Bank­hau­se mit den Rück­sich­ten emp­fan­gen, wel­che man ei­nem Man­ne zollt, auf den sech­zehn­tau­send Pfund ru­hig in ei­ner Kas­se war­ten. Als die­ser Punkt im rei­nen war, ließ sich Shan­don ein Blatt wei­ßes Pa­pier ge­ben und mel­de­te mit der­ber See­manns­hand­schrift sei­ne An­nah­me un­ter der an­ge­ge­be­nen Adres­se.

Noch den­sel­ben Tag setz­te er sich mit den Schiff­bau­meis­tern zu Bir­ken­head in Ver­bin­dung, und vier­und­zwan­zig Stun­den nach­her lag be­reits der Kiel des For­ward der Län­ge nach auf den Sta­pel­blö­cken des Zim­mer­plat­zes.

Richard Shan­don war ein Jung­ge­sel­le von vier­zig Jah­ren, kräf­tig, ener­gisch und tap­fer, drei Vor­zü­ge ei­nes See­manns, denn sie ver­lei­hen Zu­ver­sicht, Nach­druck und Kalt­blü­tig­keit. Er war als ein ei­fer­süch­ti­ger und schwer zu be­frie­di­gen­der Cha­rak­ter be­kannt, da­her auch nie von sei­nen Ma­tro­sen ge­liebt, viel­mehr ge­fürch­tet. Die­ser Ruf ging üb­ri­gens nicht so­weit, dass er ihm Mühe ver­ur­sacht hät­te, sei­ne Mann­schaft zu­sam­men­zu­brin­gen, denn man wuss­te, dass er ge­wandt sich aus der Not her­aus­zu­zie­hen ver­moch­te.

Shan­don be­sorg­te, die ge­heim­nis­vol­le Sei­te möge ge­eig­net sein, ihn in sei­nem Vor­ge­hen zu hem­men.

»So ist’s denn auch am bes­ten«, sag­te er sich, »nichts laut wer­den zu las­sen; es gibt See­hun­de, die möch­ten auch das Weil und Wa­rum der Sa­che wis­sen, und da ich nichts weiß, so wäre ich sehr in Ver­le­gen­heit, ih­nen zu ant­wor­ten. Die­ser K. Z. ist si­cher ein son­der­li­cher Ge­sel­le; aber schließ­lich kennt er mich und rech­net auf mich: Das ge­nügt. Sein Schiff soll hübsch her­ge­rich­tet wer­den, und ich will nicht Richard Shan­don hei­ßen, wenn es nicht die Be­stim­mung hat, das Eis­meer zu be­fah­ren. Aber das wol­len wir un­ter uns be­hal­ten.«

Da­rauf ließ sich Shan­don an­ge­le­gen sein, sei­ne Mann­schaft auf­zu­brin­gen, und zwar ge­nau un­ter den vom Ka­pi­tän vor­ge­schrie­be­nen Be­din­gun­gen.

Er kann­te einen wa­cke­ren, sehr er­ge­be­nen Bur­schen, der ein gu­ter See­mann war, Ja­mes Wall mit Na­men. Der­sel­be moch­te drei­ßig Jah­re alt sein und hat­te schon mehr­mals die nörd­li­chen Mee­re be­sucht. Shan­don bot ihm die Stel­le ei­nes drit­ten Of­fi­ziers an, und Ja­mes Wall nahm ohne wei­te­res an; es war ihm nur um die Fahrt zu tun. Shan­don setz­te ihm die Sa­che im De­tail aus­ein­an­der, und eben­so ei­nem ge­wis­sen John­son, den er zu sei­nem Rüst­meis­ter mach­te.


»Ein groß’ Glück ist’s nicht«, er­wi­der­te Ja­mes; »so viel wert als sonst et­was. Han­delt sich’s dar­um, die nord­west­li­che Durch­fahrt zu su­chen, so kann man wie­der heim­keh­ren.«

»Nicht im­mer«, er­wi­der­te Meis­ter John­son; »aber es ist das doch kein Grund, um die Fahrt nicht zu ma­chen.«

»Üb­ri­gens, ir­ren wir nicht in un­sern Ver­mu­tun­gen«, fuhr Shan­don fort, »so muss man zu­ge­ben, dass die Fahrt un­ter güns­ti­gen Um­stän­den vor sich geht. Der For­ward wird ein vor­züg­li­ches Schiff sein, und mit ei­ner gu­ten Ma­schi­ne ver­se­hen kann er weit fah­ren. Wir brau­chen nur acht­zehn Mann im gan­zen.«

 

»Acht­zehn Mann«, ver­setz­te Meis­ter John­son; »so viel hat­te der Ame­ri­ka­ner Kane an Bord, als er sei­ne be­rühm­te Fahrt nach dem Pol un­ter­nahm.«

»Es ist im­mer höchst auf­fal­lend«, fuhr Wall fort, »dass ein Pri­vat­mann noch ein­mal den Ver­such macht, durch das Meer von der Da­vis- zur Beh­rings-Stra­ße zu drin­gen. Die zum Auf­fin­den des Ad­mi­rals Fran­klin aus­ge­schick­ten Ex­pe­di­tio­nen ha­ben Eng­land schon über sie­ben­hun­dert­und­sech­zig­tau­send Pfund ge­kos­tet, ohne zu ir­gend­ei­nem prak­ti­schen Re­sul­tat zu füh­ren! Wer zum Teu­fel kann noch­mals sein Ver­mö­gen an eine sol­che Un­ter­neh­mung set­zen?«

»Vor al­lem, Ja­mes«, er­wi­der­te Shan­don, »rä­so­nie­ren wir über eine blo­ße Ver­mu­tung. Ob wir wirk­lich in die nörd­li­chen oder süd­li­chen Po­lar­mee­re fah­ren wer­den, weiß ich nicht. Vi­el­leicht han­delt sich’s dar­um, eine neue Ent­de­ckung zu ver­su­chen. Üb­ri­gens soll über kurz oder lang ein ge­wis­ser Dok­tor Cla­w­bon­ny sich ein­fin­den, der wird ohne Zwei­fel mehr da­von wis­sen und Auf­trag ha­ben, uns dar­über zu un­ter­wei­sen. Wer­den schon se­hen.«

»So war­ten wir also ab«, sag­te Meis­ter John­son. »Ich mei­nes­teils will nun tüch­ti­ge Un­ter­ge­be­ne auf­su­chen, Kom­man­dant, und was ihr Prin­zip der Le­bens­wär­me, wie der Ka­pi­tän sagt, be­trifft, so will ich zum vor­aus da­für ein­ste­hen. Sie kön­nen sich auf mich ver­las­sen.«

Die­ser John­son war ein sehr schätz­ba­rer Mann; er war mit der Schiff­fahrt in den ho­hen Brei­ten­gra­den ver­traut. Er hat­te sich als Quar­tier­meis­ter an Bord des Phö­nix be­fun­den, wel­cher zu den im Jah­re 1853 zum Auf­su­chen Fran­klins ent­sen­de­ten Ex­pe­di­tio­nen ge­hör­te; die­ser wa­cke­re See­mann war so­gar beim Tod des fran­zö­si­schen Lieu­ten­ants Bel­lot zu­ge­gen, wel­chen er bei sei­ner Fahrt durch die Eis­ber­ge be­glei­te­te. John­son kann­te das Ma­tro­sen­per­so­nal zu Li­ver­pool, und mach­te sich so­gleich ans Werk, sei­ne Leu­te zu­sam­men­zu­brin­gen.

Shan­don, Wall und er hat­ten sol­chen Er­folg, dass schon in den ers­ten De­zem­ber­ta­gen ihre Mann­schaft voll­stän­dig bei­sam­men war; doch ging es nicht ohne Schwie­rig­kei­ten ab; vie­le, die wohl durch die hohe Löh­nung sich an­lo­cken lie­ßen, wur­den doch durch die un­be­stimm­te Zu­kunft der Ex­pe­di­ti­on ab­ge­schreckt, und man­cher ließ sich zwar ent­schlos­sen an­wer­ben, kam aber nach ei­ni­ger Zeit wie­der, um sein Wort und Drauf­geld zu­rück­zu­ge­ben. Alle ver­such­ten üb­ri­gens durch das Ge­heim­nis zu drin­gen, und dräng­ten den Kom­man­dan­ten Richard mit Fra­gen; der­sel­be ver­wies sie an Meis­ter John­son.

»Was willst du, dass ich dir sa­gen soll, mein Freund!« er­wi­der­te der letz­te­re un­ab­än­der­lich. »Ich weiß nicht mehr als du. Je­den­falls wirst du dich in gu­ter Ka­me­rad­schaft be­fin­den mit un­er­schro­cke­nen Ge­sel­len, die nicht wan­ken; das ist schon et­was! Also nicht so viel Be­den­ken! Es gilt an­neh­men oder las­sen!«

Und die meis­ten nah­men an.

»Du be­greifst wohl«, füg­te manch­mal der Rüst­meis­ter bei, »dass mir die Wahl wehe tut. Eine so hohe Löh­nung, wie man sie noch nie­mals er­lebt hat, mit der Ge­wiss­heit, bei sei­ner Rück­kehr ein hüb­sches Ka­pi­tal bei­sam­men zu ha­ben, so et­was kann doch wohl an­zie­hen.«

»Al­ler­dings«, er­wi­der­ten die Ma­tro­sen, »das ist sehr ver­füh­re­risch! Ein gu­tes Aus­kom­men bis ans Ende sei­ner Tage!«

»Ich will in­des nicht ver­heh­len«, fuhr dann John­son fort, »dass die Un­ter­neh­mung lang­wie­rig, mü­he­voll und ge­fähr­lich ist; das steht aus­drück­lich in un­se­ren In­struk­tio­nen; also muss man sich wohl mer­ken, wozu man sich ver­bind­lich macht; sehr wahr­schein­lich, al­les Men­schen­mög­li­che zu ver­su­chen und viel­leicht noch mehr! Also hast du nicht Mut im Her­zen, einen er­prob­ten Cha­rak­ter, hast du nicht den Teu­fel im Lei­be, magst du dir nicht sa­gen, dass zwan­zig ge­gen eins du da­beiblei­ben kannst, kurz, ist es dir dar­um zu tun, dass du dei­ne Haut lie­ber an dem Ort läs­sest, wie an ei­nem an­de­ren – so keh­re mir den Rücken und über­lass dei­nen Platz ei­nem küh­ne­ren Ge­sel­len!«

»Aber doch, Meis­ter John­son«, fuhr der Ma­tro­se, wenn ihm so zu­ge­setzt wur­de, fort, »Sie ken­nen doch we­nigs­tens den Ka­pi­tän?«

»Ka­pi­tän ist Freund Richard Shan­don, bis dass ein an­de­rer an sei­ne Stel­le tritt.«

Das war auch wohl die Mei­nung des Kom­man­dan­ten; er gab sich gern der Idee hin, dass er im letz­ten Mo­ment sei­ne ge­nau­en In­struk­tio­nen über das Rei­se­ziel er­hal­ten und dann Chef an Bord des For­ward blei­ben wer­de. Er ver­brei­te­te auch gern die­se Mei­nung, sei’s im Ge­spräch mit sei­nen Of­fi­zie­ren, sei’s im Ver­lauf der Schiff­bau­ar­bei­ten.

Shan­don und John­son hiel­ten sich stren­ge an die hin­sicht­lich der Ge­sund­heit der Mann­schaft ge­ge­be­nen Vor­schrif­ten; die­sel­be hat­te ein be­frie­di­gen­des Aus­se­hen; ihre elas­ti­schen Glie­der, ihre kla­re und blü­hen­de Haut­far­be zeig­te, dass sie die strengs­te Käl­te aus­zu­hal­ten fä­hig wa­ren. Es wa­ren zu­ver­sicht­li­che und ent­schlos­se­ne Män­ner, ener­gisch und von dau­er­haf­ter Lei­bes­be­schaf­fen­heit.

Matrosenunterhaltung über den Forward

Die ge­sam­te Mann­schaft ge­hör­te dem pro­tes­tan­ti­schen Re­li­gi­ons­be­kennt­nis an; das ge­mein­sa­me Ge­bet, das Bi­bel­le­sen trägt oft dazu bei, wi­der­wär­ti­ge Ge­mü­ter in Ein­tracht zu hal­ten und zur­zeit der Ent­mu­ti­gung auf­zu­rich­ten. Shan­don wuss­te aus Er­fah­rung, wie er­sprieß­lich die­se Ge­wohn­hei­ten in ih­rem Ein­fluss auf die Sitt­lich­keit ei­ner Mann­schaft sind.

Hier­auf be­sorg­ten Shan­don und sei­ne bei­den Of­fi­zie­re die Ver­pro­vi­an­tie­rung, wo­bei sie sich streng an die In­struk­tio­nen des Ka­pi­täns hiel­ten, wel­che klar, prä­zis und ins ein­zel­ne ge­hend wa­ren und die Quan­ti­tät wie Qua­li­tät der ge­rings­ten Ar­ti­kel vor­schrie­ben. Die emp­fan­ge­nen An­wei­sun­gen setz­ten den Kom­man­dan­ten in­stand, je­den Ar­ti­kel bar zu be­zah­len, mit ei­nem Dis­kont von acht Pro­zent, wel­chen Richard Shan­don pünkt­lich zu­guns­ten des K. Z. ein­trug.

Mann­schaft, Pro­vi­ant, La­dung, al­les war im Ja­nu­ar 1860 be­reit und fer­tig. Shan­don fand sich tag­täg­lich zu Bir­ken­head ein.

Am 23. Ja­nu­ar vor­mit­tags be­fand er sich sei­ner Ge­wohn­heit nach auf ei­ner der brei­ten Dampf­bar­ken, wel­che an bei­den En­den mit ei­nem Steu­er ver­se­hen un­abläs­sig die Über­fahrt von ei­nem Ufer der Mer­sey ans an­de­re be­sor­gen; es herrsch­te da­mals ei­ner der ge­wöhn­li­chen Ne­bel, wel­cher die Boots­leu­te des Flus­ses nö­tig­te, sich des Kom­pas­ses zu be­die­nen, ob­wohl die Über­fahrt kaum zehn Mi­nu­ten währt.

In­des­sen, so dick die­ser Ne­bel war, sah Shan­don durch den­sel­ben hin­durch einen Mann von un­ter­setz­ter Sta­tur, et­was dick, mit fei­nen, mun­te­ren Ge­sichts­zü­gen und freund­li­chem Blick, der auf ihn zu­ging, sei­ne bei­den Hän­de er­griff und mit ei­ner Wär­me und Ver­trau­lich­keit schüt­tel­te, die, wie die Fran­zo­sen sich aus­drücken »ganz süd­lich« war.

Ankunft des Doktor Clawbonny

Aber war die­ser Mann auch nicht aus dem Sü­den, so kam er doch eben von dort; er sprach und ges­ti­ku­lier­te flink; sein Ge­dan­ke mach­te sich Luft um je­den Preis; sei­ne Au­gen, klein wie die ei­nes Man­nes von Geist, sein großer, be­weg­li­cher Mund ga­ben der Üb­er­fül­le des In­ne­ren einen Aus­weg; er sprach so viel und so leb­haft, dass Shan­don, of­fen ge­stan­den, nichts da­von ver­stand.


Doch er­kann­te der Schiffs­lieu­ten­ant so­gleich den klei­nen Mann, ob­schon er ihn nie ge­se­hen hat­te; und als die­ser ein­mal Atem hol­te, äu­ßer­te Shan­don:

»Der Dok­tor Cla­w­bon­ny?«

»Er selbst, in eig­ner Per­son, Kom­man­dant! Seit ei­ner vol­len Vier­tel­stun­de su­che ich Sie, fra­ge al­ler­wärts nach Ih­nen! Sie sind es also, Kom­man­dant Richard Shan­don? Sie sin­d’s leib­haf­tig? Kei­ne My­the also? Ihre Hand, Ihre Hand! Dass ich sie noch­mals drücke. Wenn es nun einen Kom­man­dan­ten Richard Shan­don gibt, so gibt es auch eine Brigg For­ward un­ter sei­nem Be­fehl; und wenn er ab­fährt, wird er den Dok­tor Cla­w­bon­ny mit­neh­men.«

»Ja­wohl, Dok­tor, ich bin Richard Shan­don, es exis­tiert eine Brigg For­ward, die wird ab­fah­ren!«

»Das ist lo­gisch«, er­wi­der­te der Dok­tor. »Da­rum bin ich auch so froh, auf der Höhe mei­ner Wün­sche! Seit lan­ger Zeit war­te­te ich auf eine sol­che Ge­le­gen­heit voll Sehn­sucht, eine sol­che Rei­se zu ma­chen. Nun, mit Ih­nen, Kom­man­dant …«

»Ge­stat­ten Sie …« sag­te Shan­don.

»Mit Ih­nen«, fuhr Cla­w­bon­ny fort, ohne ihn zu hö­ren, »wer­den wir ge­wiss weit fah­ren, und kei­nen Fuß­breit wei­chen.«

»Aber …« ver­setz­te Shan­don.

»Denn Sie ha­ben schon Pro­ben ab­ge­legt, Kom­man­dant, und ich weiß, was Sie ge­leis­tet ha­ben. Ah! Sie sind ein stol­zer See­mann!«

»Wol­len Sie die Güte ha­ben …«

»Nein, ich will Ihre Kühn­heit, Ihre Tap­fer­keit und Ge­schick­lich­keit nicht einen Au­gen­blick in Zwei­fel ge­zo­gen ha­ben, nicht ein­mal von Ih­nen! Der Ka­pi­tän, der Sie zu sei­nem Stell­ver­tre­ter ge­wählt hat, ver­steht sich dar­auf, da­für bür­g’ ich!«

»Aber dar­um han­delt sich’s nicht«, sag­te Shan­don un­ge­dul­dig.

»Und warum han­delt sich’s denn? Sie las­sen mich lan­ge schmach­ten.«

»Sie las­sen mich ja nicht re­den, zum Hen­ker! Sa­gen Sie mir nur freund­li­cher­wei­se, Dok­tor, wie sind Sie dazu ge­bracht wor­den, an der Ex­pe­di­ti­on des For­ward teil­zu­neh­men?«

»Nur durch einen Brief, den ich hier Ih­nen vor­wei­se; er ist sehr la­ko­nisch, aber hin­rei­chend!«

Mit die­sen Wor­ten über­reich­te er Shan­don das Schrei­ben, wel­ches also lau­te­te:

»In­ver­neß, den 22. Ja­nu­ar 1860.

An den Dok­tor Cla­w­bon­ny, Li­ver­pool.

Wenn der Dok­tor Cla­w­bon­ny sich für eine lan­ge dau­ern­de Ex­pe­di­ti­on auf dem For­ward ein­schif­fen will, kann er sich dem Kom­man­dan­ten Richard Shan­don vor­stel­len, wel­cher da­für in­stru­iert ist.

Der Ka­pi­tän des For­ward.

K. Z.«

»Der Brief ist die­sen Vor­mit­tag an­ge­kom­men, und ich bin schon be­reit, an Bord des For­ward zu ge­hen.«

»Aber doch«, fuhr Shan­don fort, »wis­sen Sie, Dok­tor, worin der Zweck die­ser Rei­se be­steht?«

»Durchaus nicht; aber was liegt dar­an? Gehe ich nur ir­gend­wo­hin. Man nennt mich einen Ge­lehr­ten; der bin ich nicht, Kom­man­dant, ich weiß nichts, und wenn ich ei­ni­ge Bü­cher schrieb, die Ab­satz fin­den, so tat ich nicht wohl dar­an, das Pub­li­kum ist wohl so gü­tig, sie zu kau­fen. Ich weiß nichts, sag’ ich Ih­nen; nur das weiß ich, dass ich nichts weiß. Nun bie­tet man mir an, mei­ne Kennt­nis­se zu ver­voll­stän­di­gen, oder, bes­ser ge­sagt, mir erst Kennt­nis­se zu er­wer­ben in Me­di­zin, Chir­ur­gie, Ge­schich­te, Geo­gra­fie, Bo­ta­nik, Mi­ne­ra­lo­gie, Kon­chy­lio­lo­gie,1 Geo­dä­sie,2 Che­mie, Phy­sik, Mecha­nik, Hy­dro­gra­fie. Nun, ich nahm’s an und ver­si­che­re Sie, dass ich mich nicht bit­ten las­se!«

»So wis­sen Sie also nicht«, fuhr Shan­don ver­drieß­lich fort, »wo­hin der For­ward ge­hen soll?«

»O ja, Kom­man­dant, er fährt da­hin, wo es et­was zu ler­nen, zu ent­de­cken, sich zu be­leh­ren, zu ver­glei­chen gibt, wo man an­de­re Sit­ten, an­de­re Län­der, an­de­re Völ­ker trifft, um sie bei ih­ren Ver­rich­tun­gen zu stu­die­ren; er fährt, mit ei­nem Wort, da­hin, wo ich noch nie­mals ge­we­sen bin.«

»Aber spe­zi­el­ler?« rief Shan­don.

»Spe­zi­el­ler«, er­wi­der­te der Dok­tor, »ich hör­te sa­gen, er fah­re in die Nord­mee­re. Gut, ich bin es zu­frie­den nach Nor­den!«

»Sie ken­nen doch«, frag­te Shan­don, »den Ka­pi­tän des Schif­fes?«

»Im min­des­ten nicht! Aber, Sie dür­fen mir’s glau­ben, ’s ist ein wa­cke­rer Mann!«

Als der Kom­man­dant und der Dok­tor zu Bir­ken­head aus­ge­stie­gen wa­ren, mach­te je­ner die­sen mit der Sach­la­ge be­kannt, und die­ses Ge­heim­nis ent­zün­de­te die Fan­ta­sie des Dok­tors. Beim An­blick der Brigg war er über die Ma­ßen er­freut. Seit die­sem Tag wich er Shan­don nicht von der Sei­te und be­such­te je­den Mor­gen den Rumpf des For­ward.

 

Auch wur­de er be­son­ders be­auf­tragt, die Ein­rich­tung der Phar­ma­zie an Bord zu über­wa­chen.

Denn die­ser Cla­w­bon­ny war Arzt, und so­gar ein gu­ter Arzt, aber mit we­nig Pra­xis. Im fünf­und­zwan­zigs­ten Jah­re ein Dok­tor wie alle an­de­ren, war er im vier­zigs­ten ein ech­ter Ge­lehr­ter; sehr ge­kannt in der gan­zen Stadt, wur­de er ein ein­fluss­rei­ches Mit­glied der li­te­ra­ri­schen und phi­lo­so­phi­schen Ge­sell­schaft zu Li­ver­pool. Sein klei­nes Ver­mö­gen ge­stat­te­te ihm, un­ent­gelt­lich Rat zu er­tei­len, der dar­um nicht min­der Wert hat­te; ge­liebt, wie es ei­nem aus­neh­mend lie­bens­wür­di­gen Mann ge­bühr­te, füg­te er nie je­mand ein Leid zu, nicht ein­mal sich sel­ber; leb­haft und red­se­lig, wenn man will, aber das Herz in der Hand, reich­te er die­se je­der­mann.

Als sich in der Stadt das Gerücht von sei­ner Auf­nah­me an Bord des For­ward ver­brei­te­te, bo­ten sei­ne Freun­de al­les auf, ihn zu­rück­zu­hal­ten; aber das be­stärk­te ihn nur umso mehr in sei­nem Vor­ha­ben. Wenn aber der Dok­tor ir­gend­wo Wur­zel ge­fasst hat­te, ge­hör­te viel dazu, um ihn wie­der von die­sem Bo­den aus­zu­rei­ßen!

Von die­sem Tage an nah­men die Ver­mu­tun­gen und Be­fürch­tun­gen in stei­gen­dem Maße zu; aber das hin­der­te nicht, dass der For­ward am 5. Fe­bru­ar 1860 vom Sta­pel lief. Zwei Mo­na­te spä­ter war er zum Aus­lau­fen be­reit.

Am 15. Fe­bru­ar, wie das Schrei­ben des Ka­pi­täns an­ge­kün­digt hat­te, wur­de auf der Ei­sen­bahn von Edin­bur­gh nach Li­ver­pool ein Hund dä­ni­scher Ras­se an Richard Shan­don über­schickt.


Das Tier schi­en tückisch, scheu, selbst ein we­nig schlimm, mit ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Blick. Auf sei­nem kup­fer­nen Hals­band war die In­schrift For­ward. Der Kom­man­dant wies ihm so­gleich an Bord sei­ne Stät­te an und mel­de­te den Empfang un­ter den an­ge­ge­be­nen Buch­sta­ben an Li­vor­no.

So war also bis auf den Ka­pi­tän die Be­man­nung voll­stän­dig. Sie be­stand aus:

1. K. Z., Ka­pi­tän;

2. Richard Shan­don, Kom­man­dant;

3. Ja­mes Wall, drit­ter Of­fi­zier;

4. Dok­tor Cla­w­bon­ny;

5. John­son, Rüst­meis­ter;

6. Simp­son, Har­pu­nier;

7. Bell, Zim­mer­mann;

8. Pr­un­ton, ers­ter Ma­schi­nist;

9. Plover, zwei­ter Ma­schi­nist;

10. Strong (Ne­ger), Koch;

11. Fo­ker, Eis­meis­ter;

12. Wol­s­ten, Waf­fen­schmied;

13. Bol­ton, Ma­tro­se;

14. Gar­ry, Ma­tro­se;

15. Clif­ton, Ma­tro­se;

16. Grip­per, Ma­tro­se;

17. Pen, Ma­tro­se;

18. Wa­ren, Hei­zer.

1 Wis­sen­schaft der Un­ter­su­chung von Weich­tier­scha­len <<<

2 Wis­sen­schaft von der Ver­mes­sung der Erde <<<