Ein Lotterielos

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Patientia omnia vincit. Geduld überwindet alles

Drittes Kapitel.

Ohne in der Völkerkunde ein großer Held zu sein, kann man doch im Einklang mit mehreren Gelehrten der Meinung werden, daß zwischen den vornehmen Geschlechtern der englischen Aristokratie und den uralten Geschlechtern des skandinavischen Königreichs eine gewisse Verwandtschaft besteht. Zahlreiche Beweise dafür finden sich unter den Ahnen-Namen, die zwischen beiden Ländern gleich lauten. Und doch gibt es in Norwegen keine Aristokratie! Indessen hindert das Vorherrschen der Demokratie nicht im geringsten, aristokratisch im Superlativ zu sein. Alles ist sich hier gleich an Höhe, statt es an Tiefe zu sein. Bis in die allerbescheidenste Hütte hinunter reicht der Geschlechtsstammbaum, der darum, weil er seine Wurzeln wieder in plebejische Erde zurückgetrieben hat, an Adelswert nicht das wenigste eingebüßt hat. Hier vierteln sich die Wappenschilder der Adelsgeschlechter aus der Feudalzeit, von denen diese schlichten Bauern stammen.

So verhielt es sich auch um die Hansens von Dal, die, wenn auch in sehr entferntem Grade, ganz ohne Zweifel mit jenen Pairs von England verwandt sind, die nach dem Einfalle Roberts von der Normandie dort geschaffen wurden; und wenn sie auch weder deren Rang noch deren Reichtum besaßen, so hatten sie doch wenigstens den angeborenen Stolz oder vielmehr die angeborene Würde gewahrt, die in allen gesellschaftlichen Stellungen immer am Platze ist.

Uebrigens scherten sie sich wenig darum! Trotz all seiner hochadligen Ahnenschaft war Harald Hansen doch Gastwirt in Dal geworden. Das Haus gehörte ihm vom Vater und Großvater her, von deren Stellung im Lande er gern zu sprechen pflegte. Nach seinem Tode hatte die Witwe das Gastwirtsgeschäft fortgesetzt auf eine Weise, die ihr Ruf und Ansehen schuf.

Ob Harald mit dem Gasthofe Geld verdient hatte? Das wußte man nicht. Aber er hatte seinem Sohne Joel und seiner Tochter Hulda eine Erziehung geben können, daß ihnen der Lebensanfang nicht zu schwer geworden war; ja auch noch einem Schwestersohn von seiner Frau, Ole Kamp, der infolge frühen Todes seiner Eltern seiner Fürsorge zeitig anheimgefallen war, hatte er die gleiche Erziehung zuteil werden lassen können wie seinen eigenen Schößlingen. Ohne seinen Onkel Harald wäre diese Waise ganz sicher eines jener armen kleinen Geschöpfe geworden, die bloß auf die Welt kommen, um sie schnell wieder zu verlassen. Uebrigens bewies Ole Kamp seinen Pflegeeltern eine echt kindliche Dankbarkeit; das Band, das ihn mit der Familie Hansen verknüpfte, sollte niemals zerrissen werden; seine Heirat mit Hulda sollte es noch enger knüpfen und für Lebenszeit festigen.

Harald war seit etwa anderthalb Jahren tot. Der Gasthof in Dal war nicht das einzige, was er seiner Witwe hinterließ; sie erbte auch noch einen kleinen, im Gebirge gelegenen »soeter«. Unter dieser Bezeichnung wird eine Art einsam liegenden Bauernhofs verstanden, dessen Ertrag im Durchschnitt mittelmäßig, nicht selten aber gleich Null zu sein pflegt. In den letzten Jahren war von guten Erträgen keine Rede gewesen. Der ganze Ackerbau hatte schwer zu leiden gehabt, sogar Weideland hatte nichts gebracht. Schuld daran trugen die vom norwegischen Bauern »eifern« genannten Nächte, in denen eiskalter Nordost durch das Land fegt und allen Keim bis tief in das Erdreich hin ausdörrt. Norwegens »eiserne Nächte« sind der Ruin für den Bauern im Telemarken und im Hardanger.

Wenn aber Frau Hansen selber genau wußte, woran sie war und wie sie dastand, so hatte sie doch darüber nie mit jemand gesprochen, nicht einmal mit ihren Kindern. Kalten und schweigsamen Charakters, war sie wenig mitteilsam – ein Umstand, der ihren beiden Kindern sichtlich Schmerz verursachte. Der in den nördlichen Ländern eingeborene Respekt vor dem Familienhaupte legte ihnen aber in dieser Hinsicht strenge Zurückhaltung auf, und so schwer ihnen dieselbe zuweilen auch fiel, so war ihnen doch nie auch nur der kleinste Verstoß dagegen unterlaufen. Zudem mochte Frau Hansen nie viel wissen von Rat oder Beistand, denn von der Verläßlichkeit ihres eigenen Urteils war sie, als echte Norwegerin, felsenfest überzeugt.

Frau Hansen zählte zur Zeit 50 Jahre. Wenn auch das Alter ihr Haar gebleicht hatte, so hatte es doch weder ihre hohe Gestalt gebeugt noch die Lebhaftigkeit ihres tiefblauen Blickes, dessen Azur sich in den Augen ihrer Tochter unverändert wiederfand, abgeschwächt. Bloß ihr Teint hatte den gelblichen Teint von Aktenpapier angenommen, und ein paar Runzeln fingen an sich auf ihrer Stirn einzugraben.

Die »Madam«, wie man im skandinavischen Lande sagt, ging nie anders als im schwarzen Rock mit weiten Falten, dem Zeichen der Trauer um den Tod ihres Mannes. Aus den Ausschnitten ihres braunfarbigen Mieders traten die Aermel eines Hemds aus ungebleichtem Linnen. Ein dunkelfarbiges Brusttuch reichte vom Halse bis unter den Schürzenlatz; die Schürze selber wurde auf dem Rücken mit großen Spangen zusammengehalten. Die »Madam« trug immer eine dicke Seidenhaube, nicht unähnlich einer Begghinen-Haube, die freilich stark aus der Mode zu kommen scheint. Kerzengerade im Lehnstuhl sitzend, ließ die würdige Wirtsfrau von Dal ihr Spinnrad bloß im Stiche, um ein Pfeifchen aus Birkenholzrinde zu rauchen, dessen Qualm sie immer bald in eine leichte Dunstwolke hüllte.

Wahrlich! ohne die Anwesenheit der beiden Kinder möchte das Haus wohl recht trübselig erschienen sein!

Ein braver Junge, der Joel Hansen! Im Alter von 25 Jahren, von ebenmäßiger, hoher Gestalt wie die norwegischen Gebirgsleute durchweg, war er von stolzer Art, ohne Prahlhansigkeit, und von strammer Haltung, ohne Verwegenheit. Er war blond, aber nicht hellblond, sondern mehr von jenem Blond, das sich dem Kastanienbraun nähert, und hatte dunkelblaue, schon ans Schwarze streifende Augen. Seine Tracht setzte die kräftigen Schultern in Geltung, denen es schwer wurde, sich zu beugen, desgleichen die breite Brust, in welcher die kräftigen Lungen des Bergführers bequem arbeiteten, die muskulösen Arme, und die zu den beschwerlichsten Aufstiegen in den Hochregionen des Telemarken gleichsam expreß gebauten Beine. So wie er sich für gewöhnlich trug, konnte man ihn recht wohl für einen Edelmann halten. Seine blaufarbige Jacke mit Schulterklappen schloß eng über die Brust, mittels zweier langen, senkrecht verlaufenden Aufschläge und war auf dem Rücken mit bunter Stickerei besetzt, ähnlich wie manche keltische Jacken in der Bretagne. Sein Hemdkragen zeigte einen runden weiten, an Faßform erinnernden Ausschnitt. Sein gelbes Beinkleid wurde unter dem Knie durch ein Band mit Schnalle gehalten. Auf dem Kopfe saß in schräger Form ein breitkrämpiger brauner Hut mit schwarzer Schnur und roten Litzen. Um seine Beine schlossen sich Gamaschen aus grobem Stoff oder Stiefel mit dicken Sohlen und flachen Absätzen, bei denen sich, wie bei Wasserstiefeln, Gelenk und Knöchel nur unvollkommen zeichneten.

Seines richtigen Zeichens war Joel Bergführer, und zwar in der Voigtei des Telemarken bis weit in die Gebirgsstöcke des Hardanger hinein. Immer zum Aufbruch bereit, immer unermüdlich, war er alles Ernstes jenem in der norwegischen Sage berühmten Helden Robert dem Läufer zu vergleichen. Zur Jagdzeit zog er mit den englischen Jägern auf die Pirsch, die hier mit Vorliebe auf den »Riper« und den »Jerper« jagen, Waldvögel, von denen der erste dem hebridischen Schneehuhn gleichkommt, aber bei weitem fetter ist als dieses, während der andere als norwegisches Rebhuhn gelten kann, aber weit zarter und wohlschmeckender ist als das schottische. Zur Winterszeit nahm ihn die Wolfsjagd in Anspruch, denn bei schlechter Witterung wagte sich dieses Raubzeug, vom Hunger getrieben, auf der Eisfläche der Binnenseen weit ins Land hinein. Im Sommer dagegen ging es auf die Bärenjagd, denn der Bär holt sich, von seinen Jungen gefolgt, sein frisches Grasfutter von weither zusammen, und wer ihn jagen will, muß bis zu 1200 Fuß und höher hinauf ins Hochgebirge steigen. Mehr denn einmal verdankte Joel sein Leben bloß seiner erstaunlichen Leibeskraft, die ihn in den Stand setzte, es mit den furchtbaren Bestien im Ringkampf aufzunehmen, und seiner unverwüstlichen Kaltblütigkeit, die ihm von vornherein eine gewisse Ueberlegenheit sicherte.

Wenn er aber schließlich weder als Touristenführer im Westfjorddal, noch als Jäger auf der Pirsch zu tun hatte, stieg er hinauf in den ein paar Meilen weit oben im Gebirge gelegenen kleinen »Soeter«. Dort hauste, im Lohn und Brot von Frau Hansen, ein junger Schafhirt, dem die Sorge um ein halbes Dutzend Kühe und annähernd drei Dutzend Schafe oblag. Außer Weideland hatte nämlich der kleine »Soeter« nichts aufzuweisen.

Joel war von Natur dienstwillig und gefällig; wenn ich sage, bekannt in allen Gaards des Telemarken, so heißt das ebensoviel wie gern gesehen in allen und beliebt bei allen. Für drei Wesen auf Erden empfand er eine grenzenlose Zuneigung, nämlich für seine Mutter, für seinen Vetter Ole und für seine Schwester Hulda.

Wie herzlich leid tat es ihm, als Ole Kamp zum letzten male mit auf den Fischfang zur Neufundland-Bai hinauszog, daß er seiner Schwester nicht die Ausstattung geben konnte, damit ihr der Bräutigam zu Hause blieb! Wahrhaftig! wäre er befahren auf See gewesen, so hätte er sich nicht besonnen, an Stelle seines Vetters die Fahrt hinaus zu machen. Aber für die Einrichtung des neuen Hausstandes war Bargeld von nöten. Da nun Frau Hansen sich zu nichts verstanden hatte, war es Joel begreiflich, daß sie vom Familienvermögen nichts hergeben konnte. Ole hatte also in die Fremde hinaus gemußt, über das Weltmeer hinüber. Joel hatte ihm bis an die äußerste Talgrenze auf der Straße nach Bergen das Geleit gegeben, hatte ihn dort noch einmal umarmt und ihm dann glückliche Fahrt und glückliche Heimkehr gewünscht. Dann war er zurück zur Schwester gegangen, die er mit brüderlicher und zugleich väterlicher Liebe liebte, um ihr Trost zuzusprechen.

 

Hulda war damals 18 Jahre alt. Nicht die »Piga« war sie hier, wie man im norwegischen Gasthaus die Bedienerin nennt, sondern vielmehr das »Fröken«, die Miß der Engländer, die »Mamsell« vom Hause, wie ihre Mutter die »Madam« vom Hause war. Welch niedliches Gesichtchen, von blondem, leicht goldigem Haar umrahmt, unter einem leichten, hinten, um den langen Zöpfen den Durchschlupf zu ermöglichen, etwas hochgesteckten Linnenhäubchen! welch liebliche Taille unter diesem roten Stoffmieder, mit grüner Borte gefaßt, prall um die Büste schließend, vorn am Brustlatz leicht offen, mit bunter Stickerei besetzt, darunter das schneeweiße Hemdleibchen, das bis zum Halse hinauf reichte und dessen Aermel durch ein seidenes Band um die Gelenke gehalten wurde! Welch holde Hüften unter dem roten Gürtel mit Schließen aus Filigransilber, der den Rock aus grünfarbnem Zeug, drüber die Schürze mit buntwürfligem Muster, hielt – während unter dem Rocke hervor der weiße Strumpf, und über dem Strumpfe der zierliche, an der Spitze schmal verlaufende Schuh, wie er im Telemarken Mode ist, sichtbar wurde.

Ja! Oles Braut mit dem etwas melancholischen, doch aber lächelnden Gesichtsausdruck der Töchter des Nordens war reizend! Wer sie sah, mußte unwillkürlich an jene »Hulda die blonde« denken, deren Namen sie trug und die nach der nordischen Götterlehre als Glücksfee den häuslichen Herd umschwebt.

Ihre Schüchternheit als bescheidenes kluges Mädchen tat dem Liebreiz, mit dem sie im Wirtshause von Dal die einkehrenden Gäste willkommen hieß, keinen Eintrag. Man kannte die schöne Hulda in der ganzen Touristenwelt. Galt es doch schon als »Attraction«, mit ihr den herzlichen Händedruck zu wechseln, ohne den man hierzulande keinen Gast, ob Herrn ober Dame, über die Schwelle treten läßt! und hatte man dann zu ihr gesagt:

»Vielen Dank für die Mahlzeit!«

... um wieviel angenehmer und lieblicher klang dann das »Wohl bekomm's!« von ihrer frischen, vollen Stimme!

Viertes Kapitel.

Ole Kamp war seit Jahresfrist fort. In seinem Briefe hatte er geschrieben, es sei ein schwerer Fischzug gewesen, der im letzten Winter in den neufundländischen Gewässern stattgefunden! es wird ja dort ein hübsches Geld verdient, wenn Geld verdient wird. An Tag- und Nachtgleichen-Stürmen, die die Fahrzeuge auf Höhe der Inseln überfallen und binnen wenigen Stunden eine ganze Fischerflottille zerstören, fehlt es dort unten nicht; aber es wimmelt dort dafür auch von Fischen, und wenn die Fischerflotten vom Glück begünstigt sind, so finden sie für die Strapazen und Gefahren in diesem Sturmwinkel reichlich Ersatz.

Uebrigens sind ja die Norweger tüchtige Seeleute. Sie murren über keine Arbeit. In ihren Fjords von Christiansand bis zum Nordkap hinauf, zwischen den Klippen von Finmarken, in den Engen der Loffoden, fehlt es ihnen an Gelegenheiten, sich mit den Wutausbrüchen des Ozeans vertraut zu machen, wahrlich nicht! und wenn sie den nördlichen Teil des Atlantischen Weltmeers kreuzen, um in der Neufundland-Bai dem Fischfange nachzugehen, so haben sie von ihrem Mute schon manche Probe abgelegt. Von Kindesbeinen an lernen sie die Schwanzstöße, mit denen die Orkane von drüben her auf die europäische Küste schlagen, kennen: und was sie an der neufundländischen Küste treffen, beziehungsweise abzuwehren haben, sind im Grunde doch weiter nichts als die Kopfstöße derselben Orkane! sie fassen hüben den Wind am Schoße, drüben am Kragen: das ist der ganze Unterschied.

Die Norweger haben übrigens Grund und Ursache, auf sich zu halten. Ihre Altvordern waren unerschrockene Seeleute zur Zeit, als der ganze Handel des nördlichen Europa in den Händen der deutschen Hansa lag. Wohl mögen sie in diesen alten Tagen sich von Seeräuberei die Finger nicht ganz frei gehalten haben; aber Strand- und Seeraub zu treiben war nun einmal damals ein Mittel zum Fortkommen. Keine Frage, daß sich der Handel seitdem in sittlicher Hinsicht bedeutend gehoben hat; immerhin mag aber der Gedanke nicht unerlaubt sein, daß auch in dieser Hinsicht noch gar manches zu tun verbleibt.

Wie es sich nun hierum verhalten mag, soviel steht fest, daß die Norweger kühne Seefahrer waren, es heute noch sind und es allzeit sein werden. Ole Kamp war der Mann nicht, die Verheißungen Lügen zu strafen, die seine Abstammung ihm mit auf den Weg gab. Seine Lehrzeit machte er bei einem alten Bergener Küstenfahrer durch; ihm verdankte er seine tüchtige Kenntnis dieses harten und schweren Berufs. In dieser Hafenstadt, wohl der am stärksten befahrenen des skandinavischen Königreichs, waren all seine Kinderjahre verflossen. Ehe er sich auf die große Fahrt begab, war er ein verwegener Fjordsjunge gewesen, hatte Wasservögeln die Nester ausgenommen und war ein fleißiger Fänger all jener zahllosen Fischsorten gewesen, die zur Bereitung von Stockfisch benutzt werden. Als er dann Schiffsjunge geworden war, hatte er mit Fahrten im baltischen Meere, in der oberen Nordsee begonnen, die sich dann bis in die Gebiete des Polarmeers hinauf erstreckten. Dann hatte er mehrere Fahrten an Bord von großen Fischerjachten gemacht und war, kaum 21 Jahre alt, schon Steuermann geworden. Jetzt war er 23 Jahre alt.

In den Pausen, die während dieser Fahrten lagen, verfehlte er niemals, der Familie, der er in Liebe zugetan war, der einzigen, die ihm auf Erden geblieben war, einen Besuch zu machen.

Ha! und wenn er dann wieder in Dal war, was für ein Fest war das dann für Joel! und welch stattlichen und würdigen Kameraden Joels gab Ole ab! Auf seinen Märschen durch die Gebirge, bis auf die höchsten Gipfel des Telemarken hinauf, begleitete er ihn. Erst die Fjords und dann die Fjelds: das war dem jungen Seemann so recht nach dem Sinn und er ließ sich niemals zum Mitgehen nötigen, außer wenn Cousine Hulda ihn bat, ihr Gesellschaft zu leisten.

Zwischen Ole und Joel hatte sich eine enge Freundschaft gebildet; und wenn dieses Gefühl dem jungen Mädchen gegenüber eine andere Gestalt annahm, so war das im Grunde bloß eine naturgemäße Folge. Hatte ihn doch Joel selber dazu ermutigt! Wo hätte seine Schwester in der ganzen Gegend einen bessern Burschen, eine freundlichere Natur, einen hingebungsvolleren Charakter, ein heißeres Herz finden können? Wenn Hulda Ole Kamp zum Manne bekam, so war ihr Glück gesichert. Mit Zustimmung von Mutter und Bruder folgte also Hulda dem natürlichen Hange ihres Empfindens. Es wäre falsch, wollte man diese nordischen Menschen als gefühllos hinstellen, weil sie so wenig aus sich herausgehen. Nein! das liegt so in ihrem Wesen, und solches Wesen ist vielleicht ganz ebenso gut, oder wenigstens nicht schlechter als jedes andere Wesen!

Endlich war ein Tag gekommen, da sie alle vier beieinander in der großen Stube saßen, und da hatte Ole, ohne alle Einleitungsworte, gesagt:

»Du, Hulda, mir fällt was ein!«

»Was denn?« versetzte die junge Maid.

»Mir scheint, wir sollten Mann und Frau zusammen werden.«

»Glaub's auch,« hatte Hulda gesagt.

»Das wäre schon angängig,« bemerkte Frau Hansen, ganz so, wie wenn eine Sache besprochen würde, die schon lange im Gange wäre.

»Wahrhaftig, Ole,« versetzte Joel, »und auf solche Weise würde ich ja dein Schwager!«

»Ja,« sagte Ole, »aber wahrscheinlich werde ich dich dann bloß um so lieber noch haben.«

»Wenn's möglich ist!«

»Wirst es ja sehen!«

»Meiner Treu! mir wär's schon recht!« erwiderte Joel und drückte Ole die Hand.

»Na, Hulda, gilt's als abgemacht?« fragte Frau Hansen.

»Ja, Mutter,« antwortete das Mädchen.

»Du hast einen ganz richtigen Gedanken, Hulda,« sagte da Ole. »Es ist schon lange her, daß ich dir gut bin, ohne es zu sagen.«

»Ich auch, Ole!«

»Wie das gekommen ist, weiß ich gar nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Freilich, Hulda! mit jedem Tage, daß man dich sieht, wirst du schöner und lieber noch dazu.«

»Gehst wohl ein bißchen zu weit, Ole!«

»Nicht doch, Hulda! das kann ich wohl sagen, ohne daß du rot zu werden brauchst! denn es ist die Wahrheit! Habt Ihr's denn nicht gemerkt, Frau Hansen, daß ich der Hulda gut bin?«

»Ein bißchen, ja.«

»Und du, Joel?«

»Ich? – stark!«

»Rund heraus gesagt,« meinte da Ole lächelnd, »hättet Ihr mir das doch sagen sollen!«

»Werden dir aber nicht deine Reisen, Ole,« fragte Frau Hansen, »ein bißchen beschwerlich vorkommen, wenn du erst mal verheiratet bist?«

»So beschwerlich,« versetzte Ole, »daß ich die ganze Fahrerei aufstecken werde, wenn mal erst die Hochzeit gewesen sein wird.«

»Gar nicht mehr fahren willst du?«

»Nein, Hulda! Wie wär's mir denn möglich, dich monatelang allein zu lassen?«

»Dann willst du jetzt zum letzten male hinaus?«

»Jawohl! aber wenn ich diesmal ein bißchen Glück habe, werde ich mir ein tüchtiges Stück Geld sparen können, denn die Herren Gebrüder Help haben mir in aller Form einen ganzen Fahrtanteil zugesichert.«

»Brave Leute!« meinte Joel.

»Die besten in Norwegen,« erwiderte Ole, »und bei allem Seevolk in Bergen wohlbekannt und wohlgeschätzt!«

»Lieber Ole,« sagte da Hulda, »wenn du nicht mehr in See gehen willst, was gedenkst du dann anzufangen?«

»Hm, Joels Kompagnon will ich werden. Ich habe gute Beine, und wenn sie nicht ausreichen, will ich mir welche machen dadurch, daß ich mich allmählich ein bißchen recke! Uebrigens habe ich an noch was anderes gedacht, das am Ende nicht schlecht wäre. Warum sollten wir nicht einen Botendienst einrichten zwischen Drammen, Kongsberg und den Gaards des Telemarken? Der Verkehr ist weder bequem noch regelmäßig, und vielleicht wäre Geld dabei zu machen! Kurzum, ich habe so meine Ideen, ungerechnet ...«

»Was denn?«

»Nichts! wenn ich zurück bin, werden wir ja sehen. Aber eins sage ich Euch: daß ich fest entschlossen zu allem bin, was Hulda zur beneidetsten Frau im ganzen Lande machen kann. Ja! dazu bin ich fest entschlossen.«

»Wenn du wüßtest, Ole, wie leicht das sein wird!« versetzte Hulda, ihm die Hand reichend; »ist's denn nicht schon halb der Fall? und gibt's denn noch ein zweites Haus mit solchem Glück wie das unsrige in ganz Dal?«

Frau Hansen hatte einen Moment lang den Kopf weggewandt.

»Also ist's in Ordnung?« fragte Ole im lustigsten Tone noch einmal.

»Ja doch,« antwortete Joel.

»Und's braucht nichts weiter geredet zu werden?«

»Im Leben nicht!«

»Dir tut's nicht leid, Hulda?«

»Ganz und gar nicht, Ole!«

»Den Hochzeitstag, meine ich, bestimmen wir besser erst, wenn du zurück bist,« setzte Joel hinzu.

»Meinethalben; aber es müßte mir gar schlecht draußen gehen, wenn ich nicht vor Jahresfrist wieder da sein sollte, um Hulda in die Moeler Kirche zu führen, wo sich unser Freund, Pastor Andresen, gewiß nicht nötigen lassen wird, seine schönsten Gebete für uns zu verrichten!«

So ging's zu, als zwischen Hulda Hansen und Ole Kamp die Hochzeit abgesprochen wurde.

Acht Tage später mußte der junge Schiffer an Bord seines Schiffes nach Bergen. Ehe er aber aus Dal fortging, wurden die beiden jungen Leute nach skandinavischem Brauch öffentlich als Braut und Bräutigam versprochen.

In diesem schlichten, ehrsamen Norwegen herrscht wohl überall der Brauch, sich vor der Verheiratung öffentlich als Braut und Bräutigam zu versprechen, also zu verloben. Zuweilen wird die Hochzeit gar erst 2-3 Jahre später gefeiert. Erinnert das nicht an den Christenbrauch in der ersten Zeit unserer Kirche? Aber man würde irre gehen, wollte man meinen, das Verlöbnis sei ein bloßer Austausch von Worten, deren Wert bloß aus dem guten Glauben der vertragschließenden Teile beruhe. Nein! das gegebene Versprechen ist wesentlich ernster aufzufassen, und wird dieser Akt auch vom Gesetz nicht für gültig erachtet, so doch durch den das natürliche Gesetz darstellenden Brauch.

Im Falle von Hulda und Ole Kamp handelte es sich also um die Abhaltung einer Feier, bei welcher Pastor Andresen den Vorsitz zu führen hätte. In Dal, wie in der Mehrzahl der umgebenden »Gaards« gibt es keinen eigentlichen Prediger. Hingegen trifft man in Norwegen gewisse Ortschaften, die als »Sonntagsstädte« bezeichnet werden, weil sich in ihnen ein Pfarrhof befindet. Dort versammeln sich die angesehenen Familien des Kirchspiels zum Gottesdienst. Gar nicht selten halten sie sich dort sogar eine Art Absteigequartier, wo sie 24 Stunden verweilen, die Zeit nämlich, die sie zur richtigen Erfüllung ihrer religiösen Pflichten brauchen. Von da kehrt man dann heim wie von einer Pilgerfahrt. Dal besitzt nun allerdings eine Kapelle. Aber der Pastor kommt bloß auf Verlangen hin und zur Abhaltung von Zeremonien, die nicht öffentlichen, sondern bloß privaten Charakter tragen.

 

Möl schließlich liegt nicht weit ab. Kaum über eine halbe Meile, also knapp 10 Kilometer von Dal bis zur Spitze vom Tinnsee. Auch war der Pastor Andresen nicht bloß ein lieber gefälliger Herr, sondern auch gut zu Fuße.

Pastor Andresen wurde also in seiner zwiefachen Eigenschaft: als Prediger und als Freund der Familie Hansen, zum Verlöbnis oder öffentlichen Versprechen zwischen Hulda und Ole Kamp eingeladen. Die Familie Hansen kannte den Herrn Pastor und der Herr Pastor die Familie Hansen schon seit geraumer Zeit. Er hatte Hulda und Joel aufwachsen sehen. Er war ihnen in Liebe zugetan gleichwie »dem jungen Seebär«, dem Ole Kamp. Eine größere Freude als eine solche Heirat konnte es für ihn als Pastor kaum noch geben. Das versprach ja ein Fest zu werden für das ganze Westfjorddal.

Daraus folgt, daß Pastor Andresen eines schönen Morgens sich seinen Amtskragen umtat, seinen Kreppaufschlag ansteckte, sein Gebetbuch in die Hand nahm und bei übrigens ziemlich regnerischem Wetter auf den Marsch machte. Mit Joel zusammen, der ihm halbwegs entgegengegangen war, langte er an. Daß er in Frau Hansens Gasthofe gute Aufnahme fand, wird man sich wohl denken: wohl auch daß man ihm die schöne Stube im Erdgeschoß einräumte, die mit frischen Wacholderzweigen bestreut war, daß es schier duftete wie in einer Kapelle.

Am andern Tage, beizeiten in der Frühe, tat sich die kleine Kirche zu Dal auf. Hier gelobte vor dem Pastor und mit der Hand auf dem Gebetbuche, in Gegenwart einiger Freunde und guter Nachbarn des Gasthofs, Ole Kamp, Hulda zur Frau, und Hulda Hansen, Ole Kamp zum Manne zu nehmen, wenn Ole Kamp von seiner letzten Ausfahrt wiedergekehrt sein würde. Ein Jahr Wartefrist ist lange, aber auch ein Jahr vergeht, wenn man einander sicher ist.

Von nun ab konnte Ole, ohne gewichtigen Grund, das Mädchen, dem er sich öffentlich anverlobt hatte, nicht mehr im Stiche lassen, und Hulda die Treue nicht brechen, die sie Ole gelobt hatte; und wäre Ole Kamp nicht schon wenige Tage nach dem Verlöbnis aufgebrochen, so hätte er die Rechte ausnutzen dürfen, die ihm dasselbe widerspruchslos einräumte: das Mädchen besuchen, wenn es ihm passend erschiene, ihr schreiben, wann es ihm belieben sollte, sie Arm in Arm spazieren führen, auch allein, ohne Begleitung von Angehörigen, bei Festen und Feiern das Vorrecht des Tanzes mit ihr genießen.

Aber Ole Kamp hatte wieder nach Bergen zurückkehren müssen. Acht Tage drauf war der »Viken« nach Neufundland in See gegangen; jetzt durfte Hulda bloß auf Briefe rechnen, die ihr Bräutigam mit jeder Postgelegenheit zu senden versprochen hatte.

Sie blieben auch nicht aus, diese immer mit so starker Ungeduld erwarteten Briefe. Sie trugen ein klein wenig Glück in dieses seit der Ausfahrt des »Viken« so traurig gewordene Haus. Die Fahrt ging unter günstigen Bedingungen von statten. Der Fang war ergiebig. Der Gewinn versprach ansehnlich zu werden. Dann kam am Schluß jedes Briefs noch immer die Rede auf ein gewisses Geheimnis und auf das Vermögen, das ihm dadurch sicher sei: ein Geheimnis, das Hulda gar zu gern durchschaut hätte, und Frau Hansen nicht minder, und zwar Frau Hansen aus Gründen, die sich schwer hätten ahnen lassen.

Frau Hansens düstre Stimmung, Unruhe und Verschlossenheit mehrte sich nämlich zusehends – und ein Vorfall, über den sie zu ihren Kindern kein Wort sprach, war ganz dazu angetan, ihre Sorge noch zu vergrößern.

Drei Tage nach Eintreffen von Oles letztem Schreiben, am 19. April, war Frau Hansen allein auf dem Heimweg aus der Sägemühle begriffen, wo sie beim Werkführer Lengling einen Sack Sägespäne bestellt hatte, als sie sich kurz vor der Haustür von einem Manne angeredet sah, der nicht aus der Gegend war.

»Ihr seid wohl Frau Hansen?« fragte sie der Mann.

»Ja,« gab sie zur Antwort; »aber ich kenne Euch nicht.«

»O! das hat nicht viel auf sich!« versetzte der Mann; »ich bin heute morgen von Drammen herübergekommen und geh wieder nach Drammen zurück.«

»Von Drammen?« fragte lebhaft Frau Hansen.

»Ihr kennt wohl dort einen gewissen Herrn Sandgoist? der in Drammen wohnt?«

»Herrn Sandgoist?« wiederholte Frau Hansen, deren Gesicht, als sie den Namen hörte, von Blässe überzogen wurde; »ja – den kenne ich!«

»Nun, als Herr Sandgoist hörte, daß ich bei Dal vorbei käme, hat er mich gebeten, Ihnen einen Gruß von ihm zu bestellen.«

»Und nichts weiter?«

»Nein, weiter nichts – außer daß er noch gesagt hat, er würde wahrscheinlich nächsten Monat zu Euch herauskommen. – Bleibt gesund, Frau Hansen! Guten Abend!«

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