Baphomets Jünger

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Baphomets Jünger
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Julia Fromme

Baphomets Jünger

Historischer Roman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Julia Fromme

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Epilog

Nachwort

Was ist ...?

Impressum neobooks

Julia Fromme

Baphomets Jünger

Historischer Roman

„Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam“- Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre

Handelnde Personen

(* historische Personen)

Ywen (Euba)

- Rudger von Ywen, ein junger Templer, Sohn des Grundherren Ulrich von Ywen

- Ulrich von Ywen*, ein Lehnsmann der Herren von Waldenburg, Vater von Rudger

- Matilda von Ywen, Rudgers Mutter

- Arnald von Ywen, älterer Bruder von Rudger, Erbe des Gutshofes in Euba

- Michel von Ywen, jüngerer Bruder Rudgers

- Heske von Ywen, jüngere Schwester von Rudger

- Pater Wito, ein Benediktinermönch, Geistlicher in Ywen

Lichtenwalde

- Heidenreich von Lichtenwalde*, Nachbar des Ulrich von Ywen

- Heda von Lichtenwalde, Frau des Heidenreich

- Agnes (Nes) von Lichtenwalde, Tochter des Ritters Heidenreich

- Magdalin von Lichtenwalde, Schwester von Agnes

Schellenberg

- Heinrich von Schellenberg*, Landrichter des Pleißenlandes

- Theda von Schellenberg, Frau des Heinrich

- Heinrich (Hencke) von Schellenberg *, ältester Sohn Heinrichs

- Clement von Schellenberg, jüngerer Sohn Heinrichs

- Eneyde von Schellenberg, Tochter Heinrichs

Mark Meißen

- Friedrich I. von Meißen* (der Freidige, der Gebissene), Markgraf zu Meißen, Landgraf zu ----Thüringen (1257-1323)

- Elisabeth*, Markgräfin zu Meißen (1286-1359)

- Friedrich der Lahme* (Fritz), Sohn Friedrich I. aus erster Ehe (1293-1315)

- Dero von Schönfels, Ritter des Markgrafen

- Jenrik von Hohenstein, Ritter des Markgrafen

- Matthias (Matz) von Wersdorf, Knappe Rudgers

Weitere Personen

- Endres, Valten und Jorge, junge Templer, die mit Rudger nach Ywen gekommen sind

- Borek und Tibor, zwei böhmische Waisen

- Bruder Anselm (Anselm von Colbitz), junger Priesterbruder in Wichmannsdorf, Freund von Rudger

- Alan de Sivrey, Luc de Brienne, französische Templer auf der Flucht

- Friedrich von Alvensleben*, letzter Meister des Templerordens in Alemannien und Slawien (um 1265 – um 1313)

- Gero*, Komtur des Templerhofes in Mücheln

- Waldemar der Große* (Askanier), Markgraf von Brandenburg (um 1280-1315)

Abt Johannes von Grünhain*

- Caspar von Maltitz*, Kommandant der Stadt Großenhain

- Gisko von Taubenhain, Hauptmann der Truppen des Erzbischofs von Magdeburg

Teil 1

Mysterium

Kapitel 1

Wichmannsdorf

17. Oktober 1307

„Ich weiß es, Rudger. Glaub mir. Ich habe gesehen, wie zwei Boten vom Orden heute Nacht zu Friedrich gekommen sind.“ Die Worte kamen in einem heißeren Flüstern über die Lippen des jungen Mönches. Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Schweißperlen liefen ihm über die Stirn, obwohl es im Schlafsaal der Ritter empfindlich kühl war.

„Weißt du, was du da behauptest?“, fragte der junge Ritter ebenso leise den Mönch. Sein Gesicht drückte Unglauben aus. „Wenn das wahr ist, Anselm, dann Gnade uns Gott.“

Rudger drehte sich wieder zu seiner Bettstatt um und ordnete seine Decken. Es war noch weit vor dem Morgengrauen. In Kürze würden die Glocken ertönen, die die Ritter zur Morgenmesse riefen. Er schaute sich kurz im Schlafsaal um. Seine Kameraden lagen noch im tiefen Schlaf. Nichts konnte sie so schnell aus ihren Träumen holen, auch nicht das aufgeregte Flüstern der beiden. Der junge Mönch, mit dem ihn eine Art Freundschaft verband, war zu ihm gekommen und hatte ihn heimlich geweckt.

Mit skeptischem Blick wandte er sich wieder Bruder Anselm zu. „Aber woher willst du wissen, dass es in Paris zu Verhaftungen kam und der Orden in Gefahr ist?“, fragte er noch einmal nach. „Ich denke, du hast nur gesehen, wie die Männer zu Friedrich gegangen sind?“ Er schnaubte kurz. „Wer weiß, vielleicht haben sie lediglich ein Schlaflager aufgesucht und wir werden heute erfahren, was sie wollen.“ Überlegen lächelte er den anderen an. Der junge Mönch hatte schon immer eine etwas rege Fantasie.

Doch Anselm ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. „Wenn ich es doch sage.“ Dann stockte er und sah Rudger verschwörerisch an. „Ich bin ihnen nachgeschlichen.“

 

„Was!“, rief der Ritter erstaunt. Erschrocken schlug er die Hand vor den Mund und schaute sich verstohlen um. Doch niemand schien ihn gehört zu haben. „Komm, lass uns nach draußen auf den Gang gehen.“ Anselm am Arm packend zog er ihn hinter sich her. Vor der Kammer sah er sich aufmerksam um. Doch sie waren allein hier.

„Warum das denn?“, fragte er leise.

„Ich war halt neugierig, was die Kerle mitten in der Nacht und in aller Heimlichkeit hier wollten. So bin ich ihnen nach. Als sie hinter der Tür unseres Ordensmeisters verschwunden sind, habe ich mich angeschlichen und gelauscht.“ Entschuldigend zog Anselm seine Schultern nach oben. „Ich habe ein paar Gesprächsfetzen erhaschen können, als der eine Kerl zu Friedrich sagte, es sei schlechte Kunde, die er brächte. Auf Friedrichs Nachfrage antwortete er, der Orden sei verloren. Dann haben sie nur noch gemurmelt. Aber nach einer Weile konnte ich noch verstehen, wie irgendwer sagte, der französische König habe in Paris alle Templer verhaften lassen. Aber das habe ich dir ja bereits erzählt.“

Rudger ließ sich gegen die Wand sinken. Unruhe ergriff ihn. Schon seit längerem wusste er, dass der französische König Philipp, den alle Welt den Schönen nannte, Unruhe in den Reihen der Kirche säte. Der von ihm wie eine Marionette dirigierte Papst, Clemens V., hatte die Templer zwar von den Vorwürfen freigesprochen, die im Verlaufe der letzten Jahre gegen sie laut geworden waren. Dennoch stand der Verdacht im Raum, dass sich die Ordensritter der Häresie schuldig gemacht hätten. Auch der Vorwurf, sie wären lieber ihren Geldgeschäften nachgegangen, statt sich der Bekämpfung der Heiden zu widmen, wog schwer. Nun schien sich das Blatt endgültig gewendet zu haben. Wenn es überhaupt stimmte, was der Mönch in gehört hatte. Oft gaukelten die Gespenster der Nacht einem Dinge vor, die tagsüber betrachtet vollkommen lächerlich waren.

Da an Schlaf nicht mehr zu denken war, beschloss Rudger in die Kapelle zu gehen und dort den Beginn des Tages abzuwarten. Er schlich sich zurück in den Schlafsaal, streifte seine Hosen über und befestigte die Bänder am Gürtel seiner Bruche. Seinen Rock hatte er gleich nach dem Aufstehen, als Bruder Anselm ihn unsanft aus dem Schlaf riss, übergezogen, da es im Schlafsaal zugig und kalt war. Dann schlüpfte er in seine Schuhe, warf sich den Mantel über und klopfte Anselm, der ihm gefolgt war, leicht auf die Schulter. Mit einem verhaltenen Nicken verließ er den Schlafsaal. Wie durch ein Wunder war keiner der anderen von ihrem Treiben wachgeworden.

Anselm holte tief Luft und überdachte seine eigene Lage. Er war einer der Ordensmönche, die sich auf dem Templerhof aufhielten. Außer ihm selbst gab es noch sieben weitere Brüder, die sich um die wirtschaftlichen Belange des Hofes und um das leibliche Wohl der fünfzehn Ritterbrüder einschließlich ihres Ordensmeisters kümmerten. Anselm hatte erst vor wenigen Wochen das Gelübde abgelegt. Er war der jüngste Sohn eines anhaltinischen Adligen, ohne Aussicht auf ein Erbe. Doch die Familie stand den Templern schon seit Generationen nahe. Sein Onkel Wilhelm von Colbitz, selbst ein Tempelritter, war in der Schlacht um Akkon gefallen. Anselm war von schmächtiger Statur, und sein Vater hatte bestimmt, dass er als Ordensmönch zwar tauglich sei, nicht aber als Krieger. Die Tempelritter waren seit über zweihundert Jahren die militärische Elitetruppe des Abendlandes, und es waren nur kräftige junge Männer, denen das Privileg zuteilwurde, in ihre Reihen aufgenommen zu werden.

Anselm war nicht böse darüber. Immer schon hatte er lieber seinen Gedanken nachgehangen, verabscheute jedwede Form von Gewalt. Jetzt diente er dem Ritterorden. So erforderte es die Tradition seiner Familie. Denn jeweils ein Spross jeder Generation war für den Templerorden bestimmt. Doch Anselm war froh darüber, nicht selbst zum Kämpfer erwählt worden zu sein. Dass er den Preis zahlen und dafür Mönch werden musste, um dem Orden beizutreten, hatte ihn anfangs traurig gestimmt. Viel lieber wäre er als Verwalter eines Gutshofes oder auf den Ländereien seiner Familie in Colbitz geblieben. Jetzt oblag ihm seit wenigen Tagen trotz seiner Jugend die wirtschaftliche Führung des Ordensgutes Wichmannsdorf, und er wollte sein Bestes geben, um die Templer und seine Familie nicht zu enttäuschen.

Das Lehen von Wichmannsdorf gehörte ebenso wie die Güter Rolstedt und Gerdingsdorf den Herren von Alvensleben. Friedrich von Alvensleben* war der Ordensmeister der Templer im Deutschen Reich. Er hatte die Höfe mit verdienten Rittern des Ordens besetzt, die in ständigem Kontakt zu ihm standen, ganz gleich, wo er sich aufhielt. Anselm hatte sich geschworen, Friedrich nicht zu enttäuschen. Er war nicht weniger wert, nur weil er das Schwert nicht zu schwingen wusste. Langsam ließ er die Luft wieder aus seiner Brust entweichen und schloss kurz die Augen. Doch ein Geräusch brachte ihn in die Gegenwart zurück. Rudger hatte den Saal schon vor einer ganzen Weile verlassen. Mit klopfendem Herzen schaute sich Anselm verstohlen um. Doch niemand schien auf sie aufmerksam geworden zu sein. Leise schlich er zurück in seine eigene Schlafkammer, die er sich mit den anderen Mönchen teilte.

Die Kapelle des Gutshofes lag in tiefer Finsternis. Am klaren Himmel funkelten unzählige Sterne. Rudger wandte sein Gesicht nach oben. Dann schloss er die Augen. Gott, lasse es nicht wahr sein. Warum nur willst du den Orden bestrafen? Wir alle sind gottesfürchtige Menschen, standen dir immer nahe und haben nur nach deinem Gefallen gehandelt. Warum nur Gott ...

Der heisere Schrei einer Eule ließ ihn zusammenfahren. Für einen kleinen Moment stockte sein Atem. Rudger straffte die Schultern. Mit einem kurzen, freudlosen Auflachen wandte er sich der Kapelle zu. Die Tür gab beim Öffnen einen schwachen knarzenden Laut von sich. Er trat ein und ging die wenigen Schritte bis zum Altar. Irgendwie wusste er nicht so recht, was er eigentlich hier sollte. War Gott ihm hier in der dumpfen, muffigen Umgebung der alten, feuchten Mauern näher, nur weil das Abbild seines Sohnes dort vorn am Kreuz hing? Sofort meldete sich das schlechte Gewissen über seine Blasphemie in Rudger. Er schüttelte kurz den Kopf, dann schlug er das Zeichen des Kreuzes und sank auf die Knie. Doch wollten seine Gedanken zu keinem Gebet finden, wieder kamen ihm die Worte Bruder Anselms in den Sinn. Was, wenn es wahr wäre? Er konnte sich nicht konzentrieren. Ungeduldig erhob er sich und begann in der Kirche auf und ab zu gehen. Ein Unterfangen, was fast schon an Unmöglichkeit grenzte, da der Raum nur wenige Meter maß, gerade genug Platz für die Menschen, die sich auf dem Ordenshof aufhielten.

Ungeduld fraß an seinem Inneren. Immer wieder lauschte er, ob nicht auch die anderen Ordensbrüder langsam wach werden würden. Er brannte darauf, zu hören, was der Ordensmeister ihnen zu sagen hatte. Aber ob er sie überhaupt über seine nächtlichen Besucher unterrichtete?

Erschrocken wandte Rudger den Kopf, als jemand die Tür energisch aufstieß. Eine Fackel in der Hand, betrat Friedrich von Alvensleben das Gotteshaus. Verwirrt schaute Rudger ihn an, zu keinem klaren Gedanken fähig. Erst die Stimme des Ritters holte ihn zurück in die Wirklichkeit.

„Rudger?“ Fragend schaute Friedrich ihn an. „Was tust du hier?“ Verwunderung schwang in seiner Stimme mit. Rudger wurde es schlagartig bewusst, dass er ja eigentlich noch gar nichts von den nächtlichen Besuchern wissen durfte. Er riss sich zusammen. Er schluckte und atmete tief durch. Friedrich wurde ungeduldig.

Rudger verbeugte sich leicht vor seinem Meister. Der legte nicht sonderlich viel Wert auf derlei Gehabe. Ein freundschaftlicher Umgang mit seinen Rittern war ihm lieber. Das hieß allerdings nicht, er würde von ihnen nicht den nötigen Respekt erwarten.

„Ich konnte nicht mehr schlafen“, beeilte sich Rudger mit etwas heiserer Stimme zu sagen. „Ich dachte, ein Gebet könne meine innere Unruhe besänftigen.“ Damit hatte er nicht einmal gelogen, denn schon bevor Bruder Anselm zu ihm in den Schlafsaal gekommen war, hatte er eine Weile wach auf seiner Pritsche gelegen. Doch nun kam er sich vor seinem Meister etwas albern vor, hier in die Kapelle gekommen zu sein.

„Was beunruhigt dich, mein Sohn?“, fragte Friedrich und sah den jüngeren forschend an.

Verlegen schaute Rudger zu Boden. Dann richtete er den Blick geradeheraus auf den Meister. „Herr, ich lag wach. Ich weiß auch nicht warum. Aber dann kam Anselm, dem es wahrscheinlich genauso ging.“ Er zögerte kurz. Was soll`s, dachte er. Ich muss einfach Gewissheit haben. „Er hat mir berichtet, dass in der Nacht Besucher auf den Gutshof gekommen sind, die wahrscheinlich eine weite Reise hinter sich hatten. Da macht man sich schon so seine Gedanken.“ Er würde Anselm natürlich nicht verraten, und dass dieser an der Tür gelauscht und das Gespräch der Männer gehört hatte. Nun war es an Friedrich, ihm zu sagen, was geschehen war.

Friedrichs Gesicht zeigte Verärgerung. „So, so“, meinte er. „Der Bursche konnte also auch nicht schlafen. Und, was hat er sonst noch so gesagt, der Bruder Anselm?“

Rudger fühlte sich wie ein kleiner Junge, der bei einer Untat ertappt worden war. Dabei konnte er von sich behaupten, ein erfahrener Kämpfer zu sein, der zusammen mit Friedrich schon an mancher Schlacht teilgenommen hatte. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass die Ritter sich ihm gegenüber immer wieder wie Grünschnäbel vorkamen?

Rudger schüttelte sich innerlich. Dann holte er tief Luft. „Herr, Ihr wisst, Bruder Anselm ist ein aufrichtiger Mann. Er kam nur zufällig über den Gang gelaufen, als er auf dem Weg nach draußen war, und sah die Männer in Eurer Kammer verschwinden. Besorgt blieb er stehen und schnappte noch die Worte auf, der Orden sei in Gefahr. Das hat er mir dann berichtet, weil ihm diese Nachricht keine Ruhe ließ.“ Nun ja, der arme Anselm musste nun dazu stehen, dass er gelauscht hatte. Aber Rudger würde ihn nicht ganz in die Pfanne hauen. Angesicht dieses Gedankens, huschte ein kurzes Lächeln über sein Antlitz. Doch schnell nahm er sich wieder zusammen. Zum Glück hielt Friedrich die Fackel gesenkt, und sein Gesicht lag im Schatten.

„Lass uns beten“, sagte Friedrich unvermittelt. Er schien nicht die Absicht zu haben, Rudger über die Vorgänge in der Nacht aufzuklären. Der junge Ritter fügte sich und kniete neben seinem Meister vor dem Altar nieder. Er faltete die Hände zum Gebet und schloss seine Augen. Doch immer noch kamen ihm keine gottesfürchtigen Worte in den Sinn. Wieder und wieder hörte er in Gedanken die Worte Bruder Anselms. Nun, wenn die Ungeheuerlichkeit, dass die Ordensbrüder in Paris verhaftet worden waren, stimmte, dann würde Friedrich gar nicht umhinkommen, sie darüber zu unterrichten. Also musste er sich in Geduld üben.

Seine Lippen begannen sich zu bewegen und auf einmal schienen die Worte des Vaterunsers wie von selbst lautlos aus seinem Mund zu kommen.

Das Läuten der Glocken nahm Rudger kaum wahr. Die anderen Bewohner des Templerhofes fanden sich nach und nach zum Frühgebet ein. Doch auch wenn sie sich wunderten, ihren Meister und den jungen Ritter bereits hier vorzufinden, wagte es keiner, eine Bemerkung darüber zu machen.

Kapitel 2

Wichmannsdorf

17. Oktober 1307

Das schabende Geräusch der hölzernen Löffel, die aus den Schalen auch das letzte Bisschen des eigentlich faden Gerstenbreis löffelten, war das einzige, was man an diesem Morgen im Refektorium des Ordenshofes hörte. Nicht, dass an den anderen Tagen das Reden der Ritter- und Priesterbrüder die Stille des Raumes durchbrochen hätte. Aber heute war es Rudger, als würden sich alle besonders intensiv ihrem schweigenden Morgenmahl widmen. Nicht einmal die Stimme des Bruders, der sonst aus der Heiligen Schrift vorzulesen geruhte, war zu hören. Suchend blickte sich Rudger um. Heute wäre eigentlich Bruder Laurentius dran gewesen, die Speisenden mit einem Text zu unterhalten. Doch war dieser nirgends zu sehen. Auch Friedrich von Alvensleben, der sonst meistens mit ihnen gemeinsam aß, fehlte. Rudger warf seinem Tischnachbarn, mit dem er sich die Schüssel teilte, einen fragenden Blick zu. Doch Endres zuckte nur ratlos mit den Schultern. Er konnte sich erst recht keinen Reim darauf machen, warum heute etwas von dem gewohnten Gang des Klosterlebens abwich. Ihnen gegenüber saßen Jorge und Valten. Doch schienen die beiden nichts von alldem hier mitzubekommen. Einträchtig löffelnd schoben sie sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund. Wie verabredet mussten Rudger und Endres bei ihrem Anblick lächeln.

 

Die vier jungen Ritter waren seit Jahren miteinander befreundet. Rudger kannte Endres schon aus seiner Zeit, als er bei Heinrich von Frankenhausen seine Ausbildung zum Kämpfer erhielt. Später verkaufte Heinrich sein Land zu großen Teilen an den Templerorden und Rudger wurde nach Mücheln geschickt. Jorge und Valten hatten sie vor fünf Jahren in Aruad getroffen, als das Heer der Templer seine letzte Schlacht im Heiligen Land schlug.

Rudgers Gedanken schweiften ab in diese längst vergangene Zeit, als er als junger Ritter an der Seite seines Ordensmeisters nach Syrien gezogen war, um die letzte Bastion der Christenheit zu verteidigen. Er war damals gerade einmal neunzehn Jahre alt und hatte noch an keiner großen Schlacht teilgenommen. Es war ein schwarzer Tag für die Templer gewesen. Die angreifenden Mameluken hatten die Festung monatelang belagert und die Templer regelrecht ausgehungert. Mit Schaudern erinnerte sich Rudger daran, wie sie sich im Bergfried verschanzt hatten, verzweifelt auf die versprochene Hilfe durch die zypriotische Flotte hoffend, während der Hunger sich immer tiefer in seine Eingeweide fraß. Nur das Vorbild Friedrich von Alvenslebens und der eiserne Wille, den sein Meister an den Tag legte, bewahrten ihn damals vor der Aufgabe seiner selbst.

Durch das diplomatische Geschick Bruder Hugues de Dampierre erreichten sie schließlich die Gewähr freien Abzugs aus der Festung. Doch die heimtückischen Belagerer brachen ihr Wort. Als die Templer die Tore öffneten, wurden sie hinterrücks von den Mamaluken überfallen und in den sich anschließenden Gefechten mussten viele seiner Kameraden ihr Leben lassen. Wer nicht fiel, wurde gefangengenommen. Nur den wenigsten gelang die Flucht. Rudger und seine drei Freunde, die zusammen mit Friedrich und einigen deutschen Rittern zur Nachhut der ausrückenden Kämpfer gehört hatten, gelang es, sich den Weg freizukämpfen und unbemerkt von der Festung zu fliehen. Sie waren nur sieben Mann gewesen und auch ihr Eingreifen hätte eine Niederlage nicht mehr verhindern können. Im Hafen von Aruad nahm sie ein Genueser Kaufmann an Bord seines Schiffes. Er bedrängte sie nicht mit Fragen, woher sie kämen. Noch am selben Tag setzte er die Segel, und so gelangten sie unbeschadet nach Frankreich zurück. Von dort aus waren sie nach Wichmannsdorf aufgebrochen. Doch selbst an Friedrich waren die schrecklichen Erlebnisse vor Aruad nicht spurlos vorübergegangen. Als sie zwei Jahre später die Kunde erreichte, dass die letzten noch lebenden Gefangenen zu Tode gehungert worden waren, weil sie sich weigerten, den islamischen Glauben anzunehmen, hatte er sich tagelang in seinem Arbeitskabinett eingeschlossen. Rudger war überzeugt davon, dass ihn heute noch das schlechte Gewissen plagte, seine Brüder damals im Stich gelassen zu haben. Auch Rudger befiel jedes Mal große Traurigkeit, wenn er an Aruad dachte.

Rudger wandte sich wieder seinem faden Brei zu, den er mit dem dünnen, trüben Bier, das hier auf dem Hof gebraut wurde, herunterspülte. An der Tür zum Refektorium entstand Unruhe. Neben dem Ordensmeister standen, ungeduldig wartend, zwei Männer mittleren Alters. Der größere der beiden trug ein Kettenhemd. Seinen Helm hatte er lässig unter den Arm geklemmt. Der andere Mann war in den Habit eines Priesterbruders gewandet. Als Friedrichs Blick auf Rudger fiel, winke er ihm unauffällig. Mit einer Bewegung seines Kopfes zeigte er Rudger an, ihm in den Gang zu folgen. Der junge Ritter schaute kurz zu Endres. Doch dieser schien nichts bemerkt zu haben und löffelte in Gedanken versunken still seine Suppe. Ohne ein Wort zu verlieren, erhob sich Rudger und ging schnellen Schrittes in Richtung Tür.

Endres stutzte. „Rudger!“, rief er ihm laut flüsternd hinterher. Doch sofort bereute er seine voreilige Reaktion, denn jetzt waren die Blicke aller auf ihn gerichtet. Bei Tisch herrschte strengstes Redeverbot. Vorwurfsvoll schauten ihn die anderen Ordensbrüder an und er senkte beschämt den Kopf. Aus dem Augenwinkel heraus sah er noch, wie ihr Ordensmeister Rudger nach draußen zog, dann waren sie im Schatten des Ganges verschwunden. Doch in der Gewissheit, dass Rudger ihm später sowieso alles erzählen würde, grübelte er nicht weiter über das Gesehene nach. Er zog eine Augenbraue leicht nach oben und lächelte Valten und Jorge, die ihn fragend anschauten, entschuldigend zu. Er zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder seinem Mahl. Insgeheim freute er sich schon auf den Abend, denn dann würde der Küchenmeister wieder ein deftiges Fleischgericht auftragen. Was jetzt im Herbst in der Jagdzeit auch üppiger als in anderen Jahreszeiten ausfiel. Soviel er wusste, hatte Friedrich erst in der letzten Woche einen großen Rehbock erlegt, der nun inzwischen genug abgehangen sein dürfte. Endres lief das Wasser im Mund zusammen, und für einen Moment glitt ein Ausdruck der Glückseligkeit über seine Züge.

Die Speise der Ordensleute, ganz gleich, ob Ritter- oder Priesterbruder unterlag strengen Regeln. Sonntags, dienstags und donnerstags gab es zum Abend immer Fleisch und Gemüse, während montags, mittwochs und sonntags nur Käse und Eierspeisen aufgetischt wurden. Freitags war Fastentag, an dem Fisch gegessen wurde. Endres war zufrieden mit dem Essen. Am Abend erhielten sie dann auch einen Nachtisch in Form von Kuchen oder einer anderen süßen Leckerei. Auch wenn es am Morgen immer eine Gersten- oder Hafersuppe gab, zum Nachtmahl konnten sie alle tüchtig zulangen. Das war auch wichtig, denn sie trainierten den ganzen Tag hart mit ihren Waffen, um für ihre Einsätze im Kampf gerüstet zu sein. Die Priesterbrüder bewirtschafteten den Hof und ihr Tagwerk stand dem der Ritter in nichts nach, dafür sorgte ihr Ordensmeister. Und so kam es, dass sie immer alle gemeinsam ihre Mahlzeiten einnahmen.

Friedrich von Alvensleben schritt zügig auf den Treppenaufgang zu und bedeutete den anderen wortlos, ihm zu folgen. Das flackernde Licht einzelner Fackeln, welche in den Halterungen an den Wänden steckten, spendete wenig Helligkeit. Die große Halle, von der eine Treppe nach oben zu den Schlafsälen der Ritter und Priesterbrüder führte, blieb weitestgehend im Dunkeln. Rudgers Herz begann zu klopfen. Jetzt endlich würde er erfahren, was an den Worten Anselms wirklich dran war. Vielleicht hatte auch die Fantasie dem jungen Mönch einen Streich gespielt. Rudger wusste, dass Anselm gern seine Nase in alte Schriften steckte, in denen antike Sagen und Mythen standen. Oft erzählte er seinem Freund dann von diesen Fabelgestalten und seine Begeisterung kannte keine Grenzen.

Doch als der Ordensmeister die Tür zu seiner Kammer öffnete und sie mit einem besorgten Blick in den Gang zurück sorgfältig hinter sich schloss, wusste Rudger, dass etwas Bedeutendes in der Luft lag.

Friedrich wies seinen beiden Gästen jeweils einen der hohen Lehnstühle zu, die sich um einen schweren, mit Papieren beladenen Eichentisch in der Mitte des Raumes reihten. Als er den jungen Ritter nicht auch zum Setzen aufforderte, stellte dieser sich direkt neben den Tisch.

„Rudger“, begann sein Meister ohne Umschweife. „Dies hier sind der edle Ritter Guy de Saint Nivelle und Bruder Hippolit aus unserer Ordensgemeinde in Paris.“ Er zögerte einen kurzen Moment. „Ich glaube, du ahnst bereits, was das zu bedeuten hat.“ Rudger nickte stumm.

„Das Gerücht, was dir Bruder Anselm zugetragen hat, stimmt also. Der französische König hat im Namen des Papstes - letzterer wohl auch nur auf die Erpressung durch Philipp hin - alle unsere Brüder in Paris und den umliegenden Gemeinden gefangen nehmen lassen. Ihnen wird Verrat am Christentum, Gotteslästerung, Blasphemie und, was wohl am Schlimmsten ist, Sodomie und Götzendienst vorgeworfen. Wir sollen angeblich Baphomet huldigen. Wie lächerlich“, schnaubte er voller Verachtung. Dann fuhr er fort: „Inzwischen dürften auch auf den anderen Ordenshöfen in ganz Frankreich unsere Brüder verhaftet worden sein. Es war eine geplante Nacht- und Nebelaktion und es gelang den wenigsten, zu fliehen.“ Er schaute zu Guy.

„Du vertraust dem jungen Bruder, Francois?“, fragte der Ordensritter mit einem starken französischen Akzent. „Wir brauchen jemandem, auf den einhundert Prozent Verlass ist, wenn wir die Brüder im deutschen Reich warnen wollen. Nach Osten hin, gibt es zum Glück nicht viele Ordenshöfe, und der böhmische König steht auf unserer Seite.“

„Woher wollt Ihr das wissen?“, entfuhr es Rudger ungefragt. Trotzig reckte er das Kinn. Wenn sie ihn schon in die Sache hineinzogen, so wollte er auch alles ganz genau erfahren. Und was seine Herkunft anbelangte, so stand er den anderen als Sohn eines reichsunmittelbaren Adligen wohl in nichts nach.

Irritiert blickte Guy erst zu ihm, dann mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht zu Friedrich. Doch bevor er ungehalten reagieren konnte, kam ihm der Ordensmeister zuvor.

„Nun, was das anbelangt, so glaube ich, der böhmische Herrscher hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass er weder mit Philipp noch mit dem deutschen König viel gemein hat. Schon aus der Tatsache heraus, ihnen eins auswischen zu können, wird er sich auf die Seite der Templer stellen.“ Friedrich grinste. „Und was deine Frage anbelangt, mein lieber Guy, Bruder Rudger ist der geeignete Mann, dem wir diese Mission anvertrauen können. Ihr wisst, in Aruad hatte er großen Anteil daran, dass wir fliehen konnten. Auch wenn es uns nicht gelungen ist, rechtzeitig Hilfe holen zu können.“ Friedrich verstummte einen Moment. „Nun, wie auch immer. Ich vertraue Rudger und ich werde ihn mit einigen Männern, die er selbst auswählen wird, auf die Ordenshöfe der Marken Brandenburg und Meißen schicken. Die Kunde von der Vernichtung unseres Ordens muss so schnell als möglich im ganzen Land publik werden. Dem französischen König darf es nicht gelingen, mit Hilfe des Papstes all unsere Brüder gefangen zu nehmen. Unser über Jahrhunderte errichtetes Werk darf nicht zerstört werden.“

„Glaubst du wirklich, einem so jungen Mann wird es gelingen, unseren Orden zu retten, Bruder Friedrich?“, fragte nun auch der Mönch mit spöttischer Stimme. Er warf Rudger einen geringschätzigen Blick zu. „Und außerdem, wie können wir auf ihn bauen, nachdem er in Aruad Fersengeld gegeben hat. Sonst stünde er wohl nicht hier, oder?“ Ein süffisantes Lächeln umspielte die fleischigen Lippen Hippolits.

„Es reicht“, herrschte ihn Guy mit scharfer Stimme an. „Du vergisst dich, Bruder Hippolit. Oder willst du dem edlen Ordensmeister etwa auch Feigheit vorwerfen? Wie du gerade gehört haben dürftest, ist es auch ihm nur mit Müh und Not gelungen, das Schlachtfeld lebend zu verlassen. Wenn er den jungen Bruder hier als für geeignet erachtet, diese Mission zu erfüllen, dann vertraue ich auf sein Urteil.“ Er wandte sich an Friedrich. „Nun, du weißt, was zu tun ist, Bruder. Das weitere Schicksal des Ordens im Reich liegt in deiner Hand. Möge Gott auf deiner Seite sein. Bruder Hippolit und ich werden weiter nach England reisen, und versuchen, den jungen König Edward davon zu überzeugen, nichts gegen die Templer zu unternehmen. Immerhin ist er mit der Tochter Philipps verlobt. Auch steht er in Opposition zu den Schotten. Der schottische König hat sich in den letzten Monaten, als die Anschuldigungen gegen unseren Orden laut wurden, immer auf unsere Seite gestellt. Selbst aus seiner Familie gibt es Kämpfer in unseren Reihen.“