Baphomets Jünger

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Kapitel 9

Lichtenwalde

Januar 1309

Um den Bergfried von Lichtenwalde kreiste eine Schar schwarzer Vögel, die sich wie ein böses Omen kreischend in die Lüfte erhoben und dem nahen Wald zuflogen. Ritter Heidenreich schien unbeeindruckt davon und schaute Rudger und seine drei Freunde misstrauisch an. Die Zugbrücke rasselte mit lautem Getöse wieder nach oben. Somit war jeder Weg nach drinnen – oder, wenn man so wollte, auch nach draußen – versperrt.

„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?“, fragte Heidenreich die Ankömmlinge, und ein Lächeln, das eher an ein Zähnefletschen erinnerte, erschien auf seinem Gesicht. Der Ritter war im besten Alter, kräftig von Statur und, wahrscheinlich vom steten Training mit den Waffen, gut durchtrainiert. Eine kurze, dunkelblaue Tunika aus dickem Wolltuch reichte ihm bis knapp an die Knie. Lederne Hosen und mit Riemen festgeschnürte Halbstiefel ergänzten seine Kleidung. Die Kälte des Tages schien ihm nichts auszumachen, denn er trug weder Mantel noch Kopfbedeckung. Einzelne Schneeflocken verfingen sich in seinem von Silberfäden durchzogenen, dunklen Haar. In den vergangenen Tagen hatte es kräftige Niederschläge gegeben, doch langsam ließ der Schneefall nach und die Sonne versuchte sich einen Weg durch die aufbrechenden Wolken zu bahnen.

Die jungen Templer stiegen von ihren Pferden. Rudger verbeugte sich leicht vor dem Burgherrn und entbot ihm einen Gruß. Er hatte Heidenreich vor vielen Jahren nur einmal gesehen, als sein Vater ihn und seinen Bruder mit nach Lichtenwalde genommen hatte. Doch damals war er fast noch ein Knabe gewesen.

Sich nicht mit einer weitschweifenden Begrüßung aufhaltend, winkte Heidenreich einem im Hintergrund stehenden Knecht herbei, und ohne ein Wort zu verlieren, führte dieser die Pferde beiseite.

„Keine Angst“, sage Heidenreich, dem der argwöhnische Blick der Ritter aufgefallen war. „Er bringt sie in den warmen Stall, denn was gäbe es Schlimmeres für einen erhitzen Gaul, als in der Kälte herumzustehen. Eine Portion Heu wird ihnen neue Energie bringen.“ Damit war für ihn die Sache erledigt.

„Also, was führt Euch zu mir, Rudger von Ywen?“, fragte er erneut. Der junge Ritter staunte nicht schlecht, dass Heidenreich ihn zu erkennen schien. Das gab ihm wieder Mut. Denn es war eine heikle Angelegenheit, in der er nach Lichtenwalde kam.

Rudger stellte dem Älteren seine Begleiter vor und gab sich als Templer zu erkennen.

„So, so, ein Templer seid Ihr also. Und Eure jungen Freunde hier gewiss auch“, stellte er fest. „Ich wusste gar nicht, dass der alte Ulrich seinen Sohn der Kirche geweiht hat.“ Er schaute Rudger lauernd an.

„Mein älterer Bruder soll den Gutshof erben“, meinte Rudger ohne weitere Erklärungen.

„Höre ich da ein wenig Unmut in Eurer Stimme, mein junger Freund?“, fragte Heidenreich. Bevor Rudger zu einer Antwort ansetzen konnte, fuhr er fort: „Es gab ja viel Aufruhr um den Orden im letzten Jahr. Ja, auch zu uns hier an die böhmische Grenze drangen die Nachrichten, dass der Papst den Orden zerschlagen will“, erklärte er den etwas unsicher dreinblickenden Freunden. „Es ehrt mich ja sehr, dass Ihr auf Lichtenwalde erscheint. Doch ist es wahrscheinlich nicht nur ein freundschaftlicher Nachbarschaftsbesuch, der Euch zu mir führt.“

Endlich hatte Rudger seine Fassung wiedergefunden. „Nein, Heidenreich. Es ist eher die Sorge um unsere Brüder, die uns hierhergebracht hat.“

Der Blick des Ritters wurde bohrend. „Wie das?“, fragte er etwas barsch und Misstrauen schlich sich in seine Stimme. „Was haben wir hier auf Lichtenwalde mit dem Tempelorden zu schaffen? Oder mit dem Papst?“, ergänzte er etwas unwirsch. „Glaubt Ihr wirklich, dass die Zwistigkeiten im Reich hier für uns von Belang sind? Wir haben wahrhaftig andere Sorgen.“ Er ließ ein unfrohes Lachen hören.

„Ich wollte Euch nicht erzürnen“, entschuldigte sich Rudger. Im Stillen ärgerte er sich, nicht diplomatischer vor sich gegangen zu sein. „Doch haben wir Kunde erhalten, dass Ihr ein Freund unseres Ordens seid, und einige unserer Brüder bei Euch Unterschlupf gefunden hatten. Ihr ihnen auch behilflich gewesen sein sollt, weiter nach Böhmen zu kommen“, wagte er einen vorsichtigen Vorstoß.

Es entstand ein kurzer Moment des Schweigens. Doch dann schüttelte Heidenreich den Kopf.

„Ich glaube, da habt Ihr etwas Falsches gehört“, meinte er nur. Aber irgendwie schien er unschlüssig zu sein. „Doch wollt Ihr nicht in meine Halle kommen?“, fragte er unvermittelt. „Es ist ziemlich kalt hier draußen und ein Schlückchen heißer Honigwein wird Euch den Heimritt leichter werden lassen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er mit zügigen Schritten voran. Schwungvoll öffnete er die schwere Eichentür. Mit einer Handbewegung lud er sie ein, hereinzukommen.

Rudger und seine Begleiter folgten etwas befangen seiner Aufforderung. An der Schwelle zur Halle trampelten sie den Schnee von ihren Stiefeln. Durch das helle Licht im Hof noch geblendet, erkannten sie erst nach und nach die Einzelheiten des Raumes, der von einer Reihe Fackeln, die an den Wänden entlang in schmiedeeisernen Halterungen steckten, erhellt wurde.

An der rechten Seite der Halle spendete ein großer Kamin aus kunstvoll behauenen, cremefarbenen Porphyrsteinen eine behagliche Wärme. Mehrere eiserne Becken mit glühenden Kohlen standen in der Nähe des langen Tisches, an dessen Kopfende zwei hohe Lehnsessel und an den Seiten lange, hölzerne Bänke standen. Im Hintergrund des Raumes schien eine steinerne Treppe in das Stockwerk darüber zu führen. Die rundbogigen Fenster zu beiden Seiten der Halle waren mit hölzernen Läden verschlossen. An den Wänden hingen allerlei Gerät und Waffen, zwischen denen kunstvoll bestickte Teppiche dem Raum eine gewisse Behaglichkeit gaben. Den Boden bedeckte eine dicke Schicht Binsen, versetzt mit duftenden Kräutern. Erst jetzt sahen die Ritter zwei Frauen, die direkt vor dem Kamin am wärmenden Feuer saßen und mit einer Handarbeit beschäftigt waren.

Als sie der Männer gewahr wurde, stand die ältere der beiden auf und ging lächelnd auf sie zu. Ihr kastanienbraunes Haar wurde von einem zarten Schleier verhüllt. Doch einige vorwitzige Strähnen hatten sich darunter hervorgestohlen und umrahmten ihr hübsches, etwas rundliches Gesicht. Ihre blauen Augen blickten freundlich. Heidenreich fasste sie beinahe liebevoll am Arm, eine Geste, die gar nicht so recht zu ihm passen wollte. Innerlich musste Rudger schmunzeln.

„Mein Weib Heda“, stellte der Hausherr die Frau vor, und die jungen Ritter verbeugten sich artig. Heda nickte ihnen wohlwollend zu. „Willkommen in unserer Halle“, sagte sie.

„Die jungen Männer kommen aus Ywen. Rudger, der Sohn Ulrichs und seine Freunde. Die Ritter sind Templer.“ Er sah seine Frau bedeutungsvoll an.

„Ach“, machte Heda nur, ging aber nicht weiter darauf ein.

„Wir wollen uns ein wenig unterhalten. Über die Kirche im Allgemeinen und über die jüngsten Ereignisse.“

Heda nickte wissend. „Dann will ich euch nicht weiter stören“, meinte sie und ging zurück zu ihrem Sessel, wo sie die Handarbeit wiederaufnahm.

Die jüngere war auf ihrem Stuhl sitzen geblieben und schaute neugierig zu den Neuankömmlingen herüber.

„Nes“, forderte Heidenreich sie auf. „Willst du unsere Gäste nicht begrüßen?“ Zögernd erhob sich Nes von ihrem Stuhl. Doch blieb sie stehen, ohne näher zu kommen.

Ihr Vater runzelte leicht die Stirn. „Weise die Magd an, heißen Wein zu bringen, Tochter“, befahl er ihr, und in seiner Stimme schwang leiser Unmut mit. Die junge Frau wandte sich wortlos um und verschwand im hinteren Teil der Halle, wo vermutlich eine Tür in das angrenzende Küchengebäude führte.

„Meine Tochter Agnes ist ein wenig rebellisch“, meinte er entschuldigend. „Doch sie ist meine älteste, und einen männlichen Erben habe ich leider noch nicht.“ Er blickte kurz zu seiner Frau, die etwas verlegen schien. Erst jetzt fiel es Rudger auf, dass Heda mit einem Kind schwanger war, das wahrscheinlich im Frühjahr zur Welt kommen würde.

Heidenreich führte seine Gäste zur Tafel und ließ sich auf einer der Bänke nieder. Rudger und seine Freunde nahmen ihm gegenüber Platz. Nach wenigen Augenblicken erschien eine dralle Magd. Auf einem Tablett trug sie fünf Becher und einen schweren Krug, dem der wunderbare Duft gewürzten, heißen Weins entstieg. Auch Agnes kam wieder in die Halle und setzte sich wortlos auf ihren Platz, die Nadelarbeit zur Hand nehmend.

„Was wisst ihr davon? Warum nehmt Ihr an, dass sich geflohene Templer hier in der Gegend aufhalten?“, begann Heidenreich unvermittelt. „Es ist ein bisschen weit entfernt vom Reich der Franzosen, meint Ihr nicht?“, wandte er sich direkt an Rudger. „Was sollten sie hier in dieser gottverlassenen Gegend?“

„Nun, ganz so abwegig wäre es ja nicht“, antwortete Rudger, mit Bedacht seine nächsten Worte wählend. „Denn der Weg nach Böhmen führt ganz hier in der Nähe vorbei. Und es ist die sicherste Route, wenn man vom Rheinland kommt und über den Gebirgskamm will. Denn Ihr wisst selbst, dass Markgraf Friedrich ein Freund unseres Ordens ist und mit Sicherheit dafür sorgt, dass die geflohenen Ritter auf ihrem Weg Unterstützung erhalten.“

„Seid Ihr auf der Flucht?“, fragte Heidenreich unverblümt.

Rudger lächelte. „Nun, das nicht gerade, denn der Hof meines Vaters wird mir genug Schutz bieten“, meinte er. „Und meinen Freunden“, setzte er hinzu. Er bedachte seine Gefährten mit einem Blick. Sie hatten dem Gespräch bis jetzt schweigend zugehört.

„Da wir alle drei aus dem Anhaltinischen stammen, glaubten wir, es sei das Beste, unserem Bruder in seine Heimat zu folgen“, ergriff Endres auch im Namen seiner Brüder das Wort. „Vielleicht gibt es für uns ja die Möglichkeit, im Orden der Deutschen Ritter Aufnahme zu finden. Einigen unserer Mitbrüder soll das gelungen sein.“

 

„Seid Ihr sicher, dass das Euer Wunsch ist“, fragte Heidenreich augenzwinkernd und blickte die jungen Männer einen nach dem anderen eindringlich an. Sein Blick blieb an Valten hängen.

Dieser starrte wie gebannt zu Agnes hinüber. Die junge Frau hatte seine Aufmerksamkeit voll in Beschlag genommen und die Worte der Unterhaltung gingen ungehört an ihm vorüber. Heidenreichs Tochter saß über ihre Handarbeit gebeugt, und schien von der Anwesenheit der Männer keine Notiz zu nehmen. Ihr dunkles Haar fiel ihr offen über die Schultern, lediglich von einem schmalen, silbernen Reif gehalten. Sie hielt den Blick gesenkt. Dichte schwarze Wimpern umrahmten ihre großen blauen Augen. Ihre zarten Wangen waren leicht gerötet. Agnes war ein zierliches Mädchen, doch wirkte sie nicht zerbrechlich. Irgendwie hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Hencke von Schellenberg. Rudger wusste, dass die Familien miteinander verwandt waren.

Sie trug eine grüne Tunika, die an den Säumen mit hellem Faden reich bestickt war. Darunter blitzte ein weißes Untergewand hervor. Um die schmalen Hüften hatte sie einen ledernen Gürtel geschlungen, an dem ein Schlüsselbund befestigt war. Die fortgeschrittene Schwangerschaft hatte Heda dazu veranlasst, die Hausfrauenpflichten an ihre älteste Tochter zu übertragen.

Die Stickerei schien Agnes’ ganze Aufmerksamkeit zu erfordern, und sie schürzte die vollen Lippen. Für Valten war sie das schönste Mädchen, was er jemals gesehen hatte, und er konnte seinen Blick nicht losreißen. Ein heftiger Tritt gegen sein Schienbein ließ ihn aus seiner Versunkenheit aufschrecken. Verärgert schaute er zu Jorge, der neben ihm saß. Sein Freund bedachte ihn mit leichtem Kopfschütteln. Rudger grinste. Doch sah er sich jetzt Agnes etwas genauer an. Ja, sie war wirklich äußerst liebreizend. In seinem Inneren bemerkte er ein leichtes Ziehen, doch dann rief er sich wieder zur Ordnung. Er war ein Ordensritter und hatte jeglichen weltlichen Dingen abgeschworen. Als ihn ein langer Blick aus ihren bemerkenswerten Augen traf, machte sein Herz allerdings einen kleinen Satz. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, dass ihn Valten stirnrunzelnd beobachtete.

Heidenreich räusperte sich laut und seine undurchdringliche Miene ließ die jungen Männer schnell wieder aufmerksam werden.

„Wir werden sehen, was die Zeit mit sich bringt“, sagte Rudger, an die Frage Heidenreichs anknüpfend. „Ob wir in den Deutschherrenorden eintreten oder anderswo unsere Dienste anbieten, hängt davon ab, wie sich die Dinge hier in der Mark entwickeln.“

„Vielleicht können wir auch ganz ungestört zu unseren Familien zurückkehren“, meinte Jorge.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht“, antwortete Heidenreich leicht ironisch. „Bedenkt. Meißen ist eine Suffragandiozöse1 des Magdeburger Erzbistums. Bischof Albrecht sieht sich zwar gern als reichsunmittelbaren Kirchenfürsten. Doch inzwischen haben sich die Zeiten geändert, und es sind über dreihundert Jahre ins Land gegangen, dass Kaiser Otto auf dem Meißner Burgberg einen Bischofsdom errichten ließ. Ich würde nicht allzu sehr darauf vertrauen, dass die Kirche in der Mark und in Thüringen der Weisung Friedrichs Folge leistet und die Templer in Ruhe lässt. Und der Markgraf hat im Moment sowieso andere Sorgen als die Verfolgung der Templer.“

„Da mögt Ihr recht haben, Heidenreich. Und deshalb sind wir zu Euch gekommen, um Eure Hilfe zu erbitten, falls diese notwendig ist.“

Der Ritter von Lichtenwalde schaute Rudger lange an. Dann erhellte ein leichtes Lächeln sein Gesicht. „Ihr seid hartnäckiger, als ich dachte“, meinte er nur. „Agnes!“, rief er nach seiner Tochter. „Geh zur Köchin und trage ihr auf, uns eine Stärkung zu bringen. Ich glaube unser Gespräch wir länger dauern“, wandte er sich wieder den vier jungen Männern mit einem verschmitzten Augenzwinkern zu.

Schon wurden die Schatten länger, als die Ritter den Heimweg antraten. Gerade wollten sie ihre Rösser besteigen, da trat Nes aus dem Schutz der Mauer zu ihnen. Direkt vor Rudger blieb sie stehen. „Kommt in zwei Monden wieder, Herr Ritter“, sagte sie leise. „Vielleicht könnt Ihr Euch nützlich machen. Und wisst, auch mir ist das Schicksal der Templer nicht gleichgültig. Deshalb passt auf, wenn Ihr nach Hause reitet. Die Dämmerung senkt sich bald herab.“ Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu, dann huschte sie schnell zurück in die Halle. Rudger wusste nicht so recht, was er denken sollte, denn die Worte des Mädchens erschienen ihm recht mysteriös.

„Was war das denn?“, fragte Endres erstaunt. „Was hat sie zu dir gesagt?“

„Sie hat uns nur einen guten Heimritt gewünscht“, wich Rudger aus. Endres schaute ihn zweifelnd an.

„Und warum hat sie es dann nicht laut gesagt, sondern nur mit dir heimlich geflüstert?“, fragte Valten und Ärger schwang in seiner Stimme mit.

„Ja, das würde mich auch mal interessieren“, meldete sich Jorge ebenfalls zu Wort. „Kanntest du das Mädchen schon?“

„Nein, natürlich nicht“, zischte Rudger. „Ist doch jetzt auch egal.“

„Mir ist es nicht egal“, sagte Valten. „Sie ist ein hübsches Mädchen. Vielleicht lege ich die Kutte doch ab.“ Er schaute Rudger herausfordernd an.

„Mach doch, was du willst“, schnauzte der. „Aber ich glaube kaum, dass du eine Chance bei Heidenreich hast.“

„Aber du, was?“, höhnte Valten.

„Mich interessiert das Mädchen nicht.“

„Sah aber gerade ganz anders aus da drinnen. Ihr kennt euch bereits“, beharrte Valten.

„Was willst du eigentlich?“, schrie Rudger nun. „Ich habe sie vor dem heutigen Tag noch nie gesehen. Sie hat uns nur vor der Dämmerung gewarnt. Vielleicht weiß sie von Räuberbanden, die die Gegend unsicher machen. Also halte die Augen auf, anstatt in Träumereien über ein für dich unerreichbares Mädchen zu versinken.“ Rudger gab seinem Gaul die Sporen und stob davon, dass der Staub nur so aufwirbelte. Verblüffung stand seinen Freunden ins Gesicht geschrieben.

„Tja, mein Lieber. Du scheinst da einen wunden Punkt getroffen zu haben“, witzelte Endres. Doch Valten warf ihm nur einen wütenden Blick zu.

Kapitel 10

Lichtenwalde

März 1309

Nes und ihre jüngere Schwester Magdalin standen direkt am großen Tor des Vorwerkes. Es war ein sonniger Märztag. Die Vögel sangen bereits aus Leibeskräften und kündeten vom beginnenden Frühling. Magdalin nahm ihren weiten Mantel von den Schultern und reckte das Gesicht in die wärmenden Strahlen der Sonne.

„Meinst du, es ist schon warm genug, um ohne Mantel zu gehen?“, fragte Agnes. „Du hast erst vor wenigen Tagen krank darniedergelegen. Fordere das Schicksal nicht heraus.“

Doch Magdalin lachte nur. „Ich glaube nicht an das Schicksal, liebe Schwester“, sagte sie leichthin. „Es gibt immer eins das andere, immerfort. Meinst du nicht auch, dass wir das, was wir Schicksal nennen, selbst in der Hand haben?“ Mit klugem Blick aus ihren hellblauen Augen schaute sie die Ältere an.

„Was du nur immer im Kopf hast“, meinte diese. „Die ehrwürdigen Benediktinerinnen in Geringswalde scheinen ihren Schützlingen wahrhaft seltsame Gedanken mit auf den Weg zu geben.“ Doch Magdalin lachte nur gutgelaunt. Sie war ein fröhliches Mädchen und ihr offener Charakter spiegelte sich auf ihrem hübschen, von hellblonden Locken umrahmten Gesicht wider.

Das Mädchen war erst vor wenigen Wochen zurück in die Burg ihres Vaters gekommen. Nahezu zwei Jahre lang lebte sie im Kloster der Benediktinerinnen in Geringswalde, wohin Heidenreich sie zur Erziehung zur Novizin gegeben hatte. Doch ihre angegriffene Gesundheit veranlasste ihren Vater dazu, sie wieder nach Hause zu holen. Die Zukunft würde es weisen, ob er seine Tochter endgültig der Kirche gab. Auch Agnes hatte eine Zeit im Kloster verbracht. Doch fühlte sie sich nicht zur Nonne berufen. Ihr widerspenstiger Geist hatte die Äbtissin dazu veranlasst, sie zurück zu ihrem Vater zu schicken. Heidenreich war seiner Tochter nicht gram. Er akzeptierte den Wunsch des Mädchens und gestattete Agnes, zunächst zu Hause bei der Mutter zu bleiben, um dieser bei der Führung des großen Haushaltes zur Hand zu gehen. Immerhin hatten die Nonnen sie das Lesen und Schreiben gelehrt. Auch konnte sie ganz gut rechnen und einige Brocken Latein. Auf einem so großen Besitz, wie Lichtenwalde es war, konnte so etwas nur von Nutzen sein.

Agnes schaute zurück zur Burg. Auf dem hohen Bergfried, der sich über die Bäume, welche die Feste umstanden, erhob, wehte eine Flagge mit dem Wappen ihrer Familie. Ihre Vorfahren hatten Lichtenwalde vor weit über einhundert Jahren im Auftrag Kaiser Friedrichs, den man auch den Rotbart nannte, zu einem gewaltigen Herrschaftssitz ausgebaut, zu dem auch etliche Dörfer gehörten. Ein warmes Gefühl überkam Agnes, als sie an ihre Großmutter, Gott habe sie selig, dachte. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr die alte Frau oft von den Heldentaten ihrer Ahnen erzählt und Stolz auf ihre Familie regte sich in ihrer Brust.

„Agnes!“ Die Stimme ihrer Schwester riss sie aus ihren Tagträumereien. „Schau, da vorn. Es nähern sich Reiter. Meinst du nicht, es wäre klüger, zurück in die Burg zu gehen, oder wenigstens hinein ins Vorwerk zu Meister Fercho? Wer weiß schon, was diese fremden Männer hier wollen?“ Magdalin blickte ihre Schwester etwas ängstlich an.

Agnes sah in die angezeigte Richtung. Vier Reiter hielten in vollem Galopp auf das Tor zum Vorwerk zu. Doch die junge Frau schien nicht im Mindesten beunruhigt. „Das sind Rudger und seine Freunde“, meinte sie. Auf den Tag genau zwei Monate nach seinem ersten Besuch auf Lichtenwalde, dachte Nes bei sich.

„Rudger!“ Magdalin klatschte in die Hände. „Lerne ich diesen großartigen Ritter, von dem du die ganze Zeit schwärmst, auch endlich einmal kennen?“

Agnes stemmte die Hände in die Hüften. „Untersteh dich!“, rief sie erbost. „Ich habe niemals von Rudger geschwärmt. Er ist nur ein sehr tapferer Mann.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Magdalin und der Schalk sprach aus ihrer Stimme.

„Nun“, begann ihre Schwester zu stammeln. „Er ist ein Templer.“ Triumphierend sah sie Magdalin an.

„Dann müssten also jetzt gleich vier dieser Prachtexemplare hier erscheinen“, zog sie die jüngere weiter auf. „Vielleicht sollte ich sie mir einmal genauer anschauen.“

„Es war wohl doch keine so gute Idee, dich mit hierher zu nehmen“, meinte Agnes.

Inzwischen hatten sich Rudger und seine Freunde dem Vorwerk genähert. „Gott zum Gruße, edle Jungfer“, grüßte der Ritter die junge Frau.

Agnes runzelte die Stirn. Wie förmlich Rudger sie ansprach. Fast hätte sie aus lauter Verwirrung gar nicht bemerkt, dass er weiterredete.

„Ich nehme an, das ist Eure Schwester“, stellte er fest. „Auch Euch unseren freundlichen Gruß.“ Er verbeugte sich leicht, seine Freunde taten es ihm lachend nach.

„Ihr seht, ich habe nicht vergessen, dass Ihr uns auf den heutigen Tag hierherbestellt habt. Nun verratet uns, was der Grund unseres Besuches sein wird“, sagte Rudger, noch immer mit einem leisen Lächeln in der Stimme. Nach seinem ersten Besuch auf Lichtenwalde im Winter war er noch zwei weitere Male mit Valten hier gewesen. Heidenreich hatte zwar nie direkt zugegeben, dass er fliehenden Templern half, es aber auch nicht abgestritten, und Rudger immer wieder nach dessen Bereitschaft, zu gegebener Zeit für eine geheime Mission zur Verfügung zu stehen, gefragt.

Der junge Ritter hatte bei jedem seiner Besuche einige Worte mit dem Mädchen gewechselt. Sie fragte ihn nach den Ereignissen, die der Zerschlagung des Ordens gefolgt waren und bereitwillig berichtete er ihr davon. Die Klugheit und Stärke, mit der sie ihren Worten Nachdruck verlieh, beeindruckten ihn. Aber auf seine Frage, warum er in genau zwei Monden wiederkommen sollte, gab sie nur ausweichende Antworten, tat so, als habe sie es nur dahingesagt. Doch Rudger nahm sich vor, genau an diesem Tag hier zu erscheinen.

Agnes straffte die Schultern. Dann fing sie den überraschten Blick ihrer Schwester auf, die dazu anhob, etwas zu sagen. Doch ließ Nes sie gar nicht erst zu Wort kommen.

„Und ja“, raunte sie Magdalin angriffslustig zu. „Ich brauchte eine Anstandsdame.“ Sie reckte herausfordernd das Kinn. „Ich kann mich ja schlecht allein mit dem Ritter von Ywen treffen.“

 

„Ach, und da meintest du, wenn ich mitkomme, können es ihrer gleich vier sein.“

Agnes schaute etwas verlegen drein. „Ich dachte, er kommt allein. Ich habe ihn herbestellt“, raunte sie ihrer Schwester zu.

Diese schüttelte fassungslos den Kopf und wandte sich zu den Männern um. „Nun, ihr Herren Ritter“, meinte sie etwas herablassend. „Ich glaube, meine Schwester und ich gehen jetzt. Mit Sicherheit wolltet Ihr auch zu unserem Vater. Es wäre schön, wenn er nichts davon erfahren würde, dass wir hier auf Euch getroffen sind. Als Empfangskommando sozusagen.“ Ihre Stimme hatte einen ironischen Unterton angenommen. „Komm, Agnes.“

Magdalin war drei Jahre jünger als ihre Schwester, die in diesem Sommer neunzehn Jahre zählte. Gleich nach ihrer Geburt hatte Heidenreich mit Ulrich von Ywen eine Übereinkunft getroffen, seine Zweitgeborene später mit dessen Sohn Arnald zu verheiraten. Doch die immerwährend angegriffene Gesundheit des Mädchens ließen ihn seine Pläne ändern. Er versprach, sie der Kirche zu geben, um Gott so, was das Leben des Kindes anging, milde stimmen zu können. Seine älteste, Agnes, war einem Edelmann aus dem Geschlecht der Rechenberger versprochen gewesen. Dessen jahrelanges Siechtum hatte die Vermählung immer wieder hinausgeschoben. Als Agnes` Verlobter dann vor über zwei Jahren recht plötzlich starb, spielte Heidenreich mit dem Gedanken, seine Tochter jetzt Arnald von Ywen zur Frau zu geben. Doch hatte die junge Frau den Vater davon überzeugen können, sie selbst bei der Wahl ihres zukünftigen Mannes ein Wörtchen mitreden zu lassen. Aber mit der Zeit wurde Heidenreich ungeduldig, und er wollte seine Tochter endlich unter die Haube bringen, denn sie wurde langsam eine alte Jungfer. Er gedachte, sie vorteilhaft zu verheiraten, da ihm der erhoffte männliche Erbe noch nicht geboren war. Doch nachdem ihm Ulrich von Ywen immer wieder sein Leid über den unzuverlässigen Sohn klagte, schwankte Heidenreich, ob es eine gute Idee sei, seine Tochter so einem Nichtsnutz zu geben. Langsam erschien ihm Hencke von Schellenberg als der geeignetere Kandidat, und er meinte, bemerkt zu haben, dass auch der junge Ritter Gefallen an Nes gefunden hatte. Doch Agnes erfand immer neue Ausreden und konnte das schier Unvermeidliche hinauszögern. Ihr stand nicht der Sinn danach, den Rest ihres Lebens an irgendeinen Kerl gebunden zu sein, auch wenn es der Schellenberger war. Oder vielleicht auch einer, der mit Sicherheit alt und hässlich wäre, und der sie nur würde heiraten wollen, weil schon drei seiner Ehefrauen vor ihr im Kindbett gestorben waren.

„Nein Magdalin“, bat Agnes ihre Schwester flüsternd. „Vater darf nichts von dem Besuch Rudgers wissen.“

„Warum nicht? Wieso hast du ihn herbestellt?“, fragte diese erstaunt.

„Ich wollte ihm etwas zeigen. Aber das ist nun auch egal, da er ja seine Schatten mitbringen musste.“ Finster schaute sie die Ritter an.

„Was wolltest du ihm zeigen?“

„Unsere unterirdischen Gewölbe.“

„Agnes, untersteh dich!“, rief Magdalin bestürzt. „Das darfst du nicht.“

Agnes verzog das Gesicht.

Rudger, Endres, Jorge und Valten wurden langsam ungeduldig.

Was tuscheln diese Weiber da bloß, dachte Valten verärgert. Wir machen uns hier zum Gespött. Doch sagte er es nicht laut, denn er wollte Agnes nicht verärgern. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie ihm eines Tages ihr Herz schenken würde. Immer wieder versuchte er, mit ihr allein zu sein. Aber das Mädchen verstand es geschickt, ihm auszuweichen. Wenn er es recht betrachtete, zeigte sie überhaupt kein Interesse an ihm, was er nur schwer akzeptieren konnte. Doch schien auch Rudger an dem Mädchen nichts weiter zu finden, was Valten ein wenig beruhigte. Er hatte in seinem Gefährten schon immer auch den Konkurrenten gesehen, ganz gleich, ob es darum ging, ihrem Ordensmeister Friedrich zu gefallen, in einer Schlacht Ruhm zu ernten oder, wie jetzt, die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf sich zu ziehen. Mit Letzterem hatte er wenig Übung, allerdings beschwichtigte ihn der Gedanke, dass es seinem Mitbruder nicht anders erging.

„Vielleicht sollten wir zurück reiten“, schlug er vor. „Die Weibsbilder haben sich einen Spaß mit uns erlaubt.“

„Nun, das werden wir gleich wissen“, meinte Rudger und stieg von seinem Pferd. Langsam näherte er sich den Schwestern. Magdalin gewahrte es als erste und trat ihm angriffslustig entgegen. Doch bereute sie ihre Forschheit schnell, denn der Ritter überragte sie um einiges, obwohl sie einen halben Kopf größer als ihre Schwester war.

Rudger amüsierte sich im Innern königlich, denn es war ihm keineswegs entgangen, dass die Schwestern nicht so recht wussten, was sie mit den vier Rittern anfangen sollten. Es geziemte sich nicht für ein Fräulein von Stand, sich allein mit einem Mann zu treffen, geschweige denn gleich mit vieren.

„Edle Fräulein“, begann er. „Wir sehen, dass es ein glücklicher Zufall war, Euch hier zu treffen. Wir sind natürlich überaus geehrt. Und Ihr habt recht. Wir wollten zu Eurem Vater. Vielleicht könnt ihr uns, da wir uns nun einmal hier begegnet sind, zu ihm geleiten.“

Magdalin nickte, immer noch etwas unsicher, wie sie sich verhalten sollte. Doch schienen die Ritter in friedlicher Absicht gekommen zu sein.

„Nun, Herr Ritter, Ihr werdet den Weg gewiss allein finden“, antwortete sie und wandte sich zum Gehen. Was hatte ihnen ihre Schwester da wohl bloß wieder eingebrockt? Hoffentlich hatte sie vom Vorwerk aus nur keiner beobachtet, denn sie war ja eine angehende Nonne. Ihr Vater wäre sicher sehr ungehalten über so ein ungebührliches Verhalten. Nun, und was ihre Schwester anbelangte ... Wo blieb sie überhaupt? Magdalin drehte sich um. Erschrocken sah sie, wie Agnes dicht bei Rudger stand. Sie musste zwar zugeben, dass der Mann eine Augenweide war, aber das durfte sie nicht weiter interessieren, denn sie hatte sich dazu entschieden, eine Braut Christie zu werden.

„Wieso kommt Ihr nicht allein“, raunte Agnes Rudger mit leiser Stimme zu. „Ich wollte Euch in ein Geheimnis von Lichtenwalde einweihen. Es sollte nicht alle Welt davon erfahren.“

„Und Ihr?“, fragte Rudger ebenso leise zurück. „Wieso habt Ihr Eure Schwester mitgebracht? Vertraut Ihr mir nicht? Immerhin bin ich ein Mann Gottes.“

„Mir wäre schon etwas eingefallen, sie abzuschütteln“, sagte Nes.

Rudger staunte nicht schlecht. Bis jetzt war ihm die Jungfer immer etwas spröde erschienen. Obwohl sie oft miteinander sprachen, verhielt sie sich ihm gegenüber relativ kühl. Auch wenn er sich darüber ärgerte, sagte er sich immer wieder, dass er seine Heimat sowieso bald verlassen würde, um in den Deutschen Orden einzutreten. Und als Kämpfer des Herrn stand es ihm nicht an, sich nach einer Frau zu verzehren.

„Was ist nun?“, fragte Valten ungehalten und die Eifersucht nagte erneut in seiner Brust.

„Jungfer Agnes wollte sich nur noch verabschieden“, antwortete Rudger und sah sie eindringlich an. Nes errötete leicht. Dann drehte sie sich abrupt um und lief ohne ein weiteres Wort ihrer Schwester nach, welche bereits ungeduldig auf sie wartete.

„Lasst uns in die Burg reiten“, meinte Rudger.

„Du wusstest, dass sie hier wartet, stimmt’ s?“, fragte Endres. Sein enttäuschter Blick traf den jungen Templer.

„Nun ja, nicht so direkt“, antwortete sein Freund etwas ausweichend. „Dass sie ihre Schwester mitbringt, habe ich nicht gewusst.“

„Und was sollte das Ganze“, meldete sich jetzt auch Jorge etwas verstimmt zu Wort. „Sagtest du nicht, dass wir mit Heidenreich die nächsten Schritte für unsere Unternehmung besprechen wollten.“

„Ja, das auch“, brummelte Rudger.

„Aha“, machte Jorge nur.

Auch Valten und Endres war der Ärger über Rudgers Geheimniskrämerei anzusehen. Inzwischen näherten sie sich der Zugbrücke. Der Torwächter kannte die Ritter unterdessen gut genug und so dauerte es nicht lange, und sie ritten in den Hof der Burg.