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Heidenreich kam ihnen entgegen. Seine Miene wirkte etwas gehetzt. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Ihr heute nach Lichtenwalde kommt“, begann er. „Ich habe einen Gast“, fuhr er fort. „Aber vielleicht ist es eine Fügung, dass Ihr hier seid. Denn es gibt wichtige Neuigkeiten zu besprechen.“

Ohne weitere Erklärungen ging er voran in die Halle und gebot ihnen, ihm zu folgen.

Endres hielt seinen Freund zurück. „Also hat uns Agnes mit Absicht abgefangen?“, fragte er leise, dass Heidenreich sie nicht hören konnte. „Du wusstest davon.“

Rudger sah seine Gefährten bedeutungsvoll an. „Sie hat mich herbestellt, weil heute irgendetwas wichtiges hier passieren soll. Aber fragt mich nicht, was.“

„Nun, wir werden es gleich erfahren“, meinte Valten und schickte sich an, Heidenreich zu folgen.

Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten die Templer Hencke von Schellenberg, der mit einem Pokal Wein vor sich an der Tafel des Ritters saß. Als er die jungen Männer erblickte, erhob er sich erstaunt. Dann schaute er fragend zu Heidenreich.

„Wie es die glückliche Fügung Gottes ist, hat er die vier Ritter heute hierhergeführt“, begann Heidenreich umständlich. Hencke hob etwas irritiert die Brauen. „Wie auch immer, ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir den Herren reinen Wein einschenken ... Ah, das ist das Stichwort“, unterbrach er seine Rede. „Frida, bringe uns Wein, gleich einen großen Krug.“

„Was heißt das? Gibt es etwas, dass Ihr uns schon längst hättet sagen müssen?“, fragte Rudger überrascht.

„Setzt Euch“, gebot ihm der Burgherr. „Ich glaube, es ist an der Zeit, Euch in unsere näheren Geheimnisse einzuweihen.“

Die Magd brachte den Wein und es entstand eine Pause, bis sie wieder verschwand. Rudger spürte, dass es Hencke sichtlich unangenehm war, ihn hier anzutreffen. Irgendetwas schien er verheimlichen zu wollen. Aber Heidenreich ignorierte die Verlegenheit des Ritters.

„Ihr wisst, dass ich dem Orden der Templer sehr positiv gegenüberstehe“, begann er. „Wir haben oft genug darüber diskutiert, wie man den betroffenen Brüdern, die sich auf der Flucht befinden, helfen kann.“ Er machte eine kurze Pause.

Valten nutzte die Gelegenheit und ergriff das Wort. „Und was ist daran so geheimnisvoll, dass Ihr so herumdruckst? Sind wir nicht auch Templer, die vor dem Erzbischof fliehen mussten?“ Er schaute Heidenreich herausfordernd an. Die anderen Ritter murmelten zustimmend. Auch Rudger fragte sich, worauf der Alte hinauswollte. Heute war einiges eigenartig. Erst die seltsame Begegnung mit Agnes, die ihn bei seinem ersten Aufenthalt hier in Lichtenwalde nahezu dazu aufgefordert hatte, heute hierher zu kommen. Und jetzt die eigenartige Rede ihres Vaters.

„Es gibt in Lichtenwalde ein unterirdisches Gewölbe, von dem keiner weiß“, verriet ihnen Heidenreich.

„Gibt es so etwas nicht fast auf jeder Burg“, meinte Endres amüsiert. Wenn dies das Geheimnis war ...

„In Ywen nicht“, sagte Rudger

„Wundert’s dich?“, warf Hencke ein. „Wir sprachen von einer Burg.“

„Idiot.“ Rudger verzog beleidigt das Gesicht.

„Nun, meine Freunde“ ergriff Heidenreich wieder das Wort. „Darum geht es jetzt auch nicht. Es ist viel wichtiger, was es hier mit diesem Gewölbe auf sich hat.“

Die Ritter aus Ywen horchten interessiert auf. Doch entging es Rudger nicht, dass Hencke vollkommen unbeeindruckt zu sein schien. Was wusste er davon? Die nächsten Worte des alten Ritters bestätigten seine Vermutung, dass der junge Schellenberger eine viel größere Rolle bei der Sache spielen musste, als es den Anschein hatte. Er gab hier vor, gemütlich mit dem Hausherrn einen Pokal zu leeren, doch mit Sicherheit führte ihn etwas anderes nach Lichtenwalde.

„Ihr wisst, dass in der Familie der Rechenberger einige Männer dem Orden der Templer beigetreten sind. Vielleicht sind sie Euch selbst bekannt.“ Rudger und die anderen schüttelten die Köpfe. „Nun, wie auch immer. Schon seit alters her haben wir auf Lichtenwalde eine enge, freundschaftliche Beziehung zu den Rittern von Rechenberg“, fuhr Heidenreich fort. „Vor einigen Monaten kamen Wilhelm und Albert von Rechenberg nach Lichtenwalde, und mit ihnen zusammen drei Templer, die aus Paris geflohen waren.“

Rudger und seine Freunde rissen die Augen auf. „Und das sagt Ihr uns erst jetzt“, schnauzte Rudger aufgebracht, dass der alte Ritter zusammenzuckte. „Was ist aus ihnen geworden?“, fragte er etwas ruhiger.

„Sie waren sehr entkräftet. Doch ist es auch hier nicht ungefährlich, geflohene Templer zu verstecken, zumal sie auch noch Franzosen waren. Sie wollten weiter nach Böhmen, da sie dem Markgrafen von Meißen nicht über den Weg trauten. Durchaus berechtigt, wenn Ihr mich fragt.“

Rudger entfuhr ein Schnauben.

„Und? Was dann?“, drängte Endres ihn, weiterzusprechen.

„Ich habe sie in unsere unterirdischen Gewölbe gebracht und mit Proviant versorg. Dort hielten sie sich einige Tage versteckt. Als ich nach einer Woche wieder hin bin, waren sie fort. Doch hatten sie eine Botschaft hinterlassen.“ Heidenreich lächelte.

„Nämlich?“, fragte Rudger ungehalten.

„Sie haben in die Schlusssteine der Decke, da wo sich die Bogen der Gewölbe treffen, zwei Symbole gehauen. Das eine zeigt das Tatzenkreuz der Templer, das andere, in dem Raum daneben, eine in Stein gehauene Eichel.“

„Also wird jeder, der in Eure unterirdischen, und überdies noch geheimen Gewölbe kommt, sehen, dass Ihr Templer beherbergt habt. Und dass sie auch noch das passende Werkzeug für ihre Arbeit hatten.“ Die vier Ritter lachten.

„Ein Hammer und verschiedene Eisen liegen da immer herum. Wir lagern dort hin und wieder Bier und brauchen das Werkzeug zum Verkeilen.“

„Ah ja, Bier ...“

Rudger sah, dass Hencke, der sich bis jetzt nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, vollkommen ruhig geblieben war. „Und, was hat er damit zu tun?“, fragte er, mit einem Heben des Kinns auf Hencke zeigend.

„Es kamen später immer mehr. Und er hat sie auf seine Isenburg und von da aus nach Böhmen gebracht.“

Sprachlos schauten Rudger und seine Gefährten den Schellenberger an, der stumm in seinen Weinpokal starrte.

Die Ritter schwiegen. Auch Heidenreich schien nicht so recht zu wissen, was er noch sagen sollte. Als sich die Tür öffnete und Agnes hereinkam, blickte Rudger den Burgherrn verwundert an. Sie war die letzte, die er hier zu sehen erhofft hatte. Doch jetzt kam Leben in Hencke. Er stand auf und wartete, dass das Mädchen an die Tafel getreten war. Dann nahm er ihre Hand und nötigte sie mit leichtem Druck, sich neben ihn zu setzen. Rudger bemerkte, wie Agnes ganzer Körper sich verkrampfte, doch zwang sie sich zu einem Lächeln.

„Was will Eure Tochter hier?“, fragte Valten mit barscher Stimme. Er warf Hencke einen wütenden Blick zu. Dieser Kerl schien sich an das Mädchen heranmachen zu wollen.

„Nun, da dies meine Halle ist, kann sich meine Tochter auch in ihr aufhalten, wann immer sie will“, gab Heidenreich etwas verstimmt zurück. „Außerdem verpflegt sie unsere ‚Gäste’.“ Der Ritter legte auf das letzte Wort eine ganz besondere Betonung. „Denn in der Zwischenzeit haben wir den Aufenthalt in den Gewölben etwas behaglicher gestaltet“, fuhr er fort. „Und essen und trinken muss ja wohl ein jeder.“

„Da Ihr ja hier bereits alles bestens im Griff zu haben scheint, was wollt Ihr dann noch von uns?“ Rudger lehnte sich zurück und verschränkte die Arme provokativ vor der Brust.

„Nun, mein lieber Junge ...“

„Nennt mich nicht so“, herrschte ihn Rudger an. „Ich bin weder lieb, noch Euer Junge. Ich habe auf mehr Schlachtfeldern gekämpft, als alle Eure Vorfahren zusammen“, knurrte er. „Also, keine Spielchen. Was wollt Ihr wirklich?“

Heidenreich wusste nicht, ob er belustigt oder beleidigt sein sollte. Letztendlich entschied er sich, den Ausbruch Rudgers nicht weiter ernst zu nehmen. Eigentlich war es sogar von Vorteil, wenn der Ritter sich als ein harter Mann erwies. Denn die Aufgabe, die er ihm im Namen vieler Fürsten der Mark zukommen lassen wollte, erforderte viel Mut und die Bereitschaft, gegebenenfalls sein Leben aufs Spiel zu setzen.

„Ich weiß“, begann er versöhnlich. „Ich hätte Euch allen schon viel früher reinen Wein einschenken sollen. Doch wisst Ihr selbst, wie heikel diese Mission ist. Viele der Adligen haben Familienmitglieder, die dem Templerorden angehören. Allerdings finden sie bei Markgraf Friedrich wenig Gehör. Er hält sich raus aus allem. Der Streit um sein Erbe, das ihm auch unser jetziger König Heinrich nur zähneknirschend überlässt, hat ihn ausgelaugt.“ Er machte eine kurze Pause. „Wir wollen froh sein, dass er den Klerus nicht unterstützt. Soweit mir zu Ohren gekommen ist, lehnt er die Verfolgung der Templer durch die Justiz ab und hat auch den Bischof von Meißen dazu angehalten, sich zurückzuhalten. Zwar ist auch König Heinrich nicht an einer Verfolgung des Ordens interessiert. Doch was ist, wenn er im Gegenzug zu seiner Kaiserkrönung dem Papst verspricht, der Kirche in Meißen und Thüringen freie Hand zu gewähren?“ Heidenreich machte ein verdrießliches Gesicht.

„Nicht zu vergessen, dass Heinrich nicht gut auf den böhmischen König zu sprechen ist“, ergriff nun auch Hencke das Wort. „Dieser hat sich seiner Meinung die böhmische Krone erschlichen. Heinrich wollte, dass sein Sohn Johann von Luxemburg den Thron erhält. Jetzt hat der Böhme alle Hände voll zu tun, seinen Königsstuhl zu verteidigen. Es sieht nicht gut aus, denn die Fürsten und die Stände sind gegen ihn. Wer weiß, wie lange er seinen Anspruch auf den Thron noch aufrechterhalten kann. Das Dumme an der Sache ist nur, dass er auf jeden Fall, schon aus Prinzip, die Templer aufnimmt und sie vor der Verfolgung durch die Kirche schützt. Was, wenn er seinen Thron verliert?“ Zweifel schwang in seiner Stimme mit.

 

„Das mag ja alles sein. Auch mir ist bewusst, dass wahrscheinlich weder der König des Heiligen Römischen Reiches noch der Markgraf sich am Ende gegen den Papst stellen werden. Denn ihnen allen ist das Hemd näher als der Rock, wenn es um die Erhaltung ihrer Macht geht. Doch was hat das alles mit der Sache hier zu tun? Was hast du für ein Interesse an der Rettung unserer Brüder?“ Rudger sah Hencke herausfordernd an. Irgendwie wurmte es ihn mächtig, dass der Schellenberger so vertraut mit Agnes erschien.

„Ganz einfach“, meinte Hencke lapidar. „Unsere Familie ist reichsfrei, das heißt, eigentlich nur dem Kaiser unterstellt. Und seit das Pleißenland wettinisch geworden ist, maßt sich Markgraf Friedrich an, sich in unsere Angelegenheiten einmischen zu wollen.“

„Nun gut, auch ich gehöre einem reichsfreien Geschlecht an“, gab Rudger zurück. „Aber dein Vater ist zudem noch Richter des Pleißenlandes. Da dürfte es wohl schwierig sein, sich dem Wort des Markgrafen zu entziehen.“

Die Augen des jungen Schellenberges blitzen zornig auf. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir tun. Und selbst dir dürfte es bekannt sein, dass weder der König noch der Markgraf uns unterstützt haben, als der Abt von Altzella sich einige unserer Dörfer einfach unter den Nagel gerissen hat. Sie haben sogar unsere Burg belagert!“, ereiferte er sich. „Genützt hat es ihnen allerdings wenig, denn sie haben sich die Zähne ausgebissen an unserer Feste und mussten ohne Erfolg wieder abziehen. Nur durch die Besonnenheit meines Vaters kam es damals zu einem Ausgleich. Was, glaubst du wohl, wem unsere Loyalität gilt?“

Rudger hob beschwichtigend die Hände. „Vielleicht hast du recht, Schellenberger“, lenkte er ein. „Die Pfaffen maßen sich viel zu viel an. Ich kann verstehen, dass du kein Freund der Kirche bist. Und da ich nun einmal ein Templer bin und mit dem größten Teil der Schwarzröcke ebenfalls auf Kriegsfuß stehe, schätze ich, dass wir an einem Strang ziehen.“

Hencke nickte. „Pass nur auf. Der Abt des Klosters Grünhain hat schon seine Finger ausgestreckt und bedrohte kürzlich den Ritter Georg von Greifenstein, dessen Sohn ebenfalls ein Templer ist. Er wollte sich den Besitz des braven Mannes einverleiben. Zum Glück konnten wir seine Kriegsknechte verjagen, als sie die Burg des Ritters zu belagern versuchten. Doch wird der Abt des Klosters wiederkommen. Aber da hat er die Rechnung ohne den Teufel gemacht.“ Hencke grinste böse.

„Wir werden Euch brauchen, Rudger“, ergriff Heidenreich wieder das Wort. „Es werden dieser Tage erneut Mitbrüder von Euch nach Lichtenwalde kommen. Es hat sich herumgesprochen, dass ihnen hier geholfen wird, nach Böhmen zu fliehen. Die wenigsten kennen sich aus im Gebirge und benötigen erfahrene Helfer, die sie sicher nach Prag geleiten.“

Rudger schaute seine Freunde an. In ihren Augen las er nur Zustimmung.

„Solange ich noch hier bin, kannst du auf mich zählen“, meinte Jorge.

„Auf mich auch. Ich werde so schnell nirgends hingehen“, meinte Endres treuherzig.

„Valten?“

„Ja klar. Was sollte ich auch sonst so machen. Die Möglichkeiten sind ja nicht gerade üppig. Und einem guten Kampf gehe ich nicht aus dem Weg.“

„Hoffen wir, dass es zu keinem kommen wird“, mahnte Heidenreich. „Aber gut zu wissen, dass es erfahrene Krieger sind, die uns helfen.“

„Was heißt, Euch helfen? Sind nicht gerade wir am ehesten in die Sache involviert? Ihr habt ein großes Herz und erkennt das Unrecht, wo es ist. Hencke hier steht mit den Pfaffen auf Kriegsfuß, für ihn Anreiz genug, uns zu helfen.“

Als der Schellenberger protestieren wollte, hob Rudger die Hand.

„Was? Ist doch so. Aber, wie auch immer. Eines verbindet uns, der Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Also? Lasst uns einen Schlachtplan entwerfen.“ Die Ritter lachten befreit.

„Agnes“, sagte Heidenreich zu seiner Tochter, die die ganze Zeit still den Reden der Männer zugehört hatte. Erst jetzt erinnerte sich Rudger wieder an ihre Gegenwart. Er war erstaunt, dass ihr Vater es dem Mädchen erlaubte, den Gesprächen der Ritter zuzuhören.

Nes sah ihren Vater fragend an. „Hole uns noch einen Krug Wein, mein Kind. Und dann geh zu deiner Mutter und deiner Schwester. Nicht, dass die beiden noch auf die Idee kommen, sich zu uns zu gesellen.“ Er lachte. „Wir haben noch einiges zu besprechen.“

Mit einem kurzen, wissenden Blick auf Rudger, huschte Nes zur Tür im hinteren Teil der Halle hinaus.

Kapitel 11

Ywen

Juni 1309

Das Bild, was sich Rudger bot, war fast zu schön, um real zu sein. Und wäre er sentimental veranlagt, hätte es ihn wahrscheinlich zu Tränen gerührt.

Eigentlich war er auf dem Weg in die Kirche gewesen. Es wurde langsam Zeit, wieder einmal die Beichte abzulegen. Aber irgendwie erschien ihm das verlogen und überflüssig, denn er hatte kein schlechtes Gewissen. Jedoch verlangte es nun einmal sein Glauben. Und letztendlich war er immer noch ein Templer, auch wenn der Papst anders darüber dachte. Er war ein Mann Gottes, und das sollte auch so bleiben.

Doch seine Mutter hatte ihn auf dem Weg zu Pater Wito abgefangen. Irgendetwas brannte ihr auf der Seele, aber wusste sie nicht so recht, wie sie ihrem Sohn begegnen sollte.

„Was habt Ihr, Mutter?“, fragte Rudger. „Ist etwas passiert? Schickt Euch Vater?“

„Nein, mein Sohn, es ist nichts“, erwiderte Matilda. „Ich wollte dich nur in die Halle holen, da wir uns zusammengesetzt haben, um das Johannisfest zu planen nach der anstehenden Heumahd.“ Sie lächelte etwas aufgesetzt.

„Das Johannisfest?“ Rudger wunderte sich ein wenig, denn so etwas war eigentlich die Sache der Frauen. „Ich denke, Ihr macht das schon, es sind ja genug Mägde hier, um Euch und Heske zur Hand zu gehen.“

„Bitte, Rudger“, flehte Matilda. „Komme einfach mit rein. Ich lasse dir einen kühlen Trunk bringen.“

Der junge Ritter gab nach. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Matilda ihn daran hindern wollte, den Hof zu verlassen.

An der Tür zur Halle blieb er stehen, da sich seine Augen erst einmal nach dem grellen Sonnenlicht draußen an die Dunkelheit hier drinnen gewöhnen mussten. Nach und nach erkannte er, dass fast die gesamte Familie - nur Arnald fehlte - um den Tisch versammelt war und fröhlich schwatzte. Nichts deutete darauf hin, dass irgendjemand etwas vor ihm verbarg oder ein Geheimnis hütete. Sein Vater unterhielt sich angeregt mit Valten, den er in der Zwischenzeit ins Herz geschlossen hatte wie einen eigenen Sohn. Valten konnte gut mit Zahlen umgehen und war des Lesens und Schreibens kundig, so dass er seit einigen Wochen faktisch die Aufgaben eines Verwalters versah. Ulrich hatte diese Angelegenheiten bisher immer selbst erledigt. Jetzt dankte er Gott, in Valten einen Gehilfen bekommen zu haben, denn er merkte täglich immer mehr, wie seine Kräfte schwanden. Und der junge Ritter war dankbar, die erzwungene Untätigkeit mit einer sinnvollen Aufgabe überbrücken zu können.

Dann sah Rudger seine Schwester und Endres, die nah beieinander am anderen Ende des Tisches die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander tuschelten. Mit Verwunderung musste er feststellen, dass sein Vater darüber keineswegs verärgert war und die beiden gar nicht zu beachten schien. Nun ja, sie waren ja nicht allein, dennoch für Rudgers Empfinden sehr vertraut miteinander.

Sein kleiner Bruder Michel spielte zu Füßen des Vaters mit seinen hölzernen Rittern und stieß fürchterliche Schreie aus, wenn einer seiner Helden den Gegner vom Pferd gestoßen hatte. Rudger meinte zu hören, wie Michel den siegreichen Ritter bei seinem eigenen Namen rief und in sein Herz schlich sich ein Gefühl der Wärme. Und als wäre es der Heimeligkeit noch nicht genug, musste er feststellen, wie sein Kampfgefährte Jorge und der Großknecht mit scharfen Messern einem Wettkampf gleich weitere Ritter schnitzten.

Nein, irgendetwas war hier eindeutig nicht in Ordnung!

„Mutter, was wollt Ihr wirklich von mir?“, sagte Rudger schärfer, als er beabsichtigt hatte.

Beim Klang seiner Stimme blickte Ulrich auf. Als er seinen Sohn sah, winkte er ihn zu sich heran. „Komm, Rudger, trinke einen kühlen Becher Bier mit uns, das deine Mutter letzte Woche gebraut hat. Es ist frisch und prickelnd und gerade die richtige Abkühlung bei der Hitze.

Rudger trat an den Tisch. „Vater, wieso ist Hannes in der Halle? Gibt es auf den Feldern nicht genug Arbeit, die er überwachen sollte?“

„Warum so streng, mein Sohn?“, fragte Ulrich lächelnd. „Heute ist ein wunderschöner Tag, morgen ist Johannis. Da werden wir ausgiebig feiern. Wir wollen Gott danken, dass er uns in diesem Jahr bereits eine gute Heuernte beschert hat. Wenn es so bleibt, werden im Herbst unsere Scheunen bis unters Dach gefüllt sein, denn auch das Getreide steht gut auf den Halmen. Und ist es zudem nicht Grund genug zu feiern, dass der Herr dich und deine Gefährten vor dem Schlimmsten bewahrt hat, und ...“

„Ja, während viele meiner Brüder in Frankreich elendiglich auf dem Scheiterhaufen ihr Leben gelassen haben“, unterbrach Rudger verbittert den älteren Mann. „Was gibt es da zu feiern?“

Rudger griff nach dem Bierkrug und schenkte sich einen Becher randvoll ein. Dann stürzte er das Gebräu in einem Zug hinunter und stellte den Becher mit Nachdruck auf dem Tisch ab. Ulrich schaute ihn verwundert an.

„Bei Gott“, seufzte Rudger gespielt. „Mutter versteht ihr Handwerk.“ Dann schlug er Valten, der die Szene bisher kommentarlos verfolgt hatte, auf die Schulter und setzte sich an den Tisch.

„Nun, was gibt es, worüber wir zu sprechen haben?“, fragte er.

„Besprechen?“, wunderte sich Ulrich. „Eigentlich rede ich mit Valten gerade darüber, wie wir die Erträge und die Abgaben besser verzeichnen können. Etwas, was dich wahrscheinlich eher nicht so interessiert“, meinte Rudgers Vater mit einem Lächeln.

„Und warum hat Mutter mich dann in die Halle gebeten? Sie meinte, es gäbe etwas zu besprechen. Außerdem würde es mich immer noch brennend interessieren, warum heute keiner zu arbeiten scheint. Auch im Hof bin ich keiner Menschenseele begegnet.“

„Nun, das liegt einfach daran, weil sie alle auf dem Feld sind. Die Heumahd ist fast abgeschlossen, die Mägde binden das getrocknete Gras zu Bündeln, was die Knechte auf die Wagen laden, und heute Abend fahren wir es ein. Und am Tag vor Johannes sitzt unser Großknecht immer mit mir in der Halle, um die Arbeiten für das zweite Halbjahr zu besprechen.“ Der Gutsherr wandte sich dem jungen Templer zu seiner Rechten zu. „Aber in diesem Jahr habe ich ja Valten, der mich um eine Aufgabe bat. Rumsitzen scheint nicht so seins zu sein.“ Ulrich zwinkerte Valten zu. Der grinste. „Hannes hat derweil eine andere Aufgabe übernommen“ Jetzt lachte Ulrich lauthals und Rudger konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. „Und was deine Mutter von dir will, kann sie dir nur selbst sagen. Ich weiß von nichts“, fuhr der Gutsherr fort.

„Dann scheint ja alles geregelt. Also kann ich jetzt wieder meiner Wege gehen.“ Rudger wollte sich schon zum Gehen wenden, als sein Vater ihn am Ärmel seines Wamses festhielt.

„Rudger“, sagte sein Vater etwas zögerlich. Er machte eine kurze Pause, bevor er weiterredete. „Ich wollte mit dir noch über Arnald sprechen.“

„Was ist mit ihm?“, fragte Rudger vorsichtig. „Wo ist er überhaupt? Soviel ich weiß, hat Hencke ihn seit Monaten nicht mehr mit auf die Isenburg genommen. Zu gefährlich, meinte er, da er unsere Templer hin und wieder dort versteckt. Arnald muss das nicht unbedingt wissen.“

„Du vertraust ihm nicht? Immerhin ist er dein Bruder?“

„Vertraut Ihr ihm denn, Vater“, meinte Rudger und leise Ironie schwang in seiner Stimme mit.

„Ich würde es gern, denn er ist genauso mein Sohn wie du. Ich weiß auch nicht, warum er sich immer in allem so sperrt.“ Ulrich seufzte.

„Vielleicht wäre er gern an meiner Stelle ein Templer geworden. Er ist ja schier versessen darauf, mit dem Schwert umherzufuchteln.“, antwortete Rudger voller Sarkasmus.

„Nun“, meinte Ulrich, ohne auf den Spott seines Zweitgeborenen einzugehen. „Kann sein, dass er lieber irgendwo in der Welt da draußen einen Kampf ausfechten würde. Er ist sehr gut im Umgang mit den Waffen. Das muss man Heinrich von Schellenberg lassen. Wen er unter seine Fittiche nimmt, aus dem wird ein ordentlicher Kämpe.“ Leise Wehmut schlich in Ulrichs Stimme. „Doch muss Arnald akzeptieren, mein Erbe zu sein, der hier auf dem Hof meine Nachfolge antreten wird.“

 

„Dann sagt es ihm“, antwortete Rudger nur. Er war dieses Themas leid. Arnald war in seinen Augen ein Taugenichts und ein Raufbold, der immer wieder neue Händel suchte, in denen er seine permanent schlechte Laune ausleben konnte. „Wo ist er jetzt?“

„Ich habe ihn nach Altenhain geschickt. Die Bauern des Fleckens haben einige Probleme mit Wegelagerern, und der Dorfälteste bat mich um Hilfe, gegen das Übel vorzugehen. Arnald soll sich dort mal umsehen. Vielleicht sind es entlaufene Leibeigene aus dem Böhmischen.“

„Nicht, dass Ihr den Bock zum Gärtner gemacht habt, Vater“, meinte Rudger und lachte freudlos.

Arnald war seit ein paar Monaten wieder in Ywen. Doch trieb ihn immer eine Unruhe umher, die ihn veranlasste, sich ständig in Angelegenheit einzumischen, die ihn im Grunde genommen gar nichts angingen. Auch mit den Freunden Rudgers kam er nicht klar, bezeichnete sie als Schmarotzer, die ihnen hier auf der Tasche lagen. Nicht nur einmal war es vorgekommen, und einer der Templer hätte liebend gern das Schwert gezogen, um seine und die Ehre seiner Mitbrüder zu verteidigen, wenn Rudgers Vater nicht jedes Mal energisch dazwischen gegangen wäre.

„Zu irgendetwas muss er ja zu gebrauchen sein“, sagte Ulrich resigniert und wandte sich wieder Valten zu, der die Diskussion zwischen Vater und Sohn schweigend verfolgt hatte.

Rudger zuckte nur mit den Schultern. Er stand auf und wollte wieder hinausgehen, denn hier schien alles gesagt. Er würde sich in den Konflikt zwischen seinem Vater und Arnald nicht einmischen, denn in Kürze wäre er selbst hier wieder weg. Seinen Plan, in den Deutschherrenorden einzutreten, hatte er nicht aufgegeben. Sobald sich eine günstige Gelegenheit bot, hier abzuhauen, würde er sie wahrnehmen.

Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, trat ihm Matilda in den Weg. „Die Dinge scheinen manchmal anders, als sie sind, mein Sohn“, sagte sie geheimnisvoll. Dann strich sie ihm mit ihrer Hand kurz über die Wange. Mit einem leichten Lächeln wandte sie sich ab und verschwand in Richtung Küche.

Verwirrt über das eigenartige Verhalten seiner Mutter blieb Rudger einen Moment wie angewurzelt stehen. Dann schüttelte er sich kurz und ging hinaus in den Hof.

Gleißendes Sonnenlicht empfing ihn und die schwirrende Hitze des Mittags lag über dem Gutshof. Die Schweine hatten sich in ihren Verschlag in den Schatten zurückgezogen, nicht einmal das Suhlen in der Schlammkuhle, die hinter dem Stall angrenzte, konnte sie locken. Der Hahn versuchte, seinen Harem durch Krähen zusammenzuhalten. Aber die braunen Hennen zogen es vor, am Rand der Mauer leise gackernd in der kühlen Erde nach Würmern zu scharren.

Rudger ging in die Mitte des Hofes. Vor dem Brunnen, der von großen Haselsträuchern umgeben war, blieb er stehen. Eine kleine Abkühlung konnte auch ihm nicht schaden. Er nahm den Eimer und ließ ihn in die Tiefe hinab. Nach wenigen Augenblicken spendete ihm das kalte Wasser, das er über Gesicht, Hals und Arme rieseln ließ, eine willkommene Erfrischung. Benno, der große Hofhund gesellte sich zu ihm und winselte leise. In Ywen wurde der Wachhund nicht an eine Kette gelegt. Das hatte seine Mutter untersagt. Und so kam es, dass der Mischlingsrüde sehr zutraulich war. Rudger kraulte Benno hinter dem Ohr, was dieser mit einem warmen Blick aus seinen braunen Hundeaugen honorierte. Dann hielt er ihm den Einer hin und das Tier schlabberte mit seiner langen Zunge das köstliche Nass.

„Nun troll dich, Benno. Und lasse keine ungebetenen Gäste herein.“ Es schien, als hätte der Hund seine Aufgabe genau verstanden. Er ließ ein kurzes Bellen hören, dann trottete er langsam zurück zu seiner Hütte, die direkt neben dem Torhaus im Schatten der Mauer stand. Gähnend ließ er sich nieder und begann in der Hitze vor sich hin zu dösen. Doch das Spiel seiner Ohren zeigte, dass ihn nicht einmal die kleinste Regung entgehen würde.

Rudger setzte sich an den Rand des Brunnens, und die Kühle des Wassers wehte leise zu ihm herauf. Irgendwie hatte er keine Lust mehr, zur Kirche zu gehen. Der Weg dahin in der prallen Hitze der Mittagssonne erschien ihm auf einmal zu beschwerlich und er konnte die anderen verstehen, die sich in der dunklen Halle aufhielten. Da bemerkte er, wie seine Mutter aus dem Haus kam. Sie schaute sich verstohlen um und ging schnellen Schrittes an der Mauer entlang zu der kleinen Tür, die in das große Eingangstor eingelassen war. Rudger hörte noch, wie sie ein paar Worte mit dem alten Wächter wechselte, dann entschwand sie seinen Blicken. Er maß der Sache keine große Bedeutung bei, wahrscheinlich ging sie in den Kräutergarten hinter der Mauer des Gutshofes. Nicht weiter darüber nachgrübelnd, hing er seinen Tagträumen nach.

Hufgetrappel und lautes Reden am Torhaus ließen ihn aus seiner Trägheit erwachen. Kurz darauf ritt Hencke in den Hof. Benno rannte auf ihn zu und sprang bellend an der Seite des Pferdes hoch, so dass der Ritter Mühe hatte, seinen Hengst unter Kontrolle zu halten. „Schick den Köter weg, ehe ich ihm den Schädel eintrete“ herrschte er Rudger an, auch wenn er so etwas niemals tun würde. Der Templer rief Benno zurück und der Hund gehorchte umgehend und trollte sich in seine Hütte.

„Wo ist Jorge?“, fragte Hencke ohne weitere Begrüßung.

„Danke, auch dir einen guten Tag, Hencke“, antwortete Rudger und Ironie schwang in seiner Stimme mit. „Was willst du von Jorge?“

„Das sag ich ihm dann schon selbst“, schnauzte der Schellenberger zurück.

Das Verhältnis zwischen Rudger und Hencke hatte sich im Verlaufe der letzten Monate merklich abgekühlt, obwohl sie schon vorher nicht gerade freundschaftlich verbunden gewesen waren. Immer wieder war Rudger nach Lichtenwalde gegangen, um Templer aus Frankreich oder dem Rheinland in Empfang zu nehmen. Er geleitete sie bis an die Bierstraße, welche sich zwischen dem Besitz der Schellenberger und dem von Ywen dahinzog. Ihr Treffpunkt zur Übergabe war ein großer Stein, der wage die Form eines Kreuzes zeigte. Die Leute der Gegend nannten ihn Weisen Stein, denn die Legende sagte, dass ihn einst der Ritter Falk von Schellenberg hier zur Sühne hatte aufstellen lassen, da einer seiner Waffenknechte am Tode eines aufrechten Ritters schuld gewesen war. Genau hier übernahm Hencke die Templer und brachte sie übers Gebirge zur Isenburg. Dort wurden sie wohl von Leuten aus dem Böhmischen abgeholt, aber so genau wusste das Rudger nicht. Hin und wieder hatte er zusammen mit Jorge, Endres und Valten den Schellenberger ins Gebirge begleitet und ein, zwei Tage auf der Isenburg verbracht.

Bei ihren Aufenthalten in Lichtenwalde war er immer wieder Agnes begegnet. Aber auch der Schellenberger schien an dem Mädchen Gefallen zu finden. Die ständigen Anspielungen des Ritters, Heidenreich wäre einer Verbindung nicht abgeneigt, ärgerten Rudger. So sehr er sich auch einzureden versuchte, wie gleichgültig es ihm sei, wem Nes ihre Zuneigung schenken würde, gegen den Stachel der Eifersucht in seinem Herzen konnte er sich nicht erwehren. Auch wurmte es ihn, dass Hencke das volle Vertrauen des alten Ritters besaß. Der älteste Sohn Heinrichs von Schellenberg war ein mutiger Mann, der zu seinem Wort stand. Doch war er auch unberechenbar und seine Handlung oft von einer Wildheit getrieben, die selbst Rudger hin und wieder erschauern ließ.

„Was gibt es so Wichtiges, weil du extra hierherkommst?“, ließ Rudger nicht locker. „Jorge hat gerade zu tun.“ Das Bild seines Ritterbruders mit einem Schnitzmesser in der Hand zog vor seinem geistigen Auge vorüber, und ein ironisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Hencke sprang von seinem Pferd. Er war nur mit einer leichten Tunika bekleidet, denn die Hitze des Tages hätte das Tragen eines Kettenpanzers zur Tortur gemacht. Nun, da er nicht gerade in eine Schlacht zog, wenn er nach Ywen ritt, wählte er nur ein Schwert, das er mit einem Wehrgehänge um seine Hüften geschnallt hatte, und einen Morgenstern, in dessen Handhabung er ein Meister war.