Baphomets Jünger

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Er baute sich genau vor Rudger auf. Die beiden Männer waren nahezu gleich groß und auch die Breite ihrer Schultern unterschied sie nicht wesentlich voneinander. Der eine hatte welliges schwarzes Haar, der andere dunkelblonde Locken. Hencke maß Rudger mit einem überheblichen Blick. Doch dieser blieb ihm nichts schuldig und starrte zurück. Nach einer Weile wandte sich Rudger ab und schlenderte wieder zum Brunnen, wo er sich hinsetzte.

„Bist du jetzt fertig damit, hier den Platzhirsch zu spielen“, fragte er mit ruhiger Stimme. Zunächst sah es aus, als wolle Hencke aufbrausen, besann sich dann aber.

„Es gibt eine Hasenjagd auf Schellenberg. Mein Vater ist wie versessen darauf, durch den Wald zu reiten und hilflosen Kreaturen nachzustellen.“ Er schnaubte verächtlich. „Er will, dass dein Vater mit ihm kommt.“ Er machte eine kurze Pause. „Außerdem will ich Jorge mit auf die Isenburg nehmen.“

„Wieso?“, fragte Rudger erstaunt.

„Er bat mich darum.“ Hencke lachte. „Der Grund dafür ist einfach lächerlich“, fuhr er fort. „Aber er meint, er sei aus einer gänzlich waldlosen Gegend. Er liebt den Wald, und der um meine Burg herum hat es ihm besonders angetan.“

„Erzähl mir keine Ammenmärchen“, sagte Rudger und Unglauben schwang in seiner Stimme mit.

„Wenn ich’s dir sage“, beharrte der Schellenberger, musste jedoch ein Lachen unterdrücken. „Frag ihn selbst.“

Rudger ging zur Halle und lehnte sich zur Tür hinein. „Jorge!“, rief er laut. „Dein neuer Freund ist hier.“ Ohne abzuwarten, ob Jorge auch wirklich herauskäme, wollte Rudger nun doch zur Kirche gehen, da ihm die ganze Farce hier zu dumm war. Doch Hencke hielt ihn zurück.

„Es gibt noch etwas zu besprechen“, raunte er Rudger zu, so dass dieser Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Heidenreich hat mir eine Botschaft geschickt. Es wartet wieder Arbeit auf uns.“

Sie unterhielten sich vor anderen nie über ihre Tätigkeit und vermieden es tunlichst, dass jemand Wind von ihrem Treiben bekam. Denn wem konnte man trauen in solchen Zeiten? Und wenn es die Herrschenden schon nicht lassen konnten, sich am Unglück anderer eine goldene Nase zu verdienen, wie konnte man es dann dem armen Mann verübeln, wenn er sein karges Leben mit ein paar Pfennigen des Lohnes für das Ausplaudern von Geheimnissen versüßen würde?

Rudger nickte und kam ein paar Schritte zurück. „Wann?“

Hencke zuckte mit den Schultern. „In ein, zwei Tagen vielleicht. Wir sollen rüberkommen.“

„Ich werde da sein.“ Damit war für Rudger das Gespräch beendet und er schlenderte zum Hof hinaus.

Jorge stand an der Tür zur Halle. Er wartete, bis sein Gefährte nicht mehr zu sehen war.

„Was gibt es?“, rief er dem Schellenberger entgegen, der in Richtung Halle gelaufen kam.

„Lass es mich drin erzählen. Jetzt brauche ich erst mal einen Schluck von dem köstlichen Bier deiner Gastgeberin.“

Sich den Schweiß von der Stirn wischend, blieb Rudger unterhalb der Kirche im Schatten einer alten Linde stehen, die Siedler aus Franken vor über einhundert Jahren hier gepflanzt hatten. Er blickte hinauf zu dem schlichten Gotteshaus, dessen einziger Schmuck einige Fenster aus buntem Glas waren, die das flirrende Licht der Sonne reflektierten. Er konnte sich nicht so recht entschließen, weiterzugehen. Es war so, als würde ihn eine unsichtbare Hand zurückhalten.

Als er den Geistlichen das letzte Mal gesehen hatte, war dieser ziemlich wortkarg gewesen, eher ungewöhnlich, da Pater Wito eigentlich ein frohgemuter, redseliger Mann war. Rudger fiel jetzt auch auf, dass ihn seine Mutter, gerade, als er hatte zur Kirche gehen wollen, zurückzuhalten versuchte. Ihr seltsames Verhalten, als sie kurz nach ihm die Halle verließ, um sich heimlich davonzustehlen, kam ihm wieder in den Sinn.

Seit er wieder auf Ywen lebte, war seine Mutter unverhältnismäßig oft zur Kirche gegangen. Rudger hatte dies ihrer Frömmigkeit zugeschrieben. Doch wenn er es sich durch den Kopf gehen ließ, machte sie immer ein großes Geheimnis daraus, was sie mit Wito zu besprechen hatte. Kurzzeitig kam ihm der Gedanke, dass sie mit dem Kirchenmann ein Liebesverhältnis unterhielt. Doch vergaß er seinen Argwohn gleich wieder, denn seine Mutter liebte ihren Gemahl. Und Rudger kannte den Pater als fromm und aufrichtig. Nun, es wäre doch gelacht, wenn er der Sache nicht endlich auf den Grund gehen könnte. Kurz entschlossen trat er aus dem Schatten des Baumes und ging die wenigen Meter zur Kirche hinauf. Er wollte gerade die Tür aufstoßen, als Pater Wito diese von innen öffnete. Als er Rudger erblickte, blieb er erschrocken auf der Schwelle stehen. Er schluckte ein paarmal, dann gelang es ihm unter Räuspern, den jungen Ritter zu begrüßen.

„Gott zum Gruße, Rudger“ sagte er mit etwas heiserer Stimme. „Was führt Euch zu mir, mein Sohn?“ Doch schien er keine Zeit zu haben, denn immer wieder trat er von einem Bein aufs andere, geradeso, als wäre er im Begriff gewesen, irgendwohin zu gehen.

„Störe ich Euch, Pater?“, fragte Rudger etwas scheinheilig, denn ihm war die Unruhe des Gottesmannes nicht entgangen. „Ihr wolltet doch nicht gerade zu meiner Mutter, oder?“

„Zu Eurer Mutter?“, entfuhr es Wito, und der Ritter meinte zu bemerken, dass der Pater etwas blass um die Nase wurde.

„Nein, nein“, wimmelte dieser schnell ab. „Ich wollte nur ein paar Schäflein besuchen“, fuhr er fort. „Die Frau des Knochenmüllers ist kurz vor ihrer Niederkunft und bat um ein Gebet für Gottes Beistand.“

Rudger glaubte nicht so recht, was der Pfaffe ihm da erzählte und sah diesen zweifelnd an. Er hätte schwören können, dass es ein Geheimnis gab zwischen seiner Mutter und Wito.

„Nun, es ist nicht an mir, Euch hinterher zu spionieren“, begann er. „Aber meint Ihr nicht, es wäre besser, Ihr würdet mir sagen, was hier vor sich geht. Ihr wisst, ich gehöre dem Templerorden an. Glaubt mir, es ist in meinem ureigenen Interesse, wenn ich über die Vorgänge hier auf dem Gut informiert bin. Ich kann mir unliebsame Überraschungen nicht leisten.“ Er sah Wito eindringlich an. „Doch seid gewiss, wenn Ihr meine Mutter in irgendeine krumme Sache mit hineinzieht und sie am Ende, etwa aus falsch verstandenem religiösem Eifer, ihren eigenen Sohn verrät, dann schicke ich Euch in die Hölle, bevor ich mich selbst dort einfinde.“ Drohend machte er einen Schritt auf Wito zu, der mit dem Rücken an die Kirchentür gedrängt stand und keine Möglichkeit zum Zurückweichen hatte. Ängstlich schaute der Pater den Ritter an. Er setzte zu einer Antwort an, doch öffnete und schloss sich sein Mund, ohne dass er ein Wort herausbrachte.

„Habt Ihr mir etwas mitzuteilen?“, fragte Rudger mit trügerisch leiser Stimme.

Der Geistliche sah den jüngeren verzweifelt an, dann nickte er langsam mit dem Kopf.

Rudger wurde langsam ungeduldig. „Und?“, half er nach.

Wito straffte die Schultern. „Kommt mit in die Kirche“, sagte er mit belegter Stimme. „Was ich Euch zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“ Etwas ungelenk fingerte er hinter sich am Griff der Tür herum, bis es ihm endlich gelang, sie aufzustoßen. Rudger folgte ihm auf dem Fuß und drängte ihn regelrecht rückwärts in das Gotteshaus. Fast wäre Wito gestolpert, doch konnte er sich an der Wand abstützen. Der Ritter schlug die Tür laut krachend hinter sich zu. Er war wütend. Denn er hatte Pater Wito vertraut. Dass dieser ein Geheimnis vor ihm hatte, kränkte Rudger.

Die Kirche war klein und eng, so dass sie nach wenigen Schritten in der Mitte des Raumes standen. Rudger hielt Wito am Ärmel seiner Kutte fest, als dieser sich umdrehte und zum Schrein der Heiligen Ursula weitergehen wollte. „Sprecht“, forderte er den Geistlichen auf. „Jetzt. Beten könnt Ihr hinterher. Vielleicht werdet Ihr es nötig haben.“

Wito hob beschwörend die Hände. „Rudger, bitte hört mich an. Es ist anders, als es den Anschein hat.“

„Das habe ich heute schon einmal gehört“, sagte der Templer mit eisiger Stimme. „Doch gefällt es mir nicht, dass es gerade meine Mutter war, die es zu mir gesagt hat.“ Wut verzerrte seine ebenmäßigen Züge. Am liebsten hätte er den Pater geschlagen, damit dieser endlich mit der Sprache herausrückte. Doch riss er sich zusammen.

„Setzen wir uns dort drüben auf die Bank“, schlug Wito vor, auf die einzige Bank in der Kirche zeigend, die für den Gutsherrn und seine Familie reserviert war.

Rudger nickte zustimmend. Wito ließ sich in sicherer Entfernung nieder, spürte er doch den Groll des anderen.

„Ihr wisst, dass ich, obwohl ich früher ein Augustinermönch war, ein Angehöriger des Deutschherrenordens in Zschillen bin“, begann er. „Und ebenso bekannt dürfte es Euch sein, dass das Kloster seit einem halben Jahrhundert im Besitz eben dieses Ordens ist.“ Er schaute Rudger prüfend an. Dieser war mit seiner Geduld endgültig am Ende.

„Und warum erzählt Ihr mir etwas, was ich ohnehin schon weiß?“, knurrte er.

Wito ließ sich diesmal jedoch nicht beirren. „Dann wisst Ihr ebenso, dass der edle Siegfried von Feuchtwangen nicht nur der Hochmeister des Ordens ist, sondern auch dem Kloster in Zschillen vorsteht. Nun, und eben Siegfried von Feuchtwangen hat mich mit einer Mission beauftragt.“ Der Pater machte eine Pause.

„Die da wäre?“, fragte Rudger voller Ungeduld. „Oder ist das ebenso ein Geheimnis, wie Eure Mauschelei mit meiner Mutter? Was hat sie überhaupt damit zu tun? Sie weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass der Ordensmeister Siegfried von Feuchtwangen heißt.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher an Eurer Stelle“, konterte Wito, nun wieder vollkommen selbstbewusst. Der Ritter schaute ihn nur verwundert an. Die Neugierde ließ seinen Zorn verrauchen.

„Es ist so, Rudger“, fuhr Wito fort. „Der Ordensmeister hat mich beauftragt, dass ich hierher gehen sollte in das Gebiet, das an Böhmen grenzt. Er ist ein Freund der Templer, wie Ihr wisst, und hat dem Aufruf des Papstes, selbst unter der Gefahr, dass seinem Orden damit auch die Exkommunikation droht, keine Folge geleistet. Hier in der Nähe gehen einige der wenigen Passstraßen über den Gebirgskamm nach Böhmen, so dass die Templer, die über die Mark Meißen dorthin fliehen wollen, unweigerlich hier irgendwo in der Nähe vorbeikommen.“

 

„Und welche Mission habt Ihr?“, bohrte Rudger weiter, nun doch aufmerksam geworden.

„Einigen der Templer ist bekannt, dass es hier ein Kirchlein gibt unter der Obhut eines Gutsherrn, von wo aus sie Kontakte erhalten, die ihnen eine Weiterreise nach Böhmen ermöglicht. ...“

„Und dieser Kontakt heißt Hencke von Schellenberg“, stellte Rudger bitter fest.

Wito schaute mit betretener Miene zu Boden.

„Was hat meine Mutter damit zu tun?“

„Sie versorgt die Männer, und wenn nötig, pflegt sie manche auch gesund, denn viele sind versehrt an Körper und Geist.“

Rudger sprang von der Bank auf „Und warum erfahre ich das erst jetzt, zum Teufel!“, schrie er.

„In einem Haus Gottes solltet Ihr nicht fluchen“, ermahnte ihn Wito.

„Verdammt, ich fluche hier, soviel ich will. Wie konntet Ihr mich und meine Freunde nur so hintergehen?“, fragte er und konnte vor Enttäuschung kaum sprechen. „Und was noch schlimmer ist, meine eigene Mutter hat mir nichts gesagt, obwohl sie seit Monaten zuschaut, wie ich mein Leben für die Flucht meiner Mitbrüder aufs Spiel setze.“

Er stapfte in der Kirche hin und her, dass der trockene Staub aufwirbelte und im Licht der Sonne zu tanzen begann.

„Und Hencke?“

„Nun, der Schellenberger hat zwei, drei Mal ein paar Rittern auf ihrem Weg nach Böhmen geholfen. Er hat sie wohl auf seiner Burg im Gebirge übernachten lassen. Aber die anderen Male kam ein Mönch aus Chomotau hierher und hat sie über den Kamm geschafft.“

„Und jetzt ist wohl wieder einmal ein Templer hier, oder?“

„Eigentlich sollten zwei Männer kommen. Aber bis jetzt sind sie nicht aufgetaucht. Vielleicht sind sie ja tot. Oder Hencke hat sie schon weggeschafft“, sagte Wito mit niedergeschlagener Stimme.

„Wie kommt Ihr da drauf?“ Rudger schüttelte fassungslos den Kopf. „Na, ist ja auch egal. Wo ist meine Mutter jetzt?“

„Sie weiß es noch nicht, wartet unten bei der Mühle auf mich. Ich ließ ihr eine Nachricht bringen, dass ich sie sprechen muss.“

„Ich glaube, ich weiß, wo die Männer auf ihre weitere Flucht warten.“ Rudger machte eine kurze Pause, als müsste er über etwas nachdenken. Lasst uns zur Mühle gehen“, sagte er und schickte sich an, die Kirche ohne ein weiteres Wort zu verlassen.

Kapitel 12

Lichtenwalde

Juni 1309

Unentschlossen stand Rudger am Rande des kleinen Wäldchens, von dem aus sich ein schmaler Pfad bis Lichtenwalde schlängelte. Noch hatte ihn keiner entdeckt, und er war sich nicht sicher, ob er überhaupt in die Burg reiten sollte. Hencke würde wahrscheinlich schon auf ihn warten. Doch der Gedanke, dass er und Nes zusammen in der Halle saßen, machte Rudger wütend. Auch wütend auf sich selbst, denn er wollte Mönch sein und Ordensritter bleiben. Doch sein verräterischer Körper ließ immer wieder Zweifel in ihm aufkommen, denn sein Herz machte jedes Mal einen Satz, wenn er Nes auch nur von weitem sah, und in seinen Lenden spürte er ein ungebührliches Ziehen.

Am Tag zuvor war es zu einem heftigen Streit mit seiner Mutter gekommen. Er warf ihr vor, zusammen mit dem Pater ein gefährliches Geheimnis vor ihm und seinen Gefährten gehabt zu haben. Schon lange vor Rudgers Rückkehr auf den Hof seines Vaters waren von Siegfried von Feuchtwangen mehrmals geflohene Templer nach Ywen geschickt worden, wo Pater Wito für ihr Weiterkommen sorgte. Eigentlich hatte der Hochmeister des Deutschen Ordens Wito zu vollkommener Verschwiegenheit verpflichtet. Doch eines Tages war Matilda dazugekommen, wie er einen kranken Templer in seiner Kate pflegte. Die Gutsherrin ließ sich nicht mit unzulänglichen Ausreden abspeisen und erkannte bald, um wen es sich bei dem siechen Mann handelte. Sie erbot sich, dem Priester zu helfen und pflegte den Ritter gesund. Seitdem war es immer wieder vorgekommen, dass Männer aus Frankreich oder Teilen des Heiligen Römischen Reiches auf ihrem Weg nach Böhmen hier durchkamen, und Matilda sorgte für ihr leibliches Wohl und versah sie mit Vorräten für ihre weitere Flucht. Doch hatte sie dem Pater versprechen müssen, niemandem davon zu erzählen. Als dann später ihr Sohn hier erschien und in derselben Mission unterwegs war, fiel es ihr schwer, ihm nicht reinen Wein einzuschenken. Jedoch wurde es immer seltener, dass Templer direkt nach Ywen kamen, als die Lichtenwalder begannen, mit Hencke zusammen die geflohenen Ritter nach Böhmen zu schaffen. Und als ihr Sohn dann in die ganze Sache verwickelt war, wollte sie Rudger nicht auch noch damit belasten, wie sie sich selbst mit ihrem Tun in Gefahr begab. Er durfte es auf keinen Fall erfahren.

Rudger hatte die Gründe seiner Mutter allerdings nicht gelten lassen. Als auch noch sein Vater zugab, vom Treiben seiner Frau zwar insgeheim gewusst, jedoch die Augen davor verschlossen zu haben, verließ Rudger voller Zorn die Halle seines Elternhauses. Er war überzeugt, auch Valten oder zumindest Endres wussten von den Machenschaften seiner Mutter, auch wenn sie es bestritten. Sie hatten sich regelrecht ins gemachte Nest gesetzt. Valten gefiel sich in der Rolle des Vertrauten des Gutsherrn und Rudger glaubte nicht, dass dieser ihn jemals nach Zschillen begleiten würde. Und Endres, dieser liebeskranke Trottel, malte sich doch tatsächlich Chancen bei seiner Schwester Heske aus. Aber auch, wenn das Mädchen Gefallen an dem Ritter gefunden hatte, sein Vater würde sie niemals einem Mann ohne eigenen Besitz zur Frau geben, selbst wenn er den Turteleien der beiden zunächst noch wortlos zusah.

Rudgers Entscheidung stand fest. Heute würde er das letzte Mal Templern zur Flucht verhelfen, dann wäre er weg.

Auch auf Jorge konnte er wohl nun nicht mehr zählen, denn der war bereits gestern mit Hencke nach Schellenberg geritten. Wenn er daran dachte, wie sehr sich sein Freund von ihm entfernte, verspürte er einen schmerzlichen Druck in der Brust. Doch musste er sich damit abfinden, dass der Ritter nun seine eigenen Wege ging.

Hufgetrappel ließ ihn aufmerksam werden. Zunächst dachte er, es wären Hencke und Jorge, die von Lichtenwalde zurückkämen. Dann sah er, wie ein Trupp fremder Ritter auf ihn zuhielt. Sie mussten direkt aus der Burg gekommen sein. Doch konnte Rudger sie nicht identifizieren, denn dunkle Umhänge hüllten sie trotz der Hitze vollkommen ein. Schnell trieb er Norvid in das dichte Unterholz. Als die Reiter ihn passierten, meinte er am Zaumzeug des ersten, der ihr Anführer zu sein schien, die Farben und das Wappen des Königs zu erkennen. Er verspürte den scharfen Luftzug, als sie an ihm vorbeipreschten. Rudger konnte sich nicht erklären, was die Männer in Lichtenwalde gewollt hatten.

Vorsichtig trabte er zurück auf den Weg. Dann gab er seinem Hengst die Sporen. Der Torwächter wollte die Zugbrücke gerade wieder nach oben ziehen, als Rudger schlitternd am Graben zum Stehen kam. Norvid protestierte leise schnaubend, als der Ritter ihn heftig an den Zügeln zog.

„Verzeih mir, alter Junge, aber ich wollte nicht, dass wir im Graben landen. Auch wenn eine Abkühlung bei der Hitze ganz guttun würde“, entschuldigte sich Rudger bei seinem tierischen Kameraden. Norvid schüttelte kurz seinen Kopf.

Der alte Winfrid winkte Rudger zu. Daraufhin ließ er die Zugbrücke wieder ganz nach unten und der Ritter sprengte in den Hof. Heidenreich empfing ihn direkt hinter dem Tor. Erstaunt stieg Rudger von seinem Pferd und warf dem schon bereitstehenden Stallburschen die Zügel zu.

„Wie ich sehe, erwartet Ihr mich schon mit Ungeduld“, witzelte Rudger. Er schlug in die Hand ein, die Heidenreich ihm lächelnd entgegenstreckte.

„Nun, das nicht gerade. Aber es ist gut, dass Ihr bereits kommt“, meinte der Ritter. „Hencke ist noch nicht da“, fuhr er fort und zuckte bedauernd die Schultern. „Doch es gibt wichtige Neuigkeiten. Kommt erst mal in die Halle. Ein kühler Trunk wird Euch sicher willkommen sein.“ Damit wandte er sich um und schritt auf die Tür zum Palas zu.

Rudger folgte ihm, etwas erleichtert darüber, dass der Schellenberger noch nicht da war. Es machte ihm das Herz schwer, wenn er an Jorge dachte. Früher waren sie die besten Freunde gewesen. Aber irgendwann in den letzten Monaten hatten die unseligen Ereignisse sie voneinander entfernt. Doch wanderten seine Gedanken bald in eine andere Richtung. Er brannte darauf, zu erfahren, wer die fremden Reiter gewesen waren.

Nes stand an einem der Fenster der Halle und schaute versonnen nach draußen. Der Großvater Heidenreichs hatte diese bereits vor über einem halben Jahrhundert mit Glas versehen lassen, so dass keine unangenehme Zugluft durch den Raum wehte. Einen solchen Luxus konnten sie sich in Ywen nicht leisten. Nes hatte einen Fensterflügel weit geöffnet und die warme Sommerluft strömte herein. Als sie Stimmen hörte, drehte sie sich um. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihre Züge als sie Rudger erblickte. Sie verließ die Fensternische und kam auf den Ritter zugeeilt.

„Rudger, welch ein Glück, dass Ihr gekommen seid!“, rief sie und fasste ihn vertraulich an den Händen. „Es gibt Neuigkeiten, doch werden sie Euch nicht gefallen.“

„Agnes!“, rief ihr Vater verärgert. „Glaubst du nicht, dass es meine Aufgabe ist, den Ritter über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis zu setzen? Und überhaupt, du bringst unseren Gast in Verlegenheit mit deinem Ungestüm.“ Beschämt senkte das Mädchen den Kopf, nur um gleich darauf trotzig die Schultern zu straffen und die beiden Männer herausfordernd anzuschauen. Rudger musste sich ein Lachen verkneifen. Der Mut der jungen Frau gefiel ihm, und er war weit davon entfernt, peinlich berührt zu sein. Heidenreich schüttelte resigniert den Kopf.

„Eigentlich wollte ich noch warten bis Hencke kommt. Aber da Agnes ihr Plappermaul nicht halten konnte ...“ Er schaute seine Tochter noch einmal strafend an.

„Hencke wird es noch früh genug erfahren“ begehrte sie auf. „Doch ich glaube, viel wichtiger ist, dass wir Rudger sofort mitteilen, in welcher Gefahr er und seine Gefährten möglicherweise schweben.“

Nun war Rudger wirklich neugierig geworden, denn die Angelegenheit schien ihn direkt anzugehen. Sollte es etwas mit den Reitern zu tun haben? Er zog seine Augenbrauen leicht nach oben und schaute Heidenreich fragend an. Der zerrte einen der schweren Stühle, die um einen runden Tisch standen, umständlich heran und wies den jungen Templer an, sich zu setzen. Er selbst war viel zu unruhig, als dass er sich hätte ebenfalls niederlassen können und so lief er vor Rudgers Stuhl hin und her. Endlich blieb er genau vor dem Ritter stehen, der bereits den Mund geöffnet hatte, um Heidenreich zu fragen, was ihn so beunruhigte.

„Der König kippt um“, sagte Heidenreich unvermittelt. Rudger runzelte die Stirn. Sein Gesicht zeigte Unverständnis. „Heinrich von Luxemburg hat die Anordnung seines Vorgängers Albrecht zurückgenommen. Die Maßgabe des Papstes, die Templer auch in Deutschland zu verfolgen, soll unverzüglich fortgesetzt werden.“

Rudger wurde bleich. „Das bedeutet, wir sind nirgends mehr sicher“, sagte er tonlos.

„Gerade hat ein Gesandter des Königs Lichtenwalde verlassen“, fuhr Heidenreich fort. „Wahrscheinlich ist es ruchbar geworden, dass etliche Templer vor den Häschern König Philipps von Frankreich über das Rheinland hierher in die Mark Meißen gekommen sind, wo ihnen geholfen wird, weiter nach Böhmen zu gelangen. Da wir an der Passstraße nach Böhmen liegen, war es fast vorhersehbar, dass sie hier zuerst nach vermeintlichen Ketzern suchen.“

„Was wollt Ihr jetzt tun?“, fragte Rudger und in seiner Stimme schwang Hoffnungslosigkeit mit, aber auch Angst darüber, die Königleute könnten nach Ywen kommen. Auch wenn er selbst die Absicht hatte, dem Deutschen Orden beizutreten, wollte er es nicht hinnehmen, dass seine Mitbrüder weiterhin falschen Anschuldigungen ausgesetzt und verfolgt waren. „Hieß es nicht, König Heinrich wolle dem Beispiel des ermordeten Albrechts folgen und dem Papst Paroli bieten? Wie ich sehe, gerät die Absicht des Herrschers ins Wanken. Die Macht der Kirche von Rom hat im Deutschen Reich bedenklich zugenommen.“

„Nun ja, Heinrich will den Einfluss des Kaisertums wieder verstärken. Zu sehr tanzt ihm der Franzose Philipp auf der Nase herum. Dazu kommt, dass Heinrich und Philipp einst sogar so eine Art Freundschaft verband. Schon allein aus diesem Grund wird der König nur mit sehr wenig Enthusiasmus der Verfolgung der Templer entgegentreten. Doch auch, wenn das Verhältnis zwischen den beiden auf Grund der Rangelei um die Vorherrschaft in Europa stark abgekühlt ist, so ist der Wunsch Heinrichs, Kaiser zu werden, das, was über allem anderen steht. Dafür opfert er seine Überzeugungen, nur um den Papst für sich einzunehmen. Seine Krönung zum Kaiser würde die Wiedererstarkung des Deutschen Reiches bedeuten – das heißt, uneingeschränkte Macht in fast allen Ländern Europas.“

 

„Und dafür opfert der König gern ein paar Templer, wenn es seinen Zielen, der mächtigste Herrscher des Abendlandes zu werden, dient“, brachte Rudger Heidenreichs lange Rede auf den Punkt.

„So ist es.“

„Und was bedeutet das jetzt für uns?“, fragte Rudger. „Werdet Ihr weiterhin die Flüchtlinge aus Frankreich aufnehmen und nach Böhmen schaffen.“

„Ich fürchte, das wird mir in Zukunft nicht mehr möglich sein“, sagte Heidenreich mit Bedauern in der Stimme. „Bedenkt, ich bin bereits im Visier der kaiserlichen Beamten. Der Gesandte gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich unter Beobachtung bleiben würde. Es tut mir leid, Rudger, doch heute wird es das letzte Mal sein, wo ich Geflohenen helfen werde, weiterzukommen.“

„Es sind also doch welche hier?“, hakte Rudger nach. „Hencke benachrichtige mich zwar, dass wir zu Euch kommen sollen. Aber nach dem, was Ihr mir gerade erzählt habt, dachte ich nicht an eine weitere Mission.“

Heidenreich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Tür schwungvoll aufgestoßen wurde. Hencke trat ein, etwas erhitzt vom schnellen Ritt.

„Verzeiht meine Verspätung“, begann der er ohne weitere Begrüßung. „Aber mein Vater hat mich aufgehalten. Er erhielt Kunde von Umtrieben hier im Gebirge, dass man einige Tempelritter heimlich außer Landes schaffe. Es schien ihm allerdings nichts Neues zu sein.“ Hencke grinste über das ganze Gesicht.

„Wo ist Jorge?“, unterbrach ihn Rudger unwirsch. Das Geschwätz des Schellenbergers ging ihm auf die Nerven.

„In Schellenberg“, antwortete der kurz angebunden. Doch auf den ungeduldigen Blick des Templers hin ergänzte er: „Mein Vater hat Interesse an ihm gefunden.“ Er sah Rudger überlegen an, geradeso als wolle er damit untermauern, dass sein Vater als Richter des Pleißenlandes hier das Sagen hatte. „Gerade als ich wegritt“, fuhr er fort, als hätte es keine Unterbrechung seines Berichtes gegeben, „kamen Gesandte der königlichen Verwaltung auf die Burg geritten. Mein Vater als oberster Richter des Pleißenlandes soll dafür sorgen, dass solchem Treiben ein Ende gesetzt wird.“ Jetzt lachte Hencke aus vollem Hals.

„Sonst ...?“, fragte Rudger provokativ. Irgendwie stellte er Hencke in dieselbe Riege wie den königlichen Beamten. Obwohl er wusste, wie unsinnig das von ihm war.

„Nun“, antwortete der, sich wieder beruhigend und schaute Rudger bedeutungsvoll an. „Sonst werden die Familien, deren Söhne Mitglieder des Templerordens sind, oder Adlige und auch Bauern, die den Flüchtenden helfen, vor ein Inquisitionstribunal gestellt.“

„Davor bewahre uns Gott“, entfuhr es Heidenreich.

Ein angstvolles Aufkeuchen im Hintergrund lenkte die Aufmerksamkeit der Ritter auf Agnes, die bis jetzt still auf einer Bank gesessen hatte.

„Ihr seid hier?“, stellte Hencke erstaunt fest. „Glaubt Ihr wirklich, das ist etwas für die Ohren eines zarten Mädchens?“, wandte er sich mit scharfer Stimme an Heidenreich.

Noch bevor ihr Vater zu einer Antwort ansetzen konnte, sprang Nes von ihrem Sitz auf. Sie stützte die Hände in die Hüften. „Ihr seid selbstherrlicher als ich dachte“, fuhr sie ihn giftig an. „Ich bin nicht so naiv, dass ich nicht wüsste, was das für uns bedeuten könnte?“ Sie schnaubte verächtlich. „Bis jetzt wart Ihr doch auch nicht so rücksichtsvoll, wenn es darum ging, den Helden zu spielen. Zu gern habt Ihr damit angegeben, dass Ihr unter großen Gefahren den Templern helft.“

„Verzeiht, edles Fräulein“, entgegnete Hencke pikiert. „Ich wollte Euch in keiner Weise zu nahetreten. Einzig und allein meine Sorge um das Wohlergehen meiner zukünftigen Braut, ließ mich Rücksicht auf Euch nehmen.“

„Braut!“, schrie Anges. „Vater, du wirst mich doch nicht heimlich verschachert haben?“ Anklagend blickte sie zu ihrem Vater und Tränen traten in ihre Augen.

Rudger war bei Henckes Worten von seinem Stuhl aufgesprungen und wie von selbst fuhr seine Hand zum Schwertknauf. Eine Bewegung, die dem Schellenberger keineswegs entging, und die dieser mit einem verächtlichen Lächeln quittierte.

„Nun, Hencke, seid Ihr da nicht etwas voreilig mit Euren Worten“, versuchte Heidenreich einzulenken. „Noch seid Ihr nicht mit meiner Tochter verlobt. Auch wenn Ihr ein vielversprechender Kandidat seid“, setzte er hinzu und sah sein Kind scharf an.

„Niemals“, sagte Nes trotzig.

„Nes“, wies ihr Vater sie jetzt mit strenger Stimme an. „Geh zu deiner Mutter. Sie wird deine Hilfe brauchen, jetzt, wo dir eine weitere kleine Schwester geboren ist. Und, Tochter, denke daran, sie und Magdalin müssen von den jüngsten Ereignissen nichts erfahren. Ich will nicht, dass sie beunruhigt werden. Also geh jetzt und halte den Mund.“

Agnes wollte protestieren, doch der Ritter hob die Hand und gebot ihr mit einer Geste, zu schweigen. „Du wirst tun, was ich dir sage“, forderte er sie auf. „Ich habe schon viel zu lange deinem Treiben zugeschaut. Es ziemt sich nicht für ein Mädchen, schon gar nicht für ein edles Fräulein, wie ein Junge umherzustreifen und dann auch noch gefährlichen Männern zur Flucht zu verhelfen. Geh an deinen Webstuhl und leiste einen vernünftigen Beitrag in unserem Haushalt.“ Damit war für ihn die Debatte beendet.

Agnes wagte es nicht, ihrem Vater zu widersprechen. Ein Blick in die Gesichter der beiden anderen Ritter zeigte ihr, dass diese ihrem Vater insgeheim beipflichteten. Sie war nur ein Mädchen, und somit zur Arbeit an den heimischen Herd verdammt. Enttäuscht schaute Nes ihren Vater an, dann wandte sie sich wortlos ab und ging davon in Richtung Küche.

Als seine Tochter nicht mehr zu sehen war, wandte sich Heidenreich Hencke zu. „Auch ich hatte heute schon Besuch.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Ab jetzt stehe ich ganz oben auf der Liste der Verdächtigen, denen das Inquisitionstribunal auf die Finger schaut.“

„Nun, meinen Vater wird der Besuch der Gesandten wenig beeindrucken. Aber dass sie auch schon bei Euch waren, gibt mir zu denken. Und ich frage mich, inwieweit wir unsere Mission noch gefahrlos fortsetzen können?“, sagte Hencke. Heidenreich nickte stumm.

„Es sind Templer im unterirdischen Gewölbe?“, fragte der Schellenberger.

„Ja, zwei Ritter aus der Bretagne. Der eine ist verwundet und wird nicht mehr weiterkönnen. Aber hier kann er auch nicht bleiben.“

„Und wo soll er Eurer Meinung nach hin?“, warf Rudger mit leisem Sarkasmus dazwischen. „Ihr wusstet doch bis jetzt auch, dass es gefährlich ist, Leuten wie mir zu helfen. Woher dieser plötzliche Sinneswandel?“

„Bis jetzt hat man mir auch noch nicht offen gedroht“, bellte Heidenreich. „Schafft die Kerle weg von hier. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Das Wohlergehen meiner Familie steht auf dem Spiel.“

Vorsichtig schlich sich Agnes über den Hof, ängstliche Blicke zu den Fenstern des Palas werfend. Doch niemand ließ sich sehen, wahrscheinlich waren die Männer viel zu sehr in ihre Diskussion vertieft, als dass sie ans Fenster treten würden. Sie schlüpfte zu dem kleinen, versteckten Türchen an der hinteren Mauer hinaus und eilte den schmalen Pfad entlang, der um die Burg herum bis zum Wassergraben führte. Hinter der Burg fiel der Felshang steil ab und es würde kaum einem Angreifer gelingen, hier sein Belagerungsgerät in Position zu bringen. Nes hangelte sich den Hang hinunter. Dabei hielt sie sich an den Wurzeln der alten Bäume fest. Als das lose Gestein unter ihr ins Rollen kam, rutschte sie ein Stück den Abhang hinab, konnte sich aber an einem langen, herabhängenden Ast abfangen. Nes zog scharf die Luft ein. Sie hatte sich die Handflächen aufgeschürft, doch war es nicht weiter schlimm. Nach einigen Minuten erreichte sie die Vorderseite der Burg unterhalb der Zugbrücke. Erleichtert atmete sie auf. Noch hatte sie niemand entdeckt. Im Schutz der Büsche rannte sie weiter, bis sie hinter dem Vorwerk einen Weg erreichte, der in Richtung Wiesa weiterführte. Von hier aus waren es nur noch wenige Meter bis zu dem hinter Gebüsch versteckten Eingang der unterirdischen Gewölbe.

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