Zeit der Könige

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Kapitel 2

Langsam schlich sich Nicolas die Treppe hinunter. Sein Ziel war die Kapelle, in der man seinen Vater aufgebahrt hatte. Nur von kleinen Luftschlitzen auf jedem Treppenabsatz erhellt, lagen die ausgetretenen Stufen im Dämmerlicht vor ihm. Ein schepperndes Geräusch in der Ferne ließ ihn zusammenzucken. Sein Herz begann zu klopfen und für einen Moment musste er stehenbleiben, um sich wieder zu beruhigen. Niemand würde ihn bemerken. Diese schmale Treppe, die einzig der Mundschenk und die Leibdiener des Markgrafen benutzten, betrat zu dieser Tageszeit niemand. Das ferne Geräusch kam sicher nur von der Köchin, die ihre Vorbereitungen für das Mittagsmahl traf. Alles würde normal verlaufen an diesem Tag, die Ritter würden trainieren, der Schmied die Waffen und Rüstungen reparieren oder die Pferde neu beschlagen, die Zimmerleute das Holz des Wehrganges ausbessern. Nur für ihn, Nicolas, wäre nichts mehr normal.

Heiße Tränen stiegen ihm in die Augen. Wieder sah er die schrecklichen Bilder vor sich, als Hero von Lingenburg erbarmungslos auf seinen Vater einschlug. Nicolas` Beine drohten unter ihm nachzugeben und er musste sich einen Moment auf die kalten Stufen setzen. „Warum nur, Gott, hast du das zugelassen?“ flüsterte er. Doch aus der Dunkelheit erhielt er keine Antwort. Nicolas` Gedanken schweiften zurück.

Dunstschwaden zogen zum Himmel. Nicolas stand am Rande der großen Wiese, die sich vom Fluss zur Burg hin erstreckte. Mit weit ausholenden Schwüngen ließ er kleine Steinchen über das Wasser springen. Da hörte er Hufgetrappel und das Klirren von Metall auf der anderen Seite des Ufers. Sein Herz machte einen freudigen Sprung.

„Vater, Vater!“, rief er laut. „Hier bin ich, auf der anderen Seite!“ Isbert schaute angestrengt in die Richtung, aus der der Ruf erscholl. Die Abendsonne, die sich auf dem Wasser spiegelte, blendete ihn, doch die Stimme seines einzigen Sohnes hätte er immer und überall erkannt.

„Wie ich höre, werdet Ihr bereits sehnsüchtig erwartet. Wollen wir hoffen, dass mein Bruder uns nicht gleich erschlagen lässt, wenn wir die Burg betreten“, sagte Dietrich schmunzelnd zu seinem Ritter. Er strich sich das lange blonde Haar aus dem Gesicht. Sein blauer Mantel flatterte im Wind, der über den Fluss wehte. Dietrich kehrte nach nur einem halben Jahr vom Kreuzzug ins Heilige Land zurück. Und mit ihm Nicolas` Vater. Der deutsche Kaiser Friedrich Barbarossa hatte die Fürsten des Reiches aufgefordert, ihn zu begleiten. Allerdings waren nicht alle seinem Ruf gefolgt. Zwischen Dietrich und seinem Bruder Albrecht gab es deswegen heftige Auseinandersetzungen. Albrecht wollte die Mark Meißen nicht verlassen, doch sein Bruder gierte nach Ruhm und Ehre und schloss sich mit einigen Rittern und Gefolgsleuten dem Kaiser an. Ihr Vater, Markgraf Otto der Reiche, hatte eigentlich seinen jüngeren Sohn Dietrich zum Nachfolger bestimmt. Aber als er im letzten Jahr kurz vor Lichtmeß gestorben war, entschied König Heinrich, der Sohn des Kaisers und Verwalter des Reiches, anders und sprach Albrecht die Markgrafenwürde zu. Auch deshalb verließ Dietrich die Mark. Mit dem plötzlichen Tod Kaiser Barbarossas in den Fluten des Saleph war für die meisten deutschen Fürsten der Kreuzzug beendet. Nur wenige begleiteten seinen jüngsten Sohn Friedrich weiter nach Akkon.

Heinrich folgte seinem Vater auf den Thron und ließ sich auch bald in Rom zum Kaiser krönen. Dietrich wusste, dass sein Bruder dem Kaiserspross nicht gerade in Freundschaft zugetan war, und deshalb eilte er, so schnell er konnte, zurück nach Meißen, um seine eigenen Interessen zu wahren. Vielleicht respektierte der neue Kaiser jetzt seine Anrechte auf die Markgrafenkrone, die ihm sein Vater hinterlassen hatte.

Aber Heinrich entschied anders und bestätigte Albrecht in seinem Lehen. Doch dieser wusste, dass sein Bruder in der Mark Meißen eine große Anhängerschaft hatte. Sein vier Jahre jüngerer Bruder war das Ideal eines deutschen Ritters. Nicht nur seine hochgewachsene Gestalt und seine angenehmen Gesichtszüge machten ihn zum geborenen Führer. Auch seine edle Gesinnung, sein immerwährender Hang zur Gerechtigkeit, sein ständiges Mitleid mit benachteiligten Kreaturen, sein unerschütterlicher Edelmut – das war es, was Albrecht so an ihm hasste. Dietrich war das Abbild ihrer Mutter, der hochedlen Frau Hedwig, welche von ihrer Kemenate aus heute noch die Damen und ihn, Albrecht, überwachte und dirigierte. Die einzige Chance, die dieser hatte, war Krieg.

Die Ritter warteten auf das Floß, das sie zur anderen Seite der Elbe bringen würde. Endlich legte der Fährmann an. Die Männer führten ihre vor dem Wasser leicht scheuenden Pferde auf die Holzplanken.

„Gott zum Gruße, Einhart“, begrüßte Dietrich den alten Mann, den er praktisch schon sein ganzes Leben kannte. „Was gibt es neues in der Mark?“, fragte er augenzwinkernd. Der alte Einhart fuhr seit etlichen Jahrzehnten über den Fluss und viele Ritter und adlige Herren hatten sich seinem Geschick anvertraut, alle heil über das Wasser zu bringen.

„Auch Euch soll der Herr beschützen auf Euren Wegen“, antwortete Einhart ehrerbietig. „Die Zeiten sind hart, Eurer Gnaden. Eurer Bruder zieht mit seinen Waffenknechten übers Land und wer ihm nicht den genügenden Respekt zollt, den lässt er niedermachen und oft mit ihm gleich das ganze Dorf.“ Der Alte schüttelte traurig den Kopf. „Auch mit Kaiser Heinrich hat er sich überworfen, obwohl dieser ihm trotzdem die Mark zugesprochen hat“, fuhr er fort. „Das hat mir der Herr von Hohnberg erzählt“, ergänzte er auf den fragenden Blick Dietrichs hin.

„Er überfällt also wieder meine Ländereien“, sagte dieser mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Sicher rechnet er nicht mit meiner Wiederkehr und will sich alles unter den Nagel reißen. Aber da hat er sich verrechnet, mein sauberer Herr Bruder.“ Er stierte einen Moment wütend vor sich hin. Ein Ruck ging durch seinen Körper und er hob beinahe trotzig den Kopf. „Das wird ihm nicht gelingen. Ich weiß mich zu wehren. Er hat keine Verbündeten mehr, da er alle vor den Kopf stößt. Selbst die Verwandten seiner Frau hat er mehrmals brüskiert, und wie ich hörte, will der Bischof von Prag in Meißen einmarschieren.“

„Der neue Kaiser kann Albrecht ja auch nicht leiden“, warf einer seiner Männer dazwischen.

„Was ihn allerdings nicht davon abgehalten hat, meinem Bruder die Mark als Lehen zu geben. Heinrich ist ein verschlagener Kerl, der ausschließlich seine eigenen Interessen durchsetzen will. Die Fürsten des Reiches sind ihm egal. Seine Sympathie für meinen Bruder hält sich bekanntlich schon immer in Grenzen.“

„Was werdet Ihr jetzt tun, Dietrich?“, fragte Isbert besorgt. „Seid Ihr sicher, dass sich Euer Schwiegervater, der Thüringer Landgraf, auf Eure Seite stellt?“

„Was glaubt Ihr, warum ich mich habe überreden lassen, seine Tochter Jutta in Bälde zu ehelichen. Sie ist noch ein Kind. Und dazu soll sie noch hässlich wie die Nacht sein. Ich bin ein erwachsener Mann, kein grüner Junge. Was soll ich mit einem Kind im Bett?“ Dietrich verzog das Gesicht.

„Nun, auch Jutta wird älter“, meinte Isbert gelassen.

„Ja, aber ich auch“, konterte der Graf. „Doch ob sie schöner wird, das weiß Gott allein. Außerdem braucht der Landgraf mich“, fuhr er ernsthaft fort. „Als sein Bruder Ludwig vor einiger Zeit starb, wollte der Kaiser bekanntlich auch das Thüringer Lehen einziehen und natürlich der Krone einverleiben, raffgierig, wie er ist. Zu vielversprechend sind die Einkünfte der ausgedehnten Ländereien und Wälder. Doch mein zukünftiger Schwiegervater hat sich sein Erbe nicht streitig machen lassen. Also, eine Hand wäscht die andere, oder wie meine Mutter immer sagt: ‚Hilfst du mir, so helf ich dir’.“

Der Bruder des Thüringer Landgrafen Ludwig, Hermann, konnte sich mit Hilfe mächtiger Verbündeter, zu denen auch Dietrich von Wettin gehörte, seine Nachfolgeansprüche sichern und die Landgrafenkrone behalten. Sehr zum Verdruss Kaiser Heinrichs. Ein willensstarker Mann wie Dietrich war diesem deshalb ein Dorn im Auge und so musste er sich wohl oder übel zu Albrecht bekennen.

Nicolas war bereits zur Anlegestelle geeilt, um seinen Vater zu begrüßen. Die Strahlen der Abendsonne fielen auf sein lockiges dunkelbraunes Haar und ließ es rotgolden aufleuchten. Isbert sprang als erster von der Fähre. Nicolas warf sich ihm stürmisch in die Arme.

„So schlimm, mein Sohn?“, fragte Isbert lächelnd. Der Junge nickte stumm.

„Nun, nun. Jetzt bin ich ja wieder zu Hause“, versuchte ihn sein Vater zu beruhigen.

„Bleibt Ihr jetzt in Meißen?“, wagte Nicolas zu fragen.

„Das kommt darauf an, ob es Albrecht gefällt, dass ein Ritter seines Bruders auf der Burg bleibt.“ Er schaute bedeutsam zu Dietrich.

„Ich glaube, ich werde in der Stadt Quartier nehmen, bevor ich Albrecht in die Arme laufe“, sagte der Graf und zog bedauernd die Schultern hoch.

„Das wird der edlen Frau Hedwig aber nicht gefallen“, meinte Isbert schmunzelnd.

„Sie wird sich damit abfinden müssen, dass Albrecht im Moment das Sagen in der Markgrafschaft hat. Mit Sicherheit würde er es nicht begrüßen, wenn ich an seinem Hofe weilte.“ Dietrich verzog schmerzlich das Gesicht. „Doch solltet Ihr zu Eurer Frau gehen, Isbert. Gewiss erwartet sie Euch schon sehnsüchtig.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Sie grollt mir bestimmt noch, dass ich sie vor Monaten wieder verlassen habe, um an der Seite des Kaisers ins Heilige Land zu ziehen.“ Er schaute zu seinem Sohn, der den Blick gesenkt hielt.

„Oder, Nico? Was hat deine Mutter gesagt?“

„Nichts“, meinte der Junge kleinlaut.

„Trefft mich am Abend im „Schwarzen Schwan““, forderte der Graf Isbert auf. „Ich erwarte Euch pünktlich zum Abendläuten. Aber gebt Acht, dass Euch keiner sieht, wenn Ihr auf dem Weg von der Burg in die Stadt seid. Wir wollen doch nicht, dass irgendeiner eine neue Verschwörung wittert.“ Dietrich lachte leise. Dann schwang er sich auf den Rücken seines Pferdes und verschwand mit seinen Männern in Richtung der untergehenden Sonne.

 

Isbert bedeutete seinem Knappen, ihm zu folgen und nahm die Zügel des Rosses auf. Er legte den Arm um die schmächtigen Schultern seines Sohnes. „Komm, mein Junge, lass uns zur Burg gehen. Deine Mutter vermisst dich bestimmt bereits.“

„Nein, ich glaube nicht, dass sie mich vermisst“, meinte Nicolas etwas verdrießlich. Isbert zog verwundert die Augenbrauen nach oben.

„Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen“, fuhr sein Sohn fort. „Immer ist sie bei der alten Markgräfin. Und wenn sie mich sieht, fängt sie an zu schluchzen, so dass Frau Hedwig sie trösten muss. Ich schlafe jetzt schon lange im Saal mit den anderen Jungen, die von Herrn von Hohnberg betreut werden.“

„So, so. Nun, wir werden sie zusammen aufsuchen. Bestimmt freut sie sich heute, dich zu sehen“, tröstete Isbert den Jungen.

Die Begegnung der Eheleute verlief unterdessen sehr unterkühlt. Hedwig versuchte zwar, zu vermitteln. Aber Lioba war zu verzweifelt, um Isbert in die Augen sehen zu können. Nicolas schlief weiterhin mit den anderen Pagen und Knappen, und Isbert ging nach der ersten Begrüßung in die Stadt, um sich Dietrich wieder anzuschließen. Auch er konnte seiner Frau nicht entgegentreten, als wäre nichts geschehen, denn natürlich waren ihm die Gerüchte über ihre Untreue zu Ohren gekommen. Ihr seltsames Verhalten sah er als Schuldeingeständnis. Doch wollte er sie jetzt um seines Sohnes willen nicht zur Rede stellen. Der Junge hatte schwer genug unter der ständigen Abwesenheit seines Vaters zu leiden. Auch hörte dieser mit Sicherheit die Sticheleien der Hofleute, die darüber spekulierten, ob der Sohn des edlen Ritters Heidenreich Verrat beging und sich gegen seinen Markgrafen stellte.

Allerdings war er gezwungen, am nächsten Tag wieder auf die Burg zurückzukehren, denn Albrecht ließ ihn zu sich rufen.

Isbert verlangsamte seinen Schritt. Er verspürte wenig Lust, dem Bruder Dietrichs gegenüberzutreten. Seine Gedanken überschlugen sich. Was würde er von ihm wollen? Ob es um Lioba ging? Doch was interessierte den Markgrafen Klatsch und Tratsch? Isbert erklomm die steinerne Treppe, die vom Saal des Palas` in das obere Stockwerk führte, in dem Albrecht seine Gemächer hatte. Düsternis umfing ihn, nur hier und da rußte eine Fackel in ihrer Halterung an der Wand vor sich hin, mehr Rauch denn Licht spendend. Isbert stolperte über ein Holzscheit, dass jemand im Gang hatte liegenlassen. Um ein Haar wäre er gegen die Tür zu Albrechts Kammer gefallen, konnte sich im letzten Moment noch fangen. Zögernd klopfte er an. Als ein barsches „Herein“ ertönte, drückte er mit schwerem Herzen den Riegel herunter und trat ein.

„Da seid Ihr ja endlich“, empfing ihn Albrecht unfreundlich. „Was hat Euch solange aufgehalten? Habt Ihr wieder mit meinem Bruder zusammengesteckt? Dieser Nichtsnutz heckt doch mit Sicherheit irgendwelche Pläne aus, um doch noch die Markgrafenkrone an sich zu reißen.“

Isbert verbeugte sich halbherzig. „Durchlaucht“, sagte er leise. „Ich bin so schnell herbeigeeilt...“

„Doch es wird ihm nichts nützen, da der Kaiser hinter mir steht“, schnitt Albrecht dem Ritter das Wort ab. „Zum Glück hat Barbarossa seinen Sohn als Verwalter im Reich zurückgelassen, als er auf den Kreuzzug ging. Sein Tod hat natürlich die Fürsten des Reiches schwer bestürzt. Doch Heinrich ist ja unerwartet schnell nach Rom gezogen, um sich zum neuen Kaiser ausrufen zu lassen.“ Albrecht hörte auf zu sprechen.

Isbert hütete sich, das Wort zu ergreifen und verharrte in scheinbarer Demut, dass der Markgraf ihn zu einer Antwort aufforderte.

„Sagt Isbert, habt Ihr Heinrich bei Eurer Rückkehr von Italien angetroffen? Ist mein Bruder ihm begegnet?“ Albrecht fixierte Isbert mit einem lauernden Blick.

Endlich ist die Katze aus dem Sack. Er will nur wissen, ob es Dietrich gelungen ist, den Kaiser von seinem Erbanspruch zu überzeugen, dachte er.

„Nein, wir sind direkt aus Antiochia hierher zurückgekommen, ohne dass wir die Route des Kaisers gekreuzt haben“, antwortete Isbert unverbindlich. „Ein kleiner Teil der Fürsten ist mit Barbarossas Sohn Friedrich weiter nach Jerusalem gezogen, doch die meisten hielten es für klüger, zurückzukehren.“

Albrecht nickte. Längst war ihm bekannt, was Isbert ihm erzählte. Doch brauchte er einen Grund, den Ritter nach seinen weiteren Plänen zu fragen.

„Ihr habt lang gebraucht, zurück nach Meißen zu kommen. Ich weiß, dass Ihr mit meinem Bruder durch die Lande gezogen seid.“ Albrecht trommelte mit seinen Fingern ungeduldig auf die Platte seines Schreibpultes, hinter dem er stand und schaute Isbert wissend an.

„Was habt Ihr vor, Isbert? Ich weiß, dass Euch der Sinn wenig danach steht, mit Euren Männern für mich zu kämpfen. Denn das hieße ja, dass Ihr gegen Dietrich zieht.“ Der Markgraf machte eine bedeutungsvolle Pause. Doch Isbert ließ sich nicht provozieren. Nicht im Traum dachte er daran, für Albrecht in die Schlacht zu ziehen, schon gar nicht gegen seinen Freund Dietrich, mit dem ihm mehr verband, als mit jedem Ritter am Hofe Albrechts. Schon überlegte er, wie er sich diplomatisch aus der Affäre ziehen konnte, da bot ihm Albrecht einen Vorwand, im Notfall aus Meißen verschwinden zu können.

„Mir wäre viel daran gelegen, wenn Ihr nach Lichtenwalde gehen würdet und Euch dort endlich um Eure Ländereien kümmert. Die Befestigungsanlagen sind marode, sind sie doch nur aus Holz. Errichtet eine steinerne Burg, Isbert, damit die Slawen nicht über uns herfallen.“

„Durchlaucht, ich werde darüber nachdenken. Allerdings ist mein Weib Hofdame bei der hochedlen Frau Hedwig. Diese wird es nur ungern sehen, wenn sich Lioba vom Hofe entfernt.“ Isbert erstickte fast an seinen Worten. Eigentlich lag es nicht in seiner Absicht, Meißen und damit Dietrich sobald zu verlassen. Aber Lioba hatte damit nichts zu tun. Dennoch fuhr er fort: „Auch liegt mir die Ausbildung meines Sohnes sehr am Herzen. Ich würde diese selbst gern überwachen.“

Mit angehaltenem Atem wartete er auf Albrechts Antwort. Der Markgraf zuckte bedauernd mit den Schultern.

„Überlegt es Euch nicht zu lange. Denn wenn es hier zu Kämpfen kommt, nehme ich Euch in die Pflicht. Noch seid ihr mein Lehnsmann, auch wenn mein Bruder in Euch so eine Art Gefährten sieht. Vergesst nicht, wem Ihr den Lehnseid geschworen habt.“

„Eurem Vater, Euer Gnaden, Markgraf Otto“, sagte Isbert ohne nachzudenken. Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, doch konnte er seine Worte nicht mehr zurücknehmen. Mit Sicherheit würde sich Albrecht für diese Ungeheuerlichkeit bitter rächen.

Der Markgraf zuckte sichtlich zusammen. Doch wollte er den Ritter seines Bruders unbedingt aus dessen Reichweite bringen. Zu gefährlich erschien es ihm, wenn dieser sich Dietrich mit seinen Männern anschloss. Bliebe Isbert so stur wie eben, musste er andere Wege finden, den Mann unschädlich zu machen.

„Es dürfte Euch aufgefallen sein, dass ich jetzt der Markgraf bin und nicht mein Bruder Dietrich. Also überdenkt, was Ihr tun wollt“, drohte er jetzt unverhohlen.

„Durchlaucht“, sagte Isbert deshalb auch ohne jeden weiteren Kommentar.

„Wenn Ihr nicht nach Lichtenwalde geht, dann bleibt Ihr hier am Hofe“, forderte Albrecht den Ritter auf. Das kam einem Arrest gleich. Vielleicht sollte er doch besser in den Dunkelwald gehen. Er würde mit seiner Frau darüber sprechen müssen.

„Und nun lasst mich allein, ich habe Briefe zu schreiben.“ Damit war für den Markgrafen die Unterredung beendet. Isbert verbeugte sich vor seinem Lehnsherrn und wandte sich dem Ausgang zu.

„Ach, und schickt mir den Schreiber Kunbert herauf. Er wartet unten im Saal“, rief Albrecht ihm hinterher.

„Durchlaucht“, antwortete Isbert nochmals und eilte, dass er die Stufen hinab und möglichst schnell aus Albrechts Reichweite kam.

Er musste eiligst mit Dietrich sprechen. Er war bereit, sich diesem anzuschließen, wenn es hart auf hart käme. Aber davon sagte er niemandem etwas. Auch nicht seiner Familie. Diese musste er gegebenenfalls vorher in Sicherheit bringen. Der Befehl des Markgrafen, sich um seine Ländereien zu kümmern, bot ihm bei Gelegenheit einen geeigneten Vorwand.

Der Ritter zögerte seine Abreise allerdings immer wieder hinaus. Denn er verspürte wenig Lust, sich in der Einöde zu vergraben. Lieber harrte er in der Burg Meißen aus. Hier war er in der Nähe Dietrichs und konnte sich ihm anschließen, wenn es ein Gefecht geben würde.

Doch noch während Isbert darüber nachdachte, wie er am besten die Burg verlassen und gleichzeitig seine Familie schützen konnte, musste Dietrich aus der Markgrafschaft fliehen und sich wieder einmal in Weißenfels verschanzen. Isbert blieb in Meißen. Er befahl Lioba eiligst die Truhen zu packen. Sein Plan bestand darin, sich in der nächsten Nacht mit seinem Weib heimlich nach Freiberg abzusetzen. Hier konnte er aus sicherer Entfernung die Entwicklung der Geschehnisse abwarten. Im Moment bestand keine Aussicht, dass Dietrich die Oberhand gewann. Aber Lioba musste fort von hier. Er konnte die Falschheit der Höflinge nicht mehr ertragen, die hinter vorgehaltener Hand und mit Häme im Gesicht vom Ehebruch seiner Frau tuschelten.

Nicolas sollte aber weiterhin unter der Aufsicht Tassilos von Hohnberg bleiben. Zu wichtig war seine Ausbildung zum Ritter. Außerdem wäre er eine perfekte Geisel, die er Albrecht überlassen konnte, falls dieser drohte, ihm seine Ländereien wegzunehmen. Darüber wollte sich Isbert im Moment nicht den Kopf zerbrechen, zu stark plagte ihn ob seiner Gedanken ein schlechtes Gewissen.

Dann überschlugen sich die Ereignisse und das Schicksal brach mit ganzer Gewalt über Isbert von Lichtenwalde herein, denn seine Frau hatte eine große Dummheit begangen und in ihrer Seelennot die junge Markgräfin Sophie um Hilfe gebeten.

Es war bereits Abend. Ein lautes Klopfen riss die kleine Familie, die im Gemach Liobas zusammensaß, aus ihrer Unterhaltung. Der Ritter hatte seine Gemahlin und seinen Sohn nun doch von seinem Gespräch mit dem Markgrafen berichtet und Nicolas deshalb erlaubt, nach dem Nachtmahl noch eine Weile bei seinen Eltern zu bleiben, bevor er in den großen Schlafsaal der Knappen zurückkehrte.

Ohne die Aufforderung einzutreten, abzuwarten, wurde die Tür nach innen aufgestoßen. Ein Burghauptmann und zwei Wachen stürmten herein.

„Isbert von Lichtenwalde, wir verhaften Euch im Namen des Markgrafen.“

Sie packten Isbert grob bei den Armen und versuchten, ihn mit sich zu zerren.

„Was soll das?“, fragte der Ritter erschrocken und wehrte die Männer ab. „Was wirft man mir vor?“

Doch statt einer Antwort erhielt er einen Schlag mit der Faust gegen seine Schläfe. Isbert wurde schwarz vor Augen. Obwohl eine Welle der Übelkeit ihn erfasste, riss er sich zusammen, zu entwürdigend war das Schauspiel, was hier den Augen seiner Familie geboten wurde.

„Lasst mich gefälligst los, ihr Barbaren“, rief er und versuchte erneut, sich loszureißen. „Was erlaubt ihr euch, ich bin ein Ritter und habe das Recht auf Anstand!“

„Verräter habe gar keine Rechte“, knurrte der Waffenknecht. „Und jetzt los, bevor ich Euch an Ketten hinausschleifen lasse.“ Ohne weitere Erklärung zerrten sie den sich immer noch wehrenden Isbert mit sich.

Nicolas` Mutter war kreidebleich geworden und griff sich mit der Hand ans Herz. Im ersten Moment befürchtete Nicolas, seine Mutter sei krank und litte Schmerzen. Aber als er ihre großen schreckgeweiteten Augen sah, wusste er, dass es blankes Entsetzen und Angst waren, die sich in ihren Zügen widerspiegelten.

„Was wird mit Vater geschehen? Was will der Markgraf von ihm? Wisst Ihr es, Mutter?“ Seine Fragen verhallten ungehört. Lioba blieb reglos. Große Tränen begannen aus ihren schönen grünen Augen, die denen von Nicolas so ähnlich waren, zu quellen, rannen über ihre Wangen und tropften auf ihr helles Gewand, wo sie dunkle Flecken hinterließen.

Doch Nicolas wusste auch so, was dies alles bedeutete. Zu oft hatte er in den Stallungen die anderen Jungen und die Stallburschen miteinander flüstern hören, wenn sie meinten, er sei nicht in der Nähe. Seiner Mutter wurde eine Buhlschaft mit einem Ritter des Markgrafen nachgesagt. Er hatte sie des Öfteren mit Hero von Lingenburg sprechen sehen und die verstohlenen Blicke, mit denen sie dabei ihre Umgebung beobachteten, als würden sie etwas Verbotenes tun. Doch das konnte nicht der Grund dafür sein, dass der Markgraf seinen Vater abholen ließ. Es musste eher etwas mit dem Streit zwischen den Brüdern zu tun haben. Sein Vater hatte ihm einmal erzählt, dass Ottos Söhne sich nicht wie liebende Brüder benehmen würden, und dass sie Gott dafür eines Tages bestrafe. Er nahm sich fest vor, am nächsten Morgen seinen alten Lehrmeister Tassilo von Hohnberg zu fragen, der die jungen Söhne der Höflinge und der Ritter des Markgrafen im Kriegshandwerk unterrichtete, warum der Markgraf und sein Bruder sich stritten, und was sein Vater damit zu schaffen hatte. Dazu kam es allerdings nicht, denn zwei Wächter brachten ihn und seine Mutter noch in derselben Nacht in die Kemenate der alten Markgräfin Hedwig, wo sie die nächsten Tage verbringen mussten. Die alte Markgräfin wollte ihnen wohl das Leid ersparen, die Verurteilung des edlen Ritters von Lichtenwalde mit anzusehen. Sie kannte ihren Sohn und wusste, dass dieser keine Milde walten lassen würde. Das Getuschel der Hofdamen konnte sie ihnen allerdings nicht ersparen.

 

Heute am frühen Morgen schlich sich Nicolas unbemerkt aus der Kemenate. Er versteckte sich in einem kleinen Raum neben dem Rittersaal. Von hier aus spähte er aus einem schmalen Fenster direkt auf den Kampfplatz auf der Elbwiese. Was er dort sah, ließ alle seine Glieder erstarren, grub sich unwiderruflich in sein Gedächtnis. Sein Herz verwandelte sich in einen Eisklumpen und mit bleichen Lippen murmelte er einen Schwur vor sich hin: “Albrecht von Wettin. Dafür bist du verantwortlich. Dafür soll Gott dich bestrafen. Und du, Hero von Lingenburg, sollst in der Hölle schmoren. Ich werde meinen Vater rächen, und wenn es das letzte im Leben ist, was ich tue.“

Er hatte sich in den Saal geschlichen, wo er erlebte, wie Albrecht den Lingenburger verbannte. Doch Genugtuung brachte ihm das keine, und er wiederholte im Stillen seinen Schwur, nicht ahnend, dass Gott sowohl den Lingenburger als auch Albrecht eines Tages ihrer gerechten Strafe zuführen würde. Später am Tag, als sich der Rittersaal langsam leerte und der Markgraf in seinen Gemächern verschwunden war, schlich sich Nicolas zu der kleinen Tür hinaus, die ihn letztlich zu dieser Dienstbotentreppe führte. Jetzt endlich würde es ihm gelingen, seinen alten väterlichen Freund Tassilo von Hohnberg zu befragen. Doch wie auch immer dessen Antwort ausfiel, in seinem Herzen würde für ewig das Feuer der Rache brennen.