Zeit der Könige

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Kapitel 7

Burg Meißen

Juli 1195

Der Morgen dämmerte gerade in einem ersten fahlen Grau herauf, da erscholl vom Burghof Hufgetrappel und das Rufen von Stimmen, gerade so, als wolle jemand überstürzt die Burg verlassen. Ragin erhob sich noch leicht benommen nach einer unruhigen Nacht von seinem harten Lager. Die anderen schliefen fest, einer der Jungen murmelte im Traum unverständliche Worte. Die Luft war noch kalt, und Ragin fröstelte, als er, nur mit seiner Bruche bekleidet, an das offene Fenster trat, das notdürftig mit Sackleinen verhangen war. Um auch das ganze Tageslicht der Jahreszeit ausnutzen zu können und damit teures Licht zu sparen, hatte die Markgräfin einst veranlasst, dass die Fenster in den Unterkünften der Knappen nur bei strengem Frost mit hölzernen Läden verschlossen wurden. Noch hingen die Schatten der Nacht unter den Mauern des Burghofes. Einzelne Fackeln brannten in der Nähe des Torhauses und erleuchteten die Szenerie, die sich Ragin bot, mit ihrem flackernden Licht. Mindestens ein Dutzend Packpferde standen, zum Teil schon beladen, in der Mitte des Hofes. Das mächtige braune Schlachtross des Markgrafen hatte man an einen großen Karren gebunden, der von zwei riesigen Kaltblütern gezogen wurde. Der Karren war bis oben hin vollgestopft mit Kisten und Fässern. Ragin konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was da unter ihm vor sich ging. Ein Reitknecht, er hatte ihn bereits einige Male im Gefolge Albrechts gesehen, führte das Reitpferd des Markgrafen, einen prächtigen Apfelschimmel, auf den Hof. Das edelsteinbesetzte Zaumzeug allein hätte die Familie eines Leibeigenen ein ganzes Leben lang ernähren können. Jetzt funkelte es im Schein der Fackeln und verriet Ragin, dass der Markgraf wahrscheinlich auf eine größere Reise gehen würde. Dass sich ihr Schicksal an diesem Morgen für immer ändern sollte, ahnte der junge Mann allerdings nicht.

„Ragin, Ragin, wach auf!“ Konrad stürmte aufgeregt in den Schlafraum. Als er Ragin am Fenster stehen sah, hielt er kurz inne.

Nachdem Nicolas und Modorok verschwunden waren, hatte Konrad zunächst geglaubt, sie seien von Albrecht mit dem Auensteiner auf eine Mission geschickt worden. Doch als sie auch nach Wochen noch wie vom Erdboden verschluckt blieben, und keiner über ihren Verbleib etwas wusste, keimte in dem Jungen der qualvolle Gedanke auf, dass seinen Freunden etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Aber dann belauschte er ein Gespräch Tassilos mit dem Burgvogt. Letzterer erzählte dem Waffenmeister, dass Albrecht getobt und geschrien hätte, als er erfuhr, dass Wolfram von Auenstein bei Nacht und Nebel aus der Burg verschwunden sei und mit ihm die beiden Knappen. Auch die Familie Wolframs hatte Meißen verlassen. Keiner konnte sagen, wohin sie gegangen waren. Konrad wusste nicht, warum Nicolas einfach verschwunden war, ohne ihm etwas davon zu sagen. Doch die Tatsache, dass er sich nicht verabschiedet hatte, ließ in ihm die Gewissheit aufkommen, dass er ihn nie mehr wiedersehen sollte. Er schlich sich in den Stall und weinte bitterlich. Und dennoch stahl sich eine wage Hoffnung in sein kleines Herz, dass er Nicolas doch eines Tages gesund und munter wieder begegnen würde.

Langsam regten sich auch die anderen, und rieben sich verschlafen die Augen. „Was ist los? Welcher Teufel hat dich kleine Kröte geritten, hier so herumzuschreien?“ Wütend funkelte Gernot von Bergstädt, einer der älteren Knappen, den jüngeren an. Doch völlig unbeeindruckt und sich der Tatsache bewusst, dass das, was er gleich zu berichten hatte, ihm die volle Aufmerksamkeit der anderen einbringen würde, baute sich Konrad vor seinen Kameraden auf. „Der Markgraf verlässt Meißen und…“

„Wieso? Woher weißt du das? Wo treibst du dich überhaupt herum, während wir anderen hier schlafen?“ fiel ihm Gernot unbeherrscht ins Wort.

„Das wollte ich gerade erzählen, aber du lässt mich ja nicht zu Wort kommen“, ereiferte sich Konrad.

„Sei still, Gernot. Nun, Konrad, erzähl…“ Ragin nickte ihm aufmunternd zu.

„Also, gerade als ich in einer Ecke des Hofes fertig war, meine Notdurft zu verrichten, hörte ich die Ritter Albrechts sagen, dass der Markgraf Meißen verlässt und nach Altzella geht. Angeblich will er dort Abbitte tun und den Mönchen einen Teil des vormals von ihm gestohlenen Schatzes wiederbringen. Weißt du, was damit gemeint ist, Ragin?“

Dieser nickte und fragte: „Woher weißt du, dass er nach Altzella will? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Schatz, den sein Vater einst dem Kloster vermacht hatte, und den Albrecht sofort nach dessen Tod wieder herausforderte, zurückbringen will. Er begründete seine Tat damals damit, dass die heiligen Männer das Gold unrechtmäßig erworben hätten, konnte dies aber nie beweisen.“

„Vielleicht drückt ihn sein schlechtes Gewissen, jetzt wo die Markgräfin tot ist“, gab Gernot zu bedenken.

„Nein, das glaube ich nicht. Aber ich denke, er nutzt es als Vorwand, dass die Markgräfin dort zu Grabe getragen wurde, um sich im Kloster zu verkriechen, und Pläne zu schmieden, wie er seine Macht erhalten kann. Hinter den geheiligten Mauern eines Klosters wird sich nicht so schnell einer erdreisten, den Markgrafen anzugreifen. Und seinen Schatz nimmt er mit, damit er dann genügend Söldner anheuern kann, um seinen Bruder zu besiegen.“

„Vielleicht will er sich auch dem Kaiser auf seinem Palästinazug anschließen und holt sich nur den Segen für sein Vorhaben?“ mutmaßte der neunzehnjährige Kaspar.

„Oh nein, Kaspar. Niemals! Du hast nicht miterlebt, wie heftig sein Zorn auf den Kaiser war, nachdem dieser ihn nicht empfangen hat. Denn so war der Markgraf wochenlang von Meißen fern, während sich hier die Ereignisse überschlugen und die Feinde Albrechts ihre Macht festigen konnten. Sein Bruder und der Thüringer, das sind seine ärgsten Feinde. Glaube nicht, dass er so schnell aufgibt, und ihnen das Terrain überlässt. Und dann die Markgräfin; sie ist gestorben, ohne dass Albrecht sich mit ihr aussöhnen konnte. Das lastet schwer auf seiner Seele. Doch auch dafür macht er Dietrich und den Kaiser verantwortlich. Bei sich selbst sucht er die Schuld nicht.“

„Woher weißt du das alles, Ragin?“ fragte Wolfram erstaunt.

„Ich habe meine Quellen, mein Freund“, antwortete Ragin gelassen, „und glaub mir, wenn Albrecht jetzt geht, wird er den Tag verfluchen, an dem er das beschlossen hat.“

„Was heißt das? Was weißt du, was wir nicht wissen? Was spielst du für ein Spiel, Ragin?“ Die anderen stürmten beinahe zornig auf ihn ein. Beschwichtigend hob der die Hände.

„Keine Angst, meine Freunde. Ich weiß auch nicht viel mehr als ihr. Aber ich habe Augen im Kopf und Vertraute in der Burg, die meiner Familie zugetan sind. Kommt, lasst uns zu Meister Tassilo gehen. Der wird uns sagen, was wir jetzt tun sollen, denn offensichtlich hat der Markgraf momentan keine Verwendung für uns.“ Ragin wollte sich schon abwenden, um seine Beinlinge und seine Tunika überzustreifen, da fiel ihm etwas ein. „Ach, übrigens, wisst ihr, wo Falk von Schellenberg ist?“ Fragend sah er in die Runde.

„Er ist beim Tross des Markgrafen“ sagte Konrad schlicht.

„Dachte ich mir`s doch. Noch Fragen?“ Die anderen Jungen schüttelten die Köpfe.

Dann wandten sie sich ihren Kleidern zu, um hineinzuschlüpfen. Ohne sich lange bei der Morgentoilette aufzuhalten, nur etwas kaltes Wasser ins Gesicht spritzend, eilten sie bald darauf in den Speisesaal der Burg, wo sie ihren Lehrmeister anzutreffen hofften. Im Vorübereilen sahen sie, wie Albrecht auf sein Pferd stieg und die Hand zum Aufbruch hob. Noch bevor sie die Tür des Saales erreicht hatten, begann sich der Tross in Bewegung zu setzen und bald darauf zeugte nur noch das sich entfernende Rumpeln des schwer beladenen Karrens von der überstürzten Abreise des Markgrafen. Keiner der Jungen sollte Albrecht wiedersehen.

Kapitel 8

Kloster Altzella

Juli 1195

Ein heftiger Gewitterregen erschwerte das Vorankommen des markgräflichen Trosses. Der schwere Wagen blieb immer wieder im Schlamm des ausgefahrenen Weges stecken. Auf ihm stand eine große Kiste, prall gefüllt mit Silber. Der Markgraf war getrieben von seinem schlechten Gewissen. Er musste unbedingt diesen Schatz nach Altzella zurückbringen, die Mönche um Vergebung bitten und selbst dort Unterschlupf finden, bis er wieder neue Kräfte gesammelt hatte.

Was war so schrecklich falsch gelaufen in seinem Leben? Warum liebte seine Mutter seinen Bruder Dietrich mehr als ihn? Er hatte sie fragen wollen, Trost und Schutz gesucht bei seiner Mutter. Er, der Markgraf, ein Mann, lange dem Jugendalter entwachsen. Doch sie weigerte sich, ihn zu empfangen. Zu tief saß ihr Gram über den dauernden Streit der Brüder um die Herrschaft in der Mark. Sie hielt immer noch zu Dietrich, wollte lieber ihn als Albrecht auf dem Markgrafenstuhl sehen. Sie hatte Intrigen gesponnen, seinen Vater überredet, sich von seinem ältesten Sohn abzuwenden. Nur mit Waffengewalt war es Albrecht gelungen, den Vater zur Abkehr von dem Entschluss, Dietrich als seinen Nachfolger zu bestimmen, zu bewegen. Stattdessen erhielt dieser die Grafschaft Weißenfels. Doch diese genügte ihm nicht, und immer wieder versuchte er die anderen Fürsten gegen den Älteren aufzuhetzen. Was blieb ihm, Albrecht, denn anderes übrig, als seinerseits gegen Dietrich zu ziehen?

Doch die schwere Niederlage vor Weißenfels vor noch nicht einmal einem Jahr hatte eigentlich sein Schicksal schon besiegelt. Die Fürsten stellten sich gegen ihn, seine Verbündeten fielen reihenweise von ihm ab und der Kaiser wollte ihn nicht empfangen und ihm nicht verzeihen. Heinrich hatte sogar mit dem Einzug des Lehens und der Entmachtung Albrechts gedroht. Und als wäre das noch nicht des Leides genug, war auch noch seine Frau Sophie gestorben, bevor er aus Italien zurückgekehrte. Er hatte keine Chance gehabt, sich mit ihr auszusöhnen. Und das war das Schlimmste, bescherte ihm jede Nacht aufs Neue Albträume, in denen seine Frau blutüberströmt mit einem Dolch in der Brust an seinem Bett erschien, ihr Kind in den Armen haltend.

 

Christina. Seine Tochter, sein einziges Kind. Ihre Zukunft hatte er geregelt. Die arrangierte Ehe mit Hartmann von Lobdeburg war eigentlich keine standesgemäße Verbindung. Christina hätte die Frau eines Fürsten werden können. Aber Albrecht wollte sich eines Getreuen in der Nähe seines Erzfeindes, dem Landgrafen von Thüringen, versichern. Die Lobdeburger waren eine weitverzweigte Sippe, die auch familiäre Beziehungen in den welfischen Landen hatte. Landgraf Hermann betrachtete sie mit Argwohn, da sie zunehmend an Land und Einfluss gewannen. Doch Christina war noch sehr jung, gerade einmal fünf Jahre alt. Und wer weiß, was die Zeit so alles bringen würde.

Der Tross näherte sich Altzella. Der Schrei eines Raben ließ Albrecht aus seinen Gedanken auffahren. Ihn durchfuhr ein Schauer und kurz erfasste ihn das Gefühl einer düsteren Vorahnung. Albrecht riss sich zusammen und richtete sich in den Steigbügeln auf, um bessere Sicht zum Kloster zu haben. Obwohl ihn die Mönche schon von weitem hätten sehen müssen, gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass man das Tor öffnen wollte.

„Schickt jemanden an die Pforte“, befahl der Markgraf dem Anführer seiner Waffenknechte, Henzo von Malsdorf. Mit einem herrischen Kopfnicken wies jener einen der Ritter an, zum Tor zu gehen. Der Mann schlug mit dem Knauf seines Schwertes gegen die hölzerne Tür. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich schließlich eine kleine Luke im oberen Teil des Tores. Ein alter Mönch mit einer äußerst sauertöpfischen Miene schaute vorsichtig heraus, als wolle er sich vergewissern, ob vielleicht der Zorn des Markgrafen diesen zu unüberlegten Handlungen hinreißen ließ. Es wäre nicht das erste Mal, dass Albrecht sich mit Gewalt gegen das Kloster wandte. Als nichts dergleichen passierte, fragte er nach dem Begehr der Ankömmlinge. Bevor der Ritter antworten konnte, knurrte Albrecht in barschem Ton: „Öffnet endlich das Tor. Ihr wagt es doch nicht etwa, uns den Einlass zu verwehren? Habt ihr vergessen, dass ihr das Kloster nur der markgräflichen Gnade zu verdanken habt?“

Der Bruder Schließer wurde etwas unsicher. Er musste das Kloster vor unliebsamen Eindringlingen schützen. Erst kürzlich hatte er den Abt zu einem Mitbruder in äußerst verwerflicher Rede über Albrecht sprechen hören. Dass dieser ein Dieb sei und nicht würdig, die Geschicke des Landes zu leiten. Doch beruhigte er sich damit, dass es nicht ihm oblag, darüber zu urteilen. Und so öffnete er das Tor und der Tross des Markgrafen ritt und rumpelte mit großem Getöse in den Wirtschaftshof des Klosters.

Albrecht winkte Falk von Schellenberg zu sich. „Geh und finde jemanden, der mich dem Abt meldet“, wies er den Knappen mit barschem Ton an. „Der Feigling scheint sich hier irgendwo verkrochen zu haben. Vielleicht will er sein Geld ja auch gar nicht zurück?“, fügte er boshaft hinzu. Falk beeilte sich, dem Befehl seines Herrn nachzukommen. Für ihn war es ein Wink des Schicksals gewesen, als ihn Albrecht zusammen mit zwei weiteren Knappen auswählte, den Tross zu begleiten. Er hoffte, dass es bald zu einer Schlacht kommen würde zwischen dem Markgrafen und seinem Bruder. Und dann würde er sich seine Rittersporen verdienen. Vielleicht konnte es ihm gelingen, später einmal zu einem Vertrauten des Fürsten aufzusteigen. Immerhin war er der Spross einer bedeutenden Ministerialenfamilie, die weitreichende familiäre Beziehungen ins benachbarte Böhmen unterhielt.

Abt Matthäus hatte die Ankunft der großen Truppe bereits vernommen und eilte nun selbst heraus, um zu sehen, was der Lärm bedeutete. Als er den Markgrafen sah, wurde er sichtlich bleich. Er holte tief Luft, um sich von seinem Schrecken zu erholen. Schon einmal war Albrecht mit Waffengewalt in das Kloster eingedrungen und hatte die Mönche beraubt. Was wollte er nun wieder, und wozu führte er die Wagen mit sich? Es gab nichts mehr zu holen in Altzella.

Als Albrecht Matthäus erspähte, winkte er ihn wortlos zu sich heran. Der Abt näherte sich zögernd.

„Wie Ihr seht, bin ich mit großem Gepäck unterwegs“ begann der Markgraf. „Sagt, dass Ihr mich empfangen werdet, mich, Euren Herrn und Markgrafen. Es soll zu Eurem Schaden nicht sein. Ich bin gekommen, um das Unrecht wieder gut zu machen, dass ich Eurem Kloster vor fünf Jahren zugefügt habe“, gab Albrecht zu. Mit einer ausschweifenden Geste wies er auf den schwer beladenen Wagen, der im Hof stand. „Ich bringe Euch den Schatz zurück, den ich mir als Pfand ausgeliehen habe, damit ich mich Eurer treuen Dienste versichern kann.“ Das war eine glatte Lüge, und dies wussten sowohl der Markgraf als auch der Abt. Doch wagte dieser nicht, Albrecht zu widersprechen. Auch war er viel zu verblüfft darüber, dass der Markgraf ihm das geraubte Geld zurückbringen wollte. Was mochte der Grund sein? Er hatte zwar gehört, dass Albrecht beim Kaiser in Ungnade gefallen war, doch kein Gerücht war an sein Ohr gedrungen, dass dieser Albrecht geächtet hätte. Er sah dem Markgrafen in die Augen. Trotz der Arroganz, mit der Albrecht seine Worte hervorstieß, bemerkte er auch eine gewisse Unsicherheit in dessen Blick, ein leichtes Flackern, dass ihm zeigte, dass Albrecht mit Gegenwehr rechnete.

Matthäus deutete eine Verbeugung an. Es fiel ihm schwer, Albrecht seine Ehrerbietung nahezubringen, nachdem dieser das Kloster vor Jahren überfallen und das Silbergeld, das sein Vater Otto auf den Altar des Klosters gelegt hatte, damit die Mönche für sein Seelenheil beteten, wieder herausforderte. Sollte es wirklich Gottes Wille sein, dass genau dieser Schatz nun wieder ins Kloster zurückkehrte?

„Ihr seid uns willkommen, Eurer Gnaden“, begrüßte er Albrecht. „Tretet ein, meine Mitbrüder werden sich um Eure Leute und das Gepäck kümmern.“ Er wies einen nahe bei ihm stehenden Mönch an, alles Nötige zu veranlassen, dass die Ankömmlinge versorgt würden.

Albrecht war überrascht, dass der Abt ihn und sein Gefolge, ohne weitere Bedingungen zu stellen, aufnahm. Um Matthäus milde zu stimmen, wählte er sorgsam seine nächsten Worte. „Mein lieber Abt, ich ersuche Euch um Herberge und bin als Freund hierhergekommen, um mich von den Mühen der letzten Monate zu erholen. Ich bin müde und enttäuscht. Wie Ihr wohl wisst, ist kürzlich mein Weib von mir gegangen. Nun bin ich gekommen, um ihr Grab aufzusuchen und hier in aller Stille zu beten. Auch muss ich mir im Klaren darüber werden, wen ich zu meinen Unterstützern und wen zu meinen Feinden rechnen kann.“ Er sah Matthäus lauernd an. „Wie steht es mit Euch, werdet Ihr mir und meinen Getreuen die nötige Ruhe gewähren?“

Der Abt schluckte schwer. Wie könnte er es abschlagen, dem Markgrafen Asyl zu gewähren. „Mein Haus steht Euch offen“, sagte er, wenn auch mit schwerem Herzen. „Seid mein Gast, solange es Euch beliebt.“

Was konnte er schon dagegen tun. Auch wäre es unklug, jetzt, wo das verloren geglaubte Geld wieder in seinen Mauern war, Albrecht zu verstimmen. Der Markgraf winkte erneut Falk zu sich, damit dieser ihm bei Absteigen von seinem Ross half, was ihm sichtlich schwerfiel. Zu stark drückten ihn die Lasten der letzten Monate nieder. Langsamen Schrittes folgte er dem Abt, der ihn ins Refektorium führte. Es war beinahe Abend und der Speisesaal der Mönche füllte sich allmählich. „Nehmt an unserem bescheidenen Mahl teil, wenn es Euch nicht zu gering erscheint. Aber es würde wohl zu lang dauern, etwas Anderes anrichten zu lassen.“

„Nein, ich begnüge mich mit dem, was Eurer Tisch mir bietet“, sagte Albrecht. Es war ihm egal, was er aß. Hauptsache, er konnte endlich zur Ruhe kommen. Der Abt wies ihm seinen eigenen Stuhl, der sich allerdings nicht wesentlich von denen der anderen Mönche unterschied.

Am nächsten Morgen fühlte sich Albrecht unwohl und er rief seinen Leibarzt Ambrosio. Der hatte ihm bereits mehrmals eine Arznei gegen das Unwohlsein verabreicht, welche allerdings seinen Zustand nicht wesentlich besserte. Albrecht hatte Pläne. Er wollte neue Truppen sammeln, sich rüsten und gegen seinen Bruder und seine Feinde, wie den Thüringischen Landgrafen, ziehen. Sollten sie doch versuchen, ihm die Macht im Lande streitig zu machen. Er würde den Kaiser schon noch davon überzeugen, dass er der rechte Mann sei, die Interessen der Krone hier zu wahren. Doch dazu musste er Kraft tanken, wieder auf die Beine kommen. Bereits seit einigen Tagen bereitete ihm sein Magen jetzt schon Probleme.

Der Arzt betrat ohne anzuklopfen den Raum. Unwillig blickte Albrecht über seine Schulter nach hinten. Er beobachtete gerade von seinem Fenster aus, wie der Abt sich mit Henzo von Malsdorf unterhielt, wobei beide heftig gestikulierten. Worüber mochten sie sprechen oder sich streiten? Verärgert darüber, dass er die Szene nicht weiterverfolgen konnte, herrschte er Ambrosio ohne weitere Vorrede an. „Habt Ihr nichts Stärkeres, was mir helfen könnte, ich brauche meine Kraft.“ Mit wenigen Schritten ging er in die Mitte des Raumes, den er mit seiner Anwesenheit vollkommen ausfüllte. „In einigen Tagen muss ich weiter. Ich will noch einmal versuchen, mit den Fürsten zu sprechen. Da kann ich es mir nicht leisten, nicht im Vollbesitz meiner Kräfte zu sein“, spie Albrecht hervor. Der Arzt verbeugte sich leicht aber nicht unterwürfig. Albrecht glaubte in seinem Blick eine gewisse Verschlagenheit wahrzunehmen, schob es aber dann auf seine allgemeine Vorsicht, mit der er zur Zeit jeden in seiner Umgebung betrachtete.

„Ich habe für Euer Durchlaucht ein Pülverchen bereitet, dass wird Eure Beschwerden lindern“, sagte der Arzt beflissen. Er griff in die Falten seines Überwurfes, der reich mit wundersamen Ornamenten bestickt war. Albrecht fiel die gute Qualität des Stoffes ins Auge. Dem Quacksalber schien es nicht schlecht zu gehen in seinen Diensten. Eine diesbezügliche Bemerkung hinunterschluckend, hob er nun auffordernd den Kopf und blickte dem Arzt forschend in die Augen. Dieser zuckte mit keiner Wimper, hielt dem scharfen Blick seines Herrn stand. Fahles, strähniges Haar fiel ihm bis auf die Schultern, halb verdeckt durch eine leinene Kappe, die ihm bis über die Ohren reichte. Ein dünnes Lächeln spielte um seine schmalen, blutleeren Lippen. Der Markgraf schüttelte sich leicht und streckte ihm die Hand entgegen, um das Mittel in Empfang zu nehmen. „Ich werde es Euch selbst anrühren“, sagte Meister Ambrosio schnell. Er trat zu dem kleinen Tischchen, das neben dem Bett des Markgrafen stand. Dort waren ein Krug mit Wasser und ein Becher. Der Arzt schüttete eine reichliche Menge des Pulvers in den Becher und goss etwas Wasser hinzu. Die Mischung schwenkte er solange umeinander, bis sich die weißen Partikelchen des Pulvers vollständig aufgelöst hatten. Dann wandte er sich zu Albrecht herum und gab diesem den Trank. „Trinkt, mein Herr, das wird Euch helfen.“

Albrecht nahm den Becher und leerte ihn auf einen Zug. Seltsam, die Flüssigkeit schmeckte fast nach nichts, lediglich ein leicht säuerlicher Geschmack verblieb auf seiner Zunge. Da sollte ihm einer sagen, dass jede Medizin bitter sei.

Mit einer eher fahrigen als gebieterischen Handbewegung tat er dem Arzt kund, dass er dessen Dienste im Moment nicht mehr brauchte. Sich rückwärts zu Tür bewegend und den Blick leicht gesenkt haltend, zog sich Ambrosio, fast schleichend wie eine Katze, zurück. Albrecht wandte sich wieder dem Fenster zu. Er hatte den Arzt schon vergessen, bevor dieser überhaupt den Raum verließ. Der Abt und Henzo waren leider verschwunden. Langsam trat der Markgraf vom Fenster zurück und setzte sich auf den Rand des Bettes. Im Raum befanden sich außer dem einfachen Holzbett, dass weder einen Betthimmel noch Vorhänge besaß, ein kleiner Tisch und eine Truhe aus vom Alter dunkel gewordenem Fichtenholz sowie ein eher wackliger Stuhl, dem Albrecht nicht recht zutraute, dass er sein Gewicht tragen könne.

Langsam ließ der Markgraf die letzten Tage nochmals an sich vorüberziehen. Hier konnte er sich nicht verstecken. Der Abt schien ihm nicht wohlgesonnen. Doch um dieses Problem konnte er sich später kümmern. Zunächst galt es, seine Macht in Meißen wieder zu festigen. Danach würde er den Bischof darum bitten, in Altzelle einem anderen Mann der Kirche das Amt des Abtes zu übertragen.

Mit zwei großen Schritten eilte Albrecht zur Tür, öffnete sie trotz seiner Schwäche mit einem großen Schwung und rief nach seinem Leibdiener Hugold.

 

Dieser schien in unmittelbarer Nähe gewartet zu haben. Albrecht erspähte ihn im Halbdunkel. Dass er ein wenig erschrocken war, da der Diener so unvermittelt vor ihm stand, ließ er sich nicht anmerken. „Gehe zum Abt und teile diesem mit, dass ich noch heute Morgen aufbrechen werde. Ich brauche Proviant für mehrere Tage. Richte ihm aus, er soll alles vorbereiten. Und er soll sich sputen, ich habe keine Zeit zu verlieren. Danach komme wieder und packe meine Truhe. Und schicke mir Henzo!“, rief er dem davoneilenden Diener nach.

Albrecht hatte einen Entschluss gefasst. Er wollte unvermittelt nach Freiberg aufbrechen. In der dortigen Burg des Stadtvogtes konnte er in Ruhe überlegen, wie er weiter vorgehen sollte. Er wollte einen Brief an seinen Verbündeten, Ottokar Premysl schicken. Die gerade erst verstorbene Markgräfin Sophie war eine Nichte Ottokars und seine Schwester Adela die Gemahlin des Böhmen. Auch war dieser gar nicht gut auf den Kaiser zu sprechen, da Heinrich ihm die böhmische Herzogswürde im letzten Jahr wieder entzogen hatte. Zu offen bekundete Ottokar seine Sympathie für die Welfen. Lediglich das Markgrafentum Mähren war ihm gelassen worden. Ottokar schuldete ihm also Loyalität. Albrecht wollte sich auf die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen berufen, auch wenn er diesen böhmischen Schwager auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Kurze Zeit später klopfte es an die Tür und ohne die Antwort des Markgrafen abzuwarten, kam Hugold herein, um die Sachen Albrechts zusammenzupacken. Albrecht hatte immer noch Magenbeschwerden, das Mittel des Arztes schien doch nicht recht gewirkt zu haben. „Hugold, gehe noch einmal zu Meister Ambrosius und bitte ihn um einen Vorrat des Pulvers, dass er mir verabreicht hat. Ich werde es brauchen, wenn wir nach Freiberg reisen.“

Der Diener nickte und fuhr schweigend fort, die Sachen seines Herrn in die Truhe zu legen. Als er fertig war, wies Albrecht ihn an, das Gepäck auf einem Wagen zu verstauen. Es klopfte und auf Albrechts Aufforderung hin betrat der Abt die Kammer.

„Wo werdet Ihr Euch hinbegeben, Euer Durchlaucht? Gibt es irgendetwas, womit ich Euch dienen kann?“, fragte er. Albrecht hielt das für pure Scheinheiligkeit, äußerte sich allerdings nicht dahingehend.

„Ich reise nach Freiberg, um dort einige Geschäfte zu erledigen. Ich hoffe, ich erhalte von Euch bald gute Nachricht über das Grabgelege meiner Frau. Ich möchte, dass die besten Steinmetze der Bauhütten für sie eine Grabplatte herstellen, die ihre Größe und ihre Schönheit wieder auferstehen lassen. Mehr kann ich nicht für sie tun. Und jetzt, wo der Schatz sich wieder in Euren Händen befindet, sollte das nötige Geld wohl vorhanden sein.“

„Ich werde mich darum kümmern, Euer Durchlaucht“, antwortete Matthäus, sichtlich verstimmt darüber, dass Albrecht die Kosten für das Grab dem Kloster auferlegte. Und so konnte er sich den Spott in seinen nächsten Worten nicht ganz verkneifen. „Die Markgräfin war eine sehr fromme Frau. Sie hat es wahrlich verdient, dass man ihr ein Andenken setzt.“ Der Abt verbeugte sich vor dem Markgrafen, der die Ironie in der Antwort des Abtes gar nicht zu bemerken schien und verließ langsam den Raum.

Albrecht wandte sich zur Tür. Da fiel ihm wieder ein, dass er den Abt eigentlich fragen wollte, was dieser mit seinem Ritter zu besprechen gehabt hatte. Nun gut, musste er eben Henzo selbst fragen.

Der Morgen war schon weit fortgeschritten, die Sonne stand bereits hoch am Himmel und versprach wieder einen heißen Tag. Die Ritter und Waffenknechte stöhnten unter der Last ihrer Kettenhemden und fürchteten den weiten Ritt in der Mittagsglut. Im Verlaufe des Vormittages verschlechterte sich der Zustand Albrechts. Seine Magenbeschwerden wurden schlimmer und es musste immer wieder eine Rast eingelegt werden. Mehrmals ließ er sich von Hugold einen Trank reichen, der mit dem Pulver des Arztes versetzt war. Doch wollte es ihm keine Linderung verschaffen. Im Gegenteil, irgendwie schien sich das Brennen in seinen Eingeweiden zu verschlimmern. Erst spät am Abend erreichte der Trupp die Burg von Freiberg. Der Markgraf begab sich sofort in die für ihn vorbereiteten Gemächer, ohne noch ein Wort mit einem seiner Ritter gesprochen zu haben. Nur Falk von Schellenberg begleitete ihn, um die Dienste eines Knappen zu verrichten. Falk half ihm aus dem Kettenpanzer und der Kotte, wusch ihm Gesicht und Hände mit dafür bereitgelegten Tüchern und hüllte ihn in ein weiches wollenes Gewand. Ächzend sank der Graf auf sein Lager, das reich mit weichen Kissen bedeckt war.

„Ich danke dir, Junge. Ich habe wahrlich nicht sehr viele Menschen hier, denen ich vertrauen kann und die sich um mein Wohl scheren“, sagte Albrecht in vertraulichem Ton. Eine fahle Blässe überzog sein Gesicht, Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und ein eigentümlicher Geruch ging von seinem Körper aus.

Falk war Albrecht bereits in Meißen aufgefallen. Oft sah er, dass dieser sich bei den Übungen unter Tizo sehr geschickt anstellte. Nicht selten beobachtete er von seinem Fenster im Söller wehmütig die jungen Kämpen, wenn sie mit den Waffen übten. Das Schicksal verhinderte, dass er Söhne bekam. Die Ehe mit Sophie hatte nicht zum Besten gestanden und nur selten suchte er in den neun Jahren ihrer Ehe ihr Bett auf.

Doch nun war es zu spät. Vielleicht würde er sich, nach dem Sieg gegen seinen Bruder, ein neues Eheweib suchen.

„Es ist gut, du kannst gehen“, sagte er zu Falk. „Aber halte dich in der Nähe, falls ich in der Nacht etwas brauche. Ich traue meinem Diener nicht. Den ganzen Tag schon schlich er um mich herum und hat mich lauernd beobachtet.“

„Wie Ihr befehlt, Herr“, sagte Falk bescheiden und zog sich mit einer Verbeugung zurück. Er konnte sein Glück kaum fassen, dass der Markgraf ihn seinem Leibdiener vorzog. Vielleicht konnte er für immer in der Umgebung Albrechts bleiben und würde von diesem selbst sogar zum Ritter geschlagen.

Gegen zwei Uhr morgens verschlechterte sich der Zustand Albrechts derart, dass man sein Stöhnen auch auf dem Gang vor der Kammer hören konnte. Er befahl Falk, ihm noch mal einen Trunk zu bringen. Gegen morgen wies er ihn an, alles für seinen sofortigen Aufbruch nach Meißen vorzubereiten. Eine böse Vorahnung beschlich Albrecht. Hatte man ihm gar Gift verabreicht? Oder litt er in der Tat unter einer Krankheit? Vielleicht hatte er nur etwas Verdorbenes gegessen oder sich eine Erkältung zugezogen? An diese Möglichkeit klammerte sich Albrecht mit aller Inbrunst. Er wollte doch lieber nach Meißen zurück, um seine Geschicke in die richtigen Bahnen lenken zu können. Jetzt durfte er keine Schwäche zeigen. Von Meißen aus wollte er ein Heer sammeln und gegen seinen Bruder und dessen Schwiegervater ziehen. Er würde Weißenfels diesmal einnehmen und dem Erdboden gleichmachen. Und sollten die Feinde ihn zu arg bedrängen, bestand sein Plan darin, auch in Meißen verbrannte Erde zurücklassen. Was bedeuteten schon ein paar Häuser oder Felder. Hier ging es um mehr, galt es, die Macht zu erhalten.

„Hilf mir auf, ich schaffe es nicht allein.“ Falk versuchte, Albrecht auf das Pferd zu hieven, aber der Markgraf war einfach zu schwach und konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.

„Vielleicht wäre es für Euer Durchlaucht bequemer, in einer Kutsche zu reisen?“, fragte er vorsichtig. „Bestimmt geht es Euch morgen besser und ihr könnt wieder reiten.“

Albrecht nickte nur, zu benommen, um den Knappen zu rügen, dass dieser es wagte, ihm Ratschläge zu erteilen. Falk trug ihn zu einer bereitgestellten Kutsche und setzte seinen Herrn hinein. Doch das Rütteln und Rumpeln der Räder auf dem unebenen Weg waren unerträglich. Furchtbare Schmerzen durchfuhren Albrechts Leib. Die Diener setzten ihn in einen Lehnstuhl und trugen ihn eine Strecke. In Krumhermersdorf mussten sie die Reise unterbrechen. Die Männer brachten den Markgrafen in die Hütte eines Bauern. Die verschreckten Leute standen hinten an der Wand und waren sprachlos darüber, dass ihr Landesherr hier in seinem Elend lag. Erging es den Reichen und Mächtigen also auch nicht besser als den Armen. Fast frohlockten sie heimlich, denn Albrecht hatte ihnen allen mit seinem Bruderkrieg viel Leid, Hunger und Elend gebracht. Immer wieder waren Truppen durch ihr Land gezogen, verwüsteten die Felder, vergewaltigten die Frauen und nahmen ihnen oft das letzte Stück Vieh aus dem Stall und das kleinste Stück Brot von ihrem Mund.