Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online

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Konstruktive Rhetorik in zwei Schritten

Zwei Schritte führen zur konstruktiven Rhetorik:

1. Erfolgreiches Redeverhalten im Gespräch entdecken: Was klappt mühelos? Was erleichtert mir das Reden? Was fördert die Verständigung?

2. Vergleich mit dem Redeverhalten im Vortrag: Welche Vorgaben muss ich einhalten? Was kann ich aus dem Gespräch übernehmen? Welche dialogfördernden Mittel kann ich einsetzen?

Zwar ist es notwendig, die Gesetzmäßigkeiten der öffentlichen Rede der eigenen Kultur zu kennen, um zu entscheiden, welche beachtet werden müssen und welche ignoriert werden können. Aber zentral bleibt die Vorstellung vom Dialog, vom Miteinander im Gespräch. Sie führt zu den Mitteln konstruktiver Rhetorik. Sie bestehen zum Teil in einer Auswahl klassischer rhetorischer Werkzeuge, zum Teil in Methoden, die sich im Gespräch bewährt haben.

Bloß nicht von den Besten lernen!

Wie macht es denn Michelle Obama? Wie hat es Willy Brandt gemacht, wie Margaret Thatcher? – Zu einem Standard-Rhetorik-Training gehören exzellente Beispiele, die die Teilnehmer mit Bewunderung erfüllen. Man sieht Videos von erfolgreichen Politikern, Unternehmern, Schauspielern (und meistens von Männern), bei deren Darbietung scheinbar alles stimmt. Und dann wird man aufgefordert, sich dies und jenes abzugucken, „von den Besten zu lernen.“ Aber diese Besten haben in der Regel einen ganzen Stab von Mitarbeitenden, die ihnen zu ihrem Auftritt verholfen haben – PR-Berater, Redenschreiberinnen, Maskenbildner, Technikerinnen – und die Reden, mit denen sie berühmt wurden, stammen von der Spitze ihrer Laufbahn. Ja, es ist richtig, von anderen zu lernen. Aber die wertvollsten Vorbilder sind Menschen, denen das Reden schwerfiel. Es sind Menschen, von denen man weiß, dass sie den Übergang vom persönlichen Gespräch zur öffentlichen Rede als Riesenhürde empfanden und den Schritt vor das Publikum dennoch gemeistert haben. Das Faszinierende ist nicht die perfekte Rede am Schluss eines erfolgreichen Politikerlebens, sondern der Weg, der bei den ersten unsicheren Schritten einer Rednerin anfängt und dahin führt, dass sie die scheinbar undankbare, lästige Aufgabe meistert.

Marie Curie freundet sich mit dem Publikum an

Marie Curie ist ein solches Beispiel. Noch als weltberühmte Physikerin und Chemikerin empfand sie großes Lampenfieber, auch wenn sie nur vor zwei Dutzend Studenten ihre Vorlesung halten sollte. Sie fühlte sich im privaten Gespräch wohl, wenn sie mit ihrem Gatten und Kollegen Pierre über ihre Themen sprach, die wohl anspruchsvoller waren als die Inhalte ihrer Vorlesung. Aber die Situation hatte sich verändert. Sie saß nicht mehr im Labor, sondern stand im Hörsaal; es war nicht mehr ein Austausch von Ideen, sondern eine Präsentation, die eine Stunde lang nicht unterbrochen wurde.

Eine Veränderung erfuhr sie erst mit 54 Jahren, als sie längst die berühmteste Wissenschaftlerin der Welt war – und noch immer zurückhaltend und unsicher, wenn sie vor anderen Menschen auftreten musste. Zur Schüchternheit kam noch, dass ihr als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt viele Kollegen feindlich gesinnt waren. 1921 reiste sie in die USA, um für ihre Forschung zu werben. Man hatte dort für sie Geld gesammelt, um ihre Arbeit zu unterstützen. Ziel war, dass sie Radium erstehen konnte – ein Gramm des Elements, das sie und Pierre Curie 1898 entdeckt hatten.

Marie Curie wurde in den USA stürmisch begrüßt und während der ganzen Zeit von einer Welle der Sympathie getragen. Und als sie von ihrer achtwöchigen Reise zurückkam, hatte sich ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit geändert. Sie nahm von da an mehr öffentliche Aufgaben wahr und bewies – zumindest in der Darstellung der Autorin Shelley Emling – ein weniger problematisches Verhältnis zu öffentlichen Auftritten. Laut Emlings biografischer Erzählung hatte sie in der Zeit erfahren, dass in ihrem Publikum nicht nur Skeptiker und Gegner saßen, sondern Menschen, die bereit waren, ihre Arbeit zu unterstützen.39

Zum einen hat dies einen sehr konkreten Hintergrund: In Europa war sie vielen Anfeindungen ausgesetzt, von denen in den USA weniger zu spüren war. Zum anderen lässt es auch ahnen, dass sich ihre Beziehung zu ihrem Publikum veränderte. Sie konzentrierte sich – so würde ich es interpretieren – weniger auf die mögliche Ablehnung, die ihr widerfahren konnte, und mehr auf das Gemeinsame, die Sympathie, die in jedem Auditorium vorhanden war. Eine Rede entsteht in der Zusammenarbeit von Rednerin und Publikum. Je zuversichtlicher man sich das sagt, desto leichter wird man es haben.

Verschwindet jetzt das Lampenfieber?

Dieses Buch zeigt, wie man mit den Bedingungen des Redens fertig wird, obwohl die Aufgabe nicht mehr ein ungezwungenes Gespräch, sondern eine Präsenz- oder Online-Rede ist. Es zeigt, dass dies leichter fällt, wenn man die Aufgabe als Teamwork, als Dialog mit dem Publikum auffasst. Und dies gelingt auch dann, wenn man die Menschen nicht leibhaftig vor sich hat, sondern nur über das Medium anspricht. Denn es ist die dialogische Einstellung, die einen dazu führt, auch über die Kamera und das Mikrofon Kontakt aufzunehmen und Kontakt zu halten.

Dass dies zu ganz anderen Resultaten führt als zu einer brillanten Darbietung in der Art eines amerikanischen Politikers, sollte damit klar sein. Es geht nicht darum, sich selbst in Pose zu setzen. Es geht nicht darum, sich zu „verkaufen“. Es geht darum, dem Publikum zu zeigen, dass man es ernst nimmt, und es dadurch dazu zu motivieren, mitzudenken und mitzugehen. Aber verschwindet dann auch das Lampenfieber?

Lampenfieber und Redeangst bestimmen viele Berichte über das öffentliche Reden. Fast alle berühmten Schauspielerinnen, Musiker, Akrobatinnen, Clowns – die meisten Menschen, die auf irgendeine Weise vor Publikum aufgetreten sind, können vom Lampenfieber erzählen. Das Gleiche gilt für Rednerinnen und Redner in unterschiedlichsten Situationen. Unter dem Titel „Menschen, denen das Reden schwerfiel“ habe ich dazu Geschichten gesammelt, in denen Berühmtheiten wie Thomas Jefferson, Greta Thunberg, Konrad Lorenz vorkommen.40 Sie illustrieren eine alte Erkenntnis: Sogar Menschen, die die Angst zu einem gewissen Grad überwunden haben, beteuern, dass Respekt für die Aufgabe immer dazu gehört und dass es normal ist, wenn sich dies in Nervosität ausdrückt. Sie zeigen aber auch, dass man damit fertig wird, indem man seine Rolle relativiert.

In all den Berichten über Lampenfieber wird wenig beachtet, dass wir in den allermeisten Redesituationen davon frei sind: beim Reden im Gespräch von Gleich zu Gleich. „Im Gespräch mit ihm fühle ich mich wohl“, heißt es oft. Und in den meisten Fällen denkt man nicht einmal darüber nach. Klar, denn im Alltagsgespräch braucht man keine Sorge zu haben, ob das Gesagte „gut“ oder „korrekt“ formuliert ist. Die anderen werden nicht als Publikum verstanden, sondern als Gesprächspartner. Sie helfen bei Bedarf auch aus, vervollständigen einen Satz oder Gedanken und nehmen dadurch der Situation den Druck, den man allenfalls empfinden könnte. Es ist ein dialogisches Sprechen, ein Miteinander.

Vom Nutzen des Lampenfiebers

Redeangst hat zwei Seiten. Zum einen ist es ein Hinfiebern auf die Konfrontation mit dem Publikum, also der Zustand vor der Rede. Zum anderen gibt es aber auch die Angst während der Rede. Die körperlichen Symptome – nervöses Zittern, kalte Hände, unkontrollierter Atem usw. – können weiter anhalten. In der Regel verschwinden sie aber in den ersten Minuten oder werden zumindest nicht mehr als bedrohlich empfunden. Die Furcht vor der Reaktion des Publikums, die Angst vor dem Versagen verschwindet nach einiger Zeit größtenteils.

Dass es ein „Fieber“ ist, wie die deutsche Sprache suggeriert41, lässt es als akute Erkrankung, als Belastung auffassen – wie es ein alter psychologischer Aufsatz drastisch schildert:

„Der Körper verspürt kalte Schauder in der Kreuzgegend. Er fühlt sich an, als ob ein Tausendfüßler sein Haar durchkämmte. Kalter Schweiß bricht aus und es fühlt sich an, als ob jemand in der Kniegegend die Muskeln durchtrennt hätte. Die Person würde am liebsten die Bühne so schnell wie möglich verlassen.“42

Claudia Spahn, die eine große Menge an Lampenfieber-Literatur verarbeitet hat, unterscheidet vier Gruppen von Merkmalen des Lampenfiebers:

»körperlich: schneller und flacher Atem, trockener Mund, kalte und schweißige Hände usw.

»emotional: Angst und Panik, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Scham usw.

»kognitiv: Konzentrationsstörungen, angstvolle Beschäftigung mit dem Publikum, Blackout usw.

»das Verhalten betreffend: unkontrollierte Körperhaltungen und -bewegungen, stereotype Verhaltensweisen, sozialer Rückzug usw.43

Solche Beobachtungen haben dazu geführt, dass der Zustand des Redners seit jeher mit demjenigen eines Menschen verglichen wird, der mit einer Gefahr konfrontiert ist. Er spannt seine Muskeln an und hält nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau – wie der Steinzeitmensch in der Begegnung mit dem Säbelzahntiger.44

Der englische Terminus stage fright – also „Bühnen-Furcht“ – unterstreicht deutlich den Zusammenhang des Lampenfiebers mit der Distanz zum Publikum.45 Die Bühne trennt Redner und Publikum deutlich voneinander und betont so die Erwartungen an ein perfektes Auftreten, an einen Monolog. Dies lässt aber auch erkennen: Wer in der Lage ist, frühzeitig dialogische Elemente in den Vortrag einzubauen, hat ein wirksames Mittel gegen die Redeangst in der Hand.

 

Mark Twain berichtet, wie er den Monologcharakter bei seinem ersten öffentlichen Auftritt milderte, indem er eine Handvoll verlässlicher Freunde bat, sich im Publikum zu verteilen und auf lustige Stellen des Vortrags vernehmbar zu reagieren, so dass das Publikum einstimmte. Ein dialogisches Element war damit eingebaut, das den Redner mit Rückmeldungen sicherer machte.46

Dass Lampenfieber entstehen kann, liegt im Übrigen an einer banalen Tatsache des öffentlichen Redens: es ist vorbereitetes – meist auch explizit angekündigtes – Reden. Angst wird entwickelt, weil die Zeit vorhanden ist, Angst aufzubauen. Dies weist aber auch auf einen erleichternden Aspekt hin: Wer vor anderen reden soll, hat Zeit, um sich vorbereiten.

Lampenfieber nutzen

In der Praxis geht es nicht darum, das Lampenfieber zu verlieren, sondern es zu nutzen, als Zeichen dafür, dass das Reden vor und mit dem Publikum eine dankbare Aufgabe und nicht eine lästige Pflicht wird. Claudia Spahn spricht denn auch nicht vom Bekämpfen, sondern vom „Optimieren“ des Lampenfiebers.47

Ein wichtiges Ziel, das sich mit unserem dialogischen Ansatz trifft, ist die Gestaltung einer positiven Beziehung zum Publikum. Für die Redepraxis bedeutet das nicht nur: „Ich habe den Zuhörern etwas zu geben“, sondern auch: „Ich freue mich auf ihre Resonanz.“

3Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum

Öffentliches Reden ist Reden mit Abstand. Deshalb ist das Erste, was uns beschäftigen muss, der Umgang mit dem Raum. Die Rede fängt nicht erst mit den Begrüßungsworten an, sondern mit dem Wahrnehmen des Raums und der Menschen, die sich darin befinden. Noch sitzt du in der ersten Reihe, und einer der Organisatoren spricht seine Begrüßungsworte. Dann übergibt er das Wort an dich, die Rednerin, den Redner. Applaus setzt ein, und du stehst auf. Dein Weg zur Bühnentreppe führt an den Knien der anderen Ehrengäste vorbei. Der Scheinwerfer trifft dich zum ersten Mal. Als du das Rednerpult erreicht hast, ebbt der Applaus ab. Stille. Einige hundert Augenpaare sind auf dich gerichtet.

Noch hast du kein Wort gesagt, aber dein Vortrag hat schon längst begonnen. Du hast die Publikumsreihen überblickt und die Distanzen wahrgenommen. Du hast abgeschätzt, wie laut du reden und in welche Richtungen du blicken musst. Du hast den Raum wahrgenommen.

Zwei Perspektiven

Denn die erste Aufgabe besteht nicht darin, zu sprechen, sondern den Raum wahrzunehmen, den gemeinsamen Raum von Rednerin und Publikum. Den ersten Schritt dazu hast du beim Betreten des Saals getan. Du hast den Raum gesehen, den du mit dem Publikum teilen wirst, und du hast dich darin aus der Besucherposition heraus orientiert. Zwei Perspektiven also: Rednerin und Publikum. Jetzt, wo du auf der Bühne stehst, nimmst du den Raum nochmals in seiner Tiefe, Breite und Höhe wahr. Und zum ersten Mal siehst du die Menschen, die dir zuhören werden, als Gruppe. Du bist in diesem Raum eine Zeitlang die wichtigste Person. Aber ohne die anderen, die da versammelt sind, ist dein Vortrag bedeutungslos. Das muss dir bewusst sein, und diese Menschen und die gemeinsamen räumlichen Verhältnisse musst du wahrnehmen.

Drei Arten, anzufangen

Es lohnt sich, im Detail zu verfolgen, was Menschen in diesem Moment tun – in den Sekunden, die ihrem Vortrag vorausgehen, da, wo die ganze Umgebung noch neu für sie ist und sie zum ersten Mal den Zuhörerinnen und Zuhörern gegenüberstehen.

Die BWL-Professorin macht es so: Sie steigt beschwingt die paar Stufen hoch, die vom Saal in die Mitte der Bühne führen, geht zum Pult und holt sich die Fernbedienung, blickt – immer noch mit dem Rücken zum Publikum – zur Leinwand mit dem Logo der Veranstalter, sagt kurz ins Publikum: „So!“, dreht sich nochmals um, um ihre erste Folie zu kontrollieren, und dann wieder zum Publikum: „Ich begrüße Sie ganz herzlich, es ist nicht eine Studie, die wir gemacht haben, einmal haben wir mehrere gemacht …“ Dabei tut sie mehrere kleine Schritte, erst dann steht sie fest auf beiden Beinen und sagt, dass sie die entscheidende Studie hier zum ersten Mal präsentieren wird.48

Der Gründer und CEO eines Technologie-Multis spaziert in brauner Lederjacke und schwarzer Jeans auf die Bühne, dreht sich in der Mitte zum Zuschauerraum, nimmt dann ein paar Schritte rückwärts, schaut nach links und nach rechts. Noch beim letzten Schritt fängt er zu reden an.49

Beide werden sorgfältig geplante und informative Vorträge halten. Beide haben sich die ersten Worte vorher überlegt. Es ist ihnen klar, wie sie in den Inhalt ihrer Rede einführen. Aber sie alle fangen mit Reden an, bevor sie richtig angekommen sind. Das tun zwar viele; sie reden schon, während sie noch den letzten Schritt tun, also ohne überhaupt auf beiden Beinen dazustehen. Auf diese Weise ist es schwer, das Publikum wahrzunehmen und Kontakt zu ihm zu finden.

Andere reden nicht sogleich, sondern sortieren ihr Manuskript oder tippen auf dem Notebook herum, das vor ihnen liegt. Wieder andere klopfen auf das Mikrofon usw. All diese Handlungen sind zwar möglich, aber sie bringen Redner und Publikum noch nicht zusammen. Der Nachteil: Sie befassen sich nur mit der eigenen Person.

Direkt loszulegen, hilft zwar, den Stress nicht weiter wachsen zu lassen. Das Manuskript zu büscheln oder sich in der Elektronik zu orientieren, hat zwar den Sinn, Ordnung zu schaffen. Wer auf das Mikrofon klopft, weiß zwar, dass die Tonanlage funktioniert. Aber die Leute im Auditorium erleben dabei nur eines: einen Menschen, der sich mit sich selbst beschäftigt. Und der sich noch keine Zeit genommen hat, mit ihnen in Kontakt zu treten.

Wie man es auch machen kann, demonstriert Sebastian P. Schild. Er wird gleich vor 60 SeminarteilnehmerInnen reden. Bisher saß er mit dem Rücken zum Publikum da. Jetzt ist er dran, und er rollt seinen Rollstuhl vor die vorderste Reihe, wendet sich den Leuten zu und stoppt. Da sitzt er nun, aufrecht, mit hängenden Armen. Sieben Sekunden lang sagt er nichts, sondern schaut in den Raum. Er sieht nach rechts, sieht nach links. Und erst dann fängt er an.

Es wird ein fulminanter Vortrag mit viel Interaktion, der die Menschen begeistert. Aber der Anfang war ganz einfach besonnen und konzentriert – konzentriert auf das Publikum und auf den gemeinsamen Raum.50

Den Raum wahrnehmen

Wer die Rednerposition eingenommen hat, soll sich die Zeit nehmen, den Raum und die Menschen darin wahrzunehmen. Vielleicht müssen zunächst technische Probleme gelöst werden – vom Kontrollieren der Fernbedienung bis zum Schluck aus dem Wasserglas. Aber dennoch braucht es zusätzlich eine Pause von wenigstens einigen Sekunden, die man dem Raum und dem Publikum widmet. Dazu gehört Blickkontakt mit einer oder zwei Personen, die vielleicht sogar lächeln. Und dazu gehört das Bewusstsein: Dieser ganze Raum steht mir zur Verfügung.

Die Wichtigkeit des Raums ergibt sich schon aus der Definition der Rhetorik als Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit: Die Rednerin begegnet den Zuhörenden an einem Ort, der größer ist, mit weiteren Distanzen als beim alltäglichen Gespräch. Dessen muss sie sich bewusst sein, auf diese Voraussetzungen muss sie eingehen.

Den Raum gestalten

Den Raum und die Menschen, die darin versammelt sind, wahrzunehmen erfordert Zeit. Die rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem Raum schafft nicht nur einen besseren Kontakt. Sie hilft auch auf einer rein technischen Ebene. Man wird sich dem Raum ja in der Redeweise anpassen müssen: in Stil, Lautstärke, Gestik und anderen Äußerungsformen. Zudem stellt jedes Rednerpult, jede Projektionsanlage eigene Anforderungen an das technische Geschick der Vortragenden.

Platz schaffen, Plätze zuweisen

Zur ersten Auseinandersetzung mit dem Raum gehört auch Orientierung. So muss abgeklärt werden, welcher Platz als Rednerposition vorgesehen ist und ob es dazu Alternativen gibt. Auch die Technik, die genutzt wird, und der Ort des dienstbaren Geistes, der sie eventuell bedient, müssen gefunden und ausprobiert werden.

Wer kann, begibt sich deshalb schon vor Beginn der Veranstaltung in den Saal, um diese Fragen zu klären. In vielen Fällen lässt sich da noch die eine oder andere Rahmenbedingung verändern: in kleineren Seminaren die Sitzordnung, in größeren Sälen die Position des Rednerpults. Wesentlich ist immer: Wer vor dem Publikum steht, hat im Prinzip viel mehr Raum zur Verfügung als diejenigen, die im Publikum sitzen. Und er ist für die gemeinsame Nutzung des Raums verantwortlich. Dies gilt für den Instruktor, der seinem Team die Benutzung einer neuen Maschine erklärt, ebenso wie für die Pressechefin, die eine Gruppe von Besuchern durch den Betrieb führt, oder die Referentin, der man einen Sitzungsraum zur Verfügung gestellt hat. Es gilt aber auch für die Lehrerin, die die Schulklasse zur selbständigen Arbeit anleitet, und für den Studenten, der die Resultate einer Gruppenarbeit präsentiert. Sie alle sind frei in der Wahl der Distanz zu den Angesprochenen und in ihrer Raumnutzung, z.B. durch Schritte und Körperdrehungen. In vielen Fällen ist es sogar möglich, mitten durch das Publikum hindurchzugehen. Dass z.B. ein Lehrer die Bankreihen abschreitet, ist eine traditionsreiche Geste, dass ein Referent vor den Zuhörenden auf und abgeht, wird ebenfalls akzeptiert. Alle diese Dinge muss man nicht tun (und einige können auch kontraproduktiv sein); aber zu wissen, dass man es tun könnte, ist ein guter Ausgangspunkt. Es betont die Freiheit der Gestaltung.

So näherst du dich dem Raum an

Vor dem Beginn der Veranstaltung:

»Suche den Raum auf und mache dich mit seiner technischen Einrichtung vertraut.

»Setze dich auf einen Zuschauerplatz, um ein Gefühl für den Eindruck zu bekommen, den man von dort aus vom Redner und dessen Umgebung hat.

»Wähle (wenn möglich) deinen späteren Standort. Gibt es mehrere Möglichkeiten? Solltest du deine Position während der Rede wechseln?

Sogar wenn keine Gelegenheit besteht, den Raum in Ruhe zu erkunden, kann man ein paar Sekunden dafür einsetzen. Man wird zum Beispiel unverhofft zu einer Sitzung gerufen und steht plötzlich vor den versammelten Abteilungsleitern – gefühlt zur falschen Zeit und ohne genügend Vorbereitung.

Hinzu kommt ein mentaler Effekt: Wer sich auf den Raum einlässt, stimmt sich auf die Öffentlichkeit ein, die hergestellt wird, auf die Weitung des Geltungsraums, die das Reden erst zum rhetorischen Akt macht. Ohne ein Bewusstsein für diese Veränderung wird, was man sagt und wie man es sagt, nicht zusammenpassen. Es ist ganz natürlich, dass dieses Bewusstsein für den Raum auch den körpersprachlichen Ausdruck beeinflusst.

Raumnutzung durch Planung des Ablaufs

»Wo sind die Geräte, die ich einsetzen werde?

»Wer hilft mir bei den technischen Abläufen? Wo befindet sich diese Person?

»Wo werde ich stehen? Kann ich meine Position verändern, um die Gliederung des Vortrags zu unterstreichen?