Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus

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4. Besamer auf der Alm

Schwestern, Brüder, Freundinnen und Freunde kamen mit ihren Angetrauten. Als erstes bekamen sie zur Einstimmung ein nachgekochtes, aber typisches Regionalgericht aus der Urlaubsregion vorgesetzt. Danach ging es in den Vorführraum, wo ein Projektor und eine Leinwand aufgebaut waren. Andor schaltete den Projektor an, legte den ersten Diakasten ein, jeder Gast wurde mit einem Getränk nach Wahl versehen, suchte sich ein Plätzchen und dann schaltete der Vorführer das Licht aus. Im Vorführraum war es schummrig wie im Kino. Auf der Leinwand erschien ein Fotobild des Schulhauses mit einem Baum davor. „Das ist das alte Schulhaus. Da haben wir gewohnt. War ganz praktisch.“, erklärte Silke.

„Und so sah‘s am Strand aus.“ – „Wir beim Aufstieg.“ – „Bootsfahrt nach ‚Helgoland‘.“ – „Unsere Sennerin, die war lustig.“ (Es folgte die Geschichte vom Besamer.) – „Wir mit Babbels zu Hause beim Brettspiel“: Jedes Foto wurde kommentiert, derweil die Zuschauer nach und nach einschlummerten.

„Das war’s!“, kamen schließlich die erlösenden Worte. Manche Gäste baten um ein weiteres Gläschen, und endlich sagte eine Tante: „Das muss ein schöner Urlaub gewesen sein!“ „Ja.“, erwiderte Silke und fügte hinzu: „Wir hatten aber auch herrliches Wetter!“

(1960 und 1980)

IV. In den Hauptstrom
1. Spitze Buben am Vesuv

Nun zog es sie dorthin, wo so viele schon lange Urlaub machten: Nach Italien. Sie reisten per PKW und mit noch gleich drei befreundeten Ehepaaren nebst deren Nachwuchs. Die Reisegesellschaft verabredete ein allgemeines Treffen in Hall in Tirol, bevor es über den sagenumwobenen „Brenner“ in das Land, „wo die Zitronen blüh’n“, gehen sollte. Im Hotel sagte die Wirtin, aus Italien sei noch nie jemand zurückgekommen, ohne bestohlen worden zu sein. Ein Ehepaar unserer Reisegesellschaft war mit einem „Porsche“ angereist und hatte nun eine Heidenangst, dass etwas von ihrem Auto oder gleich das ganze Gefährt abhandenkommen könnte. Sie sicherten das Auto ab: Ein Knopfdruck genügte, und der Motor hatte kein Benzin mehr. – Auf der Autobahn im Sonnenland geschah es: Die Frau drückte vor Langeweile auf den Knopf, und das Edelgefährt blockierte sich und die Straße. Rufe plötzlich behinderter Italiener dahinter erklangen gar nicht so südländisch-charmant. Dann fuhr der Wagen wieder los, und alles war vorbei. Sonst geschah dem „Porsche“ auf der ganzen Reise nichts.

Vorher hatten sie den „Brenner“ passiert: Welche Befreiung! – Doch da näherte sich schon ein italienisches Polizeiauto und stoppte das Auto der Stolps. Andors Ausweis-Foto wurde wieder und wieder überprüft –sehr ernsthaft und stumm! Andor musste wohl ähnlich ausgesehen haben wie ein südlicher Gangster, doch die Polizisten schwiegen, setzten sich in ihren „Fiat“ und fuhren davon.

„Salute, bella Italia!“

In der ersten Tankstelle auf italienischem Boden war es voll. Jede Familie füllte ihren Tank mit „italienischem“ Sprit und stellte hinterher fest, dass der Tankwart keiner Familie korrekt Geld herausgegeben hatte. Alle bekamen etwas weniger als ihnen zustand. Keine Familie bekam mehr Geld zurück. Die Sache mit den vielen Lira war ja auch kompliziert für „DM-Menschen“ aus dem Norden!

Dann kamen alle nach „San Gimignano“. Welche eine Stadt! Auf einem Berg standen „Geschlechtertürme“, hohe Häuser, mit denen einst reiche Familien ihren Mitmenschen imponieren wollten. Die Reisenden fragten sich, ob mittlerweile die Banken die Stellung der alten Familien eingenommen hatten. Nach „San Gimignano“ in Italien wuchs nun „Frankfurt“ am Main in Deutschland in die Höhe. Aber die Schönheit war auf der Strecke geblieben.


San Gimignano

Dann ging es nach „Rom“. Es gibt große Aufregung wegen der Autos, denn das Hotel dort hatte keinen Parkplatz. Alle vier Autos mussten durch halb „Rom“ kutschieren und kamen zu einer Garage, in der die Autos Stoßstange an Stoßstange standen. Die Schlüssel blieben in den Autos. Bedenken wegen eines möglichen Diebstahls baute der Garagenwärter ab: „Die Autos hier sind so sicher, dass ich sogar das Auto meiner Mama abstellen würde.“ Alle waren überzeugt.

Nach dem Abklappern aller Sehenswürdigkeiten „Roms“ und dem „Genuss“ unendlicher Mengen „Frascatis“, bewegte sich die ganze Truppe bei großer Hitze nach Süden. Die Autos waren noch da – auch der „Porsche“. Schließlich kamen alle in „Casa Vellino“ (dem Zielort) an. Dort suchten sie eine geeignete Wohnung, die sie dann auch fanden.

Nach einem Eingewöhnungs- und Ruhetag kamen die Südlandfahrer so langsam in Urlaubsstimmung. Anderntags fuhren einige nach „Paestum“ und bestaunten viele interessante und imposante Tempel.

Dann erfuhr der italienische Wirt, dass einer seiner Gäste zu Hause politisch aktiv war. Der Italiener war ganz begeistert, einen „Politiker“ unter seinen Gästen zu haben: Sein Bruder sei ebenfalls in Neapel politisch aktiv.

Dann ging es nach „Pompeji“. Es war herrliches Wetter. An die große Katastrophe von einst erinnerten nur noch die alten – mittlerweile romantisch wirkenden- Ruinen. Aus Schutt und Asche war eine Touristenattraktion geworden.

Der Urlaub verging unter Faulenzen, Ausflügen und immer wieder Weintrinken. Beim Selbstgemachten aus „Casa Vellino“ stellte sich am nächsten Morgen fast immer Kopfschmerz ein. Dann genossen die Urlauber das milde Meer, und bei einem Besuch des Vesuvs warnte ein Einheimischer: „Vorsicht, spitze Buben!“

Schon ging es über „Rovereto“ zurück in die Heimat. Noch einmal aßen alle gut und tranken zu viel, fuhren dennoch am nächsten Tag wieder über den „Brenner“ und kamen unversehrt wieder in Deutschland an.

Von nun an gehörten vier weitere Familien aus dem Norden Europas zu der großen Schar der Italienkenner. Beim Brettern über deutsche Autobahnen Richtung Heimat grübelte Andor Stolp: „Wo waren denn die spitzen Buben gewesen? Haben wir etwas versäumt?“

(1982)

2. Kalimera: Der Hase Augustin

Im ganz großen Mainstream der kommenden Reiseweltmeister waren die Stolps aber noch längst nicht angekommen. Es fehlten vor allem Griechenland und Spanien.

Also ging es erst einmal auf nach „Methoni“ in Griechenland.

Aber vorerst fuhren sie auf die Schwäbische Alp.

Die Reise begann früh mit dem PKW. Auf der Fahrt gab es viele Umleitungen. Erst abends waren Silke und Andor – die Kinder waren schon nicht mehr mitgekommen – in „Lonsingen“ auf der Schwäbischen Alp und trafen sich mit Freunden. Dort wanderten sie unter Anleitung eines echten Schwaben, der erzählte, dass an einer Stelle hier Vieh weide, welches im Frühjahr aus dem Allgäu geholt würde. Als die angereisten Großstädter darüber nicht staunten, staunte der Schwabe umso mehr.

Danach fuhren die Stolps so richtig in den Süden. Es ging über „Ravensburg“ und „Bregenz“, über den „San Bernardino“, vorbei an „Lugano“, „Como“ und „Mailand“. Sie rasteten schließlich in „Salso-maggiore Terme“ in der Nähe „Parmas“. Dort fanden sie ein kultiviertes kleines Hotel mit einem witzigen Patron und „1a-Speisen“. Es hatten gerade Bridge-Weltmeisterschaften stattgefunden; Stolps konten noch Damen in Nerzmänteln und Ferraris bewundern. Sie waren eben wieder in Italien! Die Beiden bestaunten eine alte Therme und freuten sich, dass sie diese Sommerfrische der Italiener in den Bergen entdeckt hatten. In diesem „Nest“ ließ es sich gut schlummern.

Morgens ging es aber (noch immer per PKW) fix nach „Ancona“. Pünktlich um einundzwanzig Uhr verließen sie auf einer Fähre den Stiefel und waren am folgenden Abend in Griechenland in „Igoumenitsa“. Am Ende stiegen sie im Hafen von „Patras“ aus. Er war größer als der von „Igoumenitsa“, und Silke fand ihn „hässlich“. Nun kam das Auto wieder zum Einsatz.

Die Fahrt wurde wegen ständig steigender Temperaturen unangenehm. Klimaanlagen in Autos waren in Europa noch unüblich. Schließlich erreichten die beiden aber doch „Methoni“ (ihr Ziel) und nahmen „ihr“ Ferienhaus in „Besitz“. Sie gingen sofort baden.

Griechenland erwies sich von Anfang an als sehr, sehr heiß!

Da wechselten Silke und Andor Strandgänge mit Besichtigungen ab. Sie besuchten eine Venezianische Festung sowie einen kleinen Ort am Meer namens „Finikoudas“. Dort machten sie Bekanntschaft mit der umstrittenen griechischen Küche: Es gab mit Reis gefüllte Tomaten und weiße Bohnen, dazu kaltes Wasser.

Das Essen war die eine Sache – die andere war, dass in der Taverne brüllend laute Musik plärrte. Überall (Das merkten die Stolps bald.) quoll diese Musik aus allgegenwärtigen Lautsprechern. Besonders beliebt war die griechische Version des deutschen Kinderliedes vom „Hasen Agustin“. „Schrecklich!“ fanden Silke und Andor das.

Blieb die Flucht nach „Kovoni“, wo die beiden eine alte Burg sahen. Im Innern derselben waren ein Kloster sowie Gärten und ein weites, offenes Feld. Alles war sehr geruhsam unter dieser brütenden Hitze. Da tauchte ein Gärtner auf und verschenkte an die Gäste reife Tomaten – die schmeckten so wunderbar, dass aller Groll der Stolps erlosch: Hitze und Lärm waren vergessen.

Langsam fuhren die Besucher durch Berge zurück zum Ferienhaus.

Später ging die Fahrt nach „Olympia“. Ein Mythos stand auf dem Programm! Für die zweihundertzehn Kilometer brauchten sie viereinhalb Stunden. Aber so hatte sich Ihnen die Bergwelt der „Peloponnes“ erschlossen. Jetzt waren sie im berühmten „Arkadien“. Alles schien verklärt zu sein, und in „Olympia“ selberschien es noch heißer zu sein als im Umfeld. Beim Besichtigen der Reste des Stadions und der Tempel sannen die Stolps darüber nach, wie es wohl in der Antike gewesen sein mag, als Athleten aus „Athen“ und „Kreta“ hier ihre Kräfte maßen. Die Sportstätte war umstanden von alten Pinien und Olivenbäumen, die Schatten warfen. Alles erschien so unspektakulär: Doch das war der Ort, wo vor zweitausend Jahren eine mittlerweile aktuelle Weltidee geboren wurde!

 

Einige moderne Griechen grüßten die Besucher mit „Kalimera“ und warfen einen mitleidigen Blick auf das Auto ohne Klimaanlage, so als wollten sie sagen: „Und damit seid Ihr aus Deutschland hierhergekommen? – Ihr Armen!“

Bei „Methoni“ liegt ein Berg namens „Likódlinmon“. Er ist 959 Meter hoch, und von ihm aus kann man das stillgelegte Kloster „Chrissokellarias“ erreichen. Hier entdeckten Silke und Andor wahrhaft arkadische Landschaften. Auch Nestors Palast nördlich von „Pilos“ war in der Nähe. Dort sahen die Stolps eifrigen Ausgrabungen zu. Zu Hause wurde schon Alarm geschlagen, wenn ein dreihundertjähriger Stein in der Erde lag; hier aber ging es um dreitausend Jahre.

Nach so viel Gestein und Geschichte fanden sie neben ihrem Ferienhaus eine einsame Bucht, wo sie sogar ohne Textilien baden konnten. Sie schwammen hinein in die Bucht und waren plötzlich weit vom Ufer entfernt. Ein Flüsschen, das sie ursprünglich nicht gesehen hatten, hatte sie hinaus gespült. Nun mussten sie schwimmen, was das Zeug hielt und erreichten auch das Ufer, aber sehr erschöpft.

In einem Holzboot und einem „Fischer“ als Piloten wagten sich die Urlauber danach vermeintlich gesicherter auf’s Meer hinaus. Das Boot hatte einen Außerbordmotor, und da dieser nicht recht gehorchte, füllte der „Fischer“ (brennende Zigarette stets im Mund) ständig Benzin aus einem Plastikkanister nach. Der Motor sprang dadurch nicht an, das Boot flog aber auch nicht in die Luft.

Schließlich fuhren Silke und Andor in Richtung „Patras“. Es ging wieder nach Hause. Im Hafen suchten sie die „Talos“ und schipperten über die „Adria“. Die Fähre war fast leer, und so konnten sie alles (die Kabine mit Klimaanlage, die Abwesenheit von Mücken und anderem Geziefer) in Ruhe genießen.

Wieder in Italien, in „Ancona“, tauschten sie Lira ein, und dann ging es auf die „Autostrada“: „Rimini“, „Bologna“, „Modena“, „Verona“ lagen an der Route. Es folgten „Bozen“ und „Kaltern“. Dann kam wieder der „Brenner“. Es blieb heiß. Aber, was war das? Selbst im nördlichen gelegenen Bayern war es auch heiß. Danach erst kam Regen: Die Heimat grüßte.

(1995)

3. „It’s for you boys!” auf Teneriffa

Italien und Griechenland waren „abgehakt“. Aber um richtig mithalten zu können im großen Reisestrom der Zeit, fehlte noch ein Land: Spanien. Andor Stolp hatte von den „Kanarischen Inseln“ gehört. Dahin machten sich mehr und mehr Urlauber auf. Wie man hörte, lagen diese geheimnisvollen Inseln weit außerhalb des spanischen Festlandes irgendwo im Atlantik. Diese Inseln hatten exotisch klingende Namen wie „Lanzarote“, „Teneriffa“, „La Gomera“, „La Palma“, „Fuerteventura“ oder „Gran Canaria“. Dass diese Inseln nicht mit dem Auto erreichbar waren, war klar. Mit dem Schiff zu fahren, würde aber den ganzen Urlaub in Anspruch nehmen: Also kam das Flugzeug ins Spiel. Die Massenfliegerei war entstanden. Entsetzte Flugbegleiter lästerten über das „Palma-Pack“.

Andor Stolp betrat in einem Januar ein Reisebüro mit Namen „Teneriffa-Reisen“: Er wolle mit seiner Frau in Urlaub reisen, jetzt im Februar, und er habe gehört, es gäbe Gegenden, in denen da jetzt Sommer sei. „Ja, auf Teneriffa zum Beispiel!“, erwiderte die Verkäuferin. „Da blühen jetzt die Rosen, und Sie können in kurzen Hosen gehen.“„Ja, da will ich hin!“: Die Reise war gebucht.

Zu Hause kramte Vater Stolp den alten Schulatlas hervor und studierte ihn mit seiner Frau. „Wo liegt denn eigentlich dieses Teneriffa?“ – „Da, vor der Westküste Afrikas!“ – Sie hatten ein neues Stück von der Welt entdeckt.

Dann wurde es ernst. Punkt 6:30 Uhr kam die Taxe und um 9:15 Uhr startete der Flieger einer Urlaubsgesellschaft. Er war voll. Eine Flugkapitänin erklärte gleich nach dem Start, „Teneriffa“ hätte dreiundzwanzig Grad. Der Flieger musste einen „Zwischenstopp“ in „Malaga“ zum Auftanken machen, dann währte der Flug weitere Stunden. Beim Anflug erkannten die Urlauber den 3718 Meter hohen „Teide“, dessen Spitze weiß und weiter unten wolkenumkränzt war. Sie wussten bereits: „Das ist der höchste Berg Spaniens“, denn auf diese Reise hatten sie sich vorbereitet. Ein wenig staunten sie schon über den Schnee auf dem Gipfel – so viel näher am Äquator als zu Hause!

Vom Rollfeld aus konnte man tatsächlich kurzbehoste Männer und blühende Rosenhecken sehen. Der Bus fuhr durch das seit Alexander von Humboldt so berühmte grüne „Orotava-Tal“ nach „Santa Cruz de Tenerife“, wo auf einem mit gelb und rot leuchtender Kresse bewachsenen Hügel das Hotel „Taoro“ thronte. Silke und Andor kamen sich vor wie im Paradies. Vor ihrem Zimmer lag ein Pool, dahinter war der „Teide“ zu sehen und unter dem Fenster lustwandelten Pfauen. Es musste ein Paradies sein, und beim Öffnen eines Schrankes entdeckten sie einen dezenten Hinweis: „Unsere Gäste werden gebeten, den Speisesaal mit Krawatte zu betreten.“

Flugs eilten die Stolps den Kresseberg wieder hinunter, tauchten in die schmalen Gassen des Fischerdörfchens ein und erwarben eine Krawatte –eine seidene! Als sie wieder zurück hinauf in ihr Zimmer stiegen, schnellte an ihnen ein großer schlanker Herr im dunklen Anzug vorbei. Silke und Andor machten sich fein. Andor legte die neu erworbene Krawatte an.

Als sie den Speisesaal betreten wollten, öffne ihnen ein eleganter Herr die Flügeltür und wünschte „buena sierra!“. Die Besucher erkannten sofort: Das war der Signor vom Kressenberg. Hier war er „Maitre de Salle“, öffnete Flügeltüren, rückte Gästestühle zurecht, nahm aber keine Bestellung auf – servierte auch weder Getränke noch Speisen. Dazu hatte er die Unterkellner, 1. welche, die die Bestellungen für die Menues aufnahmen, 2. welche, die die Menues servierten und schließlich 3. welche, mit denen die Gäste Getränke auswählten, die von denselben Kellnern dann auch kredenzt wurden. Damit die Gäste immer durchblickten, war jede Art von Kellnern anders gewandet: Frackmäßig der Maitre de Salle, schwarze Straßenanzüge die übrigen Kellner – die Notierer der Menues allerding mit schwarzen und die eigentlichen Kellner mit roten Krawatten, und knallrote Jacketts trugen die Herren der Getränke. Alles geschah in einem großen, hell erleuchteten Raum mit kleinen Tischen für zwei, vier oder sechs Personen. Die Stolps genossen das sehr.

Da erschien ein älterer Herr im dunklen Anzug, Frisur schwarzhaarig. „Ein typischer Spanier.“, dachte Silke. Er schien in Eile zu sein und hier bekannt. Fix aß er den ersten Gang und auch den zweiten, dann stand er auf, warf die Stoffserviette über seinen Stuhl, legte einen Geldschein auf den Tisch und sagte im Gehen zu den ihn beobachtenden Kellnern:

„Its for you, boys!“

Das waren Ausläufer der Kolonialzeit. Aus dem „Taoro“ wurde später ein Spielkasino, und das einstige Fischerdorf „Santa Cruz de Tenerife“ wuchs zu einer Touristenstadt heran. Pfauen vor dem „Teide“ gab es nicht mehr. Bald war das „Orotava“-Tal weitgehend zubetoniert. Es fuhren Linienbusse hin und her: Es war wie in einer deutschen Großstadt.

Beim ersten Besuch hatten sich die Stolps ein Auto gemietet und sind auf die andere Seite der Insel gefahren. Das war der Südwesten: Karstland! Seinerzeit hatten die Urlauber ein trauriges und einsames Fischerdorf entdeckt, das hieß „Los Christianos“. Später stand hier eine Hotelanlage neben der anderen. Massentourismus war angesagt. Fast die ganze Südküste war mittlerweile zugebaut. Das trockene Wetter schien genau richtig für die sonnenhungrigen „Touris“, die nun kamen.

Grünanlagen neben Pools in „Los Christianos“ wurden nun künstlich bewässert. Es kamen jetzt mehr als vier Millionen Besucher pro Jahr – nunmehr ohne Zwischenstopp. Der Flughafen „Teneriffas“ wurde in den Süden verlegt; der im Norden war altmodisch geworden, und eine neue Autobahn zog sich die gesamte Südküste entlang.

Teneriffa liegt etwa 3000 Kilometer von Deutschland entfernt. Sie gilt als die schönste Insel der Kanaren, ist 2.034,84 Quadratkilometer groß und hatte ca. 907.000 Einwohner.

Nach ihrem ersten Besuch „Teneriffas“ waren Silke und Andor noch mehrmals dort: Die Insel wurde voller und voller. Gebaut wurde wie verrückt. Und das gute alte „Taoro“ gab es längst nicht mehr.

Einmal waren sie in „Vilaflor“ hier, ganz untypisch in den Bergen auf etwa 1400 Metern Höhe: Nach einer Operation im Gehirn hatte sich Andor bei Wanderungen dort erholt. Die neuen Badeorte des Südens und die weitläufigen Strände konnte er damals „von oben“ betrachten.

Zum letzten Mal zog es die Stolps in den Südwesten „Teneriffas“. Hier befand sich ein im südspanischen Stil errichtetes Hotel namens „Gran Meliá“. Vom Hotelzimmer aus hatten sie einen direkten Blick aufs Meer, und sie konnten bis zur Insel „La Gomera“ schauen.

Bald wanderten Silke und Andor die Küste „Teneriffas“ entlang Richtung „Los Gigantes“. Anfangs war die dortige Uferpromenade gepflegt. Offenbar unterlag sie der Fürsorge der Urlauberhotels, die man hier wie Perlen an einer Schnur errichtet hatte. Vor jedem Hotel befand sich ein Pool, eingebettet in einen „botanischen“ Garten.

Doch dann mussten die beiden in eine Wüstenei klettern und kamen an Bananenplantagen vorbei, die teilweise aufgegeben waren. Sie vermuteten, dass auch hier Hotels errichtet werden sollten. Die Kanaren stellten ihre Wirtschaft offensichtlich weg von der Landwirtschaft und hin zum Tourismus um. Wo wahrscheinlich weitere Hotels geplant waren, nisteten sich vorläufig zwischen schwarze Felsen „wilde“ Camper ein, auch sie Touristen. Eigentlich war ja hier Campen verboten, aber wen interessierte das?

Schließlich kam das Paar in „Varadero“ an. Waren sie jetzt schon auf Cuba? Nein, „Varadero“ nannte sich ein Vorort von „Puerto de Santiago“. Viele Deutsche – man konnte es an den Namensschildern der Wohnungen sehen – hatten hier ein Feriendomizil. Aber das Schild „Se Vendre“ war ebenfalls oft zu sehen. Ebbte der Boom ab?

Dann trafen sich Silke und Andor mit Freunden, die am entgegengesetzten Ende der Insel wohnten. Als Treffpunkt wurde der Ort „Icod de los Vinos“ vereinbart.

Mit einem Bus der Gesellschaft „titsa“ fuhren Stolps zum vereinbarten Treffpunkt auf die andere Seite der Insel. Dazu mussten sie in „Varadero“ umsteigen, und hinterher ging es in die Berge im Zickzack nach Norden. Die Strecke war landschaftlich sehr schön. Es war Frühling, und die Mandelbäume standen in voller Blüte. Blumenübersäte Hänge, grüne Wiesen, Weiden, Terrassen und unten das blaue Meer erfreuten: Sie erlebten die Kanaren von der schönsten Seite. – An Haarnadelkurven wurde der Bus langsamer; er rollte dann Radfahrern hinterher, die sich in den Berge quälten.

Dann waren sie in „Icod de los Vinos“. Die Freunde stellten beruhigt fest, dass alle sich warm angezogen hatten, denn sie waren ja nun auf der Nordseite der Insel. Aber die Stolps waren im Bilde: Einmal bei einem früheren Besuch hatte ein offensichtlicher „Ossi“ gefragt:

„Entschuldigung, ist es hier immer so kalt?“

Zuerst gingen alle in ein geographisches Museum, in dem Karten gezeigt wurden, die Vorfahren vor etwa 500 Jahren von den Kanaren gezeichnet hatten. Dann besuchten sie ein kleines Restaurant, wo sie eine kanarische Gemüsesuppe und etwas Schinken aßen. Dazu gab es Bier, kanarischen Wein (rot und weiß) sowie Kaffee.

Hinterher wanderten alle durch den Ort und kamen schließlich zum angeblich 1000-jährigen Drachenbaum („El Drago“), der das Wahrzeichen der Stadt war. Der Baum wog 140 Tonnen, seine Krone war 20 Meter breit, der Stammumfang betrug sechs Meter, und hoch war die Pflanze siebzehn Meter! Das war schon ein kleines Weltwunder, auch wenn Experten das Alter glatt auf die Hälfte der 1000 Jahre reduzierten. Aber 1000 Jahre klingt für die Touristen eben viel schöner.

Weiter schlenderten Stolps mit ihren Freunden durch den Ort und waren bald wieder am Busbahnhof. Silke wurde auf der Rückreise schlecht von der kurvenreichen Strecke. Die Fahrt selber war dennoch interessant: Immer wieder stiegen Einheimische für kurze Strecken ein. Einer redete laut und unverständlich mit dem Fahrer. Der antwortete höflich und etwas leiser. Dann kam ein alter Mann, der einen gefüllten Beutel unter seinen Sitz stellte. Als es in die Kurve ging, kullerte ein Teil des Beutelinhalts in den Busgang. Der Alte tat, als habe er nichts gemerkt, hielt seinen Beutel aber fortan gut geschlossen. Silke und Andor sahen, dass nun Maiskörner im Gang des Busses lagen. Ging es bergauf, kullerten die alle nach unten, bergab kullerten sie nach vorne; bei einer Linkskurve versammelten sich alle links, bei rechts rechts. Dann stieg der Mann aus, immer noch den ganzen Vorgang ignorierend, aber seine Maiskörner wechselten weiterhin wie eine kleine Völkerschar ‘mal nach vorne, ‘mal nach hinten, ‘mal nach rechts, ‘mal nach links. Das war lustig. Und sicher kein für die Touristen inszeniertes Schauspiel.

 

Beim Aussteigen entdeckten sie ein Thermometer: neun Grad! Stürmisch war es obendrein. Auch am Hotel stürmte es, Sandwolken kamen auf. Von den Freunden erfuhren die Stolps per Handy, dass es im Norden der Insel ebenfalls ungemütlich war. Auch im modernen Tourismus kam es eben manchmal zu ungeplanten Ereignissen: Nachts, tags darauf – immer weiter stürmte es. Die Balkonmöbel purzelten umher, und Silke bekam Angst, dass die Palmen draußen abbrechen könnten. Das taten sie aber nicht. Bei diesem wilden Wetter konnte man auch keine Ausflüge machen. Andor beobachtete die hohen und wilden Wellen des Atlantiks, die gegen die schwarzen Felsen preschten. Das immerhin war schon imposant: Werden Touristen eines Tages irgendwo auf der Erde hinfahren, um Sturm zu bestaunen?

Als der Sturm nachließ, wanderten die Stolps nach Norden. Dann zog es die Stolps nach Süden. Sie entdecken wieder ehemalige Bananenplantagen – „Bauerwartungsland“ gewissermaßen. Die Wolken lieferten sich mit der Sonne über dem Atlantik ein dramatisches Schauspiel. Schließlich wurde es dunkel und kühl. Sie fuhren mit einem Bus nach „Los Gingantes“, wo wieder riesige Hotelanlagen, aber auch unzählige Bungalows, standen. Sie alle waren so ummauert, dass man eventuelle Gärten gar nicht sehen konnte. Auch mehrstöckige, leere Gebäude älteren Stils standen an der Straße. Sie wirkten nicht gerade reizvoll.

Wieder hatte die Natur die Augen geöffnet über die „Tourismus-Zivilisation“, und es war, als würde sie fragen: „Na, findest Du das schön?“

Schließlich machten die Urlauber einen Ausflug in den alten Süden der Insel. Sie hatten einen Stadtplan von der „Costa Adeje“ und der „Playa de las Américas“. Da war eine Promenade immer an der Küste entlang eingezeichnet. Sie fuhren mit dem Bus hin. Das dauerte, denn der Bus wechselte mehrmals über die Autobahn und hielt an vielen Stationen landeinwärts.

Endlich waren sie da, und Horror tat sich auf. Menschenmassen ohne Ende promenierten. Restaurant reihte sich an Restaurant. Alle waren voll. Silke und Andor dachten, es wäre schön, mit dem Schiff nach „Los Gigantes“ zu fahren. Aber das ging nicht: Man konnte nur zum Fischen oder Tauchen hinausfahren, keine Einzelfahrt machen. Also latschten sie die Promenade entlang, sahen völlig leere Badestellen, an denen Massen von Urlaubern vorbeiströmen und kamen nicht richtig voran.

Der alte Stadtplan war doch arg klein. Schließlich fanden sie eine Bushaltestelle. Der Bus war voll. Aber viele Leute fuhren kurze Strecken. So kamen sie bald zu Sitzplätzen. Die Fahrt dauerte dennoch eine Weile. Es war wie daheim in der Großstadt. Und dahin wollten sie jetzt wieder zurück.

Auch am Flughafen war es voll. Die Maschine nach Hause hatte Verspätung, angeblich wegen Gegenwind beim Herflug: Die Natur also!

Drei Jahre später landeten die beiden wieder auf „Teneriffa“.

Und das kam so:

Eigentlich hatten sie eine Reise nach „La Palma“ gebucht zu einem kleinen Hotel inmitten einer Bananenplantage. Sie sollten direkt fliegen, und der Veranstalter war „TUI“. Aber da ging die Fluggesellschaft pleite, und „TUI“ verfiel in Sprachlosigkeit. Nach einigem Hin und Her buchten die Stolps um. Der Veranstalter war ein anderer, und statt nach „La Palma“ flogen sie nach „Teneriffa“. Immerhin gehörte ja das auch zu den Kanarischen Inseln. Doch das Ziel war nun das Hotel „Bahia Del Duque“, und das lag an der Costa Adeje.

Leider kamen sie bei Dunkelheit an, aber in einem spanischen Restaurant des Hotels erwarteten sie einige Köstlichkeiten. Auch eine Flasche Wein war dabei. Und die Reisenden waren versöhnt.

Als sie vor langer Zeit das erste Mal auf Teneriffa waren, war das hier ausgedörrtes Wüstenland. Nunmehr reihte sich Hotel an Hotel an dieser Küste. Die Costa Adeje war nun eine Promenade mit vielen Restaurants („Pint of Beer eineinhalb Euro“) geworden. Die meisten der zahlreichen Touristen waren Engländer. Auf der einen Seite der Promenade war das Meer, auf der anderen die Hotels. Diese konnte man nur mittels Plastikkarte betreten, und hinter den Hotels stiegen gleich die Berge an.

Die Stolps hatten auch eine Plastikkarte (für ihre Herberge), und ihr Hotel hatte einen wunderschönen Garten mit zahlreichen Pools – wer dachte da schon an die durch solche Anlagen entstehenden Umweltschäden?

Das für die Touristen Gute war: Über dem Streifen zwischen Meer und Gebirge in dieser Gegend war stets blauer Himmel, und man hatte Temperaturen von etwa einundzwanzig Grad. Die „bösen“ Wolken hingen derweil in den Bergen. Es regnete aber weder dort noch hier. Jeden Tag war das so. Doch wo kam das Wasser für Pools und Gärten her?

Jemand versuchte, Andor das Portemonnaie zu entwenden, doch er wehre den „Angriff“ ab. Solche „Freuden“ eines Urlaubs hatte man mittlerweile hinzunehmen.

Mit dem Bus fuhren sie einen Tag ins frühere Fischerdorf „Los Christianos“. Daraus war ein größerer Ort geworden, und nach einem langen Gang auf einer Kaimauer sahen Silke und Andor drei Fähren, die gerade dabei waren, Menschen und Autos für Überfahrten zu anderen Inseln einzuschiffen.

Ein andermal gingen die beiden auf einem großen Stück unbebauten Landes spazieren. Hier wuchsen Kakteen und dürre Sträucher – sie erkannten den alten Süden Teneriffas wieder. Von hier aus sahen sie auch die Spitze des „Teide“; dieser Riese lugte noch immer hinter den Küsten-Bergzügen hervor.


Der Teide