Anschwellendes Geschwätz

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Nix krank

Früher, wann immer das war, zuweilen scheint es, es sei vor Jahrzehnten gewesen, früher sprach man unter Kollegen und Freunden gelegentlich und ohne schlechtes Gewissen darüber, sich außerplanmäßig mal ein paar Tage Erholung zu gönnen, auszusteigen aus der Mühle der Arbeit, der blinden Mechanik des Weiter-so zu entrinnen – und krankzufeiern. Es durfte dann, so die Wahrnehmung dessen, der ja durch Abwesenheit letztlich der Wiederherstellung seiner körperlichen und psychischen Arbeitskraft diente, der Boß im Dienste der Produktivität, d. h. im Dienste seines Profits, ausnahmsweise ruhig selber mal eine Ecke schärfer buckeln.

Das Krankfeiern war eine Waffe, keine sehr spitze, aber ein Mittel, um diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen, ein wenig zu triezen. Noch früher, vor Jahrhunderten, erfreute sich der Blaue Montag unter Handwerkern so großer Beliebtheit, daß er regelrecht institutionalisiert wurde. Es gab einmal etwas, das man Klassenbewußtsein nannte, und sei es lediglich Ausdruck eines Restes an sozialem Stolz und Würde gewesen.

Heute herrschen die einen wie gewohnt, und die anderen beherrscht die Angst, die Angst, den Job, die materielle Grundlage ihres Lebens, zu verlieren. Wen noch die Gnade irgendeines »Arbeitgebers« ereilt, wer noch für ein paar Euro bei höchst prekären Arbeitsbedingungen ackern und rackern darf, darf froh und dankbar sein, dankbar seinem Ernährer, dem Unternehmer, den der große Demiurg, der Markt, schuf, auf daß der Terror, den sich die Menschen in der bedingungslosen Konkurrenz selbst zufügen, nie ende.

Es sind dies Zeiten, in denen der »objektive Geist« (Hegel) schamloser und rabiater denn je um nichts anderes als um Sekundärtugenden wie Selbstausbeutung und Unterwerfung rotiert, flankiert von sog. Philosophen (Norbert Bolz & Co.), die den Markt zum Heiligtum der Moderne erklären und seine »zivilisierende Funktion« preisen. Der Markt indes schert sich, das war schon immer so, einen feuchten Kehricht um seine Professoren und verwandelt die sog. Zivilgesellschaft vollends in einen Disziplinierungsapparat, angesichts dessen der (angeblich) Unproduktive endgültig nichts mehr zu lachen hat.

Der Berufsstand des Detektivs, der krankgeschriebene Lohnabhängige im Auftrag des Herrn observiert und gegebenenfalls des Betrugs am Betriebsvermögen überführt, ist hoch angesehen, und simultan erreicht die Zahl der Krankmeldungen einen historischen Tiefstand. Die Einschüchterung zeigt Wirkung, und wer ganz sichergehen will, ob er nun wirklich krank ist und dieser Verfehlung Rechnung tragen möchte, befragt den Think tank der Bourgeoisie, die Redaktion der Bild-Zeitung, die Tips erteilt, wann man sich wie krankmelden darf, nach Recht und Gesetz.

Ich für meinen Teil werd’ mal bei meiner Ich-AG anfragen, unter welchen Umständen ich das Recht in Anspruch nehmen darf, mich vor mir selbst krankzumelden. Die Zeit, bis mich eine Auskunft erreicht, bringe ich locker rum – auf dem Sofa liegend und ein altes Lied pfeifend: »Danke für meine Arbeitsstelle ...«

Krautlese

Ausgerechnet Karl Kraus, dem maximal drei von hundert Katachresen und journalistischen Wortschlunzen durch die Lappen gingen und der solche Exempel für gedankliches Gekrautere mit dem Vernunftfuror des hochangestrengt Formbewußten zerpflückte und zerriß, hat sich dagegen verwahrt, Stilblüten »auszujäten«, das zeuge »von einem schlechten Geschmack, von einem, der da wünscht, daß in der Zeitung nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen. Und ist es nicht von einer ergreifenden Symbolik, wenn einer Zeitung der Satz gelingt: ›Sterbend wurde sie ins Spital gebracht, wo sie einem toten Kinde das Leben gab.‹ Geschieht das nicht unser aller gemeinsamen Liebsten, der Kultur? Sterbend wurde sie in die Redaktion gebracht und gebar die Phrase. Ach, wer doch dem toten Kind das Leben gäbe! Er würde die Mutter retten.«

Kraus erblickte wenn nicht bereits in der »Kultur«, dann gewiß in der bekannten »Welthirnjauche« der phrasendrechselnden, darob eben sehr wohl unermüdlich Stilblütenbastarde erzeugenden Journalistik allen Anfang der Barbarei, und ohne garantiert allzuviel vom Wiener zu wissen, gelang dem ohnehin nicht üblen Frankfurter Schriftsteller Jörg Fauser mit seinem gleichgesinnten Verdikt zur allgemeinen »Kulturjauche« ein ähnlich gelagerter epistemischer Punch.

Aber beide sind jetzt widerlegt – zum einen durch die Zeitung der Heilsarmee, die sich Der Kriegsruf nennt, ab ovo für sprachliche Totalkollateraltreffer sonder Zahl geradestehen müßte und gleichwohl: in einer Ausgabe von immerhin zwölf Seiten augenscheinlich weder einen einzigen gravierenden grammatischen noch einen bemerkenswerten metaphorischen Harakirihieb zuwege bringt – und nur aufs schönste und korrekt z. B. von der »Aussendung der Kadetten« berichtet, bei welchem Jubelfest Erhabenes geschieht: »Durch beeindruckende Anbetungstänze wird das Schicksal der Menschheit dargestellt.«

Zum anderen widerspricht das Frankfurter Stadtteilperiodikum Das Blättche – übersetzt heißt »Feuilleton« ja nichts anderes als »Blättchen« – dem Wiener/Frankfurter Duo, und sei’s insbesondere durch seine »köstlichen« Chefinnen- und Kulinarkolumnen, in denen sämtliche Wörter am richtigen Satzplatz und in ordentlichstem Reih- und Satzglied herumstehen, etwa wie folgt: »Die Kollegin, die da immer mittwochs für uns so lieb Brote schmiert, fragte mich, wieviel ich denn wollte. Ich dachte kurz nach und bestellte ›drei Scheiben, mit Käse‹. Nun ging ich davon aus, drei Scheiben Brot belegt zu bekommen, die dann zusammengeklappt insgesamt drei halbe Brote ergäben. Was ich aber bald darauf in einem kleinen Paket in Händen hielt, waren sechs halbe doppelte Brote, die aus insgesamt drei doppelt belegten Brotscheiben, sprich insgesamt sechs Scheiben Brot entstanden waren. Seitdem denke ich darüber nach, daß drei Scheiben Brot eben nicht überall das gleiche sind.«

Kein Wort schießt da, bei aller verwirrenden Relativität der Welt und der Zahlen, ins ungestüme Kraut. Still blüht der Stil, ohne eine einzige blättrige Blüte hervorzutreiben. Um den Journalismus ist es also doch nicht allzu schlecht bestellt. Bzw. offenbar viel zu gut, zumindest in den Gärten seiner regionalen und religiösen Einfalt, sollte die Publizistik hier möglicherweise auch lediglich »Kultur als Käsestulle« (Jörg Fauser) präsentieren oder prolongieren. Oder andererseits und gewissermaßen vice versa wiederum wieder doch nicht?

»Jesus bietet sie an«, die »Pause« als Erholung vom kurrenten »Streß«, weist Der Kriegsruf schließlich doch noch den Weg, die Pause »als echte, kraftspendende, wohltuende Auftankphase mit Abladechancen«. Den Satz hätte sich Karl Kraus dann evtl. auch rausgezupft, und er hätte ihn eingetopft und auf die Werkstattfensterbank gestellt – auf daß er weiterblühe und gedeihe und in einer wohltuenden Arbeits- und Auftankpause in seiner abladend-erlösenden Chance zur Kraft- und Sinnfindung vollends begriffen und demzufolge heftig begossen werde.

Wortfeldpost (Linguistischer Bericht)

Neulich wurde ein lupenrein uneitler Text von mir ins Internet »gestellt«, d. h. »hineingestellt«, hineingestellt in ein Etwas, das Netz heißt und eine Art Raum sein soll, ein Gewebe, ein gigantisches Wortfeld, das – gemäß der schon etwas abgehangenen Wortfeldtheorie eines Jost Trier und eines L. Weisburger con Co. – seinen Elementen Bedeutung verleiht durch die Oppositionsverhältnisse, in denen sich die Elemente (Wörter, Worte, Texte) befinden oder wiederfinden, sofern sie sich wiederfinden lassen im »Wortnetz« (Trier) des Internet oder Internets. Und da sagte ich mir: Man müßte mal nachfragend und tief bohrend was zum Begriff und zur Tätigkeit des internetaktiven und internetinteraktiven Hineinstellens machen, als Pragmaparaphrase auf Heideggers Gestelz vom Gestelltsein des Gestells und unser aller.

Aber das muß man ja eigentlich nicht.

Prügelstrafe für Sätze

Da man liest: »Wenn allerdings das Bild von der sprachlichen Arbeitsteilung zu stark gemalt wird, indem man die Konstitution des ›wahren‹ Objekts zur Expertensache macht, indem insinuiert wird, daß der Gegenstand selbst nur eines von vielen möglichen Modellen sei, entzieht man dem ›Alltags‹-Sprecher jede Möglichkeit zur Bezugnahme, weil dieser eben nicht auf die in einer chemischen (oder sonstigen speziellen) Theorie postulierten Entitäten referiert, sich beziehen will, sondern auf das Ergebnis seiner Interpretationsakte, die sich aus dem Umgang ergeben« – dann liegt der Gedanke nicht allzu fern, in so einen sensationellen Text ein bißchen Ordnung hineinprügeln zu wollen.

Ein Kind Gottes

Man soll nicht allzu unnachgiebig mit sog. Kollegen ins Gericht gehen, die sich ab und an – und meist mißmutig – in ein Fernsehstudio begeben, um ein Buch oder sonst was in die Kamera zu halten. Jedenfalls finde ich, daß auch komische Künstler und Satiriker und ähnlich Gesinnte ihr Brot und ihr Bier verdienen dürfen.

Ob es allerdings nötig war, daß der verdiente und reich und berühmt gewordene Manfred Deix am 27. September 2003 unendlich lange Minuten, mir schien es: mindestens zwei Viertelstunden lang ausgerechnet bei Karl Moik im Musikantenstadl herumhockte und einen furchtbar eitlen Stiefel zusammenstopselte, das möchte ich nicht entscheiden müssen. Und das Traurigste an diesem ungeheuerlichen Vorgang, auf den ich beim Zappen gestoßen war, offenbarte sich, als irgendein gleichfalls anwesender St. Pöltener oder sonstiger Katholenkumpan dem Manfred bischöflich bescheinigte, auch er sei ja »ein Kind Gottes«, jaja.

 

Der lustigste oder bloß klügste der drei Dösbrummer war übrigens der Moik Karl, der dem Manfred dann irgendwann steckte, man habe ihn nun genug in eigener Sache herumpredigen hören. Der aber, der Deix, war hoffentlich einfach gnadenlos voll. Halten zu Gnaden.

Viel Licht

Erfreulich ist es, wenn man die Methode des Karl Kraus auf ihn selbst anwendet, blind Band 5 der Zweitausendeins-Fackel aufschlägt und auf den Seiten 26 und 27 der Nr. 300 vom 9. April 1910 nebeneinander stehen sieht: »Sie haben die Presse, sie haben die Börse, jetzt haben sie auch das Unterbewußtsein!«; und: »Und wenn die Erde erst ahnte, wie sich der Komet vor der Berührung mit ihr fürchtet!«

Mehr ist über den Weltzustand, der ein Zustand ist, in dem sich die Presse befindet, auch fast sechsundneunzig Jahre später nicht zu sagen.

Tausendjähriger Kraus

Presseerzeugnisse sind unversiegbare Quellen des Stusses. Das wußte keiner besser als Karl Kraus, der nicht nur den geistigen, sondern auch den handwerklichen Mißgriffen nachspürte und Druckfehler unerbittlich, ja saddamartig verfolgte – meist verzweifelt und fluchend, wenn der Setzer die Fackel verhunzte, eher attackierlustig und amüsiert, wenn die Klopsköpfe der Tageszeitungen zuschlugen. Daher sei zum Gedenken an den großen Wiener und seine aufopferungsvolle Arbeit hier ein kleiner Satz niedergelegt, den das stets mit höchstem Aufwand redigierte und korrigierte Komikfachblatt Frankfurter Rundschau am 28. Februar 2003 anläßlich einer Besprechung des Briefwechsels zwischen Kraus und Herwath Walden in Satz gehievt hat; ein Satz, den Autor Yaak Karsunke und die fidele Feuilletonmannschaft gemeinsam verantworten und für den sie deshalb meine heurige Narrengoldmedaille auch gemeinsam entgegennehmen müssen. Nun, auf jetzt! »Dieser geballte editorische Aufwand gilt – zumindest behauptet das der Untertitel – einem ›Briefwechsel‹ zwischen Karl Kraus und Herwath Walden aus den Jahren 1909 bis 1912. Die beiden hatten sich 1090 in Wien kennengelernt, wo der relativ wohlsituierte Kraus (Jahrgang 1974) seit 1899 die Zeitschrift Die Fackel herausgab.«

Ich hätte es der Rundschau nicht zugetraut, aber – sie hat mich zum Lachen gebracht.

Das Planf in Kunst und Kultur

Im Herbst 2003 führte die Frankfurter Rundschau ein wöchentliches, nur in Hessen beiliegendes Veranstaltungsmagazin mit dem Titel plan.F ein – Anlaß genug für ein Gespräch mit Eckhard Henscheid über diesen bedeutenden Schritt für die deutsche Sprache.

Es gab im Deutschen bisher nur vier Wörter mit der Endung »nf«: Senf, Genf, fünf, Hanf. Jetzt gibt es ein fünftes: plan.F bzw. planf, mit oder ohne Punkt. Oder auch als Substantiv: Planf.

Ja, man hat planf erfunden, damit fünf selbstreferentiell wird. Jetzt sind’s fünf Wörter, mit dem Wort fünf. Vorher stimmte das irgendwie nicht. Fünf stand ja für vier Wörter. Was die Reimbarkeit betrifft, sieht’s natürlich furchtbar aus. Es reimt sich bisher eigentlich nur Genf auf Senf – »Genf? / Was soll der Senf?!« –, im Unterschied zu Bern: »Bern? / Aber gern!« Im Stepulat, dem Reimlexikon, kommt die Endung »nf« gar nicht vor.

Die phonetische Einheit »nf« ist nicht reimfähig?

Nein, weder die Silbe »anf« noch die Silbe »enf« kommt vor. Das »nf« ist offenbar eine Quantité négligeable. Das ist schade, denn es ist doch eine sehr charakteristische, eindrucksvolle Schlußwendung. Auch mehrsilbige Wörter würden gut damit fahren. Um so notwendiger ist es deshalb, daß nun planf auf uns gekommen ist.

Du begrüßt also seine Einführung?

Ja, im Gegensatz zu Fraport [für: Frankfurter Flughafen, äh: Frankfurt Airport]. Planf wird sich aber noch besser durchsetzen als Fraport. Die Reime, die sich anbieten, sind natürlich noch nicht gar zu zahlreich. Aber in der Stadt Goethes, der ja auch etwas unrein gereimt hat – Neige auf Schmerzensreiche im Faust –, kann man planf, je nachdem, wie man will, auch gut reimen: »Planf / macht Dampf.« Oder wenn man ein Feind von plan.F ist: »Planf / ist ein Krampf.«

Würdest du der Rundschau den ersten Reim für Werbezwecke zur Verfügung stellen?

Für fünf Euro ist die Rundschau dabei.

Für mich klingt planf ein bißchen morastig, nicht sehr einladend.

Nein, das muß ich ablehnen. Morastig klingt eher Sumpf, so daß also plumf morastig klänge. Planf ist ein außerordentlich einleuchtendes Wort. Im ersten Teil tritt eindeutig der Plan hervor – es geht um einen Wochenplan, es steht zur Sicherheit auch noch drüber –, und mit dem »F« ist ganz offenbar Frankfurt gemeint, davon bin ich überzeugt. Wenn nicht sogar die Frankfurter Rundschau.

Du empfindest planf also nicht als fünftes Wort am Wagen der deutschen Sprache?

Ich lasse es durchgehen, fast ohne Zögern.

Deine Werkausgabe, die letztes Jahr gestartet wurde, ist mit den gerade erschienenen zwei Bänden Erzählungen auf fünf Bände angewachsen.

Das wurde quasi synchronisiert. Im Zuge dieser Synchronisation hat sich jedoch, um aufs Reimproblem zurückzukommen, noch nicht ganz der Gleichklang bzw. fast reine Reim »Henscheid / Menschheit« durchgesetzt. Henscheid ist das einzige Wort, das sich auf Menschheit reimt. Darauf haben mich die Bürger draußen im Lande hingewiesen, die noch weiter denken als ich.

Werden wir die planf-Reime in der Werkausgabe wiederfinden, die ja bei Zweitausendeins erscheint, in einem Haus, das auch etliche Hanfbücher verlegt?

Das kongruiert mit meinen Plänen. Ich hab’ aber noch einen Grund, meine zwei Reime zu verwenden. Der für den nächsten Herbst vorgesehene Band »Lyrik/Drama« kann noch etwas Stoff gebrauchen. Und wenn man das mit der beliebten Publikumsbetrügerei verbindet, daß man mit einem Zweizeiler eine ganze Seite vollmacht, wären mit den zwei Reimen schon zwei Seiten völlig gefüllt. Das tut der Werkausgabe sehr gut.

Das Wort planf hat sich als lyrikfähig erwiesen. Wäre eine Romanfigur vorstellbar, die Planf hieße?

Bei Böll nicht. Der war mehr für einen Namen wie Holzpuke zuständig. Der späte Thomas Mann hat vor keinem Namen zurückgeschreckt, bei dem wär’s drin gewesen. Plan.F ist trotzdem eher ein Beckettscher Name, aber dann vielleicht doch ohne den Punkt. Und zu Ror Wolf würde er gut passen. Ror Wolf schätzt Namen wie Wurbs, Wumpf, Klomm und Klamm. Man sollte ihn darauf aufmerksam machen. Ich trete Planf dann gerne ab.

Meines Wissens kommt das Wort Genf in deinem Werk nur einmal vor, in »Spitzentelefoneur Möllemann«.

Nein, ich war sogar mal in Genf, um den Platz zu studieren, wo Sisi ermordet wurde und später Barschel zugrunde ging. In einem kleinen Text dazu kommt dann Genf tatsächlich vor, also immerhin zum zweitenmal. Der Senf ist allerdings auch noch ein bißchen mager vertreten, was sich vielleicht ändern könnte. Der Dichter Martin Mosebach, den ich ab und zu treffe, nimmt gerne Senf zu seinen Snacks. Das könnte Folgen haben für meine Arbeit. Während ich von der Hanfkultur, trotz verlaglicher Koinzidenzen, nicht so sehr tangiert bin.

Es steht ja fast zu vermuten, daß die Rundschau mit plan.F eine Planfkultur begründen könnte.

Auch dagegen ist nichts zu sagen, wo die Witwe Unseld-Berkéwicz jetzt als neueste Kultur und anstelle der »Suhrkamp-Kultur« die »Unseld-Kultur« ausgerufen hat. Da kann die Planfkultur ruhig auch noch kommen.

Welche Zukunft prophezeist du dem Wort planf?

Eine planvolle Zukunft, aber mit »f« geschrieben. Eine planfolle Zukunft.

Wegwerfliteratur

Vergessen und zum Vergessen ist, betrachtet man die Geschichte der bundesdeutschen Literatur, vieles; viel Modisches, Konjunkturelles, einstmals Wegweisendes oder einfach – ob manifesthaft lanciert oder kulturbetrieblich initiiert – Trendbegründendes, eben Maßstäbe Setzendes und vorgeblich Maßgebliches.

Da beginnt sich z. B., in Abkehr wohl von jener Literatur, die laut Thomas Mann mit »Blut und Schande« befleckt gewesen war, nach 1945 rasch ein wahrer Berg an naturlyrischen Impressionen aufzutürmen, von Elisabeth Langgässer über Peter Huchel bis Karl Krolow, während das epische Fach parallel die bald zur Konfektionsware verkommene »kafkaeske Unterwelt« (Peter J. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte – Vom »Ackermann« zu Günter Grass, Tübingen 1996) aus dem Fundus zerrt, angeheitert resp. eher angereichert durch allegorischahistorische Symbolsysteme usf. (Hans Erich Nossack und v. a., als noch heute virulenter Oberschmarren: H. Hesse) – bis zirka 1948 oder wann der bekannte Sartre-Existentialismus Einzug hält und endlich auch die Kurzzeittradition des W. Borchertschen Trümmerheimkehrtheaters aus dem Feld schlägt. Und als erste wirklich kulturmächtige Modeerscheinung allzu lange Einfluß auf Denken und Kleiderordnung ausübt – aber heute zum Glück restlos ad acta gelegt ist.

Allein, ein neuer Zug der Zeit fordert quasi simultan die Erfindung und Einrichtung der Gruppe 47 (hervorgehend aus Hans Werner Richters und Alfred Anderschs Zeitschrift Der Ruf), die in der Folge allerhand angesagtes Textgerümpel gebiert oder fördert; etwa, das lehrt uns dann sehr anschaulich der siebenbändige Zweitausendeins-Reprint der Zeitschrift Akzente (Hanser Verlag, Jahrgänge 1954-1973), Wolfgang Weyrauchs »Kahlschlag«-Gesumse, kulminierend in Günter Eichs Simpellyrik, oder Ilse Aichingers »magischen Realismus« (Brenner) und I. Bachmanns närrisches, Langzeitfrüchte tragendes Bramarbasieren. Weshalb auch schon Böll, Grass und, ein wenig zögerlicher, S. Lenz aus den Startlöchern heranrücken und, barock oder knallhart konventionell realistisch erzählend, fürderhin nicht mehr weichen möchten. Was sie für uns hier doppelt uninteressant macht.

Weitgehend vergessen hingegen: das biographisch-geschichtlich aufgeladene, dominante Romantreiben der mittleren fünfziger Jahre (Koeppen, Andersch etc.). Hans Helmut Kirst, den kennt wahrlich niemand mehr, schiebt jedoch die erneute und zyklenbedingte Abkehr vom Kriegsthema an, verkauft seine 08/15-Trilogie erschreckend oft und: darf als Gott sei Dank komplett vergessen gelten.

In der Versenkung und aus den Buchläden verschwunden sind leider weder Martin Walsers süddeutsche Eheschmonzetten noch Rolf Hochhuths neoklassizistische Politkitschkostümfestivals. Beide dienten und dienen den geplagten Schülern noch heute als ragende Beispiele »der Vergangenheitsbewältigung« und der »Vermessung der neuentstehenden bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft« (Brenner), welche ihrerseits unweigerlich in die sechziger Jahre hineinwuchs, in denen es langsam, aber sicher immer turbulenter, modisch rasanter, wechselhafter, ja kritischer und demzufolge aufgeregter zuging.

Bevor rund um Hans Magnus Enzensbergers 1965 aus der Taufe gehobenes Kursbuch (Suhrkamp Verlag) eine Novität nach der anderen festgezurrt wird (Heft eins startet noch mit dem Versprechen, keine verbindlichen Meinungen über Bücher u. ä. ausbläken zu wollen: »Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen«, und man hievt aber rasch den Strukturalismus und z. T. die zeitweise ganz vorne agierende Noveau-Roman-Fraktion der Kölner Schule aufs Papier – liest das noch jemand? Irgendein Paderborner Prof. wenigstens?), darf erst mal die Dokumentarliteratur, d. i. im wesentlichen Peter Weiss und Heinar Kipphardt, ran, gar nicht mal völlig verkehrt – sieht sich jedoch schnellstens übertrumpft durch eigentlich bereits ein bißchen früher die ausgeweitete literarische und allgemeine Öffentlichkeit in Beschlag nehmende Schulen, Innovationen und fashionable Strömungen.

Die Konkrete Poesie machte da mit ihrem Programm der Befreiung der Sprache von der Funktion, außerkünstlerische Sachverhalte zu repräsentieren, eine rühmliche Ausnahme. Die verschiedenen Zirkel, die, rekurrierend auf die De-Stijl-Gruppe und avantgardistische Techniken, Demanipulationsstrategien entwickelten, um durch den »Bruch mit der grammatikalisch-kontinuierlichen Mitteilungsfunktion der Sprache« (Christina Weiss: Konkrete Poesie als Sprachkritik, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 10, hrsg. v. Ludwig Fischer, München/Wien 1986) die Semantik, die Syntax und die Lexik der zweckrationalen Zurichtung zu entwinden, besaßen zeitweilig nicht geringes Renommee. Ihre Interventionen blieben allerdings langfristig folgenlos. Der »Sprache nach Auschwitz« (Chr. Weiss) setzte Franz Mon entgegen: »Sprache, diese angefochtene, zermürbte Sprache als ›Material‹ nehmen, wobei auch ihre Erinnerung und die Spuren ihres Geschicks mitzählen, um vielleicht im skeptischen Umgang mit ihr der Möglichkeiten inne zu werden, die noch immer und vielleicht gerade auf Grund ihrer erschreckenden Geschichte bestehen.« Und während Helmut Heissenbüttel u. a. vermöge der funktionellen Organisation des Lautmaterials, isomorpher Wortkonstellationen und graphischer/akustischer Topologien die Konzentration auf die unreglementierte Gegenständlichkeit der Sprache zu richten versuchten und das »Aufbrechen einer Sperre« (Heissenbüttel) im Auge hatten, nämlich »modelle für neue verbale libertinagen« (Oswald Wiener), offene, spielerische Kunstgebilde als »Verweigerungsgeste[n] an die geläufige Kommunikationsmaschinerie« (Chr. Weiss), ja »das Trainingsfeld ›Kunst‹ als mögliche Einübung in den Aufstand« (dies.) begriffen (Mon sprach von Texten, die »sich nicht [...] verwerten lassen«, die »die Möglichkeit des Protestes, des Anders-Seins, der Nichtzwangsläufigkeit« entwarfen) – lärmten im Zuge der Politisierung der Literatur diverse Fraktionen um die Palme des aktuellsten Gockels.

 

Seit 1961, wie auf Verabredung eines neuen Jahrzehnts, gaben sich die genuinen Torheiten die Türklinken in die Hand. Mit dem Kursbuch 15 (November 1968) sollte zwar nach dem Tripeldiktum der Herren Yaak Karsunke, Karl Markus Michel und Enzensberger der »Tod der Literatur« besiegelt sein und eine neue Epoche gleichwohl für nicht »nutz- und aussichtslose« Gedichte, Erzählungen und Dramen anbrechen, allein, den »Aufruf zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung der Literatur« (Brenner) hatten bereits Jahre zuvor die Dortmunder in sich selbst hallend vernommen oder aus der Gesellschaft herausgelauscht. Als nachholend fortschrittliche Reaktion auf die erste Bitterfelder Konferenz im April 1959 (die eine wahre sozialistische Betriebsliteratur zum DDR-Kulturziel erkor) gründete Fritz Hüser, Leiter der Dortmunder Stadtbüchereien und Verwalter des Archivs »Arbeiterdichtung und soziale Literatur«, den ersten Zirkel jener baldigen Gruppe 61, die bis zu ihrer schismabedingten Auflösung 1972 die »Literaturrevolution« (L. Fischer) vorbereitete – den Weg mithin ebnete für die definitiven Attacken auf die bürgerliche Kunst, den bürgerlichen Literaturmarkt und die »Kunstliteratur« (Fischer) überhaupt.

Heute nimmt die Zeugnisse »einer politisch eingreifenden Arbeiterschreibkultur« (Gundel Mattenklott: Literatur von unten – die andere Kultur, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur [...], Bd. 12, hrsg. v. Klaus Briegleb/Sigrid Weigel, München/Wien 1992) niemand mehr zur Kenntnis. Was dort insgesamt und beispielsweise unter der Führung eines Peter Schütt (Sektion Hamburg) und mit tatkräftiger Unterstützung Wallraffs, Erika Runges oder Angelika Mechtels sowie gewerkschaftlich gefördert zusammengeschraubt wurde, rechtfertigt weiß Gott großräumigstes Verdrängen. Zu Beginn tauschten die Werkkreise Literatur der Arbeitswelt Bergmannsgedichte und sonstige soziale Lyrik aus (ein Sammelband hieß Wir tragen ein Licht durch die Nacht, die erste öffentliche Lesung lief am Karfreitag 1961 vom Stapel), dann folgten über den hochproletarischen Luchterhand Verlag Anthologien epischer Art, Gesprächsaufzeichnungen, Protokolle, Betriebstagebücher, Montagen und Flugblätter eingeschlossen, angelehnt an die operative Faktographie Tretjakows. Max von der Grün witterte die Gunst der Stunde und publizierte im Kielwasser der »lebendigen Schreibbewegung« (Mattenklott) das Romandebüt Männer in zweifacher Nacht (1962), und G. Wallraff kam dem Postulat, »die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Arbeitenden zu verändern«, durch die unsterblichen 1966er Reportagen Wir brauchen Dich – Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben nach, gemäß seiner ziselierten Losung: »Wir wollen nicht Literatur als Kunst, sondern Wirklichkeit.«

Eine »parteiliche, realistische Literatur, die ›schön, unterhaltend, spannend, komisch, pointiert, kräftig ausgemalt, zupakkend, einfach, nicht vereinfacht‹ ist« (Werkkreis-Lektorat), klang so: »Wenn ich noch mal zur Welt komme, dann nur als rotes Lämpchen, da weiß jeder, wer ich bin und was ich bedeute.« Das Kapital schrieb sich solche artistischen Widerstandshandlungen gegen Isolation, Krankheit, Entfremdung kaum hinter die Ohren, geschweige denn der Lohnsklave – so daß nach dem zehnjährigen Intermezzo Dieter Süverkrüp lieber die kindliche »Vision eines menschenfreundlichen Schwimmbads« (Mattenklott) ersann, um von der Beatnik-Rezeption (Kerouac, Burroughs, Ginsberg etc.) eingeholt und von Rolf Dieter Brinkmanns Undergroundoffensive (Acid, 1969, zus. mit Ralf Rainer Rygulla) vernichtend ins Abseits verwiesen zu werden.

Nun, die Poprevolte der »Scene« grub abermals eine »veränderte Dimension des Bewußtseins« (Brinkmann) aus, diesmal mehr aus Comic-, Porno-, Werbungs- und LSD-Perspektive bzw. Antrieben »der Anal- und Geschlechtssphäre« (Mattenklott). Trumpf ist jetzt: »das Vorzeigen der Persönlichkeit«, der »versinnlichte Ausdruck«, die hybride, vor Versatzstücken wimmelnde und schillernde »Ästhetik der Oberfläche« (Brinkmann), das Selfmadegebaren des »androgynen Dilettanten« (Mattenklott), der »Wegschmeißliteratur« (Jost Hermand) für den Augenblick des Lebens als Kunstwerk verfertigt.

Daß diese gruppeninszenatorische, fahrige Literatur Nachahmer fand, verwundert nicht. Die »Wachsmatrizenkultur« der Selbstverlegerei griff um sich und schuf Myriaden von Social-Bier-Beat-Poemen und Arnfried Astelschen Epigrammen (zu besichtigen später bei Zweitausendeins). Zugleich sickerte der narzißtische Kult um Herbert Marcuses Außenseiter, Verweigerer und Randexistenzen in anarchistische, esoterische und ökologiebewegte Milieus ein, letzthin konsequent einen Gipfel zu erklimmen, den man kaum benennen möchte: das pazifistisch-lyrische Bekenntnis (Gedichte gegen den Krieg, Zweitausendeins, u. a. m.).

Weil das nicht reichen sollte, stürmte ab 1973 hinwieder ein allgemeines Faible zur »Neuen Subjektivität« heran, welches die Gebrauchstexte in immer neuen Varianten um die gewissermaßen kunstvollere Dimension der genuinen Erzählung, die irgendwelche Studentenrevolutionserfahrungen »verarbeitete«, ergänzte. Zu erwähnen wäre Peter Schneiders Prototyp Lenz (1973) und besser sofort abzuhaken; weshalb das große Sichfreischreiben, angefüttert vom nagenden »Erfahrungshunger« (Michael Rutschky), die Themen Ehe, Haushalt, Homosexualität erschloß, stets in Tuchfühlung zum virulenten Werther-Paradigma der Trennungsgeschichte, des Suizids und freilich der »Utopie der Unbestimmtheit« (Rutschky), die sich aus der »Innenwelt der Außenseiter« (Mattenklott) ergoß. Schreibgruppen stießen die »Verständigungstexte« (so lautete ein großartiger Reihentitel des nimmermodischen Suhrkamp Verlages) an, und bundesweit wurden »Treffen schreibender Frauen« einberufen.

Deren Wirken gedieh bereits auf dem Humus einer »Literatur als Therapie« (erkannte u. a. der Schweizer Adolf Muschg), die neben einer »Literatur der Fremde« und einer gleichfalls allseits präsenten Häftlingsliteratur seit 1971 die Frauenbewegung eskortierte, gehorchend gewissermaßen dem Suhrkamp-Einpeitscher Hans Christoph Buch, dessen radikale Selbstbeschau vom »Hervortreten des Ichs aus den Wörtern« hinein in den Schleim namens Bericht aus dem Inneren der Unruhe (1979) reichte.

Erika Runges Reportagen Frauen – Versuch einer Emanzipation jedenfalls trugen die frühe Fackel und überreichten den Staffelstab, Ingeborg Bachmann beiseite gelassen, an Vera Stefans Häutungen (1975). »Als ›Feministin‹ profilierte sich in diesen Jahren, wer, wie z. B. [Alice] Schwarzer, der Kategorie des ›Geschlechts‹ vor der der ›Klasse‹ den Vorzug gab« (Sigrid Weigel: › Frauenliteratur‹ – Literatur von Frauen, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur [...], Bd. 12) und einen »weiblichen Ort« oder, besser, eine »weibliche Subjektivität« als Spezifikation eben des Trends zur Neuen Subjektivität entwarf. Im Zentrum stand vornehmlich die Frage nach der »kulturellen Konstruktion der Geschlechterverhältnisse«, der »Sprachregelungen und Blickinszenierungen« (Weigel). Zunächst dominierten die ungebrochene Introspektion und eine Poesie der »kleinen Sprache« (Ilse Aichinger), ab Mitte der Siebziger tat die Entdeckung des Poststrukturalismus (Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray) das Ihrige, um den Slogan »Das Private ist politisch« über etwaige »Frauenoffensiven« und Buchreihen (»die neue frau«, Rowohlt Verlag) vom aufklärerischen Impetus meinethalben selbst eines Balges wie Karin Strucks inkommensurablen Romans Klassenliebe (1973) oder Margot Schröders Ich stehe meine Frau (1975) ins sexualpolitische Dekonstruktionsverfahren umzubiegen und die »Arbeit an einer Dezentrierung des Subjektbegriffes« (Klaus Briegleb) voranzutreiben. Neben Elfride Jelineks späterer Klavierspielerin (1983) stach die »topographische Darstellungsweise« in oder aus Gertrud Leuteneggers Roman Vorabend (1975) oder Birgit Pauschs recht vergessenem Buch Die Verweigerung der Johanna Glauflügel (1977) hervor (den sog. »semiotischen Körper« zerpflückten ebenso geflissentlich Anne Dudens Übergang, 1983, und Maria Erlenbergers Hunger nach Wahnsinn, 1977); was nicht verhinderte, daß parallel die »autobiographische Mode« die »Tradition des Bekenntnisdiskurses« fortsetzte und gar eine Luise Rinser mitwursteln konnte und Den Wolf umarmen (1981) in die Runde spendierte. Zehn und ein paar Jahre danach vorläufig enden mußte das alles bei Hera Lind, Gaby Hauptmann und anderen Proseccodamen des Fischer Verlags und des Hauses Reclam Leipzig.