Die Poesie des Biers 2

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Abhocken

Wenn es einer Kneipe, einer Wirtschaft in Frankfurt gegönnt sei, daß wieder mal und im Zuge des neuen deutschen Wirtschaftswunders etwas nachdrücklicher das sauerst verdiente Geld in sie hineingetragen wird, dann der an der anheimelnd mit allerlei Laubbäumen prunkenden Frankenallee gelegenen Zeitungsente.

Von ihren älteren Tagen, als das blitzsauber Wohligkeit gewährende Etablissement noch vis-à-vis residierte, an der Ecke Frankenallee/Hufnagelstraße, wo Gunter Sare zu Tode kam, zeugen die schönsten Geschichten rund um praktisch nie endende Chaosaktionen der Stammgastmannschaft. Gleichwohl, auch damals schon war die Zeitungsente genausosehr ein Hort des gedankenfreien Verweilens, der buddhabräsigen Gammelmeditation und des guten Essens, das vor allem zur Mittagszeit allerlei Pressemenschen zu achten und zu genießen nicht sich scheuten.

Im März 2003 zog das vom ehemaligen Fußballprofi Rasha Marinkovic 1989 der Welt geschenkte Lokal um, ins Haus Gallus. Geändert hat sich damit nichts oder doch einiges. Die Zeitungsente hat sich von einer granitehrlichen Eckkneipe in ein formidables, großräumiges Barrestaurant verwandelt, in dem aber nach wie vor – zumal am Tresen – rhetorisch hochgewandte Zeitgenossen recht regelmäßig zugange sind, um eine leibhaftige Mainzer Fußballgröße wie Michael Thurk vollzuschwallen, das Spiel selbst zu gucken oder eines der exquisiten Gerichte aus der dezidiert international orientierten Gourmetküche zu verdrücken.

Da abzuhocken, und sei’s an einem der schläfrigeren, kalmierenden Tage, oder auf der Terrasse zur Straße hin, das hilft allemal, die röhrend dumme Welt zu vergessen und zu merken, worauf es im Leben ankommt: auf ein Bier, eine bekömmliche Mahlzeit, einen sympathischen Wirt und auf ein – leider durch undurchschaubare personalpolitische Dauerrotationen ununterbrochen durcheinandergewirbeltes – Damenbedienungsteam, das ein paar Gedanken auf Trab bringt.

In »Kamerun«, wie das Gallusviertel einst genannt ward, gibt es eine Oase. Dort sich zu laben ist ein Gebot der Vernunft und der Lebenskunst. Und zwar jeden Tag aufs neue.

PS: Im Vorwort zur zweiten Auflage der Poesie des Biers (Münster 2010) habe ich »auf das konservatorisch-eschatologische Moment von Literatur« verwiesen. Ich muß es auch an dieser Stelle tun. Die Zeitungsente existiert nicht mehr.

Konrad Duden, Oskar Werner und

Dr. Potthoft

Von Marco Gottwalts

Ehrendes Gedenken

Profunde Kenner der Sesamstraße verbinden vielleicht noch etwas mit der Figur des Alphabet-Jens. Die Geschichten rund um die witzige Puppe spielten im imaginären Wilden Westen, wo die bloße Nennung seines Namens Angst und Schrecken verbreitete. Denn er war der schnellste Alphabetaufsager jenes gesamten Wilden Westens. Betrat er den Saloon, verstummte das Klavier, und es herrschte atemloses Schweigen.

Er gewann jedes Duell spielend. Während andere noch überlegten, welcher Buchstabe auf das C folgt, hatte er bereits das R hinter sich gelassen und formte das S mit seiner flinken Zunge. Der Clint Eastwood unter den Alphabetaufsagern also – pistolenkugelschnell und gnadenlos präzise.

Was jedoch die wenigsten wissen, ist, daß der lustige Name Alphabet-Jens eine dreiste Anspielung auf Konrad Duden ist, der zu seinen Lebzeiten von seinen Freunden und Arbeitskollegen liebevoll »Buchstabier- Konni« genannt wurde.

So lautet zumindest die offiziell überlieferte Schreibweise. Auf dem Sterbebett hat nun jedoch Karl Heinz Schibulski, Lieblingsenkel von Dudens engstem Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Schibulski, noch flugs seine Lebensbeichte abgelegt und der erschüttert dreinblikkenden erbgeilen Mischpoche eröffnet, daß Duden ob seiner Neigung zu übermäßigem Gerstensaftkonsum tatsächlich als »Buchstabier-Konni« verschrieen war – eine Nachricht, die, was wohl leicht nachvollziehbar ist, die bisher weitgehend als gefestigt geltende Duden-Forschung in ihren Grundfesten erschüttert hat.

Eine Neufassung großer Teile seiner Biographie erscheint somit unausweichlich. Und so lag es nicht nur nah, sondern es verlangte sogar zwingend danach, die frühere Philologen-Schänke in Berlin nach ihrem wohl berühmtesten Stammgast zu benennen: Duden-Schänke.

Um nun zu überprüfen, ob diese historische Verantwortung vom dortigen Fachpublikum auch angemessen gelebt wird, begab ich mich zum Ortstermin und traf sorgfältig meine Feststellungen. Im Ergebnis darf ich ausführen, daß das Wissen um das Erbe des großen Namensgebers allenthalben mit Händen zu greifen und insofern nicht zu beanstanden ist. Was das BuchstaBieren angeht, macht den Insassen hier so schnell keiner was vor. Alphabet-Jens muß sich warm anziehen.

*

Der berühmte Schritt zu spät

Als geborenes Landei mit entsprechend derb-bäuerlicher Sozialisation bin ich ein Freund des Faktischen und der Eindeutigkeit. Schnickschnack und Rumgedöns sind meine Sache nicht. Und so ist es auch kein Wunder, daß ich in den Tagen, als mein Körper noch etwas geschmeidiger und leistungsfähiger war, Sportarten mit »Hand und Fuß«, nämlich Hand- und Fußball ausübte. Und in beiden Disziplinen führten mich meine Talente an die vorderste Front. Im Handball bekleidete ich die Position des robusten Kreisläufers und im Fußball die des Mittelstürmers klassischer Gerd Müllerscher Prägung: Zack – bumm – Tor! Zu Recht wurde mir die Fähigkeit zugesprochen, dorthin gehen zu können, wo’s weh tut – wie man so schön sagt.

Meine Amateursportlerkarriere hat inzwischen ihr Ende gefunden. Doch sollte ich deshalb auch meine hervorstechenden Talente einmotten? Keinesfalls, denn auch der elefantengraue Alltag spart nicht mit Herausforderungen, in denen eine Portion Unerschrockenheit und Unempfindlichkeit durchaus von Vorteil ist.

Nehmen wir zum Beispiel den Gastronomiebetrieb Kronprinzen-Eck im Frankfurter Bahnhofsviertel. Allein der Name des Instituts wird die empfindsamen Gemüter unter euch zweifellos erschaudern. Anders verhält es sich beim furchtlosen Verfasser dieser Zeilen. Selbstbewußt wie Chuck Norris näherte ich mich der bereits äußerlich wenig einladenden Spelunke und war auf alles gefaßt. Und ich sage euch: Alle denkbaren Befürchtungen waren »hundert Pro« gerechtfertigt. Die literarisch zu Weltruhm gelangten »schwankenden Gestalten« versuchten sich auch hier wieder irgendwo festzuhalten. Was nicht immer gelang – weder in der, wie wir wissen, Tragödie erster Teil noch in der hier in Rede stehenden Fortsetzung. Wer sich nun interessehalber näher mit der Atmosphäre in derartigen Etablissements beschäftigen möchte, dem sei an dieser Stelle die Lektüre von Jörg Fausers Erzählung Alles wird gut anempfohlen. Dort steht’s geschrieben.

Erzählenswert ist meinerseits aber doch noch, daß die sehr herbe weibliche Thekenkraft den bestellten Schnaps in einem Wasserglas servierte. Meinem erstaunten und fragenden Blick folgte sogleich die Erklärung: »Die Schnapsgläser habbe’ se uns gestern all’ kabbuttgeschmisse’.« Verdammt, offenbar war ich einen Tag zu spät dran. Und da schließt sich der Kreis wieder. Der Schnellste war ich auch beim Hand- und Fußball nie.

PS 2013: Das Kronprinzen-Eck gibt es nicht mehr.

*

Eisiges Schweigen

Nach meiner Wahrnehmung ist der männliche Vorname Alfons nicht mehr besonders en vogue, obwohl er – im Gegensatz zu Adolf – überhaupt nicht negativ besetzt ist. Vorbei die Zeiten, in denen fast ein jeder einen Onkel Alfons vorzuweisen hatte, welcher in den Erzählungen seiner unzähligen Nichten und Neffen stets in seiner Paraderolle als durch nichts zu erschütternde Stimmungskanone mit zwerchfellzerberstendem Lachen aufzutreten pflegte. Selbst die traurigste Beerdigung nach einem plötzlichen Kindstod wurde durch die Anwesenheit des lustigen Oheims in den Rang einer straßenfegenden Samstagabendunterhaltungsshow erhoben; natürlich nicht im Sinne der aktuellen Dschungelcamp- oder Pöbel-Casting-Nabelschauen, sondern der guten alten Fernsehunterhaltung mit Kuli, Frankenfeld oder Carrell, in der noch bunte Sträuße froher Melodien gebunden wurden und/oder sich sechs Kandidaten aus sieben Ländern ein Stelldichein beim Wein gaben. Soweit die gängige Onkel-Alfons-Legende.

Mir war ein solch amüsanter Onkel Alfons nicht vergönnt. Doch damit nicht genug. Der einzige Alfons, der mir namentlich bekannt war und ist, trägt den Nachnamen Berg. Vom Berg zum Gipfel ist es glücklicherweise nicht weit, so daß mir der listige Einschub der folgenden Begebenheit auf besonders geschmeidige Art und Weise ermöglicht wird, denn es war tatsächlich der sprichwörtliche Gipfel, was sich besagter Alfons Berg am 16. Mai 1992 gestattete. Es war der letzte Spieltag der Fußballbundesligasaison 1991/92, und zwischen Hansa Rostock und Eintracht Frankfurt stand es 1:1. Der Frankfurter Eintracht, die unter dem damals als Voodoo-Trainer vergötterten Dragoslav »Stepi« Stepanović den »Fußball 2000« zelebrierte, fehlte noch ein Tor zur Meisterschaft. Und es war greifbar nah. Als nämlich Ralf Weber eine knappe Viertelstunde vor Schluß mit dem Ball am Fuß resolut wie ein Panzer in den Strafraum Richtung Rostocker Tor marschierte, haute ihn der Rostocker Verteidiger, deutlich erkennbar für ganz Fernsehdeutschland und jeden Stadionbesucher, sauber von links um. Klarster Elfmeter seit Erfindung der Kloßbrühe! Dachten alle. Alle außer Alfons Berg. Er pfiff nicht – und es kam, wie es kommen mußte: Kein Triumph, keine Meisterschaft – statt dessen ein solides Trauma, an dem die Eintracht-Fangemeinde noch heute keinen Knabberspaß hat. In der seinerzeit sehr bekannten und deshalb sehr überfüllten Frankfurter Fußballkneipe, in der ich das Ereignis verfolgte, herrschte nach dem denkwürdigen Spiel naturgemäß eine atmosphärische Eiseskälte, die es locker mit dem Kriegswinter 1942/43 hätte aufnehmen können.

 

Im depressiven Ambiente der Kneipe Zum lustigen Alfons wähne ich mich fröstelnd in oben geschilderte Situation großer Fußballdepression zurückgeworfen. Der Schaum auf meinem Bier beginnt sich langsam in ein Sorbet zu verwandeln. Besonders lustig ist hier nichts. Eher mutet die Stimmung an, als hätte man soeben der Berliner Hertha die Lizenz entzogen und sie aus der Bundesliga in die Kreisklasse C zurückgebombt. Verzweifelt kämpft die erschöpfte Thekenrumpftruppe – von der Photogalerie der längst gefallenen Stammgäste kritisch beäugt – gegen die augenscheinlich ausweglose Lage an. Offenbar lautet der unsinnige Befehl, die Kneipe unter allen Umständen zu halten.

Bei objektiver Betrachtung kann der hiesige Oberbefehlshaber aber nur einen besonders frivol ausgeprägten Sinn für Humor haben; letzten Endes wäre der Name des Etablissements dann doch passend gewählt. Doch was, wenn er gar nicht Alfons hieße? Böse Zungen behaupten, er habe sich bereits vor einiger Zeit in seinem von der dortigen Truppe liebevoll »der Bunker« genannten Bierkeller verbarrikadiert.

*

Reim dich, oder ich grill’ dich

Die Liebe des Berliners zu gereimten Verbraucherhinweisen hat mich schon immer begeistert. Gerne erinnere ich mich an die mindestens eines Ingeborg-Bachmann- Preises würdige Werbekampagne des Verdauungsförderers Bullrich Salz, in der es hieß: »Selbst der Jäger aus Kurpfalz / nimmt nach dem Essen Bullrich Salz.« Oder: »So wichtig wie die Braut zur Trauung / ist Bullrich Salz für die Verdauung.«

Und da es sich wohl um eine megakraß erfolgreiche Kampagne gehandelt haben muß, witterten die damaligen Betreiber des hier zu beschreibenden umsatzhungrigen Imbisses eine Chance und besannen sich ihrer rudimentären Deutschkenntnisse und ihres Sprachgefühls – und legten ein flottes Gedichtchen hin, das sich verdammt ordentlich gewaschen und gekämmt hatte.

Zur Förderung des Curry-Buletten-Umsatzes wurde der folgende Sinnspruch zusammengebrutzelt, der mich auch heute noch zu – aus der Sicht Außenstehender: unverhältnismäßigen – Jubelstürmen hinreißt. Ähem, also, er, äh, lautet: »Lecker schmecks’ bei Jürgen und Gitti, / unser Grill ist leicht zu finden. / In Neukölln-City.«

Obwohl mir das vermutlich keiner glaubt, möchte ich betonen, daß dies – ohne Scheiß – die Originalschreib- und -zeichensetzungsweise ist. Zum Beweis führe ich eine liebevoll gestaltete »Visitenkarte« des Unternehmens an, die ich über die Jahre sorgsam aufbewahrt und gepflegt habe und die ich bis zu meinem hoffentlich noch fernen Lebensende niemals nicht weggeben werde.

Leider sind Jürgen und Gitti hier gelebte Geschichte. In der Folge übernahm ein unscheinbarer schmaler Mann aus einem mir nicht näher bekannten Staat, der vermutlich der Konkursmasse der ehemaligen Sowjetunion zugeschlagen werden kann, die Brat- und Grillgeschäfte. Erinnerlich ist mir aus dieser Epoche lediglich, daß ich interessierter Beobachter einer hollywoodreifen Schutzgeldübergabe an zwei Zweimeterschränke in Ledermänteln sein durfte, was aber anscheinend keinen der Gäste zu kümmern schien, schon gar nicht den legendären Stammgast Dr. Potthoft, der sich mir als Sachverständiger in Transferleistungsfragen vorstellte.

Heutzutage erinnert wenig an die glorreichen Zeiten. Außenansicht und Inneneinrichtung wurden einer Moderni- und Dönerisierung unterzogen, Bier, Bulette und Currywurst von Tafelwasser, Döner und Pizza beerbt, und auch die Fähigkeit zur schriftlichen Wohlformulierung von Konsumanreizen ist in meinen Augen deutlich eingeschränkt, es sei denn, man entdeckte in »Wir verwenden kein Schweinfleisch« literarisches Potential.

So bleibt mir nur noch das Fazit: »Wenn man nicht gerade oben drüber wohnt, / ein Ausflug in den Wildenbruch-Grill sich nimmer lohnt.«

*

Bei Oskar Werner gegenüber

Wer’s glaubt, wird selig. Dampfplauderer. Könnte er gedacht haben. Hat er vielleicht auch. Was nachvollziehbar wäre.

Ich hatte den Inhaber der hier zu lobenden Einrichtung (Herrn Stefan Kreidl, wie ich nun recherchiert habe) – von einigen Bieren, insbesondere belgischer Provenienz, beseelt – wohl etwas zu überschwenglich gelobt: wie gut mir sein Ladengeschäft, seine unerwartet große und hochwertige Bierauswahl gefallen und natürlich wie gut es mir geschmeckt habe. Zuletzt, als ich dann schließlich doch ging, avisierte ich ihm auch noch, daß ich das alles an geeigneter Stelle zu würdigen und zu verlautbaren beabsichtigte.

Das muß man sich mal vorstellen: Da kommt ein unrasierter, nachlässig gekleideter Deutscher mit verschwitzter Batschkapp daher, entscheidet sich, nach fachkundiger Beratung und der Tageszeit (später Vormittag) entsprechend, zunächst für ein Trumer Hopfenspiel, im Anschluß für ein Hubertus Herrnpils, um sich dann, als hätte er nichts Redliches zu tun, mit einigen Leffe Brune vom Faß den Nachmittag zu vertreiben. Und solch ein suspekter Tunichtgut sollte seine kaum ernstzunehmende Kundmachung in die Tat umsetzen? Eben. Dampfplauderer. Wer’s glaubt, wird selig.

Doch jö schau, so a Überraschung: Hier ist sie, die verdiente Würdigung des Verde 1080 schräg vis-à-vis dem ruhmreichen Theater in der Josefstadt (Max Reinhardt, Oskar Werner, Otto Schenk und viele andere mehr)!

Ich mag sicher bereits einige Male achtlos an dem vermeintlichen Gemischtwarenladen vorbeigegangen sein, ohne zu ahnen, was sich darin abspielt, was übrigens auch nachvollziehbar ist, denn sein Erscheinungsbild unterscheidet sich kaum von dem einschlägiger, im Außenbereich Obst und Gemüse feilbietender Einzelhändler an jedem anderen Orte auch. Dem sensiblen Betrachter fallen allerdings auf dem Gehweg postierte Bierkästen ins Auge. Und an diesem Tage war ich hochsensibel.

Ich also rein, kurz noch die Auszeichnung als »Wiener Bierlokal des Jahres 2013« im Schaufenster zur Kenntnis nehmend, und staunte nicht ganz schlecht, als ich eine große Auswahl österreichischer, belgischer und anderer Biere in mehreren Kühlregalen vorfand. Ich wußte gar nicht, wohin zuerst schauen, und machte augenscheinlich einen hilflosen, überforderten Eindruck, so daß sich drei freundliche Salzburger Herren an einem der Eingangstür gegenüber befindlichen Stehtisch, auf welchem bereits einige geleerte Flaschen auf angenehme Zeitgenossen schließen ließen, gezwungen sahen, sich meiner anzunehmen.

Nachdem die anfängliche Reizüberflutung abgeklungen war, nahm ich wahr, daß ich mich in einem Feinkost-/Biolädchen mit Bioimbiß und Bierausschank befand. Alle Biere – ob aus der Flasche oder vom Faß – kann man sich dort auch unmittelbar vorbildlich gekühlt genehmigen. Dafür stehen allerdings nur wenige Sitz- und Stehmöglichkeiten zwischen den diversen Lebensmittelregalen zur Verfügung, was das Vergnügen aber keinesfalls schmälert. Da mir die ganze Biosache ziemlich schnurz ist, geriet der Umstand, daß im wesentlichen konventionell gefertigte Biere im Angebot waren, nicht zum Nachteil.

Die Salzburger Biertrinker waren übrigens Weinhändler. Darum verließen sie auch schon nach einer weiteren Runde die Räumlichkeiten, um einen Winzer aufzusuchen, der ihnen gewißlich keinen gespritzten Apfelsaft gereicht haben wird.

Hochachtung also für die trinkfesten Salzburger und natürlich für das Verde 1080, das ich beim nächsten Mal nicht zufällig besuchen, sondern gezielt ansteuern werde. Darauf mein verläßliches Wort.

Ein Überbleibsel

In geringer Entfernung befindet sich die BierBar, die, weil wir uns im Dunstkreis der Münchener Straße bewegen, zudem Futterstadl heißen muß. Manches, vielleicht vieles muß so sein, wie es sein muß. Es könnte anders sein, muß aber nicht. Deshalb muß es sein, wie es ist. Futterstadl. Man könnte sich bereits jetzt auf offener Straße übergeben.

Ich weiß nicht, ob die BierBar für das Moseleck eine Bedrohung ist, ob sie Gäste abzieht, ich kenne die mikroökonomischen Verhältnisse in dieser Ecke der Stadt aus eigener Anschauung zu schlecht. Ich kenne ein paar Geschichten und Gerüchte übers Moseleck, ich war, nachdem ich Ende der achtziger Jahre nach Frankfurt gezogen war, auch einige Male im Moseleck, an viel erinnern kann ich mich nicht, es werden schon nach Strich und Faden verquatschte und mit Sicherheit versoffene Abende gewesen sein, unter Kaputten und Nutten und so weiter und so fort, damals ging man ja öfter ins Bahnhofsviertel und in Peepshows und Lapdancebars, einmal sogar mit der bildschönen Cousine aus dem Fränkischen, die mit ihrer weichen Grazie und ihrer unaufdringlichen Souveränität und ihrem stets einnehmend hellen Lachen bei all den um uns herum hockenden Spießern und armen Ärschen einen bleibenden Eindruck hinterließ, diese Schönheit, die nichts anfocht, nehme ich an.

Ich sitze am frühen Abend im Moseleck und denke, die Gefährlichkeit ist die erheblichste hier nicht. So steht es zumindest auf meinem Notizzettel. Der Zapfer, laut Website müßte es Conny sein, sofern mir mein Bildgedächtnis gehorcht, wirkt ein wenig gehetzt. Er raucht Kette, das Moseleck ist eine Wirtschaft, in der geraucht werden darf, das war früher nicht mal der Erwähnung wert, heutzutage schreibt man so was hin.

Das Moseleck, heißt es auf der Website, sei ein Lokal, »welches nunmehr seit über hundert Jahren besteht. Im Schatten der Wolkenkratzer im Bankenviertel dürfen ich und meine Mitarbeiter nicht nur Banker zu unseren zufriedenen Kunden zählen, vielmehr sind Messebesucher aus aller Welt unsere Stammkunden. Ich lege Wert auf die Gastlichkeit, um dem entspannungssuchenden Gast mit gepflegten Getränken aller Art eine willkommene Abwechslung zu bieten.«

Links neben der Eingangstür sind irgendwann unter dem Fenster Kinderstühle montiert worden. Das steht auf meinem Zettel. Warum? Warum nicht. Ich sitze gerne in Wirtshäusern wie dem Moseleck, alleine, meistens tue ich nichts anderes, als in den Raum zu stieren, Bier zu trinken und so weiter. Von Belang ist das selbstverständlich nicht. Doch. Sinnfreie, geschichtsfreie Zonen. Ohne die ist es nicht auszuhalten.

Man könnte natürlich irgendwo ficken gehen, wäre einem danach. Macht man hier so. Wieso nicht. Groß von Belang ist es allerdings ebensowenig. Und das ist das Gute und, wenn es gut ist, Schöne daran.

»So haben wir für den sportbegeisterten Besucher eine Videogroßbildwand, auf welcher alle Wettbewerbe und Meisterschaften live übertragen werden. Unser langjähriges Personal versucht sich diskret auf die Belange unserer Kunden einzustellen, wobei jeder Mitarbeiter ein Spezialist in seinem Fach ist. Unsere Maxime lautet: Ein zufriedener Kunde wird zum Freund des Hauses.«

Aus dem rückwärtigen Bereich des sich um den Tresen windenden Gastraumes dringt eine Äußerung zu der ganzen Irakkriegsscheiße herüber, zu diesem bepißten, verschissenen, abgefuckten Schwachsinn. Oder zu Afghanistan? Links von mir die »Digital Jukebox«. Auf der anderen Seite, in Verlängerung meiner Blickachse, die Augen leicht nach oben gewandt, als mustere man die Weltlage und fürchte, einen Rest von sehr alter Mythologie in sich tragend, der Himmel, hier: die Dekke, die gelbliche, beginne sich zu bewegen, mache sich selbständig, entwickele ein Eigenleben, fange an zu zittern, zu grollen, um schließlich zu bersten und herunterzustürzen –: Holzfiguren unter dem Fernseher. Sie stellen die alten Wirtsleute dar. Sagt mein Notizzettel.

»Der Harry ist okay gewesen«, sagt mein Kumpel J. am Tresen meiner Stammkneipe im Gallusviertel. Ich befrage ihn zum Moseleck. Der Wirt, der als Kürschner lange im Bahnhofsviertel gewohnt und das Moseleck regelmäßig frequentiert hat, will zum Moseleck nichts sagen. »Der Harry hatte«, sagt J., »das Kaiser 51 und den sagenhaften Dampfkessel. Im Dampfkessel hat er seine Kohle gemacht. Der war rund um die Uhr offen, und da hat er mit den Leuten die Kohle gemacht. Im Dampfkessel gab es eine deutsche Übermacht, die Jungs aus dem Milieu. Da verkehrten auch die Jungs von außerhalb. Dann ist der Dampfkessel zugemacht worden, und der Harry hat das Moseleck übernommen.«

Das ist Harry.

»Der Harry hat sein Motto. Der läßt jeden rein, der ’nen Euro hat. Das kann ein Penner oder ein Staatsanwalt sein.«

Eine Frau in einer blauen Trainingsjacke, deren Alter, schriebe man einen literarischen Text, durch die Angabe bestimmter Merkmale recht präzise benannt würde, verläßt das Moseleck. Sie hat, das glaube ich sagen zu können, lange Jahre stark getrunken, was sie heute gemacht hat, weiß ich nicht, es geht mich nichts an, ich könnte es mir ausmalen, ich könnte herumspinnen, ich könnte eine Geschichte beginnen und wieder versickern lassen, sie trägt eine Milchtüte bei sich. Über der Tür klebt ein »Germany«-Banner. Hinter meinem Rücken hängt ein gerahmtes Poster an der Wand: »Andrea Berg: ›Splitternackt‹«. Hat was, hat was, hat was.

 

»Über das Moseleck kannste nur so viel sagen, wie du erkennst, wenn du jetzt reingehst«, sagt J.

Harry soll Angestellte des Dampfkessels übernommen haben, zum Beispiel Mike, der sich später umgebracht hat.

»Alle Getränke, gleich, ob es sich um Bier oder ausgefallene Spirituosen handelt, sind gepflegt und darüber hinaus, was heute nicht selbstverständlich ist, äußerst preiswert.«

Rechts von mir sitzt am Tresen ein Mann mit einer Baseballkappe. »Kennste noch die Sonne von Mexiko?« fragt er einen Mann, an dessen Aussehen ich mich nicht erinnere. Es geht um einen legendären Puff, so legendär, wie das Moseleck ist oder sein soll.

»Ich würde mich freuen, wenn auch Sie einmal uns besuchen. Nicht weit vom Hauptbahnhof gelegen, finden Sie bestimmt den Ruhepol für einige erholsame Stunden.«

Es ist nichts zu sagen gegen Normalität, gegen die behagliche Stumpfheit des Gegenwärtigen. Legenden sind lästig, meistens, sie versperren den Blick auf die Gegenwart, die bestenfalls jene ist, die du dir ohne Not, Zwänge, Ängste vorstellen, die du auf dich zukommen lassen kannst. Das kann ich gerade, im Moseleck sitzend, dem legendären, dem angeblich legendären. Vielleicht liegt es an der Tageszeit.

Aber ohne Geschichte, ohne die Bemühung um die Mehrung des Wissens über sie, verblöden wir vollends, werden wir zu den Räubern und Schlächtern, die wir alle sind. Andererseits.

Nu’ nimm mal das Pathos raus.

Okay. J. sagt: »Im Moseleck sitzen die restlichen Überlebenden aus der guten, alten Zeit, die sich bis zum Gnadenschuß den letzten Schuß geben.« Und mein Kumpel, ein sachte sanguinischer Mensch, für den Solidarität im kleinteilig verkanteten Alltag eine Selbstverständlichkeit ist, sagt: »Das Moseleck ist heute eine der letzten deutschsprachigen Kneipen im Bahnhofsviertel.«

»Ein Überbleibsel«, wirft jemand ein.

»Die Restlichen vom Überbleibsel«, ein anderer.

Stores wie eingelegt in Nikotin, hängen da seit 1957, vermute ich. Bis 1938 hieß die Henninger-Pachtkneipe Landsturmeck. Seit hundertzehn Jahren gibt es die Wirtschaft, die seit wann auch immer den Untertitel Musik-Pilsstube trägt. Er gefällt mir, er möge überdauern, welche Zeiten auch immer kommen werden.

Was soll man zu alledem, was man an einem Frühabend im Moseleck sieht und hört, sagen? Ziemlich beknackte Frage, ich gebe es zu.

J. behauptet, das Moseleck sei nie eine richtige Nuttenkneipe gewesen. Immer zu proletarisch. »Aber wenn Messe ist, werden da die Messegäste abgesoffen.« Von den Nutten vermutlich. Oder irgendwie halt.

Noch was an der Wand: eine Bricolage aus einem goldenen High Heel und einer Bacardi- und einer Champagnerflasche samt passenden Gläsern. Auf der Toilette an der Scheißhaustür ein Grafitto: »Fick die Polizei!« Ins Depraviertenmilieu reingeschneite Linksgesinnung?

19.05 Uhr, am Tresen: »Ich hab’ früher mal gelebt, und heut’ bin ich ganz unten. Ich hab’ die Welt geseh’n, fuffzich Jahr’ krieg’ ich nemmer.« Sind hier die alten Zeiten tatsächlich alt, verschwommen, schaurig schöne Zeiten?

»Im Dampfkessel«, sagt J., »sind auch Boxer verkehrt. Ebby Thust war da. Im Keller war ein Trainingsraum eingerichtet. Da konntest du dir die Fresse polieren lassen, wenn du genug gesoffen hattest.«

Jetzt sagt der Wirt meiner Stammkneipe doch was – zum Dampfkessel: »Vom obersten Professor bis zum letzten Penner war jeder drin. Da hatte jeder Kultur in dieser Zeit, ’76, ’78, achtziger Jahre. Huren ohne Ende, Lesben, alles drin. Wenn du müde warst, hast du hinten im Kabuff geschlafen. Morgens hieß es: ›Bitte leise! Da hinten schlafen ein paar Leute.‹ In dieser Zeit, das waren gute Leute, nicht das heutige System.«

Auf meinem Notizzettel steht übers Moseleck: »Rustikalität und Rabaukentum«. Es läuft »Tutti Frutti« von Little Richard. Der Wirt schlägt im Hamsterrad der Befüllung beinahe Salti. Geräuschforscher könnten ergiebiges Material sammeln – und Gesichtsforscher, die sich die Blicke jener am Alterungsanstieg befindlichen Frauen einprägten, die am Tresen den Kopf übers kleine Pils senken und irgendwohin schauen, wahrscheinlich in sich hinein, wo man nichts oder das Immergleiche sieht.

J. sagt: »Das waren bessere Zeiten. Wir waren eine Clique von Autohändlern und Gastronomen. Wir haben gute Geschäfte gemacht, da galt der Handschlag. Es waren gute Zeiten.«

Ich denke: Im Moseleck findet das, was in jeder Trabantensiedlung und in jedem Kaff in diesem Land jeden Tag stattfindet, wenigstens öffentlich statt. Ohne Scham. Und deshalb – schöner?

Markus, um die zwanzig, schätze ich, sagt in meiner Stammkneipe im Gallusviertel: »Heute saufen sich im Moseleck die Eintracht-Fans einen an.«

»Asbach Uralt 2 cl 2,–; Remy Martin 2 cl 2,50; Wodka Moskovskaya 2 cl 2,–; Bacardi-Rum 2 cl 2,–; Jägermeister 2 cl 2,–; Fernet-Branca 2 cl 2,–; Fernet-Menta 2 cl 2,–; Underberg 2 cl 2,–; Kümmerling 2 cl 2,–; Campari Soda 2 cl 2,50; Martini Bianco 2 cl 2,50; Martini Rosso 2 cl 2,50; Korn 2 cl 2,–; Doornkaat 2 cl 2,–; Johnnie Walker 2 cl 3,–; Chivas 2 cl 4,–; Jim Beam 2 cl 3,–; Jack Daniels 2 cl 4,–.«

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