Die Poesie des Biers

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Vom Briten lernen

Von Dieter Steinmann

Als mein Freund Günter von Freital mir zirka 1969 die hier folgende Geschichte zum erstenmal erzählte, saßen wir anschließend lange beieinander, räsonierten über das Wesen des Briten, über sein Gebaren draußen in der weiten Welt, die Geschichte des Empire und Commonwealth, phantasierten über die Freude der Menschen Albions am Bier, über das bekanntermaßen vermehrte Aufkommen exzentrischer Personen in England und waren uns doch darüber im klaren, daß hinsichtlich dieser Thematik wohl auf ewig mehr Fragen als Antworten zu bedenken seien.

Günters Geschichte geht so: Er war aus schierer Freude am Nach-Dänemark-Fahren mit einer Freundin für ein paar Urlaubstage nach Kopenhagen gereist, und die beiden fanden dort auch gleich alles recht gemütlich und wohleingerichtet vor und machten sich schöne Tage. Günter zählte damals nicht zu jenen, die man lange nötigen muß, bis sie zu einem Gläschen Bier greifen. So lag es nicht fern, das in Kopenhagen ansässige Stammhaus der Carlsberg-Brauerei zu besichtigen, eine Bierfabrik von Weltrang, die überdies schon damals im Ruf stand, Stunde um Stunde anschauliche Besichtigungstouren durchs Haus anzubieten, als deren jeweils krönender Abschluß großzügig arrangierte Verkostungen galten.

Und so war es dann auch. Mit Bussen wurden die Besucher übers Gelände kutschiert. Station für Station der Bierherstellung war in allen Weltsprachen Wissenswertes zu erfahren, und zu guter Letzt versammelten sie die Biertouristen in einer Halle, in der auf langen Tischen artig arrangiert die Produkte des Hauses samt passenden Gläsern bereitstanden. Erst hier fiel Günter ein etwa dreißigjähriger Mann auf, der bisher eher matt die Tour absolviert hatte, der sich, von Schauplatz zu Schauplatz der Besichtigung, nur betont zögerlich von seinem Sitz im Bus erhoben hatte und selbst angesichts aufsehenerregender Aspekte der Braukunst und -technik nicht durch Zwischenfragen, Applauskundgebungen oder simuliertes Interesse aufgefallen war. Dieser bislang so zurückhaltende Mann entwickelte augenblicklich bei Betreten der Verkostungshalle eine enorme Beweglichkeit, indem er nun höchst konzentriert von Tisch zu Tisch eilte, um sehr zügig, aber ohne allzu verräterische Hast ein Fläschchen ums andere fix zu leeren.

Günter schilderte mir das Tun dieses engagierten Herrn in schönster Detailgenauigkeit: Stets im Takt aufgesetzter Gelassenheit, »so, als ob nichts sei«, spähte der Vielfachprobierer im Raum umher, machte wie mit Adleraugen sämtliche ungeleerten Probesortimente aus und stellte sie, um die Tischreihen mäandernd, ohne weitere Umstände sicher. Da Günter und seine Begleiterin sich sehr über dieses Schauspiel amüsierten, den Schluckspecht offen bewunderten, blieb diesem ihre Aufmerksamkeit nicht verborgen, und als er sich beim Abgrasen letzter nicht wahrgenommener Freibiere ihnen kurz näherte, flüsterte er ihnen kumpaneiselig zu: »Come on, next bus, next tour …«, winkte dabei so zierlich verschwörerisch, wie sein Zustand ihm übers eilige Bierschnappen hinaus noch koordinierte Gesten erlaubte, und zeigte auf die Reihe der draußen vor der Tür schon wieder neue Besichtigungsgäste aufnehmenden Carlsberg-Rundfahrtbusse.

Günter und seine Begleiterin verständigten sich kurz und folgten dem nun deutlich Wankenden, der wie selbstverständlich einen Bus erklomm, sich seufzend in einen Sitz fallen ließ und dann mit momentan letzter Kraft seiner Freude Ausdruck gab, Günter und die Seine bei sich zu wissen.

Genau so, wie man es ahnen möchte, kam es dann. Drei weitere komplette Touren lang begleiteten die beiden den, wie sie bald bruchstückhaft erfuhren, Engländer, der seinerseits als Tourist in Kopenhagen weilte und seit etlichen Tagen, vom Vormittag bis zur letzten Führung ab 16 Uhr, keine einzige Rundfahrt durch die Welt der Carlsberg-Biere verpaßt hatte. Mit nicht nachlassendem Tempo sauste er, Klimax des Unternehmens, jeweils zum Ausklang einer Fahrt in die Trinkhalle und dort von Tisch zu Tisch, nun nicht, ohne seine neuen Freunde und Begleiter herzlich zu ermuntern, sie mögen doch zugreifen, schnell, so billig wie hier würde das Bier nie wieder, und dafür sei er gut, der Däne, daß man ihm sein Bier wegtrinke, zu viel mehr tauge er eh nicht, das sei ja bekannt.

Den dringlichen Rat dieses durstigen Repetitionisten, morgen vormittag gleich wieder mit dabeizusein, schlug Günter höflich und mit dem Hinweis auf weitere Sehenswürdigkeiten Kopenhagens aus, was den Biertouristen vordergründig belustigte, in Wirklichkeit jedoch, so meint der Augenzeuge, mit der ganzen großen unauslotbaren Rätselhaftigkeit des Existentiellen an sich konfrontierte. Deutsche halt, Hunnen!

Seit jenen besonnten Stunden des immer wieder aufs neue Durch-die-Carlsberg-Hallen-Zirkulierens kommt Günter von Freital nicht ohne Grinsen an Carlsberg-Bierkästen oder Werbeschildern dieser Marke vorbei. Leute, die sehr entschieden mit dem Bier auf du und du stehen, kennt er etliche; nie allerdings war ihm die Gesellschaft eines hingerisseneren Schluckspechts vergönnt als damals unter dem Dach der dänischen Brauer.

Aufklärung à la Albion

Der Mann hat eine Mission, eine milde. Lucas Goebel hat in Weihenstephan Brauwesen studiert, einige Jahre bei verschiedenen Fachzeitschriften gearbeitet und dann die Nase voll gehabt – vom Verlautbarungsgeschnatter der Verbandsfabulanten, der Lobbyisten und der Lobredner in ureigener, das heißt in deutscher Sache.

Die meisten deutschen Brauer halten sich wenn nicht für die Erfinder des Biers, so aber mindestens für die Gralshüter in Sachen Bierqualität und -geschmack. Dafür spricht die Tradition im Lande der »Bierphilisterei« (Nietzsche) und der allgemeinen geistigen »Bierwirtsphysiognomie« (Schopenhauer). Wer erfand das Pilsner? Ein deutscher (bayerischer) Brauer! Wer erließ das Reinheitsgebot? Die deutschen (bayerischen) Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen es! Und die anderen? Jenseits der (deutschen) Reichsgrenzen? Pfuscher! Giftmischer! Ver- und Aufschneider! Bier? Nur von hier!

Kaum ein anderer (Selbst-)Betrug ist dreister und zählebiger verwurzelt in einer Nation, von der Schopenhauer sagte, sie sei »von allen die dümmste«, als derjenige des protektionistischen Reinheitsgebotshokuspokus, mit dem die Einzigartigkeit des deutschen Biers alleweil schwellbrustartig begründet und ausgeplörrt wird. Große deutsche Braumeistergenies werfen ungebrochen den Bierwanst in die Waagschale des Weltbiermarktes, schreien herum, deutsches Bier, das sei Pläsier, und machen im gleichen brackigen Atemzug alles schlecht, was schmeckt, weil es einen Geschmack hat, der sich vom zu Tode geschniegelten deutschen Supermarktschwedentrunk unterscheidet.

Lucas Goebel, ein freundlicher, zurückhaltender und doch begeisterungsfähiger Mann, hat von dem Getöse genug und veranstaltet auf eigene Kosten Bierproben, in deren zirka zweistündigem Verlauf er die Tester behutsam an die Grundlagen der organoleptischen und sensorischen Erkundung des unermeßlichen Kontinents Bier heranführt. Seine »Reise in eine unbekannte Welt« beginnt mit gutem Grund mit hiesigen, meist bekannten Produkten, um überhaupt erst einmal sorten- und markentypische Differenzen zu erschmecken, etwa zwischen barock-vollen, aromagehopften und flach-zackigen, bittergehopften Bieren, zwischen den Buketts obergäriger Bräus und den körperlichen Eigentümlichkeiten von in der Regel nicht allzu hochvergorenen Exportbieren. In aufsteigender Linie schreitet man auf der Tucholsky-Treppe Schlürfen–Schlucken–(Weg-)Schütten vom mit allem Recht der Welt an den Anfang gesetzten Alkoholfreien der beliebten hessischen Eisvogelbrauerei bis zum Weizen-Doppelbock fort. Umflort dann die Zunge ein lieblicher Reigen elysischer Himbeer- und Bananenaromen, so werden die Exerzitien zum Beschluß durch den Verzehr eines ausländischen Gebräus gekrönt, das die Pforten zu einem Reich unerhörter Schmackussensationen öffnet. »Aaaaah«, seufzt Goebel zufrieden, »richtig durchatmen und den Strauß schmecken!«

Je fuller, desto doller! Just an jenem Tag, als Goebel kürzlich das adorable Fuller’s Extra Special Bitter aus London kredenzte, war zuvor auf der A 7 ein Biersattelschlepper umgekippt. Abertausende Flaschen Warsteiner zerbarsten wie von höherer Hand verfügt. »Deutschland ist ein armes Land an Hefe«, beschied Goebel später, »man will keine Geschmacksvielfalt zulassen.«

Möglicherweise hat Lucas Goebel eine »Vision« (Willy Bierbrandt) – die vernünftige Vision, wenigstens einigen wenigen deutschen Biertrinkern ohne bierologisches Expertengehabe die Augen und Münder zu öffnen für Bräus, die jenseits des Eisernen Biervorhangs darauf warten, mit Neugier, Freude und dem mehr oder minder festen Willen zur mehr oder minder bravourösen Berauschung umgesäbelt zu werden. Schon Belgien wäre ja nicht allzuweit, jenes kluge Land und Hefeparadies der wilden Gärung, in dem laut FAZ-Korrespondent Christian Eichler der kategorische Imperativ die zumal im allseitigen Kant-Jahr allfällige tägliche Neuformulierung erfährt: »Handle stets so, daß dein Handeln auch als Grundlage einer möglichen Bierbestellung dienen könnte.«

Leberwurstbauch

Bier. Michael Jackson. Ein Buchtitel. Ein Mann. Viele Worte. Und die haben Gewicht.

Michael Jackson gilt nicht nur – einem seiner deutschen Verlage zufolge – als »Pionier des Bierjournalismus für den Verbraucher«. Er läßt auch von den nach eindrucksvollen Details geiernden Presseabteilungen verbreiten, einen »Bauchumfang von 112 cm« durch die Welt zu wuchten während seiner unzähligen Reisen in Sachen geistige Getränke rund um den bierbauchkugelrunden Globus.

 

Die Welt. Das Bier. Michael Jackson. Man kann an diesem Mann beobachten, wie ein Mythos wächst – etwa jener, daß der rund sechzigjährige »Knight of the Mash« (Ritter der Maische) »der erste war, der Biere nach ihrem Aroma und Geschmack beschrieb«. Das ist Unfug, aber auf dem hiesigen, überschaubaren Bierbüchermarkt hat sich Jackson den Ruf des unangefochtenen Schwenkers des pilsgoldenen Weihrauchfasses erworben, seit sein auf ungezählten Bierdeckeln zusammengehauener Pocketklassiker Bier – Über 1000 Marken aus aller Welt 1987 erstmals auf deutsch erschien.

Michael Jacksons eiserne Devise lautet: loben, loben, loben. Und deshalb bisweilen notgedrungen: lügen. Denn wer das Bier nach Maßgabe der Weingourmetliteratur in den Stand des distinguiert zu beurteilenden Nobelgetränks erhebt, dessen – in Anklang an einen Klassiker der Soziologie – sortentypisch »feine Unterschiede« (Verlag/Pierre Bourdieu) es in den Gefilden der »geschmacklichen und charakterlichen Vielfalt« (Verlag) zu erkunden gelte, der vergißt beim achten Schoppen auch mal, daß die von der Brauerei gratis zur Verfügung gestellte Probe aus korrupter Trunkenheit zum erlösungsgleich gelungenen Trank gerät, obschon sie von der Zunge unter Normalbedingungen der Unbestechlichkeit strikt zurückgewiesen werden müßte.

Michael Jacksons »symbolisches Kapital« (Bourdieu) ist sein zementierter Ruf. Und wer einen Ruf hat, kann rufen, ohne daß noch jemand darauf achtet, ob der Rufer bei Sinnen ist. Bier (Starnberg 2005), Jacksons jüngster, chic inszenierter Aufguß seiner auf keinem Bierfilz mehr unterzubringenden Bücher zum Thema, verzichtet deshalb auratisch-monolithisch auf einen Untertitel – das Wort dieses Mannes gilt.

Der ehemalige Leiter des Deutschen Filmmuseums, Walter Schobert, hat mir mal erzählt, daß Michael Jackson, dessen Whiskeybibeln Schobert ins Deutsche übersetzt, unterdessen eine Garde von Assistenten brauche, um sein Pensum hinterher zerebral noch »auseinanderklappermüsentieren« (Michael Schumacher) zu können. Im mit opulenter Food-Photographie protzenden Band Bier, der durch die Berücksichtigung zahlreicher zum Wohle des Biertrinkers vergossener neuamerikanischer Micro-Brewery-Erzeugnisse durchaus überzeugt, liest man dann etwa in der hochmodischen Rubrik »Bier als Digestif« zum Irseer Abt’s Bier inklusive Ostapostroph zustimmend: »Der Abt dürfte von diesem sehr starken Lagerbier ordentlich betrunken worden sein.« Doch in welcher Verfassung war Michael Jackson, als er den »Zweck des Bieres« bestritt, »im Berauschen zu liegen«?

Jackson, der »mit dem Trinken in der Schule begann« (The Times), ließ sich von Verlagsseite mal attestieren: »Es ist Donnerstagmorgen, halb zehn, und Michael Jackson trinkt wieder. ›Das erste Bier am Tag schmeckt immer phantastisch.‹« Andernorts versicherte er, »er habe auf einer einzigen fünfwöchigen Reise durch die USA 500 Biere probiert« (The Wall Street Journal). In Bier, das uns sprachliche Pretiosen einschenkt wie einen Abgang »mit sackleinener Trockenheit« und eine Geschmacksnote à la »geklumpte Sahne«, mahnt der Meister hinsichtlich einer ernsthaften Degustation: »Schon fünf oder sechs Biere können den Gaumen überfordern, und zehn, zwölf sind sicher mehr als genug.« Was sagt man dazu?

Was übrigens wirklich ein Mythos ist und deshalb endlich zügig ins Reich der Lüge verdammt gehört: daß Bier dick macht. Einen Bierbauch, das haben in derlei Fragen unbestechliche, abgeklärte finnische Wissenschaftler vor Jahren derart unwiderlegbar unter Beweis gestellt, daß es sogar die Bild-Zeitung meldete, einen Bierbauch gibt es nicht. Es gibt einen Pizza- oder Schweinshaxen- oder Leberwurstbauch, der mitunter aus der appetitanregenden Zufuhr von Bier erwächst.

Und genausowenig gibt es einen Grund dafür, ein Pils unverdrossen sieben Minuten lang zu zapfen. In eineinhalb Minuten ist es nämlich fertig, wohlgeraten in holdester Frische.

Wir hätten das gern in Bier gelesen. So wird es mit der Aufklärung aber wieder nichts.

Auf Hemdknopfhöhe

Wenn Michael Jackson der »Bierpapst« ist – welcher Titel aber presseoffiziell ebenfalls dem Kollegen Michael Rudolf sowie meiner Wenigkeit verliehen wurde –, dann darf man Conrad Seidl, den seit Jahren von Österreich aus etwa über Hopfen und Malz (Wien 1995) und Unser Bier (Wien 1996) skribierenden Standard-Journalisten, eventuell zum Bierkardinal küren, also zum erlauchten Assistenten des apostolischen Bierstuhlinhabers.

Allein, Seidl, dessen Nachname sich mitnichten der Anleihe bei einer bayerischen Bierglasgröße verdankt, strebt offenbar ein Schisma an. Er betreibt die Website www.bierpapst.cc, und in der überarbeiteten Neuausgabe seines dreihundert Seiten starken Bier-Katechismus (Wien 2005) legt er unumwunden fest: »›Bierpapst‹ ist auch eine geschützte Marke – es darf keine anderen Bierpäpste neben Conrad Seidl geben.« Doch völlig neben der Kappe ist auch Conrad Seidl, seines unheiligen Zeichens Experte für »personal branding« (www.bierpapst.cc) und Autor des »Buches« Die Marke ICH, nicht immer, weshalb er zwei »andere Bier-Gurus und Bier-Jäger« toleriert, u. a. Herrn Jackson.

Fachlich, das sei zudem ohne Umschweife konzediert, können Seidl wenige das Bier reichen. Sein Bier-Katechismus handelt in 591 Texthappen souverän vielerlei gängige und im Volksbewußtsein dennoch nach wie vor nicht hinreichend präsente Fragen biergeschichtlicher und -typologischer, ökonomischer, brautechnischer und trinkpragmatischer Art ab, so daß sich das Vademekum den Untertitel Was Sie schon immer über Bier wissen wollten redlich verdient hat.

Daß in den USA daran gearbeitet wird, aus Rückständen, die bei der Bierproduktion anfallen, Papier herzustellen, wußten noch nicht mal wir. Und daß »unter den bedeutenden Biermarken der Welt« mittlerweile »keine einzige deutsche« mehr ist, muß keineswegs ausschließlich am grassierenden Raubrittertum der globalen Biermultis liegen, sondern könnte gleichfalls der vielbeschworenen Qualität hiesiger Premiumbräus geschuldet sein.

»Qualität«, stellt Seidl im Kapitel »Bierqualität kritisch hinterfragt« klar, bedeute »zunächst eigentlich nur ›Beschaffenheit‹«. Um einen nahezu Hegelschen Satz von Uli Stielike, dem ehemaligen Brauknecht des Ex-Fußballnationaltrainers Erich Ribbeck, geringfügig zu variieren: »Das Problem des deutschen Biers ist der Mangel an Quantität der Qualität.«

Die schönste Ausführung in Seidls lebensertüchtigendem Lehrbuch entnehmen wir derweil der Abteilung »Zum Wohle!«: »Wenn man das erstemal in einer Runde das Glas oder den Bierkrug hebt, so winkelt man den rechten Arm so an, daß der Oberarm in Schulterhöhe waagrecht gehalten wird und der Unterarm das Trinkgefäß etwa vor dem zweiten Hemdknopf hält. Nun wartet man, bis alle ihr Glas gehoben haben, dann wird, wenn die Runde nicht zu groß dafür ist, gemeinsam angestoßen und gleichzeitig [sic!] zum Trinken angesetzt. Nach dem Trinken wird das Biergefäß wieder in Höhe des zweiten Hemdknopfes vor der Brust gehalten und gewartet, bis alle mit dem ersten Schluck fertig sind. Erst dann darf das Glas oder der Krug abgestellt werden.«

Auswendig lernen und beim nächsten Kneipenbesuch ausdruckstänzerisch umsetzen, Linkshänder und Pulloverträger inklusive!

Blonde Bräute in spe

Selbst mich, der ich mich in den Geisteswissenschaften recht ordentlich umgesehen habe (und weiterhin umsehe), kann man noch überraschen. Denn daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein »Forschungsprojekt zur Terminologie der Weincharakterisierung« fördert – und das wohl seit Jahren oder gar Jahrzehnten –, damit hatte ich nicht gerechnet.

Ist aber so, ist wahr. Was ich, es sei mir gestattet, mit einem tiefen Schluck aus einer kalten Flasche Jever quittieren muß. Und noch einem. – So, jetzt glaube ich es wirklich.

Laut dem Literaturverzeichnis in Hans Peter Althaus’ Kleinem Wörterbuch der Weinsprache (München 2006) hat der Trierer Germanist bereits 1973 erste Überlegungen »zur Strukturierung einer Terminologie der Weinsprache« präsentiert. In der Folge »wurden die weinsprachlichen Beschreibungen von knapp zehntausend Weinen untersucht, die auf Weinpreislisten deutscher Weingüter und Kellereien sowie auf Weinkarten der Gastronomie geführt worden sind«, und nachdem Althaus und seine Mitarbeiter das Material sortiert und kategorisiert haben, liegen nun Begriffserklärungen zu »mehr als tausend deutschen Weinwörtern« vor, »sprachwissenschaftlich überprüft und verständlich dargeboten«.

Althaus will Ungereimtheiten und Polyvalenzen, die aus der Vermischung der Sphären der Alltags- und der Fachsprache resultieren, beseitigen und einen einigermaßen verbindlichen Korpus präziser vinologischer Termini unterbreiten, einen »Kern- und Aufbauwortschatz der Weinsprache«, aus dem historische Irrtümer und mäandernde Bildlichkeiten getilgt sind. Sein Plädoyer für einen exakten, konzisen Stil und eine entschieden deskriptive Haltung, die sich den cartesianischen Idealen der Klarheit und Distinktheit verpflichtet, geht einerseits mit der Ablehnung des geläufigen Weinkennerjargons und des damit verbundenen Standesdünkels einher, andererseits mit der Zurückweisung allzu ungestümer Poetereien.

Das leuchtet nur bedingt ein, hat sich doch etwa der gargantueske Weinverschlinger (und Bierumdrescher) E. T. A. Hoffmann als gewaltiger Ausdruckserneuerer und Wortverwirbler erwiesen, der »auserlesenen« und »vortrefflichen« Wein ebenso zu belobhudeln verstand, wie er einen »Würzwein« als »Absud von höllischen Kräutern« verdammte. Dem unergründlichen Saufaus einen bisweilen sachunangemessenen Gebrauch von Weinwörtern zur Last zu legen, das mutet schon ein wenig kauzig-penibel an, zumal weil, einer Einsicht Nietzsches gemäß, die menschliche Sprache aus nichts anderem als einem »beweglichen Heer von Metaphern« besteht und somit bloß scheinbar exakt die Eigenschaften der Dinge (und unsere Vorstellungen und Eindrücke) wiedergibt.

Eine im strengeren Sinne vinologische Fachsprache begann sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herauszubilden. Althaus zeichnet sorgsam die Ausdifferenzierungsprozesse, an deren Ende eine weitreichende Trennung von gemeinsprachlichen und fachsprachlichen Gebrauchsweisen zu konstatieren ist, in grammatikalischer und semantischer Hinsicht nach, ohne so zu tun, als ob die entwickelte Sondersprache in Sachen Weinbeschreibung keinen Bedeutungsschwankungen mehr unterläge. »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«, heißt es bei Wittgenstein, und Althaus merkt an: »Die Fachsprache ist im Gebrauch festgelegt, ohne daß die Ausdrücke definiert worden wären. Das hat zur Folge, daß es konkurrierende Bezeichnungen gibt und die Reichweite der Weinsprache als Fachsprache begrenzt ist.« Die wankenden Relationen zwischen Wort, Bedeutung und Gebrauch nötigen daher zu dem Schluß: »Eine systematische Weinsprache gibt es […] bis heute nicht.«

Obschon der Weinthesaurus also keineswegs starr oder stabil ist, legt Althaus anschließend durch Sacherklärungen und wortgeschichtliche Erläuterungen dar, was es mit Lexemen wie »Bukett«, »Geschmack«, »Duft« oder »trocken«, »rein«, »pappig« und so fort auf sich hat, das heißt, wie sie unter Degustationsgesichtspunkten korrekt verwendet werden. Nicht selten kreiselt er dabei in pleonastischen Zirkeln oder bemüht banale Synonymreihen. Zumindest mir als Bierlexikographen, der seine Nase immerhin ein- oder zweimal in ein Weinlexikon gesteckt hat, muß man nicht partout unter dieselbe reiben, daß »flach« »ausdruckslos« bedeutet oder »jung« halt »unfertig«. Das, nehme ich außerdem an, wissen auch gemeine Getränkekonsumenten.

Trotzdem bin ich auf den einen oder anderen mir unbekannten und daher ausdruckserweiternden Begriff gestoßen. Das Adjektiv »bauernhell«, mit dem man einen leicht trüben Wein charakterisiert, werde ich mir merken, ebenso das schöne alte Wort »rahn«, das für rötlich-bräunlich verfärbte, nach Dörrobst oder frischem Brot schmeckende geistige Getränke reserviert ist.

Gleichfalls Einzug in mein in Arbeit befindliches drittes Bierlexikon werden halten »Deckengeschmack« (»unangenehmer Geruch und Geschmack nach Kahmhefen«; bei mir dann vielleicht eher für: »mundet, wie es morgens unter der Decke riecht, wenn …« oder »…, daß man an dieselbe gehen könnte«), »farbebrechend« (»farbkrank«; »verursacht schon beim bloßen Angukken Erbrechen und Kopfweh«), »Hagelgeschmack« (»Geschmack nach Schimmel«; »verhagelt einem die Bierlaune gründlich«) oder auch einfach mal der »Sackgeschmack«, des holden Wortbinnenreimes wegen.

 

Daß ein Bier indes niemals »grundsig« oder »durchsoffen«, geschweige denn »blau« sein könnte, das halte ich meinem Lieblingstrank gegenüber dem geringfügig zu stark adorierten Wein nach wie vor eisern zugute. Und wenn ich im Rahmen meiner nicht abreißenden Bierforschungen jemals einen »Teergeschmack« (»Beigeschmack von Weinen aus Lagen an frisch geteerten Straßen«) erspüren sollte, werde ich die Schließung der in Frage kommenden Verkehrswege veranlassen – oder ihn, den »Teergeschmack«, genau so notieren und danach bei der DFG einen Antrag auf Alimentierung des »Forschungsprojekts zur weiteren Erweiterung der Terminologie der Biercharakterisierung« stellen. Das wäre ein prächtiger Circulus, in dem ich mich da bewegen würde – Urheber und wissenschaftlicher Auswerter in einem zu sein, das soll mir mal einer nachmachen!

Und ein paar assistierende blonde Bräute fielen ja wohl auch noch ab, ha.