Recht im E-Commerce und Internet

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8. Verbot überraschender Klauseln

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§ 305c Abs. 1 BGB enthält das Verbot sogenannter „überraschender“ Klauseln. Demnach werden AGB nicht Vertragsbestandteil, wenn der Verwendungsgegner aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Vertrages nicht mit solchen AGB zu rechnen braucht. Der Unterschied zur Intransparenz der Klausel nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB liegt darin, dass der Verwendungsgegner die Klausel unabhängig von ihrem Inhalt als solche nicht wahrnehmen konnte, wohingegen eine intransparente Klausel zwar wahrnehmbar, aber inhaltlich nicht verständlich ist.30

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Beide Fälle können sich aber überlagern: Teilweise wird aus unschlüssiger Positionierung der AGB auch eine inhaltliche Unschlüssigkeit der Klausel selbst folgen.31 Beispiele für überraschende Klauseln finden sich häufig dort, wo diese unter einer ungewöhnlichen Überschrift dargestellt werden.32 Dies ist wiederum durch inhaltliche Auslegung der Überschrift und der Klausel zu ermitteln. Überraschend sind aber auch etwa Klauseln, die Zahlungspflichten in den AGB positionieren, ohne dass darauf sonst hingewiesen oder gar außerhalb der AGB der Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine unentgeltliche Leistung.33

12 Ähnlich Kutlu, AGB-Kontrolle bei stationärer Krankenhausaufnahme, 2006, S. 46. 13 Zur Änderung von AGB mit den Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks über ein Pop-Up-Fenster siehe OLG Dresden, Beschl. v. 19.11.2019 – 4 U 1471/19, K&R 2020, 229. 14 LG Essen, Urt. v. 13.2.2003 – 16 O 416/02, MMR 2004, 49. 15 LG Essen, Urt. v. 13.2.2003 – 16 O 416/02, MMR 2004, 49, 50. 16 Erstmals Löhnig, NJW 1997, 1688, 1688f.; dem wird in der Literatur bis heute gefolgt, vgl. etwa Föhlisch, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2021, Kap. 13.4 Rn. 115. 17 Roloff, in: Erman, BGB, 2014, § 305 Rn. 37. 18 LG Osnabrück, Urt. v. 10.11.1995 – 2 O 60/94, CR 1996, 227; LG Bielefeld, Urt. v. 30.10.1991 – 1 S 174/90, NJW-RR 1992, 955; Brinkmann, BB 1981, 1183, 1183ff.; Lachmann, NJW 1984, 405, 408; Mehrings, BB 1998, 2373. 19 OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 9.5.2007 – 6 W 61/07, K&R 2007, 417. 20 Janal, NJW 2016, 3201, 3202. 21 OLG Hamm, Urt. v. 20.5.2010 – I-4 U 225/09, K&R 2010, 591. 22 LG Berlin, Urt. v. 9.5.2014 – 15 O 44/13, K&R 2014, 544, wonach der Messenger-Dienst WhatsApp seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen in deutscher Sprache anbieten muss. Siehe dazu auch Ernst, jurisPR-ITR 22/2014 Anm. 5. 23 So schon Drexl, in: Lehmann, Rechtsgeschäfte im Netz, 1998, S. 75, 95f.; auch Köhler/Fetzer, Recht des Internet, 2016, Rn. 253; einschränkender Waltl, in: Lehmann, Internet- und Multimediarecht, 1999, S. 185, 193f. Siehe auch BGH, Urt. v. 10.3.1983 – VII ZR 302/82, NJW 1983, 1489, wonach keine Übersetzung von fremdsprachigen AGB erforderlich ist, wenn die Verhandlungssprache Deutsch ist. Fraglich ist aber, ob die Nutzung einer Website, die aus Bildern und wenigen Wörtern besteht, mit der Nutzung einer Verhandlungssprache gleichgesetzt werden kann. 24 So früher der BGH, wonach unter Anwendung von § 150 Abs. 2 BGB die zuletzt verwendeten AGB Vertragsbestandteil geworden sein sollten, vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 210/54, NJW 1955, 1794. 25 Westphalen, in: Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2019, Teil Vertragsrecht, Vertragsabschlussklauseln – Einbeziehung, Rn. 55 m.w.N. 26 Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 305b Rn. 1 mit weiteren Nachweisen bis tief in das 20. Jahrhundert. 27 Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 305b Rn. 1. 28 Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 305b Rn. 2. 29 BGH, Urt. v. 10.5.2007 – VII ZR 288/05, NJW 2007, 3712; Urt. v. 27.9.2000 – VIII ZR 155/99, BGHZ 145, 203; Urt. v. 15.2.1995 – VIII ZR 93/94, NJW 1995, 1488; kritisch dazu Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2020, § 125 Rn. 65f. 30 Teilweise wird zu Unrecht auf eine mangelnde Trennschärfe von Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) und überraschender Klausel (§ 305c Abs. 1 BGB) wegen gleicher Zweckrichtung verwiesen, etwa Niebling, NJ 2019, 103. 31 Insoweit richtig Niebling, NJ 2019, 103. 32 So ausdrücklich OLG Hamm, Beschl. v. 29.1.2010 – I–20 U 200/09, BeckRS 2012, 15952. 33 So etwa geschehen in einem Fall des AG München, Urt. v. 16.1.2007 – 161 C 23685/06, Zusammenfassung abrufbar unter Becklink 213620, in welchem die Nutzung eines Online-Angebots zur Schätzung der Lebenserwartung nur innerhalb der AGB als kostenpflichtig deklariert wurde.

IV. Verwenderfeindliche Auslegung von AGB

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Sofern dies noch nicht im Rahmen der §§ 305b und 305c BGB erfolgt ist, sind die AGB inhaltlich auszulegen. Maßgebend für die Auslegung ist § 305c Abs. 2 BGB. Demnach sind AGB grundsätzlich verwenderfeindlich auszulegen. Dies darf aber nicht zu dem Trugschluss führen, dass man an dieser Stelle die Klausel so auslegt, dass diese den Verwendungsgegner möglichst wenig einschneidend trifft. Vielmehr ist an dieser Stelle (zunächst) eine maximal verwenderfreundliche Auslegung vorzunehmen, also diejenige Auslegungsvariante zu wählen, die den Verwendungsgegner am stärksten beschneidet.34

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Diese Auslegungsvariante ist dann anhand der §§ 307ff. BGB einer Inhaltskontrolle zu unterziehen. So kann der Verwendungsgegner umfänglich vor einer unzulässigen, für ihn ungünstigen Interpretation der Klausel bewahrt werden. Außerdem trägt dies dazu bei, dass Verwender von AGB diese klar und eindeutig formulieren, um die Folgen der Inhaltskontrolle absehen zu können. Bei Verbraucherverträgen sind dabei gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zusätzlich die vertragsbegleitenden Umstände zu berücksichtigen. Dabei sollen vor allem Überrumpelungs- und Monopoleffekte durch den Unternehmer berücksichtigt werden können. Gerade im Internet und E-Commerce sind Überrumpelungen von Verbrauchern durch die Leichtigkeit von Klicks und Fingertipps ein alltägliches Risiko ebenso wie die Ausnutzung von Monopoleffekten durch marktbeherrschende Plattformen wie eBay und Amazon oder die App Stores von Google und Apple.

34 BGH, Urt. v. 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, NJW 2017, 1596, 1599; Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 305c Rn. 51 mit Erörterungen zur Entwicklung der Interpretation von § 305c Abs. 2 BGB.

V. Inhaltskontrolle von AGB

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Sind die AGB wirksam einbezogen und steht der zu prüfende Inhalt nach deren Auslegung fest, so müssen die AGB mit den Maßgaben der §§ 307ff. BGB in Einklang zu bringen sein. Geprüft wird dabei typischerweise „von hinten nach vorne“, also zunächst § 309, dann § 308 und zuletzt § 307 BGB. An die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 1 S. 2 BGB für die AGB-Kontrolle im unternehmerischen Verkehr sei an dieser Stelle erinnert (siehe oben Rn. 3).

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Wichtig zu beachten ist dabei, dass nach § 307 Abs. 3 BGB nur gesetzeswidersprechende AGB zur Prüfung gestellt sind. Das schließt zum einen gesetzeswiederholende AGB aus, zum anderen aber auch solche Regelungen, die der Parteiautonomie mangels Gesetzesvorgaben vollständig unterliegen. Dies betrifft insbesondere die Essentialia Negotii, also die Vertragspartner, den Leistungsgegenstand im Kern und die Preisabrede.35

1. Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit

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§ 309 BGB enthält sogenannte Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit. Sie greifen unmittelbar nur gegenüber Verbrauchern als Verwendungsgegnern, haben aber auch im unternehmerischen Verkehr Indizwirkung für die Unwirksamkeit entsprechender AGB (siehe oben Rn. 3).

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Die Klauselverbote zeichnen sich dadurch aus, dass die dort aufgezählten Fälle eindeutig sind und stets zur Unwirksamkeit der AGB führen. Exemplarisch seien an dieser Stelle nur die Nrn. 7a und 7b genannt, also die Unwirksamkeit von Haftungsausschlüssen bei grober Fahrlässigkeit oder bei Verletzung von Leib, Leben und Gesundheit.

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Mit dem Gesetz für faire Verbraucherverträge36 wurde § 309 Nr. 9 BGB mit Inkrafttreten zum 1. Juli 2022 neu gefasst, welcher zwingende Vorgaben zur Laufzeit, Verlängerung und Kündigung von Dauerschuldverhältnissen beinhaltet. Anders als im bisherigen § 309 Nr. 9 lit. b BGB sind hiernach stillschweigende Verlängerungen von Dauerschuldverhältnissen stets unzulässig, wenn der Verbrauchervertrag sich hierdurch nicht auf unbestimmte Zeit mit einer Kündigungsfrist von höchstens einem Monat verlängert. Dies soll dem Schutz der Verbraucher bei in Vergessenheit geratenen Verträgen dienen.

 

2. Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit

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§ 308 BGB enthält die sogenannten Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit. Diese enthalten anders als § 309 BGB wertungsbedürftige Begrifflichkeiten wie „unangemessen“, „zumutbar“ oder „besondere Bedeutung“. Sie unterliegen einer gewissen Unschärfe und bilden insoweit den Übergang zwischen der Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit gemäß § 309 BGB.

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Beispielhaft kann hier auf die vertraglich vereinbarten Fiktionen bei Abgabe und Zugang von Willenserklärungen nach den Nrn. 5 und 6 verwiesen werden, welche gegebenenfalls eine Unwirksamkeit nach sich ziehen können. Auch die Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit greifen unmittelbar nur für AGB gegenüber Verbrauchern, werden aber zunehmend ebenfalls als Indizien für die Inhaltskontrolle unternehmerischer AGB in § 307 Abs. 2 BGB hineingelesen (siehe oben Rn. 3).

3. Allgemeine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB

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Sofern weder § 309 BGB noch § 308 BGB den thematischen Gehalt der zu überprüfenden Klausel abdeckt oder es sich um AGB aus dem unternehmerischen Verkehr handelt, ist die Überprüfung der AGB anhand von § 307 BGB vorzunehmen. § 307 BGB differenziert zwischen der unangemessenen Benachteiligung wegen Treuwidrigkeit nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB einschließlich deren Regelbeispiele in § 307 Abs. 2 BGB und der Unangemessenheit wegen der Intransparenz einer Klausel nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.37 Beide Fälle schließen sich nicht aus. Die Treuwidrigkeit der Klausel wird als Wertungsfrage innerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 305ff. BGB originär nach § 307 BGB bestimmt. Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es insoweit nicht.38

a) Abweichung von Grundgedanken der gesetzlichen Regelung

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Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung vor, wenn die AGB mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht mehr zu vereinbaren ist. Wichtig ist dabei die Arbeit am Wortlaut der Norm: Entscheidend ist der Vergleich zwischen AGB und Rechtslage, nicht zwischen AGB und Grundgedanken des Vertrags. Insofern unrichtig entschied der BGH, dass eine AGB-Klausel in einem Flugbeförderungsvertrag, welche einen Rückzahlungsanspruch bei Stornierung der Flugreise gänzlich ausschloss, nicht die Merkmale des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfülle, weil die gesetzliche Regelung des § 648 Abs. 1 S. 2 BGB, von welcher abgewichen werden sollte, auf den Flugbeförderungsvertrag nicht passe, folglich nicht das Leitbild des Vertrags sei.39 Diese Argumentation ist mit dem Wortlaut des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht vereinbar und daher nicht verallgemeinerungswürdig.40

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Weiterhin hat der BGH eine Klausel der Ryanair Ltd. als unangemessen angesehen, die den Verträgen über Flugbuchungen im Internet zugrunde lag.41 Danach hatten die Passagiere für die benutzten Zahlungssysteme unterschiedlich hohe „Gebühren“ zu zahlen. Die angegriffene Gebührenregelung für die Zahlung mit Kredit- oder Zahlungskarte ist nach Ansicht des BGH mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und benachteiligt die betroffenen Kunden in unangemessener Weise (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gehört nach Ansicht des Gerichts, dass jeder seine gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen hat, ohne dafür ein gesondertes Entgelt verlangen zu können. Mit der Entgegennahme einer Zahlung komme der Unternehmer nur seiner Obliegenheit nach, eine vertragsgemäße Leistung des Kunden anzunehmen. Er müsse dem Kunden die Möglichkeit eröffnen, die Zahlung auf einem gängigen und mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Weg zu entrichten, ohne dass dafür an den Zahlungsempfänger eine zusätzliche Gebühr zu bezahlen ist. Die von der Beklagten vorgesehene gebührenfreie Zahlungsart genüge diesen Anforderungen nicht.

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Dagegen wurde die Klausel, die die Barzahlung ausschließt, nicht beanstandet. Die mit dem Ausschluss der Barzahlung einhergehende Benachteiligung der Fluggäste sei angesichts des anerkennenswerten Interesses der Beklagten an möglichst rationellen Betriebsabläufen nicht als unangemessen anzusehen. Bei der vorzunehmenden Abwägung sei ausschlaggebend, dass die Beklagte ihre Leistungen nahezu ausschließlich im Fernabsatz erbringe und eine Barzahlung für beide Parteien mit erheblichem Aufwand verbunden wäre. Anzumerken ist dabei, dass die AGB-rechtliche Überprüfung durch den BGH überflüssig war. Denn die Zahlungsmittelwahl gehört untrennbar zu der Hauptleistungsabrede der Parteien.42 Insoweit fällt eine Abrede über die Zahlweise unter den Ausschlusstatbestand von § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, welcher die gerichtliche Kontrolle der wechselseitigen Hauptleistungspflichten gerade ausschließt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine oder mehrere Zahlungsart(en) als solche treuwidrig mit Zusatzkosten verbunden wird/werden.43

b) Gefährdung der Erreichung des Vertragszwecks

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Nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist die Unangemessenheit einer AGB in der Regel zu bejahen, wenn durch die Klausel die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet würde. Dies ist nach dem BGH stets der Fall, wenn durch die AGB „Kardinalpflichten“44 abbedungen oder beschränkt werden. Kardinalpflichten oder wesentliche Vertragspflichten meint dabei alle Pflichten, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags überhaupt erst ermöglicht und auf deren Einhaltung der Verwendungsgegner als Vertragspartner regelmäßig vertraut und vertrauen darf.45

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Unter wesentliche Vertragspflichten werden etwa Konstellationen verstanden, bei denen der Verwender für den Fall der Nichterfüllung der Hauptpflicht jegliche Nacherfüllungshaftung ausschließt.46 Ein weiteres Beispiel ist darin zu sehen, dass rechtsverbindlich eine Auskunft eingeholt werden soll, aber in den AGB die Haftung für die Falschauskunft kategorisch ausgeschlossen wird.47 Entscheidend ist also, ob der Vertrag unter Berücksichtigung der fraglichen AGB noch den vom Verwendungsgegner angestrebten erkennbaren Sinn des Geschäfts erfüllen kann.

c) AGB-rechtliche Generalklausel

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Sollte § 307 Abs. 2 BGB keine Hinweise auf die Treuwidrigkeit einer AGB ergeben, so kommt diese noch unter Berücksichtigung der Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Dies hat aber mit Blick auf die bereits zahlreichen, umfänglichen Beschränkungen durch die §§ 307 Abs. 2, 308, 309 BGB sehr restriktiv zu erfolgen. Insbesondere das Ausreizen der Grenzen, die die §§ 308, 309 BGB gewähren, kann in den allermeisten Fällen nicht über § 307 Abs. 1 S. 1 BGB doch zur Unwirksamkeit führen. Als Kriterien für die Frage nach der Angemessenheit einer Klausel können herangezogen werden:48

 – Das übrige Vertragswerk: Kompensieren oder verstärken andere Klauseln die nachteilige Wirkung für den Verwendungsgegner?

 – Verkehrskreis: Wie üblich sind diese Bedingungen im fraglichen Verkehrskreis? Insbesondere im unternehmerischen Verkehr zu berücksichtigen, § 310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB.

 – Preisliche Gestaltung: Wirken sich die nachteilhaften AGB preislich vorteilhaft aus?

 – Risikobeherrschung: Werden Risiken auf den Verwendungsgegner abgewälzt, die er sonst nicht tragen müsste?

 – Verfassungsrecht: Stehen besondere Grundrechte in Rede, die durch die AGB berührt werden?

Wichtig ist und bleibt eine umfassende Würdigung des Einzelfalls.

d) Intransparente Klauseln

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Schließlich kommt eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB dadurch in Betracht, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Dies wird auch als das AGB-rechtliche Transparenzgebot bezeichnet. Im Gegensatz zur überraschenden Klausel liegt der Fehler der AGB hier nicht in ihrer unzureichenden sinnlichen Wahrnehmbarkeit und Erwartbarkeit, sondern in ihrer unzureichenden kognitiven Erfassbarkeit für den Verwendungsgegner und der damit verbundenen Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Rechten.49

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Eine solche Situation liegt zum Beispiel vor, wenn der Verwendungsgegner mit einer Vielzahl von Klauseln und Klauselmöglichkeiten konfrontiert wird, die ihm eine korrekte Ermittlung „seiner“ geltenden Bedingungen unzumutbar erschwert.50 Als ebenfalls widersprüchlich empfand es das LG Bochum zu Recht, wenn ein Online-Händler einerseits erklärt, dass bei einer Bestellung bis 11 Uhr werktags noch eine Versendung am selben Tag erfolgt, er andererseits aber eine Lieferzeit von 3–5 Wochen angibt.51

e) Unwirksamkeit unangemessen benachteiligender Klauseln

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Stellt sich heraus, dass eine Klausel den Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt, ordnet § 307 Abs. 1 S. 1 BGB die Unwirksamkeit der Klausel als Rechtsfolge an. Eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel auf ein AGB-rechtlich akzeptables Niveau kommt nicht in Betracht. Das stünde zum einen der ausdrücklichen Anordnung des § 307 BGB zuwider, zum anderen würde dies dafür sorgen, dass Verwender von AGB nahezu ungestraft treuwidrige Klauseln aufnehmen könnten, da ihnen schlimmstenfalls eine Absenkung auf das gerade noch erlaubte Niveau drohte.52

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Davon zu unterscheiden ist der sogenannte „Blue-Pencil-Test“53: Wenn sich ein Teil einer Klausel sinnvoll in Gänze streichen lässt und der übrigbleibende Klauselbestandteil als solcher einen rechtskonformen Geltungsinhalt hat, kann dieser Teil bestehen bleiben.54 Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, dass es keinen Unterschied machen kann, ob zwei Regelungsinhalte sprachlich in einen Satz gepackt werden oder stattdessen zwei verschiedene Sätze oder gar Paragrafen verwendet werden. Die „Klausel“ im Sinne der §§ 307ff. BGB ist folglich nicht nach Überschriften oder Satzeinheiten, sondern nach den Regelungsgegenständen zu bestimmen.55

35 Bezüglich Letzterem ausführlich BGH, Urt. v. 7.12.2010 – XI ZR 3/10, NJW 2011, 1801, 1802f.; Wurmnest, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 13. 36 BGBl. I 2021, S. 3433. Dazu Fuchs-Galilea, ITRB 2021, 173; Rehfeldt, IPRB 2021, 193. 37 Von rein akademischem Interesse erscheint die Frage, in welchem Verhältnis Unangemessenheit und Treuwidrigkeit stehen, so auch zu Recht Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 34. 38 H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 307 Rn. 14, spricht sogar von einer Unzulässigkeit wegen einer drohenden „Super-Inhaltskontrolle“. 39 BGH, Urt. v. 20.3.2018 – X ZR 25/17, NJW 2018, 2039, 2040, m. zust. Anm. Hoffmann-Grambow, damals noch § 649 BGB. 40 Zu Recht kritisch Schwab, JuS 2019, 59, 61. 41 BGH, Urt. v. 20.5.2010 – Xa ZR 68/09, MMR 2010, 677. 42 Dies wird deutlich, wenn die Zahlungserbringung des Käufers im Rahmen des § 433 BGB ohne Vereinbarung nicht etwa in das Belieben des Schuldners gestellt wird, sondern als Barzahlung zu erfolgen hat, vgl. Westermann, in: MüKo-BGB, 2019, § 433 Rn. 65; Saenger, in: HK-BGB, 2019, § 433 Rn. 12. 43 So geschehen in OLG Dresden, Urt. v. 3.2.2015 – 14 U 1489/14, K&R 2015, 262; dazu auch Junker, jurisPR-ITR 16/2015 Anm. 5, wo sämtliche gängigen Zahlungsmittel mit einem Aufschlag belegt wurden. Ein verdecktes Zahlungsmittelentgelt, das bei Verwendung bestimmter Zahlungsmittel anfällt, wäre eine unzulässige Umgehung der Anforderungen aus § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB. 44 So etwa bezeichnet von BGH, Urt. v. 27.9.2000 – VIII ZR 155/99, NJW 2001, 292, 301. 45 Siehe etwa BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11. 46 OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 9.5.2007 – 6 W 61/07, BeckRS 2007, 09846. 47 OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.6.2008 – 22 U 104/06, NJW-RR 2009, 166, 167. 48 Orientiert an Wurmnest, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 36ff. 49 Ähnlich Niebling, NJ 2019, 103, 104. 50 AG Frankfurt a.M., Urt. v. 21.2.2006 – 31 C 2972/05, NJW 2006, 3010, 3011 m. Anm. Kappus; von einem „Bedingungssalat“ spricht flapsig, aber im Kern zutreffend Kappus in der Urteilsanmerkung. 51 LG Bochum, Urt. v. 3.7.2013 – I-3 O 55/13 (unveröffentlicht, abrufbar unter https://www.hkmw-rechtsanwaelte.de/entscheidungen/landgericht-bochum-i-13-o–55-13-lieferzeiten-von-mehr-als–21-tagen/). 52 Grundlegend BGH, Urt. v. 17.5.1982 – VII ZR 316/81, NJW 1982, 2309, 2310; heute allgemeine Meinung, vgl. nur H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 20 m.w.N.; zur nicht unberechtigten Kritik an dem strengen System Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 306 Rn. 18. 53 Zur Herkunft aus dem angelsächsischen Raum Thüsing, BB 2006, 661. 54 H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 21. 55 Thüsing, in: Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2019, Teil „Klauselwerke“, Arbeitsverträge, Rn. 129.

 

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