Recht im E-Commerce und Internet

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VI. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen AGB-Vorschriften

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Stellt sich heraus, dass die fraglichen Klauseln entweder nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, ordnet § 306 Abs. 1 BGB die übrige Geltung des Vertrages als Regelfall an. Etwas anderes soll ausnahmsweise nur dann gelten, wenn das Festhalten am Vertrag eine unzumutbare Härte für eine der Vertragsparteien darstellen würde, § 306 Abs. 3 BGB. Dies mag etwa der Fall sein, wenn die AGB derart nachteilig ausgestaltet sind, dass der Verwendungsgegner das Vertrauen in den Verwender als Vertragspartner berechtigterweise verliert.

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Typischerweise wird sich aber nur der Verwender der AGB auf § 306 Abs. 3 BGB berufen, da sie für diesen zumeist eine Besserstellung bewirken. Für diesen Fall kommt es darauf an, inwieweit der Wegfall der Klausel für den Verwender vorhersehbar war56 und wie erheblich die (insbesondere wirtschaftlichen) Auswirkungen für den Verwender sind.57 Sofern durch Streichung der Klausel eine Regelungslücke im Vertrag entsteht, tritt das dispositive Recht an die Stelle der unwirksamen Klausel, § 306 Abs. 2 BGB. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Parteien keine andere einvernehmliche Lösung zum Regelungsgegenstand gefunden haben, die einer AGB-Kontrolle standhält.

56 Beispiele bei H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 27. 57 Kollmann, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 306 Rn. 34; H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 27.

VII. Prozessuales

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Befähigt zur Klageerhebung mit Folge der Überprüfung von AGB sind zunächst die Vertragsparteien im Rahmen des Vertragsverhältnisses, so sie aus den AGB bzw. aus deren Nichtgeltung Rechte ableiten. Daneben sind gemäß § 3 UKlaG unter anderem Verbraucherverbände, Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen sowie Industrie- und Handelskammern befugt, gegen die Verwendung der AGB zu klagen, wenn diese mit den §§ 307 bis 309 BGB unvereinbar sind, § 1 UKlaG. Die AGB müssen nicht vorher durch ein Gericht bereits für unzulässig erklärt worden sein,58 wenngleich der Wortlaut eine solche Interpretation durchaus zuließe. Sinn und Zweck des Verfahrens nach §§ 1, 3 UKlaG ist gerade die Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Klauseln, nicht die erneute Aburteilung einer bereits für rechtswidrig erachteten Praxis.59

Fragen und Aufgaben

 1. Wie häufig muss nach der ständigen Rechtsprechung ein Vertrag verwendet werden, damit er als AGB qualifiziert werden kann?

 2. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versandhändlers befindet sich folgende Formulierung: „Gewährleistung...Sollte ein bestimmter Artikel nicht lieferbar sein, senden wir Ihnen in Einzelfällen einen qualitativ und preislich gleichwertigen Artikel (Ersatzartikel) zu. Auch diesen können Sie bei Nichtgefallen innerhalb von 14 Tagen zurückgeben. Sollte ein bestellter Artikel oder Ersatzartikel nicht lieferbar sein, sind wir berechtigt, uns von der Vertragspflicht zur Lieferung zu lösen; wir verpflichten uns gleichzeitig, Sie unverzüglich über die Nichtverfügbarkeit zu informieren und etwa erhaltene Gegenleistungen unverzüglich zu erstatten.“Liegt ein Verstoß gegen §§ 305ff. BGB vor?

 3. Unternehmer A preist über seine Website Waren an. Seine AGB hat er in der Weise verlinkt, dass sich nach dem Betätigen des Buttons „AGB“ eine Scrollbox auf dem Bildschirm des Interessenten öffnet. Die Auflösung des Inhalts und die Scrollbox sind so dimensioniert, dass der Leser immer nur kleine Ausschnitte der AGB lesen kann. Um einen weiteren Ausschnitt der umfangreichen AGB zu erfassen, ist häufiges Scrollen erforderlich. Ist diese Darstellung zulässig?

 4. Unternehmerin A bietet über ihre Website Waren an. Um eine größere Reichweite zu haben, bietet sie neuerdings die Website auf Deutsch, Englisch und Französisch an. Hat dies Auswirkungen auf die bereits von ihr verwendeten AGB?

 5. Stellt ein Unternehmer seine Website auch als sog. mobile Ansicht zur Verfügung, sprich für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets, muss er dann zusätzliche Voraussetzungen beachten oder kann er einfach einen Link zu den AGB setzen, wie er das auf der Website auch macht?

 6. Der Unternehmer A widerspricht in seinen AGB etwaigen AGB des jeweiligen Vertragspartners. Der Unternehmer B schließt mit A einen Vertrag ab und fügt der Vertragsannahme seine AGB bei, in denen er seinerseits den AGB des jeweiligen Vertragspartners widerspricht. Nun gelten die AGB des B, da sein Widerspruch den Widerspruch in den AGB des A aushebelt. Richtig?

 7. Unternehmerin A verwendet folgende Klausel in ihren AGB: „Wenn Sie uns keinen bestimmten Wunsch mitteilen, wird der Wert der Rücksendung Ihrem Kundenkonto gutgeschrieben oder Sie erhalten beim Nachnahmekauf einen Verrechnungsscheck.“ Bestehen rechtliche Bedenken?

58 Walker, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 1 UKlaG Rn. 8. 59 Walker, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 1 UKlaG Rn. 10.

Kapitel 4
Formerfordernis und elektronische Signatur

Übersicht


Rn.
I. Grundsatz der Formfreiheit1
1. Funktionen der Schriftform2
2. Schriftform und neue Medien4
II. Rechtslage nach den früheren Signaturgesetzen7
1. Einfache elektronische Signatur11
2. Fortgeschrittene elektronische Signatur12
3. Qualifizierte elektronische Signaturen13
III. Rechtslage nach der eIDAS-Verordnung der EU14
1. Allgemeines14
2. Anwendungsvorrang17
3. Elektronische Identifizierung19
4. Vertrauensdienste22
5. Elektronische Signaturen und elektronisches Siegel25
IV. Anpassung der Formvorschriften im Privatrecht28
1. Elektronische Form, §§ 126 Abs. 3, 126a BGB29
2. Textform, § 126b BGB32
3. Ausschluss der elektronischen Form38
4. Elektronischer Rechtsverkehr40
5. Beweiswert elektronischer Dokumente im Rechtsstreit45
a) Beweiswert einfacher elektronischer Dokumente46
b) Beweiswert elektronischer Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur und von De-Mails48
V. Signaturverfahren51

I. Grundsatz der Formfreiheit

1

 

Grundsätzlich unterliegen Rechtsgeschäfte zwischen Privaten keinen Formerfordernissen. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 125 BGB, der die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur ausnahmsweise als Folge vorsieht, wenn es dem Rechtsgeschäft an der durch Gesetz oder nach dem Willen der Vertragspartner gewünschten Form mangelt. Diese Formfreiheit ist ein Ausfluss der Privatautonomie und bedeutet, dass Verträge geschlossen werden können, ohne dass die Vertragspartner dabei eine bestimmte Form beachten müssen. Für einige Rechtsgeschäfte hat der Gesetzgeber indes die Schriftform vorgesehen. So wird beispielsweise in § 766 BGB die Schriftform für die Bürgschaftserklärung verlangt, und § 623 BGB ordnet an, dass Kündigungen von Arbeitsverträgen stets schriftlich zu erklären sind.

1. Funktionen der Schriftform

2

Die gesetzliche Schriftform bei bestimmten Rechtsgeschäften soll drei Zwecken dienen. Zum ersten soll dem Erklärenden durch seine Unterschrift bewusst gemacht werden, dass er im Begriff ist, eine rechtlich besonders bedeutungsvolle Erklärung abzugeben (Warnfunktion). Zum zweiten wird durch die Unterschrift die Identität des Ausstellers erkennbar (Identitätsfunktion). Letztendlich trägt die Unterschrift am Ende des Textes als dessen Abschluss zur Klärung des Textinhalts bei (Beweisfunktion).1

3

§ 126 Abs. 1 BGB normiert, dass für die gesetzliche Schriftform die Urkunde am Ende eigenhändig vom Erklärenden unterzeichnet werden muss. Im Falle des gegenseitigen Vertrages müssen beide Parteien die Urkunde unterzeichnen (§ 126 Abs. 2 S. 1 BGB). Wird diese Form nicht beachtet, führt dies zur Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 BGB).

2. Schriftform und neue Medien

4

Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre lassen diese Regelungen als überkommen erscheinen. Zum Abschluss eines rechtsgültigen Vertrages ist es heute oftmals weder nötig, dass sich die Vertragspartner persönlich kennen, noch, dass sie Erklärungen in Papierform erhalten. Digital übermittelte Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Vertrages führen können, genügen dem Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB naturgemäß nicht.2 Die Vereinfachung, die der Vertragsschluss über das Internet erfahren soll, wird an dieser Stelle für nach dem Gesetz oder dem Willen der Vertragspartner formbedürftige Rechtsgeschäfte unmöglich gemacht.

5

In der Literatur herrschte teilweise Streit darüber, wie Willenserklärungen, die auf elektronischem Wege abgegeben werden, einzuordnen sind. So qualifizierte etwa Ebbing eine elektronische Willenserklärung trotz fehlender Verkörperung als Urkunde und regte an, die handschriftliche Unterzeichnung durch Eingabe der Unterschrift über die Tastatur oder durch Anfügen einer Grafikdatei, die die eingescannte Unterschrift enthält, genügen zu lassen; heute würde man über das Unterschreiben mit einem Pen oder dem Finger auf einem Tablet oder Smartphone sprechen.3

6

Der BGH lehnte 1993 die Formwirksamkeit einer Bürgschaftserklärung ab, weil diese mittels Telefax übermittelt worden war, § 766 S. 1 BGB aber Schriftform verlange.4 Die eigenhändige Unterschrift sei nur auf dem Originaldokument des Absenders, nicht aber auf der per Fax eingehenden Kopie des Empfängers vorhanden. Durch die Schriftform werde der Schutz des Bürgen bezweckt, und von daher käme eine Übertragung der Rechtsprechung aus dem Prozessrecht zur Einlegung von Rechtsmittelschriften nicht in Betracht.5 Angesprochen war hier die zuvor durch die Instanzrechtsprechung vorbereitete Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes von 1999, wonach fristwahrende Schriftsätze mittels Computerfax eingelegt werden können.6 Wenn diese aus dem Computer des Absenders mit dessen eingescannter Unterschrift zum Faxgerät des Gerichtes gesendet werden, so stünde dies der Schriftform im Prozessrecht nicht entgegen. Zwar gehöre zur Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift. Es käme jedoch nur darauf an, dass am Empfangsort – dem Gericht – auf Veranlassung des Absenders durch Ausdruck eine körperliche Urkunde erstellt werde, auf der die Unterschrift des Absenders zu sehen sei. Das Ziel der Verfahrensvorschriften sei nämlich kein Selbstzweck, sondern bestünde in der Wahrung der materiellen Rechte von Prozessbeteiligten, nicht in deren Behinderung. Der Wille des Absenders, den Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, könne nicht ernsthaft bezweifelt werden.

1 Zu den einzelnen Funktionen im Rahmen der die Schriftform anordnenden Tatbestände Wais, JuS 2020, 7; allgemein Musielak, JuS 2017, 949, 952. 2 Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2020, § 126 Rn. 11. 3 Ebbing, CR 1996, 271. 4 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 5 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 6 Gem. Senat, Beschl. v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, K&R 2000, 451.

II. Rechtslage nach den früheren Signaturgesetzen

7

Seit 1997 gab das Signaturgesetz (SigG) erstmals einen technisch-organisatorischen Rahmen vor, unter dessen Voraussetzungen digitale Signaturen als sicher vor Verfälschung gelten konnten. Das Signaturgesetz traf dabei jedoch keine Aussage, welche Rechtswirkungen die digitale Signatur auslösen sollte und ob damit einer gesetzlichen Form entsprochen werden konnte. Daher war ein Abschluss von Verträgen, für die die Schriftform vorgeschrieben ist, im Internet nicht ohne Medienbruch möglich.

8

1999 wurde dann mit Zustimmung des Europäischen Parlaments die Richtlinie 1999/93/EG für gemeinsame Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen erlassen. Sie trat am 19.1.2000 in Kraft. Damit wurde eine Harmonisierung des EU-weiten Binnenmarktes angestrebt, indem der Rahmen für einheitliche Kommunikation und Handel geschaffen wird. Die einzelnen Mitgliedsländer sollten durch Umsetzung in nationales Recht einen störungsfreien elektronischen Geschäftsverkehr auch für formbedürftige Rechtsgeschäfte gewährleisten. Dafür werden an die elektronische Signatur konkrete Rechtswirkungen geknüpft. In Art. 5 der Richtlinie war festgelegt, dass die qualifizierte elektronische Signatur der Unterschrift gleichgestellt und als Beweismittel zulässig sein sollte.

9

Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, die die EU-Richtlinie umsetzten. Dieser und dem Evaluierungsbericht der Bundesregierung folgend wurde „nach grundlegender Überarbeitung“ ein neues Gesetzeswerk auf den Weg gebracht: am 15.2.2001 verabschiedete der Bundestag das neue Signaturgesetz, das am 23.5.2001 in Kraft trat. Mit dem nachfolgenden Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2001 wurden sodann mit §§ 126 Abs. 3 BGB und 126a BGB ergänzend die elektronische Form im BGB eingeführt (dazu ausführlich unten Rn. 29ff.).

10

Dabei war und ist zwischen drei verschiedenen Arten der elektronischen Signatur zu unterscheiden.

1. Einfache elektronische Signatur

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Einfache elektronische Signaturen sind solche Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder mit ihnen verknüpft sind und zur Authentifizierung dienen. Gemeint ist z.B. ein eingetippter Name am Ende einer E-Mail, das Kopieren eines Bildes mit eingescannter Unterschrift in ein Dokument oder das „Unterschreiben“ mit dem Finger oder einem Stift auf einem Tablet oder Smartphone.7

2. Fortgeschrittene elektronische Signatur

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Als fortgeschrittene elektronische Signaturen werden solche Signaturen bezeichnet, welche die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen. Weder an die einfache noch an die fortgeschrittene elektronische Signatur werden unmittelbare Rechtsfolgen geknüpft. Ihre praktische Bedeutung ist daher gering.

3. Qualifizierte elektronische Signaturen

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Die qualifizierte elektronische Signatur muss vom Gesetzgeber vorgegebenen Anforderungen genügen. Insbesondere muss – wie bei der eigenhändigen Unterschrift – eine eindeutige Zuordnung der Signatur zum Signierenden gegeben sein und die Signaturerstellung in einer fälschungssicheren Umgebung erfolgen. Daher entspricht die qualifizierte elektronische Signatur rechtlich der eigenhändigen Unterschrift.

7 Viele Lösungen zur Onlineunterschrift von Dokumenten setzen ebenfalls im Standard auf einfache elektronische Signaturen, z.B. DocuSign und AdobeSign. Ein besonderer Beweiswert ist damit nicht verbunden, da derartige Signaturen die gesetzliche Schriftform nicht ersetzen und prozessual nicht die gleiche Bedeutung wie eine eigenhändige Unterschrift des Signierenden haben.

III. Rechtslage nach der eIDAS-Verordnung der EU
1. Allgemeines

14

Elektronische Kommunikationswege und elektronischer Geschäftsverkehr bieten große Chancen und Möglichkeiten, Handlungsspielräume zu erweitern und die Effizienz in Produktion, Handel und Dienstleistungen zu steigern.8 Gerade bei elektronischen Transaktionen in Wirtschaft und Verwaltung verhindern Sicherungsmittel wie Signaturen und Zeitstempel Manipulationen, sorgen für die Einhaltung bestimmter Formen bei Willenserklärungen und gewährleisten Beweissicherheit.9

15

Unter Verfolgung des Ziels eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes und einheitlicher Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Nutzung elektronischer Identifizierungsmittel ist deshalb am 17.9.2014 die eIDAS-Verordnung10 der EU in Kraft getreten, welche das bisherige Signaturrecht mit der Signaturrichtlinie und nationalen Umsetzungsgesetzen wie dem SigG und der SigV ablöste.11 Gemäß Art. 52 Abs. 2 eIDAS-Verordnung gilt die Verordnung mit einigen abschließend aufgezählten Ausnahmen seit dem 1.7.2016. Seitdem können demnach in allen EU-Mitgliedstaaten und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen nach dieser Verordnung angeboten werden.

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Zu den Regelungen der Verordnung zählen neben Neuregelungen betreffend die elektronische Signatur auch solche betreffend Dienste rund um elektronische Siegel, Zeitstempel, Zustellung elektronischer Einschreiben und Website-Zertifikate. Womit die Verordnung sich allerdings nicht beschäftigt, sind datenschutzrechtliche Regelungen. Dies wurde vielfach kritisiert, weswegen sich in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ein Verweis auf die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG findet, die am 25.5.2018 durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung abgelöst wurde.12 Darüber hinaus normiert Art. 4 Abs. 2 eIDAS-Verordnung, dass die Benutzung von Pseudonymen bei elektronischen Transaktionen nicht untersagt werden darf.

2. Anwendungsvorrang

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Als EU-Verordnung entfaltet die eIDAS-Verordnung gem. Art. 288 Abs. 2 S. 1 AEUV unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten. Es bedarf für die Geltung keines weiteren Umsetzungsaktes.13

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Die EU hat allerdings keine Kompetenz, das Recht eines Mitgliedstaates zu verändern oder außer Kraft zu setzen. Soweit sich jedoch die Verordnung und geltendes nationales Recht widersprechen, besteht ein Anwendungsvorrang der Verordnung. Dieser Anwendungsvorrang ist als ungeschriebene Norm des primären Unionsrechts zu verstehen.14 Zur Anpassung an die eIDAS-Verordnung sind deshalb verspätet am 29.7.2017 das SigG und die SigV durch das Vertrauensdienstegesetz (VDG) abgelöst worden, welches die Anforderungen der eIDAS-Verordnung konkretisiert und ergänzt.15

3. Elektronische Identifizierung

19

 

Im Bereich der elektronischen Identifizierung beseitigt die eIDAS-Verordnung bestehende Hindernisse. So war es zuvor nicht möglich, nationale Identifizierungsmittel auch international zu gebrauchen. Es mangelte sowohl an der Interoperabilität als auch an der Anerkennung von Identifizierungsmitteln anderer Mitgliedstaaten.16

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Gemäß Art. 6 eIDAS-Verordnung sind Mitgliedstaaten, die für nationale Online-Dienste die Verwendung eines elektronischen Identifizierungssystems verlangen, verpflichtet, solche Identifizierungssysteme anderer Mitgliedstaaten ebenfalls anzuerkennen. Diese Identifizierungssysteme müssen nach Art. 9 Abs. 2 eIDAS-Verordnung allerdings bei der Kommission notifiziert und in einer Liste veröffentlicht worden sein sowie dem Sicherheitsniveau „substanziell“ oder „hoch“ entsprechen. Eine Notifizierung ist nur dann notwendig, wenn das elektronische Identifizierungssystem unionsweit einsetzbar sein soll.17 Dies ist grundsätzlich möglich, wenn die Anforderungen aus Art. 7 eIDAS-Verordnung erfüllt sind.

21

Im Gegensatz zu dem zuvor in Deutschland geltenden Recht zur Regelung elektronischer Signaturen enthält die Verordnung deutlich weniger Regelungen. Die Verordnung sieht allerdings einen delegierten Rechtsakt sowie Ermächtigungen zum Erlass von Durchführungsrechtsakten vor, mit deren Hilfe die dünnen Regelungen durch die EU konkretisiert werden können.18

4. Vertrauensdienste

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Im Bereich der Vertrauensdienste werden durch die Verordnung in weiten Teilen erstmals Regelungen getroffen. Im Rahmen der Regelungen zu den Vertrauensdiensten wird zwischen „Vertrauensdiensten“ und „qualifizierten Vertrauensdiensten“ unterschieden.

23

Die allgemeinen Vertrauensdienste müssen gemäß Art. 19 Abs. 1 eIDAS-Verordnung durch „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zur Beherrschung der Sicherheitsrisiken“ geschützt sein, die unter „Berücksichtigung des jeweils neuesten Standes der Technik gewährleisten, dass das Sicherheitsniveau der Höhe des Risikos angemessen ist“. Darüber hinaus sind Sicherheitsverletzungen gemäß Art. 19 Abs. 2 eIDAS-Verordnung durch die Vertrauensdiensteanbieter den zuständigen Aufsichtsstellen zu melden.

24

Qualifizierte Vertrauensdienste sind solche, die alle einschlägigen Anforderungen aus Art. 3 Nr. 17 eIDAS-Verordnung erfüllen. Neben den Anforderungen an Vertrauensdienste sind deshalb noch die allgemeinen Anforderungen für qualifizierte Vertrauensdienste aus den Art. 20 bis 24 sowie die spezifischen Anforderungen aus den Art. 25 bis 45 eIDAS-Verordnung zu erfüllen. Darüber hinaus sind die Vorgaben aus den §§ 9 bis 16 VDG für qualifizierte Vertrauensdienste zu beachten.

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