Fürstin des Nordens - Trilogy

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Ermittlungsarbeit
1

Hauptmann Gaver hatte seine lange Kaffeepause beendet und schlenderte langsam über die Straße um seine alte Uniform zu lüften. Er ging wie ein Mann, der den ganzen Tag Zeit hatte. Nach außen hin wirkte Gaver auf die Städter wie immer – die Inkarnation von liebenswürdiger Inkompetenz und immer etwas zerstreut. Doch was kaum jemand ahnte, war die Tatsache, dass es momentan in seinem Verstand knisterte und knarrte. Er hatte einen Auftrag. Eine Mission. Einen Fall, der einen ganzen Wachmann bedurfte.

Gaver erinnerte sich gut an den Auftrag der Fürstin, wie sie ihm auftrug, nach einer geheimen religiösen Vereinigung zu suchen. Irgendwo in der Stadt wurde hinter vorgehaltener Hand also gebetet; sprich gegen das Gesetz der Werwölfe strikt verstoßen.

In vielen Teilen der Stadt gab es Gruppen von Männern und Frauen, die umhergingen oder still an einem Ort standen. Gaver hatte wie sonst auch seine Ohren offengehalten und war seinem Tagwerk nachgegangen. Wie üblich hatte ihn kaum jemand bemerkt, denn Gaver war wie für die Städter wie eine stadtbekannte streunende Katze, die hier und dort mal auftauchte und dann wieder verschwand. Er gehörte zum Stadtbild irgendwie dazu.

Nach wenigen Tagen kam der wichtigste Mann der Stadtwache zur folgenden Erkenntnis: es gab keine religiöse Gruppierung und wenn es sie gab, dann operierte sie im geheimen und war vor aller Augen verborgen.

Am nächsten Morgen, einen Tag nach der Lawinenkatastrophe von Blagrhiken, legte Gaver seine Lieblingslektüre „Tante Agathe und die Suche nach dem Pantoffeldieb“ zurück in das einzige Bücherregal der Stadtwache – neben ähnlich zerlesenen Werken wie „Almanach für junge Wächter“, „StGB Blagrhiken“ und seinem persönlichen Meisterwerk „Was hinter verschlossenen Türen so passiert“. Viele dieser Bücher wiesen Teeflecke, abgenutzte Seiten aber vor allem handschriftliche Zettel auf, die wie Zungen aus den Büchern ragten.

Gedankenverloren starrte er aus der offenen Tür raus auf die Straße, während sein bester Freund und Kamerad Korporal Axel Tee kochte.

Gaver klopfte sich an die Nase. „Ein Sturm zieht auf, Axel.“

„Wenn du das sagst, Gaver“, erwiderte Axel und schaute auf die Trümmer der ehemals so belebten Stadt. „Möglich, dass er schon da war.“

„Nja, im übertragenen Sinn, Axel.“ Der Hauptmann rekelte sich in seinem Thron und setzte eine gewichtige Miene auf. Gewisse Vorkommnisse erschienen ihm nun klar wie Kloßbrühe. „Ich denke, da draußen gibt es jemanden, der nicht mit offenen Karten spielt.“

„Wie kommst du darauf?“ fragte Axel.

Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass Axel eigentlich Alexandra Häberlein hieß.

„Die Fürstin war sehr deutlich, Axel.“ Er nickte seinen Korporal beiläufig an. „Ist dir etwas aufgefallen?“

„Was… meinst du?“

Er schnalzte mit der Zunge. „Du musst lernen, hinter den Fassaden zu schauen, nja. Dort draußen beten Menschen zu Götter. Aber ich weiß nicht, wer. Ist gegen das Gesetz. Das will sie nicht. Was tun?“

„Sag ihr, dass du nichts gefunden hast“, bemerkte sein Korporal geduldig und schüttete ihm Tee in seine Tasse ein. Und damit wäre wieder einmal ein Fall beendet gewesen – auf eine Gaver-typische Art: Der Schuldige ist nicht zur Wache gekommen und hat sich ergeben – also ist der Fall nicht zu lösen.

Diesmal nicht. Ehrgeiz machte sich im Oberstübchen des Hauptmanns breit und ließ ihn nicht mehr los. „Warum betet jemand zu einem Gott?“

„Weil er etwas will, schätze ich.“

„Etwas, das er vorher nicht hat? Nja, möglicherweise“, grummelte er leise und versuchte analytisch vorzugehen. „Meine Großmutter betete zu Lofl, dem Gott der Waisen. Lofl war ein guter Gott, der die Barmherzigen mit Gold und die Waisen mit Süßigkeiten belohnte. Dann wurde der Tempel geschlossen. Schade, eigentlich. Nja, leckere Schokoladenplätzchen.“ Er wischte sich mit dem Ärmel kurz über den Mund.

„Worauf willst du hinaus?“

„Die Leute beteten zu Lofl, damit er die Waisen beschützte und ihre Großzügigkeit honorierte. Aus Eigennutz. Hat mich nie gestört. Faszinierender Gedanke. Denkst du, die Leute von Blagrhiken beten zu einem Gott?“

Der Korporal hielt in seiner Arbeit inne. „Welcher Gott sollte das sein?“

„Zuerst die Frage, was wollen sie?“ flüsterte Gaver und versuchte angestrengt auszusehen. „Seit die Fürstin hier ist, geht es uns allen gut. Das sagen alle.“

„Ja, das stimmt.“

„Sie ist freundlich und hat den Leuten vieles abgenommen, nja. Warum sollten sie zu einem Gott beten?“

Jetzt kam Axel nicht mehr mit. „Du denkst, dass es keinen Grund dafür gibt? Dann sag ihr das. Sag ihr, dass ein Gott überflüssig ist, wenn alle glücklich sind.“

„Nja, wer hätte was davon?“

Der zweitwichtigste Mann der Wache schüttelte nur den Kopf. „Ich glaube, du machst dir zu viele Gedanken.“

„Brain war erst sauer, aber jetzt wirkt er zufrieden, nja. Er war doch mal Geistlicher. Gehen wir die Liste der Verdächtigen durch.“ Er holte einen gefalteten Zettel aus einer seiner Taschen und legte ihn offen vor sich auf dem Tisch. In ungelenker Handschrift standen Namen aller Personen, die zurzeit in Blagrhiken wohnten und einer Tätigkeit nachgingen. Gaver dachte an die Gräfin Agathe aus seinem Lieblingsbuch, die sich stehts viele Notizen machte und war in dem Moment stolz auf sein detektivisches Geschick. Mit all dem Hintergrundwissen fühlte er sich bereit das Verbrechen des Jahrhunderts aufzuklären. Zugegeben, es mangelte an Leichen oder an gestohlenem Gut, aber das stellte Gaver nicht vor einem Problem.

„Die Frage ist“, fachmännisch legte Gaver seine breiten Finger aneinander und wippte mit dem Stuhl. „wer immerzu unzufrieden ist. Er könnte uns sagen, nja, wer Interesse daran hat, eine religiöse Gruppierung zu bilden.“

Axel dachte über diese profunde Frage nach und prüfte sie aus verschiedenen Blickwinkeln. „Äh… ja,“ antwortete er schließlich.

„Fällt dir jemand ein, der immerzu unzufrieden ist“, fragte Gaver plötzlich lauter, langte nach einem Stift und kreiste den Namen ein. Dann zeigte er das Blatt Papier.

„Du meinst…“

„Er beschwert sich immerzu. Die Leute reden schon. Ich bin mir fast sicher!“

„Ein fast reicht da nicht, Gaver“, bemerkte Axel trocken. „Du brauchst Beweise.“

„Ich werde ihn im Augen behalten, Axel. Das könnte der Fall meines Lebens werden!“

Axel – eigentlich Alexandra Häberlein – war kein gebildeter Korporal und konnte weder schreiben noch lesen. Doch selbst wenn er in einer viel aufgeklärteren Zeit gelebt und viele Kriminalromane gelesen hätte, so würde er wie jetzt zum folgenden Schluss kommen: man brauchte Indizien, ein Motiv und vor allen einen begründeten Verdacht um gegen eine Person zu ermitteln. Gaver war einem Inspektor des Scottland Yard gedanklich und fachmännisch so weit entfernt wie eine Kuh dem Mond. Und doch ahnte niemand, dass Gaver einmal in seinem Leben voll ins Schwarze getroffen hatte.

Es wurde Zeit gegen Fritz, den Haushalter zu ermitteln.

2

Als erstes besuchte Claudile die Küche und war froh, die Glückliche Bettina nebst Anhang arbeiten zu sehen. Ihre besorgten Mienen erinnerte sie an die Gesichter von Menschen, die viel Leid und Elend gewohnt und sowohl mit Stolz als auch mit Armut gestraft waren. „Bitte setz dich zu mir.“

Die mehrfache Mutter und Küchenmagd blickte zu ihren Kindern, die zu Claudile sah und dann nickte. Sie war intelligent genug, den Unterschied zwischen einer Bitte und einer Anweisung zu erkennen.

„Ihr möchtet sicherlich, das wir gehen, Herrin.“

„Zeig mir zuerst die Speisekammer.“

Der Raum war nicht besonders groß, doch die Regale vom Boden bis zur Decke waren voller Einmachgläser, frisch geräucherten Würsten und Schinken, Körbe voller Obst und frisch gebackenem Brot. Claudile rechnete in Gedanken die Menge der Arbeit in Stunden, subtrahierte das Ergebnis durch den Umstand, dass gestern fast einhundert Männer und Frauen essen wollten und kam zu dem Schluss, dass jemand ununterbrochen arbeitete – entweder das, oder die Glückliche Bettina wurde des nachts von Mainzelmännchen besucht.

„Diese hier sind für Eure Ladyschaft reserviert“, gab Bettina kurz angebunden zurück und faltete die Hände im Schoß. Schwielige Hände, die so manchen Teig gerührt hatten.

Claudile schloss die Tür und wandte sich um.

„Ich glaube, dass manchmal… Vergünstigungen mitgenommen werden.“

Es wurde still.

„Weist du, woher ich das weiß?“

„Nein, Herrin.“

„Weil ich es so machen würde.“ Claudile kratzte sich ungelenk am Rücken und stöhnte verdrießlich. „Ich meine, da liegt das ganze schöne Essen und wird möglicherweise schlecht und jedes Kind weiß, dass Werwölfe viel lieber auf die Jagd gehen. Gestern hatte ich zuletzt zwei Kaninchen, als ich… unterwegs war. Ab und zu hole ich mir einen Apfel hier aus der Küche. Die schmecken köstlich. Zuerst das rohe Fleisch, und dann das Süße“, sie wischte sich kurz über den Mund um den Speichelfluss zu unterbinden. „Verstehst du, was ich sagen will?“

„Verliere ich meine Stellung, Herrin?“

Es wurde still.

„Hier, nimm mein Taschentuch“, sagte Claudile und reichte es ihr. „Ich weiß es, und du weist es. Ich rechne sogar damit, einverstanden? Niemand verliert seine Arbeit.“

„Danke, Herrin. Ich ahnte schon das Schlimmste.“ Sie schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. „Es ist nicht leicht mit so vielen Kindern und bis jetzt konnten wir uns nicht beschweren. Im Gegenteil. Meine Kleinen sind gerne hier. Hier ist es warm und gemütlich.“

 

„Bleibt, solange ihr wollt.“ Sie grunzte leise, als sie an Fritz denken musste. „Kann es sein, dass euch der Haushalter nicht leiden kann?“

„Komisch, dass du fragst“, antwortete Bettina ein bisschen mutiger und reichte das benutzte Taschentuch. „Der blöde Gaver war heute Morgen früh hier und hat genau dasselbe gefragt.“

„So? Bitte behalte das Taschentuch…“

„Ah, hier gibt es Frühstück“, sagte eine vertraute Stimme und der Schrecken des gestrigen Tages legte sich übers Claudiles anfangs gute Laune.

Sir Reynold spazierte fröhlich durch die Küche und tätschelte eins der Kinder den Kopf. „Da sind wir gestern noch mal mit dem Schrecken davongekommen, wie? Meiner Treu und sapperlot, sage ich! Was für ein Desaster!“

Bettina gesellte sich zu ihm, machte höflich einen Knicks und machte sich sogleich ans Werk.

„Auf ein Wort, Verehrteste“, sagte er.

Jetzt geht es los, dachte Claudile grimmig und spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Es waren nur ein paar Meter zum Tisch, doch der Gang fiel ihr schwer. Der Magistrat wirkte wie jemand, der gute wie schlechte Neuigkeiten mit derselben Begeisterung verkünden konnte.

Als sie sich setzte, bemerkte sie jetzt erst den Verband um seinen Arm. „Es ist nichts“, meinte er gelassen. „jemand hat mich zur Seite geschubst und ich habe mir den Kopf gestoßen.“

„Tut mir leid“, erwiderte sie schroff.

„So überlebte ich. Ich bin nicht blind, wisst ihr?“ Er lächelte Bettina zu, die ihm einen Teller mit Rührei und Speck brachte. „Danke. Ich hatte gestern Zeit über alles nachzudenken. Wisst ihr, warum es Adelige gibt?“ Dabei sah er sie fragend an, während er emsig futterte.

Was soll das jetzt, dachte sie. Findet er Gefallen daran?

„Nein.“

„Dann will ich Euch aufklären“, begann er zwischen zwei Bissen. „Die Götter haben uns den Grund und Boden vermacht, auf dem wir sähen und ernten. Der Grund und Boden ist es, den ihr im Auftrag der herrschenden Klasse verwaltet. Ihr seid also ein Verwalter. Ihr tragt Verantwortung für die Menschen. Der Adel ist die herrschende Klasse und die Bauern stehen Euch zur Verfügung.“ Er wackelte belustigt mit dem Kopf und schien sich zu amüsieren. „Denkt Ihr etwa, das eine geht ohne das andere? Ich habe viele Adelige beraten. Ich bin ein Berater, der still darauf wartet, dass die Adeligen dann auch entsprechend ihrer Verantwortung reagieren. Herzogin Ludmilla, beispielsweise, ist eine perfekte Aristokratin, die mich sofort überzeugt hatte. Stehts manierlich, immer entsprechend gekleidet und natürlich eine Werwölfin. Kennt Ihr sie?“

„Ja. Vom Sehen.“

„Seht Ihr? Es geht auch anders.“ Er wischte mit einem Stück Brot den Teller sauber und sah ausgesprochen zufrieden aus. „Eine gute Köchin habt Ihr da. Haltet Sie Euch nahe. Wo war ich? Ach ja, aber Ludmilla machte einen entscheidenden Fehler. Wollt Ihr wissen, welchen?“

Unruhig geworden nickte sie ihm zu. Jetzt sag schon, was du zu sagen hast!

„Nun, Ludmilla streifte sich die Klamotten ab, sobald ich vom Hof war und ging auf die Jagd. Sie tötete vor meinen Augen einen ihrer Dienstboten, aus mir unverständlichen Gründen. Heute ist sie keine Adelige mehr. Ich hatte mich in Ihr getäuscht. Eine nette, kleine Geschichte, nicht wahr?“

Claudile wusste nicht so recht, wohin das führen sollte. Sie nickte zaghaft.

„Ihr dagegen“, er schnalzte mit der Zunge und blickte zur Decke, als hätte jemand den folgenden Satz in die Decke graviert. „Fürstin Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont. Tochter des Großen Khans, stammt direkt von den Blutklauen ab. Aber ihr kleidet euch profan, gebt Euch dem Pöbel hin und haltet wenig von Etikette. So scheint es zumindest. Doch wenn man hinter der Fassade schaut, erkennt man eine wahre Fürstin.“

Sie stutzte. „Aber… ich dachte, dass…“

„Die Umstände, werte Fürstin“, erklärte Sir Reynold ruhig und lächelte. „Ihr habt vorgesorgt. Ihr ward bemüht, euren euch anvertrauten Volk in der Stunde der Not zu helfen. Sie achten und sie lieben euch. Und das macht doch schlussendlich einen Anführer aus.“ Er wischte sich mit seiner Serviette den Mund ab, stand auf und nahm Haltung an:

„Nach der „Consolatio ad Marciam“ von Seneca, nach welchen Maßstäben sich eine Frau auszurichten hat, kann ich Folgendes über Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont sagen: Vom heutigen Tage an wird von Eides her berichtet, dass sie „eine Frau von geistiger Größe, von großer seelischer Stärke und sittlicher Kraft, mit einem lauteren Charakter“ ist und das Amt der Fürstin mit Fug und Recht behalten soll.“

Sein Gegenüber glotzte. Sir Reynold stöhnte leise und führte aus. „Ich habt mit weiser Voraussicht und zum Wohle aller gehandelt. Das bedeutet, ja. Ihr seid wahrlich eine Fürstin. Vom heutigen Tage und für immerdar.“

Claudile grinste erst leicht, dann sprang sie auf, jubelte und klatschte in die Hände.

3

„Wie, um alles in der Welt, hast du das geschafft?“ Francesco starrte wie verzückt auf das versiegelte Dokument und zeigte es Brain, dem Stadthalter, der sich gänzlich unbeeindruckt gab, während Claudile immer noch breit grinste. „Ist nur ein Stück Papier.“

„Haltung bewahren“, flüsterte Francesco, während der Magistrat seine Kutsche vorfahren ließ. „Er ist noch da.“

Claudile starrte Brain an. „Ist nur ein Stück Papier“, äffte sie leise nach. „Denkst du, ich hätte nicht mitbekommen, dass du gestern mit ihm gesprochen hast?“

Brain strich sich über den Bart und starrte auf eine Stelle in der Ferne. “Du musst dich irren.“

„Du hast dich für mich eingesetzt.“ Tränen der Rührung kamen auf.

Brain schaute demonstrativ weg. „Das bildest du dir ein.“

Claudile ließ nicht locker. „Du bist ein wahrer Freund.“

„Soweit würde ich nicht gehen.“

„Sag, was du willst, du alter Griesgram!“ Sie schniefte leise und versuchte stramm Haltung einzunehmen.

Vor ihnen fuhr die Kutsche vor.

Langsam und würdevoll öffnete der Magistrat die Tür und stellte seine Tasche mit dem in Leder gebunden Buch ab, bevor er mühsam mit seinem verletzten Arm einstieg. Kurz bevor er die Tür zumachte, verbeugte er sich leicht.

„Ich denke nicht, dass wir uns je wiedersehen, Fürstin“, sagte er gutgelaunt und lächelte huldvoll. „Ich wünsche Euch alles Gute.“

„Der Magistrat könnte jetzt wirklich langsam verschwinden“, presste sie leise hervor und erwiderte das Lächeln.

„Ganz meine Meinung, Eure Ladyschaft“, sagte Francesco leise. „Aber trotzdem müssen wir uns weiter mit der Etikett befassen. Es kommen gesellschaftliche Pflichten auf uns zu. Bälle, gesellschaftliche Treffen anderer Art und dergleichen. Wir fangen gerade erst an.“

„Nein, ich denke nicht.“

„Es wird so passieren.“

„Alles Blödsinn“, grollte Brain.

Sie blickten gemeinsam zur Kutsche und waren glücklich. „Danke“, flüsterte Claudile leise und beide Männer fühlten sich angesprochen.

Korporal Axel und Hauptmann Gaver sahen der Kutsche nach, die klackernd über das Kopfsteinpflaster holperte, begleitet von gelegentlichem Schnalzen des Kutschers.

„Jetzt wissen wir, dass Fritz Briefe geschrieben und dem Kutscher gegeben hat“, bemerkte Axel zweifelnd. „Aber was bedeutet das schon?“

Gaver tippte sich mit dem Zeigefinger an die eigene Nase. „Du musst lernen über den Tellerrand zu sehen, Junge. Er ist ein emsiger, kleiner Mann. Lässt nichts unversucht, nja. Oh, er denkt, er wäre schlau. Aber wir sind schlauer. Oh, mein Junge, jetzt wird es kriminell.“

„Wir stellen doch nichts Unerlaubtes an?“

„Nja, die Verbrechen geschehen im Dunkeln. Die Kerze der Gerechtigkeit hüllt sie bald in helles Licht.“ Gaver bemerkte die Fürstin, wie sie der Kutsche nachwinkte und beeilte sich, sie schnell zu erreichen. „Auf ein Wort, Fürstin“, japste er schwer, denn selbst ein kurzer Dauerlauf war nicht seine Stärke. „Ich hätte eine Frage.“

Sie runzelte die Stirn und sah kurz zu Korporal Axel, der nur mit den Schultern zuckte. Gaver wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Ich hörte, dass Ihr vor kurzem bei einer Silbermiene ward. War es zufällig die Miene des Alten Boris?“

Claudile sah sich verzweifelt um. „Sie liegt etwa zwei Stunden von hier entfernt in südlicher Richtung, wenn das deine Frage beantwortet.“

„Korporal Axel erzählte mir davon, weißt du? Wir gehen einer Spur nach.“ Er hob und senkte gewichtig den Kopf.

„Schon möglich“, sagte sie ernst und versuchte erst gar nicht zu verstehen, was Gaver eigentlich damit bezweckte. „Aber ich warne euch! Zuletzt vernahm ich dort die Spur des Barons. Er könnte tot sein, aber…“ Eigentlich keine schlechte Idee, dachte sie bei sich. Zwei Menschen sehen in der Silbermiene nach dem Rechten. Hätte auch mir einfallen können.

„Vielen Dank. Auf geht’s, Korporal Axel!“

„Pass auf dich auf.“

„Oh, danke“, erwiderte Gaver über die Schulter und stupste seinen Kollegen an. „Siehst du? Sie mag mich.“

„So wird es sein“, bemerkte Axel lächelnd und zwinkerte der Fürstin zurück.

Sie blickte beiden nach und schüttelte den Kopf.

Mumme Mandan
1

Fritz war vollkommen frustriert. Wütend stapfte er durch die Hütte und warf den Kessel um, während die bandagierte Person zusammenzuckte. „Das ist nicht fair!“

Der Bandagierte knurrte etwas leise und hob beschwichtigend den Arm. Doch davon wollte Fritz nichts wissen. „Was muss ich denn noch tun!?“ schrie er gellend auf. „Es war perfekt geplant. Ich hatte alles bis ins Kleinste durchdacht, und dann macht eine verdammte Lawine alles zunichte. Es ist, als wollten die Götter selbst uns daran hindern.“

Der Bandagierte flüsterte leise. Es schien Fritz so, als wolle er die Verluste minimieren und sich aus dem Staub machen. Doch davon wollte Fritz nichts wissen. „Nein, mein Freund. Der Thron steht dir zu. Es ist dein angestammtes Recht zu herrschen, sowie es meins ist, dir zu dienen. So war es schon immer.“ Er hörte auf die leisen Worte, aber übertönte sie sofort. „Wir müssen uns mehr anstrengen. Nur ein paar Kerzen werden nicht reichen, sage ich. Wir müssen tiefer graben.“

Sein Gegenüber nahm seine Worte offenbar sehr ernst. Sein Blick wanderte zwischen dem Buch und seinem Freund hin und her. Dann hob er flehentlich den Arm und streichelte Fritzs Wange. „Ein letztes Opfer, Freund“, knurrte Fritz und zog ein Messer. „Du musst es tun. Das wird reichen.“

Baron Mattes Lyren starrte auf das Silbermesser.

„Du kommst als Neuerweckter ins Leben zurück.“

So fühlte es sich für Baron Mattes Lyren an. Für immer:

Die ersten Jahre genoss er Tod und Mord und sonnte sich im Ruhm seiner Taten. Doch zu viel Blut und Leid können schwächen, und als er erkannte, dass seine Liebe wegen ihm brannte, kam der Schmerz. Eine nicht endende Welle aus Selbstmitleid, Zorn und Trauer. Dann die Selbstverstümmelung. Die Selbstkasteiung. Die Welle in seinem Inneren brannte jetzt und würde immer brennen. Die Vergebung blieb aus und zurück blieb nur die Welle. Ein Teil von ihm würde immer noch in der Burg sitzen und sich schlimme Vorwürfe machen, neben Hunderten von leeren Flaschen Alkohol, während die Dämonen der Vergangenheit sein Innerstes auszehrten. Selbst nach Tagen in der Silbermiene verebbte die Welle nie und er hörte immerzu seinen Atem. Es war ein schwerer, zischender Atem, der an bereits wunden Nerven kratzte. Aber er konnte nicht aufhören zu atmen. Oder vergessen.

Er erinnerte sich an alles.

Du hast es getan. Du bist für alles verantwortlich.

In diesem lodernden Moment erkannte er die Falle des Teufels, und sein letzter Lebenswille erlosch. So fühlte es sich an Baron Mattes Lyren zu sein.

Für immer.

Mit stumpfer, verbrannter Hand nahm er das Silbermesser und holte aus.

Eine einzelne Träne rann aus seinem gesunden Auge, als er an Alexandra Häberlein dachte. Die süße, junge Alexandra. Er wünschte, dass er sie im Elysium wiedersah.

Das Ritual begann.

Fritz hatte sich um alles gekümmert und alle Vorkehrungen getroffen. Viele Jahre hatte er die alten Werke gelesen, gängige Lehren und Theorien über das Diesseits wie auch die verbotenen Werke studiert, die hohe Blutzölle verlangten. Jahre des Studierens und er war immer noch ein Neuling.

 

Stell dir einen Pianisten vor, der Klavierspielen nur anhand der Noten lernte aber ohne Instrument. Eine geringe Chance überhaupt Erfolg zu haben. Er war ein blutiger Laie, ein Affe an einer Schreibmaschine. Ein Hochstapler, der ein Meisterwerk versuchte.

Sein Ehrgeiz kannte keine Grenzen. Und die Götter würfeln.

Nun, selbst ein blindes Huhn…

Irgendetwas befahl ihr aufzuwachen. Sie ignorierte es. Wenn sie erstmal wach war, dann würden ihre Träume wahr werden. Wenn sie wach war, würde sie wieder existieren, und nicht zu existieren hatte ihr Frieden gebracht.

Irgendetwas befahl ihr aufzuwachen. Sie wehrte sich.

Die Alten und Neuen Götter existierten allein vom Glauben. Hier in der Zwischenwelt waren manche stark genug, um den Sprung zu schaffen. Sich neu fortzupflanzen und die Gläubigen als Leiter zu benutzen. Es war keine exakte Wissenschaft, sondern dass Eine Gesetz der Mächte, die mit den Menschen spielten, wie es ihnen beliebte. Hier in der Zwischenwelt schwebten sie als Dunst zwischen den Sphären – manche gut, manche böse. Manche subtil und verschlagen, manche brutal und eigennützig. Nur die wenigsten gaben ihre Kraft gerne weiter, um Leben zu erhalten.

Der Alte Gott Wotan hatte Jahrhunderte lange an Stärke gewonnen, weil die Barbarenstämme der Stohl-Ebene ihm mit Blutzoll Respekt zollten. Er hatte sich schließlich manifestiert und sich an den Opfern gütlich getan. Hatte sich berauscht an dem Geruch der Tränen und des Schmerzes. Die Zeiten waren vorüber, denn die Stämme waren zivilisiert geworden. Die Opfer blieben aus, und so schwebte Wotan wieder als geistlose Masse in der Zwischenwelt. Ein Kommen und Gehen.

Der Neue Gott Mammon hatte jüngst Erfahrung gewonnen, dass er wuchs, je mehr Händler und Kaufleute die goldenen Scheiben als Zahlungsmittel hin- und hertauschten. Er verstand nicht, warum. Das war nicht nötig, denn er lebte in jedem Herzen eines jeden Menschen und wurde als namenloser Gott präsent und verehrt. Er spürte früh, dass er ewig so existieren konnte.

Ganz anders die Göttin der Liebe: Schon seit Urzeiten liebten Mensch und Tiere. Selbst kleine Feldmäuse vergaben ihre Liebe an ihre Kleinen, selbst der hässlichste Skorpion achtete auf die Wünsche seiner Gemahlin. Ihre Macht rauschte wie ein Sturzbach und würde nie versiegen. Momentan war ihre Balance so ausgeglichen, das sie mal als Mensch, mal als Tier über die Erde wandelte und absolute Freiheit genoss.

Und dann gab es die Schatten.

Jene Seelen, die vor Äonen mit blankem Trotz und voller Wut den umgekehrten Weg gegangen waren. Sie waren nicht in den Kreislauf zurückgekehrt, sondern waren wie eine eiternde Wunde, die nie heilte. In Ewigkeit verdammt zu treiben und sich selbst zu verzehren. So eine Seele war die Mumme namens Mandan. Uralt und verschlagen. Verraten und gesteinigt von jenen, die vor Jahrhunderten ihrer Macht neideten.

Langsam und verschwommen begann sie etwas wahrzunehmen. Ein kurzer Ruf, ein Echo vielleicht. Etwas außerhalb von ihr. Ein Teil von ihr spürte enorme Erleichterung, ein anderer eine unglaubliche Wut. Jemand kratzte von außen an ihrem Kokon, rief sie zu sich.

Dann verstand sie.

Zwei Wesen, unterschiedlich in ihrer Form, teilten den Kummer über ihre Welt und wollten sie. Ausgerechnet.

Sie beobachtete, wie sie unbeholfen die Worte sprachen. Tumbe Wesen mit der Grazie eines Frosches. Die Formel war schwierig, der Preis bereits gezahlt. Das Opfer verlangte den Gegenwert.

Ein Werwolf. Verwundet. Leidend. Wahnsinnig. Gut.

Ein alter Mann. Traurig, aber voller Rachsucht. Gut.

Sie blinzelte und drehte sich in ihrem Kokon, beobachtete neugierig die Narren, die nach ihr verlangten.

Sie nahm Anlauf, als Baron Mattes Lyren das Messer gegen sich selbst erhob.

Und sprang…

Fritz wandte sich voller Abscheu ab, so verstörend und widerlich war der Anblick der Sumpfhexe Mandan, deren Buckel gigantisch und deren Kopf haarlos und die Nase lang und gebogen war. Ihre weiten, fast pupillenleeren Augen waren tief in den dunkle Höhlen gesunken, ihr Mund zuckte in einer Grimasse entsetzlichen Wahnsinns. Bar jeder Würde und Anmut hatte sich der Körper verkrampft, ihre Bewegungen waren angespannt und hastig wie die abscheulichen Zackenwesen in der Gischt des Ozeans. Geduckt wandte sie sich an ihren Jünger: „Ja, ihr fandet Mumme Mandan. Urzeitalte Zauberweise. Unheil bringe ich von Ferne. Lasst fahren euren Mute.“ Ihre Stimme klang hoch, unmenschlich gar und zeugte von viel zu vielen dunklen Taten, die das Innerste aufzerren.

Kaum war die Hand seines Freundes um das Messer erschlafft, wusste Fritz, dass er einen entsetzlichen Fehler begangen hatte.

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