Truth & Betrayal

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Sari: Southern Boys #1
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Und dann werden wir reden.

Jake hatte den Laptop gewollt, um irgendwie abschließen zu können, aber das war ihm nicht gelungen. Was er gesehen hatte, hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, und Liam war der Einzige, der ihm diese Antworten vielleicht liefern konnte – immer vorausgesetzt, er ließ Jake in die Wohnung.

***

Jake stellte den Motor ab und gähnte. Gott sei Dank hatte er angehalten und sich ein paar Dosen Energydrinks besorgt. Er hatte in der vergangenen Nacht sehr schlecht geschlafen und war, kaum dass er wach war, in seinen Pick-up gestiegen. Mama war nicht dumm. Die dunklen Schatten unter seinen Augen, die er an diesem Morgen im Spiegel gesehen hatte, konnten ihr nicht entgangen sein, aber sie hatte nichts gesagt, sondern ihm einfach eine Tasche mit Eistee und einem riesigen Sandwich in die Hand gedrückt.

Die Strecke das zweite Mal zu fahren, war etwas einfacher gewesen, und erneut hatte sich das Radio als Glücksfall erwiesen. Alles war besser als Stille. Die brachte ihn nur dazu nachzudenken.

Jake stieg aus dem Pick-up und ging zu den Stufen hinüber, die zu dem überdachten Gehweg führten. Er erreichte die Tür mit der Hausnummer acht und klopfte laut. Liam hatte natürlich Calebs Schlüssel behalten. Als die Tür geöffnet wurde, setzte Jake ein Lächeln auf, nach dem ihm absolut nicht war. »Morgen. Ich –«

Er stand einer jungen Frau mit einem Baby auf dem Arm gegenüber. »Hallo. Kann ich helfen?«

Hinter ihr tauchte ein junger Mann mit einem ungepflegten Bart auf und bedachte ihn mit einem fragenden Blick.

Jake runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie. Ich bin gekommen, um Liam zu besuchen. Er wohnt hier.« Er schaute an dem Paar vorbei in den Flur, an dessen Wänden Kisten aufgestapelt waren. Was zum Teufel?

Der Blick des Mannes wurde freundlicher. »Ah, war das der Typ, der hier vorher gewohnt hat? Er ist vor einer Woche ausgezogen. Wir sind eben erst eingezogen. Als die Wohnung frei wurde, haben wir die Gelegenheit sofort beim Schopf gepackt.« Er deutete auf die Kisten. »Noch herrscht Chaos, aber es wird langsam, nicht wahr, Süße?« Er legte den Arm um die junge Frau.

Jake reagierte schnell. »Haben Sie vielleicht eine Nachsendeadresse für ihn?«

Sie schüttelte den Kopf. »Der Vermieter meinte, wir sollen seine Post sammeln, er holt sie dann ab und schickt sie weiter. Tut mir leid.«

Jake dankte ihnen und verabschiedete sich, dann ging er benommen den Gehweg entlang.

Wie zum Teufel hat er es geschafft, so schnell umzuziehen? Dann dachte er an den spartanischen Eindruck, den die Wohnung gemacht hatte, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Tja, fuck. Er war nahe dran gewesen, hatte es nur aus der falschen Perspektive betrachtet. Es hatte nicht so ausgesehen, weil jemand eben erst eingezogen war – jemand hatte alles zusammengepackt und war im Begriff gewesen auszuziehen.

Und er hat kein Wort gesagt. Liam musste es gewusst haben. Aber warum hätte er es erwähnen sollen? Es war ja nicht so, als hätte er gedacht, dass er mich je wiedersehen würde.

Der Laptop hatte alles verändert.

Jake stieg in den Pick-up und zog das Handy heraus. Er scrollte durch die Kontakte und rief Liam an.

Er ging nicht ran.

Er versuchte es mit einer Nachricht. Hast du einen Moment? Muss mit dir reden.

Keine Reaktion.

Jake grummelte lautstark. »Nicht schon wieder. Damit kommst du nicht durch.« Er rief erneut bei Liam an, wiederholte das mehrmals, bevor er sich dazu entschloss, es klingeln zu lassen. Es hatte schon mal funktioniert, also warum zum Teufel sollte er es nicht so versuchen?

Nach zehn Minuten ging Liam ran. »Du bist hartnäckig, das muss man dir lassen.«

Jake ignorierte ihn. »Wo zur Hölle steckst du? Und sag nicht, in deiner Wohnung, denn wir wissen beide, dass das eine verdammte Lüge ist.«

Mehrere Sekunden vergingen, dann hörte er Liam schwer seufzen. »Was willst du von mir, Jake?«

Das war eine gute Frage. Dummerweise wusste Jake keine Antwort darauf.

Kapitel 10

»Also, wo bist du? Und warum hast du mir nicht gesagt, dass du ausziehst?« Jake beantwortete Liams Frage mit ein paar eigenen.

»Entschuldige bitte, mir war nicht klar, dass dich das was angeht!« Liam atmete hörbar ein. »Schau, als du aufgetaucht bist, um Calebs Sachen zu holen, hatte ich schon geplant, eine Weile zu meinen Leuten zu ziehen. Ich konnte nicht mehr bleiben. Zu viele Erinnerungen. Ich hab auch meinen Job gekündigt. Ich kann momentan auf keinen Fall in Atlanta leben. Jedes Mal, wenn ich die Straße entlangging, oder an unserem Lieblingsrestaurant vorbei, da war mir diese… Leere neben mir bewusst. Weil er nicht da ist, kann ich es auch nicht sein. Und es ist nicht so schlimm, wieder zu Hause zu sein. Ich such hier nach einem Job.« Liam hielt inne, dann sprach er mit leiser Stimme weiter. »Was uns wieder zu dir bringt. Du weißt jetzt alles. Warum rufst du mich immer noch an? Warum kannst du es nicht ruhen lassen?«

Sein Herz schmerzte. »Weil er nicht hätte sterben sollen, nicht bevor ich die Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden.« Jake schluckte schwer. »Gott, wenn du nur wüsstest, wie lange ich darauf gewartet hab, mit ihm zu reden.«

»Du hättest nur anrufen müssen, oder?«

»Uh-hu. Nicht für dieses Gespräch. Das war etwas, was ich ihm direkt sagen musste, und jetzt werd ich nie mehr die Gelegenheit dazu bekommen.« Seine Kehle zog sich zusammen und er verstummte.

»Ihm was sagen?«

»Dass… wir uns ähnlicher waren, als ich dachte. In einer Weise, wie ich es nie vermutet hätte.« Jake unterdrückte seine Tränen. Er würde nicht zusammenbrechen, nicht während er in seinem Pick-up saß und mit Liam telefonierte.

»Auf welche Weise, Jake?« Liams Stimme war nur ein Hauch. »Was war so wichtig, dass du es mit ihm teilen musstest?«

Jetzt gab es kein Zurück mehr, nicht, wenn er so weit gekommen war. Und er wusste, dass er von Liam nichts zu befürchten hatte. »Dass ich… schwul bin.« Jake hielt den Atem an, ohne recht zu wissen, warum.

»Na, da soll mich doch –« Liam atmete tief aus. »Weiß es jemand?«

Trotz seiner total chaotischen Emotionen musste Jake lächeln. »Na ja, – du.« Sein Seufzen klang wie Liams. »Ich hab auf die richtige Gelegenheit gewartet, es Caleb zu sagen, aber es schien nie eine zu geben. Und wenn ich was hätte sagen können, hab ich gekniffen. Hatte wohl zu viel Schiss.«

»Vor was?«

»Wie er reagieren würde.«

Liam lachte ironisch. »Junge, ihr zwei wart euch wirklich ähnlich. Caleb wollte es dir unbedingt sagen, aber er hatte Angst, dass du wie dein Daddy reagieren würdest. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass er von der Aussicht, einen schwulen Sohn zu haben, nicht sonderlich begeistert gewesen wäre. Caleb sagte, du und dein Daddy seid euch sehr ähnlich, und –«

»Oh.« Und ich dachte, Caleb kennt mich. »Wir sind uns in vielen Dingen ähnlich, aber darin nicht.«

»Dir muss grad so viel durch den Kopf gehen.«

»Du hast ja keine Ahnung.« Jetzt gab Jake ein ironisches Glucksen von sich. »Na ja, vielleicht doch.« Und da hatte er die Situation vorher schon für verkorkst gehalten…

»Gibt es jemanden, mit dem du reden kannst?«

Und das war genau das, was Jake quälte. »Niemanden, bei dem ich darauf vertrauen kann, so zu reagieren, wie ich es brauche.« Er hatte genug von dem mitbekommen, was auf den Fluren der Schule vorging, dass er sich nicht hundertprozentig sicher sein konnte, ob seine Freunde ihn unterstützen würden. Ihr familiäres Umfeld war genau wie sein eigenes. Es war schwer, solchen Anschauungen aus dem Weg zu gehen, nicht, wenn man sie jeden Tag lebte und atmete.

»Hör mal… willst du mit mir reden?«

Jake blinzelte die Tränen weg, die ihm in die Augen stiegen, und sein Gesicht wurde warm. »Meinst du das ernst?« Er war nicht sicher, ob er sich derart aufdrängen konnte. Liam kannte ihn überhaupt nicht.

»Ist nur ein Vorschlag. Ich nehm an, du bist bei der Wohnung?«

»Ja.«

»Also, wie ist dein Plan?«

»Ich wollte nach Hause fahren.« Hier hielt ihn nichts.

»Wenn du das vorhast, dann fahr los, bevor es zu spät wird. Du hast emotional eine Menge durchgemacht und ich kann mir vorstellen, dass du erschöpft bist. Und wenn du zu müde bist, um zu fahren, dann bitte, Jake, übernachte irgendwo. Es gibt an der Pine Street ein günstiges Motel, das ist nicht allzu weit entfernt. Du darfst nicht fahren, wenn du müde bist.«

Er passt auf mich auf. Bei dem Gedanken breitete sich Wärme in Jake aus. Er wusste, dass Caleb der Grund für Liams Besorgnis war. Das, und sein Angebot, dass Jake mit ihm reden konnte, machten Jake klar, dass sein Bruder einen guten Mann gefunden hatte.

»Das klappt schon. Ich lege ein paar Pausen ein und wenn ich müde werde, schlafe ich ein bisschen.« So sehr ihm die Vorstellung gefiel, jemanden zu haben, dem er sich anvertrauen konnte, wollte Jake nicht egoistisch sein. »Bist du sicher, dass es okay ist, dich anzurufen? Denn ich würde es verstehen, wenn das zu viel für dich ist.« Er vermutete, dass es schmerzhaft sein würde, so kurz nachdem er Caleb verloren hatte.

»Ich würde Calebs kleinen Bruder das nie allein durchmachen lassen. Du hast meine Nummer. Und ich versprech dir, nächstes Mal gehe ich gleich ran. Jederzeit, Jake, okay?« Es klang absolut aufrichtig.

»Danke.«

»Und wenn du immer noch Fragen wegen Caleb hast, stell sie einfach. Ich hab vielleicht nicht auf alle eine Antwort, aber ich werde mein Bestes geben.«

»Mehr kann ich nicht verlangen, oder?« Zum ersten Mal, seit er Liam angerufen hatte, konnte Jake richtig durchatmen. »Ich fahr dann jetzt los.«

 

»Schreib mir, wenn du angekommen bist, okay?«

Jake versicherte Liam, dass er das tun würde, dann legte er auf. Er hatte vier Stunden Fahrt vor sich, aber er fühlte sich verdammt viel besser als auf dem Weg hierher. Es tröstete ihn, zu wissen, dass er zum ersten Mal nicht allein war.

Es war ein gutes Gefühl.

***

Als Jake den Stadtrand von LaFollette erreichte, erwies sich Liams Einschätzung als richtig: Er war körperlich und emotional erschöpft. Bedauern war das Gefühl, das ihn auf dem Heimweg am meisten gequält hatte. Er wünschte sich, Caleb hätte etwas gesagt. Wünschte sich, er hätte etwas gesagt. Dann fiel ihm ein Spruch ein, den sein Englischlehrer in der zehnten Klasse bei vielen Gelegenheiten gern angebracht hatte: Macht es euch zu einer Lebensregel, niemals zu bereuen und nie zurückzublicken.

Tja, leichter gesagt als getan.

Jake fuhr die Einfahrt hinauf und parkte seinen Pick-up hinter dem seines Daddys. Er war hundemüde und mehr als bereit, etwas zu essen. Mama öffnete die Tür, bevor er nach der Klinke greifen konnte, und zog ihn in eine Umarmung. Jake hielt sie fest, atmete ihren vertrauten Duft ein, eine Mischung aus Parfüm, frisch gewaschener Baumwolle und Gebäck.

»Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«, flüsterte sie, die Arme noch immer um ihn gelegt.

Jake musste ehrlich sein. »Ja und nein. Mit Liam zu reden, hat ein bisschen geholfen, aber…« Er löste sich aus ihrer Umarmung und schaute ihr in die Augen. »Würdest du es verstehen, wenn ich sage, dass ich vielleicht dorthin zurückwill?« Sie musste nicht wissen, dass Liam jetzt in North Carolina war. Es war auch nicht so, dass er vorhatte dorthin zurückzugehen, aber er wollte sich einen Eindruck von der Lage der Dinge verschaffen. Wenn sie der Vorstellung zumindest nicht ablehnend gegenüberstand, gab ihm das die Möglichkeit, falls er sie brauchte.

Mama musterte ihn einen Moment, dann umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen. »Wir versuchen alle, unseren Weg zu finden, damit fertigzuwerden, aber du darfst keine Angst haben, um Hilfe zu bitten, wenn du sie brauchst.« Mit nachdenklicher Miene hielt sie inne. »Ich hab heute Morgen mit Reverend Hubbert über dich gesprochen. Ich finde, du solltest morgen mit uns in die Kirche gehen.«

Jake unterdrückte den Drang zu seufzen. »Ich gehe ab und zu hin, aber immer nur wegen dir, Mama. Also… ich denke, ich komme nicht mit.« Er wollte ihren Vorschlag nicht einfach abtun, aber es war besser, wenn sie die Wahrheit wusste.

Mama nickte. »Ich bin vielleicht nicht glücklich über diese Entscheidung, aber ich versteh's. Dein Daddy bewältigt es, indem er sich in seiner Arbeit vergräbt. Mir gibt die Kirche, was ich brauche.« Sie hielt inne. »Wenn… der Kontakt zu Calebs Freund in Atlanta dir hilft… wenn du dafür Urlaub brauchst… Dann unterstützen wir dich.« Sie grinste. »Und ich werde dafür sorgen, dass dein Daddy das auch versteht.«

Er drückte sie fest an sich. »Du bist die beste Mama der Welt.«

Mama kicherte und schob ihn weg. »Schmeichler. Du willst nur, was ich für dich im Ofen hab.«

Er verdrehte die Augen. »Na ja, was denn sonst?« Jake folgte ihr ins Haus und war trotz seiner Müdigkeit etwas optimistischer.

Das Telefongespräch mit Liam hatte, obwohl es nicht alle seine Fragen beantwortete, zumindest einen Lichtschimmer am Ende des Tunnels geliefert. Und einen Vertrauten.

***

Jake war gerade mit dem Frühstück fertig, als sein Handy klingelte, und er lächelte, als er Petes Namen auf dem Display sah. Er hatte vorgehabt, sich zu erkundigen, was seine Freunde vorhatten. »Hey, was geht?«

»Was machst du am Dienstag? Hast du schon was vor?«

Die scheinbar willkürlich gestellte Frage verwirrte ihn kurz. »Warum am Dienstag?«

Pete schnaubte. »Bist du wach? Hast du einen Kalender in der Nähe? Dann schau mal drauf, Blödmann!«

Belustigt schaute Jake quer durch die Küche. »Echt jetzt?« Wie konnte er derart das Zeitgefühl verloren haben, dass er nicht wusste, dass Dienstag der vierte Juli war, der amerikanische Unabhängigkeitstag?

Spöttisches Gelächter drang an sein Ohr. »Also? Unternimmst du was mit deinen Eltern?«

»Ich glaub nicht.« Die Tatsache, dass bisher nicht drüber geredet worden war, lieferte einen guten Anhaltspunkt. »Warum? Hast du einen Vorschlag?« Jake war nicht wirklich in der Stimmung zu feiern.

»Dan, Mike und ich fahren nach Knoxville. Die Party geht gegen vier los, aber wir dachten, wir machen einen Tagesausflug draus. Willst du mit?«

»Ich müsste Mama und Daddy fragen.«

»Uns was fragen?« Mama kam dicht gefolgt von Daddy in die Küche.

»Pete hat gefragt, ob ich am vierten Juli mit ihm und ein paar anderen nach Knoxville fahren will.«

Mama kniff die Augen zusammen, aber Daddy nickte begeistert. »Klingt nach einer großartigen Idee. Du verbringst nicht genug Zeit mit deinen Freunden. Is' ja nicht so, als müsstest du arbeiten, stimmt's? Und wir hatten nich' vor, was Besonderes zu machen, oder, Schätzchen?«

»Nein, aber…« Mama schürzte die Lippen, bevor sie weitersprach. »Solange ihr Jungs nicht vorhabt zu trinken und dann zu fahren. Und komm mir nicht mit der Aber wir sind zu jung, um zu trinken-Nummer. Ich bin schließlich nicht von gestern.«

»Das hab ich gehört«, sagte Pete lachend. »Sag deiner Mama, Alkohol ist nicht erlaubt.«

Jake wiederholte seine Worte, auch wenn er, so wie er seine Freunde kannte, vermutete, dass irgendwann Alkohol auftauchen würde. Aber was Mama nicht weiß, macht sie nicht heiß.

Mama nickte widerwillig. »Na schön. Aber komm direkt nach dem Feuerwerk nach Hause. Du musst am nächsten Morgen früh raus.«

»Na klar, Mama.« Jake freute sich unglaublich über die Gelegenheit, ohne seine Eltern nach Knoxville fahren zu können. LaFollette mit seinen knapp siebentausend Einwohnern war verglichen mit Knoxville winzig. Dort mussten mindestens zweihunderttausend Menschen leben.

Den vierten Juli in einer großen Stadt mit einer hoffentlich vielfältigeren Bevölkerung zu verbringen…

Jake konnte es kaum erwarten.

Kapitel 11

Pete tippte rhythmisch auf das Lenkrad. »Ich weiß ja nicht, wie es bei euch aussieht, Jungs, aber ich bin definitiv bereit, es mir gut gehen zu lassen.«

Hinter ihm lachte Mike schrill. »Oh, ich denke, ich kann dir dabei helfen.« Er hielt grinsend seinen Rucksack hoch.

Vom Beifahrersitz aus musterte Jake ihn misstrauisch. »Okay, was hast du ausgeheckt? Was ist da drin?«

Mike öffnete den Rucksack und holte eine große Flasche organgefarbene Gatorade heraus. »Ich hab vier davon. Wir können sie nur nicht in den Park mitnehmen.«

»Warum nicht?« Jake verdrehte die Augen, als Pete und Mike in kindisches Gelächter ausbrachen. »Echt jetzt? Du hast Gatorade mit Schuss mitgebracht?«

Mike stieß Dan in die Seite. »So wie Jake redet, könnte man denken, er kennt uns kein bisschen.« Er fing wieder an zu lachen und Dan fiel ein. »Natürlich ist da Alkohol drin. Du glaubst doch nicht, dass ich das sonst trinken würde, oder?« Er stupste Pete gegen die Schulter. »Sind wir bald da?«

»Ist nicht mehr weit.« Pete sah durch die Windschutzscheibe und achtete auf die Wegweiser.

Dan gluckste. »Ich freu mich schon seit Wochen drauf.«

In Jakes Kopf klingelte eine Alarmglocke. Auf keinen Fall wäre Dan wegen ein paar Bands, dem Knoxville Symphony Orchestra und zwanzig Minuten Feuerwerk dermaßen aufgeregt. »Worauf genau freust du dich?«

Dan strahlte. »Den Love Shack.«

Jake stöhnte. »Großer Gott.« Er hätte es wissen müssen.

»Könnt ihr Nasen mal kurz die Klappe halten?«, knurrte Pete. »Ich muss mich konzentrieren, sonst landen wir wieder in LaFollette.«

Jake sah nach vorn auf das unübersichtliche Straßengewirr. »Sag mir, wonach du suchst, und ich sag dir, wo's langgeht.«

»Henley Street. Ich glaube, die ist direkt vor uns, aber da sind so viele Abfahrten.«

Jake musterte die Schilder über dem Highway und zeigte in eine Richtung. »Da lang.«

»Alles klar.« Es dauerte nicht lange und sie waren auf dem richtigen Weg. »Jetzt müssen wir nach rechts, auf die Cumberland Avenue. Die führt direkt zum Love Shack.« Er grinste. »Falls du es noch nicht erraten hast, das ist ein Sexshop.«

Mike räusperte sich. »Ein Laden für exquisite Erwachsenenunterhaltung, wenn's recht ist.«

Pete schnaubte. »Was auch immer. Da gibt's Videos, Spielzeug, alles, was ein geiler Kerl braucht. Gar nicht weit weg ist auch ein Strip-Club.«

»Wann sollen wir denn Zeit haben, in einen Strip-Club zu gehen?«, wollte Jake wissen. »Ich weiß ja nicht, wie's bei euch aussieht, aber meine Mama sagte, ich soll direkt nach Hause kommen.«

»Lieber Himmel, du hast dich in einen wahren Musterknaben verwandelt«, sagte Mike mit großen Augen. »Du hast nicht wirklich gedacht, dass wir hier sind, um das Feuerwerk anzuschauen, oder?« Die beiden anderen lachten.

Jake ignorierte die Kommentare. »Und selbstverständlich habt ihr auch überprüft, ob diese Läden heute geöffnet haben, stimmt's?« Sein Herz hämmerte. Er hatte keine Lust, jede Menge nackter Mädchen anzuschauen.

»Jepp. Die Öffnungszeiten sind ein bisschen anders, aber ja, sie haben geöffnet.« Mike streckte die Hand aus und reichte Jake mit lüsternem Blick sein Handy. »Schau mal. Da steht, sie sind nackt, aber man darf sie nicht anfassen.«

Zum Glück waren die Mädchen auf den Bildern angezogen, auch wenn sie nur winzige Kostüme trugen. »Nett von euch, dass ihr mir sagt, was wir tun werden«, witzelte er, als er das Handy zurückgab und seinen rasenden Herzschlag ignorierte. Dann ging ihm auf, dass eines ihrer Ziele tatsächlich zu seinem Vorteil sein könnte.

Ein Laden für exquisite Erwachsenenunterhaltung ist nicht nur für Heteros, richtig? Und wenn es in Knoxville eine Schwulenbar gibt, ist es naheliegend, dass der Laden auch Zeug für Schwule führt.

»Vergiss nicht, deinen Browserverlauf zu löschen, bevor du nach Hause kommst«, erinnerte Pete Mike. »Du weißt, wie deine Mama ist.«

»Ja, ist 'ne neugierige alte Zicke«, grummelte Mike. »Ich schwöre, was ich alles vor ihr verstecken muss, kann sich kein Mensch vorstellen.« Sanft legte er Jake eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, wir hätten was sagen sollen, aber wir dachten, du könntest ein bisschen Aufmunterung brauchen. Du hast eine ziemlich beschissene Zeit hinter dir.«

Da konnte Jake natürlich nicht mehr sauer sein. »Danke, Leute. Es macht mir nichts aus, in den Laden zu gehen, aber um ehrlich zu sein…« Er dachte schnell nach. »Was den Strip-Club angeht, bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht in ein paar Monaten, aber im Moment?« Jake seufzte absichtlich tief auf. »Tut mir leid, Jungs, aber mir geht grad so viel im Kopf rum und ich glaub nicht, dass nackte Frauen anzugaffen, da wirklich helfen wird.« Er drückte sich im Geiste die Daumen und betete, dass wenigstens einer von ihnen ein bisschen sensibel war.

Pete sprang ihm zum Glück bei. »Hör zu, wenn du keine Lust hast, ist das schon okay. Wenn du magst, kannst du das Feuerwerk anschauen und wir sammeln dich danach wieder ein. Wir müssen sowieso dort vorbei, um wieder auf die 275 zu kommen.«

»Danke. Weiß ich zu schätzen.« Jake deutete nach rechts. »Da ist es.« Nicht, dass man es hätte übersehen können. Das Schild war hellblau und die schwarzen Buchstaben, die herausposaunten, dass dies der Love Shack Couples Intimacy Store war, wurden rechts und links von kleinen roten Zeichnungen des Gottes Eros flankiert.

Oh Gott.

Pete fuhr auf einen der wenigen Parkplätze und stellte den Motor ab. »Fuck, das ist ja winzig«, sagte er und musterte das mit dunkelbraunem Holz verkleidete Gebäude, dessen hellblaue Verzierungen sich deutlich abhoben. »Es sieht tatsächlich wie eine Hütte aus.«

Sie stiegen aus dem Pick-up, Pete ging voraus und zeigte auf ein leuchtend pinkfarbenes Schild neben der Tür. Lächeln – Sie sind bei Die versteckte Kamera. »Na dann, Leute, nicht die Videohüllen ablecken.« Und bevor Jake Zeit hatte, Luft zu holen, waren sie schon drinnen.

Gott, der Laden war klein. Definitiv nicht, was er erwartet hatte.

»Fuck, seht euch das mal an«, hauchte Dan und zeigte auf einen extrem großen und sehr realistisch aussehenden Schwanz aus fleischfarbenem Silikon.

Jake wollte nicht hinschauen, vor allem nicht zu der Verkäuferin, die hinter der Ladentheke stand, einem hübschen jungen, rothaarigen Mädchen. Sie lächelte ihn freundlich an und er wandte schnell den Blick ab, überzeugt davon, dass sein Gesicht knallrot geworden war. Nach nur einem Blick auf die Wand voller Dildos kämpfte er damit, ob er sein Glucksen unterdrücken oder verstohlen seine Jeans zurechtrücken sollte, damit sein harter Schwanz weniger auffiel. Denn allein der Gedanke, sich einen davon in den Arsch zu schieben…

 

Dann umrundete er einen Aufsteller und versuchte, beim Anblick eines riesigen Posters, auf dem eine Frau mit gespreizten Beinen abgebildet war, nicht zu würgen. Heilige Mutter Gottes. Jake schluckte schwer, sein Schwanz wurde schlaff. Er war sich sicher, dass das Mädchen hinter der Theke ihn beobachtete, ihn beurteilte, und suchte Zuflucht in der Gleitmittel-Abteilung.

Heilige Makrele. Wer hätte gedacht, dass es so viele verschiedene Arten von Gleitmitteln gab? Ganz zu schweigen von Vibratoren, Butt-Plugs, Handschellen… Handschellen? Was zum Teufel?

Jake wollte nichts kaufen. Er wollte nur hier raus, ehe sein Gesicht gefühlt in Flammen aufging. Gott, er war noch nie so durcheinander gewesen. Neugierig und zugleich abgestoßen, überrascht und verängstigt und total überwältigt. Natürlich hatte er von solchen Läden gelesen und er war erleichtert, dass es im hinteren Teil des Geschäfts keinen schmutzigen, dunklen Raum mit Kabinen gab, in denen man Pornos anschauen konnte. Oder – dem Himmel sei Dank für kleine Gnaden – mit Löchern in den Wänden, durch die man seinen Schwanz stecken konnte.

Es gab ein Bücherregal und ein paar Titel fielen ihm ins Auge, aber Jake würde auf keinen Fall ein Buch über Schwulensex in die Hand nehmen, wenn die Jungs in der Nähe waren. Es war unendlich viel schlimmer, als er die DVDs fand. Am Ende des Regals stand eine kleine Auswahl Schwulenfilme und er wollte sie sich unbedingt genauer ansehen, aber er traute sich nicht. Jake floh aus dem verführerischen Gang und suchte Zuflucht bei den Sexspielzeugen. Er tat so, als würde er Reihe um Reihe der Spielzeuge betrachten, während er ab und zu das Lachen der Jungs hörte.

Zumindest ein paar von uns haben Spaß.

Jake schlenderte durch den kleinen Laden und wartete beklommen darauf, dass es Zeit wurde zu gehen. Er ging um ein Regal herum und fand sich vor den Dildos und Vibratoren wieder. Zu seinem Entsetzen stand dort auch die Verkäuferin.

»Der könnte dir gefallen«, sagte sie, zog einen Dildo von der Halterung und nahm ihn aus der Packung. »Hat eine gute Größe und einen Saugnapf unten dran, falls sie ein bisschen Spaß haben will, wenn du nicht da bist.« Sie grinste. »Oder vielleicht auch du. In jedem Fall ist er schön dick und er ist angenehm anzufassen. Hier. Probier's mal und sieh ihn dir an.« Sie hielt ihm den geäderten Dildo hin.

Jake traute. Sich. Nicht.

»Warum sollte er einen von denen brauchen?«, fragte Dan, der hinter ihm auftauchte. »Ich wette, der von Jake hier ist um Klassen besser und sie wird ihn wahrscheinlich viel mehr genießen.« Er zwinkerte Jake zu. »Hab ich nicht recht?« Dan zeigte auf einen Penisring mit einer vibrierenden Ausbuchtung. »Das kommt schon eher hin.«

»Hast du irgendwas gefunden, das du kaufen willst?«, fragte Pete Jake, der mehrere DVDs, eine Augenbinde und ein Paar Handschellen in den Händen hielt.

Bei seinem Anblick lachte Mike schallend. »Tja, wer hätte das gedacht? Pete ist ein versauter kleiner Mistkerl.«

Pete grinste. »Muss die Dinge ab und an interessanter machen, oder? Will ja nicht, dass sie sich langweilt.«

Jake setzte ein Lächeln auf. »Hab nichts gesehen, das Kauf mich geschrien hat.« Er lächelte die Verkäuferin an. »Danke für die Demo, aber ich denke, ich passe.« Er wartete etwas abseits, während die Jungs ihre Einkäufe bezahlten.

Nichts wie raus hier.

***

»Das ist das Beste an Festivals«, meinte Mike, als er die Papierserviette in einen Mülleimer fallen ließ, die um seinen Hotdog gewickelt gewesen war. »Junkfood. Nichts geht über einen Hotdog mit sämtlichen Toppings.« Er wischte sich die Hände an der Jeans ab. »Was jetzt?«

Dan warf ihm einen unschuldigen Blick zu. »Man kann was aus Lego bauen, wenn man da drauf abfährt.« Das brachte ihm einen Schlag auf den Arm ein. »Hey, Arschloch! Ich hätte fast meinen Burger fallen lassen, und ich bin noch nicht fertig damit!«

Aus dem Park war eine Band zu hören, die einen Song spielte, dessen Ursprung eindeutig im Blues lag. Jake hätte sich gern in den Park gesetzt und zugehört, aber wusste, dass dafür nicht der Hauch einer Chance bestand.

Pete sah auf sein Handy. »Ich schau grad nach, was es hier sonst noch gibt.« Er grinste.

»Hey, Leute? Wusstet ihr, dass es in Knoxville eine Gay Street gibt?«

»Sag bloß.« Dan lachte schrill. »In dieser Straße kaufen wir besser nichts. Man weiß ja nie – man könnte sich mehr einhandeln, als man haben wollte. Versteht ihr, was ich sagen will?«

Mike runzelte die Stirn. »Verdammte Schwuchteln«, sagte er halblaut. »Ja, Jungs, lasst eure Geldbeutel nicht fallen. Ihr wollt euch nicht bücken müssen, um sie aufzuheben, stimmt's?«

Pete johlte. »Das kannst du laut sagen. Ihr wisst natürlich, was das einzig Gute an diesen Schwuchteln ist, oder?« Er senkte die Stimme. »Früher oder später stecken sie sich alle gegenseitig mit AIDS an.« Die beiden anderen brachen in rüdes Gelächter aus.

Jakes Magen hob sich und seine Kehle brannte. Seine Haut kribbelte. Jede Hoffnung, dass er sich ihnen anvertrauen könnte, hatte sich in Luft aufgelöst.

»Wisst ihr was?« Jakes Stimme brach ein wenig. »Ich würde gern der Blaskapelle der US Air Force zuhören, die ist als Nächstes dran. Die wird nicht allzu lange spielen.«

Pete nickte bedächtig. »Ist für mich okay. Danach können wir zum Auto zurückgehen und die Gatorade austrinken. Wenn ich den Mädels beim Ausziehen zusehe, möchte ich einen angenehmen Schwips haben.« Er sah die anderen mit lüsternem Blick an. »Hab mir für diesen Anlass extra ein Bündel Ein-Dollar-Noten besorgt.«

Sie gingen zum Park zurück, die anderen lachten und unterhielten sich, aber Jake konnte nicht mitmachen. Ihm war das Herz noch nie so schwer gewesen. Obwohl er diese Jungs schon sein ganzes Leben kannte, war ihm nie aufgefallen, dass sie so voller Hass waren. Sicher, er hatte seine Befürchtungen gehabt, aber es war nie Gesprächsthema gewesen: Über solche Dinge redeten sie einfach nicht. Warum sollten sie auch? Auf der Highschool hatte sich niemand als schwul geoutet – aber warum verflucht noch mal würde das denn jemand tun? In LaFollette? Lieber Himmel, es wäre, als würde man sich selbst die Kehle durchschneiden.

Fuck. Ich bin in dieser verdammten Stadt tatsächlich auf mich allein gestellt.

Gott sei Dank konnte er mit Liam reden.

***

Abends um neun stand Jake auf der dem Club XYZ gegenüberliegenden Straßenseite. Eine waschechte Schwulenbar, die nicht schwer zu finden gewesen war. Gott segne Google Maps.

Die anderen waren sicher aus dem Weg und verteilten zweifellos Dollarnoten an leicht bekleidete Mädchen in High Heels. Die Vorstellung ließ ihn schaudern. Immerhin verschaffte ihm das die Gelegenheit, sich die Bar anzusehen. Als das Knoxville Symphony Orchestra auf die Bühne kam, war das für Pete offensichtlich das Stichwort gewesen zu verschwinden, und die anderen winkten Jake zu und machten sich lachend und scherzend auf den Weg zum Auto.

Gott sei Dank. Jake hatte endlich Raum zum Atmen.

Er sah zum Club XYZ hinüber. Es war die winzigste Bar, die er je gesehen hatte, aber sie schien völlig überfüllt zu sein. Die Front bestand aus zwei vergitterten Fenstern und einer einflügligen Glastür dazwischen. Von außen war nicht zu erkennen, dass es sich um eine Schwulenbar handelte. Jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wurde, drang laute Musik heraus, noch mehr Männer kamen an und verschwanden aus seinem Blickfeld.

Natürlich war Jake klar, dass er nicht hineingehen konnte. Was ihn beeindruckte, war das Selbstbewusstsein, das die Männer ausstrahlten. Sie hatten keine Angst, dabei gesehen zu werden, wie sie hineingingen. Sie waren geoutet und stolz darauf. Und unglaublich vielfältig.

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