LOST AND FOUND

Tekst
Autor:
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Franz war wohl auch nicht der übliche Zuhälter, wie man sie aus dem Fernseher kennt. Er war charmant, groß, sehr attraktiv, nicht gewalttätig und ging einer geregelten Arbeit nach.

Ist ein Mann bereits dann ein Zuhälter, wenn er mit einer Frau zusammen ist, die auf den Strich geht?

Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten.

Ich lasse also nicht locker und irgendwann hatte ich Franz weich gekocht, er versprach mir, mich in einem Puff unterzubringen. Er klärte mich auf, dass es nicht üblich ist, als Frau allein in Puffs oder ähnlichen Etablissements vorstellig zu werden.

Wie ich sehr schnell feststellen durfte, war es überhaupt eher unüblich, dass eine Frau ohne einen Zuhälter arbeiten möchte.

Als es dann endlich soweit ist, war ich schon sehr nervös.

Es sollte in einen Puff nach Kassel gehen – in den Bienenkorb.

Vorausschickend sollte ich noch erwähnen, dass 1980, ich bin süße 20 Jahre alt, in den Puffs „Falle geschoben“ wird. Das muss man erst einmal lernen, also wird man von einer „Althure“ angelernt.

Kurz zur Erklärung.

Falls du liebes Tagebuch einmal in einen Puff, oder auch „Laufhaus“ genannt, mitgenommen wirst, werden dir Spione in den Türen auffallen. Diese sind dazu gedacht, um nachzuprüfen, ob die Mädchen tatsächlich „Falle schieben“, also die Penisse der Männer nicht einführen.

Du siehst liebes Tagebuch, ich versuche mich gewählt auszudrücken, nicht dass du wieder rot wirst.

Wird ein Mädchen dabei erwischt, dass es keine „Falle schiebt“, fliegt es raus und ihr Zuhälter wird darüber informiert. Tatsächlich wollen die Zuhälter zu dieser Zeit, nichts mit Frauen zu tun haben, welche den Geschlechtsverkehr tatsächlich ausüben, ihn also nicht nur vorzutäuschen.

Na liebes Tagebuch, jetzt hab ich dich überrascht, das hättest du nicht gedacht oder?

Gut, es gibt sicherlich Zuhälter, denen das völlig egal war, aber die schicken dann sicherlich nicht die eigene Frau auf den Strich. Denke das sind dann eher Menschenhändler, die rein nur an den Profit denken, doch solche Männer kenne ich nicht. Die Zuhälter die ich kenne, lassen sich von ihren Frauen ein schönes, faules Leben finanzieren und achten darauf, dass ihr „Mädchen“ nicht zu sehr angefasst wird.

Das ist es also, was man beim „Falle schieben“ tut.

Man täuscht dem Freier vor, dass er in einen eindringt.

Hört sich allerdings leichter an, als es ist.

Ich denke, liebes Tagebuch, dass ich dir die Technik und wie dies überhaupt möglich ist, die Freier so zu hintergehen kurz beschreiben muss, also nicht rot werden, einfach zuhören.

Entgegen der landläufigen Meinung, alle Puffgänger sind abgebrühte Schweine, gut einige sind schon darunter, ist es doch eher so, dass die Herrn sich erst einmal Mut antrinken, bevor sie zu uns kommen. Das Anfassen der Geschlechtsteile einer Hure ist vollkommen untersagt. Wenn er Glück hat, darf er an die Titten, das war es dann aber auch schon.

Die erfolgreichste Strategie einen Freier hinters Licht zu führen, ist Ablenkung.

Diese erreichst du, indem du stöhnst als gäbe es kein Morgen, erzählst ihm wie toll sich sein Penis anfühlt, was für ein herrlicher Liebhaber er ist.

Kurz du ziehst alle Register.

Nicht vergessen, der Freier ist nervöser als du.

Und nun zur Technik.

Ganz wichtig, alle Ringe von den Fingern nehmen und die Hände gut einölen.

Ich schaffe die „Falle“ immer nur wenn ich auf dem Freier sitze, also in Reiterstellung, du musst dem Freier deshalb erst einmal klar machen, dass dies deine Lieblingsstellung ist. Dann fasst du hinter dich an seinen Schwanz und klemmst ihn so geschickt zwischen deine Arschbacken, dass es sich für ihn so anfühlt, als ob er in dir steckt.

Das Öl an den Händen ersetzt dabei die nasse Muschi.

Toller Nebeneffekt – knackiger Po!

Falle schieben“ ist echt anstrengend und stärkt die Muskulatur des Hinterns enorm.

Oh ja, hätte ich fast vergessen, man muss im Intimbereich völlig glatt rasiert sein, spürt der Freier Haare, ist alle Anstrengung umsonst.

Ich komme also in Kassel an.

Werde in die Kunst des „Falle schieben“ eingewiesen und muss noch am selben Abend ran.

Klar habe ich mir vorher Mut angetrunken und sehr schnell festgestellt, dass ich fürs „Falle schieben“ in Missionarsstellung einfach zu blöd bin.

Keine schöne Erfahrung wie du dir sicher vorstellen kannst.

Der Typ erwischt mich beim „Falle schieben, ist sehr verärgert und will sich beschweren. Aus Angst davor sofort wieder aus dem Puff zu fliegen, gehe ich das Risiko ein, mich tatsächlich von ihm vögeln zu lassen.

Geht auch gut, ich bin nicht aufgeflogen, fühle mich jedoch beschmutzt und missbraucht. Dies hier hat so gar nichts mit Spaß zu tun.

Das habe ich mir wirklich anders vorgestellt.

FÜNF

Wie bereits nach dem ersten Eintrag, fiel es mir auch gestern wieder schwer, die Lektüre wegzulegen. Das Mädchen, oder die Frau, sie ist ja erst 20 Jahre alt, ich habe Schwierigkeiten, sie bereits als erwachsene Frau zu sehen, erweckt mein Mitgefühl.

Sicher, sie hat sich selbst in diese Situation gebracht und ich könnte mir niemals vorstellen, in eine ähnliche Situation zu kommen, schon ihr Trip, ganz allein nach Italien, ist für mich unverständlich und wie man dann so naiv sein kann, zu glauben mit Prostitution „leicht“ Geld zu verdienen, erschließt sich mir nicht. Doch mein Interesse ist geweckt, wenn ich auch nichts, aber auch gar nichts mit dieser Frau gemeinsam habe, so möchte ich doch dringend wissen, wie es mit ihr weitergeht.

Ich sollte vielleicht nicht so schnell urteilen, eventuell tue ich ihr unrecht.

Da mir die Musik der 80iger schon immer sehr gut gefallen hat, habe ich mich mit diesem Jahrzehnt etwas näher beschäftigt. Ich bin zwar Mitte der 80iger geboren, aber mal ganz ehrlich, wer erinnert sich schon an die ersten fünf bis sechs Jahre seines Lebens. Wenn überhaupt, dann erinnert man sich an die Dinge, die unmittelbar in der Familie, oder im Freundeskreis passieren, das Weltgeschehen nimmt man in diesem Alter wirklich noch nicht wahr.

Immer wenn ich mir Berichte über dieses Jahrzehnt ansehe, fällt eines ganz besonders auf, so ziemlich jeder der zwischen 1975 und 1985 ein junger Erwachsener war, hatte damals das unbestimmte Gefühl, er würde seinen dreißigsten Geburtstag nicht erleben.

Es war die Zeit des „Kalten Krieges“.

Den Westmächten, allen voran den Amerikanern, den Franzosen und den Deutschen, stand die damalige Weltmacht Russland gegenüber. In Deutschland waren Atomraketen stationiert und die Grenze zu Russland war gefühlt, im geteilten Berlin.

Unterschwellig war die Bedrohung immer da.

Tausende Soldaten waren in Deutschland stationiert, allein in Augsburg gab es drei Kasernen und amerikanische Soldaten gehörten ebenso zum Stadtbild, wie die Trambahnen, oder die Taxis. Dass in Russland jemals ein Mann, wie Gorbatschow an die Macht kommen könnte, der Ende der 80iger Jahre den Mauerfall ermöglichte, war Anfang des Jahrzehnts unvorstellbar.

Vor diesem Hintergrund ist ein Gedankengang, wie ihn diese Frau wohl hatte, nicht mehr sosehr von der Hand zu weisen. Wenn sie ebenfalls davon ausging, in die kurze Zeit, die ihr vielleicht bleibt, so viel Leben zu packen, wie irgend möglich, dann wird ihr Wunsch nach dem schnellen Geld etwas verständlicher.

Immer noch schwer nachvollziehbar für mich, aber verständlicher.

***

Die Aufzeichnungen fesseln mich so sehr, dass ich beschließe meinen Aufenthalt hier in der Pension um einen Tag zu verlängern und mache es mir im angrenzenden Biergarten bei einem ausgiebigen Frühstück gemütlich.

Montag

01.Sept.1980

Hallo liebes Tagebuch,

inzwischen habe ich gelernt, dass das „Falle schieben“ viel einfacher ist wenn ich oben sitze und dass ich eine ausgezeichnete Schauspielerin – im Hinblick auf die Ablenkung – bin. Was aber leider nicht darüber hinweg täuschen kann, dass ich mir das alles viel einfacher vorgestellt hatte.

Bei den Freiern ist nicht einer dabei, der mir auch nur annähernd sympathisch ist, im Gegenteil, ich finde die Männer durchweg ekelhaft, ja geradezu widerlich.

Einzig der Gedanke an das viele Geld, ich verdiente tatsächlich einen Arsch voll Kohle und die Tatsache, dass ich die Typen ja eigentlich nur verarsche, halten mich bei der Stange und Alkohol natürlich. Auch die Tatsache, dass der Akt an sich immer sehr schnell vorbei ist, lässt es mich aushalten, dass ich meinen Körper verkaufe.

 

Eines der Mädchen erzählte mir heute, dass ich, wenn ich wirklich schnell viel Geld verdienen möchte, mich nie länger als vier bis acht Wochen in einer Stadt, aufhalten sollte.

Freier wollen „Frischfleisch“, neue Mädchen verdienen immer am besten.

Um Stammfreier zu bekommen, bin ich augenscheinlich nicht freundlich genug.

Ich halte mich jetzt seit einer Woche hier auf und obwohl ich immer wieder Freier sehe, die erst vor ein paar Tagen mit mir auf dem Zimmer waren, kommen sie doch nicht zu mir zurück. Was für mich im Grunde in Ordnung ist, aber doch zeigt, dass ich dem Rat der Frau nachkommen sollte.

Ich bin ungebunden und frei, also was hält mich – auf zu neuen Ufern.

Mittwoch

17.Sept.1980

Hallo liebes Tagebuch,

da bin ich wieder, gerade frisch angekommen in Böblingen, einer Kleinstadt in der Nähe von Stuttgart. In der Zeitung wurden Frauen für ein Prostituiertenwohnheim gesucht.

Da gibt es nichts zu lachen, der Puff nennt sich tatsächlich so.

Rückblickend hätte ich sofort nach der Erläuterung der Hausordnung wieder gehen sollen.

Ich tat es nicht.

Als ich heute gegen Mittag ankam, wurde mir eröffnet, dass „Falle schieben“ nicht erlaubt sei.

O- Ton – hier wird sauber gearbeitet.

Haben die sie noch alle?

Gut, ich dachte mir, rede du, ich mache was ich für richtig halte.

Kobern“ war auch verboten.

Ja, liebes Tagebuch, habe es schon kapiert, muss ich kurz erklären.

Im Normalfall ist es so, dass die Freier im „Kontaktraum“, meist ein Raum mit einer Bar, angesprochen und heiß gemacht werden. Man nennt dann einen Ausgangs- oder Anfangspreis, mit dem man den Freier erst einmal aufs Zimmer lockt, hat man ihn dann auf dem Zimmer, ist es meist ein Leichtes mehr Geld, als Anfangs ausgemacht zu bekommen. Man bietet vielleicht an, Dessous zu tragen, oder man schwärmt dem Mann vor, dass man ganz wahnsinnig auf Oralverkehr steht, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, kostet alles natürlich mehr.

Der Typ ist geil, sein Blut steckt im Schwanz, nicht mehr im Hirn.

Hört sich böse an, ist aber so.

Diese Vorgehensweise nennt sich „Kobern“.

Ein absolut gängiger Vorgang, der in jedem Haus praktiziert wird.

Wie sich im Verlauf meiner, zugegeben erst kurzen Tätigkeit herausstellte, bin ich darin ein wahres Genie und hier soll dies nicht gestattet sein?

Geradezu lächerlich.

Nun ist es hier jedoch leider so, dass das gesamte Obergeschoss dieses Hauses, wo sich die Arbeitszimmer befinden, ursprünglich ein einziger großer Raum war, der nur durch Leichtbauwände in mehrere kleinere Räume eingeteilt wurde. Diese Wände reichen nicht bis an die Decke und sind so dünn, dass Gespräche aus den Nebenzimmern, nahezu Wort für Wort mitgehört werden können, sofern man darauf Wert legt.

Ganz richtig liebes Tagebuch, es kommt, wie es kommen muss.

Ich werde erwischt.

Nachdem ich meinen Freier verabschiedet habe, werde ich in den Kontaktraum, geradezu beordert und von zehn aufgebrachten Nutten zur Sau gemacht.

Was denken sich diese Schlampen eigentlich?

Sich hinlegen, die Beine breit machen und sich von jedem Hans und Franz durchficken zu lassen ist nun wirklich keine Kunst und genauso sagte ich ihnen das auch.

Ich spukte Gift und Galle, wie habe ich in diesem Moment diese Frauen verabscheut.

Kurz bevor ich mich, wütend und aufgebracht wie ich war, auf die Meute werfen wollte, mischte sich der Wirtschafter des Ladens ein und brachte mich in Sicherheit. Kurz entschlossen zerrte er mich in sein Büro, drückte mir seinen Hausschlüssel in die Hand, rief ein Taxi und bat mich, bei ihm zu Hause auf ihn zu warten, meine Habseligkeiten würde er mitbringen.

Völlig überrumpelt und noch immer sehr aufgebracht, wurde mir klar, dass er mir wohl soeben zwar nicht gerade mein Leben gerettet hat, aber mir mit seinem Eingreifen, wohl einige Blessuren erspart hatte und ich willigte ein.

Erni, so heißt der Typ, ist sehr amüsiert über meinen Auftritt und bewundert meine Courage, mich gegen mindestens zehn wütende Frauen stellen zu wollen. Außerdem ist er voll und ganz meiner Meinung, Frauen die sich so billig verkaufen und noch nicht einmal versuchen „Falle zu schieben“, hätten auch von ihm keinen Respekt verdient.

Ich bin auf einen Zuhälter der alten Schule getroffen.

Ich hatte es schon in den letzten Tagen in Kassel bemerkt und jetzt bestätigte Erni mir, dass sich die Zeiten gerade verändern und ich mich, wollte ich den Job nicht aufgeben, wohl oder übel damit abfinden muss, mich vögeln zu lassen.

Ich hatte ein ganz schlechtes Timing in Bezug auf meine berufliche Zukunft.

***

Das Mädchen hat wirklich Mut, ich hätte die Beine in die Hand genommen und wäre abgehauen, oder ich hätte mich der Mehrheit gefügt. Prinzipien scheint sie ja zu haben, das ringt mir, zu meiner eigenen Überraschung, schon Respekt ab.

Doch dann nimmt sie einfach die Schlüssel eines ihr völlig fremden Mannes und fährt in dessen Wohnung.

Wirklich unglaublich.

Das würde mir im Traum nicht einfallen. Angst kennt diese Frau wohl gar nicht.

Genauso gut könnte der Typ ein Perverser sein und sie hockt bei ihm in der Wohnung, ihm hilflos ausgeliefert. Ich ärgere mich richtig über so viel Naivität, schlage die Kladde zu und mache erst einmal einen langen Spaziergang.

Die letzten Zeilen haben mich richtig aufgewühlt.

SECHS

Eine Stunde wandere ich ziellos durch Schwabmünchen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Eigentlich lächerlich, dass ich mich so sehr über das Verhalten einer Frau aufregen kann, die ich gar nicht kenne, ja der ich niemals im Leben begegnen werde.

Inzwischen kann ich schon über meine Aufregung lachen und schlage nachdem ich zurück und mich wieder im Biergarten niedergelassen habe, die Kladde erneut auf und beginne weiter zu lesen.

>>Entschuldigen sie bitte, ich möchte sie nicht stören, doch vielleicht könnten sie mir behilflich sein. Die Dame an der Rezeption war so freundlich, mich darauf hinzuweisen, dass sie von Augsburg aus, an der Wertach entlang, hierher gewandert sind. Da ich gerne auf eben diesem Wege nach Augsburg wandern möchte, wollte ich sie darum bitten, mir den Weg kurz zu erklären. Mein Akku vom Smartphone ist leer und ich musste feststellen, dass ich mein Ladekabel zu Hause vergessen habe.<<

Lächelnd nimmt der Mann mir gegenüber Platz.

>>Darf ich?<<

Ich kann nur dümmlich nicken.

Der Mann ist extrem attraktiv und die Selbstverständlichkeit, mit der er mich anspricht verunsichert mich sehr. Genauer gesagt, gutaussehende Männer verunsichern mich total. Ich bin nicht schüchtern und im Grunde ein sehr geselliger Mensch, doch Schönheit, egal ob bei Mann oder Frau, lässt mich extrem zurückhaltend werden. Und der Mann mir gegenüber ist schön, wenn man das von einem Mann sagen darf.

Bevor er Platz genommen hat, ist mir schon seine enorme Größe aufgefallen, schätze ihn auf fast einen Meter neunzig. Schlank aber nicht dünn. Er hat ein auffallend markantes Gesicht, ich tippe auf südländische Vorfahren, Griechen oder Spanier. Sein Haar trägt er straff zu einem Zopf gebunden, man erkennt dennoch, dass er fülliges dunkles, fast schwarzes Haar hat. Am auffallendsten sind jedoch seine Augen, die leuchten in einem wundervollen Grün, welches an eine satte Frühlingswiese erinnert. Seine Nase dominiert sein Gesicht, ist aber nicht unattraktiv und volle, edel geformte Lippen runden sein schönes Gesicht ab. Beim Sprechen zeigt er regelmäßige, weiße Zähne.

Solche Männer erwartet man nicht auf einer Wanderung, entlang der Wertach, zu treffen. Ich bin völlig sprachlos und es dauert einen Moment, bis ich mich verlegen räuspernd endlich dazu durchringen kann, ihm zu antworten.

>>Ja, ich bin gestern hier angekommen<<, bringe ich endlich stotternd über die Lippen und könnte mich selbst Ohrfeigen, dass ich so defensiv reagiere. Eigentlich möchte ich mich nicht unterhalten, ich möchte einfach hier sitzen und das Buch weiterlesen.

Am besten ich erkläre ihm kurz den Weg, damit er mich wieder in Ruhe lässt.

>>Darf ich sie auf eine Tasse Kaffee einladen?<<

Zu meiner eigenen Überraschung höre ich mich zustimmen. Räuspere mich erneut und beginne ihm den genauen Weg nach Augsburg zu beschreiben.

>>Bitte halten sie mich nicht für aufdringlich, aber ich konnte heute Morgen nicht umhin, sie beim Lesen zu beobachten. Dies Buch scheint sehr spannend zu sein<<, fragt er freundlich nach, als ich mit meiner Wegbeschreibung zu Ende bin.

>>Hierbei handelt es sich um ein Tagebuch<<, erkläre ich ihm aufgeschlossen und erzähle ihm bei der Gelegenheit auch gleich, wie ich dazu gekommen bin.

Es entwickelt sich ein anregendes Gespräch zwischen uns, da auch er schon Koffer ersteigert hat. Ebenso wie meine Freundin Silvia hat ihn vor Jahren diese Leidenschaft gepackt, die Neugier und nicht zuletzt Überraschung, was der Koffer wohl enthält und ob sich etwas über den Besitzer herausfinden lässt, lassen ihn nicht mehr los.

Zu meiner Überraschung verliert sich meine Zurückhaltung mit jeder Minute, mein Gegenüber gibt sich so natürlich, ist ausgesprochen charmant, klug und witzig. Die Zeit vergeht wie im Fluge und plötzlich bemerke ich, wie sich der Biergarten immer mehr füllt. Essensgerüche dringen in meine Nase und ich stelle fest, dass es bereits Mittag ist und ich sehr gut etwas zu Essen vertragen könnte.

Wir genießen auch das Essen noch zusammen und als Maximilian, wie er sich formvollendet vorstellt, erwähnt, dass er sich nun wieder auf den Weg machen muss, höre ich mich sagen, dass ich gerne mit ihm zurück gehen würde, falls er nichts dagegen hat.

So etwas ist mir noch nie passiert.

Kaum habe ich diese Bitte ausgesprochen, da spüre ich, wie sich eine sanfte Röte über meinem Gesicht ausbreitet. Maximilian lässt sich viel Zeit mit seiner Antwort und mir ist mein spontaner Einfall plötzlich sehr peinlich.

Wie konnte ich nur, das ist gar nicht meine Art.

Beeinflusst mich das Buch?

Ich benehme mich schon wie die Frau in dem Tagebuch, der hätte ich einen solch spontanen Einfall sofort zugetraut.

>>Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich begleiten möchtest<<, erklärt Maximilian begeistert, als ich schon denke, heute keine Antwort mehr zu bekommen.

***

Es dauert nur ein paar Minuten, dann ist mein Rucksack gepackt und ich checke aus der Pension aus. Die nette Dame an der Rezeption weißt mich bedauernd darauf hin, dass es jetzt bereits nach 12 Uhr ist und sie mir das Geld für die heutige Übernachtung nicht zurückerstatten kann.

Mir ist das egal, auf die 40 Euro verzichte ich gerne.

Auf dem Weg zurück nach Augsburg unterhalten wir uns über Gott und die Welt.

Ich fühle mich ausgesprochen wohl in Maximilians Gegenwart und selbst, wenn wir eine lange Zeit schweigend nebeneinander her gehen, ist dies ein angenehmes, kein befangenes Schweigen. Wir lauschen Beide den Stimmen der Natur und können uns an vorbeihuschenden Eichhörnchen ebenso erfreuen, wie an einer Entenfamilie, die sich nahe des Ufers durch das Wasser treiben lässt.

 

Ich wundere mich wirklich über mich selbst.

Heute Morgen noch habe ich mich über die Frau im Tagebuch geärgert und gewundert, wie sie einfach auf das Angebot dieser beiden Männer am Gardasee eingehen konnte und nun laufe ich mit einem, mir wild fremden Mann durch die Gegend. Gut jetzt am Nachmittag begegnen wir wesentlich mehr Menschen, als am Morgen, doch hätte ich es bei Maximilian mit einem Perversen zu tun, hätte er mich einige Male an abgelegenen Stellen in den Wald zerren können.

Dieser Gedanke kommt jedoch nicht ein einziges Mal auf.

So vergeht die Zeit, zu meinem ehrlichen Bedauern wie im Fluge und es betrübt mich fast, als ich ihn zum Bahnhof in Augsburg begleite, dass unsere Zeit schon wieder vorbei ist.

Maximilian kommt aus Kempten im Allgäu und ist vor ein paar Tagen von dort aus Richtung Augsburg losgelaufen. Er hatte somit in etwa die selbe Idee wie ich, nur dass seine Strecke weiter war, als die meine. Sein Ziel war von Anfang an Augsburg und so sitzen wir nun hier am Mac Donald und trinken eine Tasse Kaffee um uns die Wartezeit zu vertreiben, bis sein Zug einfährt.

Maximilian lächelt mich nach einer kurzen Gesprächspause an.

>>Wollen wir unsere Telefonnummern tauschen?

Ich fand die Zeit mit dir sehr angenehm, vielleicht können wir einmal zusammen eine kleine Wanderung unternehmen?<<

Freudig überrascht sage ich zu und notiere meine Nummer.

Und wieder eine Reaktion, die ich von mir nicht kenne.

Mit meiner Telefonnummer bin ich extrem eigen. Wenn überhaupt, dann gebe ich nur meine E-Mail Adresse heraus, jemandem meine Nummer zu geben, den ich nur ein paar Stunde kenne, ist bis heute nicht vorgekommen.

Still lächle ich mich hinein, vielleicht färbt das Tagebuch doch ab.