Welche Droge passt zu mir?

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Welche Droge passt zu mir?
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© 2013 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

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ISBN 978-3-8442-6448-7

Ein Tisch, ein Diaprojektor, ein Wasserglas.

Eine Büste Senecas.

Hanna ist Hausfrau, Mutter eines Sohnes.

Seneca sagt:

„Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht der Wind nie günstig.“

Guten Abend. Ich freue mich, zu Ihnen zu sprechen. Sie sind gekommen, um etwas zu erfahren, Antwort zu finden auf Ihre Fragen. Manche glauben wohl, die meisten Antworten schon zu kennen, andere sind aus Neugier gekommen. Wieder andere sitzen mit schlechtem Gewissen hier, wie in einem schmutzigen Film.

Niemand muß sich schämen, niemand muß Angst haben. Ich versichere Ihnen, ich werde Sie zu keinem Schritt drängen, den Sie nicht selbst, aus freier Überzeugung gehen möchten. Jeder Mensch trägt den Keim seines Schicksals in sich. Jedem Menschen ist ein Weg vorgezeichnet, der Weg seines Lebens. Und nur wenn er ihn geht, voll Vertrauen, ohne Angst vor Gefahr – nur dann wird er im Leben Liebe und Erfüllung finden.

„Was redet die Frau? Ist es wirklich so einfach?“

Nun, ganz so einfach ist es nicht. Auf jedem Weg liegen Steine, jeder Weg führt durch Abgründe, über Gipfel, die unbezwingbar scheinen. Ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, wird von jeder Windbö auf einen neuen Kurs geworfen, ein Wanderer, seines Weges nicht sicher, weicht jedem Hindernis aus, läuft hierhin, dorthin, verirrt sich, rennt im Kreis, bis er, tödlich erschöpft, zusammenbricht.

Wir wollen nicht zusammenbrechen. Wir wollen ein glückliches Leben. Wir wollen Liebe, und Liebe kostet Kraft. Wie können wir stark sein?

Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie Kraft finden. Ich nehme Sie mit, auf meinem Weg, damit auch Sie Ihren Weg mit schärferen Augen sehen. Seneca sagt:

„Nur Kleinmütige und Schwächlinge wählen den sicheren Pfad. Der Held geht über Gipfel.“

Erstes Dia: Klassifizierung verbreiteter Drogen. Alkohol, Ecstasy, Haschisch, Heroin, Ketamin, Kokain, Nikotin, Pilze, Speed etc.

Halluzinogene oder „Bildermacher“; Entaktogene oder „Herzöffner“; Stimulanzien oder „Muntermacher“; Sedativa oder „Müdemacher“. Drogen sind ein weites Feld, und dies, ich gebe zu, ist eine äußerst grobe Kartographie.

MDMA, der zentrale Wirkstoff einer Ecstasy-Tablette, wirkt entakto-, aber auch halluzinogen. Die anregende Wirkung von Speed schlägt bei zu hoher Dosis in Betäubung um. Die Wirkung von Haschisch hängt stark von der Dosis, aber ebenso von der verwendeten Sorte ab. Kokain steigert das Verlangen nach Alkohol; in der Wechselwirkung dieser beiden Drogen findet die Persönlichkeit des Konsumenten ihren individuellen, manchmal bedrohlichen Ausdruck.

Es gibt nicht die eine Wirkung einer Droge, es gibt nicht den einen Weg durchs Leben. Eine Karte hilft dem Wanderer, sich nicht zu verirren; den Weg muß er allein gehen. Dennoch läßt sich sagen: Die meisten auf dem Markt erhältlichen Drogen fallen, mehr oder weniger, in eine dieser Kategorien. Und in der Entscheidung für oder gegen eine Droge treffen wir eine Entscheidung über unser Leben: Wonach suche ich? Was ist meine Sehnsucht? Welchen Preis bin ich bereit zu zahlen? Solange wir die Antwort nicht kennen, solange wir weitersuchen, vor Rückschlägen und Niederlagen nicht kapitulieren – solange bleiben wir lebendig.

Sie trinkt einen Schluck Wasser.

Ich bin zweiunddreißig. Ich bin verheiratet und habe einen Sohn. Mein Mann Stefan ist zwei Jahre älter als ich, mein Sohn Pascal ist sieben. Ich sage das, damit Sie mich kennenlernen, mir vertrauen.

Seit einem Jahr wohnen wir in einem entzückenden Jugendstilhaus, in einer ruhigen Seitenstraße mit alten Bäumen. Die Häuser und Grundstücke unserer Nachbarn mögen größer sein, aber unser Haus ist das schönste. Noch heute sind wir überglücklich, daß wir es zu einem erschwinglichen Preis ersteigern konnten.

Mein Mann ist leitender Ingenieur bei den Aluminiumwerken. Er ist auch für die Sicherheit zuständig. Manchmal macht er Überstunden, hin und wieder vertritt er einen Kollegen im Nachtdienst. Zweimal im Jahr, im März und September, fährt er auf eine Konferenz. Er ist sportlich, mein Mann, heute abend läuft er wieder durch den Wald, achtzehn Kilometer. Er bringt sich in Form, für seinen ersten Marathon.

Sie fragen, warum ich hier stehe? Ihnen all das erzähle? Eine Tür hat sich geöffnet, in meinem Leben. Ich bin über die Schwelle getreten, in eine neue, farbenfrohe Welt. Ich möchte meine Erfahrungen mit Ihnen teilen. Und während ich hier spreche, befrage ich mich kritisch: Ist dies wirklich mein Weg? Bin ich auf einer glücklichen Reise? Niemand darf den klaren Blick auf das eigene Leben scheuen.

Lassen Sie uns, ich bitte Sie, lassen Sie uns eine Übung machen. Schließen Sie die Augen - Sie können sie auch geöffnet lassen, wenn Ihnen das lieber ist. Denken Sie an Ihre größte Sehnsucht, Ihren größten Traum. Stellen Sie ihn sich vor, Ihren Traum, in allen Formen, Farben, Düften. Haben Sie ihn sich erfüllt? Warum nicht? Wir alle erfüllen uns unsere Träume nicht, wir haben zuviel Angst. Aber bitte konzentrieren Sie sich: Standen Sie nicht schon einmal nahe davor? Stand die Tür nicht schon einmal offen? Warum haben Sie nicht gewagt, den Fuß über die Schwelle zu setzen. Seneca sagt:

„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht. Sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Sie trinkt einen Schluck Wasser.

Ich stehe in der U-Bahn, am Fahrscheinautomaten. Neben mir steht ein junger Mann, blaß, ein wenig mager. Er zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche, ein Plastikbeutel fällt auf den Boden. Ein kleiner, durchsichtiger Plastikbeutel, er enthält zwanzig, vielleicht dreißig kleine, weiße Tabletten.

„Junger Mann, Sie haben etwas verloren.“

Er schaut sich um, verlegen, murmelt etwas und greift schnell nach dem Beutel in meiner Hand.

In der U-Bahn sitze ich ihm gegenüber. Ich kann den Blick nicht von seiner Hosentasche lassen, ich erkenne den Umriß des Beutelchens. Ich überlege, mich neben ihn zu setzen, leise, flüsternd um eine Tablette zu bitten. Auch in meiner Jugend gab es diese Tabletten, ich habe mich nie getraut, eine zu schlucken.

An der vierten Station steigt er aus, fast streift seine Hose meine Wange. Ich will aufspringen, ihm über den Bahnsteig folgen. Doch die Türen schlagen zu, der Zug fährt an, ich sehe ihn die Treppe hinuntergehen.

Dies ist eine wichtige Erkenntnis: Wir trauen uns nicht, den ersten Schritt zu tun, den ausgetretenen Pfad zu verlassen. Lieber weiter auf dem falschen Weg als ein Aufbruch zu neuen Ufern. Aber diese Angst ist unser größter Feind, wir müssen sie töten, in unserem Herzen. Hoch den Kopf, den Blick zu neuen Horizonten!

Zweites Dia: Ecstasy. (E, XTC, Adam, Eve, Love, Pille). Bilder der Vor- und Rückseite einer Tablette. Ihre chemische Zusammensetzung. Ihre Wirkung: Inspirierend, emotional öffnend, introspektionsfördernd, appetithemmend, sexuell stimulierend (Zärtlichkeit).

In der Mitte eine Rille, um die Tablette teilen zu können. Auf der Rückseite ein lustiges Symbol – hier ist es ein Herz, es kann auch ein Schmetterling sein oder ein Kaktus. Diese Symbole sagen nichts über die Qualität einer Tablette, im Gegenteil: Bringt ein Labor eine besonders hochwertige Tablette auf den Markt mit, sagen wir, einem Delphin, fühlen sich andere Labors ermutigt, schlechtere Tabletten nachzuliefern – mit dem gleichen Delphin! Sie bewegen sich auf einem freien, durch kein Gesetz regulierten Markt. Jeder Kauf, jeder Konsum ist ein kleines Abenteuer.

40 Prozent 3,4-Methylendioxymethylamphetamin, kurz MDMA;

20 Prozent Koffein;

15 Prozent Amphetamin;

15 Prozent Streckmittel;

10 Prozent andere Entaktogene, zum Beispiel MDEA, MBDB.

Dies sind, ich bitte Sie, grobe Richtwerte. Die Zusammensetzung schwankt von Tablette zu Tablette. Für den Konsumenten bedeutet dies ein erhöhtes Risiko, aber auch ein breites Wirkungsspektrum, die Möglichkeit ständig neuer Erfahrungen.

Niemand soll die Gefahren des Drogenkonsums unterschätzen. Niemand soll aber auch den Horrormeldungen glauben, die in den Medien verbreitet werden. Heimlich zugesetztes Crack, Strychnin oder gar Glasstaub – diese Propaganda wird in den Medien bewußt verbreitet, um jugendliche, unerfahrene Konsumenten abzuschrecken.

Sie trinkt einen Schluck Wasser.

Am Abend, noch am nächsten Tag bin ich reizbar und bedrückt. Ich habe nicht gewagt, den Fuß über die Schwelle zu setzen. Die Tür ist zugeschlagen, ich weiß nicht, ob Sie sich je wieder öffnen wird. Geht es uns nicht allen so? Wagen wir überhaupt noch, auf die Erfüllung unserer Träume zu hoffen? Stumpf trotten wir geradeaus, mit gesenktem Kopf. Wir geben dem Schicksal die Schuld – „Wäre mir damals das oder das passiert“, „Hätte ich an jenem Punkt meines Lebens ein bißchen mehr Glück gehabt“ – aber sehen Sie, da beginnt der Selbstbetrug. Denn wenn Sie sich ehrlich befragen: Hatten Sie nicht öfter als einmal die Chance? Stand die Tür nicht öfter als einmal offen? Wie oft hat Ihnen in der entscheidenden Sekunde der Mut gefehlt? Zweimal? Dreimal? Fünfmal?

 

Alles beginnt mit einem Malheur. Im November regnet es vier Tage ununterbrochen, am fünften Tag haben wir Wasserflecken an den Wänden, im Bad und in der Diele. Nun gut, wir wußten, das Haus ist alt, gewisse Extrakosten haben wir kalkuliert.

Dienstag, sieben Uhr früh – die Handwerker rücken an. Ein Meister, ein Geselle, ein Lehrling. Der Lehrling ist der blasse junge Mann mit dem Plastikbeutel, ich erkenne ihn sofort. Zufall, sagen Sie? Schicksal, antworte ich. Die Tür hat sich wieder geöffnet, nur einen Spalt.

Viermal klettere ich an diesem Morgen die Leiter hoch, ich biete den Handwerkern Kaffee an, belegte Brote, Gulaschsuppe. Der Meister erklärt mir den Aufbau des Daches: Gebälk, Schalung, Dachpappe, Konterlattung… Mein Kopf schwirrt, ich starre auf die Arbeitshose des Lehrlings.

Pascal kommt aus der Schule, weinend. Ein sensibles Kind, eher musisch begabt, er kann mit den Raufereien seiner Kameraden nicht mithalten. Manchmal, wie es unter Jungen üblich ist, stoßen sie ihn in den Dreck. Ich lasse Badewasser einlaufen, stecke seine Kleidung in die Waschmaschine. Ich sehe den Lehrling zum Gäste-WC schleichen. Auf meiner Stirn bricht Schweiß aus, wieder fehlt mir die Kraft, die Tür aufzustoßen.

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