Im Zeichen des Rosenmonds

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Im Zeichen des Rosenmonds
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Karl-Heinz Biermann

Im Zeichen des Rosenmonds

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Im Zeichen des Rosenmonds

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Impressum neobooks

Im Zeichen des Rosenmonds

Roman

von Karl-Heinz Biermann

1

Zunächst streifte Yusuf ihn nur in einem flüchtigen Augenblick, aber er schaute genauer hin, als ihm auffiel, wie der Mann dort draußen auf der anderen Straßenseite die Dienste der Kollegen ablehnte, die ihre Fahrzeuge ordentlich hintereinander abgestellt hatten und auf Kundschaft warteten. Jedes Mal, wenn ein Taxi an die vorderste Stelle aufgerückt war und der Fahrer anbot, ihn zu befördern, indem er ihm die Tür aufhielt, schüttelte der Mann mit dem Kopf. Yusufs Fahrzeug war das letzte in der Reihe und erst als die vorderen Taxen nach und nach wegfuhren und er an der Reihe war mit seinem aufzuschließen, beendete er bedächtig sein Frühstück, zahlte und ging über die Straße hinüber zu seinem Wagen.

Der Mann stand immer noch in der Nähe und jetzt bemerkte Yusuf den Koffer, den er in seiner Hand hielt. Er musste ihn schon die ganze Zeit über getragen haben und Yusuf sah, dass es ein recht kleiner Koffer war.

Er startete den Motor und ließ den Wagen ohne Gas zu geben, nur durch den Antrieb des Automatikgetriebes, weiter nach vorne rollen; er stand jetzt als Dritter in der Kolonne. Hinter ihm fanden sich zwei Taxen ein, die von ihren Touren zurückkamen und sich langsam heranschoben. Yusuf sah, wie der Mann die angekommenen Kollegen offensichtlich in Augenschein nahm, unbeweglich, aber mit festem Blick, genauso, wie er selbst von ihm vorhin gemustert worden war, und jetzt bemerkte er auch, dass dem Mann wohl noch zwei größere Koffer gehörten, sie standen auf den grauen Platten des Gehweges direkt neben ihm.

Keiner von den Kollegen nahm mehr Notiz von ihm, nur Yusuf behielt ihn im Auge. Wahrscheinlich fremd in der Stadt, dachte er. Gepflegt, moderner Anzug, sauber sitzende Frisur, gesunde, leicht gebräunte Gesichtsfarbe; einer von denen, die jede Woche dreimal ins Fitness-Studio gingen. Für so etwas hatte er nichts übrig. Zwar fand er, dass er trotz seines Alters Sport nötig hätte; sein Übergewicht störte ihn manchmal sehr, aber er war nur zu faul sich zu bewegen.

Er sah wieder zu dem Mann hinüber. Der kam ihm vor wie einer dieser blonden Typen in den Modeprospekten. Er schätzte ihn auf knapp vierzig. Er spürte, wie er wieder fixiert wurde, minutenlang, und sah dann, wie der Mann die beiden Koffer nahm, während er sich den kleineren unter den Arm klemmte und an das Taxi herantrat.

Yusuf schwang seinen fülligen Körper aus dem Wagen, was ihm bei seiner Arbeit keine Mühe machte; er war es gewohnt aus dem Sitz zu schnellen und den Fahrgästen die Tür aufzuhalten. Immer machte er das nicht, es kam auf die Leute an. Er unterschied nach denen, die nach Geld aussahen, und solchen, von denen er aufgrund ihres Erscheinungsbildes annahm, dass sie weniger gut situiert waren. Auch bei jüngeren, gut aussehenden Frauen sprang er beflissentlich aus dem Auto.

Er öffnete den Kofferraum und wuchtete die beiden größeren Gepäckstücke hinein. Danach streckte er die Hand aus, um auch den kleinen Koffer entgegenzunehmen, aber der Mann hob abweisend die Hand und schob ihn auf die Rücksitze und nahm daneben Platz. Yusuf zuckte mit den Schultern und schlug den Kofferraumdeckel zu. Er ließ den Wagen an und fuhr langsam auf die Hauptfahrbahn.

„Wohin?“ Er schaute in den Rückspiegel.

„Hotel Atlantic.“

Yusuf nickte. Er sah seine Einschätzung des Mannes bestätigt.

„Gibt es da in der Nähe einen guten Italiener?“, fragte der Mann.

„Sie meinen ein Restaurant?“

„Natürlich ein Restaurant!“

„Oh ja, da gibt es sogar zwei.“

„Um essen zu gehen genügt mir ein einziges Restaurant“, sagte der Mann schroff.

Yusuf entschied sich für das „La Fattoria“, weil er dort manchmal zum Dank ein Essen spendiert bekam, wenn er Gäste brachte, sozusagen als Provision.

„Ich kenne da ein sehr gutes, ich kann sie hinfahren.“ Er blickte erwartungsvoll in den Rückspiegel. Der Mann regte sich nicht. Er schien das musternde Interesse an ihm verloren zu haben, denn er schaute zum Fenster hinaus.

„Fahren Sie erst zum Hotel“, sagte er nach einer Weile. „Sie sind Türke, nicht wahr?“

„Sicher, ja, ich bin in der Türkei geboren, wenn Sie das meinen. Warum?“

„Sind Sie schon lange in Deutschland?“, fragte der Mann und schaute dabei immer noch aus dem Fenster.

„Über dreißig Jahre.“

„Dann kennen Sie sich in der Türkei gar nicht mehr aus? Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Heimat?“

„Verwandte leben dort.“

„Und die besuchen Sie regelmäßig?“

„Früher bin ich fast jedes Jahr da runter.“ Yusuf äugte in den Rückspiegel und sah, wie sich ihre beiden Blicke im Spiegel begegneten. „Als ich jünger war, habe ich oft meinen Cousin in Izmir besucht.“

„Ich nehme an, dass Sie mit dem Auto dorthin gefahren sind.“

Yusuf bremste das Taxi ab, vor ihnen staute sich der Verkehr. Er sah wieder zu dem Mann im Rückspiegel.

„Immer mit dem Auto“, sagte er. „Und der ganzen Familie“, fügte er hinzu. „Später sind wir auch mal mit dem Flugzeug da runter, wenn es einen günstigen Flug gab.“

Er lenkte sein Taxi von der Hauptstraße in eine Seitenstraße ab. „Ich umfahre den Stau, scheint länger zu dauern.“

Der Mann nickte kurz.

„Sie sind nicht aus Hamburg?“, fragte Yusuf, obwohl er schon längst eingeschätzt hatte, dass sein Fahrgast ein Reisender war.

Der Mann schüttelte kurz mit dem Kopf. „Ich bin gerade angekommen.“

„Sagen Sie, wie geht das eigentlich, wenn Sie schon so lange in Deutschland leben und arbeiten, haben Sie dann einen türkischen Pass oder einen deutschen?“, wollte er nach einer Weile, in der sie beide geschwiegen hatten, wissen.

„Ich hab irgendwann die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und auch einen deutschen Pass, meinen türkischen musste ich abgeben.“

„Aha, so ist das.“ Der Mann schwieg wieder eine Zeit lang. „Sie erwähnten vorhin Ihre Familie, Sie sind also verheiratet.“

Yusuf zögerte mit einer Antwort, er hatte nicht erwartet, dass sein Fahrgast sich so ausgiebig nach ihm erkundigen würde, er schätzte ihn als arrogant ein. Er sah im Spiegel, dass der Mann auf eine Antwort wartete.

„Klar.“ Yusuf sagte es etwas unwirsch, er sprach nicht gerne über seine Frau und auch nicht über seine Ehe. Was sollte er auch groß erzählen, er war schon lange verheiratet. Seine beiden Kinder waren erwachsen und aus dem Haus und sein Eheleben ging niemanden etwas an. Seine Kinder, ja, auf die war er stolz, und er wollte anfangen, von ihnen zu erzählen, doch der Mann ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ist dies Ihr eigenes Taxi?“

„Nein, nein, ich fahre für eine Firma, das ist sicherer. Habe keinen Ärger und regelmäßigen Verdienst.“

Yusuf rief sich ins Gedächtnis, wie oft er dem Wunsch nach einem eigenen Taxi nachgehen wollte und es nie dahin gebracht hatte. Wie oft sie in Streit gerieten, wenn seine Frau von ihm forderte, dass er es zu etwas bringen sollte. Es war nicht nur am fehlenden Geld gescheitert, er wusste nur zu gut, dass er immer den für ihn bequemsten Weg gegangen war. Jetzt, wo er älter wurde, sah er kaum noch eine Möglichkeit, in den Besitz eines eigenen Taxis zu kommen.

Der Mann unterbrach seine Gedanken. „Haben Sie Verwandte oder Bekannte in Istanbul?“

Yusuf schaute fragend in den Rückspiegel.

„Jeder Türke hat doch Verwandte in Istanbul“, sagte der Mann.

„Ja, einen Schwager, alle haben einen Schwager in Istanbul“, erwiderte Yusuf lachend.

„Sehen Sie, das sagte ich doch.“

„Ich habe ihn aber noch nie gesehen.“ Yusuf lachte wieder.

Der Mann schwieg. Er hatte einen Arm ausgestreckt auf seinem kleinen Koffer liegen und Yusuf hörte, wie er mit den Fingern darauf klopfte.

 

„Wir sind gleich da, es ist viel Verkehr heute. Sind Sie Geschäftsmann?“

„Ja, ich bin beruflich hier. Sagen Sie, kann ich Sie später wieder bestellen, nachdem Sie mich zum Hotel gebracht haben?“

Yusuf horchte auf. „Das geht schon, wenn ich nicht gerade eine Tour habe.“

„Das ist gut. Ich hätte es gerne, wenn Sie mich anschließend zu diesem Italiener fahren würden.“

Yusuf dachte an seine Provision.

„In Ordnung, ich schreibe Ihnen gleich meine Telefonnummer auf und Sie können mich anrufen. Ich komme so schnell es geht.“

Der Mann nickte stumm.

„Da vorne ist Ihr Hotel, wir sind da.“

Yusuf lenkte das Taxi in die Zufahrt und hielt die Wagentür auf. Von dem kleinen Koffer ließ er die Finger. Eilig kritzelte er die Nummer seines privaten Mobiltelefons auf die Rückseite einer Geschäftskarte der Taxifirma, für die er fuhr.

„Wann etwa brauchen Sie mich?“ Er reichte dem Mann die Karte.

„Kann ich nicht sagen, warten Sie auf meinen Anruf.“ Der Mann ging zum Eingang und der Portier machte ihm Platz. Ein anderer Hotelangestellter kam flink heraus. Yusuf sah, wie der Mann den Kopf schüttelte, als dieser den kleinen Koffer nehmen wollte. Der Angestellte ging hinten ans Taxi, öffnete den Kofferraum und Yusuf glaubte zu erkennen, dass ein zufriedenes Lächeln über dessen Gesicht flog, als er die Koffer herausholen konnte, um doch noch seinem Beruf eilfertig nachzukommen.

*

„Wir nehmen den Fisch, den Sie auf der Mittagskarte empfehlen“, sagte der Mann zum Kellner. „Ich nehme doch an, dass Sie auch den Fisch essen, oder?“, wandte er sich an Yusuf, der ihm gegenüber saß.

Yusuf nickte als Zeichen des Einverständnisses.

„Am Telefon meldete ich mich mit Schneider.“ Der Mann goss sich Weißwein ein. „Auch?“, fragte er und hielt die Flasche mit ausgestrecktem Arm über den Tisch.

„Nein, vielen Dank.“ Yusuf hielt die Hand über sein leeres Glas. Dann aß er vom Brot der Vorspeise und blickte kauend zu seinem Gastgeber.

„In Wahrheit heiße ich Blohm“, sagte der Mann.

Yusuf hielt inne und sah sein Gegenüber fragend an.

„Wie ich schon sagte, ich bin geschäftlich hier in Hamburg.“

„Und warum nannten Sie mir vorhin einen falschen Namen?“ Yusuf aß weiter, während er den Mann beäugte.

„Wissen Sie, mein geschäftlicher Auftrag verlangt Diskretion.“

Der Kellner brachte den Fisch und sie schwiegen in der Zeit, in der er ihn servierte.

„Sie kennen sich also in Istanbul aus?“, fragte Blohm dann.

„Mehr vom Durchfahren.“

„Würden Sie noch mal mit dem Auto in die Türkei fahren?“

Yusuf schluckte erst sein Essen runter, bevor er antworten konnte, und zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht, könnte ich mir heutzutage nicht mehr vorstellen.“

„Weil Sie nicht mehr dahin müssen? Oder weil Sie nicht mehr können? Wie alt sind Sie?“

„Dreiundfünfzig, aber das hat nichts mit meinem Alter zu tun.“

„Eben“, nickte Blohm, „Sie sind doch ein Profi.“

Yusuf tat gleichgültig. „In welchem Geschäft arbeiten Sie?“, fragte er, um die Unterhaltung nicht einseitig werden zu lassen.

„Ich bin Kaufmann, Außenhandel.“

„Da verdienen Sie ganz ordentlich?“

„In der Branche so üblich“, sagte Blohm. Er winkte den Kellner herbei und bestellte eine Flasche Wasser.

„Wie lange bleiben Sie in Hamburg?“, fuhr Yusuf fort. „Ich kann Sie jederzeit fahren, wenn ich gerade frei bin, Sie brauchen mich nur anzurufen, wenn Sie zu Ihren Geschäftspartnern müssen, auch abends kann ich ...“

„Würden Sie mehr verdienen, wenn Sie ein eigenes Taxi fahren würden“, schnitt Blohm ihm das Wort ab, „ich meine eines, das Ihnen ganz alleine gehört?“

„Vielleicht, vielleicht lohnt sich’s“, antwortete Yusuf.

„Sie wären Ihr eigener Chef, Sie könnten Leute einstellen und vielleicht sogar ein kleines Unternehmen aufbauen.“

„Man merkt, dass Sie Geschäftsmann sind.“

„Das könnten Sie auch sein, erst ein eigenes Taxi, dann zwei, drei weitere dazu?“ Blohms Blick schien forschend.

„Lohnt sich heute nicht mehr; wenn ich noch etwas jünger wäre, dann vielleicht.“

„Für Geschäfte ist man nie zu alt, und so alt sind Sie außerdem nun auch wieder nicht.“

„Ja, schon, ich wollte immer ein eigenes Taxi besitzen. Aber es hat eben nicht gereicht; die Frau, die Kinder, Sie verstehen.“ Yusuf rieb symbolisch den Daumen mit dem Zeigefinger.

„Erzählen Sie mir von Ihrer Frau“, forderte Blohm ihn auf.

Yusuf schüttelte den Kopf. „Was soll ich Ihnen da erzählen, ist eben meine Frau.“

„Ist sie auch Türkin?“

„Ja sicher.“

„Und schon lange verheiratet, nehme ich an. Kinder?“

„Zwei“, sagte Yusuf, „sind schon erwachsen.“

„Haben Sie sonst noch Verwandte hier in Hamburg? Ihre Eltern leben wohl in der Türkei?“

„Nein, nur die Schwiegereltern leben noch.“

„Ist Ihre Frau jünger?“

Yusuf nahm einen Schluck Wasser und sah über das Glas hinweg an Blohm vorbei.

„Nur ein paar Jahre“, sagte er, als er das Glas wieder auf den Tisch stellte.

„Verwöhnen Sie Ihre Frau heute noch?“

Yusuf blies seine Backen auf und pustete anschließend seinen Atem leise hinaus.

„Ich meine, machen Sie ihr ab und zu noch kleine Geschenke?“ Blohm beugte seinen Kopf vor und schien auf die Antwort zu lauern.

Yusuf überlegte, was er sagen sollte. Warum stellte sein Gegenüber diese Fragen. Sie wurden ihm unangenehm, aber er hielt sie für zulässig, immerhin wurde der Fisch, den er gerade gegessen hatte, von diesem merkwürdigen Geschäftsmann bezahlt.

„Wenn Sie genug Geld hätten, könnten Sie Ihrer Frau Schmuck schenken. Sie liebt doch Schmuck? Wie wäre es mit Diamanten?“ Blohm grinste verschmitzt. „War ein kleiner Scherz.“

„Natürlich besitzt sie Schmuck“, sagte Yusuf etwas ungehalten, „alle Frauen mögen Schmuck.“

„Natürlich“, pflichtete Blohm ihm bei. „Sind Sie ein streng gläubiger Moslem?“

Diese Frage überraschte ihn. Er war gerade dabei zu überlegen, wie er das Theater um seine Frau unterbinden konnte. Jetzt zählte er nach, wie oft er in der letzten Zeit in der Moschee gewesen war. Im letzten Jahr, fiel ihm ein, war er zweimal dort gewesen, und in diesem erst einmal, zur Hatim-Feier eines Sohnes von Bekannten.

„Nicht gläubiger als es meine christlichen Nachbarn sind“, gab er brummig Auskunft.

„Wollen wir noch ein Dessert zu uns nehmen?“, fragte Blohm.

Yusuf zog kurz seine Schultern hoch. „Muss nicht sein, für mich nicht, ich muss auch bald wieder los, meine Mittagspause ist begrenzt“, entschuldigte er sich. Ihm war daran gelegen, die Unterhaltung mit Blohm abzuschließen. Er hatte die Einladung zum Essen angenommen, weil er dachte, den Geschäftsmann, solange er in Hamburg blieb, auch weiterhin als Kunden zu gewinnen. In solchen Fällen war oft ein sehr gutes Trinkgeld zu erwarten. Zum Essen hatte ihn allerdings noch kein Fahrgast eingeladen.

Blohm hatte inzwischen nach dem Kellner gerufen.

„Kaffee trinken Sie doch?“

Sie schwiegen eine Weile, bis der Kellner den Kaffee gebracht hatte. Yusuf trank ihn schwarz.

„Könnten Sie sich vorstellen, eine Fahrt nach Istanbul anzunehmen?“, fragte Blohm.

„Istanbul? Mit dem Taxi? Ich dachte, Sie machen hier in Hamburg Geschäfte.“

„Auch. Hamburg, Istanbul, wo auch immer. Ich tätige gerade ein Geschäft zwischen Hamburg und Istanbul.“

„Und dazu brauchen Sie ein Taxi?“

„Ja, für einen Transfer.“

Yusuf überlegte, was Blohm damit meinte.

„Sie kennen sich doch in Istanbul aus und sprechen türkisch“, hörte er ihn wieder sagen.

„Ich war erst einmal so richtig in Istanbul, und das ist schon lange her, sonst bin ich auf meinen Reisen immer nur durchgefahren.“

„Das ist auch nicht weiter wichtig, ich bräuchte vor allem Ihre Diskretion.“

Yusuf fühlte sich von Blohm beobachtet, als er über dessen Äußerungen nachdachte, sie irritierten ihn und er konnte nichts damit anfangen.

„Was nehmen Sie für so eine Fahrt?“, hakte Blohm nach.

„Ich halte es für verrückt, dass sich jemand von hier aus in die Türkei fahren lassen will.“

„Wieso verrückt? Gab es denn nicht schon solche Touren?“

„Sicher, aber es ist ungewöhnlich.“ Yusuf rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

„Bleiben Sie noch einen Moment, hören Sie mir doch erstmal zu!“ Blohm hob beschwichtigend eine Hand.

„So etwas habe ich noch nie gemacht, und ich müsste auch meinen Chef informieren. Das geht nicht ohne seine Einwilligung.“

„Das geht anders“, sagte Blohm und fuhr leiser fort: „Sie müssen mir beantworten, ob ich mit Ihnen über ein Geschäft reden kann, das äußerstes Vertrauen verlangt. Wie ich schon sagte, ich würde von Ihnen als Taxifahrer Diskretion erwarten.“ Er hatte sich über den Tisch zu Yusuf hinübergebeugt.

„Ist das illegal, was Sie da vorhaben?“ Yusuf ahnte, dass es in eine Richtung lief, die möglicherweise an sein Gewissen ging.

„Ist es illegal, mit dem Auto in die Türkei zu reisen?“

„Wenn es voller Rauschgift ist?“

„Wenn es Rauschgift wäre, dann ja wohl nur aus der Türkei heraus. Nein, Sie fahren runter, um etwas abzuholen.“

„Ohne meinen Chef davon in Kenntnis zu setzen geht das nicht.“

„Das sagten Sie bereits. Aber wir brauchen ein Taxi und nicht Ihren Chef. Sie müssen mir jetzt sagen, ob Sie interessiert sind, bevor ich weiterrede.“ Blohm lehnte sich zurück und sah Yusuf abwartend an.

„Ich müsste auf jeden Fall Vorkasse verlangen, plus Spesen und die Vereinbarung einer Tagespauschale.“

„Sie können mehr als das bekommen.“

„Mehr als den regulären Fahrpreis?“

„Sie können Besitzer eines eigenen Taxis werden.“

Yusuf starrte sein Gegenüber lauernd an. Er vermutete, dass Blohm gleich wieder sagen würde, es wäre nur zum Scherz.

„Und selbstständig sein, eine eigene Firma gründen. Sie sind Türke und die sind doch besonders stolz auf ein eigenes Geschäft“, schob Blohm nach.

Yusuf schüttelte den Kopf. „Niemand zahlt so einen Preis, so etwas gibt es nicht. Da ist doch etwas faul.“

„Hier geht es um einen lukrativen Auftrag.“

„Warum suchen Sie gerade mich aus?“

„Sie sind ein Profi. Sie sind Taxifahrer. Taxifahrer sind clevere Menschen. Und diskret.“ Blohm machte eine kurze Pause. „Sie sind es doch, oder?“

Yusuf nickte leicht mit dem Kopf.

„Dann hören Sie zu“, fuhr Blohm fort, „ich will Ihnen den Ablauf des Geschäftes unterbreiten, aber nicht hier, sondern draußen im Taxi.“

Yusuf nickte wieder.

*

Blohm zeigte auf eine der wenigen Parklücken am Straßenrand neben der Außenalster. Er blieb hinten im Fond sitzen und redete mit ruhiger Stimme.

„Wir werden ein Mercedes-Taxi kaufen, ein bestimmtes Modell, schon ein wenig älter, aber von einer zuverlässigen Baureihe. Ich habe auch schon einen Verkäufer gefunden. Der will fünfzehntausend Euro. Das zahlt man doch dafür, oder?“

Yusuf zuckte mit den Schultern.

„Ich handle ihn noch runter, sagen wir auf zwölftausend. Mit diesem Taxi fahren Sie nach Istanbul. Dort verkaufen Sie es. Dieses Modell ist dort sehr begehrt. Das Geld, das Sie dafür bekommen, gehört Ihnen!“ Er machte eine Pause. „Viel mehr Geld, als es bei unserem Kauf kosten wird“, fuhr er fort. „Feilschen Sie, handeln Sie, das können Sie doch gut.“

Blohm machte wieder eine Pause, Yusuf bemerkte seinen abwartenden Gesichtsausdruck im Rückspiegel.

„Ich gebe Ihnen die Adresse eines Händlers in Istanbul, dem Sie das Taxi verkaufen“, fuhr Blohm fort. „Und jetzt hören Sie genau zu: Von ihm bekommen Sie auch ein anderes Auto für die Rückfahrt und in diesem Auto werden Diamanten versteckt sein, gut versteckt, und Sie fahren damit zurück. In Hamburg wird der Wagen wieder verkauft und auch das Geld dafür können Sie behalten!“

„Halt, warten Sie.“ Yusuf drehte sich in seinem Sitz so weit es ging nach Blohm um. „Das kann ich nicht tun, das ist nichts für mich. Danke, nein.“ Er hob wie zum Schutz die Hände, so, als wollte er sich hinter ihnen verbergen.

Blohm beugte sich vor. „Was kostet ein nagelneues Taxi? Dreißigtausend?“

„Vierzigtausend, aber lassen Sie es gut sein, das kann ich nicht machen.“

„Weil Sie Angst haben, erwischt zu werden? Das Risiko ist geringer, als Sie vermuten, und Sie werden reich dabei.“

 

„Reich?“, höhnte Yusuf. „In den Knast werde ich kommen. Warum gehen Sie nicht selbst da runter, warum nehmen Sie nicht das Flugzeug?“

„Sie kriegen doch keine Diamanten in ein Flugzeug! Ich erkläre Ihnen, wie es funktioniert“, sagte Blohm. „Wenn Sie als Türke mit einem Auto einreisen, noch dazu in einem Taxi, welches Sie in der Türkei verkaufen wollen, so ist das für die Beamten an der Grenze ganz plausibel. Jeden Tag werden gebrauchte Taxen über die Grenze verschoben, Ihre türkischen Kollegen sind da ganz heiß drauf.“

„Aber man kann doch hinfliegen und dort das Auto übernehmen. Wieso sollte ich erst mit dem Taxi da runter?“

„Wenn Sie mit dem Flugzeug einreisen und mit dem Auto wieder ausreisen, ist das für die Behörden ungewöhnlich und sie schöpfen Verdacht. An der Grenze sehen die doch die Stempel in Ihrem Pass.“

„Und wie kriegen Sie die Diamanten über die Grenze?“, wandte Yusuf ein. „Was ist, wenn die das Auto auseinandernehmen?“

„Jetzt kommt Ihr Schwager in Istanbul ins Spiel.“

„Aber ich habe keinen Schwager.“

„Wieso? Sie sagten doch, Sie hätten einen Schwager in Istanbul.“

„Das habe ich doch nur so gesagt, es ist eine türkische Redewendung.“ Im Rückspiegel sah Yusuf, wie Blohm nachdachte.

„Gut, das ändert den Plan nur wenig. Wir brauchen ja nur jemanden, der das Auto über die Grenze bei Edirne bringt, jemanden, dem wir vertrauen können. Haben Sie da einen?“

Yusuf wollte nicht mehr zuhören, er ließ den Wagen an. Jetzt wurde es ihm immer undurchsichtiger. Wie sagte dieser Blohm? Diskreter Taxifahrer? Blödsinn, dachte er. An seiner Schulter spürte er eine Berührung und vernahm Blohms ruhige Stimme.

„Mit dem Geld von dem Verkauf der beiden Autos und einer zusätzlichen Summe, die Sie von mir bekommen werden, haben Sie das Geld für die Anschaffung Ihres neuen Taxis, egal wie teuer es ist.“

„Vierzigtausend Euro? So viel ist Ihnen das wert?“ Yusuf drehte sich wieder nach ihm um.

„Vierzigtausend, plus eine kleine Summe für jemanden, den wir für unser Geschäft noch brauchen. Was ist mit Ihrem Cousin in Izmir?“

Yusuf stellte den Motor wieder ab.

„Wozu brauchen wir eigentlich noch jemanden, wenn ich den Wagen genauso gut über die Grenze bringen kann?“

„Das erkläre ich Ihnen gleich, wenn Sie dem Geschäft zustimmen.“

„Das ist ein einfacher Bauer, ich glaube nicht, dass wir ihn ins Vertrauen ziehen können. Wieso vertrauen Sie mir eigentlich? Was wäre, wenn ich jetzt zur Polizei ginge?“

„Was wollten Sie denen sagen? Dass ich Sie zum Essen eingeladen habe als Dank dafür, dass Sie mich in Hamburg herumfahren?“

„Und wenn ich die Behörden in der Türkei informieren würde?“

„Ich melde das Auto dann eben als gestohlen“, entgegnete Blohm süffisant, „beweisen Sie dann dort mal etwas anderes. Und auf der Rückfahrt können Sie’s auch nicht machen, da haben Sie schon die Diamanten dabei. Sie müssen es sich jetzt genau überlegen und entscheiden: Ein neues Taxi und Sie imponieren Ihrer Frau mit einem eigenen Geschäft oder Sie leben Ihren alten Trott weiter. Ich biete Ihnen eine große Chance! Und bedenken Sie, es gibt absolut kein Risiko. Sie werden das erkennen, wenn Sie erst einmal meinen weiteren Plan kennen.“

Yusuf war verstört, er wusste, dass es schon lange nichts mehr gab, womit er seiner Frau imponieren konnte. Sie war sehr kritisch geworden in den letzten Jahren und nahm nichts mehr so widerspruchslos hin wie früher. Am Anfang ihrer Ehe steckten sie voller Pläne, aber er hatte nie den Sprung geschafft wie manche seiner Landsleute, die einen Gemüsehandel oder ein Reisebüro ihr Eigen nennen konnten. In die Fabrik wollte er nicht und das einzige, was ihm noch gefiel, war die Arbeit als Taxifahrer, und er fuhr bis heute gerne Taxi. Sie hatten ihr Auskommen, die Ansprüche waren weniger geworden, die Kinder groß. Widerstrebend wollte er in Erfahrung bringen, wie Blohms Plan aussah. Ob es wirklich kein Risiko bei dieser Geschichte gab, wenn auch sein Verstand ihn wegen der Brisanz warnte. Es ging hier um etwas, das ihm bisher niemals in den Sinn gekommen war.

„Nun?“, forderte Blohm eine Antwort.

Yusuf wiegte seinen Kopf langsam hin und her. „Nein“, sagte er, „es ist mir doch zu gefährlich.“

„Dieser Auftrag ist das Geschäft Ihres Lebens; nur der lange Weg hin und zurück ist vielleicht das Anstrengendste an dieser Reise.“

„Das Fahren macht mir nichts aus.“

„Was hindert Sie dann?“

„Ich kann es nicht sagen, es hört sich zwar verlockend an, aber …“ Yusuf hielt inne.

„Aber …?“, forschte Blohm.

Yusuf zog die Schultern hoch.

„Ihnen fehlt der Mut.“ Blohm ließ sich zurück in den Sitz fallen. „Vielleicht zögert ein Kollege von Ihnen nicht so lange.“

Yusuf fühlte, dass er zwischen zwei Stühlen saß. Er wusste, dass er zu weit auf Blohm eingegangen war und eigentlich auch nicht mehr zurückwollte, und es ärgerte ihn.

„Ich mach’s für Fünfzigtausend.“ Er hörte seine Stimme, als sei sie fremd, und sie klang wie von weit her.

„Fünfzigtausend!“ Blohm dehnte das Wort langsam, als er es wiederholte. Er beugte sich wieder vor. „Na, und wie Sie handeln können. Das ist sehr viel Geld, aber bitte.“

„Sie verdienen dabei bestimmt das Zehnfache.“ Yusuf erwartete eine ausgestreckte Hand, wie bei einem Geschäftsabschluss, aber Blohm lehnte sich wieder zurück in die Polster und Yusuf war froh darüber.

„Also, in Istanbul übernehmen Sie besagtes Auto, fahren mit einer Person des Vertrauens, die wir noch ausfindig machen, zurück zur Grenze bei Edirne. Dort übernimmt Ihr Begleiter, Ihr Cousin oder wer auch immer, das Auto und bringt es über die Grenze. Sollte die Grenzpolizei wider Erwarten das Auto ausein­andernehmen, werden sie nichts finden!“

Blohm machte eine Pause und grinste und Yusuf spürte, wie er von ihm dabei lauernd beobachtet wurde.

„Die können nichts finden“, fuhr Blohm bedeutungsvoll fort, „denn noch bevor Ihr Begleiter über die Grenze fährt, bringt er Sie nördlich von Edirne in eine einsame Gegend, die von der Grenzpolizei nicht kontrolliert wird. Sie nehmen die Diamanten an sich, der Autohändler in Istanbul wird Ihnen zeigen, wo sie im Auto versteckt sind. Dann bringen Sie die Diamanten zu Fuß über die grüne Grenze rüber auf die andere Seite, auf bulgarischen Boden, und Sie warten dort, bis Sie von Ihrem Begleiter wieder abgeholt werden. Er weiß ja, wo genau er Sie auf der anderen Seite erwarten kann. Nun, wie finden Sie das?“

„Wo sind Sie eigentlich während der ganzen Zeit?“

„Bei Ihnen!“ Blohm sagte es so, dass es charmant klang, und als er Yusufs irritierten Blick sah: „So lange, bis wir knapp vor der türkischen Grenze sind. Dort werde ich Sie für kurze Zeit verlassen.“

„Sie gehen nicht mit über die Grenze?“

„Ganz richtig. Ich kann nicht mit Ihnen zusammen im Taxi die Grenze passieren, das würde eventuell Fragen aufwerfen. Warum sollte sich jemand den weiten Weg in die Türkei in einem Taxi fahren lassen? Nein, wir dürfen nicht zusammen über die Grenze, das gilt auch für die Rückreise.“

„Dann sollten Sie doch von Hamburg aus direkt nach Istanbul fliegen und wir treffen uns dort wieder. Warum nehmen Sie die lange Reise im Auto auf sich?“

„Leider bin ich im internationalen Geschäft so etwas wie, na sagen wir, eine bekannte Größe, im Moment zu groß.“ Blohm lachte. „Auf den Flughäfen sind die Kontrollen zurzeit sehr scharf.“

„Das hört sich aber doch nach einem Risiko an. Werden Sie gesucht?“

„Wo denken Sie hin, es ist alles im grünen Bereich. Ich werde eine andere Art des Grenzübergangs bevorzugen. Auf der Strecke von Sofia nach Istanbul verkehrt täglich ein Linienbus.“

„Aber auch der Bus muss an den Grenzbeamten vorbei.“

„Dafür ist vorgesorgt, ich habe noch einen zweiten Pass.“

„Auf den Namen Schneider, nehme ich an“, unterbrach Yusuf spöttisch.

„Kurz vor der Grenze werde ich in den Bus zusteigen“, fuhr Blohm unbeirrt fort.

„Und wir treffen uns wieder in Istanbul“, folgerte Yusuf.

„Genau, Sie bleiben auf dem letzten Teil der Fahrt immer in der Nähe des Busses, bis wir in Istanbul sind. Aber das erkläre ich Ihnen später noch mal.“

Yusuf bewegte langsam beifällig den Kopf. „Gut“, sagte er, „hört sich einfach an, vielleicht zu einfach.“

„Und wie gesagt, genauso machen wir es auch auf der Rückfahrt; ich fahre mit dem Bus hinter die Grenze, Sie gehen locker mit den Diamanten in einer einsamen Gegend hinüber und unser dritter Mann holt Sie auf der anderen Seite wieder ab. Von da aus geht’s direkt nach Hamburg und zwar ausschließlich durch EU-Länder. Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowenien, Tschechien, keine weiteren Kontrollen an den Grenzen. Alles soweit verstanden?“

Yusuf überlegte. „Ich muss für die Zeit der Reise Urlaub nehmen“, sagte er dann.

„Können Sie das kurzfristig klären?“

Yusuf nickte.

„Inzwischen kümmere ich mich um den Ankauf des Taxis“, sagte Blohm.

„Sollte ich nicht besser dabei sein? Ich kann Ihnen helfen und das Auto begutachten …“

„Das ist fast schon erledigt, danke für Ihr Angebot, aber sehen Sie zu, dass Sie möglichst schnell Urlaub bekommen. Ich denke, wir brauchen nicht länger als eine Woche für die Transaktion.“

„Wann wollen wir fahren?“, fragte Yusuf.

„Morgen“, antwortete Blohm, „morgen Nacht.“