Im Zeichen des Rosenmonds

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Yusuf ließ den Lastwagen vor sich herfahren. Erst fühlte er sich befreit von der nervösen Unruhe, von der er noch vor ein paar Stunden befallen war, immer auf eine günstige Gelegenheit hoffend, das Taxi in einem unbeobachteten Moment unter die Lupe nehmen zu können. Doch nun überkam ihn Furcht, als er an die brisante Fracht nur wenige Zentimeter unter sich dachte, und er führte sich angesichts des nahenden Grenzübergangs Bilder vor Augen, die ihm Angst machten. Er dachte an die schrecklichen Szenen, die ihn mittags aus diesem Traum katapultiert hatten, aber es war ja, zu seiner Erlösung, nur ein Albtraum gewesen, wie er sich jetzt selber zusprach.

Doch die Angst blieb und die Furcht, an der Grenze mit dieser gefährlichen Ladung aufzufliegen, und jetzt ärgerte es ihn, unter das Taxi geschaut zu haben. Wüsste er nicht, was er da transportierte, wäre er unbekümmert der Grenze entgegengefahren, so wollten ihm seine Gedanken einleuchten.

Er hielt nach Schildern Ausschau, die auf eine Abfahrt von der Autobahn hinwiesen, wo er hätte wenden können, in die andere Richtung, zurück nach Hause. Immer fester umkrampften seine Hände das Lenkrad, es schien ihm, als steuerte das Taxi wie von selbst, immer geradeaus, und er wusste, dass er nichts anderes tun konnte.

Seine Blicke ließen ab vom Fahrbahnrand, ihm wurde klar, dass es keine Abfahrt mehr bis zur Grenze gab. Er sah zu dem Lastwagen vor sich und ließ sich von ihm ziehen, weiter und immer weiter und immer näher dem Land seiner Jugend zu. Er sah wieder die Bilder von früher, die frohen Sommertage mit seinem Freund und mit Gülay.

An der bulgarisch-türkischen Grenze staute sich der Verkehr durch eine lange Reihe von Lastwagen und die Wartezeit verlangte Geduld von Yusuf. Aber er war es gewohnt zu warten, zu Hause, wenn er auf Fahrgäste hoffend in der Schlange der Taxen anstand. Jetzt erging es ihm nicht viel anders, nur dass düstere Gedanken durch seinen Kopf gingen, wenn er den Zündschlüssel umdrehte, um ein paar Meter weiterzufahren, und jedes Mal zögerte er, bis er vor dem bulgarischen Beamten in seinem Häuschen angekommen war und der ihm einen Stempel in den Pass knallte. Yusuf atmete einmal tief durch. Danach ging es schleppend weiter, langsam ließ er das Taxi auf die türkische Grenzkontrolle zurollen und nahm sich vor, ruhig zu bleiben.

Vorne, vor der langen Reihe der Pkws, verrichteten die türkischen Beamten gemächlich ihre Arbeit. Yusuf sah, wie sie jeden Wagen anhielten und ausgiebig in die Papiere und in die Fahrzeuge schauten, zwei Beamte gingen um jedes Auto herum. Und immer mussten die Fahrer den Kofferraum öffnen.

Nervös sah er auf seine Uhr. Bei den nächsten Fahrzeugen merkte er sich, wie viel Zeit sich die Grenzbeamten für die Kontrollen nahmen. Er fand, dass sie sehr viel Zeit brauchten. Bei dem nächsten Auto schaute er wieder auf die Uhr und es dauerte acht Minuten, bis es passieren durfte. Er zwang sich, still sitzen zu bleiben, als er sich dabei ertappte, wie er auf seinem Sitz unruhig hin und her rutschte. Er suchte den Lastwagen mit Blohms Versteck, dabei bewegte er ganz langsam seinen Kopf, es sollte nicht auffällig wirken. Auf der rechten Seite, schräg hinter sich, sah er den türkischen Lkw, der in einer langen Reihe mit anderen Lastzügen auf seine Abfertigung wartete. Blohm musste jetzt in seinem engen Versteck mächtig schwitzen, dachte Yusuf. Er ließ das Taxi an und rückte auf, nachdem ein Pkw in der langen Schlange vor ihm weiterfahren durfte.

Er sah nach den Lkws und wie Grenzbeamte die Frachtpapiere der Ferntransporter in den Händen hielten. Er sah auch, wie die Beamten manchmal mit den Fahrern zu einem Gebäude gingen.

Fünf Autos standen jetzt noch vor ihm und es ging kaum voran. Er konnte sich nicht erinnern, dass es früher auch so lange gedauert hatte, als er im Urlaub in die Heimat gefahren und an diese Grenze gekommen war. Er trommelte nervös mit den Fingern gegen das Lenkrad. Unerträglich heiß war es im Inneren des Taxis geworden, die Nachmittagssonne schien kräftig und die Klimaanlage schaffte es nicht, in der kurzen Zeit des Anfahrens die Temperatur herunterzudrücken, wenn er wieder einmal aufrücken musste.

Der Fahrer des Wagens, der jetzt bei den Grenzbeamten stand, wurde zum Mitkommen aufgefordert, nachdem er ihnen den Kofferraum gezeigt hatte und danach wieder im Wagen Platz nehmen wollte. Yusuf erkannte es an den Handbewegungen der Beamten, sie waren knapp und unmissverständlich. Der Fahrer verschwand mit einem der Grenzer in einer Tür des Gebäudes gleich hinter ihnen. Minutenlang starrte Yusuf gebannt auf diese Tür und konnte dabei nicht mehr klar denken.

Dieser verdammte Blohm. Atomare Schmuggelware unter dem Auto! Seine düsteren Vorstellungen wichen nicht, auch als er sich die gewaltige Summe von sechzigtausend Euro abermals vor Augen führte. Als er den Blick auf die Grenzbeamten richtete, dachte er ans Gefängnis und er dachte es so, als sei es eine selbstverständliche Folge, nachdem sie ihn gleich überprüft haben würden. Ihm fiel wieder sein Traum ein und er schwitzte.

Erneut suchte er den Lastwagen mit Blohm und sah ihn zu seiner Überraschung weiter vorne, als er es erwartet hatte. Der Lkw stand nicht mehr weit vom Schlagbaum entfernt, der türkische Fahrer hatte schon die Tür geöffnet.

Wie es Blohm jetzt wohl ging? Er wollte keinen Gedanken an ihn verschwenden, doch plötzlich durchfuhr ihn die Sorge, dass Blohm ebenso hochgenommen werden könnte wie er selbst und dass es vorbei wäre mit dem vielen Geld. Jetzt stellte er sich diese Riesensumme wieder vor, ein unglaubliches Vermögen! Yusuf betete innerlich und er wusste, dass er kein allzu gläubiger Mensch war.

Die Tür in dem Gebäude nebenan öffnete sich und sein Blick hing an dem Fahrer, der vorher dort hineingeführt worden war. Der Fahrer blinzelte im grellen Sonnenlicht und stopfte sein Hemd in die Hose, als er heraustrat. Yusuf erschrak bei der Vermutung, dass der Mann dort, der jetzt zu seinem Auto hinüberschlurfte, sich einer Leibesvisitation hatte unterziehen müssen.

Ihn drängte es, aus dem Taxi zu steigen. Im Rückspiegel sah er in der langen Reihe hinter sich einige der Wartenden neben ihren Fahrzeugen stehen. Manche fächelten sich Luft zu. Er blieb im Auto, unruhig und schwitzend.

Der Lkw mit Blohm unter der Koje war bei den Grenzern angekommen, als er wieder nach ihm Ausschau hielt. Zwei Beamte umkreisten den Lastzug, als hätten sie alle Zeit der Welt, während ein weiterer bei dem Fahrer stand, der ausgestiegen war. Yusuf konnte erkennen, dass der Grenzbeamte mit den Papieren beschäftigt war. Dann musste einer der Beamten den Fahrer wohl zu sich nach hinten gerufen haben, Yusuf konnte es auf die Entfernung nicht hören, aber er konnte sehen, wie der Fahrer eilig nach hinten ging und wie sie die Plombe an der Tür des Containers, den der Lkw transportierte, mit den Papieren verglichen.

Yusuf beobachtete die Szene so gespannt, dass er nicht bemerkte, dass er an der Reihe war, vorzufahren. Erst der Pfiff eines Beamten ließ ihn zusammenfahren. Der Grenzer winkte ihn lässig mit zwei Fingern seiner erhobenen Hand heran, doch wirkte es auf ihn autoritär und drohend. Er wollte gelassen erscheinen und fragen, warum die Abfertigung heute so lange dauerte, aber er fürchtete, dass sie dann sein Taxi erst recht auseinandernehmen würden. Langsam rollte er vor die Grenzbeamten und versuchte, sich unscheinbar zu verhalten, so unauffällig, wie es gerade ging.

„Ihren Pass bitte“, sagte der Beamte. „Zeigen Sie mir auch die Fahrzeugpapiere“, forderte er gleich hinterher, als Yusuf den Pass durchs Fenster reichte.

Er griff ins Handschuhfach, wo er die Papiere wusste, die Blohm dort bei der Abreise hineingelegt hatte, den Fahrzeugbrief und den Fahrzeugschein zusammen mit den Dokumenten, die für den Verkauf des Taxis erforderlich waren. Er wusste, dass alles in einer Mappe zu finden war, aber in seiner Aufregung fand er nicht die Ruhe, den Fahrzeugschein dort herauszusuchen, und so reichte er dem Beamten die komplette Mappe hinaus. Erst als der Grenzer die Mappe aufschlug, wollte er durchs Fenster mit ausgestrecktem Arm auf den Fahrzeugschein zeigen, doch der Beamte wehrte ihn ab, indem er die Mappe zuklappte.

Yusuf sank in den Sitz zurück. Der Grenzer begann, wieder in der Mappe zu suchen. Er fingerte den Fahrzeugschein hervor, den er dann mit einer Gelassenheit studierte, die Yusuf von einem orientalischen Beamten nicht anders erwartete.

Er schwitzte immer mehr und bedauerte wieder einmal sein Übergewicht, das ihm zusätzlich zur Hitze im Auto zu schaffen machte. Er fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu, erschrak aber gleich über seine eigenen Bewegungen, die ihm gegenüber den Beamten, die langsam das Taxi umrundeten, zu auffällig erscheinen konnten.

„Ihre Papiere sind nicht in Ordnung“, hörte er den Beamten sagen, der mit der Mappe in der Hand wieder ans Fenster herantrat.

Yusuf glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, es kam ihm so unwirklich vor, die Stimme des Grenzers klang wie von weit her.

„Dies ist doch ein deutsches Taxi, was wollen Sie damit in der Türkei?“

„Ich bin nicht im Einsatz. Sehen Sie, ich habe kein Schild auf dem Dach.“ Yusuf wies mit dem Finger in die Höhe. „Ich will es nach Istanbul überführen und dort verkaufen.“

„Aber es gehört Ihnen nicht, in diesen Papieren stehen Sie nicht als Besitzer.“

Yusuf wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Blohm hatte ihm nicht gesagt, wer in die Papiere eingetragen war. Und er selbst hatte bisher nicht ein einziges Mal daran gedacht, nachzuschauen, auf wessen Name die Fahrzeugpapiere ausgestellt waren.

„Ja, sicher, es ist ein fremdes Auto. Wie ich schon sagte, ich überführe es nur.“

 

„Wem gehört es dann?“ Wieder vernahm er die barsche Stimme des Beamten.

„Einer Firma, das Auto gehört einer Firma in Deutschland“, sagte er auf gut Glück.

„Arbeiten Sie für diese Firma?“

„Ja, ich bin dort angestellt.“

„Sie könnten das Auto gestohlen haben“, sagte der Beamte.

„Ich handele im Auftrag der Firma.“ Yusuf hatte den Eindruck, dass der Beamte seine Angst spürte.

Der Grenzer ging um den Wagen herum und traf hinten auf seinen Kollegen, der dort schon seit einer Weile stand. Yusuf sah in den Spiegeln, wie beide in die Papiere starrten. Wenn sie wollten, durchzuckte es ihn, wäre es für sie ein Leichtes, festzustellen, ob er wirklich für diese Firma arbeitete, wenn der Fahrzeugschein denn tatsächlich auf eine Firma ausgestellt war.

„Steigen Sie aus!“, hörte er einen von ihnen rufen.

Bevor er aus dem Taxi kam, sah er gerade noch, wie drüben der Lkw wegfuhr. Blohm hatte es geschafft und er nicht, und er wunderte sich, dass sich Wehmut bei ihm einstellte.

„Machen Sie den Kofferraum auf“, befahl einer der Beamten.

Yusuf schluckte und wollte „bitteschön“ sagen, bekam aber nicht mehr als ein heiseres Krächzen heraus. Er hüstelte, um dies zu unterdrücken.

„Bitte aufmachen!“ Der Beamte zeigte auf Yusufs Reisetasche und wühlte anschließend darin herum, während sein Kollege um den Wagen ging, jede Tür öffnete und ausgiebig das Innere inspizierte. Yusuf sah durch die Heckscheibe, wie er seinen Kopf hin und her bewegte.

„Den hier“, hörte er ihn dumpf von drinnen rufen, „kommen Sie her und machen Sie den auf.“

Er ging hin und sah den einen von Blohms Koffern auf dem Rücksitz. Er konnte ihn öffnen und war froh darüber, er hatte sich schon in Erklärungsnot gesehen. Dann fiel ihm siedend heiß Blohms kleiner Koffer ein, als in diesem Moment der Beamte hinten rief: „Kommen Sie wieder hierher!“

Yusuf wusste sofort, um was es ging.

Während er wieder um den Wagen hastete, ärgerte er sich über Blohms Unachtsamkeit. Nie hatte der ihn aus der Hand gegeben und jetzt lag er da, weit hinten im Kofferraum: Blohms kleiner Koffer. Seine Hände zitterten und er spürte, wie weich seine Knie wurden.

„Öffnen Sie“, verlangte der Beamte scharf.

Der ist verschlossen, dachte Yusuf. Noch mal, wie bei dem anderen Gepäck, würde er kein Glück haben. Ihm kam Flucht in den Sinn, einfach davonlaufen, erkannte aber gleich die Ausweglosigkeit, da er das Gelände großräumig gesichert vermutete.

Er bewegte die Schlösser. Sie sprangen nicht auf, so wie er es angstvoll geahnt hatte. Er reagierte mit mutlosem Achselzucken.

„Schließen Sie ihn doch auf“, raunzte der Grenzer.

Yusuf kam ganz aus dem Kofferraum hervor. Wieder zog er die Schultern hoch. „Ich hab keine Schlüssel dafür, der Koffer gehört mir nicht.“

Der Beamte drängte ihn mit einer Schnelligkeit beiseite, die er bei ihm nicht vermutet hätte, und beugte sich in den Kofferraum. Sein Kollege kam hinzu. Der Grenzer reichte ihm den kleinen Koffer hinaus.

„Gehen Sie in das Gebäude“, sagte er zu Yusuf, als er wieder hervorkam.

Der mit dem Koffer zeigte auf eine Tür.

„Dort hinein“, sagte er und Yusuf fand, dass er es milde gesagt hatte. Er ging mit ihm hinüber und an der Tür drehte er sich noch mal zum Taxi um.

Drinnen wies der Beamte Yusuf an, vor einem Tresen stehenzubleiben, während er den Koffer dahinter in ein Gerät stellte, das Yusuf als einen Durchleuchtungsapparat ähnlich wie auf den Flughäfen erkannte. Es dauerte nicht lange, da rief der Beamte nach jemanden. Yusuf schauderte. Es war offenbar etwas entdeckt worden. Natürlich benutzte Blohm diesen Koffer zum Schmuggeln, nur diese eine Vorstellung fuhr ihm durch den Kopf.

Ein Mann im grauen Overall kam und wuchtete den kleinen Koffer auf den Tresen. Dann griff er in seine Tasche und zog einen dünnen Stift hervor. Er stocherte in einem der beiden Schlösser des Koffers herum und brachte es in kürzester Zeit fertig, dass es aufschnappte. Mit dem anderen Schloss hantierte er genauso und ging so schnell, wie er gekommen war.

Mit wichtigem Gesichtsausdruck hob der Grenzbeamte den Deckel an. Yusuf bemerkte dessen diebisches Vergnügen, als er hineinschaute. Er war offensichtlich hocherfreut angesichts der Samtbeutel, die in dem kleinen Koffer lagen.

Der Grenzer zog das Band an einem der Beutel auf und pfiff durch die Zähne. Er hielt ihn Yusuf hin, der sah hinein und stand wie betäubt da, als er kleine, glitzernde Steine darin erblickte. Dann sah er kopfschüttelnd zu dem Beamten.

„Kommen Sie, folgen Sie mir“, forderte der Beamte ihn auf.

Auf dem Tisch in einem Nebenraum legte er den Koffer ab und nahm einen Telefonhörer auf. Yusuf verstand, wie er jemanden respektvoll bat zu erscheinen. Der Grenzer nahm sogar eine etwas stramme Haltung beim Telefonieren an. Als er auflegte, zeigte er stumm auf einen Stuhl und gab Yusuf zu verstehen, dass er sich setzen sollte. Dann legte er ihm Handschellen an.

*

„Sie sagen also, dass Sie das Taxi in der Türkei verkaufen wollen.“ Der Mann, der Yusuf gegenübersaß, war nicht in Uniform. Er hatte sich ihm auch nicht vorgestellt. „Handeln Sie neben Autos auch mit Diamanten?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Yusuf und ahnte, dass jetzt die Frage folgen würde, warum er dann Diamanten mit sich führte.

Stattdessen nahm der Mann, der ihn vernahm, zum wiederholten Mal eins der Steinchen und hielt es vor sich ins Licht, um es lange durch eine Lupe zu betrachten.

„Wenn es nicht Ihre sind, wie Sie sagten, wem gehören sie dann?“

„Der Koffer lag bereits im Auto, vielleicht ist er von einem Fahrgast vergessen worden.“

Der Mann sah scheinbar staunend auf. „Und Sie fahren ihn so mir nichts, dir nichts durch die Gegend?“

„Ich weiß, dass es Ihnen sonderbar vorkommen muss, aber glauben Sie mir doch, ich entdeckte ihn erst auf der Fahrt hierher.“

„Sie wussten natürlich auch nicht, was drin war.“

„Wie denn? Ich hatte ja keinen Schlüssel dafür. Ich wollte mich gleich nach dem Verkauf des Taxis um den Koffer kümmern“, jaulte Yusuf.

Der Mann hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „In den Verkaufspapieren steht der Name eines Händlers in Istanbul. Wir lassen diese Firma gerade überprüfen. Vielleicht handeln die ja mit Diamanten.“ Er lachte herablassend. „Und die Firma, die in den Fahrzeugpapieren eingetragen ist, lassen wir auch überprüfen.“

Yusuf sackte mit gequälter Miene zusammen.

Der Mann nahm wieder ein Steinchen und hielt es ins Licht. Er schüttelte dabei leicht mit dem Kopf. Yusuf sah, wie der Stein im Licht glitzerte. Wie dumm war Blohm eigentlich, die Diamanten im Taxi zurückzulassen, ging es ihm durch den Sinn. Das Risiko, dass sie bei einer Kontrolle entdeckt würden, war doch viel zu groß, und dass sie dann das Auto auf den Kopf stellten, lag auf der Hand. Als nächstes entdeckten sie auch noch die Rohre unter dem Auto und er fluchte innerlich über Blohm, wobei ihm einfiel, dass diesem vielleicht ein Fehler unterlaufen sein könnte.

„Nun gut“, hörte er den Mann sagen, der ihn in seinen Überlegungen unterbrach, „solange die Ermittlungen noch im Gange sind, nehmen wir Sie in Gewahrsam.“

Yusuf schnellte von seinem Stuhl hoch. „Aber warum? Die Diamanten gehören mir nicht, glauben Sie mir doch endlich.“

Der Mann griff zum Telefonhörer. Yusuf sank auf den Stuhl zurück. Er fühlte sich erschöpft. Zwei uniformierte Beamte traten wenig später ein und nahmen ihn in ihre Mitte.

„Überlegen Sie in der Zwischenzeit, ob Sie uns erzählen wollen, woher die Diamanten sind und wohin Sie sie bringen“, rief ihm der Mann hinterher, der ihn vernommen hatte.

Es war keine Zelle, wohin sie ihn gebracht hatten. Es war ein kleiner Raum mit einem Tisch, zwei Stühlen und einer Liege. In einer Ecke stand ein Kühlschrank und er vernahm das Summen einer Klimaanlage hoch an der Wand. Ein Ruheraum für die Grenzer, dachte er. Aber für ihn war es eine Gefängniszelle, er war eingeschlossen worden, er war ein Gefangener.

Wie viele Jahre würde er für den Schmuggel von atomaren Sachen aufgebrummt bekommen? Und dann kamen die Diamanten noch obendrauf. Die Vorstellung davon, viele Jahre in einem türkischen Gefängnis verbringen zu müssen, betäubte ihn fast. Plötzlich konnte er nicht mehr denken. Trotz der Klimaanlage kam es ihm in dem Raum stickig vor, er atmete schwer und steigerte sich in seiner Furcht, und der Schweiß lief ihm in den Nacken.

*

Yusuf schaute mit glasigen Augen auf seine Uhr, es ging auf den Abend zu. Er wusste nicht, wie lange er hier schon saß, er hatte kein Zeitgefühl mehr. Wie sehr hatte er sich gefreut, Istanbul wiederzusehen, am Abend in die Stadt hineinzufahren; wie schön hatte er sich das vorgestellt. Verfluchter Blohm. Ihm gingen rachelüsterne Gedanken durch den Kopf, die in Hilflosigkeit endeten, und er wurde mit der Zeit unter dem monotonen Geräusch der Klimaanlage träge und duselte. In seiner Apathie hörte er nicht, wie der Schlüssel im Türschloss gedreht wurde. Erst als die Tür aufging, sah er müde auf.

Ein Beamter winkte nach ihm. „Der Kommissar will Sie noch mal sprechen.“

Der Beamte führte ihn in denselben Raum, in dem er am Nachmittag gesessen hatte. Auch den Mann, der hinter dem Tisch saß, erkannte Yusuf als denselben wieder, der ihn vor Stunden vernommen hatte.

„Kommen wir noch mal zu diesen Steinchen hier“, sagte der Mann und machte eine ausladende Handbewegung über die Diamanten, die in mehreren Schalen auf dem Tisch lagen. „Wir haben uns die Mühe gemacht, jeden einzelnen von ihnen genau zu prüfen. Jetzt frage ich Sie: Warum in aller Welt führen Sie Glassteine mit sich? Was soll dieser Blödsinn? Was bezwecken Sie damit?“

Yusuf verstand nicht, was der Mann meinte.

„Ein Koffer gefüllt mit falschen Diamanten, da mach sich einer einen Reim drauf.“ Der Mann stand auf, ging ein paar Schritte zu einem Schrank und nahm den kleinen Koffer, der dort obendrauf lag. Er stellte ihn vor Yusuf auf den Boden. „Sie haben doch irgendetwas damit vor.“

„Ich kann nur wiederholen, dass ich von Diamanten nichts gewusst habe.“

„Es sind Imitationen aus Glas, es sind keine echten. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie es nicht.“ Der Mann wurde laut. „Glassteine!“, sagte er abfällig und dehnte das Wort, als wollte er es Yusuf eintrichtern.

„Sie meinen, es sind gar keine echten Diamanten?“

„Spielen Sie hier nicht den Ahnungslosen“, herrschte der Mann ihn an, „nehmen Sie Ihre Steinchen und spielen Sie meinetwegen Murmel damit. Packen Sie die schleunigst wieder ein und dann gehen Sie. Verschwinden Sie hier!“

Er griff zu einem Schlüsselbund auf dem Tisch und nahm ihm die Handschellen ab.

Yusuf schaute weiter irritiert und massierte seine Handgelenke. „Ich kann gehen?“

„Ja, gehen Sie, es gibt kein Gesetz, wonach ich Sie wegen Schmuggel von Glassteinen verhaften kann. Sie haben uns nur unnötig Arbeit und Ärger gemacht.“

Hastig füllte Yusuf die Samtbeutel und legte sie in den Koffer. Der Mann beobachtete ihn dabei ungehalten, glaubte er aus den Augenwinkeln zu erkennen.

„Vergessen Sie das hier nicht.“ Der Mann schob ihm die Mappe mit den Dokumenten rüber, der Fahrzeugschein lag obendrauf. Yusuf klemmte sich die Mappe unter den Arm, ohne sich Zeit zu nehmen, den Fahrzeugschein hineinzulegen, er steckte ihn einfach in die Hosentasche. Dann nahm er den Koffer und ging zur Tür hinaus, die der Mann ihm aufhielt. Grußlos schlug er die Tür hinter ihm zu.

Draußen blinzelte Yusuf im Licht der Abendsonne und suchte das Taxi. Er streifte bei seinem Rundblick die Kolonne der Autos vor den Grenzbeamten und es bereitete ihm Unbehagen. Dann sah er das Taxi an der Hauswand eines Gebäudes hinter sich. Er ging langsam hinüber. Der Wagen war nicht verschlossen und der Schlüssel steckte im Zündschloss. Yusuf sah sich bedächtig um, ganz vorsichtig und immer noch voller Angst. Und dann sah er sich das Auto genauer an, er tat es unauffällig, um nicht aufzufallen. Aber er entdeckte nichts, was darauf hinwies, dass sie das Taxi auseinandergenommen hätten.

Als er eingestiegen war, suchte er auch das Innere des Fahrzeugs nach irgendwelchen Spuren ab. Die Türverkleidungen sah er sich gründlicher an, aber nichts deutete auf einen Eingriff der Grenzer hin; nicht der geringste Kratzer war zu sehen, den ein Ausbau der Verkleidungen möglicherweise hinterlassen haben könnte. Den kleinen Koffer legte er auf den Beifahrersitz und die Mappe obendrauf. Gleich stieg er wieder aus, ihm war der Fahrzeugschein eingefallen, der in seiner Hosentasche steckte. Er holte ihn hervor und legte ihn auf die Dokumentenmappe. Dann setzte er sich wieder ans Steuer.

 

„Sie fahren langsam rückwärts in die Reihe zurück. Achten Sie auf meine Anweisungen.“ Yusuf erschrak, er hatte den Beamten nicht gesehen, der ihm beim Einfahren in die Spur vor der Schranke behilflich sein wollte und hinter ihm mit den Armen ruderte.

Er schaute über die Schulter nach ihm und lenkte den Wagen in die Reihe der wartenden Fahrzeuge. Er sah sich als erster vor der Schranke stehen und wie sie geöffnet wurde. Ungläubig starrte er nach vorne. Der Grenzbeamte trat neben ihm ans Auto und winkte nur mit einer kurzen Handbewegung in Richtung des Durchlasses. Yusuf fuhr ganz langsam. Als er auf die Hauptfahrbahn einscherte, gab er Gas, mächtig Gas. Erst ein Verkehrsschild mit dem Hinweis auf die zulässige Geschwindigkeit erinnerte ihn daran, wieder Fahrt wegzunehmen.

*

Er verspürte Hunger und ihm fiel ein, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, außer den Falafeln an der kleinen Raststätte vor der Grenze. Er schaute auf die Anzeigen im Armaturenbrett, es war kurz nach neunzehn Uhr.

Noch immer verspürte er die Schrecken, die hinter ihm lagen. Er sah instinktiv in den Rückspiegel. Warum transportierte Blohm Diamantenimitationen, einfache Glassteine? Er begriff es nicht, es gab für ihn keine Erklärung.

Er überlegte, ob er Blohm damit konfrontieren sollte. Aber er kam dahin, dass er besser Stillschweigen darüber bewahrte, er müsste sonst preisgeben, dass die Steine an der Grenze entdeckt worden waren und er in Gewahrsam genommen worden war. Das wollte er ihm nicht sagen. Zunächst noch nicht. Er würde Blohm auf den Zahn fühlen, später, bei diesem Händler in Istanbul vielleicht, wenn sie das Taxi dort abgaben. Wie hatte Blohm gesagt? „Da sind Sie nicht dabei.“ Wir werden sehen, dachte Yusuf. Nur für die Verspätung musste er sich noch eine Rechtfertigung einfallen lassen. Er rechnete aus, dass er nicht vor zweiundzwanzig Uhr in Istanbul eintreffen würde. Dann der starke Verkehr, der dort auch noch nachts anhielt. Es würde spät werden, bis er das verabredete Hotel im Stadtteil Fatih erreicht hätte.

Er beschloss, in Edirne anzuhalten, er sah gerade das Schild, das die Abfahrt ankündigte. Er wollte in die Stadt hinein, sich ein Restaurant suchen, in dem er gut zu Abend essen konnte. Er war bereits verspätet, es kam ihm nicht mehr darauf an.

Stattdessen fuhr er auf einen Autobahnrastplatz und bevor er ausstieg, wollte er den Fahrzeugschein in die Mappe stecken, die auf dem kleinen Koffer die ganze Zeit neben ihm gelegen hatte. Er las die Adresse auf dem Schein, auf welche das Taxi eingetragen war. Erstaunt las er den Namen des Taxiunternehmens in Hamburg, bei dem er angestellt war. Er traute seinen Augen nicht und las noch mal. Dort stand tatsächlich der Firmenname seines Arbeitgebers.

Dieser ausgebuffte Blohm, dachte er, und es leuchtete ihm ein, dass er dadurch bei der Überprüfung an der Grenze davongekommen war. Er blies die Backen auf und stieß dann wie zur Erleichterung die Luft hinaus. Danach legte er die Mappe ins Handschuhfach und den kleinen Koffer brachte er in den Kofferraum, er wollte ihn außer Sichtweite haben.

Die Leuchtreklame des Autobahnrestaurants blinkte ihm grell entgegen. Er dachte an eine Rote Linsensuppe, sie müsste so schmecken wie zu Hause, wenn seine Frau sie kochte, aber er war sicher, dass sie so nicht sein würde, wenn es dort überhaupt eine gab. Es kam ihm komisch vor, erst jetzt wieder an seine Frau zu denken. Eine Leere überfiel ihn, hier weit weg von zu Hause, allein in der beginnenden Dämmerung. Er wandte sich um und ließ den Wagen an. 240 Kilometer bis Istanbul, las er auf dem Entfernungsschild, als er wieder auf die Autobahn fuhr.

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